Roy Glashan's Library
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Titelbildgestaltung: Dieter von Reeken, in Anlehnung
an das Deckelbild der 1902 erschienen Erstausgabe.
Oskar Hoffmann: Mac Milfords Reisen im Universum.
(Kollektion Kosmos). Papiermühle bei Roda Sachsen-Altenburg]:
Weller & Co., 1. Aufl. 1902, Titelseite 1 (S. 1, unpaginiert)
Mac Milfords Antriebsvehikel »Sirius«. Links erblickt man die
Antigravitationskathode, rechts den elektrischen Scheinwerfer.
Dem vorliegenden Nachdruck liegt die folgende Erstausgabe zugrunde:
Mac Milfords Reisen im Universum. Von der Terra zur Luna oder Unter den Seleniten. Astronomische Erzählung von Oskar Hoffmann. Mit 60 Illustrationen von Fritz Brändel (Kollektion Kosmos). — Papiermühle b. Roda S.-A. [= Sachsen-Altenburg]: Weller & Co. 1902. IV, 239 S. — Ganzleineneinband mit Farbaufdruck und Goldprägung, ca. 19,0 x 27,0 cm. 60 Zeichnungen im Text, 11 ganzseitige Zeichnungen auf Tafeln, davon 10 farbig. Druck: A. Weller & Co., Papiermühle b. Roda S.-A. Verarbeitung: Buchbinderei Paul Hüttich, Gera.
Der als »astronomische Erzählung« bezeichnete umfangreiche Roman Mac Milfords Reisen im Universum mit dem doppelten Untertitel Von der Terra zur Luna oder Unter den Seleniten erschien 1902 unter der (nur auf dem Einbanddeckel und auf dem unteren Seitenrand der S. 1 und 9 jeder Lage des Buchblocks genannten) Bezeichnung »Kollektion Kosmos« im Verlag A. Weller & Co. in Papiermühle bei Roda im damaligen Sachsen-Altenburg. Bei der Bezeichnung »Kollektion« hatte der Verlag möglicherweise an eine eigene Buchreihe gedacht, für die offenbar die bereits seit 1887 bestehende erfolgreiche »Collection Verne‹ des Hartleben-Verlags, Wien, [Buda]pest und Leipzig, als Vorbild dienen sollte.
Die Erstausgabe hatte zehn farbige Bildtafeln. Eine zweite Auflage, allerdings ohne farbige Bilder, erschien, ebenfalls in Papiermühle bei Roda S.-A., 1913 im Verlag der Gebrüder Vogt, die den Verlag A. Weller am 15. Januar 1903 übernommen hatten.19 Vor oder neben der Buchausgabe gab es auch eine Lieferungsausgabe./p>
Seit der Übernahme des Verlages A. Weller & Co. durch den Verlag der Gebr. Vogt zum 15. Januar 1903 erhielten die noch übrigen Exemplare der 1. Aufl. 1902 von Mac Milfords Reisen im Universum einen entsprechenden eingeklebten Hinweiszettel (ca. 14,5 x 3,5 cm) auf der Titelseite (unpaginierte S. 1).
Der Text ist einschließlich der Fußnoten weitgehend unverändert übernommen worden. Es wurden lediglich (übrigens zahlreiche) offensichtliche Drucksatzfehler (z.B. sehr oft fehlende oder überflüssige Anführungszeichen) stillschweigend berichtigt und aus technischen Gründen die neue Silbentrennung verwendet.
Veraltete Schreibweisen wurden bewusst nicht geändert; also heißt es z. B. »Anzeigen« statt »Anzeichen«, »Begegnis« statt »Begegnung«, »Britte« statt »Brite«, »Crampion« statt »Grampion Mountains«, »Edinburg« statt »Edinburgh«, »frug« statt »fragte«, »garnicht« statt »gar nicht«, »Geberde« statt »Gebärde«, »giebt« statt »gibt«, »Hülfe« statt »Hilfe«, »karriert« statt »kariert«, »Miß« statt »Miss«, »Quardtrillion« statt »Quadrillion« oder »Spektras« statt »Spektra« oder »Spektren« und in einigen Fällen (nicht durchgehend) auch »Ae«, »Oe« und »Ue« statt »Ä«, »Ö« und »Ü«.
Der Name des Weltraumfahrzeugs (»Sirius«) erscheint zur Abgrenzung vom gleichnamigen Stern stets in Anführungszeichen, der Name eines Mondbewohners wird durchgehend »Rzel-loe« genannt, obwohl er in den letzten Kapiteln des Originals »Rze-loe« heißt.
Um den mit der Topographie oder Oberflächenbeschaffenheit des Mon-des wenig bekannten und anderseits den mit astrophysikalischen Dingen mehr vertrauten Lesern dieser Erzählung die Möglichkeit der darin geschilderten lunarischen Zustände begreiflich und durchaus glaubhaft zu machen und gleichzeitig den gegen dieselben etwa erhobenen Einwänden mit wohlbegründeten Darlegungen der topographischen und physikalischen Verhältnisse, wie sie der Erzählung als Basis unterlegt sind, zu begegnen, das soll mit nachstehender Hypothese des Verfassers zu erreichen versucht werden.
Der Mond befindet sich im Stadium der Eiszeit, wofür wohl die Strahlensysteme des Berg- und Hügellandes, jene seltsamen, radienartig von den Ringgebirgen herab bis weit in die Maren verlaufenden glänzenden Lichtstreifen, über deren wahre Natur die Wissenschaft noch im Unklaren ist, am besten sprechen dürften, indem der Verfasser dieselben als Gletscherzungen betrachtet. Dem Einwande, daß durch das Fehlen atmosphärischer Niederschläge jene lunarischen Eisströme längst versiecht und verschwunden sein müßten, sei dahin begegnet, daß mit der anhaltenden Abnahme der Temperatur die Gletschermassen zum völligen Stillstand gekommen sind, indem ihr Aggregatzustand einen fast steinigen Charakter angenommen hat, wodurch es sich erklärt, daß sie, ohne neuen Zufluß zu erhalten, ähnlich einem erstarrten Lavastrom, fortbestehen. — Die zahlreichen Lichtflecke, welche sowohl in Gebirgen als auch in ebenen Teilen der Mondoberfläche sichtbar sind, dürften gleichfalls nichts anderes als vergletscherte Eistümpel, Reste längst versiechter Seen und Meere sein. — Eine Eiszeit bedingt natürlich auch das Vorhandensein von Atmosphärilien. Eine dünne Lufthülle bedeckt die Oberfläche nur in ihren tieferen Teilen, sodaß die Gipfel sehr hoher Berge bereits in den luftleeren Raum emporragen. Wasser in flüssiger Form findet sich nur in unterirdischen Hohlräumen und da, wo der direkte Zutritt der Außenluft abgeschnitten ist. — Infolge der Vergletscherung und der dünnen Lufthülle entstehen niemals Wolkenbildungen; wohl mögen des öfteren dicht über den Maren liegende Nebel auftreten. — Tiere und Pflanzen der lunarischen Eiszeit entsprechen der arktischen Fauna und Flora der Erde. Die Bewohner des Mondes ähneln den irdischen polaren Völkerstämmen. Ihre Lebensgewohnheiten sind den Naturverhältnissen angepaßt; im übrigen wird man die Seleniten als degenerierte Nachkommen eines vor Jahrtausenden existierenden, vielleicht hochentwickelt gewesenen Kulturvolkes zu betrachten haben.
Gesamtresultat ex hypothesi: Der Trabant der Erde ist ein im Stadium der Erstarrung begriffenes Gestirn, welches Luft, Wasser und Lebewesen, analog der irdischen Natur, den Verhältnissen der vom Verfasser angenommenen geologischen Periode: der Eiszeit, angepaßt, besitzt.
Oskar Hoffmann: Mac Milfords Reisen im Universum. Von der Terra zur Luna oder Unter den Seleniten. Astronomische Erzählung (Kollektion Kosmos). Papiermühle bei Roda S.A. [= SachsenAltenburg]: Weller & Co., 1. Aufl. 1902, Beginn des 1. Kapitels (S. 3, unpaginiert)
»Wer aus der Studentenschaft würde einen Gelehrten auf einer wissenschaftlichen Weltreise begleiten? Verhehlt wird nicht, daß das Unternehmen ein gefährliches ist und Mut und Entschlossenheit von dem Teilnehmer fordert. Adressen wolle man unter »Alpha und Omega« postlagernd Edinburg niederlegen.«
Diese seltsame Ankündigung fand man eines Februarmorgens an dem Portale im Vorflur der Universität der schottischen Stadt Edinburg angeschlagen.
Die Jünger der Alma mater lasen diese wunderliche Aufforderung und gingen dann kopfschüttelnd die Foyertreppe hinauf. Nur zwei Personen schienen der Ankündigung mehr Interesse abzugewinnen. Es waren dies jüngere Damen, welche als Hospitantinnen in der Universität Kollegien anhörten und im Begriff standen, den Bibliotheksaal aufzusuchen.
»Eine merkwürdige Aufforderung ...« sagte die eine der Beiden.
»Seltsam ...« murmelte die andere.
»Fast möchte ich mich melden ... eine solche wissenschaftliche Weltreise wäre ganz mein Fall.«
»Wie — du hättest Lust?«
»Warum nicht? ... mich hält ja nichts —«
»Es wird aber sicher auf eine männliche Person reflektiert,« meinte die jüngere der beiden Damen.
»Ich glaube denselben Mut und die Entschlossenheit zu besitzen, wie die meisten Männer. Wenn es jenem Gelehrten gleichgültig ist, ob er einen Teilnehmer oder eine Teilnehmerin findet, so werde ich unbedingt mit von der Partie sein,« erwiderte die ältere, welche Mary Watson hieß.
»Wirklich — es wäre dein voller Ernst? Du willst Dich auf alle Fälle melden?«
»Ja, Ellis — heute noch ... nein gleich!«
»So werden wir uns demnach bald trennen müssen und sehen uns vielleicht auf lange Zeit nicht wieder? Mary bleib!« bat Ellis.
»Möglich, daß wir uns auch nie wieder sehen. Du siehst ja, dort steht, daß die Reise gefährlich ist,« gab Mary zurück, notierte sich die Chiffre von der
Ankündigung und schritt dann der Jüngeren zum Bibliotheksaal voraus. »Ich werde sofort schreiben —.«
Trotz Ellis' Abreden fertigte die mutige Schottin die Meldung an. Der Brief wurde darauf zur Post gegeben — — und Mary Watson hatte damit ihr Schicksal selbst besiegelt. — —
Einige Tage später empfing sie folgendes Schreiben:
»Alpha und Omega! Bitte sich behufs weiterer Rücksprache zu melden bei Professor Mac Milford, GeorgeStreet 7.«
Sogleich begab sie sich zu ihrer Freundin Ellis Rosebery.
»Hier ...« sagte Mary Watson und zog das erhaltene Schreiben aus der Tasche.
Ellis überflog es mit einem Blick und rief dann ängstlich aus: »Mary! Du willst wirklich ...!« — »Ich will.«
»Warst du schon bei ihm? ... Mary, bedenke doch, was du unternehmen willst!«
»Ich habe es mir wohl überlegt, mein liebes Kind, und werde jetzt sofort zu jenem Mac Milford gehen.«
»Er wird doch gewiß auf einen männlichen Begleiter rechnen ...«
»Es muß ihm wohl gleich sein, denn sonst würde er garnicht erst mit mir in eine Unterhandlung treten.«
»Und Du wirst zusagen, auch wenn die Reise mit außerordentlicher Lebensgefahr verknüpft ist?«
»Und wenn es zum Mittelpunkt der Erde oder zum Monde ginge!« antwortete Mary Watson lächelnd. Daß sich die letzten scherzhaft hingeworfenen Worte erfüllen könnten, das hätte sie in diesem Augenblicke für die Ausgeburt eines Phantasten, eines Unzurechnungsfähigen gehalten.
»Mary, steh von Deinem gewagten Unternehmen ab; ich bitte Dich! ... Ich weiß nicht, es beschleicht mich so ein dunkles Gefühl; es ist mir, als sollte ich Dich niemals wiedersehn — —«
»Du Pessimistin!« sagte Mary und wendete sich zum Gehen. Unterwegs schien doch der Gedanke einer Nimmerwiederkehr von ihr erwogen zu werden. — — Ach was ... sagte sie sich ... ich habe keine Angehörigen — nichts, was mich hier hält, warum sollte ich also nicht? — — Inzwischen war sie an ihrem Ziele, GeorgeStreet 7, angekommen. Sie bewegte den Thürklopfer. Ein etwas feister Diener mit grinsender Miene öffnete. »Sie wünschen?«
»Mr. Mac Milford zu sprechen?«
»Treten Sie gefälligst näher,« erwiderte der Domestik und führte den Besuch in ein Empfangszimmer.
»Melden Sie Miß Mary Watson ...«
Der Mann nickte und verschwand; er schien von dem Kommen der Besucherin bereits unterrichtet zu sein. Kurz darauf trat ein älterer Herr mit stark graumeliertem Vollbart ein. Durch die große Brille, welche auf seiner scharfgebogenen Nase saß, blickte er die im Zimmer seiner Ankunft Harrende musternd an. »Miß Mary Watson ...«
Kurz darauf trat ein älterer Herr mit
stark graumeliertem Vollbart ein.
»... bin ich,« erwiderte die Angeredete, indem sie eine leichte Verbeugung machte. »Professor Mac Milford?«
»Zu dienen ... Sie hatten sich auf mein Gesuch gemeldet ... ich reflektierte zwar auf einen männlichen Teilnehmer und dachte nicht im entferntesten daran, daß sich auf meine Aufforderung niemand anders als eine Dame melden würde. Werden Sie auch den erforderlichen Mut und die Ausdauer besitzen, die mein gewagtes Unternehmen fordert?«
»Ich habe nie in meinem Leben besondere Furcht empfunden ... doch ich bitte Sie, mich vorerst über das Ziel der geplanten Reise aufklären zu wollen.«
Mac Milford räusperte sich ein wenig. »Hm — ich habe mir ein seltsames Ziel gesteckt ... ich hoffe, Sie werden über die Nennung desselben mich nicht für unzurechnungsfähig halten —«
»Ist es etwas so unnatürliches?«
»Eigentlich ja. Es handelt sich um nichts mehr und nicht weniger, als um eine Reise, einen Ausflug ins Universum.« Das letzte Wort sagte er mit etwas Nachdruck.
»Ins Universum ...?« Mary Watson glaubte nicht recht verstanden zu haben.
»Ja, ins Weltall, zu dem Monde und den Planeten.«
Jener erschien die Sache ebenso ungeheuerlich wie unmöglich. »Sie belieben wohl zu scherzen?« frug sie, ihr Gegenüber zweifelnden Blickes ansehend.
»Ich scherze nicht, Miß Watson,« gab der Professor, als er bemerkte, daß seine Partnerin ihm Zweifel entgegenbrachte, ernst zurück.
»Ich sehe, es ist Ihr voller Ernst — darf ich fragen, wie Sie das bewerkstelligen wollen, und ob Sie dessen sicher sind, daß der Mensch auch außerhalb der Erdkugel weiter zu existieren vermag?«
»Wenn ich nicht diese Überzeugung besäße, wäre ja eine solche Fahrt ein Verbrechen gegen mein Leben und das meines Begleiters. Für mich ist eine Reise zum Monde und zu den Planeten keine Unmöglichkeit. Meine wissenschaftlichen Entdeckungen setzen mich in den Stand, das Unternehmen so auszuführen, wie ich es geplant habe.«
»Ich möchte in Ihre Worte auch keinen Zweifel setzen, Mr. Mac Milford — aber trotzdem sage ich mir, soweit meine wissenschaftlichen Kenntnisse reichen, daß die geplante Reise dennoch zu den Unmöglichkeiten gehört,« erwiderte Miß Mary.
»Ich bitte — für mich giebt es keine Unmöglichkeit. — — Haben Sie Mut, so reisen Sie mit. — — Sie sind Schottin? Nicht wahr?«
»Jawohl, aus Dundee.«
»Und Ihre Angehörigen ... leben sie noch? ... Sind Sie Herrin Ihres freien Entschlusses?«
»Ich bin Waise, Mr. Mac Milford, und kann handeln wie es mir beliebt.«
»Gut! — Wir sind also einig, nicht wahr? Sie schrecken vor nichts zurück, vor keiner Unmöglichkeit? — — Sie vertrauen sich mir völlig an?«
»Ja!« gab die Gefragte in bestimmtem Tone zurück.
»So bitte, kommen Sie; ich werde Sie oben im Studierzimmer mit meinen Plänen bekannt machen.«
Der Gelehrte, trotz seines Alters noch ein rüstiger Mann mit festem Schritte, ging durch eine Seitentür und bat seinen Besuch, ihm zu folgen.
Der Weg führte durch einen langen, halbdunkeln Gang, an dessen Ende sich eine eiserne Wendeltreppe befand, welche beide hinaufstiegen.
»Ich habe mein Studierzimmer nebst dem Laboratorium nach oben zum Observatorium verlegt, um so alles für meine Studien vereint zu haben; wir müssen daher bis zum Dache des Hauses steigen ... es ist Ihnen doch nicht beschwerlich?«
»O nein, habe im Cairngormgebirge andere Kletterpartien gemacht.«
»Solche stehen uns demnächst auch in den Crampiansbergen in Aussicht. ... Ich hoffe übrigens, daß Ihnen die ganze Reise großes Vergnügen bereiten wird,« meinte Mac Milford, als er oben angekommen war und die Tür zu seinem Studierzimmer öffnete.
»Darf ich fragen, Mr. Mac Milford, warum Sie sich einen Begleiter zur Mitfahrt gesucht haben?«
»Hat seinen Grund, Miß ... eh, wie war doch Ihr werter Name?« so unterbrach sich der Professor und geleitete seinen Besuch ins Zimmer.
»Mary Watson —.«
»Danke, Miß Watson. Den Grund werde ich Ihnen angeben.«
Der Raum, der sich vor Marys Blicken hier soeben aufgetan, hatte die Größe eines kleinen Saales und war von einem Glasdache überwölbt. An den Wänden befanden sich Bücherregale und auf diesen schien der Professor archäologische Funde aufgestapelt zu haben. Allerlei Instrumente, welche wissenschaftlichen Zwecken dienen mochten, waren auf einem inmitten des Zimmers stehenden Tische aufgestellt, und ein gewaltiger drei Meter im Durchmesser haltender Globus, welcher auf einem Stativ drehbar parallaktisch montiert war, stand majestätisch im Hintergrunde des großen Raumes. An den Wänden hingen Sternkarten, sowie geologische Bilder aus der Alluvial- und Diluvialperiode, aus der Kreidezeit und der Steinkohlenformation. Was aber dem Besucher dieses Studierzimmers besonders auffallen mußte, war ein sonderbar konstruiertes Gestell aus Aluminiumstäben, welches seitwärts von dem Riesenglobus aufgehängt, sich gar seltsam präsentierte. Am Boden darunter stand ein motorähnlicher Apparat, welcher einen eigenartig geformten Kolben und Cylinder besaß und etwa einen halben Meter Höhe hatte. Der Studiersaal wurde mittels einer Art Teslaschen Lichtes durchflutet, sodaß eine ruhige und nicht blendende Helle überall gleichmäßig verbreitet war.
»Tom ... den schwarzen Atlas dort!« rief Mac Milford dem gerade eintretenden Diener zu. Dieser brachte das Gewünschte herbei.
Tom brachte das Gewünschte herbei.
»Wollen Sie nicht Platz nehmen, Miß Watson ... ich bitte.«
»Wenn Sie es wünschen ... gewiß,« gab die Angeredete zurück und ihre Blicke schweiften durch das Gemach und blieben bald hier, bald dort an irgend etwas haften.
Als sie beide vor einem großen Schreibtische Platz genommen hatten und der Gelehrte den Atlas vor sich aufschlug, sagte er: »Durch jahrelange astronomische und physikalische Forschungen ist es mir gelungen, mit Hilfe einiger Erfindungen, die ich auf technischem Gebiete gemacht habe, den Erdball zu verlassen, um durch den fernen Weltäther zu schweifen und zu irgend einem Gestirne zu gelangen. Sie werden staunen und es nicht für denkbar halten; nicht wahr?«
»Aber, wie vermöchten Sie vor allem das Haupthindernis, welches uns Erdenkinder an unsern Planeten fesselt, zu überwinden; ich meine die Gravitation, die Schwerkraft der Erde?« Diese Frage warf Miß Watson zwischen des Professor Rede.
»Nichts leichter als das,« gab Mac Milford zurück, »ich habe eben ein Mittel gefunden, um die Schwerkraft aufzuheben.«
»Es ist nicht möglich!« rief die Schottin ungläubig aus.
»Miß Watson, wenn Sie meinen Worten immer Zweifel entgegenbringen, so kommen wir nie zu Ende ... Wie ich Ihnen schon gesagt habe, bin ich in der Lage, die Gravitation teilweise oder ganz zu jeder Zeit aufzuheben.«
»Das wäre ja eine wunderbare Entdeckung, und noch ist sie der Menschheit unbekannt?«
»Der Welt werde ich sie erst bekannt geben, wenn wir unsere große Reise glücklich vollendet haben,« gab der Alte zurück.
»Gut, Mr. Mac Milford, mögen Sie nun auch wirklich ein Mittel haben, jene Zauberkraft der Erde aufzuheben, so bleiben doch immer noch sehr gewichtige Fragen offen.«
»Welche Fragen Sie mir stellen werden, das weiß ich im voraus. Es sind doch sicher solche, an die sich die Lebensbedingungen des Menschen knüpfen?«
»Sehr richtig, Mr. Mac Milford. — Wie mir bekannt, ist der Weltenraum und auch der Mond, welcher das Ziel unserer Reise bilden soll, luftleer, und der menschliche Körper kann doch ohne dieses Medium niemals existieren!«
»Auch dafür habe ich meine Vorkehrungen getroffen; wir werden nicht um einen Kubikzentimeter irdischer Luft zu kurz kommen.«
»Merkwürdig —« murmelte Miß Watson.
»Und wenn Sie daran zweifeln, daß es uns irgendwo im Universum an Nahrung oder an Wasser gebrechen sollte, so möchte ich jetzt versichern, daß ich auch dafür Sorge getragen habe.«
»Aber das Beförderungsmittel? Auf welche Art wollen wir diese Reise bewerkstelligen?« frug Miß Mary interessiert.
»Dort!« Der Alte wies mit der Hand nach der Ecke hin, wo das Aluminiumgestell aufgehängt war. »Jenes einfache Fahrzeug wird uns bis zu den fernsten Welten tragen. Es gehorcht der leisesten Bewegung meiner Hand, und seine Fahrgeschwindigkeit kann ich bis auf über 600 Meilen in der Stunde steigern. Von dieser Schnelligkeit werden wir aber nichts verspüren, da sich der rasenden Fahrt kein Luftwiderstand entgegenstellt. ... Das nächste Ziel unserer Reise wird der Mond sein; wir werden dortselbst die Seleniten kennen lernen.« — »Seleniten ...?« frug Mary Watson.
»Ja, die Mondbewohner. Hier auf Erden bezeichnen wir sie mit dem Namen Seleniten, wie wir denn auch die gesamte Mondforschung mit dem Namen Selenographie betiteln.«
»Ich bin maßlos erstaunt,« sagte Mary Watson.
»Wenn ich es mir nicht denken könnte, so würde ich es aus Ihren Mienen herauslesen. — Der Hauptgrund, welcher mich zu einer Reise ins Universum veranlaßt, ist, daß ich dort Anhaltspunkte für etwas suche, was ich hier nicht finden kann.«
»Und was gedenken Sie dort zu finden?«
»Etwas, wovon sich die Erdenbewohner keine Vorstellung machen können, ebensowenig wie von dem Begriffe eines dritten Geschlechtes ... obgleich man dieses, wie die vierte Dimension, welche ich suche, als transcendental erklärt, will man die Möglichkeit ihres Vorhandenseins doch nicht ganz abstreiten. Besonders die vierte Dimension. ...«
»... Die vierte Dimension?« frug Mary nachdenklich zurück.
»Sollten Sie von der, von den Mathematikern schon lange vermuteten vierten Ausdehnung noch nichts gehört haben? ... Die Geometrie nimmt, wie Ihnen bekannt sein wird, die Linie als eindimensional, die Fläche als zweidimensional und den Körper als dreidimensional an. Außer der Länge, Breite und Höhe sucht man nun nach einer vierten Ausdehnung: der xDimension,« docierte der Gelehrte weiter.
»Das ist doch übersinnlich!« rief die Schottin aus.
»Hm ... freilich — doch geht man wohl nicht fehl, wenn man einen Schluß aus folgender Definition zieht. ... Wenn wir uns in »unserem‹ Raume die Fläche, die Ebene als die nächst dimensionale Stufe der Geraden, der Linie gleicher Richtung denken, so wird uns der Körper oder besser gesagt der Raum in dem wir leben, wiederum als nächste Erweiterung der Fläche erscheinen, und die nächste Erweiterung des Körpers oder Raumes müßte demnach die gesuchte vierte Dimension sein ... nicht wahr?« fuhr Mac Milford in seiner Ausführung fort.
»Gewiß — eine sehr interessante und scharfsinnige Logik!« replizierte Mary Watson.
»Und noch weiter: man sucht sogar nach einer fünften ... einer sechsten und folgenden Dimension.«
»... Bah! ... man wird sich da wohl unnütz den Kopf zerbrechen ohne von der Natur solcher fragwürdigen Begriffe auch nur das geringste zu ergründen,« meinte die junge Schottin weiter.
»O — mit nichten! ... wir sind der Sache schon auf der Spur!« rief der Gelehrte begeistert aus. ... »Die Beziehung unseres Raumes zur Linie und Fläche hat die Wissenschaft erkennen lassen, daß man es eigentlich nur mit einem ebenen Raume zu tun hat, und warum soll nicht auch unter den Räumen gerade wie unter den Linien und Flächen Mannigfaltigkeit herrschen?«
»Sehr einleuchtend, Mr. Mac Milford — — so würde dann also eine Mehrheit von vierdimensionalen Räumen auch eine fünfte Ausdehnung bedingen?«
»Ganz richtig ...« sagte hierauf der Alte nickend, »das ist anzunehmen.«
»Welcher Art denkt man sich solche übersinnliche Räume?«
»Die Wissenschaft ist zu der Folgerung gekommen, daß dreidimensionale Räume ebene und vierdimensionale krumme Räume sind.«
»So sucht man also die bekannten geometrischen Axiome durch logische Vernunftschlüsse zu vermehren?«
»Wer vermöchte den Beweis zu bringen, daß ein vierdimensionaler Raum ein Hirngespinst der Menschen ist?« rief Mac Milford aus. »Man kann mit der menschlichen Unfähigkeit der Anschauung eines vierdimensionalen Raumes nicht auf die Unmöglichkeit eines solchen an sich zurückschließen.«
»Das gebe ich zu ...« sagte Miß Mary.
»Denken wir uns einmal ein linienhaftes Wesen, welches also eindimensional ist und nur seine Länge kennt; dasselbe wird sich nie eine Anschauung davon machen können, daß es auch noch eine zweite Ausdehnung, die Breite, giebt; ganz abgesehen nun gar von einer dritten, der Höhe oder Tiefe, die doch ohne das Vorhandensein der zweiten Dimension an sich unmöglich ist ... dann, das Flächenwesen — — welches nur Länge und Breite kennt; wird es sich einen Begriff von der dritten Ausdehnung, der Höhe, machen können? — Unmöglich! Es würde nie begreifen, wie in irgendeine, in sich geschlossene Figur, wie eine solche zum Beispiel der Kreis ist, etwas, ohne die Peripherie zu durchschneiden, hineingelangen könne. So auch wir, die dreidimensionalen Wesen, die Körper; wir können uns wiederum von einem vierdimensionalen Wesen keine Anschauung machen.«
Nachdem der Professor seine Rede beendet hatte, stand er auf und entnahm aus einem der großen Bücherregale ein Buch.
»Hier, diese Schrift ist von mir.« Bei diesen Worten reichte Mac Milford seinem Besuche einen Maroquinlederband.
Als Miß Watson das Buch aufschlug, las sie folgendes:
»Lu-Lun ...? Ist das ein Pseudonym?« frug sie den Professor.
»Hm — Der Urheber ist mir selbst unbekannt. Ich erhielt ein altes Manuskript mit seltsamen Schriftzeichen, und es kostete mir große Mühe die merkwürdigen Schnörkel zu entziffern, weil sie keiner einzigen der uns bekannten 1500 Sprachen angehörten.«
»Sonderbar ...« murmelte kopfschüttelnd die Schottin.
»Die Handschrift hüte ich wie meinen Augapfel, es ist eine gar seltene Reliquie,« sprach der Alte weiter.
»Und die Schriftzeichen gehören keiner irdischen Sprache an?«
»Natürlich nicht, denn das Manuskript wurde in dem Mondkrater Triesnecker gefunden.«
»Wie, auf dem Monde ...« frug Mary Watson sehr erstaunt; es wollte ihr noch immer nicht in den Kopf, daß ein Verkehr mit dem Monde von der Erde aus möglich sein könne.
»Die Aufzeichnung besteht aus einem Stück Haut eines ausgestorbenen lunarischen Reptils und enthält über 5000 Schriftzeichen. Verlassen Sie sich auf mein Wort; es ist das Geistesprodukt eines Seleniten ... doch genug davon für heute. Ich werde Sie jetzt mit meinem Reiseplane genau vertraut machen.«
Der Alte legte bei diesen Worten das Buch wieder fort.
»Zunächst, Miß Watson, muß ich Ihnen noch verraten, daß auf dem Monde bereits ein Irdischer weilt, und daß ...«
»Wie — ist es möglich?« unterbrach die Angeredete den Sprecher.
»Bitte — keine Zweifel ... ein Student unserer Universität, Namens George Price, befindet sich schon seit Monaten auf dem Erdtrabanten und hat den hohen Genuß, unsere Weltscholle aus einer Entfernung von 50 000 Meilen mit Muße betrachten zu dürfen.
»Wie ich ihn darum beneide ... doch auf welche Art gelangte er zum Monde? Benutzte er Ihr seltsames Vehikel?«
»Nein. Mein Atomistikum hat seinen Körper hinaufbefördert.«
»Und das Experiment, wenn ich es so nennen darf, ist gelungen?«
»Der Apparat hat vollbracht, was ich von ihm gefordert; Mr. Price befindet sich wohlbehalten auf dem Monde, und mit ihm eine Anzahl irdischer Dinge, Gerätschaften aller Art.«
»Und von alledem weiß die Welt nichts?«
»Kein Sterbenswörtchen — doch ich befürchte, daß mir die Nation jenseits des großen Wassers ins Gehege kommen wird.«
»Amerika?«
»Ganz recht; die Yankees versuchen es augenblicklich gleichfalls, Fahrzeuge zu konstruieren, welche den Weltäther durchqueren sollen und ihr erstes Ziel wird natürlich das uns nächstliegende Gestirn, der Mond, sein.«
»Noch hörte ich nichts davon.«
Der alte Professor lächelte. »Glaub's schon. Die Yankees sind schlaue Köpfe — sind verschwiegen — doch ich habe meine Quellen; es ist mir längst bekannt, daß ein gewisser Edison, ein Erfindergenie übrigens, über ein Fahrzeug nachgrübelt, welches Menschen zum Monde befördern soll.«
»Dann werden wir vielleicht zu spät kommen?«
»Befürchten Sie nichts. England wird die ersten Pioniere auf der bleichen Luna landen lassen — ehe die Yankees kommen, haben wir drüben bereits festen Fuß gefaßt.«
Mac Milford holte einen großen Himmelsglobus herbei, schlug eine der Seiten des vor ihm liegenden schwarzen Atlas' auf und sagte: »Sehen Sie, hier ist der Weg, den ich mir zu der Reise ins Universum erwählte. Ich habe ihn sowohl im Atlas als auch auf dem Globus mit einer rot punktierten Linie markiert.«
Mary Watson sah und hörte noch immer alles mit großem Zweifel an. — Konnte der Mann es wohl verstehen, die unübersteigbare Schranke, welche den Menschen an die Erdscholle fesselt, die Gravitation oder Schwerkraft, zu beseitigen? — —
»Die direkte Fahrt zum Monde wird nur wenige Tage dauern. In der Faciallinie beträgt die Entfernung am 21. Februar 385 080 Kilometer, das würde etwa 68 Erdradiussen entsprechen,« fuhr der Gelehrte in seinen Ausführungen fort.
»Werden wir im eisigen Weltenraume nicht erfrieren — —?« frug Miß Watson; sie schien sich nur schwer an den Gedanken einer Ausführbarkeit des geplanten Unternehmens gewöhnen zu können.
»Nein. — — Sind Sie, Miß Watson, mit den astronomischen Fakten, welche den Erdtrabanten, seine Revolution und Stellung zu unserem Planeten betreffen, bekannt?«
»Bedaure, verneinen zu müssen,« gab die Angeredete zurück.
Mac Milford lächelte. Er kannte die allgemeine Unwissenheit der Menschen, was astronomische Dinge anbetraf. Von Hunderttausenden war höchsten Falles nur Einer, der den himmlischen Objekten mehr Aufmerksamkeit zollte und sich gelegentlich etwas darüber informierte, was sich außerhalb der Erdscholle im Weltenraume zutrug, und welchen Gesetzen die Sonne, die Planeten, Kometen und die Fixsterne folgten.
»Das nötigste von den Elementen der Mondbahn und seiner Umlaufszeit, sowie seiner Achsenneigung müssen Sie kennen lernen. — Es ist leicht zu begreifen. — Die Umlaufszeit unseres Satelliten um die Erdkugel beträgt 27 Tage 7 Stunden 43 Minuten 11,5 Sekunden, also ungefähr den Zeitraum, welchen wir einen Monat nennen,« belehrte der Alte weiter.
»Der Mond wendet uns doch wohl immer ein und dieselbe Seite zu, oder irre ich, Mr. Mac Milford?«
»Sehr richtig — stets dieselbe Hemisphäre. Die Ursache dies zu erklären, ist sehr leicht. In derselben Zeit, in der sich der Trabant unserer Erde einmal um die letztere dreht, rotiert er auch einmal um seine Achse, sodaß uns folgerichtig immer die eine Seite zugewendet bleibt, abgesehen von zeitweisen Schwankungen, sogenannten Librationen, wodurch wir hin und wieder in die Lage versetzt werden, mehr als die Hälfte der Mondkugel zu erblicken. Diese Schwankung ist eine doppelte. Einmal können wir die nördliche und dann wieder die südliche Polarhälfte überschauen, das andere Mal tritt durch die Breitenschwankung ein Stück des Mondes an der rechten oder linken Seite, welches zu der uns ewig abgewendeten Halbkugel gehört, hervor; wir können demnach also ungefähr annehmen, daß uns auf Erden ³/7 der Mondoberfläche gänzlich unbekannt, ³/7 dagegen stets sichtbar sind, und der Rest von ¹/7 nur zu Zeiten gesehen werden kann. Diese Libration oder Schwankung rührt einesteils daher, daß die Mondbahn gegen die Ebene der Erdbahn eine Neigung hat und zwar etwas über 5 Grad, und daß die Mondachse auch nicht genau senkrecht auf der Mondbahn steht, diese beiden Punkte sind die Ursachen der Längenschwankung, also, daß wir öfters entweder über den Nord- oder Südpol hinaus blicken können. Andernteils ist die Bewegung des Mondes auf seiner Bahn ungleichmäßig, er bewegt sich z. B. zur Zeit des Voll- und Neumondes langsamer, als wenn er im ersten oder letzten Viertel steht, dies veranlaßt die Libration in der Breite, d. h. wir können, wie schon erwähnt, zeitweise rechts oder links ein Stückchen der abgewendeten Seite des Mondes erblicken.«
Der Sprecher wurde hier durch den Eintritt des Dieners unterbrochen.
»Was giebt's?« frug Mac Milford, etwas unwillig in seinen Erklärungen gestört worden zu sein.
»Mr. Tom Taylor und einige fremde Herren wünschen Sie dringend zu sprechen,« sagte der Domestik.
»Führe die Herren herauf!« rief der Alte aus.
Der Diener verschwand.
»Sie erhalten Besuch — dann störe ich sicher?«
»O nein — durchaus nicht! — — Was man wohl von mir will ... wüßte nicht, welche Angelegenheit den Offizier herführen könnte. — Sie müssen wissen, der eben gemeldete Mr. Taylor ist königlicher Seekapitän und hat schon früher des öftern versucht, mich zu einer Reise in die australischen Tropen zu bewegen, welche Gründe er dafür hat, weiß ich nicht; ich glaube, er fußt auf meine geologischen Kenntnisse, um diese bei einer industriellen Sache auszubeuten. — Na, ich werde ja hören, was der Störenfried will.«
Kaum hatte er die letzten Worte ausgesprochen, als die angemeldeten Herren hereintraten.
Der Professor schritt ihnen entgegen und begrüßte sie.
»Mr. Brown — — Mr. Dalrymple — — Mr. Pinkerton ... Mr. Mac Milford, Professor der Astronomie an der Universität zu Edinburg« ... sagte Kapitän Taylor, die Vorstellung übernehmend.
»Mr. Brown ... Mr. Dalrymple ... Mr. Pinkerton ...
Mr. Mac Milford, Professor der Astronomie«, sagte
Kapitän Taylor, die Vorstellung übernehmend.
»Und was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?« frug Mac Milford verbindlich.
»Wir haben ein Konsortium gebildet — — oh! Wir stören doch nicht? ... Ich sehe, Sie haben Damenbesuch, Verehrtester!« sagte Taylor mit einem Blick auf Mary Watson.
»Bitte — ich werde Sie mit der Dame bekannt machen ... Miß Watson.« Mit diesen Worten stellte der Alte den Herren seine zukünftige Reisegefährtin vor.
»Wie ich schon gesagt, haben wir ein Konsortium gegründet ...« begann der Kapitän von neuem.
»Ein Konsortium?« fiel Mac Milford dazwischen.
»Ja — und wir wünschen auch Sie zu einem Mitglied desselben zu machen ... deshalb sind wir gekommen. ...«
»Aber — bitte — zu welchem Zwecke?«
»Wir wollen reiche Goldadern in Südaustralien ausbeuten. Durch Zufall ist man in den Quarzgängen älterer kristallinischer Gesteine auf solche gestoßen, und um diese Adern zu verfolgen, ihre Ausbreitung kennen zu lernen, benötigen wir eines Geologen. ... Sie, Verehrtester, mit Ihrem wissenschaftlichen Scharfblick würden uns in dieser Hinsicht die besten Aufschlüsse geben können!« So schnarrte der Kapitän in einem Atem fort.
»Sie sind uns als eine Celebrität auf dem Gebiete der Geologie und Geognosie bekannt, Herr Professor,« ließ sich jetzt Mr. Dalrymple, ein Mann Anfang fünfziger Jahre, vernehmen.
»Ich danke für Ihre gute Meinung — doch ich habe ...«
»Ich sage Ihnen, Herr Professor, es stecken Millionen in jenen Gesteinen,« bemerkte jetzt Mr. Pinkerton, ein dreißigjähriger, etwas geckenhaft gekleideter Gentleman.
»Millionen — was? sagen wir ... Milliarden!« rief Mr. Brown dazwischen. »Milliarden liegen in den Flindersbergen!«
»Von Farina Town kann man leicht zu der goldführenden Stelle gelangen. Die Eisenbahn ist von Port Augusta aus benützbar ...« schnarrte Taylor hinterher.
»Auch Edelsteine sind dort gefunden worden ...«
»Und an Silber soll großer Reichtum sein ...«
»Alsdann ...« fuhr Mr. Pinkerton fort.
»... Aber, meine Herren! darf ich bitten, mich auch einmal zu Worte kommen zu lassen!« rief Mac Milford aus. »Wie ich aus allem ersehe, glaube ich annehmen zu müssen, daß es sich darum handelt, ich soll die Goldader an Ort und Stelle besichtigen, soll also nach Australien reisen und dann Ihrem Konsortium zur Ausbeutung des Goldes beitreten. — Stimmt das?«
»Jawohl, Herr Professor — —« riefen die vier Herren wie aus einem Munde.
»Da tut es mir aber recht leid, Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können.«
»Wie? — aber verehrtester Herr Professor, Sie werden uns das doch nicht antun ... bedenken Sie doch, welche enormen Gewinnste für alle dabei abfallen!« rief Taylor aus und faßte in der Erregung den alten Gelehrten am Arme.
»Geht nicht — geht wirklich nicht, mein Lieber! Ich habe selbst eine sehr wichtige und unaufschiebbare Reise vor,« erwiderte Mac Milford.
»Aber, bester Professor, ließe sich denn Ihre Reise nicht mit der unsrigen verbinden?« rief Taylor recht enttäuscht aus.
»Nein, mein lieber Kapitän, das Endziel meiner Reise liegt doch ein bißchen gar zu abseits von dem Ihrigen.«
»Darf ich, ohne indiskret zu sein, fragen, wohin Sie zu reisen beabsichtigen?« frug Taylor zurück und sah den alten Gelehrten mit einem lauernden Blicke an.
Die drei Begleiter des Kapitäns, welche sehr wohl die großen Aussichten kannten, die sich ihnen eröffnet hätten, wenn der berühmte Forscher mit ihrer Sache Part gemacht hätte, zogen mitsamt enttäuschte lange Gesichter.
»Sagen wir, ich mache eine Luftfahrt und das Endziel wären die hohen Regionen.«
»Eine Luftfahrt?« rief Mr. Pinkerton.
»Aber, lieber Professor, eine solche Fahrt kann doch nicht viel Zeit in Anspruch nehmen,« meinte Taylor verwundert und schien wieder von etwas Hoffnung beseelt zu werden.
Miß Mary Watson saß indessen stumm am Schreibtische und blätterte in dem großen Atlas herum. Sie war gespannt, ob der Alte seine Universumfahrt zur Sprache bringen würde.
»Hm ... ich denke viele Monate unterwegs zu sein.« antwortete Mac Milford auf die Frage des Kapitäns.
Die vier Herren sahen sich gegenseitig verdutzt an. Sie schienen nicht begreifen zu können, daß eine Reise im Luftballon viele Monate dauern könne, und kamen schließlich auf den Gedanken, daß der Professor sich entweder einen Scherz erlaubte oder nur einen Vorwand suchte, um der ihm vielleicht ungelegenen Reise nach Australien zu entgehen.
»Ließe sich die Fahrt nicht aufschieben?« frug der Kapitän; man sah es, er wollte durchaus nicht locker lassen.
»Ich beginne die, wie schon gesagt unaufschiebbare Reise, am 21. Februar dieses Jahres, also bereits nächste Woche.«
»Herr Professor, Sie schlagen ein Vermögen aus!« rief Mr. Pinkerton erregt aus und rutschte dabei unruhig auf seinem Sitze umher.
»Es tut mir leid, meine Herren, aber daran ist absolut nichts zu ändern.«
»Ich bedaure unendlich Sie nicht für die Sache gewinnen zu können,« sagte Taylor mit Mißmut und Aerger und trommelte dabei unruhig auf das vor ihm stehende Tischchen.
»Und wie wäre es nächstes Jahr — ich meine nach Beendigung Ihrer Reise?« frug jetzt hastig Mr. Brown.
»Dann ... ja — wenn ich nicht inzwischen ein Opfer der Wissenschaft geworden bin ...« sagte Mac Milford.
»Es wird sich kaum so lange aufschieben lassen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß uns andere zuvorkommen,« meinte Mr. Pinkerton.
Kurz darauf empfahlen sich die Herren ohne ihren Zweck erreicht zu haben.
»Jetzt wieder zu unserer Angelegenheit ... entschuldigen Sie die Störung, Miß Watson; hoffentlich können wir nun mit Muße weiterplaudern.«
»O, es war mir interessant das Gespräch mit anhören zu können.«
»Wir müssen bei unserer Fahrtrichtung unbedingt die Neigung der Achse und der Umlaufsbahn des Mondes stets berücksichtigen ... erstere beträgt 93½ Grad, letztere 5 Grad 8 Bogenminuten und 39,96 Bogensekunden.«
»Es wird mich besonders interessieren zu erfahren, wie groß unser Trabant ist.« Mary Watson machte sich bei diesen Worten einige Notizen in ihr kleines Taschenbuch.
»Der Äquatorialdurchmesser des Mondes beträgt 3480 Kilometer, ist also fast vier mal kleiner als der unseres Planeten. Die Masse des Mondes beträgt den neunundsiebenzigsten Teil der der Erde, und deren mittlere Dichtigkeit stellt sich auf nur 0,604 der Dichte der Erdmasse, sie ist also demnach dreieinhalb mal größer als die des Wassers und würde etwa der Dichte des Edelsteines Granat entsprechen ...«
»Dann ist aber auch die Schwerkraft eine verminderte ... nicht wahr?« frug Mary Watson zurück.
»Ganz recht. ... Auf dem Monde würde ein Gewicht von einem Kilo irdischer Schwere nur den sechsten Teil wiegen; deshalb kann zum Beispiel ein von Seleniten in die Höhe geworfener Stein sechs mal höher steigen als auf der Erde, und ein Mensch würde dort leicht statt ein bis zwei Meter, sechs bis zwölf Meter hoch springen können ...«
»Das muß doch unter manchen Umständen sehr angenehm sein,« warf die Schottin dazwischen.
»Gewiß — Sie werden das später schon gewahr werden.«
»Ich kann mich aber noch immer nicht über die furchtbar große Entfernung von 50 000 Meilen hinwegsetzen ... wir sollen diese Strecke durcheilen? ...« frug kopfschüttelnd Mary Watson.
»Bei der Geschwindigkeit meines Vehikels hat die Länge des Weges nichts zu sagen. Freilich, ein Eisenbahnzug würde, wenn er täglich 200 Meilen durchfahren wollte, 250 Tage, also über acht Monate dazu gebrauchen, um von der Erde zum Monde zu kommen. So viel Zeit benötigen wir, Gott sei Dank, nicht,« gab Mac Milford zurück.
»Dann würde unsere Geschwindigkeit wohl der des elektrischen Stromes gleichen?«
Der Alte lächelte. »Nun, ganz so schnell wird es denn doch nicht gehen. Bedenken Sie, daß eine Depesche kaum eine Sekunde gebrauchen würde, um von uns aus zum Monde zu gelangen, da der elektrische Strom etwa 60 000 Meilen in der Sekunde durcheilt; ebenso der Lichtstrahl, dessen Geschwindigkeit man auf 42 000 Meilen berechnet hat und der nur einundeinviertel Sekunde gebrauchen würde, um von unserem Satelliten zur Erdoberfläche zu gelangen. Mein Fahrzeug begnügt sich mit einer bescheidenen Geschwindigkeit. Wir werden uns nur 600 Meilen in der Stunde fortbewegen.«
»600 Meilen?« frug die Schottin erstaunt.
»Sehr wohl, fast 5 Millionen Meter ... stellen Sie sich einmal diese Geschwindigkeit vor. Der schnellste Eisenbahntrain legt in der Sekunde etwa 20 Meter zurück, eine Kanonenkugel gegen 700 Meter und die Erdenkugel auf ihrer Bahn um die Sonne 30 000 Meter; mit letzterer kann sich unser »Sirius‹ freilich nicht messen, denn seine Geschwindigkeit beträgt in der Sekunde nur 1400 Meter, also der doppelte Weg den die Kanonenkugel zurücklegt.«
»Vor allen Dingen würde es mich sehr interessieren, wenn ich den Flugapparat einmal in Augenschein nehmen dürfte,« ließ sich die junge Schottin vernehmen und sah neugierigen Blickes nach der Ecke hin, wo einzelne Teile des Fahrzeuges aufgehängt waren.
»Ich muß das Vehikel erst in Stand setzen ... potztausend — ich glaube, meine Kollegstunde ist gekommen!« rief Mac Milford aus und sah nach der Uhr. »Entschuldigen Sie, Verehrteste, wenn ich die weitere Verhandlung zwischen uns bis auf morgen verschiebe.«
»O bitte — selbstverständlich!« gab Mary Watson zurück und erhob sich zum Gehen.
»Also bis morgen; darf ich Sie bitte um acht Uhr abends in meiner Wohnung hier erwarten?«
»Stehe zu jeder Zeit zu Ihrer Verfügung — also um acht Uhr ... very well,« erwiderte die Schottin im Fortgehen.
Am folgenden Abend punkt acht Uhr fand sich Mary Watson in Mac Milfords Hause ein. Der Diener führte sie sogleich wieder ins Studierzimmer hinauf und setzte sie davon in Kenntnis, daß der Professor augenblicklich abwesend sei; er hätte ein wichtiges Telegramm erhalten und sei sogleich fortgeeilt, die Weisung hinterlassend, daß Miß Watson auf seine Ankunft warten wolle.
Die Schottin blieb im Studiersaal allein. Sie vertrieb sich die Zeit durch die Besichtigung all der aufgestellten Merkwürdigkeiten, besonders aber widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Vehikelgestell, welches sie zum Monde tragen sollte.
Je mehr sie das Ding betrachtete, desto mehr schüttelte sie den Kopf über die seltsame Bauart, die viel Anlaß gab, herauszuklügeln, wie es dem Fahrzeug möglich war, der Attraktionskraft zu widerstehen und mit einer solchen riesigen Geschwindigkeit durch den Weltäther zu schießen, daß es in der Stunde 600 Meter zurücklegen konnte.
Die Maschine, welche an einem Flaschenzug aufgehängt war, besaß ein zigarrenförmiges Aussehen. Der Mittelteil war derart ausgebaucht, daß er bequem einen Raum für mehrere Personen bot. Zahllose röhrenförmige Stäbe bildeten das Gerippe des Vehikels. Der Boden wurde durch vernietete und verbolzte Metallplatten gebildet. Seitwärts war ein elliptisches, parabolidisch gekrümmtes Blech so angebracht, daß die konkave Seite nach außen gerichtet war. Welchem Zwecke dieser in der Mitte an einer stählernen Achse drehbar befestigte Metallschirm diente, darüber wußte sich die Beschauerin keine Auskunft zu geben. Die Wandungen des ausgebauchten Mittelteiles waren zum Teil mit ineinander verschiebbaren Platten versehen, und mochten diese wohl dazu dienen, daß der Innenraum nach außenhin hermetisch abgeschlossen werden konnte. An einer seitlichen Verstrebung bemerkte Mary Watson eine Art Bussole. Es schien ein Fluidkompaß zu sein, bei dem in einer glyzerinhaltigen Flüssigkeit die Kompaßrose schwimmt, wie solche Bussolen bei Fahrzeugen gebraucht werden, welche fortgesetzt Erschütterungen erleiden.
Während Mary Watson noch in Gedanken versunken vor der seltsamen Maschine stand, war Mac Milford unbemerkt eingetreten.
»Ah! — Sie scheinen wohl tiefsinnige Betrachtungen über mein Fahrzeug anzustellen,« meinte der alte Gelehrte und begrüßte die Besucherin.
»Ja, Mr. Mac Milford, je mehr ich das Ding ansehe, desto weniger werde ich klug aus demselben,« erwiderte die Schottin. »Was bedeutet dieser hohlspiegelartige Metallschirm?«
»Es ist die Antigravitationskathode meines die Schwerkraft aufhebenden Apparates ...« gab der Professor, nachdem er ein Papier aus der Tasche seines Rockes hervorgezogen hatte, zurück. ... »Es freut mich, daß Sie Wort gehalten haben und gekommen sind; ich befürchtete schon, daß ...«
»Sie befürchteten wohl, ich sei andern Sinnes geworden? — O nein, ich gab Ihnen ja mein Wort.«
»Also zur Sache nun — es eilt, daß ich Sie mit allem bekannt mache. ... Ich darf doch sicher auf Ihre Verschwiegenheit rechnen?«
»Auf alle Fälle!«
»Ob wir mit diesem Vehikel die Reise antreten werden, das weiß ich selbst noch nicht; es hängt davon ab, ob ich bis zum Tage unserer Abfahrt mit meinen neuesten Untersuchungen über die elektrolytische Zersetzung organischer Körper und deren Wiederaufbau zu Ende komme. In diesem Falle werden wir uns auf eine andere bequemere Art zu den fernen Gestirnen hinüberbefördern können.«
»Ich bin erstaunt ...« fing Miß Watson an.
»Sie werden es sehr leicht begreifen, wenn ich Ihnen meine Methode auseinanderbreite. — Wie Sie wissen, liegen meine Forschungen speziell auf dem Gebiete der Astronomie und Physik, besonders habe ich aber neuerdings auch die Elektrizität zu meinem Studium gemacht. Die Versuche, diese Wissenschaft in den Dienst der Astronomie zu stellen, sind mir glänzend gelungen. Das Hauptergebnis meiner Forschung liegt darin, alle irdischen Körper organischen oder anorganischen Ursprungs, also auch Lebewesen, mittels außerordentlich hochgespannter elektrischer Wechselströme in ihre Atome zu zersetzen und mit Hilfe der Lichtwellen nach jedem beliebigen Gestirn im Weltall zu versenden.«
»Ah!« rief die Studentin aus.
»Die Atome setzen sich dann bei ihrem Auftreffen auf der Oberfläche des als Ziel gewählten Sternes sofort wieder zusammen. ... So ist es mir möglich auch lebende Tiere auf diese Art in ferne Welten hinüber zu befördern.«
»Aber — wie ist das denkbar? Die Auflösung eines organischen lebenden Körpers in seine Atome muß doch unbedingt den Tod desselben zur Folge haben,« war jetzt Miß Watson ein.
»Durchaus nicht ...« erwiderte Mac Milford. »Ich denke mir eben den Körper eines Lebewesens aus Myriaden von Einzelzellen zusammengesetzt; von diesen Einzelzellen, welche die Wissenschaft Atome nennt, vermag jedes für sich zu existieren.«
»Sonderbar — und Sie sind dessen gewiß, daß dem so ist?«
»Ganz gewiß ... meine Untersuchungen haben mich erkennen lassen, daß ich jeden Menschen als einen sogenannten Zellenstaat zu betrachten habe; auf Grund dessen baute ich meine elektrolytische Körperzersetzung auf.«
»Könnten sich nicht aber bei der Versendung in ungeheure Entfernungen einige solcher Einzelzellen verlieren?« frug die Schottin interessiert.
»Wäre das auch der Fall, so bildet dies kein Hindernis für den Wiederaufbau des menschlichen Körpers; freilich hätte das Verlorengehen einer Anzahl Gehirnzellen oder Nervenzellen eine Veränderung des Charakters der betreffenden Person zur Folge; ja, es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß, wenn Partien Einzelzellen, etwa von der Gehirnrinde abhanden kämen, das Individuum an plötzlicher chronischer Gedächtnisschwäche zu leiden anfangen würde.«
»Recht aussichtsvoll,« bemerkte hierzu Mary Watson lächelnd.
»Befürchten Sie nichts; ich würde bei der Auflösung unserer Körper mit der denkbarsten Vorsicht vorgehen. Die von mir zur Beförderung der Atome benutzten magnetelektrischen Lichtwellen werden geradlinig ohne Ablenkung durch magnetische Einflüsse aus dem Weltall vollzählig am Bestimmungsort ankommen ...«
Der Sprecher wurde unterbrochen.
»Eine Depesche,« sagte der eintretende Diener, überreichte jenem ein Papier und verschwand darauf wieder.
Mac Milford las das Telegramm durch.
Des Alten buschige Augenbrauen zogen sich zusammen und er schüttelte dabei bedenklich den Kopf. Dann warf er die Depesche auf den Tisch. »Miß Watson ... eine wichtige Nachricht — eine sehr wichtige Nachricht. ...« Der Alte sann nach diesen Worten einen Augenblick nach, dann sprang er auf und sagte im Fortgehen: »Entschuldigen Sie mich bitte einige Augenblicke!« Und weg war er.
Es mußte dem Professor eine außergewöhnliche Nachricht zugegangen sein, denn sein Wesen war in diesen Minuten anscheinend ein aufgeregtes. Mary Watsons Neugierde wurde jetzt lebhaft rege. Sie wagte einen Blick auf das geöffnete Telegramm zu werfen. ... Chiffreschrift.
Diese Zahlen bildeten auf der geheimnisvollen Depesche zwei durchgehende Reihen.
4. 9. 7. 7. 5. 1—8. 6. 5—2. 5. 3. 0/10.—6. 7—5. 5. 10. 21. 19. 2. 2. 5. 9. 10. 2. 5
Die Schottin, welche den Schlüssel zu dieser geheimen Schrift nicht besaß, mühte sich daher auch nicht ab, den Sinn der Depesche zu enträtseln. Sie ersah aber aus der ganzen Aufzeichnung, daß sie hier nicht ein Telegramm vor sich hatte, wie solche von den schottischen oder englischen Telegraphenlinien ausgefertigt wurden. ... Und doch hatte der Diener gesagt: Eine Depesche. »Merkwürdig,« sprach Mary Watson vor sich hin, »wie mir hier alles merkwürdig vorkommt; das Zimmer, der alte Professor und last not least dessen Pläne.«
Während sie noch so über die Dinge, die sich hier abspielten, nachdachte, trat der Alte hastig wieder ein. In der Hand hielt er ein verschnürtes Paket.
»Recht unangenehm,« sagte Mac Milford beim Eintreten, »wir müssen unsere Reise schon am Freitag beginnen.«
»Also diese Woche noch?« frug die Schottin zurück.
»Je eher, je besser. Die Depesche, welche ich empfing, ist für mich so bedeutungsvoll, daß ich mit der Abreise nicht bis zum 21. Februar warten kann. — Ah! — Ihr Blick wird wohl das geöffnete Telegramm schon gestreift haben? Sie werden sich über die Chifferschrift wundern ...?«
»Ja, ich habe die Chifferdepesche inzwischen mit Verwunderung betrachtet ... ich will nicht neugierig, auch nicht indiskret sein, Mr. Mac Milford, wenn ich Sie bitte, mir etwas über den Ursprung dieses seltsamen Telegrammes mitzuteilen.«
»Mr. Mac Milford, wenn ich Sie bitte, mir etwas über
den Ursprung dieses seltsamen Telegrammes mitzuteilen.«
»Ich beabsichtige bereits, Sie über die mir zugegangene Nachricht aufzuklären, um Ihnen unsere schnelle Abfahrt begreiflich zu machen. Sehen Sie ...« dabei nahm Mac Milford die Depesche zur Hand und schrieb unter die einzelnen Ziffern Buchstaben. »Das ist der Inhalt.«
Die von dem Gelehrten aufgelöste Chiffreschrift, welche Mary Watson jetzt mit einem Blicke überflog, lautete wie folgt:
4. 9. 7. 7. 5. 1—8. 6. 5—2. 5. 3. 0/10.—6. 7—5. 5. 10. 21. 19. 2. K o m m e n S i e G e f a h r i m V e r z u g 2. 5. 9. 10. 2. 5 G e o r g e,
»Gefahr im Verzuge ... habe ich recht gelesen?«
»Ganz recht,« erwiderte der Professor, »die Depesche stammt vom Monde.«
»Mr. Mac Milford, verzeihen Sie, es ist mir aber unklar, wie Sie mit Mondbewohnern in telegraphischem Verkehr stehen können.«
»Mr. Price sandte sie mir ... ich erzählte Ihnen ja bereits, daß er jetzt auf dem Monde lebt.«
Mit George Price hatte es folgende Bewandtnis gehabt.
Zu den Experimenten mit dem Atomistikum hatte Mac Milford einen sich für die Sache lebhaft interessierenden jungen Studenten seines Kollegs häufig zugezogen; und als dieser eines Tages den Wunsch aussprach, daß er den Versuch machen möchte, sich durch die neue Methode zum Monde hinüberzubefördern, da riet ihm der Alte sehr davon ab, da er für das regelrechte Funktionieren seines Apparates keinerlei Sicherheit gewähren konnte. Doch George Price ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen, sodaß sich Mac Milford eines Tages genötigt sah, das Experiment mit dem jungen Mann zu machen ... und es war ihm auch glänzend gelungen; Price gelangte ohne Schaden an Leib und Seele zu erleiden hinüber zum Monde. Einige Zeit darauf sandte der Professor mit Hilfe seines seltsamen Atomistikums allerlei Dinge zum Erdtrabanten, und zwar alles nach einem Punkte, welcher nahe des Centrums der Mondscheibe lag, und wo auch Price gelandet sein mußte; dieser Punkt war der Krater Triesnecker im Mare vaporum. — Auf solche Weise konnte der neue Mondbewohner selbst mit irdischer Nahrung versehen werden. Unter anderem hatte Mac Milford auch einen auf Grund einer von ihm gemachten Entdeckung, konstruierten telegraphischen Apparat im Atomistikum zersetzt und Price zugesandt. Mit Hilfe von magnetelektrischen Wellen (*) vermochte er es nun mit einem in seinem Observatorium aufgestellten Sendeapparat ohne irgend eine Drahtverbindung Depeschen nach dem Mond zu senden. Es war also eine drahtlose Wellentelegraphie, die mit Hilfe zweier aufeinander abgestimmter Apparate, zwischen Erde und Mond stattfand.
(*) Es sind dies Aetherschwingungen, welche beim Ueberspringen eines elektrischen Funkens zwischen zwei Metallkugeln sich nach allen Seiten hin in einer vielmillionenfachen Aufeinanderfolge innerhalb einer Sekunde auf unermeßliche Entfernungen im Weltenraume ausbreiten.
Ängstlich wartete sie auf des alten Gelehrten Rückkehr; doch statt dessen erfolgte eine zweite heftige Detonation
Mac Milfords Sendeapparat war ein vorzüglicher Erreger magnetelektrischer Wellen, und der auf dem Monde stehende Empfangsapparat ein ebenso trefflicher Sammler derselben, sodaß auf solche Weise ein telegraphischer Verkehr mit einem erdfernen Gestirne spielend möglich war.
»Übrigens, wenn Sie einen Blick in mein Observatorium geworfen haben, werden Sie an der Möglichkeit eines solchen Depeschenverkehres mit dem Monde keinen Augenblick mehr zweifeln. Ich möchte Sie daher bitten, mir in den Nebenraum zu folgen.«
Mit diesen Worten schritt Mac Milford durch eine Seitentür und die Schottin folgte. Ihre Erwartungen waren aufs höchste gespannt. Was würde sie jetzt zu sehen bekommen. —
Das Observatorium des Gelehrten war ein rundes Gemach, dessen Decke eine mit mehreren Spaltöffnungen versehene Kuppel bildete. Der Raum, angefüllt mit allerlei seltsamen astronomischen und physikalischen Instrumenten, erlaubte es nicht, einen Schritt vorwärts zu tun, ohne daß man auf irgend einen Apparat gestoßen wäre. In der Mitte befand sich ein auf einem knieförmigen Stativ montierter Refraktor, dessen Okularende in einen mannshohen, anscheinend festverschlossenen, rechteckigen Kasten mündete. Um letzteren herum waren eine Anzahl spiralförmig gewundener Drähte angebracht, deren Enden einerseits an den Polklemmen elektrischer MonstrumAccumulatoren befestigt waren, während sie anderseits in das Innere des vorerwähnten Gehäuses mündeten.
»Sie werden hier allerlei sehen, was Ihnen noch nicht vor Augen gekommen ist,« meinte der Alte lächelnd.
»Ja,« erwiderte Miß Mary Watson, »ich bin überzeugt, daß mir manche Ueberraschung bevorstehen wird.«
Kaum hatte die Schottin diese Worte ausgesprochen, als ein furchtbarer Knall und eine nachfolgende heftige Erschütterung vernehmbar wurde. Es schien, als wenn die Mauern des Hauses einstürzen wollten. Erschreckt sah die Schottin des Professor an; dieser lief aufgeregt zum Observatorium hinaus und ließ Miß Mary Watson allein.
Es mußte im Hause etwas außerordentliches passiert sein; jedenfalls eine heftige Explosion. Ängstlich wartete sie auf des alten Gelehrten Rückkehr; doch statt dessen erfolgte eine zweite heftige Detonation. Jetzt hielt es die Schottin nicht mehr länger und sie eilte über die Wendeltreppe zu dem tieferliegenden Stockwerke hinab. Schon unterwegs drang ihr ein eigentümlich scharfer Geruch entgegen. Alsdann vernahm sie lebhaftes Stimmengewirr, eine Anzahl Leute schienen die Treppe hinauf zu eilen. Eine eigentümliche Angst bemächtigte sich des Mädchens. Sie hatte das Gefühl, als wenn irgend ein großes Unglück passiert wäre. Da kamen denn auch schon Männer heraufgeeilt.
Diese, anscheinend Nachbarn und Passanten von der Straße, rissen jetzt die Türen zu den Zimmern auf.
»Was ist geschehen?« rief die Schottin den Ankömmlingen entgegen.
»Was geschehen ist? Wir wissen es selbst nicht!« erwiderte einer der Männer und versuchte eine verschlossene Tür zu öffnen.
»Eine Explosion —« meinte ein zweiter. Inzwischen waren auch einige Policemans hinzugekommen. Einer derselben rief: »Nur vorwärts hinein, kein Zögern! Dort seht, die Flügeltür ist aus den Angeln gedrückt!«
Die Männer eilten in das nebenliegende Zimmer, und es bot sich ihnen hier ein wüster Anblick. Fast alle Gegenstände lagen zertrümmert auf der Erde. Neben dem Gemach befand sich des Professors Bibliotheksaal. Dorthin eilte Miß Watson zuerst. Der Raum war völlig dunkel und ein scharfer, ozonähnlicher Geruch erfüllte die Luft. Hier schien der Explosionsherd zu sein. Auf Marys Rufen stürzten die Männer aus dem Nebengemach in den Bibliotheksaal. Inzwischen waren auch Leute von der Rettungsmannschaft mit brennenden Fackeln die Treppe heraufgekommen und besichtigten nun die Bibliothek.
Merkwürdigerweise war der vordere Teil völlig unversehrt, während der hintere Teil der Bibliothek große Verheerungen zeigte. Scherben zertrümmerter Retorten und Phiolen verbogene Metallteile, in Stücke zerrissene Kautschukschläuche und noch sonstiges Material bildeten auf der Erde kleine Trümmerhaufen. Hinter einem umgeworfenen Bücherschrank fand man den alten Professor bewußtlos liegen. Zuerst glaubte man allseitig, daß Mac Milford tot sei, doch bald stellte man schwache Atemzüge bei ihm fest. Von dem Diener war keine Spur zu erblicken; ob derselbe gerade zur Zeit der Explosion abwesend war? —
Die Ursache des Unglücks konnte nicht festgestellt werden. Der Ozongeruch gab der jungen Schottin Anlaß zu besonderem Bedenken. Daß elektrische Kräfte bei der Detonation im Spiele waren, daran glaubte Miß Mary nicht mehr zweifeln zu können. Das außerordentlich starke Auftreten des Ozons schien ihr das zu bestätigen. Sie wußte aus ihrem chemischen Kolleg, daß solcher verdichteter Sauerstoff in der Natur nur bei besonderer Gelegenheit in starkem Maße auftritt.
Nachdem der alte Gelehrte in die Hände eines Arztes gelegt worden war, besichtigte die Studentin den Teil des Bibliotheksaales, in dem Mac Milford bewußtlos aufgefunden worden war, auf das genaueste.
Als Miß Watson das Haus verlassen wollte, spähte sie noch einmal nach dem Diener aus ... er war nirgends zu finden — — —.
Am Tage nach dem Unglücksfall stand in der Morgenausgabe der »Edinburgh Review« unter Rubrik »Vermischtes« folgender Bericht eines spitzfindigen Reporters:
»Gestern Abend gegen 9 Uhr ereignete sich in dem Hause George Street 7 eine entsetzliche Explosion, welche von den seltsamsten Umständen begleitet war. Der Besitzer des Hauses, Professor Mac Milford, eine der Koryphäen der Wissenschaft, ist bedauerlicherweise tot unter den Trümmern aufgefunden worden. Auch der Diener des Hauses scheint ein Opfer der verheerenden Explosion geworden zu sein. Die Ursache konnte bisher noch nicht festgestellt werden, wird aber wohl in einem defekten Gasrohre zu suchen sein. Die Untersuchung ist eingeleitet; das Ergebnis derselben werden wir in der Abendausgabe bringen.«
Als Mary Watson diesen Artikel las, erschrak sie heftig ... Wie, Mac Milford tot! Furchtbar! ... Sollte er wirklich gestorben sein? —
Schnell eilte sie zunächst zum Schauplatz des Unglücksfalles hin, wo sie viele neugierige Gaffer stehen sah. Das Haus war wie gewöhnlich verschlossen, und auf Miß Watsons Klopfen schien drinnen niemand zu hören; wahrscheinlich ist es leer — so dachte die Einlaßfordernde als sie den Rückweg antrat, um zu dem Hospitale zu eilen, in dem Mac Milford ihres Wissens nach untergebracht war.
Die Schottin war eben im Begriffe zu gehen, als ein Herr auf das Haus zutrat und durch Klopfen an die Tür Einlaß forderte.
Mary Watson kam die wenigen Schritte, die sie bereits gegangen war, wieder zurück.
»Mr. Mac Milford ist krank — verunglückt ... das Haus ist verschlossen und ...«
»Wie — verunglückt?« Mit diesen Worten wandte sich der Angeredete rasch der Sprecherin zu.
»Bedauerlicherweise hat in diesem Hause eine Explosion stattgefunden!«
Der, mit höchster Eleganz gekleidete Herr, ein Mann Mitte vierziger Jahre, mit martialischem, schwarzen Schnurrbart, dessen Sprache den Franzosen verriet, schien ob des Unglücks heftig betroffen zu sein.
»Er ist also tot! —«
»Ich weiß es selbst nicht.«
»Und welche Ursache hatte die Explosion?«
»Auch das hat sich nicht aufgeklärt,« gab Miß Watson zurück. »Ich war bei dem Unglücksfall zugegen ... Mac Milford wurde bewußtlos, kaum noch atmend, im Bibliotheksaal aufgefunden und sogleich in ärztliche Pflege gegeben ... Ich bin im Begriff, nach dem Krankenhause zu eilen, um mich nach des Professors Zustand zu erkundigen.«
»Darf ich Sie begleiten? — Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle. — Mein Name ist Louis de Rancé — aus Paris.« Mit diesen Worten machte der Franzose eine kurze, höfliche Verbeugung.
Als auch die Schottin ihren Namen genannt hatte, schritten beide über den George Square, und es entspann sich unterwegs ein Gespräch.
»Darf ich fragen, ob Sie nähere Beziehungen zu Mr. Mac Milford haben?« frug die Schottin interessiert.
»Gewiß —« gab der Angeredete bedächtig zurück. »Es führt mich augenblicklich eine wichtige Angelegenheit nach Edinburg, und es wäre für mich ein großer Verlust, wenn Mac Milford nicht mehr am Leben sei.«
»Auch mich würde es ähnlich betreffen,« meinte die Studentin, »wir wollten ...« bei diesen Worten stockte sie und überlegte schnell, daß es besser sei, ihrem Begleiter von der geplanten Reise nichts zu erzählen.
»Da ich des Professors Dienste die nächste Zeit für mich in Anspruch nehmen wollte, so wäre es mir jetzt wirklich fatal, wenn mir sein Tod einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.«
»Darf ich mir die Frage erlauben, welche Angelegenheit Sie zu Mr. Mac Milford führt ...? Sie werden begreifen, daß ich etwas interessiert bin, da wir beide im Begriffe waren, Ende dieser Woche eine Weltreise anzutreten.«
»Eine Weltreise?«
»Ja, von längerer Dauer.«
Während dieses Gespräches waren sie am städtischen Krankenhause angekommen, und Mary Watson wurde auf ihre Frage bei dem Pförtner, ob Mac Milford noch lebe, die Antwort:
»Mr. Mac Milford? Wer ist das?«
»Wie — sollte der verunglückte Professor hier nicht untergebracht sein!« rief Miß Watson aus.
»Ah — Sie meinen den gestern eingelieferten alten Herrn von der George Street?«
»Ganz recht,« erwiderte hastig die Schottin, »auf welchem Zimmer liegt er? — Lebt er noch?«
»Ja; der Herr Professor ist bereits wieder aus dem Hospital entlassen.«
»Wie — gesund — nicht krank ...?« so riefen die beiden Ankömmlinge dem Pförtner erregt zu.
Dieser bestätigte nochmals, was er soeben gesagt hatte. Mac Milfords Zustand wäre nur eine Ohnmacht gewesen und er sei schon eine Stunde nach seiner Einlieferung munter und gesund mit einem Cab wieder abgefahren.
Wo mochte er sein? — Diese Frage beschäftigte auf dem Rückwege den Franzosen und seine Begleiterin.
»Vielleicht ist er doch im Hause, der Diener nicht da, und unser Klopfen überhört worden,« meinte der Franzose.
»Sehr wohl möglich,« erwiderte Miß Watson, »denn Mac Milford hält sich meist, wenn er nicht im Kolleg ist, oben in seinem Observatorium oder im Bibliotheksaal auf.«
Als die beiden an des Professors Hause wieder angekommen waren, sahen sie, wie sich die Türe soeben von innen schloß.
Diese wurde nun auf das Klopfen sogleich geöffnet, und zwar trat der alte Professor den Ankömmlingen im Eingange entgegen.
»Endlich treffe ich Sie, Verehrtester! — Denken Sie sich, ich wähnte Sie schon im Schattenreiche.« Mit diesen Worten begrüßte der Franzose Mac Milford und drückte diesem die Hand.
»Sie hier?« frug der alte Gelehrte erstaunt zurück und schien nicht sonderlich über den Besuch erfreut zu sein.
»Wie Sie sehen — gestatten Sie uns einzutreten ....«
»Sie werden einen gehörigen Schreck bekommen haben ....« Mit diesen Worten begrüßte der Professor nun auch die junge Dame und nötigte die Ankömmlinge ins Haus.
»Das können Sie sich lebhaft denken; ich war zu Tode erschrocken, als wir Sie bewußtlos im Bibliotheksaale auffanden.«
Mac Milford ging seinen Gästen voran. »Gestatten Sie, daß ich Sie in mein Studierzimmer führe; es sieht zwar noch ein wenig wüst aus, die Explosion hat ziemlichen Schaden angerichtet, aber dennoch können wir in dem einen Teil desselben bequem verweilen.«
Oben angekommen, war der Schottin erste Frage, welche Ursache die Explosion veranlaßt habe. Noch konnte sie, trotz der inzwischen erfolgten Aufräumung, viele Spuren der Verheerungen erblicken.
»Es ist eine eigentümliche Sache; die Explosion wurde durch meinen telegraphischen Apparat verursacht.«
»Die zweite Detonation scheint in Ihrer Nähe erfolgt zu sein?« frug Miß Watson.
»Ja, ich war eben im Begriffe der Ursache der ersteren nachzuspüren, als unmittelbar in meiner Nähe, nur wenige Schritte von mir, der Empfangsapparat des Telegraphen mit lautem Knalle in viele Stücke zerflog.«
»Und Sie sind nicht verletzt worden,« ließ sich jetzt der Franzose vernehmen.
»Wie Sie sehen, nicht; nur eine vorübergehende Bewußlosigkeit.«
»Aber, wie ist es denn möglich, daß ein telegraphischer Apparat explodieren kann?« meinte die Schottin kopfschüttelnd.
»Die magnetelektrischen Wellen, welche von draußen in meinen Kohärer flossen, waren zu stark für den Apparat.«
Der Franzose schien wohl wichtiges sagen zu wollen, doch störte ihn die Anwesenheit der Dame. Er stand wie auf glühenden Kohlen und schien einen geeigneten Moment abzuwarten, wo er Mac Milford etwas ins Ohr flüstern konnte. Doch dieser kam ihm schon in den nächsten Minuten, nachdem die Schottin die Einzelheiten des Unglücks erfahren hatte, von selbst entgegen. »Was führt Sie her, Herr Konsul?«
»Ahnen Sie es nicht, Herr Professor?«
»Hm — wenn es die alte Angelegenheit ist ....«
»Dieselbe!«
»Sie wissen ja, ich bin bereit, Sie mit den mathematischen Geheimnissen des Spieles vertraut zu machen, doch bitte ich Sie, meine Person, weder Ihrem Klub bekannt zu geben, noch dieselbe in irgend einer Weise mit demselben wieder in Berührung zu bringen. Der Trente et quarante-Klub wird nie wieder Gelegenheit haben, mich in seinen vier Pfählen begrüßen zu können.« Mit diesen Worten nötigte der alte Gelehrte seine beiden Besucher zum Sitzen.
»Ich weiß — ich weiß ... ich möchte ....« Der Franzose wollte mit seinem Anliegen hervortreten, doch stockte er mit einem bezeichnenden Seitenblick auf die Dame.
Diese, welche sich anscheinend nicht um das Gespräch kümmerte, blätterte aufmerksam in einem in ihrer Nähe liegenden Buche herum; in Wirklichkeit jedoch entging ihr kein Wörtchen.
»Sie dürfen ruhig sprechen, Herr Konsul ...« antwortete Mac Milford, indem auch er einen Blick auf Miß Watson warf.
»So — darf ich?« frug nochmals zweifelnd der Franzose, er schien wenig Lust zu haben in Anwesenheit der jungen Dame dem berühmten Gelehrten sein Anliegen vorzutragen.
»Es steht Ihnen frei,« gab Mac Milford kurz zurück; »jedoch erlaube ich mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß ich nur augenblicklich in der Lage sein werde, mit Ihnen den Gegenstand zu erörtern, weil ich von jetzt ab wegen Vorbereitungen zu einer Weltreise dermaßen beschäftigt bin, daß ich keine Stunde Zeit erübrigen werde.«
»O, wie sehr bedaure ich das! Die kurze Zeit, welche Sie mir jetzt hier zu verweilen gestatten, wird wohl kaum hinreichen, das Spielthema zu erledigen. Vielleicht darf ich morgen nochmals einige Augenblicke vorsprechen?«
»Nein, nein! — Ich werde Ihnen sogleich das nötigste erklären; Sie müssen dann sehen, wie Sie es zu verwerten verstehen .... Miß Watson, darf ich bitten ... Sie würden sich sonst inzwischen langweilen, meine Ausführungen werden Sie auch interessieren.« Mit diesen Worten wandte sich der Sprecher an Mary, welche noch immer gleichgültig in einem Buche blätterte.
»Um was drehen sich dieselben?« fragte Mary aufblickend.
»Mathematik im Dienste des Glückspieles,« erwiderte Mac Milford lächelnd.
»Reelle Sache — ganz reelle Sache!« beteuerte der Franzose, anscheinend ängstlich, die Dame könne in ihm einen gewerbsmäßigen Glücksspieler wittern.
»Es handelt sich um das Trente et quarante-Spiel, eine Abart des bekannten Hasardspieles Rouge et noir,« fuhr der Lektor fort.
»Ah — und ...« sagte Miß Watson mit sichtlichem Interesse.
»Ich vermochte es, als ich einst im Pariser Trente et quarante-Klub verweilte, mittels der von mir angewendeten Art der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Bank zu sprengen und auf ehrliche Art und Weise alles Gold und alle Banknoten zu gewinnen.«
»Sie sind der Glücklichste der Sterblichen, dies große Geheimnis zu kennen!« rief der Konsul aus und wartete mit sichtlich brennender Ungeduld auf die Ausführungen des berühmten Gelehrten.
Mac Milford nahm jetzt einen Würfelbecher zur Hand und ließ die in demselben befindlichen Würfel auf die Tischplatte fallen.
Mac Milford nahm jetzt einen Würfelbecher zur Hand und ließ
die in demselben befindlichen Würfel auf die Tischplatte fallen.
»In einer Reihe von Würfen mit Sicherheit einen bestimmten Wurf auftreten zu lassen, dazu bietet uns die Wahrscheinlichkeitsrechnung die Hand. Als kurzes Beispiel möge folgendes gelten: Ein Wurf mit diesen beiden Würfeln kann 36 verschiedene Fälle ergeben. Stets kann man mit 1 gegen 9 wetten, daß man 9 Augen werfen wird, wenn mit dem ersten Würfel 3, 4, 5 oder 6 Augen gefallen sind, denn der zweite Würfel wird unter den 36 möglichen Fällen 9 mal den Rest der an 9 fehlenden Augen anzeigen.«
Dem französischen Konsul schien die Sache noch nicht recht einleuchten zu wollen. »Bester Herr Professor, so ganz habe ich das Exempel noch nicht erfaßt ....«
»Die Quintessenz dieser Rechnung ist doch sehr einfach. Werfe ich 3, 4, 5 oder 6, so kann ich mit Sicherheit annehmen, daß unter 36 Fällen 9 mal 6, 5, 4 oder 3 beim zweiten Würfel folgen, denn für die Zahl 9 sind eben nur 4 Möglichkeiten vorhanden: 4/36 gleich ¹/9.«
Miß Watson schien die Sache verstanden zu haben; sie nickte. Louis de Rancé war entschieden schwerfälliger. Er frug Mac Milford hin und her, bis daß auch er endlich die Chancen der Wahrscheinlichkeitsrechnung begriffen hatte.
Zuletzt holte das Mitglied des Trente et quarante-Klubs eine Whistkarte hervor, jenes voluminöse sechsfache Kartenspiel von 312 Blättern, wie solches auch für Rouge et noir gebraucht wird.
»Bitte, Herr Professor, nun zur Praxis ...« sagte der Franzose, eifrig die Karten mischend. »ich will alles Gold, welches ich in der Tasche habe, verlieren, wenn ich bei dieser Probe Ihr Geheimnis kennen lerne!«
»Kein Geheimnis, mein lieber Herr Konsul, — nichts als kurze Rechnung — nur mathematische Schlüsse,« gab der Gelehrte, auf den die zarte Andeutung de Rancés auf sein Gold gar keinen Eindruck machte, zurück.
Nachdem Mac Milford alle Wahrscheinlichkeitschancen des Hasardspieles genau erklärt hatte, schloß er seine Ausführung mit den Worten: »Nur das Kouleur- und Inversefeld waren es also, welche mir damals beim Trente et quarante-Spiel so viele Gewinnchancen boten, daß ich die Bank zu sprengen vermochte.«
Nach dem Fortgange des aufdringlichen Franzosen begab sich Mac Milford mit Mary Watson zum Observatorium hinauf. »Jetzt werde ich Ihnen das elektrolytische Atomistikum, wie ich meinen Zersetzungsapparat getauft habe, zeigen,« sagte der Professor und sah nach der Uhr. »Wie, schon 9 Uhr? ... und ich wollte 8 Uhr 45 Minuten eine Lichtdepesche absenden; Teufel, daß ich dies versäumt habe! Der Franzose war aber auch nicht abzuschütteln.«
»Wenn Sie ihn natürlich lehren, wie man auf leichtestem Wege ein kolossales Vermögen erwerben kann, so wird er selbstverständlich nicht eher weichen und wanken, als bis er alles begriffen hat und Sie ihn durch die Türe auf die Straße gedrückt haben,« gab Miß Watson lächelnd zurück. »... doch wo ist Ihr Diener? Gestern suchten wir ihn; er war aber nirgends zu finden.«
»Mein Diener — ja, der Kerl ist verschwunden; auch ich suche ihn wie eine Stecknadel.«
»Er war Ihr Faktotum?«
»Ja; der Mensch, sehr pflichtgetreu, wagte es sonst nie ohne meine Erlaubnis fortzugehen, ... vermißten Sie ihn denn schon, als man mich zum Krankenhause schaffte?«
»Ja — ich wunderte mich gleich ihn nirgends zu sehen und glaubte, er sei ebenfalls verunglückt; doch niemand fand ihn.«
»Ich habe mir heute schon den Kopf zerbrochen, wo er geblieben sein könnte.« Mit diesen Worten war der alte Gelehrte im Observatorium angekommen und sein Blick mußte wohl auf etwas gefallen sein, das nicht in Ordnung war. »Die Wirkung der Explosion ist doch eine außerordentlich starke gewesen; sogar bis hierhin hat sie sich verpflanzt.«
Mac Milford öffnete darauf die Holzzelle, welche inmitten des Zimmers stand.
Ein blendender Lichtschein drang heraus, und gleichzeitig rief der Gelehrte: »Was sehe ich? ... ein Knochen ... eine Rippe!«
Mary Watson trat auf diesen Ausruf näher und sah am Boden der Holzzelle einen knochenähnlichen Gegenstand liegen.
Der alte Professor drehte jetzt schnell an einer kleinen Kurbel, und der Lichtschein im Holzgehäuse verschwand. Darauf ergriff er den vermeintlichen Knochen und besah ihn mit prüfendem Blicke. Sein graues Haupt wiegte sich dabei ein wenig hin und her; er schien den Fall sonderbar zu finden.
»Es ist eine menschliche falsche Rippe — hm — merkwürdig, — es kann nichts anderes sein ...« murmelte der Alte halblaut und besah das Knochenstück von allen Seiten.
»Herr Professor! ... wie, wenn Ihr Diener ...« fing die Studentin plötzlich an.
Mac Milford zeigt Mary Watson die unauf-
gelöst gebliebene Rippe aus Toms Körper.
»Tom — —! wahrhaftig, Sie haben recht!« unterbrach sie Mac Milford schnell. »'s ist eine von Toms Rippen! der arme Kerl; jetzt flaniert er wahrscheinlich drüben auf unserm Trabanten herum und weiß sich keines Rates!«
»So ist er also in Atome zersetzt? — Aber diese Rippe ...?« frug Mary Watson verwundert.
»Die Rippe ist wohl infolge unregelmäßigen Funktionierens meiner Accumulatoren unzersetzt geblieben,« antwortete der Professor und schrieb mit einem Bleistift den Namen des früheren Eigentümers auf den Knochen. »So, jetzt wollen wir sehen, ob wir Toms Rippe, die er uns in der Eile als Visitenkarte hinterlassen hat, ihm nachsenden können. Sie werden bei dieser Gelegenheit den elektrolytischen Zersetzungsvorgang bequem beobachten können.«
»Ich bin gespannt; das muß ja ein ganz eigenartiger Anblick sein,« meinte Mary Watson.
Mac Milford band nun die Rippe an einen Faden und hing sie so in der Holzzelle auf, daß sie in der Mitte derselben schwebte. Er bezweckte damit, daß der Knochen sich völlig im Bereiche des zersetzenden magnetelektrischen Feldes befinde. Alsdann schloß er die Türe des Holzgehäuses, visierte den Refraktoransatz zur Mondscheibe und setzte die MonstrumAccumulatoren in Tätigkeit. »So, nun schauen Sie bitte einmal durch dieses kleine Glasfenster; Sie werden jetzt alles beobachten können.«
Miß Watson befolgte dies. Vor ihren Augen rollte sich ein seltsames Bild ab. Im Innern des Atomistikums flimmerten im grellen Lichtscheine Myriaden sonnenstäubchenähnlicher Lichtpünktchen, welche von der Rippe aufstiegen und ihren Weg blitzschnell durch das Okularende des Fernrohres nahmen. Die Studentin bemerkte, wie sich der Knochen im Volumen allmählich verringerte, bis daß schließlich auch der letzte Rest, mitsamt dem Faden, an welchem die Rippe gehangen hatte, verschwunden war.
»Wunderbar!« rief die Schottin aus. »Und jene flimmernden Lichtpünktchen, in welche sich das Knochenstück aufzulösen schien, sollen die Atome gewesen sein?«
»Ganz recht, die Atome ... die Einzelzellen.« Nach diesen Worten öffnete der Professor das Holzgehäuse. Die Rippe war tatsächlich verschwunden und mußte nach Mac Milfords Angabe längst auf dem Monde angekommen sein und dort am Fuße des Kraters Timocharis, auf welchen Punkt der Mondoberfläche der Refraktor visiert worden war, liegen.
»Ist es möglich, daß Ihr Diener ohne diese Rippe existieren kann?« frug Mary Watson.
»Gewiß, gewiß,« erwiderte Mac Milford.
»Können Sie es ermitteln, an welchem Orte er auf dem Monde wohl angekommen sein dürfte?«
»Ich vermute, daß er beim Krater Timocharis gelandet ist, darum visierte ich jetzt auch das Rohr dorthin.«
»Und Sie glauben, daß er seine Rippe wiederfinden wird?«
»Sehr leicht möglich; ich habe zum Überfluß seinen Namen darauf geschrieben.«
»Also auch diese Schriftzeichen werden sich nach der Wiederzusammensetzung des Knochens genau so zeigen, wie Sie dieselben aufgezeichnet haben?«
»Genau so ... nicht das iPünktchen ist auch nur um den tausendsten Teil eines Millimeters durch das Versenden verrückt worden.«
»Mr. Mac Milford, Sie sind doch der größte Gelehrte, den die Welt je besessen hat!« Bei diesen Worten fiel ihr Blick auf ein Stück weißes Papier, welches in einer Ecke der Holzzelle lag. Sie hob es auf und reichte es dem Alten.
Dieser überflog das Papier. Es war beschrieben, aber zum Teil schwer lesbar, da auch hier die zersetzende Kraft des Atomistikums das Schreiben stellenweise durchlöchert hatte.
»Dachte ich es mir doch ...« sagte Mac Milford als er es zu Ende gelesen hatte.
»Ihre Vermutung stimmt also?«
»Ja, mein Diener, der Unglücksrabe, scheint sich gestern bei unserm Eintritt in die Holzzelle hier versteckt zu haben, dort ist er dann ins elektrische Feld geraten, und ist wider seinen Willen abgereist. Das Schreiben gehörte ihm zu.«
Mac Milford hielt jetzt Mary Watson das Papier hin. — »Lesen Sie bitte.«
Die Schottin nahm das ihr gereichte Schreiben, welches etwa folgendes Aussehen hatte.
»Ist es Ihnen gelungen den Sinn dieser Zeilen zu enträtseln?«
»Es ist ein Bestechungsversuch des ehrenwerten Mr. Dalrymple.«
»Dalrymple —« Mary sann über diesen Namen, den sie schon einmal gehört zu haben glaubte, nach.
»Es ist einer jener Herren, denen die australische Goldader im Hirn spukt,« meinte Mac Milford.
»Ah!« rief die Schottin aus.
»Mr. Dalrymple bietet meinem Diener 50 Pfund Sterlinge, wenn dieser es fertig bringt, meine geplante Reise zu verschieben oder ganz zu verhindern. Man glaubt mich so eher für's Konsortium zu gewinnen .... Meinem Faktotum werde ich aber gehörig die Leviten lesen!«
»Der Himmel mag wissen, wohin sich Ihr Diener inzwischen auf dem Monde verlaufen hat.
»Ich werde den sauertöpfischen Burschen drüben schon finden!«
»Und wann werden wir unsere Reise endgültig antreten?«
»Morgen ... Sie sind doch bereit?«
»Zu jeder Stunde,« gab Miß Watson zurück.
»Sie brauchen für nichts zu sorgen ... nichts mitzunehmen.«
»Auch nicht das allernötigste?«
»Nein ... ich sorge für alles.«
»Für welche Art der Reise haben Sie sich nun entschieden, Mr. Mac Milford?
»Wir fahren mit meinem Antigravitationsvehikel.«
»Werden wir in Edinburg aufsteigen?«
»Nein, der Ausgangspunkt unserer Weltallsreise ist der Gipfel des Berges Ben Nevis in dem Crampiangebirge.«
Die südliche Hälfte des schottischen Hochlandes, welche von den Crampianbergen bedeckt wird, besitzt in dem Berge Ben Nevis, der wie ein Riese an der südlichen Pforte des Glenmore nan Albin aufragt, seine größte Erhebung. Die wildesten und höchsten Gruppen der Crampian Mountains werden von den Fjorden der schottischen Westküste umgürtet.
Der Porphyrgipfel des Ben Nevis ragt 1343 Meter hoch über die Einsenkung des Glenmore, dem »großen Tale von Albion,« wildtrotzig empor. Die schneebedeckten Abhänge des Berges sind zur Winterszeit schwer passierbar. Nur selten hat es wohl einmal ein Wanderer gewagt, den schottischen Bergriesen zu dieser Jahreszeit zu erklimmen; lockt doch nichts besonderes auf die unwirtliche Höhe hinauf; die dicken Nebelschichten, welche meist den gigantischen Gipfel umlagern, verhindern den Fernblick auf den majestätischen Ozean, der an dem naheliegenden westlichen Gestade brandet.
Auf den vereisten Felspfaden hinaufzuklimmen, schien demnach wohl nicht eine verlockende Partie zu sein. So mochten auch zwei in der Dunkelheit am Fuße des Ben Nevis stehende menschliche Gestalten denken. Es war Mac Milford und seine mutige Begleiterin. Sie führten eines jener kleinen schottischen Pferde mit sich, welches mit allerlei Reisegepäck beladen war.
»Es wird eine bitterkalte Nacht werden,« sagte Mary Watson und rieb sich die etwas steif gewordenen Hände.
»Ja, ja, eigentlich eine ungünstige Zeit für unsern Aufstieg,« meinte der alte Gelehrte. »Doch es läßt sich daran nichts ändern. Ich will jetzt so schnell als möglich das Vehikel reisefertig machen und wir werden dann sogleich eine Probefahrt auf den Gipfel des Ben Nevis unternehmen.« Mit diesen Worten beeilte sich der Alte das Gepäck vom Pferde abzuschnallen. Hierbei wurde er kräftig von Mary unterstützt.
Es muß hier bemerkt werden, daß Mac Milford sein Vehikel bereits an Ort und Stelle gebracht und zur Auffahrt bereitgestellt hatte.
Bei einer Kälte von 12 Grad wurden die letzten Vorkehrungen getroffen. Da trat in letzter Minute ein unliebsames Ereignis ein.
Beim Scheine einer kleinen elektrischen Taschenlaterne bemerkte Miß Watson wie ein Haufen Steingerölle auf sie zu in Bewegung war. Gleich darauf hörten beide ein eigentümliches fernes Rauschen, und ehe sie sich versahen, prasselte eine kleine Lawine über ihren Standort hinweg und begrub sie in eine Schneemasse.
Eine kleine Lawine prasselte über ihren Standort hinweg.
Mary Watson stieß einen Schreckensruf aus. Der alte Gelehrte, welcher seitwärts von der Lawinenbahn stand und nur wenig vom Schnee verschüttet wurde, vermochte sich bald aus der Eismasse herauszupaddeln. Mit einem Blick überflog er die Situation. So schnell als er es imstande war, grub er seine Gefährtin aus dem Schnee heraus; es genügten nur wenige Minuten dazu, um jene von der Schneelast zu befreien.
Das Pferd war zu Boden geworfen worden und lag noch völlig begraben, sollte das Tier nicht umkommen, so mußte auch hier sofort Hand angelegt werden.
»Entsetzlich — — puh! ...« sagte die Schottin pustend und schüttelte sich die Eisstückchen von den Kleidern.
»Das stand freilich nicht im Programm meiner Reise,« meinte der Alte und schaufelte mit den Händen eifrig den Schnee von dem Pferde.
»Es hätte uns bald das Leben kosten können ...« sagte hierauf Miß Mary und beteiligte sich jetzt an des Professors Arbeit.
Plötzlich sprang das Tier auf die Füße; seine Nüstern schnaubten und es machte einen Ansatz zum Fliehen. Mac Milford faßte das Pferd sofort am Zaumzeug und beruhigte es durch Streicheln und Klopfen. Alsdann befreite er es von dem letzten noch auf ihm ruhenden Gepäck und ließ dann erst das Tier laufen.
Im Galopp trabte es herrenlos fort und entschwand bald den Blicken des Alten und seiner Gefährtin.
Nachdem auch das Vehikel von den Eismassen befreit war, ging es schnell an die Zusammensetzung desselben. Diese Arbeit war binnen einer viertel Stunde beendet.
Mit großem Interesse hatte das junge Mädchen den Aufbau des Fahrzeuges verfolgt.
»Dieser Behälter hier,« sagte Mac Milford und zeigte auf eine zylinderförmige Metallröhre von 1 Meter Länge und 25 Zentimeter Durchmesser, »enthält für uns einen Luftvorrat für 10 Monate.«
»Wie ist es möglich! ... Soviel Luft soll in einem solchen Behälter zusammengepreßt sein?« frug Miß Watson staunend.
»Es ist keine komprimierte, sondern verflüssigte Luft,« gab der Gefragte belehrend zurück und stieg in das Fahrzeug hinein.
»Verflüssigte Luft?«
»Ganz recht, ... wenn ich unsere Atmosphäre bis auf 200 Grad Celsius abkühle, wird sie flüssig und kann dann wie Wasser in einem geeigneten Gefäß aufbewahrt werden.«
»Und wenn das Gefäß warm wird, muß die Luft doch in ihren früheren Aggregatzustand zurückgehen?«
»Der Behälter ist doppelwandig, eine Erwärmung von außen her ist ausgeschlossen.«
»Wunderbar!« rief Miß Watson.
»So — nun bitte ich Sie einzusteigen ...«
Die Schottin schwang sich leicht in das Vehikel.
Der Professor verschloß den Hohlraum, in dem sie sich beide befanden, drehte dann an einer kleinen Kurbel, und nach einem sanften Ruck schien sich das Fahrzeug zu erheben.
Die Wände des Raumes besaßen Einsätze von Glasscheiben, durch welche man die Umgebung, in welcher das Vehikel gerade schwebte, bequem überblicken konnte.
»Jetzt sind meine letzten Zweifel geschwunden, Mr. Mac Milford!« rief Mary aus, als das Fahrzeug in weniger als einer Minute auf dem Gipfel des Ben Nevis ankam.
»Ich habe Ihnen eigentlich nie zu zweifeln gestattet. Sie sehen, daß ich die Schwerkraft der Erdkugel aufzuheben vermag,« meinte der Alte lächelnd.
»Beim Zeus!« erwiderte seine Gefährtin lustig.
Auf dem meterhoch mit Schnee bedeckten Berggipfel traf Mac Milford seine letzten Vorkehrungen für die Abfahrt in die unergründlichen Tiefen des gähnenden Himmels. Alle Einzelteile des Vehikels wurden von ihm noch einmal sorgfältig geprüft und auf ihr Funktionieren hin gründlich ausprobiert.
»Welche Temperatur herrscht im Weltenraume, ich meine außerhalb unserer Erdatmosphäre?« frug Mary, welche dabei einen Blick in die majestätische Unendlichkeit des sich über sie wölbenden, sternfunkelnden Firmamentes warf.
»Erschrecken Sie gefälligst nicht — 150 Grad ....«
»... Das ist ja furchtbar! — — Wärme oder Kälte?«
»Natürlich Kälte. — Doch wir werden in unserm Fahrzeuge nichts davon verspüren.«
»Aber die Wände des Vehikels werden sich von außen her bis auf diesen ungeheuren Temperaturgrad abkühlen und dann die Kälte nach dem Innern leiten?«
»Dafür habe ich meine Vorkehrung getroffen. In den Doppelwandungen des Fahrzeuges ist flüssige Luft aufgespeichert, welche, an sich kälter als der Weltenraum, uns als Schutzmittel dient.«
Unter solchem Gespräche hatte Mac Milford seine Prüfung beendet und stieg wieder in das Fahrzeug, um nun auch von innen die Untersuchung zu beginnen. Diese große Vorsicht war doppelt nötig, da, wie der Alte erzählte, er schon bei der ersten Fahrt durch Stillstand des Vehikels bald einmal Schiffbruch erlitten habe.
»Mitten im Weltäther schweben und nicht weiter können, das ist ein fatales Gefühl, glauben Sie mir das ...« sagte der alte Gelehrte.
»Wie — Ihr Vehikel versagt zu Zeiten auch einmal seinen Dienst? .... Das wäre ja gräßlich, wenn wir auf der Mitte unserer Flugbahn stehen bleiben würden und nicht weiter könnten!« In diesem Augenblick entwich leise zischend ein weißer dampfähnlicher Strahl aus einer Fuge des Vehikels und senkte sich wie eine Schneewolke auf den Boden herab.
»Holla!« rief der Professor und verstopfte schnell das Leck aus welchem der Dampfstrahl herausquoll.
»Was ist das?« — »Nichts von Bedeutung, Verehrteste. Ein wenig flüssige Luft, welche entweicht.«
Die schadhafte Stelle war bald ausgebessert und Mac Milford visierte jetzt die Spitze seines Fahrzeuges auf die in weiter Ferne stehende Vollmondscheibe.
»Jetzt darf ich also der Erde Valet sagen?« frug die Schottin mit einem Gemisch von Humor und Ängstlichkeit. Sie konnte sich des drückenden Gedankens nicht erwehren, daß die Fahrt doch vielleicht mißglücken könne, und sie nie zur Erdscholle zurückkehren würden.
»Hm — es dürfte wohl an der Zeit sein,« meinte der Professor und zog seinen Chronometer hervor. Dann schrieb er in sein Notizbuch folgendes:
»17. Februar Mitternacht 12 Uhr 43 Minuten,
10 Sekunden Abfahrt zum Monde.«
»An diesem vorgemerkten Abfahrtstermin fehlt jetzt noch rund eine Minute,« sagte der Alte seine Uhr in die Tasche steckend.
»Eine kurze Galgenfrist,« meinte Mary Watson mit etwas gedrücktem Lächeln, »kaum Zeit genug, um sich eines andern zu besinnen.«
Der Alte tat die letzten Handgriffe, um zur gegebenen Sekunde abfahren zu können. — —
»Fertig!« rief Mac Milford aus, drehte an einer Kurbel, drückte einen kleinen Hebel nieder und — das Antigravitationsvehikel sauste ins Weltall hinein.
Das Antigravitationsvehikel
sauste ins Weltall hinein.
»Der Himmel sei unsern Seelen gnädig!« Dieser Ruf entrang sich Mary Watsons Lippen.
Unterwegs erklärte Mac Milford seiner Begleiterin die Konstruktion des Vehikels, welches er »Sirius« getauft hatte. »Der an meinem Fahrzeuge befindliche parabolidisch gekrümmte Metallschirm strahlt eine magnetische Kraft aus, welche der Schwerkraft der Erde direkt in gleichem Verhältnisse entgegenwirkt, und diese somit gänzlich aufhebt.«
»Wie aber kommt die Fortbewegung zustande?« frug darauf die Schottin.
»Sehr einfach; ich brauche dazu kein mechanisches Mittel. Augenblicklich unterliegt mein Vehikel der Attraktionskraft unseres Trabanten. Wir werden mit einer Geschwindigkeit von 5000 Kilometer in der Stunde vom Mondkörper angezogen.«
»Vergrößert sich diese Geschwindigkeit nicht, je näher wir in den Bereich der Mondattraktion gelangen?«
»Gewiß ... die Anziehungskraft der Erde nimmt in dem Maße mit der Entfernung ab, wie die Quadratzahlen der letztern zunehmen. Mit der immer größer werdenden Annäherung an den Mond wird sich also auch die Geschwindigkeit meines Vehikels steigern.«
»Dann müßten wir doch aber schließlich mit einer furchtbaren Gewalt auf die Mondoberfläche herniederstürzen und zerschmettern,« meinte Miß Watson und war gespannt zu hören, welche Gegenmaßregel der Gelehrte, der nach ihrer Ansicht doch auch sicher diesen Fall vorher erwogen hatte, anwenden würde.
»Zerschmettern? ... Ich sage Ihnen, unser Vehikel wird sich so sanft wie eine Schwalbe aus dem Äther herniederlassen, gleich, von welcher Seite aus wir uns dem Monde nähern werden.«
»Es bedarf dann doch aber einer Gegenkraft?«
»Selbstverständlich. — Sind wir an der Attraktionsscheide angelangt —,« hier wurde Mac Milford unterbrochen.
»Attraktionsscheide?« frug Mary zurück.
»Ah — ich erklärte Ihnen dieses Wort noch nicht! — — Es giebt eine Grenze, einen Punkt im Weltenraume, wo sich die Gravitationskräfte zweier benachbarter Gestirne gegenseitig aufheben.«
»Also läge dieser kritische Punkt in der Mitte des Abstandes beider Gestirne?«
»Genau in der Mitte nur in dem Falle, wenn beide Gestirne völlig gleich groß sind und gleiche Dichte ihrer Massen besitzen. Da nun aber der Diameter unseres Mondes etwa vier mal kleiner als der der Erde ist, seine Masse nur den 79. Teil unseres Planeten ausmacht, und deren Dichtigkeit nur einhalb mal so groß ist als die der Erdmasse, so verschiebt sich der Ort der Attraktionsscheide weit ab von der Mitte, um ein bedeutendes dem Monde zu.«
»Ich verstehe dies vollkommen. Doch noch weiß ich nicht, wie wir uns dann, wenn diese Scheide überschritten ist, der immer stärker auftretenden Anziehung des Mondes entgegenstemmen können.«
»An der Schwerkraftsgrenze angekommen, wird meine Antigravitationskathode, welche jetzt der Erde entgegenwirkt, einfach umgedreht, d. h. sie wird der Mondanziehung mit halber Kraft entgegenarbeiten. Auf diese Weise vermag ich mit meinem Vehikel Geschwindigkeiten zu erzielen, die ich mit keiner andern Naturkraft hervorrufen könnte und deren Größe ich nach Belieben regulieren kann.«
»Wunderbar! Großartig!« rief die Schottin begeistert aus.
Der Professor sah jetzt nach der Uhr.
»1 Uhr 40 Minuten — 5000 Kilometer sind wir der Erde entrückt. — — Sehen Sie dort hinab! Wie er immer kleiner wird, unser heimatlicher Planet.«
Mary Watson hatte schon die ganze Zeit durch eine der Hartglasscheiben, welche in die Wandungen des Fahrzeuges eingesetzt waren, geschaut und die Erdkugel nicht aus dem Auge verloren.
»Mein Staunen geht ins Grenzenlose!« rief sie.
»Dort vor uns — sehen Sie ... Luna mit ihrer wachsenden Scheibe.«
Mary sah zum Monde hin, dessen Scheibendurchmesser schon um ein beträchtliches größer war, als bei der Abfahrt vom Ben Nevis.
Als sie noch in die Lichtflut des Erdtrabanten schaute, erlosch diese plötzlich; es war den Insassen des Fahrzeuges gerade als wenn dunkles Gewölk vorbeiziehe. Damit wurde es auch außerhalb des Vehikels im Weltenraum stockfinster. Mary sah ihren Gefährten halb erschrocken, halb erstaunt an.
»Was mag das sein?«
Der Professor vermochte nicht gleich eine Antwort zu heben, sein graues Haupt wiegte sich nachdenkend hin und her.
»Gewölk kann es hier draußen im luftleeren Raume nicht sein; vielleicht ist es eine Gasnebelballung.«
»Das sieht eher wie ein Heuschreckenschwarm aus ... aber was ist das, die Wolke kommt ja auf uns zu!« rief Mary aus indem sie ihr Gesicht an das Fenster preßte und die dunkle drohende Masse betrachtete.
In diesem Augenblicke prasselten Myriaden kleiner Steine an die Wandungen des Vehikel und drohten die Glasluken zu zertrümmern.
»Himmel! was ist denn das?« rief Mary Watson erschrocken aus.
»Befürchten Sie nichts — nur ein kleiner Sternschnuppenschwarm, der in die Attraktionssphäre der Erde geraten ist. Hoffentlich sind wir gleich hindurch,« beruhigte Mac Milford lächelnd.
Aber es schien doch nicht so; fast 10 Minuten lang sauste der »Sirius« durch eine Flut winziger Weltkörperchen.
»Wir sind leider in die Flugbahn der Miniaturmeteoriten geraten und müssen wohl oder übel zwischen ihnen hindurch. Es sind sehr wahrscheinlich nur Reste des aufgelösten BielaschenKometen, der sich vor einer Reihe von Jahren in zwei Hälften gespalten hatte. Nachdem man diesen periodischen Schweifstern seit 1826 alle sechs und zweidrittel Jahre von einem Sonnenumlaufe in die Nähe der Erde wiederkehren sah, ist er seit 1852 gänzlich ausgeblieben; man hat ihn nie wieder gesehen .... Wir befinden uns also anscheinend soeben in dem niedersteigenden Knoten der Kometenbahn.«
»Könnte es nicht passieren, daß durch den Aufprall so unermeßlich vieler Meteoriten unser Vehikel schließlich zertrümmert wird?« frug Mary.
»Wir fahren zum Glück in der Richtung der Vertikalachse des Sternschnuppenschwarmes.«
»Es würde also um uns geschehen sein, wenn wir diese Flugbahn der Meteoriten horizontal durchquerten?«
»Ja und nein,« ließ sich Mac Milford vernehmen. »Es ist sehr wohl möglich, daß sich unter den Meteoren auch so große Körper befinden, welche imstande sind wie eine Kanonenkugel unser Fahrzeug zu durchbohren.«
»Da sind ja schreckliche Aussichten vorhanden hier elend zu Grunde zu gehen!« rief Mary aus. »Das wäre entsetzlich! Denken Sie sich nur, Herr Professor, wenn eine solche Meteorkugel jetzt urplötzlich hier vorn durch die Wand bräche, unsere Körper durchbohrte und auf der anderen Seite des Vehikels wieder hinaus in das Weltall sauste.«
Der Professor lächelte. »Nehmen wir nicht gleich das Schlimmste an. Sehen Sie, so wie der Kurs unseres Vehikels augenblicklich ist, sausen die Meteoriten alle in der Längsrichtung unseres Fahrzeuges an diesem Vorbei und die, welche es seitlich berühren, gleiten dabei ab. Es könnte höchstens die Kathode vorn Schaden erleiden; das wäre ja freilich sehr fatal.«
»Wollen wir es nicht lieber versuchen den Meteorschwarm horizontal zu durchfahren, um nur schnell aus ihm heraus zu kommen?«
»Da würden wir uns einer großen Gefahr aussetzen, meine Beste; dann könnte es wohl passieren, daß unsere Gondel hinterher wie ein durchlöchertes Sieb ausschaut.«
Bums ... krachte ein großer Meteorit an die Außenwand, sodaß das Fahrzeug in seinen Fugen erschüttert wurde.
»Um des Himmelswillen, da geht es schon los!« rief Miß Watson geängstigt aus.
»Unser »Sirius‹ hält wacker Stand, Sie sehen wie solide er konstruiert ist.«
Draußen vor den Scheiben des Fahrzeuges sah man Myriaden dunkler Körperchen, welche alle runde Form zu besitzen schienen, so schnell vorbeisausen, daß das Auge es nicht vermochte sie einzeln auseinanderzuhalten. Das war ein Prasseln und Knistern an den Wänden des »Sirius«, der Donner von Gewehrsalven in einer Schlacht schien dagegen wenig bedeuten zu wollen.
Die Schottin sah halb verzweifelt umher, selbst das ruhig bleibende Gesicht ihres Gefährten vermochte ihren Schrecken nicht zu mildern.
Was hier draußen fern vom Erdenballe an dem irdischen Vehikel vorbeisauste waren alles eiskalte, starre Gesteinsmassen, welche im Gegensatz zu den auf der Erde gesehenen Sternschnuppen nichtleuchtend waren. Bekanntlich wird ein Meteor erst dann leuchtend, wenn er in die Attraktionssphäre der Erde gelangt und dann die Atmosphäre des Planeten mit rasender Geschwindigkeit durcheilt. Der diesem Körper meist hinterherfolgende glänzende Schweif besteht aus nichts weiter als aus durch das Glühendwerden abgelöste, verbrennende Teilchen des Meteors. Die Größe solcher Feuerkugeln ist sehr verschieden; vielfach zerteilen sie sich schon vor dem Niederfallen, oft auch erst bei Ankunft auf dem Erdboden; es existieren jedoch auch größere, wohlerhaltene Meteoriten, welche nicht zertrümmerten, unter andern sind einige in Brasilien aufgefunden, welche 2250 und 7000 Kilogramm wiegen, letzterer ist dabei nicht größer als ein Kubikmeter. In Mexiko soll sogar ein solcher Meteorstein von 25 000 Kilogramm gefallen sein. Man hat berechnet, daß täglich über 10 Millionen Sternschnuppen in die Atmosphäre unserer Erde gelangen, dagegen fallen in gleicher Zeit durchschnittlich höchstens nur vier größere Meteore.
Das Niederfallen der Sternschnuppen, wenigstens solcher in Menge und zu einer Zeit, ist nicht ganz so regellos; es giebt periodisch alle Jahre wiederkehrende Tage, an denen die Sternschnuppenfälle besonders stark auftreten. Es sind dies besonders zwei Perioden, die eine zwischen dem 9. und 13. August und die andere vom 13. bis 14. November. Der Augustfall wird durch den sogenannten Laurentiusstrom oder die Perseiden gebildet, während der Novemberfall durch die Leoniden veranlaßt wird. Die Perseiden haben ihren scheinbaren Ausgangspunkt oder Radianten im Sternbilde des Perseus, während der der Leoniden in der Constellation des großen Löwen liegt. Zu den genannten beiden Zeitpunkten erfolgen nachts oft förmliche Sternschnuppenregen. Besonders bei dem Leonidenschwarm im November findet alle 33¼ Jahre ein Maximum statt, d. h. ein außergewöhnlich starker und glänzender Sternschnuppenfall.
Der »Sirius« kreuzt einen Sternschnuppenschwarm.
Die Gelehrten haben die Meteoriten auf ihre Bestandteile hin untersucht und gefunden, daß sie aus Stoffen bestehen, welche auch auf der Erde vorkommen. Meist ist das Eisen vertreten, man findet aber auch eine Anzahl anderer Metalle und Gesteine, durchweg aber Stoffe, die uns bekannt sind; daraus ist zu folgern, daß der Aufbau anderer Himmelskörper aus denselben Substanzen, welche die Erde bilden, erfolgt.
In letzterer Zeit neigt man zu der Annahme hin, daß die Meteore und Sternschnuppen der Kometenwelt entstammen, was nicht so unwahrscheinlich sein dürfte, da man gefunden hat, daß die Bahnen einzelner periodisch wiederkehrender Sternschnuppenschwärme mit den Bahnen von bekannten Kometen genau zusammenfallen.
Verschiedenfach wurde der »Sirius« durch den Anprall der kosmischen Geschosse derart erschüttert, daß er wiederholt versuchte von seinem Kurs abzuweichen. Mac Milford, die Gefahr erkennend, welche eine solche Kursveränderung mit sich bringen würde, ließ nicht die Hand vom Regulator und korrigierte jede kleine Abweichung aus der Flugbahn mit schnellem Griffe.
Eine kleine Weile später ließ der Aufprall der Meteoriten nach und es schien als wenn das Ende der kosmischen Steinwolke nahe. Ein Blick durch das Fenster überzeugte den Gelehrten, daß dem auch so war, denn schon stahlen sich wieder einzelne Lichtstrahlen des Mondes durch das Gewölk. Noch einige Augenblicke und der »Sirius« schwebte wieder im freien Äther des Weltenraumes.
»Dem Himmel sei Dank!« rief Mary aus und atmete tief auf.
Der Gelehrte lächelte, nahm seinen Fernstecher zur Hand und schaute der in der Ferne enteilenden Steinwolke nach.
»Werden wir noch mehr solcher Sternschnuppenschwärme passieren?« frug Mary Watson.
»Ich glaube nicht; wenigstens einen solchen dichten Schwarm kaum wieder.«
Nach einiger Zeit sah Mac Milford auf seinen Chronometer. »2 Uhr 31 Minuten ... wir befinden uns jetzt bereits 9000 Kilometer von der Erde entfernt.«
»Darf ich fragen, woraus der Proviant, welcher zu unserer Ernährung dient, besteht?«
»Hier ....« Mac Milford griff in eine seitlich angebrachte Aluminiumröhre und entnahm derselben einige Blechbüchsen.
Mac Milford griff in eine seitlich angebrachte Alu-
minium röhre und entnahm derselben einige Blechbüchsen.
Die Schottin schaute verwundert auf die kleinen Gefäße, welche den Nahrungsstoff für zwei Menschen auf unbestimmte Zeit hinaus bergen sollten.
»Wie ich sehe, wundern Sie sich, daß dieser geringe Vorrat zwei Menschen auf lange Zeit hinaus am Leben erhalten soll.«
»Ist diese sonderbare Nahrungsform fest oder flüssig?«
»Fest ... es ist nichts anderes als Stärkemehlsubstanz, wie sich solche ungemein fein verteilt in der Erdatmosphäre findet.«
»Und sie allein genügt zur völligen Erhaltung des Lebens?« frug Mary Watson weiter.
»Ja — in der konzentrierten Form wird eine solche Büchse voll einen Menschen auf Monate hinaus alle andern kulinarischen Genüsse vergessen lassen.«
»Womit werden wir aber unsern Durst löschen?«
»Der mitgeführte Vorrat flüssiger Luft liefert mir jederzeit sowohl Wasser als frische Luft zum atmen. Um beispielsweise Wasser herzustellen, lasse ich etwas flüssige Luft, die wie Ihnen bekannt sein wird aus 79 Prozent Stickstoff und 21 Prozent Sauerstoff zusammengesetzt ist, offen in einem Behälter stehen; nach kurzer Zeit wird die sonst milchig getrübte Flüssigkeit eine stahlblaue Farbe annehmen; nun habe ich fast reinen Sauerstoff vor mir, denn der Stickstoff hat sich, da er außerordentlich flüchtig ist, bereits verdampft. Diesen Sauerstoff vermische ich mit Wasserstoff, welchen ich ebenfalls in flüssigem Zustand dort in jener Röhre mit mir führe. Zwei Teile von diesem und ein Teil Sauerstoff geben mir die gewünschte Flüssigkeit, HO, das Wasser.«
»Mir ist's, als befände ich mich in einer Zauberwelt!« rief Mary Watson mit einem bewundernden Blick auf ihren Begleiter aus.
»Ihre Augen werden noch andere Dinge schauen, Miß Watson ... verlassen Sie sich darauf.«
Die Schottin wurde des Fragens nicht müde, fortgesetzt fand sie dazu neue Anregung.
»Mit welcher Klarheit hier oben alle Sternbilder zu sehen sind — sehen Sie nur dort einmal hin ... das lateinische W — — wie heißt diese Constellation doch gleich?«
»Die Cassiopeja ...,« erwiderte der Gelehrte.
»Richtig — und der große Bär — jene allbekannten 7 Sterne, sind sie hier sichtbar?«
»Gewiß — schauen Sie auf die andere Seite ... gerade der Cassiopeja gegenüber.«
»Und wo muß ich die Plejaden suchen?«
»Dort — verbinden Sie die beiden linken mittleren Sterne der Cassiopeja durch eine Linie und verlängern Sie diese in Gedanken etwa fünfzehnmal, dann stoßen Sie auf das Siebengestirn, die Plejaden. — — Dort, unter der Cassiopeja ist das Sternbild der Andromeda, daneben das des Perseus, dann kommt der Fuhrmann, die Zwillinge, der Krebs, der Löwe, weiter der Bootes mit dem rötlich leuchtenden Arktur ...« fuhr Mac Milford eifrig erklärend fort.
»Wie kommt es, daß die Fixsterne hier nicht funkeln, sondern alle mit ruhigem Lichte leuchten?«
»Das Funkeln oder Scintillieren hat seine Ursache lediglich in der Erdatmosphäre; da letztere hier nicht vorhanden ist, so fällt auch diese Erscheinung fort,« belehrte Mac Milford seine wißbegierige Gefährtin.
Unter solchen Gesprächen verging die Zeit. — —
»5 Uhr 20 Minuten ...« sagte Mac Milford, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. »Wären auf dem Wege von der Erde zum Monde Kilometersteine angebracht, so würden wir jetzt etwa die Kilometerzahl 26 000 lesen können.«
»Ach, schauen Sie dort tief unten den herrlich leuchtenden Stern!«
»Es ist der Sirius im Sternbild des großen Hundes.«
»Wie intensiv sein Licht ist!«
»Dieser Glanz zeichnet ihn vor allen anderen Fixsternen besonders aus,« erwiderte der alte Gelehrte und nahm mit seinen Augen den Fixstern auf's Korn. »Sirius ist ein Doppelstern, das heißt, er wird von einem zweiten Stern umkreist. Sein Begleiter ist etwa halb so groß als er und benötigt nahezu fünfzig Jahre zu einem Umlaufe um den Sirius. Dieser Doppelstern ist 1 069 000 mal weiter entfernt als die Erde von der Sonne, die doch schon einen respektablen Abstand von 20 Millionen Meilen hat; das würde also einer Entfernung von 21 380 000 Millionen, gleich 21 Billionen 380 000 Millionen Meilen entsprechen.«
»Eine Billion muß doch eine gewaltige Zahl sein,« meinte Mary.
»Von der Unermeßlichkeit einer solchen Zahlengröße kann man sich nur schwer ein Bild machen. Eine Billion ist eine Million Millionen oder in Zahlen geschrieben 1 000 000 000 000, eine Trillion stellt eine Zahl dar mit 18 Nullen, ist also gleich einer Million Billionen, und eine Quardtrillion ist gar eine 24stellige Zahl, eine Billion Billionen ...« dozierte der Gelehrte weiter.
»Mir schwindelt ...« sagte Mary.
»Die Zahlengröße Billion spielt im Weltenraume nur eine verschwindend kleine Rolle, und doch ist schon diese Zahl an sich für menschliche Begriffe eine fast unermeßliche. Wollten Sie beispielsweise eine Billion Schillinge zählen, so würden Sie, wenn Sie unausgesetzt täglich 12 Stunden lang in jeder Minute 100 Stück zählen, dazu 38 052 Jahre gebrauchen. Könnten Sie diese Billion Schillinge verzinsen, so würden Sie bei einem 3prozentigen Zinsfuß jährlich 30 Milliarden Schillinge erhalten; Sie könnten mit dieser Zinssumme fast den größten Teil der Staatsschulden aller Reiche der Erde decken.«
»Das ist schier unfaßbar!« rief die Schottin aus.
»Ich werde Ihnen von der Zahl Billion noch weitere Vorstellungen machen. Denken Sie sich ein Heer von einer Billion Soldaten; diese Truppenmasse würde 650 mal mehr Menschen aufweisen als die gesamte Bevölkerung der Erde, welche etwa 1500 Millionen beträgt, ausmacht. Wollte man diese Billion Soldaten vor sich passieren lassen und je 8 derselben marschierten nebeneinander, so würden 71 347 Jahre vergehen bis der Vorbeimarsch vollendet wäre. Und weiter. Nach den biblischen Überlieferungen hat die Menschheit bis jetzt ca. 6000 Jahre, das sind 3154 Millionen Minuten, gelebt. Um jedoch eine Billion Minuten zu leben, müßte die Menschheit noch 1 896 000 Jahre existieren.«
»Es ist genug, Herr Professor, die Ziffern verwirren mich bereits. — Bitte sagen Sie mir, wie es der Wissenschaft möglich ist, die Entfernungen im Weltall zu messen?«
»Mit Hülfe der Parallaxe« gab der Gelehrte zur Antwort.
»Dies Mittel ist mir unbekannt, was verstehen Sie darunter?«
»Die Parallaxe ist der Unterschied zwischen den Richtungen, in welchen von zwei verschiedenen Orten aus ein Gegenstand gesehen wird.«
Ein Gelehrter gab über die Parallaxe folgende treffliche Ausführung mit nachstehenden Worten ab: Wenn wir einen Gegenstand, einen Punkt, mit einem Auge sehen, so sehen wir ihn auch nur in einer Richtung und können daher seine Entfernung nicht bestimmen. Sehen wir ihn aber mit zwei Augen, so liegt er für jedes Auge in einer anderen Richtung; beide Richtungen bilden in dem Punkte einen Winkel und dieser ist die Parallaxe des Punktes für beide Augen. Aus ihrer Größe kann man nun einen Schluß auf die Entfernung des Punktes machen. Was in diesem Falle die beiden Augen sind, das sind bei der Messung der Entfernung eines Himmelskörpers zwei Standorte auf der Erde, zum Beispiel zwei Sternwarten. Steht der eine Beobachter etwa in Nordamerika, der andere in England, und beide beobachten zu selben Zeit ein und dasselbe Gestirn, so erscheint dieses jedem unter anderem Winkel, und die Größe des Winkels, Parallaxe genannt, ergiebt den Wert der Entfernung. Besonders sucht man den Sonnenabstand aufs Genaueste festzustellen, da dieser dann anderen Sternwelten wieder zu Grunde gelegt wird.
Im allgemeinen gilt als das Maß der Abstände der Fixsterne das Lichtjahr. Der Raum, den der Lichtstrahl in einem Jahr durchläuft, beträgt 1 Billion 280 000 Millionen Meilen; dies nennt man kurzweg ein Lichtjahr. Um zu zeigen, welche ungeheure Entfernung das ist, sei erwähnt, daß das Licht in der Sekunde 42 000 Meilen durchläuft, und daß es zum Beispiel vom Monde 1¼ Sekunde, von der Sonne 8¼ Minute braucht, um zur Erde zu gelangen.
»Sehen Sie, Miß Watson, so vermögen wir die Entfernungen der Himmelskörper zu berechnen und bedienen uns dabei eines Riesenmaßes, welches wir Lichtjahr nennen.«
»Das giebt auf diese Weise eine bequeme Rechnung ... es muß sich doch eine gewaltige Zahl hinter diesem einfachen Raummaße verbergen?«
»Das will ich meinen,« erwiderte der Professor, »rechnen Sie gefälligst einmal mit. Der Lichtstrahl durcheilt in einer Sekunde 42 000 Meilen, das macht in einer Minute 60 mal 42 000, das sind 2 520 000 Meilen, giebt in einer Stunde 60 mal 2 520 000, also 151 200 000 Meilen, in einem Tage ....«
»Das geht über mein Fassungsvermögen!« rief Mary aus, »halten Sie bitte ein!«
»Das giebt in einem Tage also 24 mal 151 200 000, also 3 628 800 000,« fuhr der Professor unbeirrt in seiner Rechnung fort, fühlte er sich doch in diesem Augenblicke als echter Mathematiker, der gewohnt ist, mit Riesenzahlen wie mit Fangebällen zu spielen. »Folglich in einem Jahre 365 mal 3 628 800 000, Endresultat also 1 324 512 000 000; ein Lichtjahr bedeutet demnach eine Billion dreihundertvierundzwanzigtausendfünfhundertundzwölf Millionen Meilen.«
Nachdem Mac Milford seine Gefährtin genügend darüber aufgeklärt hatte, in welcher Weise die Wissenschaft die Entfernungen der Gestirne ermittelt, prüfte er wiederholt seinen Fluidkompaß, um festzustellen, ob der »Sirius« in der Faciallinie dem Monde zueile.
»Ein herrliches Zahlenbild,« meinte die Schottin, »das kommt einem ja gar nicht zum Bewußtsein.«
»Hier habe ich eine kleine Tabelle berechnet, welche die Abstände der der Erde mit am nächsten stehenden Fixsterne enthält.« Bei diesen Worten zog Mac Milford sein Notizbuch heraus und deutete auf eine Seite. Man konnte auf dieser folgendes lesen:
Der Hauptstern a im Centaur (südl. Sternbild) ist 4,5 Lichtjahre entfernt.
Der Stern 61 im Schwan (nördl. Sternbild) " 6,5 " "
Capella im Fuhrmann " " " 10,5 " "
Sirius im großen Hund (südl. Sternbild) " 16,0 " "
Wega in der Leyer (nördl. Sternbild) " 20,0 " "
Arktur im Bootes " " " 24,0 " "
Der Polarstern der nördl. Himmelskugel " 48,00 " "
»Wenn das die Abstände der nächsten Fixsterne sind, so möchte ich wissen, wie maßlos weit solche sind, welche wir mit den schärfsten Refraktoren der Neuzeit kaum noch als winziges Lichtpünktchen zu sehen vermögen,« ließ sich Mary nach dem Durchlesen vernehmen.
»Hm, hm,« erwiderte der Alte, riß ein Blatt Papier aus seinem Notizbuch und wollte auf die Äußerung Marys wieder zu rechnen anfangen.
»Um des Himmels willen ... lassen Sie es genug sein, mir hüpfen jetzt schon die 1000stelligen Ziffern und langen Logarithmenzahlen im Geiste vor den Augen umher.«
»Ja, die Rechnung würde etwas lang werden. — Doch halt, bald hätte ich jetzt etwas vergessen, was ich gleich nach der Abfahrt von der Erde vorzunehmen beschlossen hatte; ich meine eine spektroskopische Untersuchung des Sonnenlichts.« Bei diesen Worten entnahm Mac Milford aus einem Messingkasten ein Instrument und schraubte es auf dem Tisch fest.
»Darf ich wissen, was dies für ein Apparat ist?« frug Mary neugierig und musterte das Instrument.
»Es ist ein Spektroskop.«
»Und Sie wollen damit das Sonnenlicht untersuchen?«
»Ja,« lautete die Antwort. »Sind Sie, Miß Watson, mit den Grundlehren der Spektralanalyse vertraut?«
»Nur schwach, Herr Professor.«
»So gestatten Sie mir, Ihnen einige Belehrung auch nach dieser Seite hin zu Teil werden zu lassen.«
»O, ich bin ganz Ohr.«
Mac Milford erklärte jetzt seiner Begleiterin die Einrichtung des Spektroskops und dessen Dienstleistung in der Astronomie und Chemie.
Was der Gelehrte hier erklärte sei für den Leser kurz in Nachfolgendem zusammengefaßt:
Unter dem Begriffe Spektralanalyse versteht man kurz eine optische Zerlegung der Lichtstrahlen beziehungsweise eine Analyse derselben, die verrät, von welchen glühenden Substanzen das Licht ausgestrahlt worden ist. Das Sonnenlicht besteht bekanntlich nicht aus einer Farbe, es ist vielmehr ein Gemisch von sieben Farben, welche zusammen dem Auge als weiß erscheinen. Die Zerlegung des Lichtes in seine Complimentärfarben ist mittels eines dreiseitig geschliffenen Glases, einem Prisma, möglich; fällt durch ein solches ein Sonnenstrahl auf eine weiße Fläche, so wird auf dieser ein breiter, buntfarbiger Streifen, das Spektrum, sichtbar. Dieses farbige Band bildet einen Regenbogen im kleinen, man sieht in ihm rot, orange, gelb, grün, blau, indigo und violett ineinander überfließen. Durch Verbindung mehrerer Prismen ist ein sehr scharfes Spektrum erzielbar. Eine solche Prismenzusammenstellung ist das Spektroskop. Die Konstruktion desselben in seiner einfachsten Gestalt ist folgende: Durch einen sehr feinen Spalt fällt der Lichtstrahl in ein Rohr auf eine Glaslinse und von dieser auf ein Prisma, bei dem Austritte desselben aus diesem Glase erscheint der Lichtstrahl als Spektrum ausgedehnt und dieses wird nun durch ein hinter dem Prisma befindliches Mikroskop betrachtet. Über die Brechung der einzelnen farbigen Strahlen ist kurz zu sagen, daß das rote Licht am wenigsten und das violette am stärksten gebrochen werden, die dazwischenliegenden Spektrumfarben der Reihenfolge nach mehr oder minder.
Von festen oder flüssigen Körpern wird, wenn sie sich in Weißglut befinden, Licht ausgestrahlt, das im Spektroskop betrachtet, ein Spektrum liefert, welches gleichmäßig ohne Unterbrechung jede der 7 Farben zeigt. Dies nennt man das kontinuierliche Spektrum. Beobachtet man dagegen Licht, welches von glühenden Dämpfen oder Gasen ausgestrahlt wird, so sieht man ein total verändertes Spektrum. Was man in demselben erblickt, sind nur einige helle Bänder oder Streifen und zwischen diesen befinden sich dunkle Zwischenräume. Diesen beiden Spektras schließt sich nun noch ein drittes an, welches ein Gemisch der ersten beiden ist; das Sonnenlicht repräsentiert diese dritte Art. Wird ein solches kontinuierliches Spektrum mit freiem Auge durch ein Prisma betrachtet, so zeigt es alle Farben gleichmäßig wie ein Regenbogen; bei Anwendung eines Mikroskopes ändert sich jedoch das Aussehen des farbigen Bandes. Es tauchen dann eine große Anzahl schwarzer Linien auf, über deren Ursprung folgendes von der Wissenschaft ermittelt worden ist. Jedes Element hat sein besonderes Spektrum, in ihrer Gesamtheit geben sie das farbige Band, welches das Sonnenlicht liefert. Daraus folgert die Wissenschaft, daß alle bekannten Elemente, wenn auch flüssig, auf der Sonne vorkommen müssen. Dortselbst lagern aber, infolge der ungeheuren Hitze auf diesem flüssigen Elementenmeere, Dämpfe und Gase. Diese haben nun die Eigenschaft, alles von den flüssigen Elementen unter ihnen ausgestrahlte Licht zu verschlucken oder wie man sagt zu absorbieren und nur ihr eigenes Licht der Erde zusenden. Durch diese Aufsaugung müssen natürlich an allen jenen Stellen in dem Sonnenspektrum, wo sonst die Spektralfarben der flüssigen Körper erscheinen müßten, leere schwarze Lücken entstehen, und man hat daher nur das Spektrum derjenigen glühenden Gase, welche über der Oberfläche der Sonne schweben, vor sich; jene schwarzen Lücken sind nun diese Linien.
Mac Milford war jetzt eifrig damit beschäftigt die Sonnenstrahlen mit seinem Instrument zu analysieren, bei welcher Tätigkeit Mary ihrerseits ein großes Interesse zu Tage legte. Den Ausführungen des Gelehrten über einen Zweig der Wissenschaft, von dem sie bisher so gut wie garnichts gewußt hatte, war sie mit ganzem Ohr gefolgt und es bereitete ihr jetzt ein großes Vergnügen jenes Farbenband mit seinen vielen hundert feinen Linien im Spektroskop beobachten zu dürfen.
»Erzeugt jeder Metalldampf nur eine Linie im Spektrum?«
»O nein,« erwiderte der Alte, »das ist außerordentlich verschieden. Einzelne Stoffe wie Eisen erzeugen über 2000 Linien, andere wieder wie Kupfer und Silber nur zwei Linien.«
»So sind alle Metalle oder Elemente, welche wir auf Erden kennen, hier im Sonnenlichtspektrum mit ihren Linien vertreten?« frug die Schottin wißbegierig weiter.
»Nicht alle, Gold, Quecksilber, Schwefel, Phosphor, Stickstoff und noch einige andere Elemente habe ich bisher im Sonnenspektrum noch nicht beobachten können.«
»Da die Planeten ihr Licht von der Sonne empfangen, so muß bei einer Untersuchung derselben mit dem Spektroskope uns doch dasselbe Spektrum wie bei der Sonne entgegentreten?«
»Das ist auch tatsächlich der Fall, nur sind einige kleine Änderungen bemerkbar; es zeigen sich mehr dunkle Linien als es der Fall sein sollte, daraus hat die Wissenschaft gefolgert, daß das Licht durch eine auf diesem oder jenem Planeten vorhandene Atmosphäre erst wandern muß, ehe es zu uns gelangt. Bei Venus, Mars, Jupiter und Saturn ließ sich auf diese Weise eine Atmosphäre nachweisen. Besonders ist in der Jupiteratmosphäre das starke Vorwiegen vorhandenen Wasserdampfes auffallend.«
»Mit Hilfe des Spektroskopes muß es doch ein Leichtes sein auch diejenigen Fixsterne, welche viele viele Billionen Meilen von uns entfernt sind, ihrer stofflichen Beschaffenheit nach zu untersuchen?«
»Gewiß,« erwiderte Mac Milford und visierte sein Instrument jetzt auf den weißstrahlenden Stern Wega im Sternenbilde der Leyer. »Jetzt wollen wir einmal die Spektras der Fixsterne untersuchen; wir können da deutlich drei Arten unterscheiden. Die erste Art ist den weißstrahlenden Sternen, zu denen in erster Linie außer der Wega, deren Spektrum Sie hier vor sich sehen, Sirius im Großen Hund, Rigel im Orion, Regulus im Löwen und Altair im Adler gehören. Diese Sterne geben ein fast kontinuierliches Spektrum ohne bemerkliche Unterbrechung durch Linien, sodaß daraus mit ziemlicher Sicherheit gefolgert werden kann, daß diese weißstrahlenden Gestirne sich im höchsten Stadium der Glut befinden müssen, viel höher als dies bei unserer Sonne der Fall ist. Dort müssen alle Stoffe in dampfartigem Zustande sein, sodaß eine Aufsaugung fast gar nicht möglich ist, weshalb nur sehr wenige schwarze Linien im Spektrum zu sehen sind.«
»Die Spektralanalyse ist ja eine wunderbare Wissenschaft!« rief Mary begeistert aus. »... Was uns doch der Lichtstrahl nicht alles verrät!«
Mac Milford lenkte einen Augenblick seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kurs des »Sirius«, verspürte er doch soeben, daß das Fahrzeug ab und zu eine pendelnde Bewegung machte.
Mary Watson wurde aufmerksam. »Der Gang des Fahrzeuges scheint unruhig geworden zu sein, Herr Professor; es hat doch nichts zu bedeuten?«
Der Gelehrte gab nicht gleich eine Antwort darauf. Er betrachtete die einzelnen Teile, welche mit der Antigravitationskathode in enger Verbindung standen; anscheinend gedachte er da die Ursache der Schwankung zu finden. Bald sah man ihn sein graues Haupt schütteln; er schien den Grund der Pendelung nicht gefunden zu haben. »Es ist eigentümlich, sehr eigentümlich ...« murmelte der Alte vor sich hin und drückte auf einen Hebel, wodurch die Kathode, wie es an einer Skala im Innern des Fahrzeuges abzulesen war, um 5 Grad geneigt wurde.
Durch diese Manipulation hörten die Schwankungen des »Sirius« plötzlich auf.
Man sah jetzt, wie der Professor eifrig durch die Fenster die Umgebung des Mondes mit einem Fernglas absuchte. »Es muß ein Himmelskörper in der Nähe sein, dessen Attraktionskraft störend auf mein Vehikel einwirkt; ich kann aber nichts entdecken.«
»Darin glauben Sie also die Ursache der schwankenden Bewegungen unseres »Sirius‹ zu finden?«
»Ich wüßte nicht, wo ich sie anders zu suchen hätte.«
Als Mac Milford nach einer Weile noch immer nichts in nächster Nähe im Weltall zu entdecken vermochte, gab er seine Beobachtungen auf und wandte sich wieder seinem Spektroskop zu. »Wie ich Ihnen schon eben darlegte gruppiert die Wissenschaft die Fixsternspektras in drei Arten. Die erste haben Sie bereits kennen gelernt; jetzt sollen Sie die zweite beobachten.« Bei diesen Worten zeigte der Alte auf einen glänzenden Stern und visierte sein Instrument auf denselben; es war die Capella im Sternbilde des Fuhrmanns.
Bei diesen Worten zeigte der Alte auf einen glänzenden Stern.
Mary erblickte jetzt im Spektroskop wieder jenes farbige Band, welches sie anfänglich schon bei der Sonne beobachtet hatte.
»Wie Sie sehen, ist die zweite Gruppe der Fixsternspektren dem unserer Sonne durchaus ähnlich. Alle gelblich leuchtenden Sterne gehören hierher, in erster Linie unsere Sonne, dann Capella im Fuhrmann und Aldebaran im Stier u. a. m. Etwa ein Drittel aller sichtbaren Sterne am Himmel strahlen im weißgelben Lichte. Wir sehen in ihnen also Sonnen wie die unsrige, in demselben feurigflüssigen Zustande wie diese. Viele der Hauptlinien sind übereinstimmend mit den im Sonnenspektrum auftretenden. Viele Fixsterne sind also über das weißglühende Stadium hinaus und gehen einer langsamen Abkühlung entgegen.«
»Ich wäre nun auch begierig noch die dritte Art jener Spektras kennen zu lernen; wie Sie sehen, interessiert mich die Sache ungeheuer!« rief Mary aus.
»Einer so wißbegierigen Schülerin will ich gern eine weitere Belehrung zuteil werden lassen,« erwiderte lächelnd der große Edinburger Gelehrte und fuhr fort: »Diese Spektren bilden breite schwarze Bänder, die Linien haben sich zu solchen verbreitet, daher ist anzunehmen, daß diese Sterne schon stark in der Abkühlung begriffen sind, also vielleicht Millionen Jahre älter als unsere Sonne sind und bereits eine ausgesprochen dichte Atmosphäre besitzen, dabei aber doch noch Eigenlicht in den Weltenraum ausstrahlen. Es ist der Wissenschaft gelungen, Kohlenwasserstoff, der auch eine große Rolle in unserer Natur spielt, auf jenen Sternen festzustellen. Da die dunklen Absorptionsbänder einmal im roten, das andere Mal im blauen Teile des Spektrums auftreten, so teilt man die Spektra der roten Sterne noch in zwei Unterabteilungen, die jede wieder eine von der anderen verschiedene Atmosphäre bedingt resp. als Ursache hat.«
»Wie sieht es aber mit den Spektras der Nebelflecke aus? So viel mir bekannt ist, sind letztere doch keine festen Himmelskörper?« forschte die junge Schottin weiter.
In diesem Augenblicke fuhr zischend aus einer Aluminiumröhre der Wandung ein Dampfstrahl heraus, der sich zu einer weißen Wolke um die beiden Insassen auflöste. Sofort verspürten diese eine Eiseskälte, und Mac Milford eilte blitzschnell zu der Stelle hin, aus welcher der kalte Strahl herausquoll.
»Um des Himmelswillen, Herr Professor, die Glieder erstarren mir in der fürchterlichen Kälte; was ist geschehen?«
Der Angerufene gab nicht gleich Antwort. Einige Augenblicke später senkte sich die eisige Wolke auf den Boden des Fahrzeuges nieder und Mary sah den Alten, wie er eifrig damit beschäftigt war, eine der an der Wand befindlichen Aluminiumröhren zu umwickeln.
»Die flüssige Luft überrascht uns wie ein Kobold,« meinte jetzt lächelnd der Alte. »Nun das bißchen Kälte wollen wir gleich wegbekommen.« Darauf nahm er einen kleinen Apparat aus der Schublade seines Tisches, verband diesen mittels eines Schlauches mit einem an der Wand des Fahrzeuges befindlichen Hahn, dann befestigte er einen zweiten Schlauch an einen Metallballon, welcher unter dem Tische stand. Darauf entzündete er ein Streichholz und Mary sah nun eine lange blaue Flamme im Apparat aufschießen, deren Hitzestrahlen sie sogleich verspürte.
»Sehen Sie, jetzt werde ich die Nordpolkälte, welche augenblicklich hier herrscht, durch meinen Generator sogleich paralysieren.«
Einige Minuten genügten, um die frühere wohlige Wärme, welche im Fahrzeug geherrscht hatte, wieder zu erzeugen.
»Wir sind doch eigentlich von tausend und abertausend Gefahren umgeben,« meinte Miß Watson.
»Es ist nicht so schlimm, wie Sie sich das vorstellen.«
Mary bemerkte jetzt, daß sich die Wände des Fahrzeuges und die Fenster mit vielen Wassertropfen beschlagen hatten.
»Das bißchen Feuchtigkeit schadet nichts,« ließ sich der Professor vernehmen, »es ist sogar von Vorteil, da sie die Trockenheit der Luft mildert, welche wir hier atmen müssen; das flüssige Fluidum ist eigentlich eine Wohltat für uns, denn sie reinigt von Zeit zu Zeit die durch das Atmen stark verbrauchte Atmosphäre um uns. — Doch nun wollen wir wieder unsere spektralanalytische Untersuchung aufnehmen.« Mit diesen Worten richtete er sein Instrument auf den spiralförmigen Nebel im Sternbilde der Jagdhunde. Dann docierte er weiter: »Das Spektrum der Nebel unterscheidet sich von den Spektras anderer Himmelskörper dadurch, daß es nur aus einigen hellen Linien auf dunklem Grunde besteht, woraus wir schließen müssen, daß die Nebelflecke Ansammlungen von glühenden Gasen sind, vielleicht in Bildung begriffene Welten, die sich später zu weißen Sonnen verdichten. Speziell herrschen unter den Gasen Stickstoff und Wasserstoff vor. Die spektroskopische Untersuchung der Sonnenprotuberanzen, jener ungeheuren, von der Sonnenoberfläche aufsteigenden feurigen Flammenfontänen, hat ergeben, daß sie teils nur aus glühendem Wasserstoff und einem unbekannten zweiten Gase, Helium genannt, bestehen, teils aber neben diesen beiden Gasen noch metallische Dämpfe enthalten. Das Spektrum der Korona, jener Lichtaureole, welche die Sonne als äußerste Umgebung ihrer Photosphäre umgiebt, zeigt neben der Linie des Wasserstoffes noch eine andere grüne Linie, die keinem bekannten irdischen Stoffe angehört; man hat das sie erzeugende Gas Koronium getauft ....«
In diesem Augenblicke unterbrach der Gelehrte seine Rede, denn er verspürte soeben wieder eine schwache Pendelung seines Fahrzeuges.
Der Alte schaute, einen Feldstecher vor das Auge haltend, nun unverwandt auf einen Fleck am Himmel seitwärts vom Monde. Alsdann zog er stillschweigend sein astronomisches Besteck, einen Prismenkreis, hervor und suchte anscheinend einen Punkt im Weltall auf seine Deklination und Rektazension zu messen. — Nach einer Weile schüttelte der Gelehrte den Kopf und stellte wieder eine okulare Betrachtung jenes ihm verdächtigen Punktes im Himmelsraume mit einem größeren Fernrohre an. Mary Watson beobachtete des Alten Gebahren mit sichtlicher Neugierde. — Was mochte er haben? — — Hatte er etwas ungewöhnliches, vielleicht gar etwas gefahrdrohendes entdeckt? — — Bei dem letzten Gedanken wurde es der Schottin schwül zu Mute, wenngleich sie sich in des Professors Händen sicher glaubte.
Der Gelehrte stellte wieder eine okulare Betrachtung an.
Noch immer sprach der Alte nichts. Fortgesetzt maß und rechnete er. — —
Endlich sagte er: »Er ist entdeckt!«
»Wer — was?« frug Mary hastig.
»Ein neuer zweiter Trabant der Erde,« erwiderte feierlich Mac Milford, legte sein Besteck fort und reichte dann seiner Begleiterin den Feldstecher. »Dort — etwa 20 Grad unter dem Mondrande steht ein neues Gestirn ... bitte etwas tiefer ... so, noch etwas mehr nach rechts. — Sie werden jetzt im Fernrohr eine kleine runde, halberleuchtete Scheibe erblicken —.«
»Ja ... eine Kugel — ganz deutlich,« sagte Miß Watson, nachdem sie eine Weile eifrig durch das Fernglas geschaut hatte. »Ein neuer Mond unserer Erde?« frug sie hastig.
»Nichts anderes. Ein Sternchen, dessen Oberfläche kaum soviel Areal haben dürfte, wie die schottische Grafschaft Renfrewshire.«
»Man könnte dann wohl eher sagen, es sei ein Riesenmeteorit?« meinte Mary Watson scherzhaft und schaute unverwandt auf den MiniaturTrabanten der Mutter Erde. »Ob er bewohnt ist?«
»Das möchte ich bezweifeln,« lautete die Antwort. »Von meinem Rechte als Entdecker Gebrauch machend, werde ich jetzt die Taufe an diesem Taschenmöndchen vollziehen — er soll fortan »Liliput« heißen!«
In Mac Milfords Notizbuch konnte man kurz darauf folgendes lesen: »5 h 51 m 2,5 s (17. II.). Entdeckung des Miniaturtrabanten, von mir »Liliput‹
getauft. Deklination 88° 4' 59", Rektaszension 277° 12' 31", Scheinbarer Scheiben
durchmesser: 9,4', Aspekt: Quadratur (letzte).«
Das Möndchen, auf welches der Kurs des Antigravitationsvehikels gerichtet war, nahm von Minute zu Minute bei der Annäherung gewaltig an Durchmesser zu. Bald stand das Gestirn wie ein mächtiger Ball vor den beiden Weltallreisenden. Die an den Polen etwas abgeplattete Mondkugel war infolge ihrer Stellung zur Sonne nur halb beleuchtet; doch konnte man die dunkle Hälfte in ihrem Umrisse mit großer Deutlichkeit erkennen, denn ein aschgraues Licht verbreitete sich über die in Nacht gehüllte Hemisphäre; es war dies der Widerschein, d. h. das von der Erde reflektierte Sonnenlicht.
»Da Liliput eine Atmosphäre hat, so wollen wir ihm einen Besuch abstatten,« sagte Mac Milford.
»Woraus haben Sie das so schnell geschlossen?«
»Weil auf der dunkeln Hemisphäre ein Dämmerlicht herrscht,« lautete die Antwort des scharfsinnigen Gelehrten. »Wäre auf dem Liliput keine Luft vorhanden, so würde seine nicht beleuchtete Hälfte in rabenschwarze Nacht gehüllt sein.« — —
35 Minuten später kam der Sirius dem neuen Monde so nahe, daß seine Insassen die Ringgebirge, Täler und Wasserbecken bis in alle Einzelheiten deutlich unterscheiden konnten. Auch die aus dem Dunkel aufragenden Berggipfel, welche bereits von der Sonne beleuchtet wurden, glänzten wie goldene Punkte auf dem schwarzen Hintergrunde. Schon hatte die Kugel solche Dimensionen angenommen, daß ihre Masse den Hintergrund des Himmels völlig auszufüllen schien.
»Noch 10 Minuten und wir können landen,« sagte Mac Milford, indem er die Antigravitationskathode dem neuen Gestirn entgegenrichtete. Das letztere geschah unter einem Winkel von 66 Grad gegen die Erde hin, um die auf das Vehikel wirkenden beiden Schwerkräfte zu paralysieren.
»Wunderbar — herrlich!« rief die Schottin entzückt aus, je mehr sie sich dem Gestirn näherten. »Wo werden wir landen?«
»Belieben Sie nur zu bestimmen, Miß Watson,« sagte der Alte scherzend. »Auf einem Berggipfel oder in einem Tale, ganz wie es Ihnen paßt.«
»Dann bitte ich zunächst auf einen Berggipfel. Wir würden von einem solchen gewiß eine hübsche Aussicht über die ganze Hemisphäre unseres Liliputgestirnes haben.«
»Ich werde das Vehikel einige tausend Meter über der Oberfläche zum Stillstand bringen; es wird sich dann ein herrliches Panorama aus der Vogelperspektive entrollen. Haben wir uns daran satt gesehen, so landen wir und nehmen im Namen unserer Königin von dem Möndchen feierlichst Besitz.«
»Das ist ein famoser Gedanke! ... Die erste britische Kolonie im Weltall!«
»Auch den Mond werde ich als Besitztum der englischen Krone proklamieren.«
»Die Seleniten als britische Untertanen —, welcher Sterbliche hätte dies je geahnt!« rief Mary Watson enthusiastisch aus und ihre Augen glitten über die neue Welt, deren landschaftliche Details mehr und mehr erkennbar wurden.
»Das lunarische Gebiet werde ich in eine Anzahl Grafschaften teilen und eine genaue geographische Karte entwerfen, um dieselbe bei unserer Rückkehr der Königin in London persönlich zu unterbreiten.«
»England wird Sie als Vizekönig der gesamten Weltallkolonien einsetzen ....«
»Diese Stellung werde ich ausschlagen müssen; meine Wissenschaft nimmt mich völlig in Anspruch ... einstweilen residiert mein Diener drüben, der wird sich der Sache schon annehmen; der Sauertopf ist zwar nicht der beste Vertreter der englischen Krone und dürfte den Herren Seleniten kaum imponieren.«
»Wenn der arme Bursche nur den Mond lebendig erreicht hat ....«
»Sehen Sie dort!« unterbrach sie Mac Milford und zeigte auf einen hohen Berggipfel des Liliput.
»Ein Vulkan?« rief die Schottin erstaunt fragend aus. »Wahrhaftig! diese Feuersäule!«
»Merkwürdig — sehr merkwürdig ...« murmelte der Alte und nahm seinen Feldstecher zur Hand.
Näher und näher kam der »Sirius« dem Miniaturtrabanten, und ein scharfes Auge konnte deutlich eine hochaufwirbelnde Rauchsäule erkennen; diese schien entschieden einem Vulkane zu entsteigen.
»Wollen Sie die Schnelligkeit unseres Fahrzeuges nicht etwas vermindern? — Wir kommen bereits in so bedenkliche Nähe, daß uns leicht ein Unfall passieren kann,« meinte die Schottin etwas ängstlich.
»Befürchten Sie nichts, Miß Watson, unser Vehikel wird in einem Abstande von einem Kilometer plötzlich den Kurs ändern und seinen Weg über Berg und Täler hinweg rund um diese kleine Welt nehmen,« beruhigte sie der Professor und machte sich mit dem Richten der Antigravitationskathode zu schaffen.
»Ein Zerschmettern wäre doch schrecklich! — Wie leicht könnte die Stärke der Anziehungskraft dieses Gestirnes im Verhältnis eine viel stärkere als die der Erde sein, womit alle unsere Berechnungen einer glücklichen Landung zu Schanden gemacht werden würden.«
»Machen Sie sich keine Sorge, Verehrteste, die Gesetze der Gravitation sind im Weltall überall die gleichen; die Anziehungskraft dieses winzigen Himmelskörperchens muß eine so außerordentlich geringe sein, daß dort ein Mensch mit Leichtigkeit vom Boden auf das Dach eines vierstöckigen Hauses springen könnte.«
»Gut, wenn ich auch an der Einheit der Weltallgesetze nicht zweifeln will, wie leicht aber könnte im letzten Augenblick die Kathode unseres Fahrzeuges ihren Dienst versagen.«
»Wenn das auch der Fall wäre, so würden wir doch nur ganz langsam zum Boden herniedergleiten, da der Trabant eine sehr dichte Atmosphäre zu haben scheint, welche die Fahrgeschwindigkeit unseres Vehikels außerordentlich hemmen dürfte.«
In der Tat war die Bewegung des »Sirius« jetzt eine geringe, sie mochte sich auf kaum 70 Kilometer pro Stunde belaufen, also etwa die Geschwindigkeit eines deutschen Expreßzuges haben. — Richtig, wie vorausberechnet, machte das Fahrzeug in ungefähr tausend Meter Höhe eine Schwenkung nach links und glitt hoch über den Landschaften Liliputs dahin.
Somit begann die Fahrt um den Miniaturmondball.
Dem Anblick der beiden Reisenden bot sich jetzt ein eigenartiges Bild.
Dem Anblick der beiden Reisenden bot sich jetzt ein eigenartiges Bild.
Gar viele tausende, oft nur haushohe Krater bedeckten die Oberfläche, deren schwarze Schlünde ihnen wie die gefahrdrohenden Öffnungen unzähliger Kanonen entgegengähnten. Bäche und Wasserbecken sah man allerorten zwischen den Bergen liegen; ein großes Gewässer schien nirgends vorhanden zu sein. Wenn jemand zu Fuß eine Reise um dieses Gestirn hätte machen wollen, so hätte derselbe von einem Krater zum andern hinüberspringen müssen, was gar nicht so unmöglich erscheint, wenn man die geringe Schwerkraft in Betracht zieht, derzufolge ein Mensch mit großer Leichtigkeit zwanzig Meter weit springen kann.
Ringgebirge, Kraterberge, Täler und Wasserläufe, alles en miniature, boten dem Auge des Beschauers ein hochinteressantes Bild.
»Jetzt sind wir im Bereiche der Atmosphäre und dürfen es wagen, die Deckenluke unseres Fahrzeuges zu öffnen.«
»Wird die Lufthülle dieses Gestirns auch die gleiche Zusammensetzung wie die der Erdatmosphäre haben, ich meine die richtigen Prozentsätze von Sauerstoff und Stickstoff?«
»Ich vermute dies; es ist jedoch möglich, daß sie zu dünn oder zu dicht für menschliche Lungen ist — nun, die größere Dichte wäre schon zu ertragen; wir vermögen ganz gut unter einem Luftdruck von 2 bis 3 Atmosphären zu atmen.«
»Ohne Schaden für die Gesundheit?«
»Ohne Schaden —« erwiderte der alte Gelehrte.
Mit einer Geschwindigkeit von etwa 500 Meter pro Minute fuhr das Vehikel über das Kraterchaos dahin. Bisher hatte es jeden Berggipfel noch unter sich gelassen — es schien, als wenn die Höhen durchweg nur einige hundert Meter erreichten. Doch bald sollte sich das Bild ändern. Die in Nacht gehüllte Hemisphäre Liliputs mußte weit höhere Erhebungen haben, denn sonst hätte die für diese Zone noch lange nicht aufgehende Sonne sicher nicht die Gipfel mehrerer Berge schon so früh vergoldet.
»Sogleich werden wir an die Grenze gelangen, wo Tag und Nacht, Licht und Dunkel sich berühren,« sagte der Professor und zeigte auf die Nachtseite des Mondes.
»Wir wollen es wagen, im Finstern zu fahren?« frug Mary Watson — »könnte da nicht ein Unglück passieren?«
»Das reflektierte Erdenlicht wird genügend Helligkeit verbreiten, stärker als auf Erden das helle Vollmondlicht.«
Wenige Minuten darauf tauchte das Fahrzeug in das Reich der Finsternis — und fuhr im gleichen schnellen Tempo, trotzdem die Erde für die Gegend, in deren Lüften es kreuzte, noch nicht aufgegangen war.
Bald schien es den Insassen, als ob die Lichtpünktchen, welche die Berggipfel bezeichneten, verschwänden. Pechschwarze Finsternis innerhalb und außerhalb des Vehikels.
Mac Milford setzte seine Taschenlaterne in Tätigkeit, und beim Scheine derselben bemerkte er, daß die Strahlen des Lichtes auf eine weißliche Wand hinter den Glasscheiben auftrafen.
»Wolken! ...« rief der Alte überrascht aus.
»Wolken? ...« wiederholte die Schottin und sah, daß die Hartglasscheiben wie von einem Nebelschleier bedeckt waren. — —
Plötzlich ... ein gewaltiger Stoß ... ein Ruck, der das Vehikel mehrere Male um seine eigene Achse drehen ließ. Die Insassen waren zu Boden geschleudert worden und lagen betäubt da, ohne einen Laut von sich zu geben.
Was war passiert? ... Als der alte Gelehrte wieder zur Besinnung kam, bemerkte er, daß sich die Spitze des Vehikels tief in einen aus lockerem Gestein bestehenden Felsgipfel eingebohrt hatte, und daß keine Aussicht vorhanden war, sich sogleich aus dieser Lage zu befreien.
Auch die Schottin kam bald wieder zu sich und erkannte mit Schrecken, daß sie hier Schiffbruch gelitten hatten.
»Wer hätte geglaubt, daß auf diesem Taschenmöndchen solche hohen Berggipfel sind,« meinte Mac Milford und machte sich eifrig damit zu schaffen, die Lage der Dinge genau zu untersuchen. Er öffnete die Luke. Eine bitterkalte, dünne Luft drang herein — doch ein Trost, die Lungen vertrugen sie. Die Temperatur im Vehikel sank, wie das Weingeistthermometer anzeigte, jetzt schnell auf 35° C. Kälte. Mary Watson schauerte zusammen. Der Alte griff mit der Hand durch die Luke, bröckelte etwas Gestein von der Felswand und betrachtete es beim Schein der Laterne.
»Lava ... vulkanische Bomben und Lapilli,« murmelte er vor sich hin.
Mary schloß inzwischen die Luke wieder, um die furchtbare Außenkälte abzuhalten.
»Wir sitzen am Rande eines Kraterschlundes fest!« rief jetzt der Alte laut.
»Wie kommen wir wieder los?«
»Es wird wohl einige Mühe kosten; zunächst müssen wir den Tag abwarten, denn in der großen Kälte werden wir nicht das geringste unternehmen können.«
»Und wann wird die Sonne für diesen Mondstrich aufgehen?« frug Miß Watson etwas entmutigt.
Der Professor rechnete einen Augenblick nach und sagte dann: »Leider erst in 6 Tagen, d. h. in etwa 140 Stunden. Wir müssen uns solange gedulden und uns in das Unabänderliche fügen.«
»Können wir nicht wenigstens den Versuch machen, uns jetzt schon aus dieser entsetzlichen Lage zu befreien? Ist das Gestein, in welches sich unser Fahrzeug festgefahren hat, besonders hart?«
»Im Gegenteil, weich — meist ist es Gekröselava, Asche, Sand und sonstiges lockeres Material.«
Mac Milford hatte die letzten Worte kaum ausgesprochen, als ein furchtbares Getöse vernehmbar wurde. Einem schrecklichen Donnerrollen folgte ein feuriger Lichtschein, der durch die Glasscheiben hindurch das Innere des Vehikels grellrot erleuchtete. Darauf wieder ein gewaltiges Krachen und Poltern, als wenn tausende von Steinen an die Wände des Fahrzeuges aufprallten.
»Entsetzlich!« rief die Schottin aus und sah angstvoll auf den Alten, der sich nicht rührte.
»Ein Vulkanausbruch, ... hoffentlich geht's gut ab,« sagte dieser gelassen und drehte an einer Kurbel.
Wie aus einem Schlunde brachen feurige Ströme und Glutmassen aus dem Krater heraus, und es war ein Wunder, daß das Vehikel nicht mit in die Luft flog. — — Da ... ein furchtbarer Stoß, ein Poltern ... Donnerkrachen, und der »Sirius« sank in den schwarzen Abgrund des Kraters hinab.
Der Absturz des »Sirius« in den Schlund eines Kraters auf dem Liliputmond
Weit über hundert Meter tief war das Vehikel mitsamt seinen Insassen hinabgestürzt. Diese unfreiwillige Rutschpartie hatte zur Folge gehabt, daß Mary Watson vor Schreck in eine Ohnmacht verfiel, aus der sie zu erwecken sich Mac Milford eine Weile vergeblich bemühte.
Bei dem matten Scheine der Taschenlaterne, die zum Glück unversehrt geblieben war, vermochte der Professor eben zu erkennen, daß seine Gefährtin eine Wunde am Kopfe erhalten hatte, welche nicht unerheblich zu sein schien, denn das Blut sickerte aus derselben andauernd hervor. Eilig suchte der Alte nach seinem Verbandskasten, den er für alle Fälle mit auf die Weltreise genommen hatte. Da nun alles, was nicht niet- und nagelfest war, ein wirres Durcheinander bildete, so hatte der Professor ziemliche Mühe, ehe er das Gesuchte fand.
»Mein Himmel! was ist geschehen? ... Wo bin ich? ...« sagte Mary als sie plötzlich zum Bewußsein kam.
»Befürchten Sie nichts ... wir sind ein wenig in die Tiefe eines kleinen Kraters gestürzt ....«
»Ich blute ...«
»Sie haben eine Kopfwunde erhalten ... schon suche ich nach dem Verbandszeug ... hier ist es ... so, nun wollen wir den Kopf etwas verbinden ....«
Mac Milford legte der Verletzten einen Notverband an und half ihr dann wieder auf die Füße.
»Hat das Fahrzeug auch eine Kontusion erlitten?«
»Ich habe es noch nicht untersucht — hoffentlich nicht.«
»Haben Sie nötigenfalls Reparaturwerkzeuge zur Hand?«
»Damit sind wir reichlich versehen ....«
»Ein Glück für uns!«
Eine eingehende Besichtigung des Vehikels ließ seinen Besitzer erkennen, daß verschiedene Reparaturen notwendig sein würden, falls das Fahrzeug wieder in flotten Zustand kommen sollte.
Unverzüglich begann er darum mit der Arbeit. Bei der unzureichenden Helligkeit ging die Ausbesserung nur langsam von statten, wenngleich Mary Watsons Zustand es zuließ, daß sie mit Hand anlegen konnte.
»Die inneren Schäden wären kuriert, jetzt wollen wir einmal zusehen, wie die Sachen auf der Außenseite stehen ... hoffentlich ist die Kathode unversehrt.«
»Was aber dann, wenn dieselbe zerschmettert ist, ... der Absturz ist doch ein gewaltiger gewesen ....«
»Mit der Zertrümmerung der Kathode wäre unser beider Schicksal beschlossen; wir würden eine Robinsonade auf einer erdfernen Scholle im Weltall beginnen ....«
»Ohne eine Hoffnung die irdische Welt jemals wiederzusehen?«
»Wir müßten alle Hoffnung darauf begraben.«
»Schöne Aussichten, mein werter Herr Professor.«
»Trösten Sie sich. Die Kathode ist aus bestem Huntmanstahl hergestellt und daher schwerlich durch den Fall zerbrochen; eine Verbiegung ließe sich mit meinem Werkzeuge schon wieder beseitigen.«
»Wollen Sie allein aussteigen?«
»Zunächst, ja.«
Mac Milford verließ nach diesen Worten das Vehikel und betrat vorsichtig unter Mitnahme der Laterne den Boden des Kraters. Durch die geöffnete Luke drang eine heiße Luft in das Fahrzeug, daneben machte sich noch ein scharfer widerlicher Geruch, der von Schwefeldämpfen, welche dem Krater entströmten, herzurühren schien, bemerkbar.
»Wie sieht es aus, Herr Professor?« rief Mary Watson durch die Luke hinaus.
»Freuen Sie sich! Alles heil ... nur eine kleine Verbiegung ... ich wußte es ja ....«
»Dem Himmel sei Dank!«
»Bei dem Lichte meiner Laterne werde ich die Reparatur aber schlecht vornehmen können; wir müssen versuchen, den Scheinwerfer wieder in Funktion zu setzen.«
»Soll ich auf den Schaltkontakt drücken?« rief Miß Watson, indem sie mit halbem Körper übergelehnt oben aus der Einsteigluke herabschaute.
»Es geht nicht, Beste; ich muß zunächst das Vehikel in eine andere Lage zu bringen versuchen, denn der Scheinwerfer ist direkt gegen den Boden gerichtet.« Bei diesen Worten versuchte der Professor das Fahrzeug so zu heben, daß es wieder in eine horizontale Lage kam.
»Lassen Sie mich helfen,« ließ sich Mary vernehmen.
»Bleiben Sie bitte, es ist mir schon gelungen; noch ein wenig ... sehen Sie, jetzt habe ich den Scheinwerfer frei.«
Es war dem Alten gelungen, das Vehikel wieder auf seine Basis zu stellen.
»Teufel, der Scheinwerfer scheint nicht mehr intakt zu sein!«
»Zerschmettert?« — »Die Poldrähte sind zerrissen!«
»Was nun?« frug Mary ängstlich zurück.
»Wir müssen die Reservedrähte benutzen. Bitte reichen Sir mir doch dieselben heraus; sie sind in einem Päckchen verschnürt, welches die Buchstaben R.P.D. als Aufschrift trägt ... Sie werden es in dem kleinen Montagekasten unter dem Fluidkompaß finden.«
Mary beeilte sich das Gewünschte herbeizuschaffen.
Die intensiven Schwefeldämpfe, welche dem Kraterboden in nächster Nähe entstiegen, hatten auch bald ihren Weg durch die geöffnete Luke in das Fahrzeug gefunden; der scharfe Dunst reizte Marys Luftröhre derart, daß sie fortgesetzt hüstelte. Auch der Professor räusperte sich zu wiederholten Malen und die heiße Luft trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirn.
Nachdem die Reservedrähte an Stelle der zerrissenen eingesetzt waren, meinte der Alte, daß der Scheinwerfer jetzt wohl wieder funktionieren dürfte.
Mit des Professors Zustimmung setzte Mary den Reflektor in Tätigkeit. Strahlend ergoß sich jetzt eine Helle durch den Kraterschlund.
Nunmehr ging Mac Milford daran, die Kathode, welche durch den Sturz etwas zur Seite gebogen war, auszubessern; er fand auch noch sonstige kleine Schäden, welche durch seine geübte Hand und sein Geschick ebenfalls beseitigt wurden. Als die Reparaturen, welche mehrere Stunden in Anspruch genommen hatten, beendet waren, bestieg der Alte wieder sein Gefährt und versuchte einen Aufstieg. Doch er vermochte das Vehikel nicht von der Stelle zu bringen. Wohl summten und surrten die Apparate wie sonst, und die Hebel gehorchten jedem Griffe, aber nicht einen Zoll erhob sich der »Sirius« vom Boden.
»... hm ... hm ...« hörte man von den Lippen des alten Gelehrten, der seine Stirn in Falten zog, ertönen.
Mary Watson wurde wieder ängstlich. »Was ist's?«
Mac Milford überhörte die Frage. Sein prüfendes Auge glitt bald hier hin, bald dort hin, aber er vermochte nichts zu entdecken, was die Störung des Getriebes hätte erklären können.
Unmutig sah Mary ihren Reisekollegen an. »Es muß doch wohl noch ein Defekt vorhanden sein, nicht wahr?« frug sie.
»Ein Defekt? — Ja und nein ... hm ... sonderbar; sonst ist alles in bester Ordnung. Ich kann nichts entdecken, was etwa noch fehlerhaft wäre.«
»Schließlich bleiben wir hier ganz sitzen, oder meinen Sie, daß ...«
»An dem Vehikel scheint's nicht zu liegen, es muß etwas anderes vorhanden sein, das unsern Aufstieg verhindert.«
»Und Sie haben keine Ahnung, was?«
»Keine ... ich sinne eben ...«
»Soll ich nicht vorläufig die Luke schließen? Die Dünste, welche hereindringen, sind wahrhaft erstickend,« meinte Mary hustend und zog ihr Riechflacon hervor.
»Ja, wir wollen schließen.« Sogleich stieg der Alte hinauf und verschloß die Öffnung. »Ich vermute bald, daß wir das Hindernis nicht in unserem Fahrzeug, sondern außerhalb desselben zu suchen haben. Sollte hier auf diesem Liliputmond die Gravitation eine stärkere sein, als das Gesetz der Schwerkraft es zuläßt? Schon der unvermutete Absturz gab mir zu denken, ich kann ihn mir bis jetzt noch nicht erklären.«
»War er ein so unnatürliches Geschehnis?« frug Mary.
»Für mich ja,« lautete die Antwort. »Da der »Liliput‹ nach meiner oberflächlichen Schätzung kaum den hundertsten Teil des Volumens unseres Erdmondes besitzt, so müßte demzufolge auch die Schwerkraft auf ihm eine viel geringere sein und doch merkte ich draußen bei der Reparatur nichts davon.«
»Wie wäre es bemerkbar gewesen?«
»Sehr einfach — eine geringere Schwerkraft als wie die irdische, hätte mich befähigt statt einen Meter, deren mehrere Meter hoch zu springen; jeder Schritt wäre ein geflügelter gewesen.«
»Und davon verspürten Sie vorhin nichts?«
»Eine leichtere Bewegung ist mir wenigstens nicht gerade aufgefallen —, ich hätte sie auch merken müssen; jeder Hammerschlag hätte dies schon verraten. Es muß also hier wohl, trotzdem Liliput um vieles, vieles kleiner ist als Mutter Erde, die Gravitation von der tellurischen nicht verschieden sein —, vielleicht ist sie sogar eine erheblich gesteigerte, denn sie scheint unser Vehikel geradezu festzuhalten?«
»Was soll dann aber aus uns werden?« ließ sich Mary Watson vernehmen.
»Wenn es mir nicht gelingt, die starke Attraktionskraft mit Hülfe meiner Antigravitationskathode zu überwinden, so werden wir wohl hier auf dieser Weltscholle eine Robinsonade durchleben müssen,« gab der alte Gelehrte lächelnd zur Antwort.
»Das wäre wohl interessant, aber doch wohl recht fatal,« meinte seine Reisegefährtin. »Warum mußten wir auch schon hier Schiffbruch erleiden!«
»Wer hätte dies ahnen können; nach meinen wissenschaftlichen Berechnungen konnte unserer Universumfahrt ein solches Fiasko nicht beschieden sein.«
Von neuem machte sich Mac Milford daran, nochmals alle Teile seines Fahrzeuges gründlich zu besichtigen; fand er auch hier und da noch eine kleine Unordnung, so war deren Beseitigung doch nicht von irgendwelchem Einfluß, der die Funktion des Vehikels wieder in seine alten Bahnen lenkte.
Wiederum stieg der Alte aus dem Fahrzeug und begann außerhalb desselben eine neue Revision. Noch eifrig damit beschäftigt, die Kathode so zu richten, daß sie ihr antimagnetisches Fluidum direkt gegen den Boden wirken ließ, hörte er ein dumpfes Grollen, ein fernes Donnerrollen, welches aus der Tiefe heraufdrang.
Schon fuhr auch Miß Marys Kopf oben aus der Luke heraus und die hastige Frage ertönte: »Um Himmelswillen, Professor, der Vulkan wird uns ausspeien!«
»Täte er es nur,« gab der Alte unerschüttert zurück, »dann kämen wir wenigstens aus diesem verteufelten Gefängnis heraus. Im übrigen wird er uns wohl den Gefallen nicht tun.«
Die Schwefeldämpfe stiegen jetzt intensiver aus dem Boden auf; gleich kerzengraden Dampfsäulen strebten sie gen oben. Das Getöse nahm von Minute zu Minute zu; es hatte wahrhaftig den Anschein, als stände ein Vulkanausbruch bevor.
Mac Milford gab die Besichtigung seines Vehikels einige Augenblicke auf und betrachtete seine Umgebung. Sein Blick fiel auf einige seitwärts in die Tiefe verlaufende, stollenartige Gänge. Im Begriff, einen Blick in den nächs ten derselben zu werfen, brach an einer Stelle des Vulkanbodens eine geysirartige Sprudelquelle hervor, welche gleich den Schwefeldampfsäulen hoch hinaufschoß, im Nu alles mit einem feinen Sprühregen bedeckend. Der alte Gelehrte flüchtete, schutzsuchend, in einen der Stollen, indem er hastig seiner Gefährtin zurief, sie solle die Luke schließen.
Der alte Gelehrte flüchtete schutzsuchend in einen der Stollen.
Die Angerufene folgte der Weisung ihres Gefährten und bald darauf wurde ihr Kopf am Fenster des Vehikels sichtbar. Ihre Augen suchten Mac Milford; sie vermochte ihn aber nicht zu entdecken, da der Sprudelregen die Hartglasscheiben, durch welche sie schaute, mit einem feuchten Schleier überzog, welcher jeden Ausblick verhinderte. Ängstlich harrte Mary darauf, was die nächsten Minuten noch bringen würden, fürchtete sie doch das Schlimmste.
Der vulkanische Geysir schoß in armesdickem Strahle unausgesetzt empor, den Boden bald in eine Lache verwandelnd. Das eindringende Wasser zwang den Gelehrten, in seinem Stollen mehr und mehr zurückzuweichen, wollte er nicht, daß die kochende Gischt seine Füße verbrühe. Die Situation war für den Alten eine verzweifelte. Seiner Gefährtin konnten die heißen Wassermassen nichts antun, sie saß wohlgeborgen in ihrem hermetisch verschlossenen Fahrzeug; aber er, was sollte er tun, wenn er noch weiter in dem dunkeln Gange zurückflüchten mußte?
Schon war Mac Milford fast fünfzig Schritte in dem steinigen Stollen zurückgewichen, als er mehr und mehr aus dem Bereich des Scheinwerfers kam und ihn bald völlige Dunkelheit umschließen mußte. Die Lage war eine sehr kritische.
Indessen versuchte Mary Watson die Luke des Vehikels wieder zu öffnen. Tausend feine, heiße Wassertröpfchen begrüßten sie, als sie durch die Luke schaute und vergeblich nach ihrem Gefährten rief. Keine Antwort. Das fortgesetzte Donnerrollen erstickte ihre Stimme fast ganz; der Professor hätte sie wohl auch, so weit entfernt, kaum hören können. Das unausgesetzt hereindringende Wasser nötigte Mary, die Luke wieder zu schließen.
Zum Glück war der Stollen, in dem sich der Professor befand, nicht abschüssig, sondern schien vom Kraterschlunde aus allmählich zu steigen, sodaß die heiße Flut nur langsam vordrang. Nach Mac Milfords Meinung mußte die hervorgebrochene vulkanische Quelle schon so viel Wassermassen zu Tage gefördert haben, daß das Vehikel wohl bereits von demselben überschwemmt sein mußte. In Wirklichkeit aber hatte sich die Sache anders gestaltet. Das Fahrzeug war durch das steigende Wasser plötzlich gehoben worden und schwamm wie ein Kork auf der Lache. Die Strahlen des elektrischen Scheinwerfers brachen sich in dem aufschießenden Strahle des Sprudelquelles und boten so einen wundersamen Anblick, dem Mary Watson gewiß großes Interesse entgegengebracht hätte, wenn sie nicht in steter Angst um den Professor schwebte; so blieb also das magische Schauspiel ungewürdigt.
Als Mac Milford die hinter ihm liegende Strecke des Stollens weiter beschritt, bemerkte er urplötzlich einen schmalen Lichtstreif in der Ferne, welcher am Ende des Ganges zu liegen schien. Wie ein Blitz tauchte es in ihm auf, daß dort ein Weg ins Freie sein könnte und eilig lenkte er seine Schritte nach jenem Punkte hin. Von Minute zu Minute wurde die vor ihm liegende Strecke heller und der Lichtstreif in der Ferne größer. Es war wirklich ein Ausgang, der aus dem Vulkane aufwärts ins Freie führte.
Als Mac Milford durch die fast meterbreite Felsenspalte hinausschlüpfte, begrüßte ihn draußen eine tropische Landschaft. Zahllose Sigillarien- und Schachtelhalmbäume bedeckten einen mit üppigem Gras überwucherten Sumpfboden. Ein einziger erster Blick über die Landschaft, in der er sich befand, überzeugte den Gelehrten, daß er sich in einer vorsintflutlichen Flora befand. Als er sich umwendete, gähnte ihm in nächster Nähe der Rachen eines Ichthyosauriers entgegen. Mit einem Sprunge brachte sich der Alte aus der Nachbarschaft dieses Riesenreptils. Sein prüfender Blick glitt dann zu dem Vulkane empor, an dessen Fuße er sich befand. Jetzt galt es zunächst zum Rande des Kraterkessels emporzusteigen und sich wieder mit seiner Gefährtin in Verbindung zu setzen. Behend eilte Mac Milford die mit Lavamassen und Bimssteinstücken übersäte Anhöhe hinauf. Die Kletterpartie dauerte keine Viertelstunde. Als der Alte oben am Rande des Kraterkessels stand, konnte er infolge der noch aufsteigenden Schwefeldämpfe nicht in die Tiefe blicken. Zu seiner Freude bemerkte er jedoch, daß der heiße Sprudelquell versiecht sein mußte. — Der Professor rief nun mit Stentorstimme hinab: »Miß Watson!«
Keine Antwort erfolgte. Nichts als ein leises, dumpfes Donnerrollen war vernehmbar.
Ob seine Gefährtin die Luke des Fahrzeuges geschlossen hielt? Dann freilich würden seine Rufe ungehört verhallen. —
Abermals brüllte er mit aller Kraft seiner Lunge den Namen seiner Gefährtin in den Schlund hinab; alsdann lauschte er mit angestrengtem Ohre.
»O, wo sind Sie!« ertönte es von unten.
»Über Ihnen auf dem Kraterrande, Miß Watson!«
»Was soll ich nun beginnen?« rief die Schottin aus der Tiefe herauf.
»Wie sieht es unten aus?«
»Das Vehikel schwimmt auf dem immer höher steigenden Wasser,« gab die Angeredete als Antwort zurück.
»Versuchen Sie es doch, das Vehikel zum Steigen zu bringen, vielleicht gelingt es!« rief der Alte hinab.
Darauf erfolgte keine weitere Antwort, aber nach einigen Minuten vernahm der Obenstehende das ihm wohlbekannte Geräusch seines Fahrzeuges und bemerkte den grellen Lichtschein des Reflektors. Gleichzeitig ertönte Marys Stimme: »Es geht ... wahrhaftig, es geht! ... Sehen Sie, Herr Professor, da bin ich schon!«
Als diese Worte an des Alten Ohr drangen, sah er auch bereits die Umrisse seines Fahrzeuges, welches aus dem Schwefeldunst aufstieg.
Hocherfreut streckte der Professor seine Arme in die Luft und rief: »Das nenne ich Glück! ... Nun dirigieren Sie das Fahrzeug hinab an den Abhang dieses Berges; Sie wissen ja mit den nötigen Griffen an den verschiedenen Hebeln Bescheid.«
Wie ein Phönix stieg das Fahrzeug aus dem dampfenden Schlunde herauf und senkte sich zur Ebene hernieder, wobei es aber mit den Wipfeln zweier Schuppenbäume in unliebsame Berührung kam.
Das Fahrzeug senkte sich zur Ebene hernieder, wobei es aber mit
den Wipfeln zweier Schuppenbäume in unliebsame Berührung kam.
Des Professors Fahrzeug verrichtete ganz wie sonst seine Funktion, doch schien es seinem Besitzer als wenn es fortgesetzt kaum merkliche schwache Pendelungen mache; noch ehe es die Ebene unten berührte kreiste es einmal wie im Taumel um sich selbst. Mary war gerade im Begriff auszusteigen als plötzlich ein Gewitter losbrach, welches Mac Milford zwang in seinem Vehikel Schutz vor den ungeheuren Regenmassen zu suchen.
»Ein Unwetter von solcher Heftigkeit habe ich noch nie gesehen,« meinte der Alte und verschloß die Luke über sich.
Bald waren es violette, bald intensiv grüne oder blendend weiße Blitzstrahlen, welche in grellem Lichte das Innere des Fahrzeuges erhellten.
Die Donnerschläge folgten so unaufhaltsam hintereinander, daß die beiden Erdenbewohner meinen konnten, sie hörten die unausgesetzte Kanonade einer Völkerschlacht an. Dazu herrschte ein Orkan von solcher Kraft, daß das Vehikel mehr als einmal auf die Seite geworfen wurde und sein Besitzer sich dann veranlaßt sah, die AuftriebApparate in Tätigkeit zu setzen. Er ließ das Vehikel sich ein wenig vom Boden erheben und brachte es so stets wieder in seine richtige Lage.
Durch die Hartglasscheiben konnte Mary das furchtbare Naturereignis, welches sich in ihrer Umgebung abspielte, ohne Gefahr betrachten. Mancher Blitzstrahl spaltete den einen oder anderen der in nächster Nähe stehenden Schuppenbäume, und bald war durch den Regenguß, dessen Tropfen Taubeneigröße hatten, alles ringsumher in einen See verwandelt.
»Aber, bester Herr Professor, nun erzählen Sie doch, wie kamen Sie eigentlich aus dem Vulkan heraus?«
Der Alte berichtete jetzt, wie ihm das gelungen war.
»Währenddessen saß ich halbverzweifelt unten und wußte weder aus noch ein. Das Fahrzeug gondelte auf dem kochenden Wasser des Kraterschlundes umher und stieß bald hier bald dort an. Ich glaubte schon bestimmt mein letztes Stündlein gekommen zu sehen und war bereits der festen Meinung, daß Sie verunglückt seien.«
»Sie sehen, es ist wieder einmal alles gut abgelaufen ... freilich, hätte jener Gang, in den ich mich geflüchtet hatte, keinen Ausweg ins Freie gehabt, so hätte ich wohl oder übel ertrinken müssen; ich wäre in dem heißen Wasser wie ein Krebs gesotten worden.«
Als sich das Unwetter gelegt hatte, verliefen sich die Gewässer, welche den Boden überschwemmten, schnell und bald prangte wieder ein azurblauer Äther über der Gegend.
Mac Milford und seine Gefährtin verließen nun das Vehikel und als Mary zum ersten Male die jetzt wieder im heißen Sonnenschein liegende Gegend betrachtete, brach sie in Rufe der Bewunderung aus.
»Sehen Sie nur, Herr Professor, diese seltsamen Gewächse!«
»Es sind Sigillarien und Schuppenbäume ... was Sie dort hinten erblicken, sind Riesenfarne.«
»Wunderbar! Und was ist das für ein merkwürdiges Tier dort?« Die Schottin zeigte auf einen Vogel, welcher sich soeben in der Nähe niedergelassen hatte.
»Das ist ein Urvogel, so eine Art Archaeopteryx. Sie müssen nämlich wissen, daß auf diesem Gestirn noch die vorsintflutliche Zeit herrscht und zwar die Diluvialperiode. Sie werden hier noch viele seltsame Tiere und Pflanzen zu sehen bekommen, wenn wir einen Marsch auf dieser kleinen Weltkugel unternehmen.«
»Sie sprachen vorhin davon, daß die Schwerkraft auf diesem Möndchen eine viel geringere sein müßte, ich verspüre aber auch keine größere Leichtigkeit im Gange.«
»Hm ... hm ... merkwürdig, nach astronomischer Berechnung müßte die Gravitation hier eigentlich etwa eine zehnmal schwächere sein, als die tellurische.« Bei diesen Worten versuchte der Alte einen Sprung in die Luft zu machen, kam aber dabei nicht höher, als wie er es auf der Erde auch gekommen wäre.
»Ja, ja, eine frühere Vermutung von mir scheint sich zu bestätigen; ich habe es stets bezweifelt, wenn die Wissenschaft behauptete, daß die Bewohner anderer, um vieles kleinerer Gestirne als die Erde mit Leichtigkeit viele Meter hoch springen könnten. Der Schöpfer aller Welten hat wohlweislich die Naturgesetze überall gleich geregelt.«
»Wie soll ich das verstehen?« frug Mary.
»Nun,« fuhr der Alte fort, »ich meine damit, daß die Schwerkraft auf allen Himmelskörpern, seien sie riesengroß oder winzig klein, dieselbe ist, nur werden die Geschöpfe im Verhältnis zur Größe des Gestirns, auf dem sie leben, eine entsprechende Größe besitzen.«
»Ach, diese tropische Pracht hier ist entzückend!«
»Wir wollen jetzt zum ersten Male wieder einige frische Früchte genießen; dort an jenem Gewächs scheint eine saftreiche Frucht zu hängen, ähnlich einer Ananas.« Bei diesen Worten schritt der Gelehrte zu einer niedrigen Staude hin und pflückte eine der faustgroßen Früchte, welche mit Stacheln besetzt war, ab, öffnete diese mit seinem Taschenmesser und fand, daß sie ungemein saftig war. Er kostete davon. »Prachtvoll!« ließ er sich dann mit schnalzender Zunge vernehmen. »Bitte probieren Sie doch,« damit reichte er seiner Gefährtin die Hälfte der Frucht hin.
»Aber um Himmelswillen, sie wird doch nicht giftig sein?«
»Nein, seien Sie dessen fest versichert, solche köstlichen Früchte hat der Schöpfer nicht als giftige geschaffen.«
»Der Schöpfer? Glauben Sie eigentlich an einen solchen?« frug Mary und sah den Professor neugierig an.
»Hm ... ja und nein; das ist eine Frage, Beste, welche ich nur unter langen Erörterungen beantworten könnte.«
Die Schottin erquickte sich unterdessen an der Frucht, wobei sie sich verschiedene Male die zarten Finger mit den Stacheln ritzte.
Die Sonne stand senkrecht über den Häuptern der beiden und sandte glühende Strahlen auf die sumpfige Waldlandschaft, in der sich unsere Reisenden befanden, hernieder. Dadurch, daß die Gegend so ungemein feucht war, wurde die Sonnenhitze aber erheblich abgeschwächt. Zur Milderung herrschte auch fortgesetzt ein kräftig wehender Luftzug.
»Ich wette,« sagte der Professor, »daß es hier auf dem Gestirn niemals Windstille giebt.«
»So?« rief die Schottin. »Herr Professor, wagen Sie da nicht eine etwas kühne Behauptung? Woraus folgern Sie dies?«
»Daraus, daß dieses Gestirn noch nicht in dem Stadium ist, in dem sich jetzt die Erde befindet, daß es also eine noch viel schnellere Rotation besitzt, zufolge dessen die Lufthülle stark beunruhigt wird.«
Mac Milford schlug jetzt vor, eine Wanderung auf dieser Miniaturwelt anzutreten und frug, ob seine Reisegefährtin sich nach dem Unfalle, der durch den Sturz des Vehikels in den Krater erfolgt war, erholt habe und sich zu einem kleinen Marsche kräftig fühle.
Mary bejahte.
Der Gelehrte entnahm nun aus seinem Vehikel verschiedene Gegenstände, vergaß auch nicht, einen Revolver, ein Messer und einen Kompaß mitzunehmen.
»Werden wir länger wegbleiben?« frug Mary.
»Darüber bin ich mir selbst noch nicht im Klaren, es kommt ganz darauf an, wie weit wir in dieser sumpfigen Gegend vordringen können,« lautete die Antwort.
Beide begannen jetzt ihre Wanderung. Mac Milford machte wie die irdischen Indianer Zeichen auf den Pfad durch den tropischen Urwald, indem er eine Anzahl Zweige von Stelle zu Stelle abknickte oder große Kerben in die Rinden der Bäume schnitt; das sollte ihn den Weg zu seinem Vehikel wieder zurückfinden lassen.
Allerlei seltsame Tiere kamen den beiden Wanderern unterwegs zu Gesicht.
»Schauen Sie diesen Saurier dort an; versteinerte Reste solcher Tiere finden wir auf der Erde noch vielfach in alten Gesteinsschichten wohlerhalten vor. Die Sammlung der Edinburger Universität besitzt auch ein Exemplar davon.«
»Auf der Erde müssen sie doch längst ausgestorben sein,« meinte Mary.
»Ja, denn die Saurier gehören der vorsintflutlichen Periode an.«
Oft mußten die beiden Erdenbürger auf ihrem Marsche überschwemmte Gebiete durchwaten, wobei sie allerlei seltsames Getier, welches in den Gewässern lebte, aufscheuchten, so daß die Schottin mehr als einmal heftig erschrak.
Nachdem beide eine Weile gewandert waren gelangten sie in dichteren Urwald und sahen sich plötzlich einer Affenherde gegenüber. Die Tiere hatten ein merkwürdiges, menschenähnliches Aussehen.
»Affenmenschen ....« Dieses Wort entschlüpfte Marys Lippen als sie die braunen Gesellen der Wälder zu Gesicht bekam.
»Affenmenschen...« Dieses Wort entschlüpfte Marys Lippen,
als sie die braunen Gesellen der Wälder zu Gesicht bekam.
Der Gelehrte war überrascht. »Affenmenschen,« murmelte auch er und rückte seine Brille zurecht, um die Geschöpfe, welche wie versteinert dastanden und die Ankömmlinge anglotzten, näher ins Auge zu nehmen. Zum ersten Male hatte der Gelehrte Gelegenheit Affen zu sehen, welche beständig in aufrechter Stellung gingen.
Nach einer Weile wichen die Affen scheu zurück und kletterten auf die Wipfel der Bäume. Unsere Erdenbürger sahen staunend diese Tiermenschen die Bäume erklimmen, dann hörten sie plötzlich menschenähnliche Laute, welche die Affen untereinander zu wechseln schienen.
»Unser Darwin sollte jetzt hier sein!« rief Mac Milford aus, setzte sich auf einen gefallenen Baumstamm und schaute unverwandt den Bewegungen der Waldbewohner zu.
»Sagen Sie mir, Herr Professor, sind das Menschen oder Affen?« frug Mary flüsternd, indem sie sich neben ihrem Gefährten niederließ.
»Es ist sicher das von Darwin vermutete Zwischenglied, der Affenmensch; verlassen Sie sich darauf. Vergeblich suchen wir auf der Erde nach den Resten fossiler Menschen, und solche sind vorhanden, wenngleich wir sie auch noch nicht gefunden haben.«
»Die Rasse hier ist aber sehr klein,« meinte die Schottin.
»Entsprechend der Größe des Muttergestirnes,« erwiderte ihr Gefährte.
In diesem Augenblicke schwirrten eine Anzahl Stimmen durch die Luft. Es war kein unartikuliertes Geschrei der Affen, vielmehr lag ein gewisser Wohlklang in den zahllosen Lauten, welche an die Ohren der beiden Erdenbürger drangen.
»Diese Affenmenschen besitzen wahrhaftig eine Sprache, fast glaube ich Worte vernehmen zu können,« rief die Schottin aus.
Man konnte jetzt sehen, wie die Herde der Waldbewohner sich alle auf einem mächtigen Baum versammelten und ihre Gesten waren so menschenähnlich, daß Mac Milford zu der festen Ansicht gelangte, daß die braunen Gesellen wohl Verstand genug besitzen müssen, um mit ihnen in Verkehr treten zu können. Die meisten von ihnen trugen Bärte; die Behaarung des Körpers war durchweg eine schwache und den Kopf bedeckte reichliches Haupthaar. Lebhafte Augen blitzten zwischen dichten buschigen Brauen hervor und der Hinterhauptschädel ähnelte ganz dem Kopfe eines irdischen Kindes. Letzteres Faktum war besonders geeignet, dem Gelehrten die feste Gewißheit zu verschaffen, daß er hier tatsächlich das Elterngeschlecht der Menschen vor sich habe.
Mac Milford machte sich in seinem Notizbuch sogleich einige Aufzeichnungen und versuchte eine Skizze von einem der Affenmenschen, welcher sich ihm am nächsten befand, zu entwerfen. Mary schien um vieles mehr überrascht zu sein als ihr Reisegefährte, hatte sie doch nie recht an Darwins Lehre glauben können, da sie immer zu religiös empfand.
»Sollte Darwin wirklich Recht haben?«
»Wie Sie sehen,« gab der Professor zur Antwort; »es ist recht unzweifelhaft, daß auch für den Menschen Darwins Abstammungslehre gilt. Dort jene Geschöpfe sind ein lebender Beweis, daß der Mensch ein Glied der Tierwelt ist und zwar das höchststehendste, und daß er als solches ebenso dem Bildungs- und Wandlungsgesetz unterliegt.«
»So stammen also Menschen und Affen von einem Urahn ab?«
»Gewiß,« erwiderte Mac Milford und beendete seine Aufzeichnungen.
»Und jener Urahn unseres Geschlechtes ...?
».... stammt wieder von einem anderen Geschöpfe ab,« fiel der Gefragte ein.
»Und diese Abstammung würde also zurückgehen bis auf die einzelligen Urwesen?«
»Bis auf den sogenannten Urschleim.«
»Wenn die Entwickelungslehre also gilt, dann wird sich der Mensch in ferner Zukunft auch wohl noch weiter verändern und umbilden?« frug Mary neugierig, ohne ihr Auge von den Bewegungen der seltsamen Affenmenschen abzuwenden.
»Das ist sicher, der Mensch wird sich im Laufe ungezählter Jahrtausende sehr wahrscheinlich zu einem sogenannten Übermenschen umgestalten.«
»Aber wo bleibt da die Bibel mit ihren Behauptungen?«
»Ach, Sie meinen die Schöpfung des ersten Menschenpaares? Ja, das ist jetzt natürlich ein überwundener Standpunkt.«
»Und der Begriff Schöpfer?«
»Dieser Begriff ist ein verhältnismäßig vager ... nehmen wir vorläufig an, die Natur sei die Schöpfungskraft.«
»So wäre die biblische Erzählung von Adam und Eva eine Fabel?«
Der Professor kam nicht dazu, eine Antwort zu geben, da sich soeben mehrere der Affenmenschen den beiden Erdenbürgern langsam näherten. Sie waren von ihren Laubsitzen herabgestiegen und von der Seite unbemerkt herangeschlichen. Hu — wie schrak Mary auf, als sie einige der bärtigen Gesellen so plötzlich in der Nachbarschaft stehen sah.
»Sie werden sich gewiß wie wilde Menschen gebärden,« rief sie aus.
»Beruhigen Sie sich,« sagte der alte Gelehrte, zog seinen Revolver hervor und gab einen blinden Schuß in die Luft ab. Wie der Wind verschwanden die Affenmenschen, die ganze Herde floh entsetzt davon.
Die Schottin atmete tief auf; es war ihr in Gegenwart dieser Waldbewohner doch etwas unheimlich zu Mute geworden, denn sie hatte bemerkt, daß einer derselben einen abgerissenen Ast in der Hand schwang.
»Es wundert mich sehr, daß sich einige so nahe heranwagten,« meinte der Professor kopfschüttelnd, »ich hatte sie für furchtsamer gehalten.«
»Wenn sie nun unser Vehikel entdecken?«
»Sie würden nichts damit anfangen können, verlassen Sie sich darauf; ich habe das Fahrzeug verschlossen und demolieren werden sie es kaum können, dazu ist es viel zu stark gebaut,« tröstete Mac Milford.
»Wenn wir aber nun nochmals auf solche Affenmenschen stoßen werden?«
»Mein Revolver wird sie schon in Schach halten.«
»Um Himmelswillen, Herr Professor, Sie werden doch hoffentlich niemals eines dieser Geschöpfe töten? Wenn es menschenähnliche Wesen sind, so würden Sie doch einen Mord begehen.«
»So lange uns von ihnen keine Gefahr droht, werde ich keinen Gebrauch von meinen Waffen machen, wenngleich ich gern einen dieser Tiermenschen tot im Besitze hätte, um seinen Leichnam sezieren zu können.«
»Aber Herr Professor, ich glaube wirklich, Sie wären imstande, eines jener Geschöpfe zu töten.«
»Sie verstehen mich nicht recht; ich möchte nur der Wissenschaft einen Dienst leisten ... doch nun lassen Sie uns aufbrechen und unsere Wanderung fortsetzen. Ich bin wirklich neugierig, ob wir nicht auf Ansiedelungen der Affenmenschen stößen werden, welche mir etwas mehr von der Intelligenz dieser Rasse verraten.«
»Was aber dann,« begann Mary ängstlich, »wenn wir einmal von einer großen Überzahl angegriffen und gefangen werden? Ich glaube, sie würden uns wie die irdischen Wilden massakrieren.«
»Befürchten Sie gar nichts, diese Geschöpfe scheinen weder großen Mut noch Waffen zu besitzen.«
Die Wanderung ging nur langsam vorwärts, oft mußten beide über völlig versumpfte Stellen springen oder durch einen Wasserlauf waten, bald mußten sie Schlangen und Riesenechsen aus dem Wege gehen, bald dornenbesäte Gewächse vermeiden. Dazu kam die alles versengende Glut der Sonne und die feuchtheiße, schwere Luft, welche mit sumpfigen Miasmen stellenweise stark geschwängert war. Plötzlich sahen sich beide einigen Mastodons, jenen Mammutelefanten, wie sie auch auf Erden zur Tertiärzeit gelebt haben, gegenüber. Mit einem Schrei wich Mary zurück, und auch der Professor blieb für einen Augenblick nicht der Unerschütterliche und Unerschrockene, der er sonst zu sein pflegte. Die Riesentiere erhoben jetzt ein trompetenartiges Gebrüll, welches die Luft erzittern machte. Sie schienen über die unerwartete Ankunft der beiden Fremdlinge recht erbost zu sein, denn mit gewaltigen Schritten stampften die Fleischkolosse auf die Ankömmlinge zu. Mary hielt es für geraten, die Flucht zu ergreifen und es blieb nun Mac Milford auch nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Bald waren sie aus dem Bereiche dieser gefährlichen Nachbarschaft, kamen aber dabei aus dem Regen in die Traufe, denn Mary war in das Urwalddickicht geflüchtet und blieb plötzlich mit einem unartikulierten Schrei stehen. Als Mac Milfords Blick auf sie fiel, sah er zu seinem Schreck, daß sich soeben um den Leib seiner Gefährtin eine Riesenboa wand. Mary war in ein Schlangennest geraten.
Wie der Blitz eilte der Gelehrte hinzu und zog sein Messer. Mary war ohnmächtig mit der Schlange zu Boden gesunken. Mac Milford fürchtete schon, daß die zarte Frauengestalt von der Boa zerdrückt würde und eilte furchtlos auf die Stelle zu. Der Angriff der Riesenschlange richtete sich jetzt gegen den Ankömmling, ohne aber daß sie den Körper Marys frei ließ. Die breitgespaltete Zunge des furchtbaren Reptils und die feurigglühenden Augen desselben waren gewiß im Stande den beherztesten Mann zum Zurückweichen zu veranlassen. Doch Mac Milford zögerte nicht einen Augenblick Mary aus ihrer Umschlingung zu befreien. So oft der Alte das Messer gegen den Kopf der Schlange hin bewegte, so oft wich das Tier auch geschickt aus und versuchte seinem Gegner in den Arm zu beißen.
Mac Milford fürchtete schon, daß die zarte Frauengestalt von
der Boa zerdrückt würde und eilte furchtlos auf die Stelle zu.
Mary lag wie leblos auf dem Boden. Endlich gelang es dem braven alten Gelehrten einen geschickten Hieb mit dem Messer zu machen, welcher den Kopf der Schlange halb vom Rumpfe trennte. Sogleich sank die gewaltige Masse des Tieres völlig zurück, und die heftige Umspannung ließ plötzlich nach. Der zuckende Leib der Schlange brachte die Schottin wieder zum Bewußtsein.
Entsetzt schrie sie auf, als sie ihre Lage von Neuem erkannte. Mac Milford zögerte nun keinen Augenblick mehr Mary aus ihrer Umschlingung zu befreien, was für den Alten aber ein schweres Stück Arbeit war, da das Leben des Tieres noch lange nicht zu entweichen schien.
Als es ihm endlich gelungen war den zuckenden Leib des Untieres in Stücke zu zerschneiden, versuchte er seine erschöpfte Gefährtin von jener Stelle fortzutragen. Er bettete sie an einer trockenen Stelle auf weiches Gras und beobachtete ängstlich ihre schwachen Atemzüge.
Als Mary nach einer Weile die Augen aufschlug und sich außer Gefahr sah, frug Mac Milford besorgt: »Wie befinden Sie sich? Haben Sie Schaden gelitten?«
Die Erschöpfte holte tief Atem. — »Spüren Sie Schmerzen?«
»Nein, ich glaube, daß ich mich bald wieder erhole ... Der Schreck war zu groß ....«
Mary Watson war tatsächlich nicht ernstlich verletzt. Nachdem der Professor aus einer in der Nähe sprudelnden Quelle Wasser herbeigeholt und dieses seiner Gefährtin eingeflößt hatte, vermochte sich dieselbe wieder zu erheben.
»Sie waren geradewegs in ein Schlangennest geraten.«
»Hu, mir schauert noch, wenn ich daran denke, wie ich mich in der furchtbaren Umschlingung befand; die Rippen in meinem Körper krachten fast, so mächtig war der Druck des Schlangenleibes.«
»Daß auch Sie immer das Opfer der uns zustoßenden Unfälle werden müssen,« seufzte der Alte.
»Besser als Sie, lieber Professor, denn ich hätte Sie aus einer solchen Lage nicht zu retten vermocht.«
»Unter den jetzigen Umständen wird Ihnen natürlich nichts daran gelegen sein, daß wir die Wanderung fortsetzen, kehren wir daher zu unserem Vehikel zurück. Vermögen Sie auch zu gehen? Nehmen Sie lieber meinen Arm und stützen Sie sich auf mich, wir wollen den Rückweg antreten.«
Langsam bewegten sich beide vorwärts und Mac Milfords Blicke schweiften in der Umgebung umher; er suchte nach dem Wege, der sie zu dem Vulkane zurückbringen sollte.
»Ich glaube, wir haben uns verirrt,« sagte der Alte und zog seinen Kompaß aus der Tasche. Ein Blick auf den letzteren genügte, um in dem Gesicht des Gelehrten eine staunende Miene hervorzurufen.
»O weh — auch das noch,« gab Mary leise zur Antwort.
»Seltsam ...« murmelte der Alte und schaute seinen Kompaß unverwandt an. »Sehen Sie nur wie die Nadel kreist; so etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen; die Bewegungen der Magnetnadel spotten jeder wissenschaftlichen Theorie.«
»Und Sie können sich das nicht erklären?«
»Ich stehe vor einem physikalischen Rätsel. Die Magnetströmungen dieses Gestirnes müssen, wenigstens an dem Punkte, wo wir uns jetzt befinden, unausgesetzt jede Sekunde ihre Richtung viele Male ändern, ähnlich wie es der elektrische Wechselstrom tut.«
»Wie sollen wir nur den rechten Weg finden, wenn wir uns nicht mehr auf den Kompaß verlassen können?«
»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu suchen, Miß Watson.« Mit diesen Worten schlug der Alte eine Richtung ein, welche nach einer Gegend führte, über welcher er in der Ferne Dampfwolken aufsteigen sah.
»Sehen Sie dort hinten die wolkigen Gebilde? Ich glaube sicher, daß es die aufsteigenden Schwefeldämpfe jenes Vulkans sind, zu denen wir wieder zurückwandern wollen.«
»O!« rief Mary erfreut aus, »dann würden wir ja auf dem richtigen Wege sein!«
»Ich denke wenigstens; es ist aber auch möglich, daß ich mich irre, denn dieser Liliputmond hat eine ganze Menge kleiner Krater.«
Wieder etwas entmutigt blickte Mary ihren Gefährten an.
Geraden Weges gingen beide jetzt in der Richtung weiter, welche Mac Milford bezeichnet hatte. Sie kamen bald in eine sumpfige Waldlandschaft und gerieten dann schließlich in eine Kratergegend, von wo aus sich heiße Lavaströme in die naheliegenden Sümpfe ergossen. Hier war das Wandern ein gefährliches, wollte man nicht jeden Augenblick in abfließendes flüssiges Gestein geraten.
»Seien Sie vorsichtig,« mahnte der alte Gelehrte, »daß Sie keinem der Lavaflüsse zu nahe kommen.«
»Was aber dann, wenn uns plötzlich ein neuer Lavaerguß aus irgend einem der naheliegenden Krater unvermutet überrascht, wie es den Bewohnern in der Nähe des Vesuvs und des Ätnas früher ergangen ist?«
»Befürchten Sie nichts, die Ausbrüche dieser Vulkane sind nicht so intensiv wie auf der Erde.«
Beide waren gerade im Begriffe, sich wieder sumpfigen Waldgebieten, welche sich längs der Kraterreihe hinzogen, zuzuwenden, als sie zu ihrer größten Überraschung plötzlich einen Holzbau vor sich sahen, welcher einer menschlichen Wohnung nicht unähnlich war.
»Was ist das!« rief die Schottin aus und zeigte auf die Hütte, welche zwischen den Stämmen von vier Schuppenbäumen errichtet war. Der alte Gelehrte rückte seine Brille zurecht, glaubte er doch auch seinen Augen nicht trauen zu können. »Eine Hütte, es ist wahrhaftig ein menschlicher Bau! Sollte dies Gestirn wirklich schon Menschen beherbergen?«
»Vielleicht ist es nur die Behausung einiger Affenmenschen.«
»Das bezweifle ich,« gab der Alte zurück.
»Was sonst?«
»Es soll mich garnicht wundern, wenn wir plötzlich eine Überraschung erleben.« Bei diesen Worten trat Mac Milford auf die rätselhafte Behausung zu und entdeckte auf der abgewandten Seite eine Öffnung, welche wohl als Tür dienen mußte. Der Alte warf einen Blick in das Innere des Raumes und brach in einen Ruf des Erstaunens aus. Schnell winkte er seiner Gefährtin zu, damit diese ebenfalls einen Blick in die Hütte werfe.
Mary war noch einige Schritte entfernt, als aus dem Bau zwei Menschen — wirkliche Menschen krochen, welche aber bedeutend kleiner als die Erdenbewohner waren und doch schon völlig ausgewachsen schienen. Es waren ein Mann und ein Weib. Beide staken in einer Hülle, welche aus großen Baumblättern bestand, die mittels langer Dornen zusammengeheftet waren. Die grünen Blätterkleider bedeckten den ganzen Körper und ließen nur Arm und Kopf frei.
»Alle Wetter!« rief der Professor Mary zu, »Sie sehen hier wahrhaftig einen Adam und eine Eva vor sich.«
Mac Milford und seine Gefährtin stoßen auf Adam und Eva.
Mary errötete ob dieser Worte des Alten und ihre Mienen drückten höchstes Erstaunen aus. Auf ein Zusammentreffen mit einem solchen biblischen ersten Menschenpaare hatte sie doch nicht gerechnet.
Nicht minder verwundert schauten die beiden Liliputaner darein. Ihre mulattenfarbigen Gesichter spiegelten unverhohlen ein grenzenloses Erstaunen wider. Als Mac Milford sah, daß sich beide in ihre Hütte zurückziehen wollten, entfernte er sich etwas und winkte den beiden Liliputanern in einer nicht mißzuverstehenden sehr freundlichen Weise. Mary war unterdessen an ihres Gefährten Seite geflüchtet und wagte keine Frage.
»Das Zusammentreffen mit diesen Leuten ist mir höchst interessant,« meinte der Alte. »Miß Watson, Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich Sie jetzt ein wenig vernachlässige, um diese Liliputaner kennen zu lernen.«
Durch die freundlichen Blicke, welche Mac Milford dem Menschenpaare zuwarf, wurde dieses etwas zutraulicher und wagte sich wieder aus seiner Behausung. Jetzt vernahm man, wie sie beide Worte miteinander zu wechseln schienen. Die Töne, welche an des Professors Ohr drangen, gaben ihm die Gewißheit, daß es ganz einfache Naturlaute waren, welche sich von denen der Affenmenschen wohl nicht zu sehr unterschieden. Daß diese beiden Leutchen Abkömmlinge eines Affenmenschenpaares waren, darüber hegte der Gelehrte keinen Zweifel mehr, zeigten sie doch noch in vielen Stücken den Typus dieses seltsamen Gliedes zwischen Menschen und Affen. Nur war anscheinend die Behaarung des Körpers eine weit schwächere und die Schädelbildung eine menschenwürdigere. Die nackten Füße verrieten noch am ehesten, daß die Eltern dieser Liliputaner einer hochstehenden Tierrasse angehören mußten. Im übrigen besaßen die Körper der Beiden keinerlei Merkmale, welche darauf verwiesen hätten, daß sie dem Tierreiche entstammten. Ihre formvollendeten Glieder ließen vielmehr auf sehr wohlgestaltete Menschen schließen.
»Sie sind noch scheu,« flüsterte der Professor Mary zu.
»Sie meinen wirklich, es sei ein Adam und eine Eva?«
»Zweifeln Sie nicht daran.«
»Wunderbar, ich hätte es mir auf Erden nie träumen lassen, daß ich jemals mit den ersten Menschen einer Weltschöpfung in Berührung kommen würde. Was werden unsere irdischen Mitbürger sagen, wenn sie bei unserer Rückkunft erfahren, daß wir draußen auf einem fremden Gestirn eine vorsintflutliche Zeit mit einem ersten biblischen Menschenpaar angetroffen haben.«
»Ja, ja, die Welt wird staunen.«
»Erzählen wir es daheim, so sperren sie uns sicher als geisteskrank in eine Irrenanstalt,« erwiderte lächelnd Mary.
Mac Milford gab hierauf keine Antwort und schritt langsam auf die Liliputaner zu. Das Weib mit dem langen schwarzen, aufgelösten Haar, welches wie eine Flut über ihren Rücken rollte, flüchtete sich hinter den weniger furchtsamen Mann. Wieder vernahm Mac Milford flüsternde Laute, welche die beiden Liliputaner miteinander wechselten. Deutlich konnte er die hohe Stimmlage des Weibes von der tiefen Baßstimme des Mannes unterscheiden.
Noch war sich der Professor nicht im Klaren wie er sich mit den braunen Leutchen verständigen könne. Als er dem Paare nahe stand, versuchte er die Hände derselben zu erfassen, was jene etwas erschrecken machte.
Mary war eine stumme Zuschauerin, welcher die ganze Situation fast wie ein Traum vorkam. Sobald die Liliputaner sahen, daß sie keine feindlich gesinnten Geschöpfe vor sich hatten, legte sich ihr Mißtrauen, und als der Professor über die urkomische Lage in ein herzliches Lachen ausbrach, in das Mary einstimmte, verzogen sich auch die Gesichter der Mondmenschen gleichfalls zu lachenden Mienen. Alle vier ließen sich jetzt auf einen in der Nähe liegenden Baumstamm nieder. Mary hatte sich zur Seite ihrer Weltallsschwester niedergelassen, und diese betastete jetzt mit ihren braunen Händen die Kleidung ihrer Geschlechtsgenossin, besonders interessierte sie sich für die Knöpfe am Gewande. Die Schottin ihrerseits ließ das schwarze Haar ihrer kleinen Nachbarin durch die Finger gleiten. Unterdessen machte Mac Milford mit der Hand verschiedene Zeichen, welche der Adam, wie ihn der Professor nannte, wohl zu verstehen schien. Eine kleine Weile darauf sprach das Liliputanerpaar wieder miteinander und Mac Milford war jetzt imstande, genau die ausgetauschten Laute anzuhören. Es wurde ihm dabei zur Gewißheit, daß dieser Adam und diese Eva sich tatsächlich in einer Sprache verständigen konnten; einer Sprache, welche zwar keinen großen Wortreichtum zu besitzen schien, denn häufig glaubte der Professor dieselben Laute in einem Satze mehrmals zu vernehmen. Die Worte, welche die kleinen Mondbewohner sich einander zuflüsterten, schienen ziemlich vokalreich zu sein, besonders klang das a und o deutlich hervor. Vergeblich bemühte sich Mac Milford einige der Laute nachzusprechen, was die Liliputaner mit großer Verwunderung anhörten. Nach dem Austausch verschiedener Zeichen kroch das Weib in die Hütte und brachte einige Früchte herbei, unter denen die irdische Evastochter vergeblich nach dem berühmten biblischen Paradiesapfel suchte. Die kleinen Leutchen fingen gleich darauf zu schmausen an und schoben ihren irdischen Nachbarn einige Fruchtstücke zu, wobei ihre Mienen große Freude ausdrückten, als jene von den Früchten kosteten und sie wohlschmeckend fanden.
In diesem Augenblick hörte man ein lautes Rascheln und als der Professor aufblickte, sah er hinter der Holzhütte einige jeder seltsamen Tiere auftauchen, welche er als Affenmenschen erkannt hatte. Diese glotzten starr vor Staunen auf die auf dem Baumstamm sitzende Gruppe.
Mac Milford machte Freund Adam auf die neuen Ankömmlinge aufmerksam. Derselbe erhob sich sofort und eilte auf die braunen Gesellen des Waldes zu.
Die Erdenbewohner hörten jetzt wie der Liliputaner mit den Affenmenschen Laute austauschte, die aber im Tonfall andere waren, als die, welche jener mit seiner weiblichen Gefährtin zu wechseln pflegte. Es waren meist schnarrende und schnalzende Töne, wobei sich die Gesichter der Tiermenschen zu merkwürdigen Grimassen verzogen.
»Sie werden doch nichts Böses im Schilde führen?« flüsterte Mary ängstlich.
»Meinen Revolver werden sie schon respektieren,« gab Mac Milford zurück.
Inzwischen hatte sich der Himmel völlig mit dichten Wolken bedeckt und ein heißer Wind strich über die Gegend hin, der Sandmassen über den Boden hinfegte, sodaß die beiden Erdenbewohner häufig die Augen schließen mußten. Es fielen vereinzelte gewaltige Regentropfen, sodaß der Professor und seine Gefährtin aufstanden, um Schutz vor dem heraufziehenden Unwetter zu suchen.
Während die Affenmenschen mit dem Liliputaner Anstalten machten, in den Holzbau zu kriechen, flüchteten sich Mac Milford und Mary unter das Laubdach eines gewaltigen Schuppenbaumes. Die Liliputanerin folgte den beiden.
Mac Milford und Mary flüchteten sich unter das Laubdach eines
gewaltigen Schuppenbaumes. Die Liliputanerin folgte den beiden.
Die schweren Regentropfen prasselten jetzt hernieder; glücklicherweise blieb der Platz, an dem der Professor stand, trocken.
»Ich vermute bald, daß jene Affenmenschen, welche sich dort in dem Holzbau befinden, das Elternpaar dieses Adams und seiner Eva sind. Vielleicht sind sie die intelligentesten unter ihrer Rasse.«
»Wollen wir es nicht versuchen uns mit dieser Tochter des Mondes sprachlich zu verständigen?« frug Mary.
»Versuchen Sie es.«
»Der Anfang wird schwer sein.«
»Wir werden ja sehen.« Bei diesen Worten wendete sich der Professor gegen das kleine Naturweib, zeigte mit dem Finger auf sie und sprach das Wort: »Weib«. Dann zeigte er auf sich selbst und sagte: »Mann«.
Die Liliputanerin schaute zuerst den Sprecher verwundert an, als aber derselbe nochmals die Worte »Mann« und »Weib« mit der entsprechenden Fingerbezeichnung aussprach, da schien jene zu ahnen, was man von ihr wolle und sie wiederholte die beiden Worte in einem schnarrenden Tone mit eigentümlicher Accentuierung.
»Ah, ah ...« rief Mac Milford. »Sehen Sie Miß Watson, Ihre lunarische Schwester scheint mich zu verstehen.«
Die Liliputanerin zeigte jetzt auf sich und wiederholte jetzt das gehörte Wort wie folgt: »Uaib«, und sagte dann schnell darauf ein Wort, welches wie »Errem« klang.
»Errem,« wiederholte Mac Milford und sann über die linguistische Abstammung dieses Wortes nach.
In diesem Augenblick schlüpften die Affenmenschen wieder aus dem Holzbau heraus und verschwanden in dem naheliegenden Dickicht.
Der Regen strömte jetzt heftiger hernieder. Die Liliputanerin eilte zur Hütte und kroch in dieselbe hinein. Bald wurde dem Professor der Standpunkt, den er gewählt hatte, doch zu naß und er schlug seiner Gefährtin vor, sich auch in die Hütte zu flüchten. Mary zögerte Anfangs noch, folgte aber als der Professor zu dem Holzbau hinübereilte. Am Eingang der Hütte schaute der Alte in dieselbe hinein. In dem Raume herrschte ein Halbdunkel; das Menschenpaar lag auf einigen Tierfellen ausgestreckt und schnellte sofort empor, als sie die Ankömmlinge gewahr wurden. Mac Milford wartete nicht erst lange auf eine Einladung, sondern kroch auf allen Vieren in die Hütte hinein. Mary konnte sich jedoch nicht dazu entschließen bis der Professor rief: »Kommen Sie nur, Miß Watson, wir sind hier wohl geborgen und haben garnichts zu befürchten.« Mary begab sich jetzt ebenfalls in die Behausung. So saßen nun die vier Menschen zweier Welten unter einem Dache. Der Adam holte nach einer kleinen Weile aus einem Winkel allerlei genießbare Sachen herbei; diese bestanden aus Stücken rohen Fleisches und verschiedenen Früchten.
»Aha,« sagte der Professor, »man will uns nochmals bewirten.«
Der Liliputaner sprach jetzt zu seiner Gefährtin einige Worte. Diese erhob sich darauf und holte aus einer Ecke der Hütte zwei Holzscheite herbei, welche von dem Adam zwischen den Händen so schnell gegeneinander gerieben wurden, daß die beiden Erdenbürger nach einer Weile zu ihrem Erstaunen bemerkten, daß die Holzscheite plötzlich in Brand gerieten.
»Sie verstehen es wahrhaftig Feuer zu machen!« rief der Gelehrte aus.
»Sie verstehen wahrhaftig Feuer zu machen!« rief der Gelehrte aus.
Inzwischen hatte die Liliputanerin noch mehrere Holzstücke herbeigebracht und dieselben in eine Vertiefung des Bodens gelegt. Alsdann wurde das Ganze mit dem brennenden Holzscheit in Flammen versetzt. In dem Raum entwickelte sich ein dichter Rauch, welcher Marys Augen derart beizte, daß sie dieselben geschlossen halten mußte. Infolge dieses Qualmes konnte einer den andern nicht mehr sehen, und Mac Milford hörte nur an einem Knistern, daß das Menschenpaar auf den Holzscheiten Fleisch zu rösten schien, was auch bald der sich bemerkbar machende Geruch bestätigte.
Mary vermochte diesen bald nicht mehr zu ertragen und rückte an die Ausgangsöffnung, durch welche sie ihren Kopf in das Freie steckte.
»Der Geruch ist entsetzlich,« tönte es von ihren Lippen.
»Wir müssen ihn schon ertragen, wenn wir draußen nicht völlig naß werden wollen,« gab der Alte zur Antwort.
»Es wird übrigens bald dunkel,« sprach Mary weiter, »sehen Sie nur, wie schnell es bereits dämmert.«
Der Professor warf einen Blick in das Freie. »Das zwingt uns vor der Hand noch länger hier zu verweilen,« meine er, zog aus der Tasche seine elektrische Laterne hervor und setzte diese in Funktion. Eine strahlende Helle verbreitete sich plötzlich durch den halbdunklen Raum. Entsetzt sprangen die Liliputaner auf und krochen vor Angst in einen Winkel. Sie glaubten ihren Augen nicht trauen zu können und stierten sprachlos auf das Wunder, was nach ihrer Ansicht soeben geschehen war. Es dauerte eine Weile ehe Mac Milford die guten Leutchen beruhigt und soweit gebracht hatte, daß sie sich wieder näherten und schließlich die Laterne von allen Seiten betasteten und betrachteten.
»Wie lange die Nacht dauern wird, das entzieht sich freilich ganz meiner Berechnung,« ließ sich der Alte unterdessen vernehmen. »Wenn die Rotation dieses Gestirnes eine ähnliche ist wie die des Erdenmondes, so müssen wir uns auf eine 14tägige Nacht gefaßt machen; doch wird dies wohl kaum der Fall sein, da die Sonne nur wenige Stunden gebrauchte, um hier vom Zenit zum Horizont zu gelangen. Ich halte es sogar für sehr wahrscheinlich, daß wir bereits in wenigen Stunden wieder die goldenen Strahlen des Tagesgestirnes begrüßen können.«
Nachdem das Feuer in der Hütte verloschen war und der Rauch sich verzogen hatte, begannen die Liliputaner zu schmausen und schoben ihrem Besuche etwas von der zubereiteten Nahrung hin.
»Davon sollen wir essen?« sagte Mary zu ihrem Gefährten. »Puh, ich rühre nichts an.«
Mac Milford lächelte, griff in seine Tasche und holte eine Büchse heraus, schüttete aus derselben etwas Pulver in seine Hand und rieb dasselbe. Durch die Reibung und Erwärmung zwischen beiden Händen gährte die pulverförmige Masse und wurde kompakt. Der Professor hatte aus einer Stärkemehlsubstanz eine Art Kuchen fabriziert, welchen er seiner Gefährtin reichte. Mary kostete davon und fand die komprimierte Nahrung sehr schmackhaft.
»Wunderbar, Professor, Sie sind ein wahrer Tausendkünstler!« rief die Schottin aus.
»Meine eigene Erfindung, Beste, ohne die eine Reise in das Weltall für uns nicht gut möglich gewesen wäre, denn einen großen Nahrungsballast hätte ich in meinem Vehikel nicht mitnehmen können, darum mußte ich mich also auf komprimierte Nahrungsstoffe einrichten.«
Die Liliputaner hatten dem Treiben des Erdbewohners weit aufgerissenen Auges zugeschaut, die Sache kam ihnen so unnatürlich vor, daß sich ihrer förmlich eine Ängstlichkeit vor den seltsamen Wesen, die sie zu Gaste hatten, bemächtigte.
Mac Milford bereitete auf die genannte Art noch mehrere schmackhafte Stärkemehlkuchen und reichte einige seinen Nachbarn. Doch diese waren um keinen Preis dazu zu bewegen, das Angebotene zu verzehren. Mit einer heiligen Scheu wiesen sie die Nahrung zurück.
Der irdische Gelehrte unternahm es darauf mit den Mondbewohnern eine Unterhaltung anzuknüpfen und versuchte deren Laute nachzuahmen. Bald gelang es ihm auch, sich ein wenig verständlich zu machen, und von da ab wurden die beiden Liliputaner etwas vertrauensseliger. Mit Hülfe seines Notizbuches und Bleistiftes zeichnete Mac Milford den beiden Leutchen allerlei Gegenstände auf und benannte sie mit Namen. Da er nun vermutete, daß der vermeintliche Adam auf seinem Muttergestirn genügend Bescheid wisse, um ihn vielleicht auf den richtigen Weg zu jenem Krater zurückzuführen, an dessen Fuß sich sein Vehikel befand, so zeichnete er auf ein Blatt Papier die Umrisse eines rauchenden Vulkans und deutete dann mit der Hand nach der Richtung, in der er den Berg vermutete.
Der Liliputaner nickte, deutete aber mit der Hand nach einer anderen Seite. Daraus schloß der Gelehrte, daß er völlig verstanden worden war. Mary und die Liliputanerin hatten eifrig dem Treiben der beiden Männer zugeschaut.
Wiederholt hatte der Wilde das Papierblättchen zwischen seine braunen Finger genommen und es hin und her befühlt; für ihn und sein Weib schien das Papier etwas Wunderbares zu sein, ebenso erregte der Bleistift das höchste Interesse der beiden.
So vergingen zwei Stunden in der Unterhaltung, und Mac Milford hatte es fertig gebracht, sich mit dem kleinen Menschenpaar soweit zu verständigen, daß dasselbe darüber aufgeklärt war, wohin seine irdischen Nachbarn geführt zu sein wünschten.
Da die tiefe Dunkelheit noch immer anhielt und der Aufenthalt in der Hütte mit der Zeit unerträglich wurde, so beschloß der Professor aufzubrechen, und das Liliputanerpaar zeigte sich bereit sie zu begleiten.
Beim Schein der Taschenlaterne gelang es ganz gut vorwärts zu kommen.
Nachdem die vier eine Weile durch Urwalddickicht gewandert waren, kamen sie plötzlich ins Freie, in eine Kratergegend. Der Liliputaner zeigte sogleich mit der Hand nach einer Richtung, in welcher die Feuersäule eines Vulkans am Nachthimmel sichtbar war. Auf diesen Ort steuerte man nun zu. Das Licht der Laterne erhellte bis auf zwanzig Meter weit den Weg. Unvermutet stieß die kleine Truppe auf eine Stelle, wo der Professor als erster eine dunkle Masse am Boden liegen sah, in welcher er einen der Affenmenschen erkannte. Sofort eilte Mac Milford darauf zu und betrachtete den anscheinend leblosen Körper, der vor ihm lag. Seine Begleiter näherten sich unterdessen, und der Liliputaner berührte den hingestreckten Affenmenschen, welcher männlichen Geschlechtes zu sein schien, da ein langer Bart sein etwas verzerrtes Gesicht umrahmte. Der Gelehrte kniete neben dem Körper nieder und betastete ihn, wobei er die Gewißheit erlangte, daß das Leben aus diesem entwichen war. Fast schien es ihm als wenn der Affenmensch vom Blitz erschlagen worden sei. Sogleich nahm der Professor eine Messung am Kopfe des Tiermenschen vor; war es ihm doch darum zu tun, festzustellen, wieviel Gehirnmasse wohl der Schädel bergen könne; hieraus ließ sich am ehesten feststellen, ob das betreffende Geschöpf tatsächlich das auf Erden gesuchte darwinistische Zwischenglied, von dem der Mensch abstammen soll, sei.
Sogleich nahm der Professor eine
Messung am Kopfe des Tiermenschen vor.
Die weiteren Messungen des Professors bezogen sich auf die Beckenlage und die Gliedmaßen des Geschöpfes. Mac Milford machte sich in seinem Notizbuch einige Aufzeichnungen und war über den wissenschaftlichen Fund so hoch erfreut, daß er seine Umgebung fast völlig vergaß und erst durch Marys wiederholte Ermahnungen dazu gebracht werden konnte, den Weg fortzusetzen.
»Also doch ... meine Vermutung hat sich bestätigt — Darwin hat Recht!«
Der kleine Trupp wanderte weiter, und nach etwa einer Stunde irdischer Zeitmessung glaubte Mac Milford die Gegend wiederzuerkennen, in welcher der gesuchte Krater lag.
Richtig — plötzlich standen sie, als sie ihre Schritte vor einem im Ausbruch befindlichen Vulkane hemmten, vor dem Vehikel.
»Da wären wir!«
»Dem Himmel sei Dank!« rief Mary freudig aus, als sie die Umrisse des wohlbekannten Fahrzeuges erblickte.
Der feurige Ausbruch des vor ihnen liegenden Kraters bot einen wunderbaren Anblick. Feuersäulen stiegen kerzengerade zum dunklen, sternenbesäten Firmament empor. Zum Glück floß die ausgeworfene Lava nach einer anderen Seite des Berges ab, sodaß die Ankömmlinge hier das feurige Schauspiel ohne Gefahr betrachten konnten. Den beiden Mondbewohnern schien der Ausbruch des Vulkanes etwas alltägliches zu sein, denn sie widmeten diesem keinen Blick; sie musterten vielmehr eifrig das seltsame Fahrzeug, welches jetzt vor ihnen stand.
»Ich denke wir beenden hiermit unseren Besuch auf dem Liliput,« meinte Mac Milford, und Mary nickte zustimmend.
Sogleich begannen die Vorbereitungen zur Abfahrt. Das seltsame Menschenpaar sah mit grenzenlosem Erstaunen wie Mac Milford sein Fahrzeug betrat und dann seine Begleiter durch Winke aufforderte, auch in das Vehikel zu steigen. Das Liliputanerpaar wagte sich aber nicht weiter als bis an die Einsteigluke, von wo aus sie in das Innere hinabschauten. Als der Gelehrte plötzlich die Apparate summen und surren ließ, sprangen die Mondleutchen entsetzt von oben herab auf den Boden. Die Sache schien ihnen doch unheimlich zu werden, sodaß sie fernerhin nicht mehr zu bewegen waren, in die Nähe ihrer irdischen Freunde zu treten. Nachdem Mary das Fahrzeug ebenfalls bestiegen hatte und alles zur Abfahrt bereit war, warf Mac Milford noch einige Gegenstände, welche er entbehren konnte, den beiden Liliputanern zum Andenken zu. Dann setzte er den Antriebsapparat in Funktion, und das Vehikel erhob sich langsam vom Boden. In diesem Augenblicke sanken die beiden Mondmenschen vor Schreck und Angst auf die Kniee und erhoben ihre Hände, wobei sie flehende Laute ausstießen.
»Winken wir dem Adam und der Eva einen letzten Abschiedsgruß zu!« rief der Professor. Mary zog ihr Taschentuch hervor und ließ es im Winde wehen. Mac Milford rief hinab: »Good bye!«
Senkrecht über den Häuptern des Liliputanerpaares stieg das Vehikel in die Lüfte und schwebte bald hoch über der Feuersäule des Vulkanes.
»Sehen Sie nur dieses wunderbare Schauspiel!« rief Mary aus und blickte in den feurigen Schlund des unter ihnen liegenden Kraters.
»Ja, es ist ein Naturfeuerwerk, wie es außer uns wohl noch niemand aus einer solchen Höhe zu betrachten Gelegenheit gehabt hat.«
Die Geschwindigkeit des Vehikels, dessen Antigravitationskathode jetzt gegen den Liliputmond gerichtet war, wurde von Minute zu Minute größer; bald verschwanden die Umrisse der kleinen Mondkugel, und die Fahrt richtete sich gegen die noch in weiter Ferne stehende, bereits riesengroß erscheinende, glänzende Scheibe des Erdenmondes.
Herr Professor, haben Sie schon früher mit dem »Sirius‹ kleine Ausflüge in das Weltall unternommen?« »Meine Probefahrten erstreckten sich meist nur wenige Meilen bis über die Grenze der Erdatmosphäre hinaus,« gab der Gefragte zur Antwort.
»Wie kamen Sie aber dann zu jenem Manuskripte?«
»Melches Manuskript?«
»Nun das, auf Grund dessen Sie das Buch »Vierdimensionale Lebewesen« verfaßt haben.«
»Wie ich Ihnen schon mitteilte, harrt auf dem Monde bereits ein irdischer Mensch unserer Ankunft, und dieser sandte mir das Schriftstück mittels seiner atomistischen Zelle zu.«
»Wie war es möglich, daß jener Mann drüben sich ebenfalls ein Atomistikum bauen konnte?« frug Mary Watson verwundert.
»Mr. Price empfing von mir sämtliche Bestandteile, welche zum Aufbau eines zweiten Atomistikums erforderlich waren.«
»Ah so, jetzt verstehe ich; Sie zersetzten diese Bestandteile in Ihrem Atomistikum?«
»Ganz recht,« erwiderte Mac Milford; »übrigens ist Mr. Price drüben auf diese Weise von mir mit allen möglichen Dingen versorgt worden, er besitzt Waffen, Munition, Nahrungsmittel, Kleider, kurz alles das, was er braucht.«
»So haben Sie wohl auch schon für uns im voraus gesorgt?«
»Gewiß, Sie werden drüben allerlei Dinge finden, welche Sie für gewöhnlich benötigen.«
In diesem Augenblicke sah Mac Milford wie plötzlich in der Nähe ein dunkler Körper mit rasender Schnelligkeit vorbeizog und seinen Weg direkt zum Monde zu nehmen schien.
»Holla, was ist das,« rief der Alte.
»Was ist los!« rief Mary, welche schon wieder ein Unheil witterte.
Flugs hatte der Professor seinen Feldstecher hervorgezogen und ihn gegen den besagten einsamen Wanderer im Weltall gerichtet.
Mary Watson verfolgte mit den Augen den bereits am »Sirius« vorbeigesausten Körper, welcher ihrer Ansicht nach kaum das Mitglied eines Sternschnuppenschwarms sein konnte.
»Weiß der Himmel wie dieses Ding hier in das Äthermeer gelangt ist!« rief der Professor aus und reichte seiner Gefährtin das Fernglas; »bitte schauen Sie dem Flüchtling einmal nach.«
Mary tat wie ihr geheißen und sah im Fernstecher die Umrisse einer Ballongondel, welche einen kleinen Schweif nach sich zog. »Herr Professor, was meinen Sie, was wir da vor uns haben?«
»Es ist die Gondel eines zerplatzten irdischen Luftballons, welcher aus dem Bereiche der Erdanziehung gelangt ist.«
»Sie sagten aber doch, daß die Attraktionskraft unseres Planeten eine um vieles größere als die des Mondes sei; wie ist es da möglich, daß sich das Ding überhaupt von der Erde entfernen konnte?«
»Ja,« sagte der alte Gelehrte und wiegte sein greises Haupt hin und her. »Sonderbar, sehr sonderbar ...« Mac Milford mußte die Antwort soeben schuldig bleiben, vermochte er es doch selbst nicht zu begreifen, wie die Ballongondel in das Weltall hinaus gelangen konnte.
Mary sah durch das Fernglas deutlich wie als Endschweif noch ein langes Seil hinterhereilte. »Wenn sich nun aber in der Gondel hilflose Menschen befinden?« rief sie erregt aus.
»Darüber beruhigen Sie sich; wenn wirklich Menschen in der Gondel sind, so werden sie im Weltäther längst erstickt und erstarrt sein. Übrigens würden wir ihnen auch schwerlich Hilfe bringen können. Die Gondel wird mit rasender Geschwindigkeit auf die Mondoberfläche herniederstürzen und dann in Myriaden von Stücken zerschellen.«
Dieses neue Vorkommnis gab dem alten Gelehrten so zu denken, daß er eine Weile über dasselbe hin und her grübelte; dann rief er plötzlich: »Wir müssen ihr nach!«
»Wem nach?«
»Der Ballongondel.« Mac Milford drückte auf einen Spiralhebel und sagte: »So, jetzt habe ich die Geschwindigkeit des »Sirius‹ derart gesteigert, daß wir das Ding bald einholen werden.«
»Ich bin überrascht, Herr Professor, daß Sie dem Vehikel eine noch schnellere Fahrt zuteil werden lassen können, als die Anziehungskraft des Mondes es bewirken kann.«
»In wenigen Minuten werden wir dem Flüchtling wieder auf der Spur sein,« meinte Mac Milford und sichte mit seinem Fernglas die Gegend ab, in welcher die Gondel verschwunden war.
»Nur keinen Zusammenstoß ...«
»Der »Sirius‹ wird glatt neben jener Gondel herfahren; übrigens hätte ich nicht übel Lust, das Ding zu kapern.«
»Wie wollten Sie das anfangen?«
»O, nichts leichter als das,« meinte der Alte; »ich dirigiere unser Fahrzeug, welches augenblicklich bedeutend schneller als jener Ballon fährt, vor diesen und hemme so dessen Lauf.«
»Na, da bin ich doch wirklich neugierig, ob Ihnen das gelingen wird.«
»Sehen Sie,« rief Mac Milford aus, welcher noch immer mit dem Fernglase die Gegend des Weltalls, welche vor ihm lag, abgesucht hatte, »dort vor uns schwimmt das Ding im Äthermeere; mit jedem Augenblick werden seine Umrisse größer, und ich wette, wir haben es in längstens fünf Minuten zur Seite.«
Wie der Professor es vorausgesagt hatte, traf es auch ein. Es dauerte garnicht lange und die Insassen des »Sirius« vermochten den verunglückten Ballon ganz in der Nähe zu beschauen.
»Um des Himmelswillen, wenn sich Tote in der Gondel befinden würden!« rief die Schottin entsetzt aus und wandte ihr Gesicht ab.
»Es ist möglich, wir müssen uns darauf gefaßt machen.«
Jetzt war der »Sirius« noch 25 Meter von dem seltsamen Fahrzeug, welches vor ihnen her seinen Weg verfolgte, entfernt, und Mac Milford richtete nun den Scheinwerfer seines Vehikels auf die Ballongondel.
»Also doch! O, die Unglücklichen!«
Mary Watson schrak bei diesen Worten auf und blickte auf die beleuchtete Gondel, welche unmittelbar neben dem »Sirius« hinsauste. Ein Schrei des Entsetzens entrang sich ihren Lippen und sie hielt vor Schreck ihre Hände vor die Augen.
Mary Watson schrak bei diesen Worten auf und blickte auf die be-
leuchtete Gondel, welche unmittelbar neben dem »Sirius« hinsauste.
Mac Milford regelte jetzt die Schnelligkeit seines Fahrzeuges derart, daß es neben dem seltsamen Ausreißer in gleichem Tempo herlief.
Was die Insassen des »Sirius« erblickten, wäre wohl geeignet gewesen, ihnen das Blut in den Adern erstarren zu machen, wenn sie sich nicht schon vorher auf eine solche Szene vorbereitet gehabt hätten. Deutlich vermochten sie die leblosen Körper zweier Luftschiffer in der Gondel zu erkennen. Der eine derselben hing mit dem Kopf aus der Gondel heraus und seine Hände hielten sich krampfhaft im Tauwerk fest. Der andere — es waren beide Männer in jüngeren Jahren — saß zusammengekauert auf dem Boden der halb umgekippten Gondel, und es war fast ein Wunder, daß er in dieser Lage nicht aus dem Fahrzeug herausfiel. Das Netz- und Tauwerk mitsamt den Resten der zerfetzten gaslosen Ballonhülle folgten wie ein Kometenschweif der Gondel nach. Ein Anker war nicht vorhanden; er schien von dem Seile, welches das Schwanzende des Ganzen bildete, abgerissen zu sein.
»Die armen Menschen! O, wie sie mich dauern,« sagte Mary, »sie mußten eines so schrecklichen Todes sterben.« Die Sprecherin vermochte es nicht, nochmals die Schreckensgondel anzusehen.
Mac Milford war beherzter und musterte die toten Insassen seiner Nachbarschaft. »Es sind Amerikaner,« sagte er dann zu seiner Gefährtin.
»Amerikaner?« rief diese aus.
»Ich sehe es an der zerfetzten Flagge, welche sich zwischen dem Netzwerk befindet; es ist das Sternenbanner der Union, schauen Sie einmal hin.«
»Ich vermag es nicht; der Anblick ist mir unerträglich.«
»Aber, Beste, Sie müssen sich an diesen Anblick gewöhnen; kehren Sie hier auf unserer Fahrt die mutige Reisegefährtin heraus.«
Mary Watson war jedoch vorläufig nicht zu bewegen, durch die Fenster nach der Seite hinzublicken, welche Aussicht auf die unheimliche Gondel boten.
»Sollten es die Armen gewagt haben, absichtlich in das Weltall zu fahren? — Doch nein, es ist unmöglich. Sie mußten sich doch vorher sagen, daß sie außerhalb der Erdatmosphäre im feinen Weltäther unbedingt ersticken würden ....«
»Vielleicht sind es ein paar Abenteurer, welche in dem Glauben aufgefahren sind, daß im Bereich des ganzen Weltalls atembare Luft vorhanden ist,« fiel Mary dem Alten in die Rede.
»Dies ist undenkbar, meine Liebe,« meinte der Gelehrte. »Jedes Kind lernt es ja schon auf der Klippschule, daß die Luft über der Erde, je höher man hinauf kommt, dünner und dünner wird und schließlich überhaupt nicht mehr atembar ist. Liegt doch schon die äußerste Grenze der Atmosphäre in etwa 10 Meilen Höhe. Zudem wäre es jenen beiden Unglücklichen garnicht möglich gewesen, auch wenn sie es beabsichtigt hätten, außerhalb des Bereiches der irdischen Gravitation zu gelangen.«
»Wie ist das letztere aber doch möglich geworden?«
»Das ist für mich ein seltsames Rätsel; es muß sich da ein physikalischer Vorgang abgespielt haben, welcher ganz außerhalb jeder Berechnung liegt, wie, das wird mir wohl nie zur Gewißheit werden.«
Mac Milford richtete jetzt den Scheinwerfer so, daß er sein volles Licht bis auf den Grund der Gondel warf. Er sah nun verschiedene Instrumente, Schreibhefte, Flaschen und sonstige Dinge auf dem Boden neben den beiden Toten liegen. Am Rande der Gondel hing ein Korbkäfig, in welchem der Professor mehrere tote Tauben zu sehen glaubte. Neben diesem Behälter war ein großes Thermometer aufgehangen. Dasselbe schien aber zerbrochen zu sein, was den alten Gelehrten zu dem Schluß gelangen ließ, daß die Gondel irgendwie eine Kollision gehabt haben mußte.
»Wenn es mir gelänge, einige Papiere der Amerikaner aus dem Korb herauszufischen ...« meinte der Professor und schien nicht übel Lust zu haben, ein derartiges Unternehmen auszuführen.
»Das wird nicht möglich sein, da wir doch die Luke nicht öffnen dürfen.« Mit diesen Worten drehte sich die Schottin um und ihr Blick fiel aufs Neue auf die Schreckensgondel.
»Es ist furchtbar,« flüsterte sie, »sehen Sie nur, Herr Professor, diese starren, leblosen Körper mit den blauunterlaufenen Gesichtern und Händen!«
»Diese beiden Leichen sind starr und kalt wie Eiszapfen; sie werden, wenn sie auf die Mondoberfläche abstürzen, zu trockenen Splittern und Staub zerschmettern. Bedenken Sie, diese Eiseskälte, welche hier im Weltraume herrscht. Fleisch wird bei 150 Grad unter Null so hart und fest, daß man es zu Pulver zerstoßen könnte.«
»Es ist sonderbar, daß die Luftschiffer nicht aus der Gondel herausfallen.«
»Jetzt ist es eine Unmöglichkeit,« meinte der alte Gelehrte, »der Ballon mit Allem was dazu gehört wird seine Lage infolge der gleichmäßigen Anziehungskraft des Mondes auf jeden Teil desselben nicht um einen Zentimeter verändern. Erst wenn er im Bereich der Mondatmosphäre ist, dürfte es sich vielleicht ereignen, daß sein Inhalt und die toten Insassen herausfallen.«
Man sah nun, wie Mac Milford mehrere kleine Metallstangen ineinander schob und an der Spitze derselben eine Art Haken befestigte.
»Was wollen Sie beginnen?«
»Die Papiere der Amerikaner herüberangeln.«
»Wird es keine Gefahr für uns haben?«
»Nein.« Der Professor schraubte in der Wandung seines Fahrzeuges eine Klappe ab, wodurch eine Öffnung entstand, durch welche er blitzschnell die Metallstange schob und dann das Loch mit einer biegsamen Kautschukmasse, welche er neben sich bereit gestellt hatte, verstopfte.
In dem Augenblicke, als Mac Milford die Öffnung in der Wandung hergestellt hatte, wurde die Atmosphäre aus dem Innern des Fahrzeuges mit einer furchtbaren Vehemenz durch das Loch herausgezogen. Es war, als wenn ein Luftstrudel sich gewaltsam durch einen Trichter zwängte.
Es war, als wenn ein Luftstrudel sich gewaltsam durch einen Trichter zwängte.
Nicht schnell genug konnte die Öffnung mittels des Kautschuks wieder verstopft werden; schon bemerkten die Insassen des Fahrzeuges, daß ihnen das Atmen erschwert wurde, war doch die Atmosphäre in den wenigen Sekunden stark verdünnt worden. Mac Milford und seine Gefährtin verspürten sogleich einen Schwindelanfall und ersterer öffnete blitzschnell ein kleines Ventil in der Wandung; sofort strömte aus einem Rohre neuer Luftvorrat in das Vehikel. Ein Blick auf das Barometer ließ jetzt erkennen, daß dessen Quecksilbersäule, welche in der verdünnten Luft bis auf wenige Striche über 700 gesunken war, wieder auf 756 stand. Mac Milford sperrte nun das Ventil wieder ab.
Mary, welche jsetzt fortgesetzt tief Atem holte, sagte angstvoll: »Mich überkam soeben ein Schwindel, alles drehte sich um mich und es wurde mir grün und gelb vor den Augen.«
»Die verdünnte Luft hat uns einen Streich gespielt. Ich vergaß, ehe ich die Öffnung hier in der Wandung herstellte, vorher das Ventil zur Lufterneuerung zu öffnen; hätte ich das rechtzeitig getan, so würden wir die freie Verbindung mit dem luftleeren Weltraum kaum sonderlich als Störung empfunden haben.«
»Ich mußte mühsam nach Atem ringen ....«
»Ich ebenfalls,« erwiderte der Alte; »ich war sogar in Gefahr, daß mein Arm durch den starken Luftstrudel abgerissen wurde und so auf Nimmerwiedersehen mit durch die Öffnung in den Weltäther spaziert wäre.«
Mac Milford versuchte jetzt die Metallstange bis zum Boden der nebenher laufenden Ballongondel zu schieben. Bei diesem Manöver, welches nicht sogleich gelang, stieß er zu wiederholten Malen mit dem Ende der Stange auf die eine oder andere Leiche der Luftschiffer und verspürte dabei, daß die Körper hart wie Stein gefroren waren. Als es Mac Milford endlich gelang, einige der Papiere mit dem Haken zu erreichen, hatte er noch eine ganze Weile Mühe, diese so aufzuspießen, daß er sie glücklich herüberziehen konnte.
Ehe der Alte den Kautschukverschluß wieder von dem Loche in der Wandung abnahm, öffnete er diesmal vorsichtigerweise das Lufterneuerungsventil und gab seiner Gefährtin die Anweisung, sich möglichst von ihm entfernt zu halten.
Mit der nötigen Umsicht ging der Professor jetzt daran, die Stange mit den Papieren vollends in das Innere des Fahrzeuges hereinzuziehen. Wieder entstand ein furchtbarer Luftstrudel und die bereits schon stark abgekühlte Temperatur sank in wenigen Augenblicken bis auf 10 Grad unter Null, sodaß Mary zusammenschauderte und sich in eine Decke hüllte.
Als dann die Öffnung regelrecht verschlossen und das Ventil abgesperrt worden war, steigerte Mac Milford die gesunkene Temperatur durch sein Kalorimeter und ging dann daran, die Papiere seiner entseelten Nachbarn zu studieren.
Als nach wenigen Minuten wieder eine behagliche Wärme im Fahrzeuge herrschte, sagte Mary, welche sich inzwischen wieder aus der Decke herausgeschält hatte: »Ich befürchte noch einmal, bester Herr Professor, daß wir unter dem Einfluß des eisigen luftleeren Raumes im Weltall elendiglich umkommen werden, geradeso wie die armen Amerikaner drüben.«
»Ich werde immer die nötige Vorsicht walten lassen; seien Sie unbesorgt,« lautete die Antwort Mac Milfords, welcher sich jetzt damit beschäftigte, die Papiere auseinander zu falten und zu lesen.
»Was!« ...,« rief er plötzlich aus, »sie kreuzten am 17. Februar nachts ebenfalls über den Crampian Mountains ....«
»Wer?«
»Nun, die Amerikaner.«
»Ich bin überrascht ... ihr Ballon hätte uns aber doch auffallen müssen, wenn er in solcher Nähe war?«
»Bedenken Sie, meine Liebe, daß es Mitternacht war und daß im Dunkeln ein Ballon schwer zu erkennen ist.«
»Sie haben Recht.«
»Der Schreiber dieser Zeilen muß bei der Niederschrift plötzlich durch einen Unfall gestört worden sein.«
»Wieso?«
»Diese Papiere bilden eine Art Tagebuch, in welchem die Amerikaner von Viertelstunde zu Viertelstunde alle ihre Reisevorfälle aufzeichneten. — Sehen Sie, hier steht Folgendes: »Soeben steigt der Ballon mit rasender Geschwindigkeit kerzengerade empor. Aufstieg wird von Minute zu Minute schneller. Die Ursache ist uns unbekannt. Wie ein abgeschossener Pfeil schießen wir mitten durch verschiedene Wolkenschichten. Immer rasender wird die Fahrt. Die Luft wird dünner und dünner; mir vergeht der Atem; meine Hand zittert und erstarrt. Ich schreibe hier noch die letzten Worte: Gott sei uns gnädig ....‹«
»Die Armen!« Während sich diese Worte Mary Watsons Lippen entrangen, sagte der alte Gelehrte plötzlich dumpf: »Und ich war ihr Mörder.«
Mary erschrak über die Worte ihres Gefährten, schon glaubte sie, daß dem Alten unwohl sei und er phantasiere. »Was sagen Sie da?«
»Ja, ich allein war schuld an ihrem Tode.«
»Ich begreife das nicht!«
»O, das ist nur zu leicht zu begreifen, meine Beste, sehen Sie, der Ballon der Amerikaner ist unmittelbar unter unserem Vehikel vorbeigestrichen und in den Bereich meiner Antigravitationskathode gekommen, wodurch auch für den Ballon die Anziehungskraft der Erde aufgehoben wurde und er nunmehr in das Weltall hinausfallen und uns folgen mußte.« Bei diesen Worten legte der Professor die Papiere neben sich und schien ernstlich betrübt zu sein.
»So ist die Ballongondel uns immer in unserer Flugbahn nachgeschwebt?«
»Ja,« sagte der Alte düster, »bis endlich die Attraktionskraft des Mondes bei Annäherung an dieses Gestirn derart zunahm, daß die Geschwindigkeit der Ballongondel eine größere wurde als die unseres »Sirius‹, dessen Fortbewegung ich immer im gleichen Tempo zu regeln vermag.«
»Entsetzlich! Wer hätte das ahnen können, daß der amerikanische Ballon jemals in unsern Bereich kommen würde?«
»Die Unglücklichen sind im Staate Maine in Nordamerika aufgestiegen und durch eine widrige Luftströmung über den Atlantischen Ozean nach Schottland verschlagen worden. Wie ich aus den Papieren ersehe, haben sie 4 Tage dazu gebraucht, um den Ozean zu durchqueren.«
»Wollen wir denn fortgesetzt das schreckliche Gefährt neben uns herschweben lassen?« frug Mary nach einer Weile, währenddessen der Professor still vor sich hingebrütet hatte.
»Wenn Ihnen der Anblick so unerträglich ist, meine Liebe, so wollen wir die Ballongondel einfach ihrem Schicksal überlassen; toten Menschen können wir ja doch keine Hilfe mehr bringen.«
»Ja, jeder Blick, den ich hinüberwerfe, regt mich auf.«
Der Alte gab hierauf keine Antwort und mäßigte die Geschwindigkeit des »Sirius«, sodaß die Ballongondel in schnellerer Fahrt bald einen Vorsprung gewonnen hatte und in wenigen Minuten sich den Blicken unserer Erdenbürger nur noch als ein dunkler Punkt, welcher der strahlenden Mondscheibe zueilte, zu erkennen gab.
»Gott sei Dank!« rief Mary aus.
»Nach meiner Berechnung werden die Unglücklichen in der Umgegend des Kraters Hyginus auf die Mondoberfläche niederstürzen,« meinte Mac Milford und schaute mit dem Fernstecher dem dunklen Punkte nach.
Der »Sirius« mochte jetzt etwa eine Wegstrecke von über 35 000 Meilen zurückgelegt haben. Schon stand der Mond wie ein ungeheurer Ball, welcher fast die Hälfte des Himmels bedeckte, vor ihnen; die gebirgigen Erhebungen und die mächtigen Einsenkungen, die Krater und Mare, traten bereits scharf hervor. Deutlich sahen die Insassen des »Sirius« breite Rillen, welche den Mondboden an vielen Stellen durchfurchten, und Gletscherströme, welche von den Firnfeldern der Ringgebirge des Kopernikus, Tycho, Aristarch und Kepler in die Tiefe verliefen.
Der Trabant der Erde war bis zu dieser Stunde noch nicht zum Vollmond ausgereift; noch zeigte sich ein dunkler Streifen an der linken Seite der mächtigen Kugel vom Nord- zum Südpol hin, und die Lichtgrenze, über Berge und Täler ziehend, markierte sich scharf ab.
»Wunderbar!« rief die Schottin aus, indem sie sich der Betrachtung des Mondes widmete. »Schauen Sie doch dort hin, Herr Professor, wie aus dem Schatten einzelne goldige Kuppen der noch im nächtlichen Dunkel liegenden Berge hervorragen!«
»Sie vermögen jetzt die ungeheuren Tiefebenen, welche die Wissenschaft Mare nennt, deutlich zu sehen; dort erblicken Sie das gewaltige Mare procellarum , welches fast 100 000 Quadratmeilen Flächeninhalt hat, dort das Mare nubium ....« In diesem Augenblicke wurde der Professor bei seiner Erklärung unterbrochen, denn ein eigentümliches Summen und Klingen, welches von außerhalb zu kommen schien, wurde hörbar. Der Alte horchte auf, und Mary schaute ein wenig ängstlich umher; ihr Blick hing an den Zügen ihres Gefährten.
»Ein merkwürdiges Geräusch — es ist so auffallend, daß ich mich überzeugen muß, welche Ursache da zu Grunde liegt.«
Mac Milford trat zu der Stelle hin, an welcher das summende Geräusch am stärksten hörbar war; es kam entschieden von draußen. Da war eine Untersuchung freilich schwer. Durch das Fenster vermochte er nichts Auffälliges zu entdecken, und die Apparate funktionierten in bester Weise, sodaß sich keine Erklärung für die eigentümlichen Töne, welche an die Ohren der Insassen des »Sirius« drangen, fand.
»Es scheint wieder etwas in Unordnung zu sein?« frug Mary ängstlich.
»Möglich, doch ist es nicht bedenklich. Ich bin sehr neugierig, woher das klingende Geräusch wohl kommen mag.«
Nach einigen Minuten verstummten die Töne und es wurde wieder ruhig. Als der Professor noch eine Weile gehorcht hatte, sagte er: »Ich vermute, daß die Kathode das Geräusch hervorgerufen hat, denn seitdem ich vor wenigen Augenblicken an diesem Hebel hier drehte, höre ich nichts mehr. — Doch nun wollen wir einmal regelrecht speisen, lassen Sie uns genießen, was unsere Vorratskammer birgt; mich gelüstet wirklich danach, meinem Magen die gewohnte Nahrung zuzuführen.«
Mary nickte, und beide machten sich nun daran, eine Mahlzeit herzurichten.
»Ich habe neben den komprimierten Nahrungsstoffen auch noch einige delikate Eßwaren und Getränke mitgenommen, diese wollen wir zuerst verzehren.« Der Alte kramte darauf aus einem metallenen Behälter verschiedene Büchsen mit Pasteten und kaltem Geflügel hervor und schaffte zum Überfluß noch einige Flaschen Champagner herbei.
»Wollen Sie denn ein Festmahl herrichten?«
»Sie meinen, weil ich Sie mit Champagner bewirte?« frug der Alte lächelnd.
Plötzlich hörten beide wieder das summende Geräusch und lauschten von neuem. Diesmal war es stärker und klang fast wie das Wimmern eines Kindes. Was mochte die Ursache sein? Soviel Mac Milford sich auch bemühte, dem Geräusch auf die Spur zu kommen, so war es ihm doch nicht möglich.
»Sollte ein Defekt am Fahrzeug entstanden sein?«
»Das will ich nicht hoffen,« war die Antwort.
»Die Töne sind aber doch recht seltsam, so wimmernd und klagend, daß man gar nicht weiß, was man daraus machen soll.«
»Nun, lassen Sie uns darüber nicht unsere Mahlzeit vergessen, wir müssen das Wenige, was wir an frischen Genußmitteln mitgenommen haben, beizeiten verzehren, die Sachen könnten uns sonst möglicherweise verderben.«
Mac Milford tafelte noch mancherlei andere Dinge auf und setzte sich dann mit seiner Gefährtin nieder. »Trinken wir jetzt auf das Wohl des Erdenballes und auf das unserer irdischen Stammesgenossen!« Bei diesen Worten schenkte der Alte zwei Becher voll Champagner und stieß mit seiner Gefährtin an: »Möge die Mutter Erde noch Jahrbillionen ungestört ihre Bahn um die Sonne wandeln und das Menschengeschlecht sich geistig herrlich weiter entfalten!«
»Möge die Mutter Erde noch Jahrmillionen ungestört
ihre Bahn um die Sonne wandeln und das Menschen-
geschlecht sich geistig herrlich weiter entfalten!«
Mary Watson mußte ob dieses pathetisch ausgerufenen wissenschaftlichen Toastes herzlich lachen.
»Ihr Trinkspruch, Herr Professor, wird nicht viel nützen, denn wenn so ein Kobold von Komet einmal in die Nähe der harmlosen Erde gerät und neckisch sein Spiel mit ihr treibt, ihren Weg kreuzt und gar mit seinem Schweif über ihre Landschaften hinwegfegt, ist es doch sicher um sie geschehen; meinen Sie nicht auch?«
»Sie irren, die nebelhafte Masse eines solchen Weltenbummlers würde unserem Planeten nichts anhaben können. Der Komet würde wie ein Schleier über unsere Erde hinwegziehen und schlimmstenfalls nur einen Sternschnuppenregen auf sie herniederprasseln lassen.« Der Professors Blick fiel jetzt durch das Fenster auf die riesenhafte Mondscheibe und blieb einen Augenblick an einem Punkte haften.
»Was sehen Sie?« frug Mary, indem sie den Blicken des Alten folgte.
»Schauen Sie einmal in das Zentrum der Mondscheibe. Ganz unmittelbar in der Nähe desselben, etwas links, werden Sie die Umrisse einer winzigen Rauchsäule erkennen können. Hier, nehmen Sie das Fernglas.«
Mary bestätigte dies.
»Es ist ein Kraterausbruch!«
»Ist das dort so etwas Ungewöhnliches?«
»Ja, meine Liebe, derartige Ausbrüche sind auf dem Monde selten; die vulkanische Tätigkeit daselbst ist im Laufe der Jahrtausende sehr zurückgegangen und Eruptionen sind daher Seltenheiten.«
Die Riesenscheibe des Mondes, welche jetzt in ihrer ganzen Majestät vor den Insassen des »Sirius« lag, bot einen wunderbaren Anblick, der mehr und mehr die Augen der beiden Erdenbürger fesselte. Ein Blick aus der Vogelschau auf den Satelliten der Erde ließ bereits zahlreiche Ringgebirge, einzelne langgestreckte Bergzüge und große Ebenen deutlich erkennen. Eine Unzahl winziger kesselartiger Löcher bedeckten die Mondoberfläche und verliehen dem Trabanten der Erde das Aussehen eines durchlöcherten Siebes.
Da die Sonne jetzt genau im Rücken des »Sirius« lag, so hatten die Insassen desselben die völlig beleuchtete Scheibe des Mondes vor sich, während hinter ihnen der Erdenball in tiefster Nacht verharrte.
»Wie weit haben wir uns nun schon dem Monde genähert, Herr Professor?«
Der Angeredete nahm noch einen letzten Bissen zu sich, trank sein Glas Champagner aus und erhob sich um einen Apparat zu prüfen, welcher ihm anzeigte, welchen Weg das Vehikel bisher zurückgelegt hatte.
»41 000 Meilen!«
»Da hätten wir demnach nur noch etwa 9000 Meilen zurückzulegen?«
»Ja. Genau 8763¼ Meilen; wir haben vier Fünftel der Fahrt hinter uns.«
»So stände unsere Ankunft also nahe bevor?«
»In längstens 10 Stunden, meine Liebe.«
Es machte sich bereits schon der große Einfluß der Attraktionskraft des vor ihnen liegenden Gestirnes bemerkbar.
»Wir werden bald an eine Stelle im Weltall kommen, welche auf unserer Fahrt die seltsamste ist,« sagte der alte Gelehrte nach einer Weile, währenddessen er die Lage der Kathode veränderte.
»Sie machen mich neugierig —.«
Der Professor sah auf sein Chronometer, nahm dann ein kleines Stück Papier und rechnete darauf. »Wir haben jetzt nach irdischer Zeitrechnung 9 Uhr 52 Minuten und 10 Sekunden — noch 1 Stunde 20 Minuten und 52 Sekunden und wir befinden uns auf dem toten Punkte.«
»Auf dem toten Punkte?« frug verwundert Mary. »Was soll ich darunter verstehen?«
»Ich meine an der Attraktionsscheide, da, wo sich die Schwerkraft des Mondes und der Erde gegenseitig aufheben.«
»Das muß ja ein interessanter Ort für uns sein!«
»Das will ich meinen!« rief der alte Gelehrte, »ich werde an dieser Stelle eine kleine Weile den »Sirius‹ stoppen, um wissenschaftliche Beobachtungen anzustellen.«
Zu diesem Zwecke bereitete Mac Milford während der Stunde Fahrt, welche bis zu dem genannten Punkte noch vor ihnen lag, das Nötigste zu physikalischen Versuchen vor. Wieder tönte das wimmernde Geräusch von draußen herein und wurde allmählich stärker.
Je mehr sie sich der Attraktionsscheide näherten, desto mehr verlangsamte sich die Fahrt des »Sirius« und konnte trotz aller Hilfsmittel, welche angewandt wurden, nicht wieder in ein schnelles Tempo gebracht werden.
»Wir schleichen jetzt wie eine Schnecke vorwärts,« meinte der Alte.
»Ich verspüre davon aber nichts.«
»Aber ich, ich sehe an meinem Pedometer ganz genau wie schnell wir uns fortbewegen, nun es ist das ja auch kein Wunder, ist doch die Anziehungskraft der Erde für uns bald gleich Null, und da ich die Kathode meines Fahrzeuges schon um 60 Grad der Mondkugel entgegengerichtet habe, so ist auch die Attraktion des Mondes fast aufgehoben.«
Immer träger schlich das Fahrzeug durch den Weltäther dahin. Mac Milford sah ungeduldig der Minute entgegen, welche sie auf den toten Punkt im Weltall bringen sollte.
Indeß beschäftigte sich Mary damit, die Mondkugel mittels des Fernstechers zu mustern. Plötzlich rief sie aus: »Herr Professor, wahrhaftig! Dort vor uns schwimmt die Ballongondel wieder im Weltäther!«
»Oho!« Der Alte nahm jetzt das Fernrohr zur Hand und konnte Marys Entdeckung nur bestätigen: »Sie haben Recht ... Teufel! Das Ding ist an der Attraktionsgrenze angelangt und verharrt dort in unbeweglicher Ruhe!«
»Und wir ....«
»Wir nähern uns dem schrecklichen Fahrzeug wieder und werden bald unmittelbar neben ihm zu liegen kommen ... In 7 Minuten 6 Sekunden sind wir an Ort und Stelle,« sagte Mac Milford mit etwas feierlichem Tone, als er wiederum auf seinen Chronometer geschaut hatte.
»Am toten Punkte?«
»Ja.«
Mit Schrecken sah Mary, daß der »Sirius« jetzt nur noch etwa 100 Meter von der schauerlichen Ballongondel entfernt war. Durch den Stillstand dieses Fahrzeuges konnten die Insassen des »Sirius« am besten ermessen, wie ungeheuer langsam ihr Vehikel vorwärts schlich; gebrauchte es doch fast eine halbe Stunde, um die letzten 100 Meter bis zur Attraktionsscheide zurückzulegen.
In dem Augenblicke, wo der »Sirius« an den Ballon heranglitt, blieb er urplötzlich stehen.
Mac Milford zog seine Stirne in Falten und war einen Augenblick etwas betroffen, dann drehte er schnell an mehreren Hebeln.
»Um des Himmwelswillen, Herr Professor, wir werden doch hier nicht etwa liegen bleiben?«
Der Alte zuckte die Achseln und sagte nichts. Er mochte die Kathode draußen in einem ganzen Gradkreise drehen wie er wollte, es half alles nichts, der »Sirius« war gleich der Ballongondel auf dem Flecke, wo er lag, wie angenagelt. »Der tote Punkt macht mir einen Strich durch die Rechnung; seine Gefährlichkeit für unsere Fahrt habe ich leider vorher übersehen,« sagte der Professor nach einer kleinen Weile, als er sah, daß Mary ängstlich auf eine Äußerung von ihm wartete.
»Was sollen wir nun tun, werden wir hier überhaupt nicht wieder vom Flecke kommen?«
»Ich weiß es nicht, doch wir wollen nicht verzagen, vielleicht gelingt es mir noch.«
Hier, weit draußen im Weltall waren zwei Fahrzeuge vor Anker gegangen und es schien für sie nach der Lage der Dinge wenig Aussicht vorhanden zu sein, sich jemals wieder von diesem Ankerplatz entfernen zu können.
»Entsetzlich, wenn wir hier elendlich zu Grunde gehen müßten; wissen Sie denn gar kein Hilfsmittel, bester Herr Professor?«
Mac Milford schüttelte stumm das graue Haupt; er wußte sich offenbar keines Rates. »Das Einzige wäre, daß wir versuchten aus der direkten Fluglinie zwischen Erde und Mond herauszukommen und uns dem Erdtrabanten seitlich zu nähern.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich meine damit, daß wir nach links oder rechts abbiegen müssen.«
»Wenn es nur ginge; das Fahrzeug ist ja hier wie mit tausend Stricken festgehalten,« meinte Mary trostlos. »Können wir denn nicht wenigstens rückwärts fahren?«
»Das wird seine Schwierigkeiten haben, augenblicklich müssen wir hier ein wenig verweilen; wohl oder übel, meine Liebe, daran läßt sich nichts ändern.«
»Und wie lange wird dies dauern?«
»Wenn es mir gelingt, mit Hilfe meines aufgespeicherten antimagnetischen Fluidums die eine oder andere Attraktionskraft, welche uns an der Fortbewegung hindert, völlig aufzuheben, so sind wir gerettet.«
»Sie halten das für möglich?«
»Das ist nicht nur möglich, sondern sogar bestimmt,« erwiderte der Alte. »Es kommt jedoch noch auf den Versuch an, auf welche Weise ich das kostbare Fluidum opfern muß, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.«
Mary atmete auf, war doch wieder ein Schimmer Hoffnung vorhanden. Mit Grauen wendete sie ihren Blick von der danebenliegenden Ballongondel ab. Noch immer saßen die entseelten Insassen in der gleichen Stellung in derselben, und es war, als hätte sich das Gesicht des Einen mehr und mehr zu einer furchtbaren Fratze verzogen.
Das sonderbar klingende Geräusch, welches man bisher vernommen hatte, war mit der Annäherung an den toten Punkt völlig verschwunden, dafür aber wurde von Zeit zu Zeit ein verdächtiges Knacken an zwei sich genau gegenüberliegenden Stellen des Fahrzeuges hörbar.
Der Professor war in tiefes Nachsinnen versunken, und Mary verharrte ebenfalls in Schweigen, um jenen in seinen Betrachtungen nicht zu stören. Eine Grabesstille herrschte in diesem Augenblicke im Innern des »Sirius«; dieselbe wurde nur durch das knackende Geräusch unterbrochen. Mac Milford schenkte diesem jedoch keine Aufmerksamkeit, er war zu sehr im Grübeln versunken; der tote Punkt schien ihm doch eine recht harte Nuß zu sein, die zu knacken er sich vergeblich bemühte.
So verging fast eine Viertelstunde, als der Gelehrte plötzlich aufsprang und rief: »Heureka!« Er eilte sogleich in eine Ecke des Fahrzeuges, schraubte dort eine im Boden befindliche Platte los, holte einen Metallschlauch herbei und befestigte diesen an einem Spiralrohre. Nach weiteren Manipulationen, welchen Mary mit gespannter Aufmerksamkeit zusah, wurde die Kathode wieder gegen die Erdkugel zugeneigt, und Mac Milford ließ jetzt antimagnetisches Fluidum in den Weltäther gegen die Erde zu austreten. Das gab ein seltsames Schauspiel. Wie blitzende Garben schossen zahllose Lichtpfeilchen aus dem Metallschlauch, welcher außerhalb der Wandung des Fahrzeuges mündete, hervor und verbreiteten um die Kathode eine matte Lichtaureole, welche eine violette Färbung zeigte. Gleichzeitig tauchte etwa einige Meter vom »Sirius« entfernt eine rötliche zweite Lichtaureole auf. Beide Erscheinungen flossen ineinander über, und es war Mary als wenn jetzt das Fahrzeug fortgesetzt kleine Stöße erhielte.
Wie blitzende Garben schossen zahllose Lichtpfeilchen aus dem
Vehikel und verbreiteten um die Kathode eine matte Lichtaureole.
»Sehen Sie dort die Aureole, es ist Anodenlicht!« belehrte Mac Milford.
»O welche wunderbare Erscheinung!« rief Mary.
»Es sind positive magnetische Kraftstrahlen des Mondes.«
In diesem Augenblick setzte sich der »Sirius« in Bewegung und fuhr langsam seinem Ziele zu.
Das Manöver war gelungen, der tote Punkt überwunden.
»Jetzt hat es keine Schwierigkeiten mehr!« rief Mac Milford aus, »die Attraktionsscheide ist glücklich überschritten.«
Deutlich sahen nun beide wie die jetzt hinter ihnen liegende, noch auf dem toten Punkt verharrende Ballongondel ebenfalls Schwankungen machte und das Bestreben zeigte, sich ebenfalls vorwärts zu bewegen; das mußte wohl eine Folge der magnetischen Ausstrahlung des »Sirius« sein.
»Oh weh, das schreckliche Fahrzeug wird uns folgen!« rief Mary Watson aus.
Mac Milford war in diesem Augenblicke zu sehr damit beschäftigt, den »Sirius« flott zu halten, um sich um das Schicksal der Ballongondel noch weiter zu kümmern.
Mehr und mehr kam man jetzt der vom Sonnenlicht übergossenen Mondkugel näher. Alle die hellen Partien, welche dem Beschauer auf Erden in das Auge fallen, zeigten sich hier in der unmittelbaren Nähe des Gestirnes als weitverzweigte Erhebungen, welche vorherrschend meist eine runde Gestalt besaßen, zuweilen aber auch langgestreckte Gebirgszüge darstellten.
Mac Milford und seine Gefährtin erblickten den Mond aus der Vogelschau etwa so, wie ein Luftschiffer die Erde von seiner Gondel aus sieht. Zahlreiche Bergkränze, sogenannte Wallebenen, oft mehrere tausend Kilometer im Durchmesser haltend, kamen ihnen deutlich zu Gesicht.
Plötzlich unterbrach Mac Milford die Stille und rief, indem er mit der Hand auf eine Stelle der Mondscheibe deutete: »Schauen Sie bitte dort hin, Miß Watson; das ist die interessante Wallebene Gassendi!«
»Dieselbe muß doch eine respektable Breite besitzen?«
»Ja, der Gassendi hat 89 Kilometer Durchmesser und sein Flächenraum umfaßt etwa 5200 Quadratkilometer. Innerhalb des Ringwalles sehen Sie Bergkegel sich erheben, von denen einzelne besonders am östlichen Walle sich nahe 3000 Meter über der umgebenden Ebene erheben. Südlich vom Gassendi erblicken Sie eine große Ebene, das Mare humorum.«
Deutlich wurden auch die Kraterebenen, welche den Wallebenen sehr ähneln, sichtbar. Wo sich keine Niederungen befanden, erblickte das Auge ein wahres Gewirr von Kratern in allen Größen, von denen einzelne als spitze, steile Kegel geformt, besonders hervortraten; auffallend waren auch besonders die im Mare nubium und im Oceanus procellarum liegenden Krater, welche meist einen Durchmesser von 6—11 Kilometer besaßen und in einem Umfange von 15—20 Kilometer von einer hellglänzenden Fläche umgrenzt waren. Mädler und Beer haben seiner Zeit diese Art vulkanische Gebilde mit dem Ausdruck »lichtumsäumte Krater« bezeichnet. Wunderbar nahmen sich auch einige Hochlandsgebiete aus, so besonders die Apenninen, welche von Norden nach Süden 296 Kilometer lang sind und von Osten nach Westen eine Breite von 267 Kilometer besitzen. Einzelne Bergstücke der Apenninen ragen bis 6000 Meter aus der umgebenden Ebene empor. Ein zweites Hochland, der Kaukasus, welches nordwestlich von den Apenninen liegt und von diesen durch eine breite Ebene getrennt ist, erhebt sich mit seiner höchsten Spitze bis zu fast 5800 Meter. Nördlich vom Kaukasus konnten unsere Reisenden die Alpen mit ihren Gipfeln bis zu 4500 Meter deutlich erkennen und sahen das merkwürdige, schnurgerade Tal, welches dieses Mondgebirge durchzieht und bis zu 9 Kilometer breit und 133 Kilometer lang ist. Herrlich traten auch die Strahlensysteme des Ringgebirges Tycho und Kopernikus hervor. Besonders die vielen hundert Strahlen, welche sich vom Tycho in die umgebende Ebene hinab bis über tausend Kilometer weit verliefen, ließen den Beschauer nicht mehr im Unklaren, daß er hier riesige Gletscherströme, welche vom Firn des Ringgebirges als ihrer Geburtsstätte abflossen, vor sich habe.
Mac Milford war es inzwischen gelungen, durch Verstellen der Kathode und durch Ausströmenlassen magnetischen Fluidums den »Sirius« so aus der direkten Gravitationslinie zu bringen, daß das Vehikel nunmehr seinen Kurs von der Seite her auf die bleiche Luna zu nahm.
»Wir werden also den Mond glücklich erreichen?« frug Mary, welche wieder etwas sorgloser geworden war.
»Verlassen Sie sich darauf ... Wir haben noch eine Entfernung zu durchlaufen, welche sich auf nur 6 Stunden beläuft.«
»Jetzt zeigen Sie mir doch bitte auch einmal genau die Stelle, wo wir zu landen beabsichtigen.«
»Hier nehmen Sie bitte den Fernstecher und schauen Sie in das Zentrum der Mondscheibe. In dieser Gegend werden Sie unter vielen kleinen einige größere Kratergebilde erblicken. Das nördlichere ist der Triesnecker, dort werden wir landen.«
Von Stunde zu Stunde entfaltete sich das lunarische Panorama herrlicher. Die Feder kann nicht beschreiben, welch ein Anblick das war. Bald gelang es dem Auge, auch die kleinen Details auf der Mondoberfläche erkennen zu können.
»Wir haben jetzt nach irdischer Zeitrechnung 11 Uhr 7 Minuten vormittags,« sagte Mac Milford, nachdem er seinen Chronometer geprüft und eine kleine Weile auf einem Papier gerechnet hatte. »Wir befinden uns 4280 Kilometer über der Oberfläche des Erdtrabanten und werden, wenn alles glücklich abgeht, in etwa 50 Minuten landen können.«
Mary war über die bevorstehende nahe Ankunft hoch erfreut und begrüßte schon am Fenster leuchtenden Auges den fremden Boden, welchen sie in längstens einer Stunde unter die Füße bekommen sollte.
Schneller und schneller sauste der »Sirius« seinem Ziele zu und schwebte bald unmittelbar über der Gegend des Triesneckerkraters.
Good morning, Mr. Selenit!« rief Tom, das Faktotum Mac Milfords, als er nach seiner Ankunft auf dem Erdtrabanten am Fuße eines Kraterberges zur Besinnung kam, einem neben ihm stehenden Menschen zu. Daß er sich auf dem Monde befand, dessen war sich Tom sofort, als er um sich sah und einen Gedanken zu fassen vermochte, bewußt.
»Good morning, Mr. Selenit!« rief Tom.
Der Bewohner Lunas schien seinen stammverwandten Erdenbruder nicht zu verstehen, denn er schüttelte mit dem Kopfe, als er den englischen Morgengruß vernahm.
Dem scheint die englische Sprache ein Buch mit sieben Siegeln zu sein — dachte Tom, als er sich vom Boden erhob. Er wollte es darum mit anderen Idiomen versuchen.
»Bon jour, Monsieur!«
Wieder gab's keine Antwort, nur ein schwaches Achselzucken, ein Kopfschütteln und eine recht erstaunte Miene.
»Guten Tag, Herr Mondmensch!«
Als auch diese Anrede unverstanden blieb, kramte Tom seine übrigen, der Himmel mag wissen, wo aufgeschnappten, fremdsprachlichen Grußformen aus.
»Servus! ... Buon giorno! ... Buenos dias! ... Sdrawsdwuitje!«
Das seltsame Wesen schien jedoch auf keine irdische Sprache zu reagieren.
»Salem aleikum!« rief Tom schließlich verzweifelt aus und kreuzte dabei nach arabischer Sitte die Hände über der Brust. »Gummi arabikum! ... basta!« Jetzt habe ich Dich hintereinander englisch, französisch, deutsch, lateinisch, italienisch, spanisch, russisch und arabisch begrüßt, wenn Du Kalmücke mich nicht verstehst, so bedauere ich Dich,« sagte Tom und fühlte sich plötzlich erschrocken an seine rechte Seite. Dort fehlte ihm etwas — ganz bestimmt ... er verspürte eine weiche Lücke an seinem Corpus.
»Herr des Himmels! Mir fehlt wahrhaftig etwas, — eine Rippe! ... das ist ja eine schöne Geschichte!« Sich weiter nicht um die Gegenwart des Mondmenschen kümmernd, begann er jetzt die Nachbarstellen nächst dem Orte, wo er gelegen hatte, eifrig nach dem fatalen Knochen abzusuchen.
»Am Ende hat ihn der Alte drüben gefunden und versteckt ...« sagte Tom halblaut vor sich hin und sah den verwundert darein schauenden Seleniten mißtrauisch an. Da die verloren gegangene Rippe eine der untersten seines Brustkorbes war, so hing dort die Haut beutelähnlich herab, und das mußte dem Träger zeitweise recht hinderlich werden.
»'s ist eine verteufelte Sache ...« sagte Tom schließlich mißmutig und gab das vergebliche Suchen auf.
Inzwischen waren in der Ferne einige Gestalten aufgetaucht, denen der Mondmensch hastig zuwinkte und ihnen einzelne, Tom völlig unverständliche Worte zurief. — Ein langgezogener Ton war die Antwort der sich schnell Nähernden.
Aha — jetzt giebt's Gesellschaft — — dachte der Erdenbürger, stellte sich schnell ein wenig in Positur, um auf die Ankömmlinge einen imponierenden Eindruck auszuüben. Wer ihn so von seinen irdischen Mitmenschen hätte sehen können, der würde sich den Bauch vor Lachen gehalten haben. Toms groteske, breitbeinige Stellung nahm sich ungemein komisch aus. Die Arme über die Brust verschränkt, den plumpen Kopf mit seinen geistlosen Zügen und seinem fuchsroten, wulstigen Haar nach hinten zurückgelehnt, schaute er hochmütig auf die ihm nicht ebenbürtig erscheinenden Trabantenmenschen. Nach Toms Erachten konnten die Kinder des Mondes, deren Weltscholle seinem irdischen Gestirne untergeordnet war — dies astronomische Faktum war ihm geläufig — aus letzterem Grunde geistig den Erdenbürgern unmöglich das Wasser reichen. Tom, der sich als alleiniges Faktotum des gelehrtesten Professors der britischen Nation so eine Art Wissensdusel angeeignet hatte, der in seinem Hydrocephalusschädel tausende von wissenschaftlichen Brocken sorgfältig durcheinandergewürfelt aufgespeichert hatte, glaubte sich hier oben auf einer Welt zweiten Ranges von deren Kretinen nicht als ein armseliges, verschlagenes Geschöpf mitleidig betrachten lassen zu dürfen — darum erwartete er die Ankömmlinge wie ein Napoleon, der auf der Höhe seiner Macht und seiner Gloire die unterjochten Fürsten empfing.
Hätte der Leser einen Vergleich zwischen Tom und dem neben ihm stehenden Seleniten anstellen können, die Waagschale wäre entschieden zu Gunsten des letzteren herniedergegangen, denn der Bewohner des Erdtrabanten war, was die Proportionalität seines Körpers anbetraf, entschieden eher nach dem ästhetischen Gesetze des »Goldenen Schnittes« gebaut als Freund Tom.
Als die Mondmenschen, sechs an der Zahl, etwas zögernd herangekommen waren, flüsterten sie eifrig miteinander und warfen fortgesetzt scheue Blicke auf ihren seltsamen Nachbarn. Daß dieser ein vom Himmel gefallener Fremdling war, darüber schienen sie soeben von ihrem Mitmenschen unterrichtet worden zu sein; wäre letzteres auch nicht der Fall gewesen, so hätte ihnen Toms Aussehen, seine fremdartige Kleidung und seltsamen Manieren eine sichere Garantie dafür gegeben, daß die Wiege dieses sonderbaren Gesellen nie auf dem Boden ihrer Weltscholle gestanden habe. — —
Tom behauptete noch immer seine herausfordernde Stellung, als er die scheuen Seleniten plötzlich Reißaus nehmen und hinter einem Felsvorsprung verschwinden sah.
Die Leutchen respektieren mich, wie sich's gehört ... sie fürchten mich sogar, noch besser — so dachte Tom und verließ seine Stellung, um nunmehr etwas Umschau zu halten.
Auf welche Weise er von der Erde zum Mond gelangt war, kam ihm wieder ins Gedächtnis. Tom erinnerte sich nur zu genau, wie er im Observatorium geweilt, und daß er, als Mac Milfords Tritte hörbar wurden, schnell in die verhängnisvolle Holzzelle retiriert sei; wie ihn dann dort der elektrische Strom erfaßt, und daß, ehe ihm das Bewußtsein geschwunden war, ihn der Gedanke noch blitzschnell durchzuckt hatte: du bist verloren, du wanderst zum Monde.
Trotzdem er wußte, daß die Reise nur Sekunden gedauert haben könne, so dünkte es ihm doch fast wie eine Ewigkeit, seit er die Erde verlassen hatte. —
Verlockend sah die Gegend, in welcher sich der Erdensohn befand, nicht gerade aus. Wo er hinblickte, unwirtliches Felsgestein und gletscherartige Massen. Von Vegetation waren außer einigen kümmerlichen Flechten und Moosen nur kriechende Staudenpflanzen, welche den irdischen Salikaceen und Erikaceen auffallend ähnelten, auf dem überall vereisten Boden zu erblicken. Die gesamte Flora schien den arktischen Charakter zu besitzen, wie ihn auf Erden der grönländische Kontinent und überhaupt die Eisregionen zeigen. Kein Vogel belebte die Luft, kein Reptil kroch über den Boden dahin — kurz, was das Auge erschaute, war trostlos, eintönig und unwirtlich.
Die Atmosphäre kam Tom schrecklich dünn vor. In dem Zeitraume, in welchem er sonst auf Erden nur einmal Luft schnappte, mußte er dies hier viermal tun. Zudem war es bitterkalt; so kalt, wie es etwa auf außerordentlich hohen Bergen der Erde der Fall ist. Daran war entschieden die dünne Lufthülle Schuld, welche die Sonnenstrahlen unbehindert durchließ und deshalb auch nur schwach von denselben erwärmt wurde.
Wenn sich also die Gelehrten des Erdplaneten herausrechneten, daß infolge der intensiven, 14 Tage ununterbrochen anhaltenden Bestrahlung durch die Sonne die Mondtemperatur auf 100 bis 150 Grad Wärme steigen müsse, wie dies Sir John Herschel und Lord Rosse behaupteten, so hatten diese Hypothesenschmiede falsch kalkuliert. Die dünne Luft verhindert eine Erhitzung ebenso, wie sie in der 14tägigen Nacht eine völlige Erkaltung des Bodens nicht zuläßt.
Während Tom etwas Umschau hielt, nicht recht wissend, was er zunächst beginnen sollte, vergrub er fröstelnd seine nicht gerade klein und zart geratenen Pfötchen in die weiten Taschen des Rockes und versuchte seine unbehagliche Stimmung durch Pfeifen eines schottischen Gassenhauers zu heben. Doch wie erstaunte er, als es ihm nicht gelang, in der altgewohnten Art zu flöten. Die Töne, welche er zuwege brachte, sprachen seiner Virtuosität im Pfeifen geradezu Hohn.
Der Leser wird nun vielleicht unwillkürlich auf den naheliegenden Gedanken kommen, daß unserm Freund Tom auf der Reise durch den Weltäther, von seinem in Myriaden von Einzelzellen aufgelösten Körper, gerade eine Anzahl derjenigen Zellchen abhanden kamen, welche Teile des Pfeiforgans bildeten — — mitnichten: die dünne Mondatmosphäre war allein Schuld daran. Denn wenn ein Ton, ein Pfiff entstehen soll, so muß bei der Ausatmung ein Luftstrom mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit durch die gerundete Öffnung der Lippen hindurchgetrieben werden; durch den Widerstand der äußeren Luft wird dann der Ton erzeugt. Ist nun die Außenluft dichter oder dünner, so ist auch der Widerstand derselben ein verschiedener, und infolge dessen auch die Geschwindigkeit des ausfließenden Luftstromes, sodaß, wenn der Luftwiderstand ein erheblich veränderter ist, nur mit Mühe ein Ton gepfiffen werden kann; der Betreffende müßte sozusagen von neuem das Pfeifen lernen.
Diese physikalische Tatsache war Tom natürlich nicht bekannt, soweit reichte sein Wissenskonglomerat nicht; darum schien er ebenso erstaunt als ängstlich zu sein, als ihm, dem Pfeifkünstler, die geliebte Beschäftigung nicht mehr gelingen wollte.
Da es Tom, wie schon gesagt, mörderisch fror, so ging er auf die Suche nach menschlichen Behausungen.
In kurzem Trab, um sich zu erwärmen, lenkte er seine Schritte nach der Seite hin, wo die Seleniten vor wenigen Augenblicken verschwunden waren. Doch das Laufen mußte er bald aufgeben, da ihm in der dünnen Luft der Atem ausging und er wie ein alter irdischer Droschkengaul zu japsen anfing.
Jetzt wurde es dem wackern Tom recht ungemütlich; er sehnte sich nach einem sichern und warmen Plätzchen.
Die Gegend, in der der Erdensohn gelandet war, bildete die Umgebung des Kraters Timocharis, welcher, wie ein Blick auf die selenographische Karte von Lohrmann uns zeigt, nahe der Mitte des Mare imbrium, dem regnerischen Meere, gelegen ist. Von der Erdkugel aus mit unbewaffnetem Auge gesehen, liegt dieses Mare in dem linken oberen Quadranten der Mondscheibe, durch das astronomische Fernrohr, welches bekanntlich alle Gegenstände umkehrt, betrachtet, dagegen in dem rechten unteren Quadranten.
Tom irrte in nicht gerade rosigster Laune zwischen zahllosen niedrigen aber breiten Kratergruben, welche die nächste Umgebung des trotzig aufragenden Timocharis bildeten, umher und entdeckte nichts, was einer menschlichen Wohnstätte auch nur im geringsten hätte ähnlich sehen können.
»Good dam!« fluchte der Schotte. »Wo mögen die verflixten Kerls eigentlich geblieben sein?«
So schnell als es seine heftig arbeitenden Lungenflügel gestatteten, klomm er jetzt an der stark zerklüfteten Felswand des Kraters empor, um, wie er dachte, von oben herab die Umgebung zu mustern; er hoffte so am ehesten Wohnstätten der Seleniten zu entdecken.
Doch noch war er keine fünfzig Fuß emporgestiegen, und das unter vielen Gefahren, als ihm der Atem völlig ausging — die Luft wurde zusehends dünner, je weiter er nach oben kam.
Mister Tom dachte gerade darüber nach, ob es nicht besser sei, umzukehren, als das kleine Felsplateau, auf dem er stand, plötzlich nachgab und mit ihm in die Tiefe rasselte. Dem so auf unerwünschte Weise Hinabbeförderten verging bei dieser Rutschpartie Hören und Sehen; fünfzig bis sechzig Meter tief fallen ist auch keine Kleinigkeit. Daß er dabei nicht zu Tode kam, das hatte er nicht zum wenigsten der auf dem Monde sechsfach schwächeren Schwerkraft und zum Teil vielleicht auch seinem dicken Fell und seinem Bärenknochengerüst zu verdanken. — — Bewußtlos blieb er unten liegen ....
George Price, jener Student, welcher sich mit Hilfe Mac Milfords' Atomistikum zum Monde hinüberbefördert hatte, war tatsächlich wohlbehalten auf dem Erdtrabanten angekommen. Seine Landung erfolgte im Mare vaporum , wo er sich in einer sehr breiten, felsigen Spalte des Bodens, welche eine weit klaffende Rille, die sich an einem gewaltigen Ringgebirge entlang zog, bildete, wiederfand. Daß das vor ihm liegende Gebirge der Triesnecker sei, dessen war sich der Schotte sicher gewesen, da das Zentrum des Objektivansatzes an Mac Milfords Zersetzungszelle mittels des ungeheuer fein einstellenden Mikrometers (*), haarscharf auf einen Punkt dicht neben dem genannten Ringgebirge visiert worden war. Wohlweislich hatte Price vor seiner Abfahrt von der Erde eine Schmidt'sche Mondkarte mitgenommen. Diese selenographische Landkarte stellt den 468 geographische Meilen im Durchmesser haltenden Erdsatelliten als eine zwei Meter breite Scheibe dar; die Größen der Maren und Gebirge sind auf derselben im Maßstab von 1 : 1 783 200 eingezeichnet.
(*) Meßvorrichtung im Fernrohr; besteht aus zwei Fadensystemen, die, durch eine feine Schraube mit Teilkreis, zu einander verschiebbar sind, sehr präzise Messungen auf den optisch vergrößerten Oberflächen von Himmelskörpern gestatten. Kraterkessel des Triesnecker fand Price die erste große Ansiedelung von Seleniten.
Mit Hilfe einer solchen, in alle Details gehenden, vortrefflichen Karte vermochte es Price, sich bald zwischen dem Kratergewirr, welches sich im Nordosten des Mare vaporum ausdehnt, zurechtzufinden.
Die Ankunft auf dem Monde war am achten Tage nach Sonnenaufgang erfolgt. Es muß hier bemerkt werden, daß auf unserm Trabanten ein einziger Tag vierzehn der Erdentage dauert; geht am ersten Tage die Sonne am Horizonte aus, so steht sie am siebenten im Zenith und am vierzehnten Tage sinkt sie wieder unter den Horizontrand: es tritt hierauf eine vierzehntägige Nacht ein. Bis zum Eintritt der langen Mondnacht blieben George Price also volle sechs Tage übrig, während dieser Zeit mußte er sich nach einer passenden Behausung, welche ihm in der langen kalten Mondnacht Schutz bot, umsehen. Es gelang ihm auch, wie der Leser später aus Bruchstücken seines Tagebuches ersehen wird, eine geeignete Unterkunft zu entdecken. Tief in dem
Nach Verlauf mehrerer Wochen hatte sich der Erdenbürger den Verhältnissen der Mondbewohner schon recht gut angepaßt; auch war es ihm gelungen, freilich unter unendlicher Mühe, die Sprache der Seleniten zu studieren. Wie Price erfuhr, teilten sich seine neuen Mitbürger in eine große Anzahl Stämme ein, von denen wieder jeder ein besonderes Idiom der lunarischen Sprache besaß, ähnlich wie die deutsche Sprache ihre verschiedenen Dialekte hat. Das Studium des TriesneckerIdioms gehörte gerade mit zu den schwersten, da viele Silben nur durch Schnalzlaute beim Einatmen, ähnlich wie das bei der irdischen Hottentottensprache der Fall ist, hervorgebracht werden konnten. Die unrhythmische Verbindung vieler Konsonanten mit einem einzigen Vokal ließen das Idiom als ein hartklingendes erscheinen. Gewisse mit dem Gaumen erzeugte Laute, Gutturale, vermochte der viel an Dentale oder Zahnlaute gewöhnte Engländer nicht hervorzubringen. Price fand, daß die Selenitensprache, in Anbetracht ihrer vielen gleichlautenden einsilbigen Wörter, welche zur Unterscheidung durch eine Art musikalischer Accentuierung auseinandergehalten wurden, der chinesischen Sprache etwas ähnelte. Die Schriftzeichen bestanden teils aus Hieroglyphen, teils aus der irdischen Runenschrift ähnlichen Zeichen.
Das Leben der Seleniten war im großen und ganzen ein sehr eintöniges. Price empfand dies nur zu bald.
Die Wohnungen wurden teilweise in Felsenhöhlungen oder in tiefen Kesseln großer Krater eingerichtet, weil an diesen Stellen die Atmosphäre bedeutend dichter und die Temperatur erheblich höher als auf der freien Mondoberfläche war; zudem fand sich daselbst auch meist Wasser in flüssiger Form vor, während außerhalb alle Flüssigkeit vereist war. Infolge der dünnen und kalten Luft bilden sich über der Mondoberfläche niemals Wolken, daher gibt es dort auch keine Niederschläge, wie wir solche auf Erden als Regen und Schnee kennen. Nur eine sehr geringe Verdunstung an den tiefliegendsten Orten des Mondes erzeugt zeitweise einen dicht über dem Boden liegenden Nebel, der aber bald nach seiner Entstehung vereist, und dessen zu Kristallchen erstarrte Tröpfchen sich wie ein Eistau auf die Ebenen niedersenken.
Der Menschenschlag, welcher den Mond bevölkerte, hatte viel Ähnlichkeit mit den irdischen Eskimostämmen; sowohl im Körperbau und geistiger Befähigung, als auch in ihrer Lebensweise. Die Kraterleute waren meist von kleiner gedrungener Gestalt, besaßen kurze Beine, einen unten sehr schmalen, oben breiten Schädel, wodurch die Gesichtsknochen sehr entfaltet schienen, und neben einer gelbbraunen Hautfarbe, kurzes, straffes, schwarzes Haar. Die etwas schiefgestellten Schlitzaugen zeigten stets einen gutmütigen Blick, weshalb Price annahm, daß er die Seleniten als ein harmloses und sehr träges Völkchen anzusehen hatte. Auch der weibliche Teil der Bevölkerung ließ keine Spuren höherer geistiger Befähigung erkennen.
Als George Price der selenographischen Sprache völlig mächtig war, hatte er sich inzwischen auch mit mehreren Bewohnern der Triesneckerstadt näher befreundet. Besonders zwei Männern brachte er großes Vertrauen entgegen. Es waren dies der Stammeshäuptling Llashlaw und dessen Sohn Rzelloe.
Da die Hauptbeschäftigung der Seleniten fast durchweg die Beschaffung von Nahrungsmitteln bildete, so waren die Männer die meiste Zeit von ihrer Heimstätte abwesend. Als Hauptnahrung dienten den Seleniten aalähnliche Fische, welche in den großen Hohlräumen, die in Menge unter der Oberfläche existieren, in Gewässern gefangen wurden.
George Price wurde eines Tages von Llashlaw und dessen Sohn zu einem Fischzuge mitgenommen. Etwa hundert Meter im Schoße des Mondes, tief unter der TriesneckerAnsiedelung lag eine ausgedehnte Höhle, welche fast völlig unter Wasser stand. An dem schmalen Uferrande, welcher von Bimssteinstücken wie besät war, wurde den ans Land sich schlängelnden Fischen aufgepaßt und diese im selben Moment des Erscheinens mit der Spitze eines stockähnlichen Gerätes aufgespießt. Durch den Fackelschein wurden die Tiere oft scharenweise ans Land gelockt, und wenngleich sie sehr beweglich waren, fielen sie doch massenweise in die Hände der Seleniten. Price, welcher bei einer solchen Gelegenheit eines der Tiere genau betrachtete, erkannte in demselben einen Molchfisch, wie solcher auch auf Erden unter dem wissenschaftlichen Namen Protopterus annectens in den warmen Gewässern Afrikas vorkommt.
Durch den Fackelschein wurden die
Tiere oft scharenweise ans Land gelockt.
Die Molchfische wurden von den Seleniten in aller möglichen Weise zubereitet, meist aber kochte man sie in dem Wasser heißer Sprudelquellen, welche auf dem Grunde der Kraterkessel an vielen Stellen zu Tage traten.
Zur Beleuchtung der Ansiedelungen benutzten die Seleniten eine pechähnliche Erde, welche in Gestalt von meterlangen Stäben als Fackeln verbrannt wurde und ein ziemlich helles Licht erzeugte.
Price, welcher häufig in dem quadratischen Steinbau des Triesneckerhäuptlings weilte, fand in dem Sohne des letztern einen mehr als alle andern Seleniten aufgeweckten Menschen. Die Neugierde und der Wissensdurst desselben vermochte Price fast kaum zu befriedigen.
Als sie wieder einmal zum Beginn einer vierzehntägigen Mondnacht miteinander plauderten, konnte man seltsame Dinge anhören.
»Und Ihr glaubt an ein Wesen, das alles geschaffen hat, den Menschen, das Licht, die Sterne und alles was man sieht?« frug Rzelloe.
»Gewiß!« erwiderte Price. »Wir Erdenkinder nennen diesen Allgewaltigen Gott ... wie aber steht es mit Euch, was betet Ihr an, wen verehrt Ihr als Euren Schöpfer?«
»Tief unten herrscht ein Geist, dessen Stimme das donnernde Rollen ist und dessen Kraft sich in dem Beben und Erzittern des Bodens kundgibt. Haben wir ihn erzürnt, so sprüht er Feuerströme zu uns herauf und überschüttet unsere Häuser mit glühenden Steinmassen.«
»Und was glaubt Ihr, was mit Euch geschehen wird, wenn Ihr tot seid,« forschte Price weiter.
»Unsere Seelen sinken hinab in das Reich dessen, der über unsere Welt herrscht.«
»Wie oft geht die Sonne auf und unter zwischen Eurer Geburt und Eurem Tode?«
Der junge Selenit zog auf die Frage des Engländers ein kleines Gestell aus der Tasche, an welchem eine Anzahl durchbohrter kleiner Steinkügelchen aufgereiht waren. An diesem Gestell rechnete er eine Weile; er schob Kugeln nach der linken, dann wieder solche nach der rechten Seite, ähnlich wie auf Erden die Chinesen, welche jede, auch die kleinste Summe, nie im Kopfe, sondern stets an einem Rechenapparate summieren. Nach wenigen Augenblicken schon nannte der Selenit eine Zahl, welche etwa, zu irdischen Jahren umgerechnet, vierzig solcher betrug.
Price erkannte, daß die Mondbewohner durchweg nicht alt wurden; wie es ihm denn auch schon bereits aufgefallen war, daß er nirgends einen Greis oder eine Greisin gesehen hatte. An dem frühzeitigen Sterben der Seleniten trugen wohl die dünne Atmosphäre und die unwirtlichen Verhältnisse der Mondoberfläche die Hauptschuld. Da der junge Nachwuchs kein großer zu sein schien, so standen die selenitischen Stämme auf dem Aussterbeetat.
»Könnt Ihr mir angeben, wieviel Menschen dieses Gestirn bevölkern?«
Rzelloe nickte und rechnete wiederum auf dem Gestell. Nach einer Weile nannte er eine Zahl. Auf einem Landkomplex von fast 40 Millionen Quadratkilometern lebten nach Rzelloes Rechnung nur etwa 800 000 Seleniten. — Das schien gleichbedeutend mit dem nahen Ende der lunarischen Lebewesenwelt zu sein. Price stellte im Stillen einen Vergleich der Mondoberfläche mit dem denselben Flächeninhalt habenden Erdkontinent Asien an. Auf letzterem lebten 800 Millionen Menschen; also auf gleichem Areal des Erdballes ebensoviel Millionen, wie auf dem Mondballe Tausende. Als der Engländer dieses Facit gezogen hatte, sah er bereits im Geiste den letzten der Seleniten, ein halbes Skelett, mit dem verbliebenen Rest schwacher Kräfte gegen die sein Leben bedrohende Naturgewalt, eine furchtbare Eiseskälte, ankämpfen und — unterliegen ... die Krone der Schöpfung, der letzte Mensch lag erstarrt im Eisesstaub! Die ungeheure Kälte des Weltäthers umfing den Mondball und drang durch zahllose Spalten der geborstenen Oberfläche hinab, hinab bis zum Kern des Gestirnes, das noch immer seine Bahn als treuer Satellit um die Erde wandelte; zwar zog sich diese Bahn, gleichen Schritt mit der Zusammenschrumpfung des Mondkörpers haltend, immer mehr zusammen; die Schwerkraft nahm ab, und demzufolge die Annäherung an den Mutterplaneten Erde zu — noch eine Spanne Zeit, und das Kind der Erde sank in den Schoß der Mutter zurück — —. Schöne Aussicht für die kühnen kolonialen Zukunftspläne der englischen Weltherrschaft — — hier unterbrach George Price die sich in seinem Hirne schier überstürzenden Gedanken .... »Habt Ihr Überlieferungen von früheren Zeiten?« begann er wieder.
»Wie meint Ihr das?« antwortete Rzelloe.
»Besitzt Ihr schriftliche Aufzeichnungen über Eure Vorfahren?«
»Gewiß!« erwiderte der Selenit. »Jeder Stamm ist im Besitze von Srapenß.«
»Srapenß?« frug Price. Er wußte nicht, was er aus dem Worte machen sollte. »Sollen das Dokumente Eurer Ahnen sein?«
Rzelloe nickte und bat Price, ihm zu folgen.
Beide betraten darauf einen Raum des Hauses, welcher das Archiv des Triesneckervolkes zu sein schien. Es waren hier weder Regale noch sonstige Aufbewahrungsständer für Schriften zu erblicken; vielmehr sah George Price die vier Wände von oben bis unten mit Löchern wie übersät. Dieselben waren reihenförmig angeordnet und bildeten etwa fünf Centimeter breite, kreisrunde Öffnungen. In den Löchern schienen überall aufgerollte Dokumente zu stecken. Rzelloe zog eines derselben heraus. »Hier ist ein solches Srapenß.«
George Price nahm neugierig die selenographische Aufzeichnung in Empfang und warf einen Blick in dieselbe. Das Saprenß bestand aus einer sonderbaren, dünnen Haut, auf deren glänzender Oberfläche eine Unmenge selenitischer Schriftzeichen in rostbrauner Farbe sichtbar waren. Trotzdem der Erdenbürger die Schriftsprache der Mondbewohner ziemlich genau studiert hatte, so vermochte er doch viele hieroglyphenähnliche Zeichen nicht zu deuten. Rzelloe mochte dies bemerkt haben. »Es ist dies eine sehr alte Schrift, sie stammt aus jener Zeit, wo auf unserm Gestirne ewiger Frühling herrschte.«
George Price nahm neugierig die selenographische Auf-
zeichnung in Empfang undwarf einen Blick in dieselbe.
Daß das Hautmanuskript tausende von Jahren alt sein mußte, lag sonach auf der Hand. Price hielt sich fast mehrere Stunden in dem Archiv auf und studierte mit großem Interesse die Weltgeschichte der Seleniten. Wie er von Rzelloe hörte, war derselbe Vorsteher dieses Raumes; daher erklärte es sich, daß der junge Selenit ein weit gelehrterer Mensch als seine Mitbürger war.
Die Haut, aus welcher die Manuskripte bestanden, mußte wohl von einem seltsamen, längst ausgestorbenen Tiere stammen. Die Aufzeichnungen bewiesen aufs deutlichste, daß die vor Jahrtausenden lebenden Generationen der selenitischen Bevölkerung eine bedeutend intelligentere Menschenrasse als die jetzt zur Eiszeit existierende gewesen sein mußte. Der Rückgang der Naturverhältnisse mußte demnach auch eine Degeneration der Seleniten zur Folge gehabt haben.
George Price ersah aus einem Hautmanuskript, daß auch auf dem Monde in Urzeiten wissenschaftliche Forschungen betrieben worden waren, hauptsächlich Astronomie und Mathematik. Viel war insbesondere von einem Gelehrten Lu-Lun die Rede; sofort dachte Price an jene Schrift, welche Mac Milford unter dem Titel »Vierdimensionale Lebewesen im Weltall«, die von einem Lu-Lun herstammte, herausgegeben hatte. Eine solche philosophischmathematische, sich im Transzendenten bewegende Forschung, wie sie jener Mondgelehrte betrieben hatte, war der beste Beweis, daß unter den Urahnen der Eiszeitseleniten mindestens ebenso intelligente und scharfsinnige Köpfe gewesen waren, als wie solche die Erdenbevölkerung des neunzehnten Jahrhunderts in einem Kant, Laplace und Darwin besessen hatte.
Einige Zeit nach der Durchforschung des Archives trat George Price in Begleitung Rzelloes eine von ihm schon länger geplante Reise um den Mond an. Der junge Selenit hatte sich freiwillig erboten den Führer zu spielen. Es war das zu einer Zeit, in welcher auf dem Monde noch der allgemeine Friede unter den verschiedenen Stämmen herrschte. Kurz nach des Engländers Rückkehr zum Triesnecker sollte dieser Weltfrieden durch Auflehnung einiger Selenitenstämme gegen die kosmopolitische Regierung, welche ihren Sitz im Hyginuskrater hatte, einen gewaltigen Stoß erleiden.
Unter der bewährten Führung Rzelloes wendete sich Price zunächst dem südlich vom Mare vaporum liegenden Apenninengebirge zu, um über den Nordpol hinweg, die der Erde ewig abgewendete Hemisphäre zu durchqueren und den Rückweg über den Südpol zu nehmen.
Zu dem über 10 000 Kilometer langen Weg um den Mondball hätten Price und sein Begleiter, wenn sie jeden Tag 30 Kilometer zurückgelegt haben würden, über ein volles Jahr benötigt, um von der entgegengesetzten Seite zum Ausgangspunkt wieder zurückzukommen.
Trotz der Beschwerlichkeiten, welche die dünne kalte Luft mit sich brachte, zog der zähe Engländer mit Rzelloe unentwegt durch das Apenninengebirge, dann an den Riesenkratern Aristillus und Autolycus vorbei auf das schon in höherer nördlicher Breite liegende Ringgebirge Cassini zu. Dieser, in der großen Tiefebene Palus nebularum liegende Krater wurde von einem nicht gerade friedsamen Selenitenstamme bewohnt; deshalb mußten sich die beiden Wanderer so schnell als möglich in das wildzerklüftete Alpengebirge, welches weiter nördlich im Mare frigoris lag, flüchten. Hier fanden sie bei den Platoseleniten eine überaus gastliche Aufnahme. Nach einer kurzen Ruhepause wurde mit Beginn eines neuen Mondtages die Reise fortgesetzt. Der Weg bot aber, je näher sie dem Endpunkt der Mondachse kamen, immer mehr Beschwerlichkeiten, da die ganze Nordpolgegend mit kleinen Kratergruben übersät war. Auf der langen Reise bis hierhin hatte George Price nur wenige Male einige Tiere zu sehen bekommen, und zwar waren es Eisfüchse und eine Art Biber gewesen. Von Pflanzen sah er nur Flechten, Moose und ähnliche kümmerliche Gewächse. Die vergletscherten Landstrecken, besonders die großen Tiefebenen, die Maren, glichen auf ein Haar jenen Moossteppen, die wir in den nördlichen Gegenden der Erde mit dem Namen Tundra bezeichnen; da die Maren einen trockenen lockeren Boden besitzen, so bilden sie meist eine sogenannte Lichentundra, welche in nebelfreier Zeit ein grauweißes Aussehen haben, sobald aber ein starker Nebel sich als Tau auf den Boden niedersenkt, und eine graubraune Pflanzendecke auftritt, bekommt die Tundra eine dunklere Färbung. Price, der diese Beobachtung gemacht hatte, dachte sofort daran, wie sich daheim auf seinem Mutterplaneten die Astronomen die Köpfe zerbrachen, was wohl die Ursache der öfters wechselnden Färbung der Maren sein könnte. — Hier war die Lösung!
Höher hinauf in der arktischen Zirkumpolarregion tauchten plötzlich einige, den irdischen Schneehasen ähnliche Tiere auf, und es gelang Price eins derselben zu erlegen. Aus dem Felle des Tieres formte sich der praktische Engländer eine Art Muff, um seine Hände etwas gegen die scharfe Kälte schützen zu können. — —
Endlich war der Nordpol erreicht. Durch genaue Messungen vermittels eines mitgenommenen astronomischen Bestecks konnte das Ende der Mondachse genau bestimmt werden. Von dieser Gegend aus vermochte Price zum erstenmale einen Blick in die den Erdenbürgern unbekannte Halbkugel zu werfen. Hüben wie drüben sah er nichts als Krater. Rzelloe versicherte seinem Begleiter, daß für die Folge der Weg ebener werde, indem die von Price mit dem Namen Antipodenseite belegte Hemisphäre bei weitem nicht so viel hohe Gebirge und Krater aufweise, wie die der Erde zugewendete Mondhälfte.
Das Geschick wollte es, daß Price nicht über den Nordpol hinauskommen sollte. Im Begriffe die Reise um den Mond fortzusetzen, stürzte er infolge eines Fehltrittes in eine etwa vierzig Meter tiefe Gletscherspalte hinab und blieb unten halb bewußtlos liegen. Rzelloe rettete den Verunglückten mit eigener Lebensgefahr; mit Hülfe von vier Seleniten eines Polarstammes wurde Price in eine kleine Krateransiedelung geschafft.
Schon nach einigen Tagen war es dem nicht ernstlich verletzten Erdenbewohner bereits wieder möglich, die Rückreise zu Fuß anzutreten, wenngleich ihm auch noch die Glieder heftig schmerzten. An eine Fortsetzung seiner Wanderschaft um den Mondball konnte er freilich nicht denken; sein Wunsch war es darum, so schnell als möglich zum Triesnecker zurückzukehren. — —
Die Rückreise ging langsam von statten und brachte die beiden Wanderer mit einer Anzahl selenitischer Stämme in Berührung, sodaß Price ungemein viele Studien machen konnte. Am Ausgangspunkt der Reise wieder angekommen, wurde er eines Tages, als er sich in seiner Felsenwohnung von den Strapazen der großen Fußwanderung erholte, von den benachbarten, feindlich gesinnten HyginusSeleniten überfallen. Als die Friedensstörer in Prices Behausung eindringen wollten, vermochte der so Bedrängte, indem er den Eingang verrammelte, sich auf solche Weise eine kurze Zeit zu schützen; er sandte darauf sofort jene Chiffredepesche an Mac Milford ab, in welcher er die ihm drohende Gefahr mitteilte; gleich darauf noch eine zweite, worin er um Waffen und Pulver bat, welche Depesche aber des Professors Apparat zertrümmerte und jene Explosion im Hause Mac Milfords hervorrief. — In dem Augenblicke, als die Seleniten sich gewaltsam Eingang verschafften und dem Engländer erklärten, daß er als Gefangener zum Hyginus abgeführt würde, da schrieb dieser schnell noch einige Zeilen auf ein Papier, um denen, die ihn suchten, kundzugeben, was vorgefallen war.
Als Tom wieder zum Bewußtsein kam, bemerkte er zu seinem großen Erstaunen, daß er sich in einem domähnlichen Raume auf einer sonderbaren Lagerstatt befand.
Seine Glieder schmerzten heftig und sein Wasserköpfchen brummte ihm — zum ersten Male in seinem Leben machte er die wichtige Entdeckung, daß er ein Gehirn besaß. — —
Der von einem schwachen Lichte erhellte Raum schien, soweit Tom es erkennen konnte, eine kunstvoll ausgemeißelte Höhle zu sein. Die Temperatur war mild, somit der Aufenthalt weit erträglicher, als draußen am Fuße des Kraters.
»Zum Teufel! Wo bin ich?« rief Tom aus und richtete sich mit seinem Oberkörper in die Höhe.
»Zum Teufel! wo bin ich?« rief Tom aus und
richtete sich mit seinem Oberkörper in die Höhe.
Niemand antwortete ihm. Der Felsendom war leer.
Der wackere Erdenbürger zerbrach sich den Kopf, wie er wohl an diesen Ort gekommen sein möge. Unter seinem Körper war ein Tierfell ausgebreitet, ein Fell, wie es Tom noch nie gesehen hatte. Eigentlich sah es eher wie die Haut eines Schuppenreptils aus. Die Länge desselben betrug fast 8 Meter, bei einer respektablen Breite von 5 Meter. Die Schuppen lagen wie Dachziegel eng übereinander, fühlten sich lederartig an und besaßen eine grauweiße, eigentlich undefinierbare Farbe. Das Fell mochte wohl einstmals einer MammutPanzereidechse größter Art angehört haben.
Tom, der es betrachtete, dachte bei sich: »Gewiß von so'n Mondkrokodil.« — Dann erhob er sich langsam von seiner Lagerstatt und musterte die Dinge, wie sie um ihn herum waren.
Toms neuer Aufenthaltsort war tatsächlich eine Felsenhöhle, welche von den Seleniten mühsam als Wohnstätte, Tempel oder so etwas ähnlichem hergerichtet schien. Die Länge desselben betrug etwa 15 Meter, die Breite ebensoviel, die Höhe konnte man auf 20 Meter schätzen. Die Form des Raumes, ein Sechseck, war die eines Protoprismas. Die Wandflächen waren von aufgewachsenen, hemimorph entwickelten Kristallen wie übersät, welche in ihrem Aussehen dem irdischen Mineral Turmalin sehr ähnlich waren. Der Boden mochte aus erstarrter Lava bestehen, die überall Spuren von Abmeißelung zeigte. Die Decke, in der sich ein trichterförmig nach oben erweiterter Lichtschacht befand, mußte wohl künstlich aus einer zementähnlichen Masse hergestellt sein.
Tom bemerkte bei dem Zwielicht, welches in seinem Felsenkäfig herrschte, im Hintergrund sitzartige Einbuchtungen in den Wänden. Er zählte deren an die fünfzig; sie waren im Halbkreis um ein vor demselben stehendes Podium, das viele Ähnlichkeit mit einer Kanzel besaß, gruppiert.
Schließlich entdeckte der hier elendiglich eingekapselte Erdensohn auch eine Art Ausgang, der sich wie ein Stollen schräg abwärts unter die Erde verlief.
Mister Tom schaute in die schmale Öffnung des unterirdischen Ganges hinein. Nichts sah er. Rabenschwarze Nacht ließ weder die Länge noch die Breite desselben erkennen; deshalb hielt er es für geraten, vorläufig seine weitere Untersuchung einzustellen und, da ihm die Glieder noch sehr schmerzten, sich wieder auf dem Echsenfelle auszustrecken. — Wie gedacht, so getan. —
Allmählich regten sich bei Tom die irdischen Gefühle, für welche die Erdenbewohner die Ausdrücke Hunger und Durst haben.
Faksimile der Zeichnung auf dem Podiumsteine des Seleniten-Tempels.
Da er Essen und Trinken neben dem Pfeifen zu seiner liebsten Beschäftigung rechnete, so empfand er es recht schmerzlich, daß er diese menschlichen Bedürfnisse, die doch auch für die Herren Mondbewohner sicher Naturnotwendigkeiten waren, nicht sogleich befriedigen konnte. — Just war er gerade so im Nachdenken, als plötzlich eine menschliche Gestalt, bekleidet mit einer Art Toga, im Rahmen der Ausgangsöffnung sichtbar wurde.
Tom sprang auf.
Die Gestalt trat zögernd näher, kniete an dem Podium nieder, stellte auf dasselbe einige seltsam geformte Behälter, berührte darauf die Erde dreimal mit der Stirne und verschwand dann wieder, dabei rückwärts gehend, durch die dunkle Eingangspforte.
»Wartet mal — halt!« schrie Tom hinterher.
Doch der Selenit schien nichts zu hören, denn er kam nicht wieder zurück.
Toms Blick fiel jetzt auf die Gefäße, welche auf dem Podium standen.
»Aha — man füttert mich —,« sagte er zu sich selbst und sein Gesicht glänzte wie das eines feisten Kapuzinermönches, der einen Humpen edlen Rebensaftes vor sich sieht.
Rasch ergriff er die Behälter und schaute anfangs etwas mißtrauisch auf den Inhalt derselben.
»Was mögen das wohl alles für Herrlichkeiten sein?« murmelte Tom für sich hin; dabei kostete er eine eigentümlich riechende Flüssigkeit. —
»Wird wohl so eine Art Reptilienbrühe sein!«
Schlecht mundete ihm das Zeug anscheinend nicht, denn der Inhalt des Behälters hatte bald seinen Weg durch Toms Speiseröhre gefunden.
Wenn man berücksichtigt, daß auf dem Monde die Eiszeit herrscht, so müßte man zu der Voraussetzung kommen, daß die Nahrungsmittel der Seleniten wesentlich andere als die der Erdenbewohner sind. Der Leser wird also vermuten, daß die Mahlzeiten der Mondbewohner in gar seltenen Gerichten bestehen; so zum Beispiel in fossilen IchthyosaurusEisbein, geräuchertem Eidechsenfleisch, Lurchensuppe und ähnlichem. — Tom ging mit Hunger und Interesse an die übrigen vorgesetzten Speisen. Was er hier alles erhalten hatte, konnte einen Gaumen nicht gerade verwöhnen. Die Fleischspeisen schienen weder von einem Schweine noch von einem Rinde herzustammen; doch zerbrach sich Tom nicht weiter den Kopf.
Nach Beendigung der mageren Mahlzeit ließ es ihm keine Ruhe mehr, er mußte wissen, weshalb man ihn in diesen Felsendom eingesperrt und was man mit ihm vor hatte. Er lenkte darum seine Schritte in den dunkeln Gang und begann in denselben vorzudringen. Der Erdstollen verlief sich etwa hundert Schritte weit und war am Ende verschlossen. Nachdem Tom diese Entdeckung gemacht hatte und nun wußte, daß er eingesperrt war, lief er, seiner Wut in englischen Flüchen Luft machend, zu dem Felsendome zurück. Vergeblich sann er darüber nach, was man wohl mit ihm vorhaben könne. Wenn er dessen gedachte, wie der Selenit ihm unter so großen Ehrfurchtsbezeugungen Speise und Trank gebracht hatte, so konnte er sich erst recht nicht erklären, weshalb man ihn so abgesondert hielt.
Da fiel sein Blick auf eine Stelle des steinernen Podiums und er sah auf der Bodenplatte desselben zahlreiche seltsame Figuren und Zeichen eingemeißelt. Das interessierte Freund Tom, und er fing aus Langeweile an die figurengeschmückte Platte auf ein Blatt Papier, welches er in seiner Tasche vorfand, abzuzeichnen. Eine Stunde später war das Bild nahezu fertig und hatte das Aussehen umstehender Zeichnung.
Tom hatte die letzten selenographischen Hieroglyphen noch nicht abgezeichnet, als er über dieser Beschäftigung einschlief. — —
Als er wieder erwachte, sah er zu seinem Erstaunen die Halle voller Menschen stehen.
In dem Augenblicke wo Tom sich aufrichtete, fielen sämtliche Seleniten, welche in respektvoller Entfernung einen Kreis um ihn gebildet hatten, auf den Boden nieder und berührten denselben dreimal mit ihrer Stirne. Jetzt wurde sich Tom dessen klar, daß man ihn als irgend eine vom Himmel gefallene Gottheit anbetete; die Zeremonien, die nun folgten, ließen auch keinen weitern Zweifel mehr übrig, daß dem so war.
Der neue Mondgötze sah schmunzelnd allen Feierlichkeiten zu; im Stillen gedachte er des indischen Pagoden, einer aus gebrannter Erde verfertigten fratzenhaften Figur, welche drunten auf der Erde in seines Professors Bibliotheksaal stand, und dessen Kollege er nunmehr geworden war.
Der neue Mondgötze sah schmunzelnd allen Feierlichkeiten zu
Als die Zeremonien beendet waren und die Seleniten, unter denen Tom zu seiner Verwunderung weder Frauen noch Kinder sah, sich unter feierlichem Verbeugen zum Fortgehen anschickten, stellte er sich mitten unter sie und rief mit Stentorstimme: »In drei Teufels Namen! Jetzt bleibe ich keine Minute länger mehr hier!« —
Im Nu zerstob die Menge und drängte sich durch den schmalen Stollen. Tom wollte hinter ihnen hereilen, stolperte aber und fiel der Länge nach auf den Boden, wobei er mit seinem Hydrocephalusschädel recht unsanft die mit scharfkantigen Kristallen gespickte Felswand berührte. Als er sich mit einem Schmerzensruf wieder auf seine Beine gestellt hatte, lief er den dunkeln Gang entlang, um noch eines der Seleniten habhaft zu werden. Doch vergeblich. Das Ende des Ausgangsstollens war verschlossen und er von neuem allein.
So mußte sich Tom bequemen auszuhalten. — Wie lange? — Das mochten die Götter wissen. —
Einige Stunden später verfiel er auf den Gedanken sich einen Ausweg durch den Lichtschacht in der Decke zu suchen.
Infolge der geringen Schwerkraft des Mondes vermochte es Tom mit einiger Mühe an den größeren, stellenweise fußbreit vorspringenden Kristallen einer der sechs Wände emporzuklimmen.
Nun galt es die untere Öffnung des schmalen Lichtschachtes zu erreichen und sich durch dieselbe zu zwängen. — Auch das gelang mit einiger Mühe.
Draußen auf der Decke sah er sich in einem trichterförmigen Bergkessel stehen. — Aha ... ein Krater — sagte sich Tom und sah zu dem oberen Rande empor, dessen Höhe auf etwa 30 Meter schätzend.
Die Seleniten schienen den ausgebrannten kleinen Kraterkessel als Wohnstätte zu benutzen, indem sie in demselben in deren Mitte einen künstlichen Steinboden als Deckengewölbe für den darunterliegenden Grund des Schlundes herstellten. Die dünne Luft und die andauernde Kälte hatten zur Folge, daß sich die Seleniten in die tiefliegenden Gründe der Krater und der Ringgebirge flüchteten. Nicht bloß, daß im Innern der ausgebrannten Vulkane eine dichtere und wärmere Luft herrschte, es fand sich dort auch statt vergletschertem Eis flüssiges Quellwasser vor, dessen kristallene Reinheit es trinkbar machte.
Während Tom noch darüber nachgrübelte, auf welche Weise er am bequemsten aus dem Kraterkessel herauskommen könne, rasselten einige Bimssteinstücke zu ihm in die Tiefe hernieder. Tom warf einen Blick nach oben und sah eine Gestalt auf dem Kraterrande herumspazieren.
War es möglich? — Sollte er sich nicht täuschen? ... Tom glaubte, als er genauer hinaufsah oben einen leibhaftigen Engländer zu erblicken. — — Ein Selenit war es auf keinen Fall. Schon die Kleidung des Mannes hätte ihn darüber belehrt; es mußte ein irdischer Landsmann sein. Vielleicht der Professor — nein, den hätte er sofort erkannt ... ergo, es mußten sich außer ihm noch andere Erdenkinder auf dem Monde befinden. »He! Ho! Guter Freund!« schrie Tom aus Leibeskräften hinauf.
Die Gestalt oben schien nichts zu hören. Sie schlenderte ruhig auf dem Kraterrande weiter.
Tom brüllte jetzt, daß die Wände zitterten.
Tom entflieht aus dem Krater und stößt oben auf Price.
Nach einer Weile mußte der Mensch oben die aus dem Kraterschlunde heraufdringenden Hilferufe gehört haben, denn er spähte plötzlich eifrig in die gähnende schwarze Tiefe hinab. Ob er Tom sehen konnte, war fraglich, trotzdem das Sonnenlicht in die Tiefe hinabdrang. Die Gestalt legte sich oben flach auf die Erde und rief in gutem Englisch hinunter: »Wer ist da unten?«
»Ich! ...« gab Tom geistreich zurück, das Wort schreiend, daß die Wände in kräftigem Echo mehrfach antworteten.
»Ich! ... Wer ist ich?« rief es von oben wieder herunter.
»Ich! Tom Smith! Zum Teufel helft mir doch ... wer seid Ihr? Gut Freund?« antwortete es von unten herauf.
»Good dam! Versucht es doch an der Wand heraufzuklettern ... kann doch ...«
Die letzten Worte verhallten ungehört. Der Mann oben verschwand plötzlich. — Dann Totenstille.
Als Tom nichts mehr sah und hörte, begann er die Kletterpartie zu wagen. Er fand, daß die Wände eigentlich doch nicht so steil waren, wie das von unten her aussah. Es gelang ihm, ein gut Stück in die Höhe zu klimmen, wobei freilich die dünne kalte Luft immer mehr bemerkbar wurde. Er mochte so über die Hälfte geklommen sein, als plötzlich wieder die Stimme von oben her an sein Ohr drang.
»Könnt Ihr heraufsteigen?«
»Wenn Ihr mir nicht helfen könnt, so muß ich mir eben selbst helfen ...« schrie Tom, auf einem kleinen Plateau an der Kraterwand etwas ausruhend und hinaufblickend.
»Teufel — wie kommt Ihr auf den Mond und hier in dieses Loch?« frug der Fremde herab.
»Ich sag's Euch oben ...« erwiderte Tom und setzte seine Kletterpartie fort ... Habt Ihr denn keinen Strick, keine Leiter zur Hand?«
Ein Lachen war die Antwort.
»Ihr habt gut lachen ... mir hier unten ist's nicht gerade lächerlich zu Mute,« schrie Tom etwas geärgert hinauf.
»Da soll der Kuckuck nicht lachen, wenn Ihr hier auf dem Monde, 50 000 Meilen von der Mutter Erde entfernt, von mir eine Leiter verlangt!« lautete die Antwort von oben her.
Je höher Schottlands Eingeborener klomm, desto gefährlicher wurde der Aufstieg. Wohin sein Fuß trat, war lockeres Lavagestein, das jeden Augenblick nachzugeben drohte; jenes kieselhaltige Vulkanprodukt, welches infolge seiner großen Lufthaltigkeit auf dem Wasser zu schwimmen fähig ist, der bekannte Bimsstein, eine blasige schaumige Form der Lava, die durch Einströmen von Gasen und Dämpfen in das Auswurfsmagma des Vulkanes während des Erstarrens entstanden ist.
Wäre Toms Körpergewicht, das in irdischen Verhältnissen rund 180 Pfund betrug, hier auf dem Monde infolge der schwächeren Gravitation nicht ein sechsfach geringeres gewesen, also nur 30 Pfund, so hätte ihn das lose Gestein sicher nicht getragen.
Als der Schotte nur noch etwa einen Meter vom Rande des Kraters entfernt war, reichte ihm der obenstehende Erdenbewohner die Hand und half ihm vollends hinauf.
«Uff ...« stöhnte Tom und schüttelte sich den Staub von den Kleidern; dann sah er sein Gegenüber an und streckte diesem die Rechte entgegen. »Good morning!«
»Good Morning,« erwiderte der Angeredete, »... Teufel, wo kommt Ihr her?«
»Wie Ihr seht, aus diesem Loche hier,« gab Tom zurück.
»Dunce *) ... — ich meine, wie Ihr von der Erde zum Mond kamt; denn daß Ihr ein Erdenbürger seid, das ist so sicher, wie zwei mal zwei vier ist!«
»Stimmt!« gab Tom lakonisch zur Antwort. »Wie ich zum Mond herübergekommen bin? Sehr einfach, mit meines Professors Apparat.«
»Wie ... Wa—as?«
»Ihr könnt es glauben.«
»Dann muß Euer Professor Mac Milford heißen.«
»Stimmt!«
»Er schickt Euch gewiß zu mir?«
»No ...« erwiderte Tom stoisch.
»Ich verstehe Euch nicht,« sagte dessen Visavis, in dem wir George Price erkennen.
»Ich will es kurz erklären ... doch halt, vorher muß ich aber erst erfahren, wer Ihr seid.«
»Ich — ich war ein ehemaliger Schüler Mac Milfords.«
»O ... ah! ... und ich bin das Faktotum des Professors.«
»Das ist ja ein seltsames Zusammentreffen; noch immer weiß ich aber nicht, weshalb Ihr ohne Mac Milford herübergekommen seid.«
»Hm ... daran ist der verteufelte Apparat schuld; ich bin wider meinen Willen nach hier befördert worden.«
Nachdem Price von Tom die näheren Umstände erfahren und die Gewißheit erhalten hatte, daß der Professor mit seinem Vehikel ebenfalls unterwegs sei, da drückte er Toms Hände vor Freude so kräftig, daß derselbe einen Luftsprung machte.
»Wie kommt Ihr hier auf den Krater?«
»Er liegt in der Nähe meiner Niederlassung,« gab Price zurück. »Ich pflege von hier aus immer die Gegend zu beobachten, weil die feindlichen Selenitenstämme jetzt beständig umherstreifen und alles unsicher machen.«
»Die Brüder hier oben liegen sich also auch in den Haaren? Da muß man wohl auf seiner Hut sein?« meinte Tom und schaute etwas ängstlich hinunter.
»Ihr kommt natürlich mit zu mir, da habt Ihr nichts zu befürchten.«
Tom erzählte nun, wie man ihn stundenlang in der Felsenhalle des Kraters eingesperrt habe und wie er nur mit List daraus entwichen sei.
»Wann ist der Professor wohl zu erwarten?« frug Price.
»Das ist schwer zu sagen, lieber Erdenbruder; laßt mich einmal rechnen,« gab Tom mit gewichtiger Miene zurück und verlor sich in ein Nachdenken, wobei er sich bemühte, eine recht gelehrte Grimasse zu schneiden.
*) Dunce heißt in England so viel wie Dummkopf.
»Der Professor wollte am 17. Februar abreisen, heute haben wir erst den 15ten — stimmt das?«
»Ich kann es Euch wirklich nicht sagen; ich stehe hier oben mit der Zeitrechnung arg in Konflikt.«
»Ja, ja, es wird schon stimmen, denn es ist noch keine Tageslänge her, daß ich die Erde verlassen habe. Das Vehikel wird sicher einige Tage unterwegs sein; also wird unser Professor erst am 20. Februar oder noch etwas später hier eintreffen.«
»Wißt Ihr es bestimmt, daß er kommt?«
»Ganz bestimmt, sie fahren beide von einem Gipfel der Grampian Mountains ab. — — Übrigens ist es verflucht kalt hier!« Bei diesen Worten vergrub das dicke Faktotum die Hände in seine weiten Hosentaschen.
»Beide? Wer kommt denn noch mit herüber?« frug neugierig Price und suchte schon im Voraus die Antwort aus Toms Augen zu lesen.
»Ein Weib.«
»Ein Weib?« — —
»Miß Watson ... Übrigens eine nette Figur; das wäre für Sie hier oben Wasser auf Ihre Mühle.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Seid Ihr so hart von Begriff? Eine hübsche Person ist es.«
»Gewiß eine Emanzipierte; ein gewöhnliches Weib besitzt wohl nicht die Unerschrockenheit und den Mut, wie eine solche Reise es erfordert.«
»Sapperlot! Laßt uns hinabsteigen,« meinte Tom, dem man das Frösteln nur zu deutlich ansehen konnte.
»Gut, kommt mit in meine Behausung.«
Beide stiegen hierauf den Kraterabhang hinunter und lenkten ihre Schritte auf einen breiten, klaffenden Abgrund in der Nähe zu.
Die Sonne stand zur Zeit schon tief am Horizont, sodaß die beiden Wanderer riesenhafte, pechschwarze Schatten vor sich herwarfen.
»Wie weit haben wir noch zu laufen?« fragte Tom und ließ seinen Blick umherschweifen.
»Nur ein Viertelstündchen, mein Lieber.«
Die Antwort schien zu Toms Zufriedenheit ausgefallen zu sein; hatte er sich im Stillen doch schon darauf gefaßt gemacht, so etliche Stunden in dieser Wüstenei herumtappen zu müssen, ehe er unter Dach und Fach käme.
Etwas unheimlich wurde es unserm guten Erdenbürger aber doch, als er sah, wie ihm sein wohl an die 100 Meter langer Schatten, welcher mit dem Kopfende bereits über einen naheliegenden Kraterberg weglief, vorauseilte.
Nachdem beide eine Weile getrottet waren, kamen sie an den Rand des breiten, dunkeln Abgrundes.
»Müssen wir hier hinab?«
»Jawohl,« gab Price zur Antwort.
»Wie breit ist diese Kluft?«
»Etwa 1000 Meter.«
»Da unten ist es ja aber stockfinstere Nacht; ich bedaure jetzt schon nicht zwei Hälse zu besitzen,« meinte Tom und sah mißtrauisch in die Schlucht, welche sich gähnend vor ihm auftat.
»Seid unbesorgt, alter Freund, unter meiner Führung wird Euch nichts passieren.«
»Müssen wir auch durch Wasser hindurch?«
»Keine Spur, diese Rille ist nichts weiter, als eine gewaltige Berstung des Mondbodens.«
»Ah, eine Mondrille!« rief Tom aus, »die kenne ich schon. Mein Professor hat sie auf seinem Riesengypsmond als lange Gräben dargestellt.«
»Na, Mr. Tom, wenn Ihr zu Hause alle Tage das Mondgypsmodell betrachtet habt, so müßt Ihr doch eigentlich hier oben ein wenig Bescheid wissen,« meinte Price und stieg an einer geeigneten Stelle in den schwarzen Abgrund hinab.
Tom gab hierauf keine Antwort, denn er war zu sehr mit sich beschäftigt, keinen Fehltritt zu tun.
Der Weg war ein wenig abschüssig und ging über eine Unmenge Steingeröll.
Als beide auf dem Grunde der Rille angekommen waren, ruhten sie einen Augenblick aus und setzten sich auf einen gewaltigen Granitblock nieder.
Trotzdem die Sonne bereits am Horizont stand und in die Tiefe kein Lichtstrahl hinabdrang, so herrschte doch unten eine Dämmerung, welche hinreichte, um sehen zu können, wohin man trat.
»Ei, ei, hier auf dem Monde muß es doch früher große Ströme gegeben haben,« meinte Tom plötzlich.
»Wieso?«
»Ist das kein ausgetrocknetes Flußbett hier?«
»Nein, da irrt Ihr sehr. Diese Rillen waren nie Flußläufe, es sind vielmehr Furchen, welche den Mondboden an vielen Stellen durchziehen und haben sich erst, nachdem die Krater entstanden sind, gebildet.«
Nach kurzer Rast wurde die Wanderung fortgesetzt und nach etwa einer Stunde hatten sie die jenseitige Anhöhe der Rille erklommen. Bereits war die halbe Scheibe der Sonne unter den Horizont gesunken und eine 14tägige Nacht nahte.
»Wir müssen uns beeilen!« rief Price und verdoppelte seine Schritte.
Tom lief pustend hinterher.
»Die lange Nacht bricht herein, und bis die letzten Strahlen der Sonne verblichen sind, müssen wir meine Behausung erreicht haben.«
Im Lauftempo ging jetzt der Marsch zwischen zahlreichen kleinen Kratern hindurch.
»Seht Ihr dort hinten rechter Hand jene schroff aufsteigende Anhöhe?« rief Price seinem Begleiter zu.
»Jawohl,« erwiderte dieser.
»Dort sind wir am Ziele.«
Kaum hatte Price das letzte Wort ausgesprochen, als bei der hereinbrechenden Dunkelheit plötzlich eine gewaltige Feuerkugel hoch über den Häuptern der Beiden sichtbar wurde, wie ein Blitz auf den Mond herniedersank und mit einem knallenden Geräusche zischend in nächster Nähe in den Mondboden fuhr.
Die beiden Erdenbürger erschraken für einen Augenblick, am meisten Tom, der sich aber sofort beruhigte, als George Price rief: »Ein Meteor! Welche wunderbare Erscheinung! ... Doch horcht, vernehmt Ihr nichts?«
Ein lautes Geräusch drang zu den Ohren der Beiden. Sie lauschten. Plötzlich rief Price: »Flugs, beeilt Euch, ich glaube, feindliche Seleniten nahen sich!«
In der Nachbarschaft tauchten jetzt etwa ein Dutzend dunkle Gestalten auf und schienen sich den beiden Flüchtlingen drohend zu nähern. Price eilte in eine dunkle Öffnung des vor ihm liegenden Berges hinein, während der geängstigte und schnaufende Tom einem Nebeneingang zustürzte.
Price eilte in eine dunkle Öffnung des vor ihm liegenden Berges hinein.
Es war die höchste Zeit, daß sie ihr Ziel erreicht hatten, denn die Nacht brach urplötzlich herein, und die feindlichen Mondbewohner schienen einen Angriff auf die beiden ihnen nicht stammesverwandten Menschen wagen zu wollen.
Wie ein von der Erde abgefeuertes Geschoß sauste der »Sirius« auf den majestätisch vor ihm liegenden Mondball zu. Mac Milford mäßigte jetzt allmählich die Geschwindigkeit seines Vehikels, indem er die Kathode um einige Grade mehr gegen die lichtüberflossene Scheibe Lunas neigte. Die Drehung der Kathode war das einzigste, aber auch geeignetste Mittel um die Schnelligkeit des »Sirius«, respektive die Attraktionskraft des Mondes beliebig abzuschwächen.
»Wie wird sich wohl unsere Landung hier gestalten? Hoffentlich rasseln wir nicht wieder in den schwarzen Schlund eines Vulkans hinab,« ließ sich Mary Watson vernehmen, als sie sich von einem bequemen Lehnsessel, in welchem sie einige Zeit der Ruhe gepflegt hatte, erhob und einen Blick durch das Fenster warf.
»Der »Sirius‹ wird der leisesten Bewegung meiner Hand gehorchen und sich sanft wie eine Schwalbe aus dem Äther auf die vereisten Gefilde des Erdsatelliten herniedersenken,« gab der Professor beruhigend zurück und stellte die Tätigkeit des Lichtreflektors, welcher bei der strahlenden Helle des Mondballes überflüssig war, ein.
Mac Milford hatte bisher auf der ganzen Reise nur wenig geschlafen; seine Nerven schienen stählern zu sein und keiner langen Ruhe zu bedürfen. Wenn er so unentwegt auf dem Posten stand und die Fahrt des »Sirius« leitete, bewunderte ihn stets seine Gefährtin ob seiner außergewöhnlichen Energie und Spannkraft.
Als sich der »Sirius« über den Kuppen eines langgestreckten Bergzuges befand, erkannte der Professor, daß er sich nicht dem gewünschten Landungsorte näherte und änderte darum den Kurs seines Fahrzeuges so, daß es nunmehr über der Mondoberfläche hinwegglitt und seinem Ziele, der Niederlassung Prices, zustrebte.
Die Fahrt des Vehikels zum Triesneckerkrater wurde in einer Höhe von 1500 Metern und mit einer Geschwindigkeit von nur 80 Milometern pro Stunde unternommen, also mit der Schnelligkeit wie sie etwa die Luxustrains der deutschen Eisenbahn besitzen. In einem Abstande von 10 Grad vom Mondäquator fuhr der Sirius quer über zahllose größere und kleinere Ringgebirge, mit welchen der Oceanus procellarum wie übersät ist, dahin.
»Wie öde und unwirtlich der Mond doch ist! Giebt es denn hier keinen Baum und keinen Strauch; fliegt niemals ein Vogel durch die Luft? Bis jetzt sah ich nichts davon,« meinte Mary Watson, indem sie aufmerksam dem unter dem Fahrzeug sich stets wechselnden Panorama folgte.
»Was lebt, lebt unterirdisch,« lautete die Antwort. »Wohl gibt es in den vergletscherten Felsspalten oder auf dem Tuffboden hie und da einige Moose und Flechten, ab und zu wohl auch einmal ein verkümmertes Gesträuch, ob aber Vögel auf dem Monde existieren, darüber kann ich keine bestimmte Auskunft geben, da ich selbst noch keine gesehen habe. Sollten wirklich einige Arten vorhanden sein, so wird die geringe Dicke der Luftschicht denselben einen Höhenflug sicher nicht gestatten. Die Eiszeit, welche hier auf dem Monde herrscht, ist übrigens ein Todfeind der Tier- und Pflanzenwelt.«
»Dann wundert es mich aber sehr, daß die Krone der Schöpfung, der Mensch, unter solchen Verhältnissen auf dem Monde existieren kann,« erwiderte Miß Watson.
»Es lebt hier auch kein hervorragender Menschenschlag,« meinte Mac Milford; »die Seleniten sind degenerierte Reste einer ehemals hochentwickelten Menschenrasse.«
»Die Leutchen ähneln dann wohl unsern irdischen Eskimos.«
»Sie haben recht. Ich stelle die Seleniten auf eine Stufe mit diesen,« antwortete der Professor.
»Sind auf dem Monde die Jahreszeiten dieselben wie auf der Erde?« frug die Studentin weiter.
»O nein,« erwiderte Mac Milford. »Da die Mondachse im Verhältnis zu der Erdachse, welch letztere dreiundzwanzig und einhalb Grad gegen die Ekliptik geneigt ist, nur eine ganz geringe Schiefe*) zur Umlaufsbahn besitzt, so herrscht in jeder Zone der Mondoberfläche beständig ein und dieselbe Jahreszeit.«
»Aber wie ist das möglich?« rief die Schottin aus.
»Sehr einfach. Für jeden Mondort erreicht die Sonne Tag für Tag, Jahr aus Jahr ein immer dieselbe Höhe am Himmelsgewölbe. Wenn ich soeben sagte Tag für Tag, so meine ich den vierzehntägigen Zeitraum, der einen Mondtag bildet. Unter dem Äquator steht die Sonne sieben Tage nach ihrem Aufgange im Osten im Zenith und geht nach weiteren sieben Tagen im Westen unter: Dort herrscht also Sommer.«
»Bei einer Sommertemperatur müßten aber doch die Gletscher schmelzen?«
»Sie müssen sich darunter nicht einen wirklichen Sommer wie auf Erden vorstellen. Die dünne Luft bewirkt, daß auf dem Monde eigentlich überall nur eine Jahreszeit herrscht, und das ist der Winter.«
*) 93½ Grad
»Wenn am Äquator die Sonne immer im Zenith steht, so muß sie doch entgegengesetzt an den Polen stets dicht über dem Horizonte verweilen?«
»Sehr richtig.«
»Ruft dieser ewig niedrige Stand der Sonne daselbst nicht eine größere Kälte hervor?«
»Gewiß ... doch schauen Sie einmal dorthin!«
Bei diesen Worten zeigte Mac Milford nach Westen, wo jenseits einiger kleiner Krater eine dunkle, sich langsam fortbewegende Masse sichtbar wurde.
»Was mag das sein?«
»Es sieht fast wie ein Ameisenhaufen aus.«
»Es scheinen Menschen zu sein,« meinte Miß Watson.
»Ganz recht, durch mein Fernglas betrachtet ist es ein geschlossener Haufen Seleniten; man möchte bald glauben, sie befänden sich auf der Kriegsfährte.«
»Ob sie unser Vehikel erkennen können?«
»Ich bezweifle,« erwiderte der Professor.
Der dunkle Punkt auf der Mondoberfläche schien sich gegen das Ziel zu bewegen, welches die Reisenden auf dem Luftwege zu erreichen strebten.
»Das sieht wirklich kriegerisch aus!« rief Mac Milford und reichte seiner Gefährtin den Feldstecher.
»Hoffentlich kommen wir nicht mit den Leuten später in Berührung.«
Unterdessen sauste das Vehikel über den dunkeln Fleck hinweg, und schon nach wenigen Minuten war derselbe von oben aus nicht mehr sichtbar.
»So, gleich sind wir am Ziele!« rief Mac Milford, welcher, nachdem er einige Zeit eine Mondkarte eifrig studiert und auch einige Messungen mittels eines kleinen Prismenkreises ausgeführt hatte, mit der Hand auf einen gewaltigen Kraterberg deutete.
Miß Watson warf einen Blick in die Tiefe hinunter. Gleich darauf schwebte das Vehikel schon über einem breiten Ringgebirge.
»Am Triesnecker?«
»Ganz recht. Was Sie dort hinten linker Hand sehen, ist der Krater Hyginus.«
»Und die große Ebene unter uns ...?«
»... ist das Mare vaporum. Dort am westlichen Horizont sehen Sie die Ringgebirge Godin und Agrippa. Nicht weit hinter uns — wir fuhren vor wenigen Minuten darüber hinweg — liegt der Krater Pallas.«
Das Vehikel senkte sich unterdessen sanft wie ein Vogel auf die Landschaft hernieder und nach wenigen Minuten schwebte es dicht über der menschenleeren Gegend. Mac Milford überflog nun mit einem Blick die Südseite des mächtigen Ringgebirges Triesnecker, welches sich vor ihm ausbreitete. Der ungeheure Kraterwall fiel nach Südwesten hin steil gegen die Ebene ab. Klaffende Schluchten wurden zwischen den Wallwänden allerorten sichtbar.
»Hier ist der Ort, wo George Price weilt. Wie er mir telegraphierte, muß der Eingang zu seiner unterirdischen Felsenhöhle am Fuße der mittelsten Schlucht an der Südwestseite des Kraters liegen.«
»Sie müssen mir jetzt etwas über diesen George Price erzählen. Sie versäumten dies bisher zu tun; ich weiß zwar, wie er auf den Mond gekommen ist, aber auch weiter nichts.«
»O, mit Vergnügen!« rief der Alte aus.
»George Price ist reichlich 25 Jahre jünger als ich, hat blondes Haar, ist ungewöhnlich lang, besitzt viel Mut und Energie und ist auch sonst im übrigen kein übler Mensch. — So, nun haben Sie die Personalien, die fast für einen Steckbrief ausreichen würden.«
»Ich danke Ihnen, Sie werden begreifen, wenn man ein wenig neugierig ist, wie dieser oder jener aussieht, den man 50 000 Meilen von der Erde entfernt antrifft.«
»Nun, Sie werden ihn hoffentlich gleich in höchsteigener Person erblicken.«
»Hat er noch Eltern?« — »Ich glaube nicht.«
»Und der arme Mensch beabsichtigt hier oben sein Leben zu vertrauern?«
Mac Milford lächelte. »Wenn Sie nicht die Absicht haben es ihm zu versüßen.«
»Aber —«
»Nun, er wird sich sicher freuen, eine so kouragierte, hübsche Landsmännin hier zu treffen.«
Während diesen Worten hatte der Professor den »Sirius« so tief auf die Oberfläche des Mondes herabsinken lassen, daß er nur noch etliche Meter über einem Plateau am Fuße des Triesneckers schwebte; an geeigneter Stelle wurde dann die Landung des Vehikels bewerkstelligt. Mac Milford betrat darauf als erster den Boden Lunas, und Mary Watson folgte ihm freudig. Sie dankte im Stillen ihrem Schöpfer endlich wieder festen Grund unter den Füßen zu haben.
Der Professor nahm jetzt eine feierliche Miene an, erhob die Hand und rief in kräftigem, emphatischem Tone: »Hiermit erkläre ich im Namen meiner Regierung den Mond mit allem, was auf ihm lebt als englisches Besitztum, und die Seleniten als Untertanen Ihrer Majestät der Königin Viktoria! — Es lebe Königin Viktoria!«
Begeistert stimmte Mary in den Hochruf ihres Gefährten ein.
»Fürwahr, Sie sind ein britischer Kolumbus, Herr Professor!«
Nach dem feierlichen Akte der Okkupation legte Mac Milford an die Verankerung seines »Sirius« die letzte Hand an und dann ging er daran den Weg zu Prices Behausung zu ermitteln.
Beide suchten eine Weile zwischen verwittertem Gesteine und hinter gewaltigen, isoliert stehenden Felsblöcken nach einer Öffnung im Kraterwalle, welche zu Prices Aufenthaltsort führen sollte. Nirgends sah man eine solche Felsenpforte. Doch halt, was war dort!
»Hier muß der Eingang sein!« rief Mac Milford und zeigte auf eine breite Felsspalte, welche durch einen gewaltigen Granitblock verdeckt wurde.
Beide traten in die dunkle Öffnung und gerieten in dichte Finsternis. Der Gelehrte setzte die kleine Taschenlaterne in Tätigkeit, und beim Scheine derselben erkannte er, daß er sich in einem langgestreckten kaum meterbreiten Stollen befand.
Nach etwa 30 Schritten verbreiterte sich derselbe und mündete schließlich in ein hohes Gewölbe von etwa 40 Meter im Quadrat. Dort sahen die Ankömmlinge allerlei Anzeichen, daß der Raum bewohnt war. Ein tischähnlicher Felsenblock stand inmitten desselben und darum verschiedene quadratisch behauene Steine, welche wohl als Sitze diesen mußten. Auf dem Felsentische schienen allerlei irdische Gegenstände zu stehen. Mac Milford trat näher.
»Endlich! Hier ist's, wo Mr. Price haust! — — — Doch wo mag er sein? ... die Depesche, welche er mir sandte, meldete mir Gefahr im Verzuge — sollte ihm etwas passiert sein?« Der Alte schaute sich um, ob er nirgends ein Zeichen fände, was darauf hindeuten könne, wo George Price weilte.
»Ein Papier!« rief plötzlich Miß Mary Watson, hob vom Boden ein weißes zusammengefaltetes Blatt auf und reichte es ihrem Begleiter.
»Ein Papier!« rief plötzlich Miß Mary Watson, hob vom Boden ein
weißes zusammengefaltetes Blatt auf und reichte es ihrem Begleiter.
Der Professor las folgendes:
»An Mr. Mac Milford.
Sollten Sie mich hier nicht mehr finden, so werden Sie mich gefangen in den Händen eines Selenitenstammes, der sich »Resles‹ nennt und in einem Höhlenstaat tief unten im Krater Hyginus haust, antreffen. Der Eingang ist in dem nordöstlichen Ausläufer der Kraterrille leicht zu entdecken. Seien Sie vorsichtig, bringen Sie Waffen mit; kommen Sie schnell.
George Price.«
Kaum hatte der Professor das Blatt durchgelesen, als er dasselbe seiner Begleiterin zurückgab und sich mit den Worten entfernte: »Bitte warten Sie hier auf meine Rückkehr.«
Miß Watson sah sich jetzt in der Felsenhöhle um. Das nackte Gestein der Wände glitzerte; die Lichtstrahlen der Laterne brachen sich tausendfach in den zahllos aufgewachsenen Kristallen. Auf dem steinernen Tische erblickte sie einige Instrumente, ähnlicher Art, wie sie solche in Mac Milfords Laboratorium gesehen hatte. Die Temperatur in dem Raume mochte sich nach ihrer Schätzung auf etwa 15° C. belaufen, war also ziemlich erträglich.
Plötzlich entdeckte sie, daß in einer der Wände eine kleine Nische eingehauen war. Als sie näher trat, bemerkte sie darin eine Anzahl beschriebener Papiere liegen. Sie nahm dieselben heraus und setzte sich auf einen der Steinsitze nieder. Die Papiere schienen eine Art Tagebuch zu sein. Als Miß Watson einen Blick auf die erste Seite warf, bestätigte sich ihre Vermutung.
Sie las folgendes:
Donnerstag, 19. Dezember. Ankunft auf dem Monde: 12 Uhr 20 Min. 10 Sekunden. Zeit konnte ich feststellen, weil meine Taschenuhr in demselben Augenblicke stehen geblieben war. Fand mich neben einer südlich vom Triesnecker verlaufenden kleinen Kraterrille auf vergletschertem Boden wieder. Seleniten gaben mireine Unterkunft.
Freitag, 20. Dezember. Streifte im Gebiete des Triesnecker umher. Machte Bekanntschaft mit zwei alten Seleniten. Verweilte den Tag über in deren geräumiger Höhlen-Wohnung. Sah hier die ersten Selenitinnen, sehr verschlossene, ängstliche Weiber.
Samstag, 21. Dezember. Da meine Uhr versagte, richtete ich mir heute eine andere Zeiteinteilung ein. Studierte das Fortschreiten der Lichtphase über die Erdkugel. Fand plötzlich einige Instrumente und Papiere nahe der kleinen Kratergrube, welche zwischen den zwei südlichen Wällen liegt. Ersah aus den Papieren, daß Mac Milford die Sachen mittels Atomistikums herübergefördert hatte.
Sonntag, 22. Dezember. Baute heute nach den Aufzeichnungen Mac Milfords den Funkentelegraphen auf. Schlief in einer mir von den Seleniten gezeigten Felsenwohnung.
Montag, 23. Dezember. Sandte heute mittels des Funkentelegraphen Chiffre-Depesche nach Mac Milfords Anweisung ab. Bat darin um Übersendung von Nahrungsmitteln und sonstigen Gebrauchsgegenständen. Erblickte gegen Abend das erste Tier, einen Eisfuchs.
Dienstag, 24. Dezember. Mache gute Fortschritte in der selenographischen Sprache. Vermag mich durch Zeichen und einzelne Worte schon gut zu verständigen. Eine der mir bekannten Selenitinnen, junges Mädchen, wirkliches Alter unmöglich schätzbar, zeigte mir als Führerin wunderbare Naturgebilde in den Tiefen des Triesneckerkraters.
Donnerstag, 26. Dezember. Wurde heute von fremden Seleniten überrascht. Die Leute gehörten einem Stamme vom Hyginusberge an. Standen auf Kriegsfuß< mit dem Triesneckerstamm. Verschanzte mich vor der feindlichen Horde in meine Felsenhöhle ...«
Bis hierher hatte Miß Watson gelesen, als Mac Milford wieder in die Felsenwohnung eintrat.
»Jetzt müssen wir schnell handeln! Wer weiß, was George Price zugestoßen ist! Waffen habe ich mitgebracht! Hier, nehmen Sie diesen sechsläufigen Revolver ... können Sie schießen? ... Fürchten Sie sich nicht?« frug Mac Milford und reichte Miß Watson die Waffe.
»Ich werde mich schon an den Schuß gewöhnen,« gab die Gefragte mutig zurück. »Doch sehen Sie, Mr. Mac Milford, hier diese Papiere.«
Der Alte warf einen Blick auf Prices Tagebuch: »Ha! — Sehr wertvoll!« rief er dann, »das kann uns vielleicht noch weiteren Aufschluß geben, wo wir ihn jetzt zu suchen haben.«
Der Professor hatte sich inzwischen wohlbewaffnet. Im Gürtel trug er nicht weniger als sechs gezogene Pistolen; über jede Schulter hing ein Gewehr, und in den Händen hielt er eine Art Lasso.
»Hier habe ich etwas gefunden!« rief der Professor und las von einem Blatte folgendes vor:
»Montag, 17. Februar. Chiffredepesche zur Erde gesandt. Mac Milford um Waffen gebeten. Keine Antwort erhalten. Funkenapparat schien nicht mehr zu funktionieren. Werde von den Hyginusseleniten hart bedrängt. Erwarte jeden Augenblick, daß sie meine Wohnung stürmen. Bin verloren, wenn ...«
»Da die Aufzeichnungen hier mit einem Male abbrechen, muß er gerade beim Schreiben gestört worden sein. Wahrscheinlich drangen in demselben Augenblicke die feindlichen Seleniten in diesen Raum ein.«
»Man wird ihn doch nicht getötet haben?« frug Miß Watson ängstlich.
»Für so blutdürstig halte ich die Seleniten nicht.«
Der Alte zog seine Mondkarte aus der Tasche und schätzte die Entfernung vom Triesnecker zum Hyginus ab. »Der Weg ist zu Fuß zu weit.«
»Können wir nicht mit dem Vehikel fahren?« frug Miß Watson.
»Ich dachte bereits daran ... kommen Sie bitte.« Mit diesen Worten begab sich der Alte wieder in den Gang, welcher ins Freie führte. Mary folgte eilig.
Draußen angekommen bestiegen beide wieder den »Sirius«, und Mac Milford richtete den Kurs zum Hyginus. Rasch führte sie das Vehikel zum Ziele.
Fünf Minuten später landeten die beiden Reisenden etwa 100 Schritte vom Berge Hyginus entfernt auf einem niedrigen Kraterwalle. Da in der ganzen Gegend kein lebendes Wesen zu sehen war, so stiegen Mac Milford und seine Begleiterin aus und lenkten ihre Schritte zu dem von Price in seinen Papieren aufgezeichneten Orte hin.
Bald hatte des Alten scharfer Blick in einer grubenartigen Ausbuchtung der Kraterrille eine anscheinend von Menschenhänden geschaffene Felsenpforte entdeckt. Nach des Professors Berechnung mußte der Weg, wenn er unter der Erde geradeaus verlief, direkt auf den Boden des ungeheuren Kraterkessels führen.
Mit Hülfe der Laterne drangen Mac Milford und seine Begleiterin auf einem ziemlich breiten Weg vorsichtig vor. Sie mochten etwa 10 Minuten gewandert sein, als sie seltsame Töne durch die Stille zu sich herüberdringen hörten.
»Pst bitte, ganz ruhig verhalten!« Mac Milford glaubte deutlich menschliche Stimmen zu vernehmen.
Dem alten Gelehrten war es darum zu tun, jetzt einen Ort zu erreichen, von wo aus er die Situation übersehen konnte.
Kurzer Hand drang er allein vor, nachdem er Mary Watson dahin verständigt hatte, daß sie zurückbleiben solle.
Nach etwa 100 Schritten gelangte Mac Milford plötzlich an das Ende des Ganges und sah einen schwachen Lichtschein durch eine Felsspalte dringen. Da die letztere bequem von einem einzelnen Manne passierbar war, so nahm der Gelehrte keinen Anstand, seinen Weg fortzusetzen. Allmählich wurde es heller, und das Geräusch nahm an Stärke zu. — Was würde er jetzt zu sehen bekommen? — Dieser Gedanke beschäftigte den Alten so, daß er an eine etwaige Gefahr garnicht dachte.
Plötzlich verengerte sich die Spalte wieder, und ehe Mac Milford es sich versah, gab der mit losem Steingeröll bedeckte Boden des Pfades nach, und der Alte rutschte im Nu ein Stück hinab und kollerte im hellen Sonnenschein etwa zehn Meter in die Tiefe.
Mac Milford befand sich am Ziele seiner Wanderung, im Kraterkessel des Hyginus. Wie ein ungeheurer Zirkus dehnte sich das Innere dieses Ringgebirges aus. Die kreisrunde Ebene bildete das Terrain für die Bauten der Stadt, welche nach des Professors flüchtiger Schätzung mindestens eine Einwohnerzahl von 10 000 haben mußte. Die ringförmige Wallwand schien himmelhoch anzustreben — man versetze sich einmal in Gedanken in ein Monstrum von Fabrikschornstein,(*) dessen Durchmesser einige Kilometer mißt und der eine Höhe von mehreren tausend Metern besitzt, dann hat man ungefähr ein richtiges Bild von einem solchen Kraterkessel. — Da die Sonne fast im Zenith stand, so fielen ihre Strahlen senkrecht auf die Stadt hinab, somit den ganzen Bergkessel erleuchtend.
(*) Der höchste Fabrikschornstein der Erde mißt kaum 150 Meter.
Mac Milford hatte sich, dank der geringen Schwerkraft des Mondes, nicht verletzt und vermochte sogleich wieder aufzustehen. Sein Blick fiel auf eine Anzahl in unmittelbarer Nähe stehender Steinbauten, welche etwa acht Meter Höhe und zehn Meter Breite besaßen und regelrechte Sechsecke bildeten. Ob diese Häuser Dächer hatten, das konnte der Professor nicht gewahr werden.
Seine Ankunft schien von Niemand bemerkt worden zu sein, da er sich gerade hinter einem Häuserquadrat befand, wo sonst niemand zu weilen pflegte.
Was nun tun? — Zurück! Das war das beste, denn er wurde ja von Minute zu Minute schmerzlich erwartet.
Ein Blick hinauf zu jener Spalte im Kraterwalle belehrte Mac Milford aber sogleich, daß eine Rückkehr auf diesem Wege, wenn nicht ganz unmöglich, so doch zum mindesten äußerst schwierig war. Doch es mußte versucht werden. Wo er seinen Fuß hinsetzte, trat er auf leichtes, lockeres Gestein, welches aus vulkanischem Kiesel- und Kalktuff bestand, und das den Professor, wenn er zwei Schritte aufwärts getan hatte, zum wenigsten um einen wieder heruntergleiten ließ. Als er endlich mit großer Mühe die Hälfte Weges bis zur Spalte zurückgelegt hatte, konnte er kaum weiter, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von neuem eine unwillkommene Rutschpartie zu machen. Da war nun Holland in Not! Wiederholt sah er hinauf zu der Eingangspforte, in der Hoffnung, daß inzwischen Miß Watson bis hierher vorgedrungen sei — doch vergeblich.
Endlich erreichte er es, daß er an einer vorspringenden Stelle der schiefen Ebene festen Fuß fassen und zum Ziele gelangen konnte.
Er war eben im Begriffe in dem Dunkel der Felsenspalte zu verschwinden, als man ihn von unten bemerkt haben mußte, denn laute, unverständliche Rufe drangen an sein Ohr. Eine Anzahl Seleniten eilten soeben herbei und standen, starr nach oben sehend, dicht am Wallrande, sodaß, wenn Mac Milford nochmals abgeglitten wäre, er unfehlbar in die Arme der Seleniten gefallen sein würde.
»Aloh! Aloh!« rief es dem Alten nach, als er oben in der Spalte stand und eilig in die dunkle Öffnung hineinstieg.
»Aloh! Aloh!« tönte es noch lange hinter ihm her.
Er rief jetzt nach seiner Begleiterin, doch sie antwortete ihm nicht. Wo mochte sie geblieben sein?
An dem Orte wieder angekommen, wo er die Verlorene verlassen hatte, bemerkte er, daß noch ein zweiter Stollen, seitlich abzweigend, vorhanden war. Diese Entdeckung machte er beim Scheine eines angezündeten, aber schnell wieder verlöschten Streichholzes. Als Mac Milford so im Dunkel seine Gefährtin suchte und deren Namen unausgesetzt rief, hörte er plötzlich Tritte und Stimmengemurmel. Da — ein Lichtschein, und vor ihm standen mehrere Gestalten.
Der alte Gelehrte sah sich plötzlich von fast einem Dutzend Seleniten umringt. Einer derselben erfaßte Mac Milfords Hand und bedeutete ihm, daß er ihm folgen möge.
Der so Überraschte sah ein, daß er den Leuten zu Willen sein mußte, darum sträubte er sich nicht im geringsten und ließ sich abführen.
Die Seleniten brachten ihren Gefangenen, denn als solcher mußte sich Mac Milford jetzt betrachten, in einen der steinernen Bauten, und Einer blieb anscheinend als Wache zurück. Mac Milfords Gedanken weilten unausgesetzt bei seiner verlorenen Gefährtin — wo war sie geblieben? Sollte dieselbe von den Seleniten ebenfalls gefunden und abgeführt sein? — —
Der sechseckige Raum, der den gefangenen Erdenbürger barg, war reich mit Fellen ausgestattet.
Ein an der Wand stehendes divanähnliches Gestell, mit einem Echsenfelle bedeckt, sollte dem Bewohner dieses Raumes anscheinend als Ruhestätte dienen. Fenster gab es nicht, eine runde, große Öffnung in der Decke ließ Luft und Licht hinlänglich herein. Durch diesen Lichtschacht vermochte Mac Milford zum Himmelsgewölbe emporzuschauen und dort die Erdkugel und dicht daneben, fast im Zenith, die feurige Sonne zu erblicken. Sinnend sah er zu seinem Mutterplaneten hinauf. Deutlich konnte er die drei Kontinente der alten Welt auf der Erdscheibe erkennen. Die britische Insel markierte sich als ein winzig kleiner, länglicher Fleck, über dem sich eine weiße Kalotte auszudehnen schien: es war der irdische Nordpol.
Während Mac Milford noch so im Anblick der Erde versunken war, näherte sich ihm der Selenit. Derselbe war ein Mann von etwa 40 Jahren und von kleiner, untersetzter Statur. Auch er besaß, wie das der Professor bei den übrigen Seleniten bemerkt hatte, eine ziemlich breite Brust. Die Ursache dieses nicht ganz normalen Körperbaues lag darin, daß die Bewohner des Mondes, infolge der sehr dünnen Luft größere Lungen als die Erdenbewohner benötigten, um mit einem Atemzuge ein bedeutenderes Quantum Luft oxydieren zu können.
»E Sral!« sagte der Selenit.
»E Sral ...« wiederholte der Professor, schüttelte den Kopf und grübelte einen Augenblick darüber nach, was das Wort wohl bedeuten könne. Durch das ihm von Price zugesandte Manuskript jenes Mondgelehrten Lu-Lun hatte er sich etwas in die Sprache der Seleniten eingeführt; doch das Wort, welches er soeben vernahm, schien einem ganz anderen selenographischen Sprachenstamme anzugehören.
»E Sral ...« dabei zeigte der Bewohner Lunas mit der Hand gegen den Zenithpunkt des Himmels. Der Gelehrte wies auf die Erdscheibe und dann auf sich selbst. Der Selenit nickte.
Plötzlich war es Mac Milford, als hätte er über dem Krater sein Vehikel hinweg fahren sehen — oder sollte es eine Täuschung gewesen sein? Vielleicht hatte sich seine Gefährtin auf solche Weise vor der Gefangenschaft gerettet. — Daß diese ihn von nun an unausgesetzt suchen würde, das war ihm keinen Augenblick zweifelhaft und er hoffte über kurz oder lang das Fahrzeug wieder über seinem Haupte dahinschweben zu sehen. Von oben aus mußte ihr dann die ganze Stadt mit allem Leben und Treiben deutlich erkennbar sein. Plötzlich tauchte in Mac Milford ein Gedanke auf. Da er sich im Besitze einiger Raketen befand, welche er von der Erde aus mit herübergebracht hatte, um dieselben zu Signalzwecken zu verwenden, so beabsichtigte er jetzt, in dem Augenblicke, wo sein Vehikel wieder sichtbar werden würde, eine Rakete durch die kreisrunde Öffnung des Raumes gegen dasselbe zu schleudern, um so die Insassen auf den Steinbau aufmerksam zu machen, in welchem er gefangen gehalten wurde. Mac Milford fühlte in die Tasche und war zufrieden, als er das Päckchen mit den Feuerwerkskörpern noch in derselben fand. Er zog es hervor, öffnete die Verschnürung und legte zwei Raketen zum Abbrennen zurecht.
Der wachhabende Selenit schaute verwundert diesem Treiben zu und betrachtete die Feuerwerkskörper mit eigentümlichen Blicken, wagte es aber nicht einen derselben in die Hand zu nehmen.
Innerhalb der nächsten Stunde, während welcher Mac Milford unausgesetzt zum Firmament emporschaute, hatte er es öfters versucht mit dem Mondbewohner eine Verständigung zu erzielen. Der Selenit sprach aber ein unverständliches Idiom und machte mit der Hand so seltsame Zeichen, daß Mac Milford, welcher seine ganze Aufmerksamkeit dem kreisrunden Loch in der Decke zuwandte, von alledem nichts verstand, obgleich er immer noch eifrig darüber nachgrübelte, welcher Sprachform die Laute wohl angehören konnten.
Endlich wurde des Professors Geduld belohnt. Er sah wie sich, von seitwärts kommend, ein schwarzer Punkt langsam über die Krateröffnung hinwegbewegte. Bei schärferem Hinsehen glaubte er auch die Gestalt seines Vehikels erkennen zu können. Sofort ergriff er sein Feuerzeug, plazierte auf dem Boden eine Rakete und wartete den Moment ab, in dem der dunkle Punkt gerade in der Mitte über der Deckenöffnung schwebte. Als Mac Milford bei dieser Verrichtung einen Blick auf den Seleniten warf, sah er, daß derselbe eingeschlummert war.
Ein Blitz! — Ein Knall ... und die Rakete fuhr zischend senkrecht zum Firmament empor.
Ein Blitz! — Ein Knall ... und die Rakete fuhr
zischend senkrecht zum Firmament empor.
Der Selenit, durch das Abbrennen aufgeschreckt, floh entsetzt aus dem Raume hinaus.
Der Professor sah, daß die Rakete infolge der geringeren Schwerkraft des Mondes in eine solche Höhe hinauf schoß, daß sie unbedingt oben an dem Fahrzeug vorbeigesaust sein mußte. Die Höhe des dunkelen Punktes schätzte er auf etwa 1000 Meter, die Höhe der Rakete um ein weniges mehr.
Unverwandten Auges starrte er zum Himmel empor und sein Gesicht erhellte sich, als er bemerken konnte, wie die Flugmaschine allmählich herabsank. Für den Fall, daß sich Miß Watson über den Ort, wo die Rakete aufgestiegen war, nicht recht im klaren sein sollte, beschloß er sofort noch eine zweite abzubrennen. Gesagt, getan!
Wieder ein Blitz! — ein Knall ... und eine zweite feurige Schlange züngelte zum Himmel empor. Mac Milford hörte, wie das Echo des Knalles sich hundertfach in dem Kraterkessel brach und zweifelte durchaus nicht, daß infolge dessen die ganze Stadt in Aufruhr versetzt werden würde.
Während der alte Gelehrte noch scharf die Bewegung des Fahrzeuges über dem Krater beobachtete, verschloß sich plötzlich die kreisrunde Öffnung an der Decke und rabenschwarze Nacht umgab ihn. Das hatte außer seiner Berechnung gelegen. Sofort wurde er sich klar, daß die Seleniten jetzt in ihm ein gemeingefährliches Wesen vermuteten. — Er erinnerte sich, daß er einige Schritte von seiner Lagerstatt eine Öffnung in der Wand gesehen hatte, welche wohl ein Ausgang zu sein schien. Vielleicht kam er auf diesem Wege ins Freie. Der Professor tastete sich im Dunkeln zu der Öffnung hin und entzündete ein Streichholz. Beim Scheine desselben erkannte er, daß der dunkle Gang ziemlich schräg in den Erdboden hinunter verlief. Vorsichtig trat er in den Stollen hinein und tappte im Finstern vorwärts. Ab und zu orientierte er sich durch das Abbrennen eines Zündholzes. Er sah, daß der Gang immer weiter und immer tiefer führte. Der Raum in dem er sich bewegte, war so schmal, daß er sich bei der Abschüssigkeit des Weges nur durch Anstemmen seiner Arme an die Wände vor einem etwaigen Abgleiten schützen konnte.
Da tauchte ein schwacher Lichtschein in weiter Ferne auf. Mit jedem Schritte, den der Professor vorwärts tat, wurde es in dem Gange heller. Plötzlich trat ihm aus einem Seitengange unvermutet ein Mann entgegen.
»Herr Professor, Sie!«
»Price!«
»Ja, George Price steht vor Ihnen!«
»Hier treffen wir uns?«
»Ich bin erstaunt!«
»Ich nicht minder!«
»Wie gelang es Ihnen bis hierher vorzudringen?«
»Als Gefangener der Hyginusseleniten!«
»Ich ahnte bereits so etwas.«
»Und Sie? — wie geraten Sie auf diesen finsteren Weg, der zum Orkus hinabzuführen scheint?«
»Ich versuchte es zu der Wunderwelt des Mondes vorzudringen ...«
»Zu der Wunderwelt?«
»Ich sage Ihnen, Herr Professor, wunderbar muß es unten sein! ... Ein geologisches Paradies!«
»Ich begreife noch immer nicht ....«
»Sie werden staunen — doch ich will Ihnen zunächst Wichtigeres mitteilen.« — »Ich bin neugierig ...«
»Auch ich teile Ihr Los, bin hier Gefangener, doch hindert man mich durchaus nicht an meiner freien Bewegung, nur Resles darf ich nicht verlassen. Die Herren Seleniten des Hyginusstaates haben alle Ursache, daß ich nicht wieder zum Triesneckerstamm, mit dem sie seit dem gänzlichen Verfall des Weltstaates in bitterster Feindschaft stehen, hinübergerate. Sie glauben, ich vermöchte jenen zu einem Siege verhelfen. Resles ist die Residenz des Panarchen sämtlicher Mondstaaten; sie hat als solche in der Weltgeschichte der Seleniten bis vor kurzem die Hauptrolle gespielt, doch diese ist jetzt ausgespielt. Die lunarische Majestät, der allgewaltige Panarch ist zum simplen Häuptling des Hyginusstammes herabgesunken.«
»Wie? der kosmopolitische Mondstaat hat zu sein aufgehört?« frug Mac Milford erstaunt.
»Die Säulen dieser Weltherrschaft mußten wohl schon lange morsch sein. — Doch warum bleiben wir hier eigentlich wie angewurzelt stehen? Kommen Sie, Herr Professor, gehen wir ein Stück des Wegs hinab; weiter unten ist Luft und Licht!« George Price schritt dem Alten voraus.
»Wo sind wir hier?«
»Wir wandern in einem Ausläufer der großen Hyginusrille und gelangen auf diesem Wege tief unter den Boden der Stadt.« Bei diesen Worten zeigte George Price auf eine helle Stelle, welche in einiger Entfernung sichtbar wurde. »Sehen Sie dort!«
Als Beide weitere fünfzig Schritte getan hatten, kamen sie an eine verbreiterte Einsenkung des Weges, welche von oben her durch ein Loch Licht erhielt.
»Hier wollen wir uns ein wenig niederlassen; — ich setze natürlich voraus, daß Ihnen das recht ist?«
»Jawohl, lieber Price. — Doch ich möchte Ihnen zunächst auch eine interessante Mitteilung machen. — Ich bin nicht allein zum Mond gefahren .... Mein Diener ist ebenfalls hier.«
»Das ist mir bereits bekannt, Herr Professor.«
»Sie wissen es schon?«
»Ja, ich habe bereits vor kurzem das Vergnügen gehabt Ihr Faktotum hier auf dem Monde begrüßen zu können.«
»Wie ... was, Tom ist bei Ihnen?«
»Er befindet sich in den Händen des Panarchen. — Also eine junge Damen haben Sie mit herübergebracht? Zeus sei gelobt, Herr Professor, jetzt gibt es wenigstens etwas Abwechslung in diesem Einerlei der öden Mondwelt. Aber wo haben Sie Ihre Reisegefährtin gelassen?«
»Wo sie augenblicklich weilt, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich wünsche und hoffe, daß sie nicht auch in die Hände der Seleniten gefallen ist. Wenn ich recht gesehen habe, kreuzt sie wohlgeborgen in meinem Vehikel hoch über dieser Gegend.«
»Ich war erstaunt, als ich Ihren Diener so unerwartet hier auf dem Monde traf ... der Mensch hat ja jetzt fuchsrote Haare, die ich auf der Erde nie bei ihm gesehen habe. Wie ist er übrigens herübergelangt — ich bin neugierig ....«
»Rote Haare ...?« frug der Alte lachend zurück. »Hm — der hat Pech gehabt. Der Unglücksrabe hat sich unfreiwillig selbst herüber befördert ... geschieht ihm schon recht, warum benutzt er mein Atomistikum als Versteck.«
»Ihr Apparat funktionierte damals tadellos, als ich die Reise zum Monde machte.«
»Tom wird wohl nicht ganz so zufrieden sein.«
»So? — Warum nicht?«
»Er ist bei der Geschichte um eine Rippe ärmer geworden, und die Farbstoffzellen seiner Haare scheinen mit roten Stoffzellen seiner fuchsigen Krawatte Kompaniegeschäfte gemacht zu haben,« erwiderte der alte Gelehrte lachend.
»Wieso?« frug George Price verwundert.
»Weil Freund Tom augenblicklich nur 11 Rippen besitzt und mit fuchsrotem Kopfhaar auf dem Monde herumzubummeln beliebt.«
»Wie sonderbar das Atomistikum einem doch mitspielen kann! ... und seine Rippe, wo ist die geblieben?«
»Ich habe ihm dieselbe nachgesandt ... hoffentlich hat er sie auch gefunden. — Doch genug davon, die Lage ist augenblicklich zu ernst, um lange zu scherzen.«
Der Alte erzählte, was er beobachtet und daß er Raketensignale abgebrannt hatte. Auch alle übrigen Erlebnisse, die ihm seit seiner Ankunft auf dem Erdtrabanten passiert waren, brachte er mit kurzen Worten zur Sprache.
»Und was gedenken Sie nun zu tun?«
»Was raten Sie mir?« frug der Professor zurück.
»Aus dieser Kraterstadt, welche Resles genannt wird, werden wir so leicht nicht entkommen können,« lautete die Antwort.
»Wir müssen es versuchen! Ich werde alles daran setzen, um Miß Watson wieder zu finden.«
George Price sann einen Augenblick nach. — — —
»Halt, ein Gedanke! Es ist sehr wohl möglich, daß die unterirdischen Hohlräume mit denen in Verbindung stehen, die unter dem Triesnecker liegen. Vielleicht fände man auf diese Weise einen Weg, der uns eine Flucht ermöglichte.«
»Das ist ein Gedanke!« rief Mac Milford aus.
»Kommen Sie, wir wollen doch die Sache gleich untersuchen!«
Die beiden Erdenbürger setzten jetzt ihren Weg fort, und Price betrat, dem Alten voran, einen langen, grottenartigen Raum. Beim Scheine der Laterne schritten sie über tuffartiges Gerölle und mußten einige breite Wasserlachen passieren.
»Ich vermute, daß wir durch diese Hohlräume einen Ausweg ins Freie finden werden,« meinte Price. »Unsere Wanderung wird zwar eine recht beschwerliche sein, und ein Verirren ist nicht ausgeschlossen.«
»Das wäre fatal.«
Der Weg ging in der nächsten halben Stunde durch mehrere erheblich kalte, mit Stalaktiten und Stalagmiten übersäte Höhlen.
»Wenn wir einen Kompaß hätten ....«
»Ich habe einen solchen zum Glück bei mir,« fiel der Professor dem Sprecher in die Rede.
»Dann ist uns geholfen.«
»Geholfen —« Bei diesem Worte zuckte der Professor die Achseln und zog seinen Kompaß aus der Tasche. »Vielleicht nützt uns das Ding garnichts.« — »Wieso?«
»Wer bürgt mir dafür, daß hier auf dem Monde der magnetische Nordpol nicht an einer ganz anderen Stelle als wie auf dem Erdenballe liegt.«
»Wäre das möglich?«
»Wir müssen mit dieser Tatsache als eine mögliche rechnen,« gab Mac Milford zur Antwort und betrachtete aufmerksam die Nadel seines Kompasses.
»Wie Sie wissen ist auf der Erde die magnetische Deklination auf jedem Punkte eine andere; ich will da gleich ein Beispiel erwähnen. Man hat im Jahre 1663 in Paris beobachtet, daß die Abweichung der Nadel gleich Null war, sie wies damals haarscharf nach Norden; vordem war sie eine östliche gewesen; dann wurde die Deklination westlich und nahm bis zum Jahre 1814 derart zu, daß sie zu dieser Zeit über 22 Grad betrug. Wie Ihnen wohl bekannt sein wird, versteht man unter der magnetischen Deklination den Winkel, welchen der astronomische mit dem magnetischen Meridian bildet. Die Magnetnadel zeigt also nicht genau nach dem Nordpol.«
»Und Sie glauben, daß diese störenden Abweichungen auf dem Monde erheblich größer sind?«
»Ich kann das im Augenblick nicht untersuchen; momentan verharrt ja die Nadel meiner Bussole in einer bestimmten Richtung — ich glaube, daß wir diese als die nördliche annehmen können.«
»Ich habe glücklicherweise schon gestern hier unten vorzudringen versucht, sodaß ich vorläufig noch etwas orientiert bin,« meinte Price und schritt dem Alten voran.
»Das ist erfreulich zu hören ... wie weit haben Sie dieses Labyrinth bereits erforscht?«
»Bis zu einer gewaltigen, domartigen Grotte, welche von einem breiten Flusse durchströmt wird. — Sind sie nicht wunderbar, all die zahllosen Höhlen mit ihren Wassern und Tropfsteinbildungen. Wo hätte man auf Erden wohl etwas ähnliches?«
»Doch, die Mammuthöhle im nordamerikanischen Staate Kentucky. Freilich kann sie sich mit diesen Hohlräumen hier in keiner Weise messen, wenngleich die Gesamtlänge aller ihrer Seitengänge 240 Kilometer beträgt; zudem sind in ihr auch die Sinterbildungen nicht so zahlreich und großartig.«
Beide wanderten nun zunächst durch eine langgestreckte, feuchtwarme Grotte.
»Die Temperatur ist mild,« meinte George Price nach einer Weile.
»Ich schätze sie auf 10 Grad Wärme.«
»Die Luft scheint hier auch bedeutend dichter zu sein?«
»Sie naht sich fast der Dichte der Erdatmosphäre und je tiefer wir kommen, desto mehr wird jene zunehmen.«
»Haben Sie Nahrungsmittel bei sich?«
»Zum Glück — eine Büchse voll, welche für längere Zeit ausreicht; Wasser zum Trinken haben wir hier unten genug.«
»Fanden Sie nach Ihrer Landung sofort meine Felsenwohnung, Herr Professor? Entdeckten Sie auch den Zettel, den ich für Sie zurückgelassen hatte?«
»Ja — ich eilte daraufhin hierher.« —
Durch eine schmale Felsenspalte sich hindurchzwängend, betraten jetzt beide eine von der vorigen wesentlich verschiedene Grotte. Zahllose Stalagmiten und Stalaktiten wurden sichtbar. Erstere, schüsselförmige, letztere zackenförmige kalkige Gebilde fanden sich zu hunderten, oft zusammengewachsen, an dem Boden und der Decke der Höhle vor. Dieser neue Raum schien einen ungeheuer großen Umfang zu besitzen und durch seine Mitte rauschte ein breites Gewässer.
»Bis hierher kam ich gestern; dann setzte der Fluß meiner Wanderung ein Ziel,« ließ sich Price vernehmen und hielt seine Laterne hoch, um die Umgebung zu beleuchten.
»Wie kommen wir nun über das Wasser?« — Es ist reißend und scheint auch tief zu sein.«
»Möglich, daß wir eine schmale Stelle des Flußbettes entdecken; lassen Sie uns auf die Suche gehen,« erwiderte der alte Gelehrte, der sich durch nichts aus der Fassung bringen ließ und bereits begann an dem Ufer des etwa 30 Meter breiten Stromes entlang zu wandern.
George Price folgte.
»Werden die Seleniten uns nicht verfolgen — man wird mich doch vermissen,« meinte Mac Milford nach einer Weile und blieb plötzlich stehen.
»Ja, darum dürfen wir nicht alle Vorsicht unterlassen.«
»Was dann?«
»Zur Wehr können wir uns nicht setzen; offene Feindseligkeiten würden sonst vielleicht Miß Watson und Tom mit ihrem Leben büßen müssen. Der Panarch ist, wenn er erzürnt ist, gewalttätig.«
»Das giebt zu bedenken,« meinte der Alte.
»Es ist aber auch sehr fraglich, ob sich die Seleniten in diesen Orkus hinabwagen — ich bezweifle es sehr, da sie das Innere des Mondes für die Gefilde ihrer Seligen halten und in jedem Rollen eines lunarischen Erdbebens die zürnende Stimme ihrer Götter zu hören glauben.«
»Hm — das könnte uns vielleicht vor einer Verfolgung schützen,« murmelte Mac Milford und zog seinen Kompaß sowie eine Karte aus der Tasche. »Die Richtung ....«
»Ja — sind wir übrigens auf dem Wege, der in gerader Linie zu den Gründen des Triesneckers führt?«
Der Gelehrte rechnete ein wenig nach und sagte dann: »Wenn ich nicht irre, ja.«
»Und wie weit ist das Ziel noch?« — »Etwa 30 Kilometer.«
»Wie nun, wenn unübersteigliche Hindernisse kommen, wie uns ein solches dieser Fluß schon zu bieten scheint?«
»Was ist das? Dort hinten links!« rief Mac Milford plötzlich aus.
Beide sahen eine dunkle Masse sich auf sie zu bewegen; den Umrissen nach mußte es ein großes Tier sein, — oder nahten sich schon die Verfolger? —
»Beim Zeus! Ein lebendiges Wesen,« flüsterte George Price seinem Begleiter zu und er beobachtete scharf die Bewegungen der dunkelen, sich herannähernden Masse.
»Ein Höhlenbär —« sagte jetzt Mac Milford und zog kaltblütig seine Waffe heraus. »Bereiten Sie sich auf einen Angriff vor,« ermahnte er Price.
»Seltsam — so tief unter der Oberfläche ....«
»Reste aus der Diluvialzeit, anscheinend ein Ursus spelaeus ...« sagte der Gelehrte.
Jetzt wurden die Umrisse eines gewaltigen Höhlentieres sichtbar; dasselbe schien für die beiden Wanderer eine Gefahr zu werden, denn es näherte sich und ließ ein dumpfes Knurren hören.
Mac Milford erhob schnell seine Waffe — ein Fingerdruck ... ein furchtbarer Knall und die schwarze Masse des Ungetüms sank zu Boden nieder. Ein tausendfaches Echo des Schusses drang zurück. George Price hielt für alle Fälle sein Messer bereit.
»Vorsicht! — Der Bär ist nicht tot! Er bewegt sich!« rief Price.
Sofort wurde ein schreckliches Brüllen hörbar, das sich mit dem donnerähnlichen Echo des Revolverknalles zu einem ohrenbetäubenden Getöse vermischte.
»In den Fluß!« schrie Price. »Schwimmen wir zum anderen Ufer herüber!«
Schon war der lange Brite ins Wasser gesprungen und hielt seine Laterne hoch über das Wasser. Der Bär sprang jetzt auf Mac Milford los. Dieser folgte nunmehr Prices Beispiel und stürzte sich gleichfalls in die Flut.
Zum Glück war das Gewässer seicht, sodaß beide durch die Strömung waten konnten, umso besser, da es ohnehin schlecht aussah mit der Schwimmkunst des Professors.
»Der Bär folgt!«
»Kein Gedanke —!«
»Senden Sie ihm lieber noch eine Ladung Blei!«
»Das wäre Munitionsverschwendung.«
Beide retteten sich bald ans jenseitige Ufer des Stromes. Da sich drüben nichts mehr regte, so nahm man an, daß das vorsintflutliche Tier verendet sei.
»Merkwürdig, wie warm das Flußwasser ist, es besitzt doch eine Temperatur von mindestens 30 Grad,« sagte George Price und spähte eifrig umher.
»Hm — ich bin auch erstaunt ...« gab der Gelehrte zurück. »Es muß einer warmen Quelle entstammen.«
Nach weiteren hundert Schritten verengerte sich das Gewölbe und zwei orgelpfeifenförmige Stalagmiten bildeten eine schmale Pforte, welche in einen anstoßenden Raum zu führen schien.
»Südsüdwest,« sagte jetzt Mac Milford, als er seinen Kompaß betrachtete. »Wir müssen uns jenseits dieses Einganges bedeutend südlicher halten, wenn wir nicht zu sehr von der Richtung zum Triesnecker abweichen wollen.«
Als sich beide der engen Sinterspalte näherten, strömte ihnen ein sommerwarmer Luftzug daraus entgegen, gleichzeitig drang ein seltsames Plätschern an ihre Ohren.
Durch eine etwa zwanzig Meter lange, sehr schmale Spalte gelangte Mac Milford als erster in eine unabsehbare Höhle.
»Holla! Price schnell! Kommen Sie und staunen Sie!«
Der Gerufene folgte und war ob des enthusiastischen Ausrufes überaus neugierig, was er nun zu sehen bekommen würde. Das Licht der beiden Laternen übergoß jetzt eine Höhlenregion, wie solche noch keines Sterblichen Auge geschaut hatte.
Soweit der Blick reichte, schien die neue Höhle unbegrenzt zu sein. Überall sah man kleine und größere Springbrunnen, deren Strahlen gegen die Decke des Raumes sprangen; hätte man sie zählen wollen, so wäre dies wohl in einer Stunde unmöglich gewesen.
Zwischendurch waren große Stellen dicht mit mehrere Meter hohen Riesenpilzen besetzt. Pilze, welche einen mannesstarken Stiel besaßen und die ein Hut krönte, der einem zwei Meter breiten Wagenrade glich.
Solche Pilzoasen waren zumeist mit 10 bis 20 Stück dieser in ewiger Nacht gedeihenden Gewächse besetzt. Wo sich kein Bassin befand, war ein kleiner Pilzwald. — Wunderbar! Die Decke der Höhle war mit herabhängenden zapfen- und gardinenförmigen Stalaktiten wie dekoriert. Dazu eine feuchtheiße schwere Luft.
Mac Milford und sein Gefährte befanden sich im Reiche der Geysirs.
»Großartig! Sehen Sie nur, Herr Professor, diese Riesenpilze! Sahen Sie schon jemals solche abnormen Gewächse?« rief George Price begeistert aus.
»Noch nie ... wirklich wunderbar! Dazu diese Springquellen, diese Geysirs! Waren Sie schon einmal in Island oder im Yellowstone-Park?« (*)
(*) Nationalpark der Vereinigten Staaten von Nordamerika, im Staate Wyoming liegend; umfaßt ein Gebiet von der Größe des Königreiches Sachsen.
»Nein, doch ich erinnere mich, früher gelesen zu haben, daß es dort auch solche heißen Sprudel giebt.«
»Ganz recht, doch was Sie hier erblicken ist ungleich großartiger.«
Die Geysirs, welche 10 bis 30 Meter breite, kreisrunde Bassins bildeten, sandten sämtlich jede einen kochendheißen Sprudelstrahl zur Decke empor; — dazu die Riesenpilze und die Tropfsteinbildungen — es war ein wunderbarer Anblick. — Die beiden Wanderer schritten, entzückt von dieser unterirdischen Wunderwelt, zwischen den Geysirs und den Pilzoasen vorwärts.
»Sehen Sie dort die herrlichen Sinterterrassen!«
»Großartig! wirklich großartig!«
»Ganz wie es auf Erden im YellowstonePark ist, nur die Flora ist eine andere. Wie es mit der Fauna aussieht, darüber bin ich freilich noch im Unklaren. Vielleicht giebt es hier nur augenlose Lurche und Fische.«
»Aber jener Höhlenbär besaß doch sicher Augen; ich meine solche gesehen zu haben? Wie vermag ein solches Tier hier in den ewig lichtlosen Grotten zu leben?«
»Das läßt mich auch zu der Schlußfolgerung kommen, daß diese Hohlräume Ausgänge zur Mondoberfläche haben müssen; der Bär haust nur in solchen Höhlen, von welchen aus er leicht und schnell ins Freie gelangen kann.«
»Dann haben wir die beste Aussicht, daß ein Weg zum Triesnecker hinaufführt.«
Der Professor wollte gerade etwas darauf erwidern, als George Price mit einem lauten Schreckensrufe einige Schritte zurückprallte.
»Was ist?« frug sogleich Mac Milford.
»Sehen Sie doch dort!« Der lange Britte zeigte auf einen kolossalen Pilz, an dessen fast zwei Fuß dickem Stiele ein schlangenartiges Tier emporklomm und sich dann auf dem mächtigen Hut desselben zusammenrollte.
»Fliehen oder schießen? Das Ungetüm könnte uns gefährlich werden ... Postieren wir uns am besten hinter jenem Geysirbecken; von dort aus werde ich einen Schuß wagen.« Bei diesen Worten zeigte der Alte auf das in seinem Rücken befindliche Sprudelbassin.
Beide flüchteten sich an den besagten Ort.
Nach dem Abfeuern des Schusses sahen sie wie die Schlange ihren Unterkörper kraftlos aufgerollt herabhängen ließ; ein sicheres Zeichen, daß das Tier tödlich getroffen sein mußte. Der Pilzkoloß bog sich förmlich unter der großen Last der Schlange.
»Zielen Sie, lieber Price, Sie haben eine sicherere Hand als ich.«
»Zielen Sie, lieber Price; Sie haben eine sicherere Hand als ich.«
»Es ist das beste, wir untersuchen gar nicht erst lange, ob das Vieh tot ist und eilen lieber, vorwärts zu kommen.«
Price stimmte den Worten des Gelehrten bei, und beide schritten weiter, indem sie es vermieden, an jenem gefahrdrohenden Orte vorbeizugehen.
»Es sollte mich gar nicht wundern, wenn wir plötzlich einmal auf den hypothetischen Lindwurm stoßen,« meinte George Price lächelnd.
»Dieses geologische Paradies scheint tatsächlich Geschöpfe zu bergen, welche auf Erden schon vor unendlich langen Zeiträumen ausgestorben sind. Jene Schlange bot mir auch einen ungewohnten Anblick; ihr Kopf schien um das doppelte so dick und lang zu sein als der unserer irdischen Boa constrictor .«
»Hoffentlich bleiben wir fernerhin von solchem Ungeziefer verschont,« erwiderte George Price.
Das Ende der Höhle schien noch immer unabsehbar, als die Geysirregion durchschritten war. Plötzlich standen beide vor einem Pilzgebüsch, wie sie solches bis dahin noch nicht erblickt hatten.
»Ein Pilzwald ....«
»Was nun?«
»Durch!« lautete die lakonische Antwort des alten Gelehrten, der dazu bereits lebhafte Anstalten traf.
»Daß Pilze so hoch und stark wie Palmenbäume aufschießen könnten, das hätte ich mir auch nie träumen lassen, Herr Professor! Wir müssen uns wie Pioniere im Urwald mit dem Messer einen Pfad bahnen, sonst können wir unmöglich vorwärts.«
Schon war Price dabei, sein Bowiemesser in den Stiel eines Pilzes zu stoßen, als der Professor ihn ermahnte, er solle dabei vorsichtig sein; ein umfallender Pilz könne vielleicht einen Giftsaft ausspritzen.
Price überhörte die Mahnung und schnitt mit Leichtigkeit durch die halb verholzte Fleischmasse des Pilzstieles hindurch und das Gewächs knickte um. — Auf solche Weise bahnte sich der lange Brite einen breiten Pfad. Der Pilzwald schien endlos zu sein; tausende von baumstarken Stielen verhinderten jede Fernsicht.
So mochten sie eine Stunde gewandert sein, als ein fernes Rauschen vernehmbar war.
Sie gelangten jetzt an das Ende des Pilzdickichtes und standen an einem riesenhaften Höhlensee, dessen jenseitiges Ufer sie nicht zu erkennen vermochten. Beide wanderten, da sie kein Fahrzeug besaßen und auch über die breite Wasserfläche nicht hätten schwimmen können, am Rande des Sees entlang, wobei sie stark nach der östlichen Richtung verschlagen wurden.
»Endlich, Herr Professor. — Dort schimmert Tageslicht!« rief Price erfreut aus.
»Wahrhaftig! Sie haben recht!«
»Also doch ein Ausweg zur Oberfläche.«
»Möglich, daß wir in ein tiefliegendes Niveau kommen; der Triesneckergrund kann es aber unmöglich sein, der liegt südwärts.«
In raschem Tempo eilten die Beiden der Freiheit verheißenden Lichtspalte zu. Sie fanden in der Tat, daß der Weg hier wieder auf die Oberfläche des Mondes führte.
Mac Milford und Price zwängten sich jetzt durch das Felsenloch, durch welches sie jener Lichtschein begrüßt hatte. Als sich beide im Freien befanden, wurde sofort die Landschaft eifrig gemustert.
»Wo mögen wir uns befinden?« frug der Professor und zog seine selenographische Karte aus der Tasche.
»Wenn ich nicht sehr irre, befinden wir uns zwischen dem Hyginus und dem Triesnecker,« meinte Price und warf einen Blick auf die vom Professor aufgerollte Mondkarte. »Was bedeuten denn all die roten Quadrate, welche Sie auf dem Papier eingezeichnet haben? Die ganze Karte sieht ja bald aus wie ein Schachbrett,« scherzte der junge Erdensohn.
»Erraten Sie es nicht?« frug Mac Milford, »doch lassen Sie uns später weiter davon sprechen und seien wir jetzt auf unserer Hut.« Der Gelehrte suchte auf der Karte den Punkt, auf welchem sie sich jetzt befanden. Mit Hilfe seiner Bussole entdeckte er denn auch bald die gewünschte Stelle. »Sie haben recht, lieber Price, wir befinden uns auf dem Wege zum Triesnecker.«
»Dann los, ehe uns die Hyginusbarbaren entdecken.«
Beide eilten so schnell als möglich dem nach irdischer Zeitrechnung etwa mehrere Stunden entfernt liegenden Triesnecker zu. Das war eine beschwerliche Wanderung; zahllose Hügel, breitklaffende Bodenspalten und vereiste Ebenen mußten überschritten werden. Zum Glück regte sich nichts in der Umgebung; kein menschliches Wesen war sichtbar. An einer geeigneten Stelle wurde halt gemacht, um von der anstrengenden Parforcetour etwas auszuruhen. Es war dies ein Ort, welcher am Rande eines kleinen Mare lag, und von wo aus die Erdenbürger die Umgebung meilenweit zu übersehen vermochten. Die dünne Luft, an welche sich Price schon längst gewöhnt hatte, setzte dem alten Professor doch etwas hart zu. Sein sonst bleiches Gesicht war gerötet und seine Lungen arbeiteten heftig.
»Mich packt Eure Luft hier oben aber ordentlich,« meinte der Erschöpfte.
»Ich bedaure dies, Herr Professor, es läßt sich aber nicht ändern. Ich für meinen Teil bin an diese Atmosphäre bereits gewöhnt, und infolgedessen finde ich mich mit ihr ganz gut ab. Ich habe freilich anfangs eine wahre Atmungstechnik treiben müssen, um es endlich so weit zu bringen, daß meinen Lungen der nötige Sauerstoff zugeführt wird.«
Für Mac Milford war es dringend geboten eine längere Rast zu machen. Zu diesem Zweck mußte man sich auf den kalten Boden plazieren. Die Mondkarte wurde nun wieder hervorgezogen und von Beiden eifrig studiert.
Die Mondkarte wurde nun wieder hervorgezogen und von Beiden eifrig studiert.
»Wie vortrefflich, daß wir eine solche in die Details gehende Karte zur Hand haben,« meinte Price.
»Ich bin wirklich neugierig, Herr Professor, was wohl die roten Quadrate auf dem Papiere bedeuten.«
»Das ist doch leicht zu erraten, mein Lieber,« gab der Gefragte zurück.
»Seitdem wir den Mond betreten haben, ist er selbstverständlich Besitztum der englischen Krone.«
»Ein schöner Gedanke!« rief Price aus.
»Und Sie sind der Kolumbus dieser Weltinsel und haben das Recht, sie für unsere Königin zu okkupieren.«
»Die roten Quadrate, welche Sie auf der Karte eingezeichnet sehen, sollen die Einteilung der Mondhemisphäre in britische Grafschaften darstellen.«
»Bravo, bravo!« rief der junge Schotte aus, »die Königin Viktoria wird mit Ihnen zufrieden sein, Herr Professor!«
»Ich hoffe es.«
»Es wird aber ein schweres Stück Arbeit für uns Beide sein, die selenitischen Stämme zu englischen Untertanen zu stempeln, besonders wird uns der Panarch Psosnlam viel zu schaffen machen; ich sage Ihnen, er ist ein gewalttätiger, starker Mann, der wie ein Riese unter den kleinen Seleniten dasteht.«
»Ich bin begierig, diesen Gewaltigen kennen zu lernen,« meinte Mac Milford.
»Ich bin etwas erstaunt, daß die Seleniten Sie nicht gleich nach Ihrer Gefangennahme dem Mondfürsten vorgestellt haben.«
»War denn der Panarch in unmittelbarer Nähe?«
»Ja, Sie befanden sich in seiner Residenz.«
Die beiden Erdenbürger waren wieder eine Weile gewandert und näherten sich bereits ihrem Ziele, als Mac Milford einen Blick nach oben warf und ausrief: »Alle Wetter! Sehen Sie dorthin, Price, der dunkle Punkt am Himmel, ich wette, das ist mein »Sirius‹, es kann unmöglich ein Raubvogel sein!«
»Sie können Recht haben, Herr Professor, hier auf dem Monde kreist kein Adler in den Lüften; es muß schon Ihr Vehikel sein.«
Beide blieben stehen und schauten unverwandten Auges in die Höhe.
»Ob Miß Watson uns von oben aus schon bemerkt hat?« frug Price.
»Es ist wohl möglich,« meinte der Alte, »denn sie hat ein Fernrohr zur Hand, mit welchem sie gewiß die ganze Gegend des Hyginus absuchen wird, um zu entdecken, wo ich geblieben bin.«
»Sie wird in großer Angst um Sie sein, bester Herr Professor.«
»Daran zweifle ich nicht, und es ist mein lebhaftester Wunsch, ihr die Gewißheit erlangen zu lassen, daß ich frei bin und mich wohl befinde.«
Inzwischen hatte sich der besagte Punkt am Himmel etwas von seiner früheren Stelle entfernt.
»Sie hat uns doch wohl nicht bemerkt.«
»Ich zweifle auch daran, denn sonst würde sie doch keine Minute zögern, das Fahrzeug herabzusenken.«
»Wenn wir uns nur von hier unten aus bemerkbar machen könnten,« meinte Mac Milford, und kraulte sich in seinem mächtigen Barte, was er stets tat, wenn er ratlos war. »Sie wird mich am Ende garnicht in der Nähe des Triesnecker vermuten und richtet wahrscheinlich ihr Augenmerk unausgesetzt auf den Kraterkessel des Hyginus.«
»Warum läßt sie das Fahrzeug nicht dicht über den Bergen kreisen, sie könnte dann doch alles viel besser beobachten, als so von dieser ungeheueren Höhe aus. —«
»Hm — Hm,« meinte der Alte, und schien sich auch zu verwundern, daß seine Gefährtin die Suche nach ihm nicht auf eine günstigere Weise vornahm.
»Am Ende ist es gar nicht Ihr Vehikel, Herr Professor.«
»Was sollte es aber sonst sein?«
George Price gab hierauf keine Antwort und musterte scharfen Blickes den dunklen Punkt am Himmel.
»Verlassen Sie sich darauf, es ist mein »Sirius‹.«
»Ich bin nur froh, daß sich Miß Watson gerettet hat.«
»Halloh! Mir kommt ein Gedanke,« rief Price aus. »Wir wollen eilen um meine Behausung zu erreichen, dort habe ich Dinge zur Hand, welche Miß Watsons Aufmerksamkeit schon erregen werden.«
»Dann wollen wir aber auch keine Zeit mehr versäumen.«
»Wir haben noch eine halbe Stunde Weg vor uns.«
Der Professor und der Student setzten in raschem Tempo ihre Wanderung zum Triesnecker fort. Der letzte Teil des Weges bot viele Schwierigkeiten. Die Gegend war stark zerklüftet und gestattete ein Vorwärtskommen nur schwer. Von Zeit zu Zeit sahen die beiden Erdenbürger zum Himmel hinauf, um sich zu überzeugen, daß der dunkle Punkt noch vorhanden war.
Sie befanden sich jetzt beide auf dem Grund einer mächtigen Furche, welche sich durch die ganze Kratergegend hinzuschlängeln schien, als ein starkes Brausen von oben her an ihre Ohren drang; gleichzeitig bemerkten sie einen scharfen Luftzug, welcher bis auf den Grund der Furche herabdrang. Es muß hier bemerkt werden, daß sich Mac Milford und sein Gefährte ungefähr 30 Meter tief unter dem Niveau der Gegend befanden.
»Ein Sturm, wahrhaftig ein Sturm!« rief Mac Milford aus.
»Starke Luftbewegungen sind sonst selten hier auf dem Monde, ich habe bisher nur einen Orkan beobachten können.«
»Es wird eine Art eisige Bora oder ein Föhnwind sein,« erwiderte der Gelehrte.
Als sie die Furche quer durchschritten hatten und zu der Oberfläche wieder emporklommen, nahm der Sturm derartig zu, daß die beiden Wanderer bei ihrem Aufstieg sich oft krampfhaft an das Gestein festhalten mußten, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, in die Tiefe hinabgeweht zu werden. Kaum oben angekommen, mußten sie sich platt auf den Boden werfen, denn der Orkan setzte ab und zu mit furchtbaren Stößen ein, dabei ungeheuere Staubwolken mit sich reißend.
Als beide so auf der Erde lagen, vermochten sie nicht zum Himmel aufzuschauen.
Als beide so auf der Erde lagen, ver-
mochten sie nicht zum Himmel auf zuschauen.
»Wird der Sturm Ihrem »Sirius‹ etwas anhaben können?«
»Nein, das Fahrzeug wird unbehelligt bleiben, denn die Höhe der Atmosphäre ist zu gering. Der Orkan jagt unmittelbar über die Oberfläche hin, vermag hohe Berge nicht zu übergehen und ist meiner Ansicht nach gezwungen sich stets durch Täler und Bodeneinsenkungen eine Bahn zu schaffen.«
Eine Unmenge feinen, eisigen Staubes überschüttete jetzt die beiden Erdenbürger mit solcher Heftigkeit, daß die spitzen Sand- und Eiskörnchen wie Nadeln in ihre Kleider drangen und ihre Gesichter so verletzten, daß diese bluteten.
Plötzlich ließ der Sturm nach, und es trat kurz darauf Todesstille ein.
»Jetzt kommt das Schlimmste!« rief der Professor aus. »Stehen Sie auf keinen Fall auf, sonst sind Sie ein Kind des Todes!«
»Aber — warum?«
»Wissen Sie denn nicht, daß dieses plötzliche Aufhören des Orkanes das sicherste Zeichen ist, daß wir uns im Centrum eines Wirbelsturmes befinden? Und wehe dem, der von ihm erfaßt wird, er würde augenblicklich in die Höhe geschleudert werden.«
Kaum hatte der Alte die letzten Worte ausgesprochen, als der Orkan plötzlich wieder einzusetzen begann und mit doppelter Heftigkeit um die beiden auf dem Boden liegenden Männer aufwirbelte.
Mac Milford und Price vergingen für einen Augenblick Hören und Sehen; hätten sie aufrecht gestanden, so wären sie sicher von dem Wirbel ergriffen und in die Luft geschleudert worden.
Eine Viertelstunde lang vermochten die Beiden kein Wort mit einander zu wechseln, da der Sturm mit seinen Sandmassen sie fast erstickte.
Als endlich die Gewalt des Orkans gebrochen war, erhoben sich Mac Milford und sein Gefährte um die letzte Wegstrecke zurückzulegen. Von dem Vehikel war nichts zu entdecken, die Sonne drang durch die aufgewirbelten Sandwolken nur mit einem schwachen gelblichen Schein hindurch und verlieh der Gegend ein unheimliches beängstigendes Aussehen.
»Wird der Sturm Ihrem Fahrzeug auch nichts geschadet haben, wenn es sich soweit herniedergesenkt hätte, daß es in den Bereich der Atmosphäre gekommen wäre?«
»Mein »Sirius‹ würde sich in solchem Augenblick glänzend bewähren, er ist trefflich konstruiert und wird nicht sogleich Schiffbruch leiden. — Als wir jene kosmische Steinwolke durchfuhren, hat das Fahrzeug tapfer stand gehalten.«
»Welche Steinwolke?«
»O, ich erzählte Ihnen noch nichts davon, wir haben mancherlei kleine Erlebnisse von der Terra zur Luna gehabt. So waren wir auch in einen gewaltigen Sternschnuppenschwarm geraten.«
»Was Sie sagen; das muß ja interessant gewesen sein!«
»Interessant oder nicht, jedenfalls war es für meinen »Sirius‹ keine Kleinigkeit, den Anprall der Myriaden von Steinen aller Größe zu widerstehen.«
»Donner und Doria!« rief Price aus. »Und wie lange verweilten Sie in diesem Schwarm?«
»Eine ganze Weile, mein Lieber. In solcher Umgebung hätten wir leicht die Balance verlieren können; denken Sie sich einen derartigen Sternschnuppenschwarm nicht so harmlos.«
»Es machte dem Fahrzeug und seinem Konstrukteur alle Ehre, die gefährliche Begegnung so glänzend überwunden zu haben.«
Eine kleine Weile danach gelangten die Beiden endlich am Ziele an. Ehe sie nun durch die dunkle Pforte in das Innere des Triesneckers traten, musterten sie noch einmal den Teil des Himmels, der sich über den fernen Hyginuskrater wölbte.
»Bemerken Sie nichts?« Der Alte ließ seinen Blick über das ganze Firmament schweifen.
»Sollten wir uns getäuscht haben?«
»Wie — Sie meinen, daß jener Punkt Ihr »Sirius‹ nicht gewesen ist?«
»Ich muß jetzt auch bald daran zweifeln, denn ich kann es mir wiederum nicht denken, daß Miß Watson inzwischen gelandet ist.«
Nachdem sich beide überzeugt hatten, daß von dem dunklen Punkt nichts mehr zu sehen war, begaben sie sich in das Innere des Triesneckers.
Prices Wohnung war, wie wir bereits wissen, ein Hohlraum unter dem Abhang des Kraters. Wie im Hyginus, so befand sich auch im Triesnecker eine Selenitenansiedelung, Lerzal genannt. Prices Wohnung war durch einen stollenartigen Gang mit dieser Kraterstadt verbunden.
Die meiste Zeit über verweilte der junge Student unter den Triesneckermenschen und benutzte die Felsenhöhlung nur als Schlafraum. Price trieb eifrig Studien über die Seleniten und deren Sitten und Gebräuche. Er beabsichtigte ein großes Werk über dieselben und ihre Weltscholle zu schreiben; gleichzeitig trug er sich auch mit dem Gedanken, den zerfallenen kosmopolitanischen Mondstaat wieder aufzurichten, den Mondbewohnern ein neues System in der Lebensführung aufzuoktroyieren und sich schließlich zum Oberhaupte des degenerierten Menschenschlages aufzuschwingen. Ein schottischer Student als selenitischer Monarch, so etwas war nach Ben Akiba noch nicht dagewesen!
Price hätte jetzt schon gern den Professor in alle Pläne, welche er hegte, eingeweiht, wenn nicht augenblicklich brennendere Fragen vorgelegen hätten, deren sofortige Erörterung dringend geboten war.
»Jetzt heißt es Kriegsrat halten,« meinte Mac Milford, indem er sich auf einem steinernen Sitze niederließ.
»Wo wir Tom zu suchen haben, ist uns bekannt, wo jedoch Miß Watson weilt, das mögen die Götter wissen.«
»Auch sie müssen wir finden.«
»Der Panarch ist ein Despot ersten Ranges, ein ungeschlachter Patron, mit dem sich nicht reden läßt. Tom wird nicht so leicht seinen Händen zu entreißen sein.«
»Wir werden Mittel und Wege suchen müssen, den Mann einzuschüchtern.«
»Vielleicht ist es besser, ihn zu überlisten.«
Der zweifelhafte Aufenthalt Miß Watsons wurde noch eine Weile hin und her erörtert, ohne daß man auf die richtige Spur kommen konnte.
Befand sie sich wirklich in dem Vehikel, wie Mac Milford es vermutete, oder hatte sie sich verirrt und war schließlich gar in die Gefangenschaft des despotischen Mondfürsten geraten?
»Ist die Möglichkeit vorhanden gewesen, daß auch Ihre Gefährtin von den Hyginusseleniten gefangen worden sein könnte?« frug Price.
»Das ist nicht ausgeschlossen, ich möchte es bald vermuten.«
»Was dann?«
»Der Fall ist schwierig.« Der Alte kraulte sich wieder in seinem Bart und verlor sich im Sinnen.
»Es bleibt dann nur ein Weg offen, Herr Professor.«
»Und der wäre?«
»Wir müßten versuchen von neuem auf demselben Wege zum Hyginus zurückzukehren ....«
»Sie meinen wieder durch die Hohlräume unter dem Krater?«
»Ja,« erwiderte Price. »Meine Absicht ist es, mit den beiden Gesuchten auf demselben Wege nach hier zu entfliehen.«
»Der Gedanke ist gut, aber schwer ausführbar und muß klug und geschickt vorgenommen werden.«
»Dann wollen wir aber auch keine Minute mehr zögern, wenn wir darüber einig sind, daß wir die Befreiung von Mary und Tom so zu bewerkstelligen gedenken.«
»Was haben Sie an Waffen und Munition noch für Vorrat?« frug Mac Milford.
»Mein Arsenal ist, wie Sie wissen nicht groß, und besteht nur aus drei Pistolen, welche Sie mir damals mittels Ihres Atomistikums herüber gesandt hatten.«
»Und wieviel Munition besitzen Sie noch?«
»Genügend, um die ganzen Hyginusseleniten in die Hölle zu schicken!«
»Dann wollen wir auch das Wagnis unternehmen.«
»Zuvor aber möchte ich Sie mit einem mir befreundeten Selenitenhäuptling bekannt machen; denn es wäre gewiß vorteilhaft, wenn wir noch jemanden auf unserer gefährlichen Tour mitnehmen könnten.«
»Besser zu Dreien, als zu Zweien.«
»Wollen Sie mir bitte folgen, Herr Professor,« sagte Price und schritt beim Schein einer Fackel, welche er zuvor angezündet hatte, in einen dunklen Gang, welcher seitlich sichtbar war, hinein.
Mac Milford folgte.
Der vielfach gewundene Weg führte, allmählich enger werdend, immer tiefer in die Eingeweide des Kraterriesen hinab. Mehrfach war der Pfad recht abschüssig, sodaß Mac Milford vorsichtig wandern mußte, indeß Price, der jeden Schritt und Tritt hier kannte, unschwer vorwärts kam.
Nach Verlauf einer halben Stunde gelangten die Beiden an die Mündung des Ganges und befanden sich nunmehr in der Triesneckerstadt.
In dem ungeheuren Kraterkessel, über welchem sich der schwarzblaue Himmel wölbte, und in den sich das Licht der Sonne ergoß, erblickte der Professor eine Unmenge steinerne Bauten, welche denen der Hyginusstadt aufs Haar ähnelten. Jeder der Steinbauten stand für sich, sodaß zwischen den vielen Häusern viele schnurgerade verlaufende Wege sichtbar waren.
Price führte Mac Milford zur Verwunderung vieler ihnen begegnenden Seleniten in den Bau des Triesneckerhäuptlings. Begleitet von einer Menge erstaunt dreinschauender Menschen der Kraterstadt, gelangten sie an den Eingang der Residenz des Stammoberhauptes.
Die Gewährung einer Audienz bei seiner selenitischen Hoheit hatte keine Schwierigkeit, am wenigsten für Price, der doch zu jeder Zeit bei diesem ein und aus ging.
Mac Milford sah auf dem Wege vielerlei Interessantes, sodaß er zu wiederholtem Male stehen blieb und verschiedene Dinge musterte.
Als beide endlich vor dem Gewaltigen der Triesneckerstadt zu stehen die Ehre hatten, und derselbe ob dieses unerwarteten Besuches Augen und Mund aufriß, da konnte sich Mac Milford eines Lächelns nicht erwehren. Der sonst so ernste Gelehrte fand die Situation ungemein komisch.
Als beide endlich vor dem Gewaltigen der Triesneckerstadt zu stehen
die Ehre hatten, und derselbe ob dieses unerwarteten Besuches Augen
und Mund aufriß, da konnte sich Mac Milford eines Lächelns nicht erwehren.
Price wechselte jetzt mit dem Häuptling einige Worte, welche bezwecken sollten, den alten Gelehrten vorzustellen.
Als sich das Staunen des Triesneckerherrschers etwas gelegt hatte, überschüttete er Price mit einer Flut Fragen in einem Idiom, welches dem Professor bekannt zu klingen schien. Richtig, er kannte bereits die Triesneckersprache, war in ihr doch das Manuskript jenes Lu-Lun geschrieben, welches er entziffert hatte. Bei der Unterredung, welche Mac Milford mit dem Stammeshäuptling führte, spielte Price den Dolmetscher.
Als Letzterer schließlich seinen Plan, die Befreiung Marys und Toms vortrug, äußerte er den Wunsch, daß der junge Selenit Rzelloe sie begleiten dürfe.
Der Häuptling geriet abermals in Staunen, als er vernahm, daß noch mehrere Fremdlinge auf dem Monde weilen sollten. Konnte er es sich doch nicht enträtseln, wo mit einem Male alle diese weltfremden Menschen herkamen. Er willigte jedoch ohne Zögern ein, daß sein Sohn an der Befreiungswallfahrt zum verhaßten Hyginusstaate teilnahm. Nachdem Mac Milford auch mit Rzelloe Bekanntschaft gemacht und erkannt hatte, daß er in diesem Seleniten einen geistig geweckten und schlauen Menschen vor sich sah, mahnte er zum Aufbruch. In Prices Wohnraum wurden nun die nötigen Vorkehrungen getroffen, um den feindlich gesinnten Hyginusleuten wohlbewaffnet zu begegnen, falls es zu einem Renkontre kommen sollte.
Als man aus dem Triesneckerkrater wieder hinaus ins Freie trat, musterte der Professor sofort die Himmelsgegend, in welcher der Hyginus lag; er spähte durch die mächtige Brille nach seinem Vehikel aus — doch vergeblich war sein Suchen, es war nichts zu erblicken, was etwa einem fliegenden Fahrzeug ähnlich sehen konnte.
Diese Erfolglosigkeit des Suchens vermehrte die Sorge des Alten um seine Gefährtin und sein Vehikel.
Unter Vormarsch des Seleniten trabten die beiden Erdenbürger dem Hyginus zu. Rzelloe kannte hier Weg und Steg so gründlich, daß man unter seiner Leitung bald zu jener Stelle wieder gelangte, welche in die Hohlräume unter dem Hyginuskrater führte. Beim Eintritt in die Felsenspalte, welche die Mündung jenes Ganges bildete, der sich in die Tiefe verlief, mußte der junge Selenit seine Führerschaft aufgeben, da er in den Hohlräumen keinen Bescheid wußte, während Price und Mac Milford sich in diesem Labyrinth eher zurecht fanden.
Mit einiger Mühe gelang es den Wanderern den richtigen Rückweg einzuschlagen. Bald hatten sie die GeysirBecken wieder erreicht und während sie mitten zwischen den Springquellen ihren Weg verfolgten, gebot ihnen plötzlich eine mächtige Rieseneidechse, welche soeben von einem der GeysirBassins her gekrochen kam, gebieterisch halt. Indeß der langbeinige, junge Schotte und der Selenit kurzerhand über das fast drei Meter lange HöhlenKrokodil hinwegsprangen, blieb Mac Milford stehen und musterte dasselbe mit einem kritischen Blicke.
»Ein seltsames Reptil,« meinte der Alte; »ein würdiger Vertreter der selenitischen Höhlenfauna.«
Schon öffnete das Untier seinen zähnegespickten Rachen, vermutlich um die neue Bekanntschaft auf ihren Wohlgeschmack hin zu prüfen, als es Mac Milford für geraten fand, sich ebenfalls durch einen möglichst großen Sprung über das Reptil in Sicherheit zu bringen.
»Sapperlot! Dem Vieh möchte ich nicht wieder begegnen.«
Price lachte und sagte: »Ich fühle mich eigentlich versucht, diesem zähnefletschenden Alligator ein Stückchen Blei in seinen Rachen zu senden.«
Mac Milford riet davon ab. »Lassen Sie das, wir wollen mit der Munition möglichst sparen; wer weiß, ob wir sie nicht noch besser gebrauchen können.«
Die Wanderung wurde nun wieder fortgesetzt, und die Drei gelangten endlich unbehelligt, nach etwa einer Stunde Wegs an die Mündung des Pfades, welcher zur Kraterstadt Resles hinaufführte. Price schritt jetzt mit der Waffe in der Hand voraus.
Es galt nun vorsichtig weiterzugehen, denn leicht konnte ihnen durch Begegnen von Hyginusleuten Gefahr drohen.
Rzelloe war ebenfalls von Price mit einer Waffe versehen und instruiert worden, wie selbige zu handhaben sei.
Spähend ging der kleine Trupp vorwärts. Etwa in der Mitte des Pfades wurde Halt gemacht, und abermals eine Beratung gepflogen, in welcher sichersten Weise man die Befreiung der Gefangenen bewerkstelligen könne.
»Ich werde allein nach Resles zurückkehren,« sagte Price nach einiger Überlegung. »Ich begebe mich dann wieder in den Raum, welchen man mir als Gefangenen angewiesen, und tue als wäre nichts vorgefallen.«
Mac Milford nickte zustimmend.
»Ich werde dann versuchen, in den Bau des Panarchen zu kommen und zu spionieren, ob sich Miß Watson und Tom dort befinden; ich werde ihnen dann im geeigneten Moment zur Flucht verhelfen. Sind erst Beide hier in diesem Gang, so haben wir gewonnenes Spiel.«
»Sie setzen also voraus, daß Miß Watson auch eine Gefangene des Panarchen ist?« ließ sich der Professor vernehmen.
»Möglich — wenn nicht, desto besser für sie.«
»Es wäre fatal, wenn sich auch mein Fahrzeug in den Händen der Hyginusleute befände.«
»Sie werden wohl nichts damit anzufangen wissen,« erwiderte Price.
»Sie könnten es demolieren.«
»Sagten Sie nicht, Herr Professor, daß Sie das Vehikel von dem Steinbau aus, in dem Sie gefangen gehalten wurden, gesehen hatten?«
»Ich glaubte mich wenigstens nicht zu täuschen.«
»Dann wird Miß Mary auch wohl schwerlich in die Hände des Panarchen geraten sein.«
Nach diesen weiteren Beratungen war es eine abgemachte Sache, daß nur Price allein nach Resles zurückkehren sollte, während Mac Milford und Rzelloe in dem Gange, wo sie sich augenblicklich befanden, seiner Rückkunft harren wollten.
Indem sich die beiden Zurückbleibenden auf den Boden lagerten, entfernte sich Price eiligen Schrittes und gelangte bald an die Mündung des Pfades. Hier blieb er stehen und lauschte eine Weile. Dann trat er in den Steinbau hinein, in welchen der Gang führte.
Von neuem überlegte er, wie er seinen Plan am besten ausführen könne. Als er zufällig durch die offene Decke des Baues schaute, sah er zu seiner Überraschung kaum hundert Meter über Resles den »Sirius« schweben und erkannte, daß auf der Plattform, welche außerhalb des Fahrzeuges angebracht war, der dicke Tom stand und in die Tiefe herabschaute.
Price war im ersten Augenblick verblüfft, konnte er es sich doch nicht enträtseln, wie das Faktotum des Professors in das Vehikel kam. Ob sich Miß Mary auch in Begleitung Toms befand? Vergebens suchte sein Auge den Kopf der jungen Schottin an den Fenstern des Fahrzeuges zu erblicken. Nichts verriet jedoch ihre Anwesenheit. Eine ganze Weile schaute Price dem sich leise bewegenden Fahrzeuge zu, als er bemerkte, daß Tom einen Behälter aus dem Innern herausholte und aus diesem etwas auf Resles herabzuschütten schien. Im Nu breitete sich eine weiße Wolke aus, die sich wie ein dichter Nebel auf die Stadt herabsenkte. In diesem Augenblick vernahm der Student viele Stimmen aus unmittelbarer Nähe. Offenbar waren es Seleniten, welche Schreckenslaute ausstießen, als sie den Manipulationen, die oben in der Luft vorgingen, zuschauten. Diesen Augenblick hielt Price für geeignet aus dem Steinbau hervorzutreten. So viele Hyginusleute auch in der Nähe waren, so blieb er doch unbeachtet. Aller Augen waren nach oben gerichtet, halb erstarrt sahen die Seleniten, wie sich die weiße Wolke immer mehr verbreitete und tiefer auf sie herabsenkte. Schon flohen einige entsetzt ihren Behausungen zu, und eine allgemeine Bestürzung zeigte sich unter den immer zahlreicher auftauchenden Menschen.
Price allein war sich über die Natur der künstlichen Wolke nicht einen Augenblick im Unklaren, er wußte, daß Tom einen Behälter mit flüssiger Luft entleert hatte, wahrscheinlich um den Bewohnern einen Schreckensdenkzettel zu geben.
Die flüssige Luft breitete sich als Dampfwolke weit aus, und lagerte wie ein Nebelschleier über Resles, sodaß man kaum noch die Umrisse des schwebenden Vehikels zu erkennen vermochte. Die Bestürzung der Hyginusleute benutzte Price, indem er dem Bau des Panarchen zueilte und in denselben eintrat.
Hier fand er die selenitische Hoheit in größter Aufregung. Sprachlos saß der Panarch auf seinem Echsenfell und stierte den Nebelschleier über seiner Residenz mit weit aufgerissenen Augen an.
Seine Umgebung, etwa ein Dutzend Seleniten, standen dicht zusammengedrängt um ihn herum und schienen ebenso ratlos und erschrocken zu sein, wie ihr Oberhaupt. Price, welcher das Idiom dieser Seleniten ein wenig beherrschte, ließ plötzlich seine Stimme vernehmen. »Euch droht allen eine furchtbare Gefahr!«
Des Panarchen Gestalt zuckte bei diesen Worten zusammen. Halb ängstlich, halb verblüfft schaute er den Sprecher an.
»Was soll das bedeuten?« frug jetzt der Mondfürst in der Sprache seines Stammes.
»Euch droht Tod und Verderben, wenn ihr uns nicht unbehelligt laßt,« gab Price feierlich zur Antwort, und zeigte mit der Hand nach oben.
Ein Stimmengewirr drang von draußen herein. Die Bewohner von Resles waren außer sich und drängten sich in Massen um den Residenzbau des Panarchen.
»Wo habt ihr die Gefangenen?« frug Price in befehlendem Ton. Der Panarch schien jetzt vor Price tatsächlich Furcht und Grauen zu empfinden.
»Der Mann, den ihr Tom nanntet, ist entwichen,« lautete die Antwort des Herrschers.
»Aber ihr haltet noch ein Weib gefangen, wo ist es?« Der Panarch gab hierauf nicht gleich eine Antwort, sodaß Price seine Frage energischer wiederholte.
Der Häuptling starrte unausgesetzt auf den sich mehr und mehr herabsenken den Nebelschleier und wies mit der Hand nach einem anstoßenden Seitenbau.
Price schritt, ohne daran gehindert zu werden, sofort in das bezeichnete Gemach. Als er durch die von einem Echsenfelle verdeckte Tür trat, stand er plötzlich vor Miß Watson, deren volle Aufmerksamkeit gleichfalls auf das über der Stadt sich abspielende Schauspiel gerichtet war.
»Miß Mary Watson?«
Erstaunt sah die Schottin den Eintretenden an.
»Sie sind George Price? Ich ahne es, Sie müssen es sein!«
»Sie haben es erraten.«
»Kommen Sie zu meiner Befreiung? — Dem Himmel sei Dank!« Mit diesen Worten trat Mary dem Ankömmling entgegen und reichte ihm beide Hände.
»Wir suchen Sie.«
»Wo ist der Professor?«
Er befindet sich wohlbehalten in einem Hohlraum, welcher sich unter dieser Stadt ausbreitet.«
»Es ist gut, daß Sie gekommen sind, Mr. Price; ich glaubte schon, daß das ganze Spiel verloren sei und ich Sie und den Professor niemals wieder sehen würde.«
»Aber wie sind Sie eigentlich in die Gefangenschaft geraten?«
»O, das ist sehr einfach, Mr. Price, als ich auf der Suche nach meinem verlorenen Gefährten war, und alle Bemühungen ihn wieder zu finden vergeblich waren, entfernte ich mich aus dem Kratergange und begab mich wieder ins Freie; dort wurde ich sogleich von den Seleniten überrascht und in die Gefangenschaft abgeführt.«
»Und was wurde aus dem Vehikel?«
»Ich weiß es nicht, wahrscheinlich ist es in die Hände der Männer gefallen. Ich sah nur noch, als ich abgeführt wurde, wie sie das Fahrzeug betrachteten und bestiegen; was dann weiter damit geschehen ist, weiß ich nicht. Zu meinem Erstaunen bemerke ich nun, daß das Fahrzeug jetzt über dieser Stadt schwebt, und daß Tom sich darin befindet.«
»Tom wurde aber doch ebenfalls gefangen gehalten,« sagte Price verwundert.
»Es ist mir ein Rätsel, wie er es fertig gebracht hat, wieder zu entfliehen und sich des Vehikels zu bemächtigen.«
»Miß Watson, ich bin gekommen, um Sie zu befreien; sind Sie bereit?«
»Zu jeder Zeit, Mr. Price; aber ich fürchte, daß es Ihnen nicht gelingen wird, mich den Händen des Mächtigen, der immer in meiner Nähe weilt zu entreißen.«
Mit diesen Worten zeigte Miß Mary auf das nebenanliegende Gemach.
»Das wollen wir sehen — ich benutze gerade die Angst und den Schrecken, welche die weiße Wolke dort oben in Resles hervorgerufen hat.«
»Was hat es eigentlich für eine Bewandtnis mit der Wolke?«
»Es ist nichts anderes als einige Liter flüssige Luft, Miß Watson. Ein schlaues Manöver von Tom.«
»Und Sie glauben, daß das den Seleniten einen solchen Schrecken eingejagt hat?«
»Wenn Sie daran zweifeln, so werfen Sie nur einen Blick in das Gemach des Panarchen und Sie werden sich über die geängstigten Gesichter sehr amüsieren.«
»Ich fürchte aber, daß uns die Flucht trotzdem nicht gelingen wird.«
»Warum?«
»Ach, es ist etwas, was ich Ihnen schlecht verraten kann,« sagte Miß Mary und ein schwaches Lächeln glitt über ihr Gesicht.
»Da bin ich aber neugierig ...«
»Sie werden es lächerlich finden, gewiß sehr lächerlich, aber es ist doch so ....«
»Nun?«
»Ich soll —« hier stockte Mary errötend.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren, Miß Mary; bitte klären Sie mich schnell auf, und dann fort von hier.«
»Jener mächtige Mann da drinnen verlangt, daß ich — sein Weib werden soll.«
Price brach in ein schallendes Gelächter aus, unbekümmert darum, ob es der Panarch hörte oder nicht. In diesem Augenblick hatte sich die weiße Wolke so weit herabgesenkt, daß sie in den Steinbau hereindrang und alles in einen eisigen Nebel hüllte, welcher Mary und Price frösteln machte. Gleichzeitig hörte man Entsetzensrufe der Seleniten herüberdringen. Dieser Moment schien Price besonders geeignet die Flucht sofort auszuführen. Hastig ergriff er Marys Hand und zog sie in das Gemach des Panarchen.
Hier fand er, daß alle Anwesenden sich bestürzt auf die Erde geworfen hatten und des dichten Nebels wegen kaum zu erkennen waren.
»Kommen Sie schnell,« flüsterte Price. »Lassen Sie meine Hand nicht los.«
»Kommen Sie, schnell,« flüsterte Price.
»Lassen Sie meine Hand nicht los.«
Hastig eilten die Beiden ins Freie hinaus, und es kostete ihnen einige Mühe, den rechten Weg zu dem Steinbau wieder zu finden, in dem der Höhlengang mündete.
Die Nebelwolke fing bereits an sich aufzulösen, als die Flüchtlinge, welche nach Möglichkeit den vielen ihnen begegneten Seleniten auswichen, am Ziele ankamen.
Mary Watson schwebte in beständiger Angst, daß der Panarch mit seinen Leuten sofort die Verfolgung aufnehmen könnte. Erst mit dem Betreten des tief in den Mondleib hinabführenden Ganges, atmete sie wieder auf und gewann einige Hoffnung auf das Gelingen der Flucht.
»Der Gedanke ist mir entsetzlich, daß uns Psosnlam auf den Fersen folgen könnte!« Mary preßte sich bei diesen Worten unwillkürlich dicht an Price.
»Seien Sie ohne Sorge, Miß Watson, mein Revolver und last not least meine Faust wird Sie schützen.«
Der Student hatte bei diesen Worten seine Laterne in Tätigkeit gesetzt und schritt nun seiner Gefährtin auf dem abschüssigen Wege voraus.
»Wo erwartet uns der Professor?«
»Etwa tausend Schritte von hier ....«
»Werden wir den rechten Weg auch nicht verfehlen?«
»Das ist nicht möglich; dieser Pfad hat keine Abzweigungen und führt direkt zu der Stelle hin, wo Mac Milford und ein mir befreundeter Selenit unserer harrt.«
In diesem Augenblick strauchelte Miß Watson und fiel zu Boden.
»O weh, Sie sind gestürzt!« rief Price aus und leistete seiner Gefährtin eiligst Hilfe.
Er faßte ihre zarte, weiße Hand, und zog sie empor. »Hoffentlich haben Sie sich dabei nicht verletzt?«
»Ich glaube doch, Mr. Price, mein Fuß schmerzt etwas.«
»Bitte stützen Sie sich auf mich ....«
»Ich glaube, daß ich mir den Fuß verstaucht habe.«
»Wie sehr ich das bedauere, Miß Watson; vermögen Sie noch zu laufen?«
»Es wird schon gehen, Mr. Price.« Sie ging einige Schritte. Man konnte es aber nur zu deutlich bemerken, daß ihr das Auftreten des verstauchten Fußes neue Schmerzen bereitete.
Das war für Price ein Strich durch die Rechnung; konnte doch dieser Unfall möglicherweise dazu führen, daß die Flucht mißlang.
Mary mochte ähnlich denken und seufzte.
»Was wollen wir nun beginnen, Mr. Price?« sagte Mary in traurigem Tone.
»Wenn Ihnen das Gehen beschwerlich ist, so bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu tragen.«
Diese Äußerung machte Mary etwas verlegen und sie versuchte von Neuem, den Weg fortzusetzen.
»Das würde ein beschwerliches Stück Arbeit sein, Mr. Price, ich kann und will es Ihnen nicht zumuten; sehen Sie, es geht ganz gut.«
Aber bei jedem Schritte den die Schottin tat, stöhnte sie leise auf.
»Miß Watson, es geht nicht, es geht wirklich nicht, ich sehe es, verschmähen Sie nicht meine Hilfe, ich bin stark und vermag Sie schon ein gutes Stück Weges zu tragen.«
In diesem Augenblicke glaubten die beiden Flüchtlinge von oben her ein Geräusch zu vernehmen.
»Beim Himmel, sollten sie uns schon auf der Spur sein!« rief Price aus.
»O weh, dann sind wir verloren,« stöhnte Mary und machte einen erneuten Versuch zu gehen.
»Es hilft nichts, Miß Watson, ich muß Sie tragen; Eile tut not; denn man könnte uns möglicherweise auf den Fersen sein.«
George Price nahm Marys schlanke Gestalt in seine Arme und eilte so mit ihr in den Gang weiter hinab.
»Legen Sie bitte den Arm um meinen Hals.« Price sagte dies in etwas energischem Tone, um einer etwaigen Befangenheit der jungen Dame vorzubeugen.
Mary tat, wie ihr geheißen wurde, es war dies das erste Mal in ihrem Leben, daß sie sich einem Manne in dieser Weise anvertrauen mußte.
George Price eilte mit seiner Last so rasch als möglich den abschüssigen Pfad entlang.
»Sie werden erlahmen, Mr. Price; wie soll ich Ihnen danken für Ihre große Mühe!«
»Sie haben mir nichts zu danken, Miß Watson; es ist meine Pflicht, bei der Hilflosigkeit Ihrer Lage meine Kräfte für Sie einzusetzen, zudem ist es eine süße Last, welche ich trage.«
Diese Schmeichelei entlockte Marys Antlitz ein Lächeln; sie fühlte sich so geborgen in den Armen des starken Mannes, daß sie bereits wieder auf Rettung hoffte.
George hatte vom ersten Augenblicke, da er Mary gesehen, ihr seine volle Sympathie entgegengebracht und fühlte sich nun glücklich, ihr, dieser Hilflosen, einen Dienst erweisen zu dürfen.
Mary, welche sich früher nur wenig um das andere Geschlecht bekümmert und nur ihren Studien gelebt hatte, empfand die unmittelbare Nähe des männlichen Beschützers äußerst wohltuend. Sie verspürte allmählich Herzensregungen, welche es ihr zur Gewißheit werden ließen, daß es noch andere Dinge auf der Welt gäbe, als trockene Bücher und Wissenschaften.
Auch Price, welcher bisher nie einem Weibe zu nahe getreten war, empfand gleiches. Sein Schritt wurde jetzt fast beflügelt; er fühlte die Last kaum, die er trug.
So kam es, daß Beide auf der Flucht still ihren Gedanken nachhingen, und keines ein Wort sprach, bis George endlich zu der Stelle gelangte, wo er den Professor verlassen hatte.
Da aber nichts die Anwesenheit Mac Milfords und Rzelloes verriet, so rief Price verschiedene Male die Namen derselben. Doch vergeblich, nichts als das Echo seiner Stimme schallte als Antwort zurück.
Mary hatte sich inzwischen wieder auf ihre eigenen Füße gestellt und fühlte nun, daß die verletzte Stelle etwas anzuschwellen schien.
»Ich bin erstaunt, daß ich Mac Milford und meinen selenitischen Freund hier nicht finde.«
»O weh, Sie werden sich doch nicht verirrt haben? — Ach, ach wie das schmerzt!«
»Sie Arme, könnte ich Ihnen nur helfen ... wo mögen sie nur geblieben sein? Ich weiß es bestimmt, hier an dieser Stelle verließ ich sie.«
Price zog jetzt seinen Revolver hervor und feuerte einen Schuß ab, so daß Mary heftig zusammenschrak.
Tausendfaches Echo hallte von unten her zurück, dann Totenstille. George lauschte, ob die gesuchten Gefährten auf den Schuß aufmerksam geworden seien; als er aber nichts vernahm, steckte er seine Waffe wieder in die Tasche und sagte zu Miß Watson: »Es bleibt uns jetzt nichts anderes übrig, als weiter zu wandern. Ich vermute, daß die Gesuchten aus irgend welchem Anlaß nach unten in die Hohlräume zurückgekehrt sind.«
Mary stimmte mit schmerzlicher Miene zu und ließ es ruhig geschehen, als Price sie abermals auf die Arme nahm.
Von Neuem ging nun die Reise wieder los, und Price mußte alle seine Kräfte anspannen, damit seine bereits ermüdeten Arme den Dienst nicht versagten.
»Haben Sie große Schmerzen?«
»Der Fuß ist mir geschwollen, und die Schmerzen nehmen mehr und mehr zu,« gab Mary trostlos zur Antwort.
»Wenn Sie sich den Fuß verstaucht haben, so ist es das Beste, wenn wir ihn wieder einrenken.«
»Ach damit wollen wir uns nicht aufhalten, ich ertrage die Schmerzen gern.«
»Nein, das sollen Sie nicht.« Mit diesen Worten setzte Price seine Gefährtin auf den Boden nieder und bat, sie möge ihm den Versuch gestatten, den Fuß wieder einzurenken.
So groß Marys Verlegenheit auch war, ließ sie es doch geschehen, George vermochte es glücklicherweise mit einiger Mühe und unter heftigem Gestöhn Marys, deren Fuß wieder einzurenken.
»Sehen Sie, es geht, Miß Watson; doch wird Ihnen die Geschwulst immerhin noch zu schaffen machen.«
»Ich danke Ihnen herzlich, Mr. Price,« sagte Mary und verbiß sich gewaltsam die heftigen Schmerzen.
Da drangen unvermutet Schritte an die Ohren der Beiden, und Price hörte seinen Namen rufen.
»Da sind sie!«
Schon tauchte in der Ferne Mac Milfords Gestalt auf, und das Licht seiner Laterne strahlte den Flüchtlingen entgegen. Hinter dem Gelehrten folgte der junge Selenit.
»Dem Himmel sei Dank,« flüsterte Mary.
»Good dam! ein beschwerlicher Weg, lang wie ein endloser Bindfaden, schmal wie eine Dachrinne und abschüssig, daß man bei jedem Schritte bedauert nur ein Genick zu besitzen!« Mit diesen Worten trat George Price an der Mündung des Stollens Mac Milford entgegen.
Die Begrüßung des Professors und Marys war eine herzliche, und als Ersterer bemerkte, daß seine Gefährtin eine Verletzung hatte, war er etwas bestürzt, dann zog er aber schnell etwas Verbandzeug aus seiner Tasche und bandagierte Marys Fuß kunstgerecht.
»Sie wunderten sich wohl, mein lieber Price, als Sie mich nicht mehr an der verabredeten Stelle trafen?«
»Ja. — Haben Sie denn meinen Schuß nicht gehört, Herr Professor?«
»Ich habe mit meinem Revolver sofort geantwortet; daß wir hier nicht geblieben sind, hatte seinen Grund darin, daß wir etwas Langeweile empfanden und darum bis zur nächsten Höhle wieder hinabwanderten.« —
»Aber, wo ist mein Diener Tom, ich vermisse ihn?«
»Der Bursche sitzt wohlbehalten in Ihrem Vehikel und gondelt dicht über dem Hyginuskessel herum. — Wir haben ihm übrigens unsere Flucht zu verdanken.«
»So — vermochte er es denn Euch zu helfen?«
Price erzählte den Vorgang mit der künstlichen Wolke, welche über Resles solche große Bestürzung hervorgerufen hatte.
Mac Milford lächelte — der ernste Gelehrte lächelte seit langem zum ersten Male.
»Aber ich begreife es nicht, wie der Bursche, welcher doch wie Ihr sagtet, bei den Hyginusleuten gefangen gehalten worden war, es fertig gebracht hat, in das Fahrzeug zurückzukehren.«
»Es ist mir ebenfalls ein Rätsel,« erwiderte Price.
Jetzt erfuhr der Professor, daß Mary Watson, seitdem er sie verloren, überhaupt nicht wieder das Vehikel betreten hatte und ebenfalls in Gefangenschaft geraten war.
Kopfschüttelnd drängte jetzt Mac Milford darauf, daß die Flucht eiligst fortgesetzt würde, und man einigte sich betreffs Mary dahin, daß jeder dieselbe abwechselnd ein Stück tragen solle. Zunächst kam der junge Selenit an die Reihe, welcher mit einer ehrfurchtsvollen Scheu Mary auf die Arme hob. In scharfem Tempo liefen die Flüchtigen weiter. Price voran, nach ihm Mac Milford und zuletzt Rzelloe mit Mary.
Nachdem sie die erste große Höhlung erreicht hatten, wurde wieder Halt gemacht, und Mac Milford holte nun seine Bussole hervor.
»Ich glaube, daß wir uns auf das Ding verlassen können, wenn wir durch die Dazwischenkunft unserer Verfolger vom richtigen Wege abgeschnitten werden. Die Magnetnadel zeigt zwar starke Schwankungen, doch kenne ich die Inklination bereits, sodaß ich schlimmsten Falles, wenn wir uns verirrt haben, die Richtung angeben kann, in welcher der Ausgang liegt, der ins Freie führt.«
Der kleine Trupp setzte sich sofort wieder in Bewegung, als Mac Milford in der Ferne ein Geräusch zu vernehmen glaubte, das darauf schließen ließ, daß die Seleniten zu ihrer Verfolgung aufgebrochen seien.
Plötzlich blitzte ein schwacher, rotgelber Lichtschein hinter den Flüchtlingen auf, und Stimmen drangen an ihre Ohren.
»O weh! jetzt sind wir verloren!« rief Mary entsetzt aus.
Rasch preßte der neben Rzelloe gehende Price seine Hand auf ihren Mund und zog seine Waffe hervor, um schlimmsten Falles sofort schußbereit zu sein.
Die Verfolger hatten es verstanden, sich schnell und unbemerkt dem Trupp zu nähern. Wieviel ihrer waren, das vermochten die Flüchtlinge nicht festzustellen.
Jetzt galt es unter Aufbietung aller Kräfte vorwärts zu kommen und einen Vorsprung zu gewinnen.
Um nun daran nicht gehindert zu werden, feuerten Mac Milford und Price gleichzeitig ihre Waffen ab. Der furchtbare Knall machte die Luft erzittern und schien die Verfolger einen Augenblick zu verscheuchen, denn der Lichtschein der brennenden Erdfackeln, welche sie trugen, verschwand.
»Vorwärts!« rief Mac Milford.
»Halt, was ist das dort vor uns. Ich sehe wieder Fackelschein.«
»Gooddam! Sie haben uns den Weg abgeschnitten!«
Unwillkürlich blieben alle stehen, und Mac Milford warf einen Blick in der Mammuthöhle, in welcher er sich befand, umher. »Dort, lassen Sie uns diesen Weg verfolgen!« rief er aus, und eilte so schnell als ihn seine Füße zu tragen vermochten, einem Gange zu, welcher nach einer anderen Richtung führte.
Als Price sah, daß der junge Selenit mit seiner Bürde nicht rasch genug zu folgen vermochte, riß er ihm Mary aus den Händen und stürmte dem Professor nach.
»Aber, Herr Professor, wo werden wir hier hingeraten?«
»Das weiß ich selbst noch nicht, vorläufig wollen wir den Verfolgern aus dem Wege gehen.«
Der kleine Trupp beschritt jetzt einen vielfachgekrümmten, aufwärtssteigenden Pfad.
Eine Weile vernahmen die Fliehenden nichts, was darauf schließen ließ, daß ihnen die Verfolger noch auf der Spur seien.
»Wenn wir diesen Weg weiter verfolgen, so wäre es doch möglich, daß wir geradezu in den Rachen des Löwen laufen?«
»Wieso?« frug der Professor und warf einen Blick auf seine Bussole.
»Nun der Weg könnte doch direkt wieder nach Resles hinaufführen.«
Indem man mit dieser Möglichkeit rechnete, wurde eine kleine Beratung gepflogen, deren Resultat war, daß die Flüchtlinge wieder zurückkehren wollten, um den alten bekannten Weg zwischen den Geysirbecken weiter zu verfolgen.
Mary Watson bestand jetzt darauf wieder gehen zu wollen, obgleich ihre Begleiter ihr dringend davon abrieten.
Die Schottin machte eben die ersten Gehversuche, als Price den Gang zurückeilte und an der Mündung desselben stehen blieb, um zu forschen, ob sich die Verfolger in der Nähe befanden. Daß der Panarch mit seinen Leuten ihnen auf den Fersen waren, daran zweifelte Price kaum noch. »Warte, ich werde dich schon noch in die Hölle schicken,« — murmelte er und drang mit der schußbereiten Waffe in die Tropfsteingrotte hinein. Als Price hier nichts Verdächtiges bemerkte, verständigte er die Zurückbleibenden davon, welche sogleich herbeikamen.
Mary hatte sich auf den Arm des hilfsbereiten Professors gestützt und hinkte so gut es ging, neben ihren Begleitern her: »Mich überläuft ein Schaudern, wenn ich daran denke, daß wir wieder in die Hände des Panarchen fallen könnten; er wird dann wohl kurzen Prozeß mit uns machen.«
»Befürchten Sie nichts, Miß Watson, unsere Waffen und unsern Mut werden sie schon respektieren.«
»Wären wir doch nur erst im Freien; es wird uns noch viele Mühe kosten, den Verfolgern durch dieses Labyrinth zu entrinnen.«
»Wo mögen dieselben sein?«
»Ich vermute, sie lauern in irgend einem Hinterhalt.«
Es schien tatsächlich, als wenn sich die Hyginusleute geflüchtet oder verborgen hätten; nichts regte sich, kein Lichtschein war bemerkbar.
»Weiter!« Mac Milford schritt bei diesem Ausruf rüstig vorwärts, während sein Auge wie das eines Luchses nach jeder Richtung hin forschend umherschweifte.
Mary Watson verbiß sich ihre Schmerzen und folgte, indem sie jetzt den Arm des Seleniten benutzte, mit ihrem Begleiter den voraneilenden irdischen Genossen.
»Halten Sie sich als Letzter im Zuge, mein lieber Price,« flüsterte Mac Milford, »und haben Sie darauf acht, daß wir nicht aus dem Hinterhalt überfallen werden.«
George tat, wie ihm geheißen.
Weiter und weiter drang der kleine Trupp unbehelligt vorwärts, bis man endlich am Ufer des großen Höhlensees ankam.
Sie waren eben im Begriff, an dem Gewässer entlang zugehen, als sie von der Seite, wo der Ausgang ins Freie liegen mußte, ein Geräusch vernahmen, und abermals Lichtschein sichtbar ward. Die Flüchtlinge stutzten und blieben einen Augenblick wie angewurzelt stehen.
»Pst!« flüsterte der alte Gelehrte.
»Himmel und Hölle, sie sind's.«
»Wer?«
»Psosnlam und seine Leute!« sagte jetzt George Price und machte seine Waffe locker.
»Good dam!«
»Um Himmelswillen! Was nun?« sagte Mary Watson geängstigt.
»Verteidigen —,« erwiderte der lange Brite kaltblütig.
»Ich schlage vor, wir suchen zu entrinnen,« meinte Mac Milford.
»Aber wie?«
»Könnte man nicht Pilzschalen als Kähne benutzen?«
Schon war Price eilends dabei mit seinem Bowiemesser mehrere riesige Pilze, welche in unmittelbarer Nähe standen, zu fällen.
»Wann können sie den Weg um den See bis hierher zurückgelegt haben?« frug Miß Mary.
»Schnellsten Falles in 30 Minuten,« gab Mac Milford zurück. »Wenn es nun aber Psosnlam gar nicht ist? Er würde doch von dort herkommen; denselben Weg, den wir benutzt haben —.«
»Er ist's ... kein Zweifel.«
Schnell legte jetzt auch Mac Milford Hand an die gefällten Pilze und trennte die mächtigen Schalen, in welchen ein Mensch bequem stehen oder liegen konnte, von den Stielen ab. Aus letzteren schnitt Price lange Ruder. —
Schnell legte jetzt auch Mac Milford Hand an die gefällten Pilze und trennte
die mächtigen Schalen, in welchen ein Mensch bequem stehen oder liegen
konnte, von den Stielen ab. Aus letzteren schnitt Price lange Ruder.
Bald waren die primitiven Fahrzeuge fertig und in das Wasser geschoben. Schon nahten die Verfolger, deren hellleuchtende Fackeln die Höhle weithin mit Licht erfüllten.
»Jetzt gilt es keine Zeit zu verlieren, hinein in die Pilzschalen!« rief Price und half Mary beim Einsteigen. Dann befestigte er mittels eines Ledergurtes, welchen er bei sich trug, Marys Fahrzeug an dem seinigen.
Inzwischen hatten auch Mac Milford und der Selenit ihre Pilzschalen bestiegen.
Die improvisierten Fahrzeuge schwammen auf der ruhigen Wasserfläche besser, als man gedacht hatte. Auch die Ruder leisteten gute Dienste.
Die vier Pilzschalen waren bereits über hundert Meter weit in die See hineingefahren, als sich die Verfolger, etwa ein Dutzend an der Zahl, unter lautem Geschrei näherten.
»Soll ich ihnen ein Stückchen Blei hinüber senden?« frug jetzt Price hastig den alten Gelehrten.
»Wir wollen damit vorläufig noch etwas warten ...« lautete die Antwort.
Die Pilzhüte mit ihren Insassen tänzelten leicht auf dem schwarzen Wasserspiegel, drohten aber immer mehr auseinander zu kommen.
Bei dem hellen Scheine der Fackeln konnte Mac Milford weithin schauen. Nach Süden hin, also in der Richtung, wo der Triesnecker liegen mußte, dehnte sich der Höhlensee in unabsehbare Ferne aus, und wie es schien, sich bald verengend, bald erweiternd. Ein fernes Rauschen drang dumpf herüber.
Jetzt standen die Verfolger am Rande des Sees, gerade den Fahrzeugen gegenüber. Sie schienen zu beraten. Darauf sah man, wie Psosnlam — er war es — einen gewaltigen Pilz mit den Händen umknickte, den Hut vom Stiele schlug und sich ebenfalls damit auf den See wagte. Der Flüchtigen Beispiel folgend, gebrauchte er ebenfalls einen dünnen Pilzstiel als Ruder; die Fackel bohrte er in die weiche Masse seines Fahrzeuges und stieß dann vom Ufer ab.
Mac Milford mit seinen Begleitern befand sich jetzt nahe der Mitte des Höhlenmeeres, etwa 400 Meter vom Strande entfernt. Als er den Panarchen auf solche Weise die Verfolgung betreiben sah, rief er Price zu: »So — jetzt brennen Sie ihm eins auf den Pelz!«
Im Nu krachte ein Schuß — aber Psosnlam stand noch nach wie vor wie eine Kerze in seiner Schale. Die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt. Eine Bewegung verriet, daß der Schuß ihn erschreckt haben mußte, und schon hofften die Verfolgten er würde umkehren. Doch Psosnlam dachte nicht daran. Er setzte seine Jagd fort, sich auch durch weitere Schüsse Prices, welche ebenfalls ihr Ziel verfehlten, nicht abschrecken lassend; anscheinend kannte er die Gefährlichkeit der Feuerwaffe nicht, und ahnte es nicht, daß mit jedem Knall ihm auch ein todbringendes Stück Blei entgegengesandt wurde.
Mac Milford und die Seinen setzten ihre Flucht auf dem Höhlensee ins Ungewisse fort. Allmählich begann die Strömung des Wassers in der Fahrtrichtung, besonders in der Mitte, eine schärfere zu werden und das ferne Rauschen hatte ebenfalls an Stärke bedeutend zugenommen.
»Vorsicht!« schrie der Professor. »Ich glaube wir nähern uns einem Katarakt oder gar einem mächtigen Wasserfall!«
Diese neue Gefahr jagte allen einen Schrecken ein. Schon riß die Strömung die Pilzschalen mit sich fort. Jetzt wurde die Lage wirklich gefährlich.
»Hinüber zum Ufer!« schrie Mac Milford.
Die Fahrzeuge schossen wie Pfeile auf dem raschströmenden Wasser dahin; alle Bemühungen ihrer Insassen, ihnen eine andere Richtung zu geben, waren vergebens. Das Tosen des nahen Wasserfalles, über dessen Vorhandensein der Professor sich nicht getäuscht hatte, war bereits so stark, daß das Schlimmste zu befürchten stand.
Plötzlich wurde ein starkes Donnerrollen hörbar.
»Seht dort! Die Stalaktiten, welche von der Decke herab fast den Wasserspiegel berühren. Laßt uns auf sie zufahren!«
Die Fahrzeuge schossen jetzt so heftig vorwärts, daß es alle Anstrengung kostete, sie ein wenig vom Kurse abzulenken und zu den Stalaktiten hinzurichten. Miß Watsons Pilzboot, welches unvermutet von Prices Fahrzeug losgerissen war, hatte sich weit ab bis in die Mitte der Strömung verschlagen.
Während die Männer zwischen den Tropfsteinbildungen glücklich mit ihren Fahrzeugen zu landen vermochten, geriet Miß Watson in immer größere Gefahr. Price, welcher sich bisher mit größter Kraftanstrengung an der Seite der Schottin gehalten hatte, schließlich aber ein wenig abgetrieben wurde, schwebte fast in Todesangst, denn mit Schrecken sah er, wie Miß Watson sich dem Wasserfall mehr und mehr näherte.
»Zu Hülfe! Zu Hülfe!« schrie die Schottin.
Schon achtete sie nicht mehr auf die dicht hinter ihr befindlichen Feinde, ihr Auge sah nur die Gefahr vor sich.
»Um Himmelswillen, suchen Sie das Ruder zu erfassen!« schrie Price und versuchte mit übermenschlicher Anstrengung den Pilzstiel, welchen er als Ruder benützte, der sich herannahenden Schale der Schottin entgegenzustrecken. Dieser gelang es auch das Ende des Ruders zu erfassen, und schon versuchte es Price die sich in schrecklichster Gefahr Befindende in seine Nähe heranzuziehen, als Psosnlam, welcher sich im Kielwasser von Miß Watsons Fahrzeug befand, heranschoß und die furchtbare Gefahr, in welcher er schwebte, erkennend, gleichfalls das Ruder erfaßte.
Jetzt geschah das Furchtbare! Der Pilzstiel zerriß. Mit einem Schreckensschrei sausten die beiden, von der Gewalt der Strömung fortgerissen, in den Wasserfall hinab.
Jetzt geschah das Schreckliche! Der Pilzstiel zerriß.
Mac Milford und Price schien in diesem entsetzlichen Augenblicke das Blut in den Adern zu erstarren; wären ihre Pilzschalen nicht zwischen den Stalaktiten eingeklemmt gewesen, so wären sie wahrscheinlich infolge Unachtsamkeit, welche ihrem Entsetzen entsprang, ebenfalls in den finsteren Orkus hinabgespült worden.
»Verloren!«
»Entsetzlich!«
Mehr brachten beide im ersten Moment nicht hervor. Daß Miß Watson nicht zu retten war, ließ keinen Zweifel übrig. Der Selenit, welcher den ganzen Vorgang nicht gesehen hatte, da seine Pilzschale hinter eine von der Decke herabhängende Tropfsteingardine getrieben worden war, hörte aus dem Schreckensrufe heraus, daß irgend etwas Furchtbares passiert sein mußte; er erkannte die Sachlage erst, als Mac Milford und Price eiligst Anstalten trafen, ihren Schlupfwinkel zwischen den Sinterbildungen zu verlassen.
Wortlos versuchten die drei Männer nunmehr, abseits der Strömung, das jenseitige Ufer zu erreichen. Das gelang ihnen auch, da hier die Strömung schwach war.
»Eilen wir hinab!« sagte Mac Milford mit trauerumflorter Stimme. »Suchen wir nach ihr!«
Price nickte in seinem Schmerz um die Verlorene.
Die Drei liefen so schnell als möglich den Weg hinab, der an den Grund des Wasserfalles führte. Der schmale Pfad senkte sich steil in die Tiefe hinab. Nachdem sie denselben mühselig zurückgelegt hatten und unten die wildtosende Brandung, welche der Wasserfall verursachte und das jäh dahinschießende Wasser sahen, ließen sie den letzten schwachen Funken Hoffnung Mary retten zu können, sinken. Die Verunglückte mußte schon weit fortgeschwemmt sein.
»Der Strudel hat sie verschlungen,« — ließ sich Mac Milford dumpfen Tones vernehmen.
»Wir müssen sie zu retten versuchen. Schnell, lassen Sie uns eilen!«
Der alte Professor sah den Sprecher mit einem traurigen Blicke an und schüttelte leise das graue Haupt. »Es wird vergeblich sein ....«
»Wir müssen doch den Versuch machen.«
»Natürlich ... keine Sekunde wollen wir länger zögern!«
Nach diesen Worten eilten die Drei in der Richtung weiter, in der die Wasser des Falles abflossen.
Während der nächsten Minuten gab der Professor keine Antworten auf Prices Fragen. Den alten Mann mußte Marys Unglück ungemein tief bewegen. Im Innern machte er sich die schwersten Vorwürfe, Mary Watson in den Tod getrieben zu haben. Deutlich konnte man sehen wie Mac Milford erschüttert war, seine Augen füllten sich mit Tränen und sein Herz schien vor Schmerz brechen zu wollen. Es war ein schweres Verhängnis, welches den Alten und seinen Gefährten erreicht hatte. Auch Price war furchtbar erschüttert, aber immer noch Mann genug, um sich nicht ganz dem Schmerz hinzugeben und die Suche nach Mary gemeinsam und umsichtig vorzunehmen.
»Es ist mir, als wäre mir eine Tochter verloren gegangen,« ließ sich Mac Milford nach einer Weile vernehmen; »ich muß es mir einzig und allein zum Vorwurf machen, daß sie so jung den Tod gefunden hat.« Der Alte bemühte sich vergeblich die hervorquellenden Tränen zu verbergen, er konnte das Furchtbare nicht überwinden; für ihn war Mary Watson für ewig verloren, indeß George Price immer noch eine Spur Hoffnung nährte, daß die Verunglückte doch möglicherweise noch gestrandet aufgefunden würde und ihr Leben vielleicht noch nicht ganz entflohen sei, um sie noch retten zu können.
Mit Mary Watson war auch der gefürchtete Psosnlam von dem mächtigen Katarakt verschlungen worden.
Ob auch noch andere Seleniten, welche ihrem Oberhaupt auf Pilzschalen gefolgt waren, ein nasses Grab in den abstürzenden Fluten gefunden hatten, darauf hatten die drei geretteten Männer im Augenblick als das furchtbare Unglück geschah, nicht geachtet.
Noch immer gellte dem Alten der Schreckensschrei, welchen Mary ausgestoßen hatte, in den Ohren; er glaubte ihn immer und immer wieder zu vernehmen.
Als das Absuchen flußabwärts, etwa hundert Schritte vom Wasserfall entfernt, erfolglos blieb, und die Drei an eine Stelle gelangten, wo sich die Decke der Höhle bis auf etwa eine Hand breit über den Wasserspiegel herabsenkte, sodaß sich das Gewässer unter ihr hindurchzwängend in die Tiefe verlor, da wollten Price und seine Begleiter wieder umkehren, als sie plötzlich deutlich ein schwaches Wimmern vernahmen. Kaum hatte Price die Töne vernommen, als er sich blitzschnell umwendete und aufmerksam lauschte.
»Herr Professor — hören Sie nichts?«
»Wäre es möglich ...« Ein schwacher Hoffnungsschimmer durchzuckte den Alten.
Price ließ das Licht der Laterne nach jener Richtung fallen, aus welcher die Klagelaute zu ihm herüberdrangen; sein scharfes Auge glaubte mitten über dem Wasserspiegel auf einem Vorsprung der sich herabsenkenden Decke die Umrisse einer Gestalt zu erblicken.
»Miß Watson!« rief Price mit der ganzen Kraft seiner Lunge.
Nachdem das vielfache Echo seines Rufes verklungen war, hörte er vernehmlich ein Stöhnen und Wimmern herüberklingen.
»Wir haben sie gefunden, sie ist es, Herr Professor!« Bei diesen Worten eilte Price auf die Stelle zu, wo die Decke den Wasserspiegel fast berührte und untersuchte sie genau.
Als er fand, daß ein Vordringen zu dieser Stelle, wo er die Verunglückte vermutete nicht möglich war, verfiel er auf den Gedanken, die Tiefe des Gewässers zu prüfen. Da in der Nähe des Ufers einige Riesenpilze wuchsen, so fällte er einen derselben und benutzte dessen mächtigen Stiel, um auf den Grund des Flusses zu stoßen. Er entdeckte, daß das Gewässer seicht war.
»Ich werde durchwaten,« rief er dann seinem Gefährten zu.
Mac Milford war inzwischen angekommen und folgte Price, welcher bereits dicht an der Wand entlang in dem Flusse vordrang.
Für Beide stand es fest, daß jenes Stöhnen und Wimmern nur von Marys Lippen herrühren konnte, und sie waren froh, herzensfroh, daß die von ihnen bereits tief Betrauerte nicht tot zu sein schien.
Das Licht der Laterne ließ jetzt deutlich erkennen, daß auf dem dunklen Vorsprung etwa fünfundzwanzig Meter von ihnen entfernt, eine weibliche Gestalt lag. Noch einige Schritte weiter, und Price konnte erkennen, daß neben der einen, auch noch die Umrisse einer anderen Gestalt sichtbar waren.
»Wir finden sie hier Beide wieder!« rief er dem Professor zu.
»Beide ... den Panarchen auch?«
»Es scheint so.«
»Miß Mary, hören Sie?« rief jetzt Mac Milford freudig bewegt.
Wieder war nichts zu vernehmen, als das Echo des Rufes, das ferne Brausen des Wasserfalles und jenes schwache Stöhnen und Wimmern.
Zum Glück betrug die Tiefe jener Stelle, welche Mac Milford und Price durchwateten nur etwa 1½ Meter, sodaß ihnen das Wasser selten höher als bis unter die Achseln ging. Je weiter Beide in die Mitte des Flusses gelangten, desto stärker wurde die Strömung, und es war die größte Vorsicht geboten, sich gegen dieselbe anzustemmen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, in den nassen, finsteren Orkus mit hinabgerissen zu werden.
Price hielt sich mit der Hand an der Felsenwand fest, an welcher er im Wasser entlang schritt, während er mit der Linken die Laterne hoch empor hielt. Mac Milford tat genau dasselbe, und so vermochten Beide bis auf etwa zwanzig Meter zu der Unglücksstelle vorzudringen, als sie auf jene Pilzschale stießen, welche Psosnlam bei seiner Fahrt benutzt haben mußte; dieselbe war von der Strömung nicht weiter getragen worden, da die herabhängende Decke ihr Halt gebot.
»Der Pilz kommt mir gerade gelegen,« rief Price aus, als er verspürte, daß er den Grund verlor und das Wasser ihm fast in den Mund hereindrang. Er stellte nun sogleich seine Laterne in die Pilzschale und zog die Letztere hinter sich nach, indem er mehrere Meter von der Mitte des Flusses zurückwich. An einer Stelle, wo das Wasser ihm nur bis an den Leib ging, kletterte er in die Pilzschale und versuchte in ihr an der Wand entlang bis zu Mary vorzudringen.
Mac Milford zieht die Pilzschale ans Ufer.
Mac Milford, welcher es nicht wagen durfte weiterzuwaten, blieb an einer Stelle zurück, die besonders seicht war.
»Hoffen Sie das Beste, Herr Professor, ich rette sie.«
»O, eilen Sie, lieber Price, ehe es zu spät ist; setzen Sie Ihre ganze Kraft ein! Vermögen Sie die Arme zu retten, so wird sie es Ihnen zeitlebens danken!«
Price rief wiederholt Marys Namen; da er aber keine Antwort erhielt und auch jenes Wimmern verstummt war, brachte er geängstigt sein Boot mit fast übermenschlicher Kraft vorwärts. Bald war er nur noch einige Meter entfernt und sein Blick fiel auf zwei anscheinend leblose Gestalten, welche die Fluten auf einen Felsenvorsprung hinaufgespült hatten. Es waren Mary und Psosnlam. Der Anblick machte Price schaudernd, und als er sah, daß keiner der Beiden sich regte, glaubte er schon zu spät gekommen zu sein.
Price landete jetzt mit seiner Pilzschale dicht vor den Verunglückten, und da der felsige Vorsprung im Wasser hinreichend Platz bot, so vermochte er auf denselben zu steigen. Sich um Psosnlam vorläufig gar nicht kümmernd, beleuchtete er Marys hingestreckte Gestalt. Wirr hing das nasse aufgelöste Haar um ihren Kopf, und das wachsbleiche Gesicht zeigte beim Scheine der Laterne eine Anzahl blutiger Risse. Indem Price die Hand auf ihren Busen legte, verspürte er zu seiner grenzenlosen Freude, wie die Verunglückte noch schwach atmete. Er hob die schlanke Gestalt sogleich in das Fahrzeug und war im Begriff abzufahren, als er sah, wie sich die mächtige Gestalt des Panarchen zu bewegen schien. Wahrhaftig, auch er lebte noch! Es war keine Täuschung gewesen, denn Psosnlam ließ soeben ein leises Stöhnen vernehmen.
Prices Sorge galt jetzt augenblicklich nur Mary; mit Riesenanstrengung brachte er seine Pilzschale, welche durch die Last der zwei Menschen, die sie tragen mußte, fast bis an den oberen Rand ins Wasser tauchte, vorwärts.
Auf halbem Wege kamen ihm Mac Milford und der junge Selenit entgegengewatet, und den Bemühungen der drei Männer gelang es, den Pilzhut bald ans Ufer zu bringen.
Als Mac Milfords Blick zum ersten Male wieder auf Marys bleiche Gestalt fiel, zuckte er schmerzlich zusammen.
»Sie lebt, Herr Professor, und wir werden sie noch retten können.«
»Die Arme ist verwundet,« flüsterte der Alte; »sehen Sie nur ihr blutendes Gesicht.«
»Sie haben doch wohl immer etwas Verbandzeug bei sich?« frug jetzt Price.
»Ja,« sagte Mac Milford und betrat soeben das Ufer.
Mary wurde nun aus der Pilzschale behutsam herausgehoben und langsam niedergelegt. Mac Milford war wie ein väterlicher Freund eifrig bemüht, den schwachen Lebensfunken in der Unglücklichen wieder anzufachen, und seinen Bemühungen gelang es, Mary Watson zum Bewußtsein zurückzubringen.
»Wo ... wo bin ich ...?« entrang es sich leisen Tones den Lippen Marys, und sie schlug die Augen auf.
»Wir sind bei Ihnen, ich, Mac Milford, und Price.«
Die Erschöpfte nickte wortlos, und ein schwaches Lächeln erhellte ihre Züge.
Des Professors Freude war eine unbeschreibliche, als er seine unglückliche Gefährtin zum ersten Male wieder die Augen aufschlagen sah: »Sind Sie verwundet, haben Sie Schmerzen?« flüsterte er Mary ins Ohr.
Die Gefragte schüttelte ein wenig den Kopf und warf einen dankbaren Blick auf ihre Retter.
»Hätte ich nur einen Kognac bei mir,« meinte der Alte und suchte in seinen Taschen nach seiner Feldflasche, welche er sonst auf Reisen bei sich zu tragen pflegte.
Mary wurde nun so aufgerichtet, daß sie sich mit dem Rücken an die Höhlenwand anlehnen konnte. Ihre Kleidung war völlig vom Wasser durchdrungen, sodaß sie jetzt zu frieren anfing.
Allmählich kehrten die Kräfte bei Mary zurück und sie konnte sich schließlich sogar erheben. Ohne Anstrengung vermochte sie es auch wieder anhaltend zu sprechen, was ihr der Professor bisher fürsorglich verboten hatte.
»Ach, wie danke ich Ihnen,« flüsterte sie Price zu, als Mac Milford ihr mitgeteilt hatte, daß nur jener allein ihr Retter gewesen sei.
Der Angeredete fühlte sich geradezu beschämt. »Aber, Miß Mary, wer hätte das an meiner Stelle nicht auch getan? Und wäre die Gefahr eine noch viel tausendmal größere gewesen, so hätte ich doch keine Sekunde gezögert, Sie zu retten!«
»Das ist das Wort eines wackeren Mannes,« sagte Mac Milford, und drückte bewegt die Hand seines jungen Freundes.
»Ach, wenn ich Ihnen die Gefühle schildern wollte, welche mich bestürmten als ich in den tosenden Wasserfall hinabgerissen wurde, Sie würden erschauern,« begann jetzt Mary mit etwas matter Stimme. »Jener Augenblick war der furchtbarste meines Lebens; ich wußte daß es um mich geschehen sei, daß ich in den Tod ging, dann verlor ich das Bewußtsein. Ich erwachte erst wieder, als ich auf das felsige Gestein hinaufgespült worden war und zu meinem heftigen Erschrecken den Panarchen neben mir liegen sah; dann wurde ich abermals ohnmächtig und schlug erst hier unter Ihrer väterlichen Fürsorge die Augen wieder auf.«
Mac Milfords Freude über Marys Rettung gab sich in allen seinen Worten und Gebärden nur zu deutlich kund; der Professor, sonst so ernster Natur, war jetzt ungemein fröhlich und fortgesetzt eifrig um Mary bemüht; das zeugte davon, daß sich in der Brust des Alten ein warmfühlendes Herz verbarg.
»Was wird aus dem Panarchen?« Als Mary diese Frage aufwarf, erinnerte sich Price, daß Psosnlam noch Lebenszeichen von sich gegeben hatte.
»Mag er dem Tode geweiht sein!«
»O, sprechen Sie doch nicht so, Mr. Price; ist der Panarch auch unser Feind, so wollen wir ihn doch nicht auf solche Weise elend umkommen lassen, wenn noch ein Lebensfunke in ihm glimmen sollte.«
»Noch sah ich Leben in dem Manne, Miß Watson, aber er verdient es wahrhaftig nicht, daß man auch nur eine Hand rührt, um ihn zu retten,« gab Price zurück.
»Wie, der Panarch ist nicht tot?« frug jetzt Mac Milford hastig.
»Retten Sie ihn,« flehte Mary Price an.
»Er wird es uns nie danken.«
»Vielleicht doch ...« meinte Mary; »gehen Sie, lieber Mr. Price, wir können den Mann nicht verderben lassen, wenn er auch unser ärgster Feind ist.«
»Miß Watson, glauben Sie wirklich, daß der Panarch seinem Retter jemals danken würde?« wendete sich jetzt Mac Milford an seine Gefährtin und schüttelte das graue Haupt, schon im Voraus keinen Zweifel hegend, daß es Psosnlam seinen Rettern später doch mit Undank lohnen würde.
»Es ist unsere Menschenpflicht, dem Bedrängten zu helfen,« sagte Mary mit Nachdruck. »Wäre ich mehr gekräftigt, so würde ich keine Minute zögern, meinem Feinde Hilfe zu bringen.«
»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Miß Mary; Sie sehen, ich eile schon, um den Panarchen zu retten.«
Bei diesen Worten bestieg Price schnell den Pilzhut wieder, und unternahm die Fahrt zum Felsenvorsprung zum zweiten Male.
»Miß Mary, bedenken Sie doch, welche Gefahr die Rettung des Panarchen für unseren Freund mit sich bringt. Die Strömung des Wassers ist so reißend, daß es leicht möglich ist, daß der wackere Price mit in die Tiefe hinabgerissen werden könnte.«
»Um des Himmelswillen, ist es wirklich so gefährlich?«
»Nun beruhigen Sie sich, es wird schon alles glücklich ablaufen; was Ihrem Retter soeben gelungen ist, wird ihm auch jetzt wieder gelingen.« Mary heftete ihre Augen nach jener Richtung hin, in welcher Prices Gestalt auf dem Pilzhut zu erkennen war.
Der junge Schotte hatte heftig gegen die Strömung zu kämpfen und es kam ihm diesmal viel schwerer an, die Stelle zu erreichen, wo der Panarch lag. Als ihm die Fahrt aber doch endlich gelungen war und er auf dem Felsenvorsprung festen Fuß gefaßt hatte, da ergriff er die regungslose Gestalt des großen Seleniten und mit Anstrengung gelang es ihm, die mächtige Bürde in die Pilzschale niederzusetzen. Als er nun auch noch in das leichte Fahrzeug trat, war die Last für dasselbe so groß, daß das Wasser über den Rand des Pilzhutes hereinsickerte. Die Fahrt ging unter solchen Umständen erheblich schwer, und als das Pilzboot etwa noch zehn Meter vom Ufer entfernt war, schien es im Versinken begriffen, sodaß Mac Milford die Pilzschale eilig ans Land zog.
»Das war eine harte Arbeit,« ließ sich Price jetzt vernehmen, »wer weiß ob sie sich jemals lohnt.«
Als Rzelloe vor der dahingestreckten Gestalt des mächtigen Mondfürsten stand, schien er innerlich wohl auch zu wünschen, daß der Gefürchtete niemals wieder zum Leben erwachen möge.
Bald erkannte man, daß der Lebensfunke in dem Geretteten doch noch nicht ganz erloschen zu sein schien. Mac Milford und Price bemühten sich jetzt eifrig, eine künstliche Atmung bei dem Panarchen herbeizuführen.
Der Versuch wurde mit Erfolg gekrönt, denn bald hob und senkte sich die Brust des Mondfürsten und er schlug die Augen auf. Rzelloe wich in diesem Augenblick etwas zurück. Die Scheu unter den Seleniten vor dem Gewaltigen war immer eine mächtige gewesen.
Als Psosnlams Blick auf seine Umgebung fiel, drückte sein Gesicht große Verwunderung darüber aus, wie er eigentlich in diese Lage gekommen sei. Als er nun gar Marys ansichtig wurde und auch Price erkannte, da löste sich seine Zunge.
»Was liege ich hier bei Euch?« klang es in der Selenitensprache aus dem Munde des Hilflosen.
»Könnt Ihr Euch nicht erinnern, daß Ihr aufgebrochen wart, um uns zu vernichten?« frug Price mit grollender Stimme.
Der Panarch gab auf diese Frage keine Antwort und verzog sein Gesicht, was darauf hindeutete, daß er körperliche Schmerzen empfand.
Eine kurze Zeit blieb man noch rasten, damit sich Mary und der Panarch soweit erholen konnten, daß sie ihren Rettern zu folgen vermochten.
Psosnlam gab dann Price zu verstehen, daß er ihm für die Rettung seines Lebens ewig danken werde, was dieser als baare Münze hinnahm, während Mac Milford dem Seleniten betreffs der Dankbarkeit durchaus kein Vertrauen entgegenbringen konnte; der verdächtige, lauernde Blick, welcher beständig in den Augen des Panarchen lag, schien Gewähr für des Professors Mißtrauen zu leisten.
Price forderte den Panarchen jetzt auf, ihnen den Ausgang zur Mondoberfläche zu zeigen. Dieser beeilte sich, der Forderung ohne Zögern nachzukommen, und wollte voranschreiten, als aus der Ferne ein dumpfes Donnerrollen über den See herüberschallte. Ein orkanartiges Brausen machte alles erzittern.
»Um Gotteswillen, was bedeutet das?« schrie Mary.
Der Professor schaute ohne seine Ruhe zu verlieren nach der Seite, von welcher soeben die heiße, schwefelgeschwängerte Luftwelle über den See herüberfegte. Das Höhlengewässer glich in wenigen Minuten einem sturmgepeitschten Meere.
»Sagen Sie uns um Himmelswillen, Herr Professor, was mag die Ursache dieses furchtbaren Naturereignisses sein?«
»Der Hyginus wird sicher Feuer speien,« erwiderte Mac Milford, den nichts so leicht aus der Fassung brachte, mit großer Ruhe.
»Glauben Sie, Herr Professor, daß dieser unheimliche Orkan eine Gefahr für uns mit sich bringt?«
»Ich glaube nicht, Miß Watson, daß wir etwas ernstliches zu befürchten haben.«
Von allen war Psosnlam der Bestürzteste, ahnte er doch, was passiert war, und als Price ihm die Ansicht des Professors kurz mitteilte, schrak er heftig zusammen. Hastig eilte er nun voran, um den Ausgang der Höhle zu erreichen.
Der Weg, den der kleine Trupp noch zurückzulegen hatte, ging fast immer unmittelbar an den überschwemmten Ufern des Sees entlang. Oft warf das aufgeregte Gewässer seine Wogen zu den Füßen der Fliehenden, und der heiße, samumähnliche Windstrom erschwerte in bedenklichster Weise das Atmen.
Nach Verlauf einer Viertelstunde gelangten sie an das Ende des Höhlensees und betraten einen Pilzwald.
Psosnlam mußte wohl hier unten ausgezeichnet Bescheid wissen, denn er war sich keinen Augenblick im Unklaren, welche Richtung er zu verfolgen hatte. Die Wanderung durch den Pilzwald war aber infolge des herrschenden Höhlensturmes ein lebensgefährliches Unternehmen. Die oft mehr als mannesdicken Pilzstämme wurden mit ihren gigantischen Hüten durch die Kraft der Windstöße bedenklich zur Seite geneigt.
»Miß Watson, halten Sie sich hier an meiner Hand fest und folgen Sie mir auf Schritt und Tritt,« ließ sich Price vernehmen.
»Es ist wahrhaft schrecklich, Mr. Price ...« antwortete die Angerufene und ergriff eilig die Hand des jungen Schotten.
»Kommt den Pilzen nur nicht zu nahe,« rief der Professor ermahnend aus.
Die letzte Silbe dieses Rufes war noch nicht verklungen, als unvermutet durch das Pilzdickicht heller Tagesschein herüberdrang.
»Halloh, dort ist der Ausgang!« rief Mac Milford freudig aus.
Psos—nlam brachte den kleinen Trupp nun bald an die Pforte der Unterwelt. Es war auch die höchste Zeit, daß die vor der furchtbaren Naturgewalt Dahinfliehenden das Freie erreichten, denn schon zogen dicke Schwefeldampfwolken hinter ihnen her, in denen sie sicher erstickt sein würden, wenn sie in den Bereich derselben gekommen wären.
Wohl noch nie haben Menschen das Tageslicht so freudig begrüßt, als in diesem Augenblick die drei Erdenbürger. Mary atmete zum ersten Male wieder tief auf und sog die dünne, reine Luft mit vollen Zügen ein.
»Jetzt nun fort zum Triesnecker,« rief Price aus. In demselben Moment fiel sein Auge auf den nahen Hyginuskrater, aus dessen Schlund gewaltige Rauch- und Aschewolken emporstiegen.
»Wahrhaftig, Resles ist vernichtet, schauen Sie dort hin, Herr Professor!«
»Ein Glück für uns, daß wir rechtzeitig entflohen sind.«
Der Panarch stand wie angewurzelt und blickte auf den Rauchschlot, den der Kraterkessel, in welchem seine Residenz lag, bildete; sein Gesicht drückte eine ohnmächtige Wut aus. Der frühere Mondbeherrscher schien wohl zu fühlen, daß er nun, nachdem sein Staat vernichtet, für die anderen Selenitenstämme nur noch eine Null war.
Noch vor dem Aufbruch zum Triesnecker untersuchte Mac Milford Marys Fuß und fand glücklicher Weise, daß die Geschwulst nachgelassen hatte, jedoch war für sie noch immer Schonung notwendig.
»Stützen Sie sich auf unsere Arme, Miß Watson, damit sich Ihr Leiden beim Gehen nicht verschlimmert. — — Schmerzen Ihnen die Wunden im Gesicht noch?«
»O nein, davon verspüre ich gar nichts.«
Nunmehr setzte sich der kleine Trupp in Bewegung, Rzelloe voran und als letzter Psosnlam, welcher Price erklärt hatte, daß er mit dem Triesneckerhäuptling Freundschaft schließen wolle.
Nachdem sie noch eine Weile gewandert und der Hyginus bereits ihren Blicken entschwunden war, bemerkten sie, daß Psosnlam fehlte; er hatte es wahrscheinlich vorgezogen zu verschwinden.
»Haben Sie es schon bemerkt, lieber Price, Psosnlam ist nicht mehr hinter uns.«
»Wie —.« Price schaute sich um.
»Er wird sich wohl mit anderen Plänen tragen ... dachte ich es mir doch.«
Als Rzelloe die Abwesenheit Psosnlams ebenfalls bemerkte, sagte er zu Price: »Der Panarch wird uns noch zu schaffen machen, wir müssen vor ihm auf der Hut sein.«
Ohne weiteren Unfall konnte unter der Führung des Seleniten der Weg zum Triesnecker zurückgelegt werden. Der kleine Trupp wurde am Ziele seiner Wanderung von Rzelloes Vater unter der Versicherung seiner großen Ergebenheit und Freundschaft empfangen.
Das gelehrte Faktotum Tom, welchem es gelungen war, den Händen des Panarchen zu entfliehen, stieß auf der Flucht auf das, am Kraterabhang des Hyginus verlassen daliegende ihm wohlbekannte Fahrzeug seines Professors. Jubelnd klopfte er sogleich an das Fenster des Vehikels und hoffte nun das Gesicht Mac Milfords erscheinen zu sehen. Höchlichst verwundert, daß sich in dem Vehikel nichts regte, kletterte er an der Außenwandung empor. Da die Deckenluke offen war, vermochte er einen Blick in den »Sirius« hineinzuwerfen. Als Tom niemand sah und auf seine wiederholten Rufe ihm auch keine Antwort zu Teil wurde, glaubte er, daß sein Professor möglicherweise auf einem Streifzuge in der Nachbarschaft begriffen sei.
Da er sich auf der Flucht befand, durfte er es nicht wagen in der Umgebung des Hyginus herumzuwandern; darum beschloß er mit dem Vehikel eine Fahrt über der Gegend zu unternehmen. Tom hoffte von oben aus seinen Professor schon irgendwo erblicken zu können. — Gedacht, getan. — Bald schwebte er über Resles. Hier war der Augenblick, wo er den Behälter mit flüssiger Luft boshaft über die Häupter seiner Feinde entleerte.
Da Tom seinen Herrn nirgends entdecken konnte, so senkte er das Fahrzeug wieder auf die Oberfläche des Mondes nieder. Seine Landung geschah einige Kilometer südwärts vom Hyginuskrater.
Im Begriff ein wenig zu Fuß nach Mac Milford zu suchen, verirrte er sich in der mit zahllosen kleinen Kratern übersäten Gegend.
Plötzlich tauchte unerwartet eine Gestalt vor ihm auf.
»Sapperlot, das ist doch kein Mondmensch,« — so dachte Tom als er einen irdischen Mann vor sich stehen sah. Ob den sein Professor wohl mit herüber gebracht hatte?
Der Ankömmling, tatsächlich ein Erdenbürger, schritt hastig auf Freund Tom zu. Es war eine lange hagere Gestalt auf deren Kopfe ein hechtgrauer Cylinderhut thronte. Die Füße staken in langen Schuhen, über welche Gamaschen geschnallt waren. Im Übrigen besaß der Angekommene ein Gesichtsprofil, welches stark den Yankeetypus verriet.
»Good morning!« platzte Tom etwas verlegen hervor.
»Good morning!« erwiderte der Angeredete, zog seine Brieftasche hervor, entnahm derselben eine Visitenkarte und überreichte sie seinem neuen Nachbar.
Auf der Karte war folgendes zu lesen:
MR. LOWELL
Beglaubigter Gesandter der
»United States of Amerika«
für die Mondstaaten
»Thank you ...« murmelte Tom zwischen den Zähnen hindurch, nahm das Kärtchen und las es mehrmals durch.
»Also Yankee ... well, ich bin Tom Smith, beglaubigter Gesandter des Reiches, in dem die Sonne nicht unter geht.«
»O — a ... also Engländer?« frug jener zurück.
»Yes — wenn es Euch nicht unangenehm ist.«
»No — —« gab der Amerikaner zurück.
»Doch sagt mir jetzt, wie kommt Ihr hier auf den Mond?« frug Tom neugierig.
»Kleinigkeit! Mit meinem magnetischen Drachenflieger,« gab der Gefragte zur Antwort.
»Drachenflieger — —?«
»All right! mein Lieber.«
»Das Ding möchte ich kennen lernen,« ließ sich Tom weiter vernehmen.
»Es ist eine herrliche Erfindung unseres großen Edison ... Patent Nr. 667 846.«
»Und wie fandet Ihr Euern Weg zum Monde?« frug jetzt der Amerikaner.
»Durch eine großartige Entdeckung des berühmtesten Gelehrten, meines Professors Mac Milford zu Edinburg, Patent Nr. 999 000.«
»Und wie lange seid Ihr schon hier?«
»Etwa ein Dutzend Stunden; davon haben mich die verdammten Seleniten freilich die längste Zeit hindurch gefangen gehalten und als ihren Mondgötzen angebetet.«
»Nicht übel,« meinte Mr. Lowell, alias Uncle Sam und musterte seinen Begleiter von Kopf bis zu Fuß.
Tom erzählte seine Erlebnisse, worüber sein Visavis vor Lachen bersten wollte.
Mr. Lowell zog jetzt eine selenographische Karte hervor.
»Ihr seid wohl hier unbekannt?« frug Tom und schielte nach der Mondkarte, die der Amerikaner eben auseinanderklappte.
»Mit Hülfe dieses Dinges finde ich mich schon zurecht.« Mit diesen Worten breitete der Sprecher eine Lohrmannsche Mondkarte auf einem Gletscherblocke aus.
Tom las auf dem Kopfrande der selenographischen Karte folgende Überschrift:
Auf dieser Karte fielen eine Anzahl mit roter Tinte eingezeichneter, quadratischer Felder dem Beschauer besonders ins Auge. Jeder der vier Mondquadranten enthielt 25 Felder, sodaß die ganze Mondoberfläche der auf Erden sichtbaren Hemisphäre in hundert Teile zerfiel.
»Was sollen die roten Linien auf Eurer Karte bedeuten?« frug Tom neugierig und tippte mit dem Finger auf eines der roten Quadrate. »Habt Ihr aus der Landkarte gelegentlich einmal ein Schachbrett gemacht?«
»Unsinn! Könnt Ihr denn nicht sehen, daß es eine Einteilung in Counties ist? Ich bin hier als Vertreter der United States of Amerika und gleichzeitig Bevollmächtigter in Sachen des CountyCouncils und der CountyCourts.«
»Wie ... was! Amerika will den gesamten Mond mit Beschlag belegen! Da wird England aber doch noch ein Wörtchen mitreden! ...«
»Mit welchem Rechte?« frug der Amerikaner und stellte sich mit verschränkten Armen vor den rothaarigen Schotten hin.
»Mit welchem Rechte? ... einfach — wir haben ältere Ansprüche.«
»Bah — das kann jeder sagen!« rief Uncle Sam und ein verächtliches Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Good dam! Wenn ich Euch sage, daß wir ältere Rechte haben, so stimmt das!« schrie Tom sein Gegenüber an. »Der Mond ist schon längst englisches Besitztum!«
»Wir kennen Eure Eroberungsgelüste. Euer Parlament mischt sich immer hinterher in Dinge, die von einem andern Staate schon längst klipp und klar gemacht sind.«
Hatte sich John Bull in Erregung hinein gesprochen, so hatte Uncle Sam bisher immer noch seine Ruhe bewahrt. Es schien aber doch, als wenn auch er damit jetzt fertig war, denn seine Stimme hatte bei den letzten Worten einen herausfordernden, heftigen Ton angenommen.
»Ich erkläre hiermit sämtliche Mondstaaten als Besitztum der englischen Krone!«
»Larifari!« schrie Uncle Sam. »Der Mond gehört uns!«
Tom hatte sich so in Zorn gesprochen, daß sein Kopf rot wie ein Puterhahn wurde, und er wäre am liebsten seinem Gegner ins Gesicht gesprungen. »Kämpfen wir's aus!« schrie er und stellte sich in Positur zum Boxen.
»All right!« sagte Uncle Sam und schien mit einem Boxerkampf einverstanden zu sein.
Tom und der Amerikaner streiften sich die Ärmel in die Höhe, und ersterer rief mit emphatischer Stimmer:
»Ein echter, ehrlicher Kampf um die Herrschaft des Mondes!«
Wohl noch nie ist ein Kampf um einen solch gewaltigen Preis ausgerungen worden, wie in diesem Augenblicke; galt es doch einen Landcomplex von nahe 40 Millionen Quadratkilometer Größe zu gewinnen oder zu verlieren!
Tom Smith, alias John Bull, sah sich im letzten Augenblicke vor Beginn des Kampfes seinen Gegner noch einmal genauer an. Er fand, daß der Amerikaner ein nicht zu unterschätzender Partner war, dessen hochentwickelte Armmuskeln ihm nichts gutes weissagten. Ihn mußte die Natur wohl nicht mit herkulischer Körperkraft ausgestattet haben, und auch mit seinem Mute mochte es jedenfalls nicht weit her sein, denn als er noch im Dienste der leichten schottischen Hochlandinfanterie stand, hatten böse Zungen behauptet — vielleicht waren es auch nur Neider — Tom Smith sei ein Don Quixote.
Der Amerikaner, welcher ungleich schlanker gebaut war als sein Gegner, mußte aller Wahrscheinlichkeit nach entschieden mehr Gewandtheit besitzen und hatte somit alle Chancen, als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen. Doch urteilen wir nicht vorher.
Nach Beginn des Faustkampfes tauchten von verschiedenen Seiten Seleniten auf und schauten von Ferne mit scheuen Blicken auf die beiden Helden, welche sich um die staatliche Suprematie des Erdsatelliten stritten.
Die Kämpfer boxten so eifrig aufeinander los, daß sie ihre immer zahlreicher werdenden Zuschauer nicht gewahrten. Hätten die letzteren geahnt, daß das Faustduell entscheiden sollte, ob sie in Zukunft englische oder amerikanische steuerzahlende Weltallskolonisten werden sollten, sie würden sicher den beiden frechen Fremdlingen ohne Umschweife so heimgeleuchtet haben, daß Amerika sowohl als England fernerhin nicht die geringsten Gelüste mehr gezeigt hätten, die renitenten Mondmenschen zu ihren Untertanen zu machen. —
Die Kämpfer boxten so eifrig aufeinander los, daß sie ihre
immer zahlreicher werdenden Zuschauer nicht gewahrten.
Die Vertreter der beiden irdischen Großmächte hatten sich gegenseitig schon wacker das Nasenbein zerschlagen und ähnliche Liebkosungen einander verabreicht, als der Kampf noch immer unentschieden war. —
Doch nach einer kleinen Weile änderte sich plötzlich das Bild .... Ein gewaltiger Faustschlag auf den Leib streckte Mister Tom zu Boden. Mit dem rechten Fuße auf »John Bulls« Brust tretend, schaute sich Uncle Sam siegesfroh um, und als er jetzt die Sprößlinge Lunas im weiten Halbkreise stehen sah, rief er laut aus: »Es lebe Amerika!«
Die Seleniten schienen ob des ganzen Vorganges sprachlos zu sein; sie standen wie Salzsäulen und getrauten sich nicht zu rühren.
Der Besiegte erhob sich und schnitt infolge der ihm beigebrachten wuchtigen Schläge schauerliche Grimassen. Die Nase war ihm breitgeschlagen, das eine Auge in seiner Umgebung veilchenblau unterlaufen, und der Stoß auf seinen Magen hatte ihn auf Sekunden vergessen lassen, daß er ein Mensch sei und Tom Smith hieße. Wäre Toms feister Leib ein Gummiball gewesen, so hätte des Amerikaners gewaltiger Fausthieb sicher für alle Zeiten eine tiefe Delle in demselben hinterlassen.
Der Amerikaner trat jetzt auf die Seleniten zu. Der größte Teil derselben lief spornstreichs auf und davon, nur einige blieben beherzt stehen.
Uncle Sam näherte sich dem ältesten derselben. Nachdem er es versucht hatte, eine Unterredung in englischer Sprache anzuknüpfen, sah er ein, daß die Leutchen kein Sterbenswörtchen von dem verstanden, was er parlierte. Es galt darum sich anderswie verständlich zu machen. Deshalb zog der Sohn des vielsternigen Banners sein Notizbuch hervor und malte auf eine Seite desselben folgende Zeichen:
Die drei Seleniten, welche in Uncle Sams Nähe standen, schauten den Manipulationen des Erdensohnes mit weit aufgerissenen Augen zu, und als ihnen schließlich gar das bemalte Blatt Papier gereicht wurde, starrten sie dasselbe wie ein Wunderding an. Der älteste der Mondleute schüttelte bei der Betrachtung des Bildes anfänglich den Kopf, schließlich aber schien er eine dunkle Ahnung von dem, was der Fremdling andeuten wollte, zu bekommen.
Der Amerikaner half jetzt den guten Leutchen auf die Sprünge.
»Paßt auf!« schrie er seinem unterlegenen Gegner Tom zu, »wie ich es den Herren Seleniten klar mache, daß ich der Vertreter des großen amerikanischen Präsidenten bin, und daß sie von nun an sich als dessen Vasallen zu betrachten haben!«
Tom schenkte diesem Zurufe keine besondere Beachtung, denn er war lebhaft damit beschäftigt, sein plattgehauenes Nasenbein in die alte, lotrechte Richtung wieder zurückzubiegen, wobei ihn die Schmerzen, welche die Folgen seines massierten Bauches waren, derart peinigten, daß er für diesen Augenblick nicht für einen Pfifferling Interesse zeigte, welchem irdischen Staate die bleiche »Luna« angetraut wurde.
Uncle Sam zeigte nunmehr mit dem Finger auf die Sonne, deren blendende Scheibe am Horizont stand, alsdann wies er auf den Kreis, welcher in der Zeichnung mit einem Striche markiert war. Der eine der Seleniten schien begriffen zu haben, was jener wollte, denn er nickte sogleich mit dem Kopfe und sagte: »Nisrah.«
»Nisrah ...« wiederholte der Amerikaner.
Der alte Selenit nickte.
Des weiteren zeigte Uncle Sam auf die im Zentith stehende halberleuchtete Erdkugel und dann auf den in der Zeichnung mit zwei Strichen markierten Kreis.
Wieder folgte ein verständnisvolles Nicken der Mondleute. Sie schienen jetzt mit einem Male alles kapiert zu haben.
»Sral!« rief der Älteste von ihnen und zeigte ebenfalls auf die Erdkugel.
Dann tippte der Vertreter des amerikanischen Präsidenten auf den dritten Kreis seiner Zeichnung und versuchte, es den Seleniten klar zu machen, daß dies der Mond, die Weltscholle unter ihren Füßen, sei.
Auch das wurde von den Zuhörern begriffen.
Uncle Sam deutete nunmehr auf seine eigene Person und dann auf den Erdplaneten.
Die Mondleute sahen einander verwundert an; das schienen sie nicht verstanden zu haben.
Der Amerikaner zeigte hierauf nochmals auf die Erdkugel, dann auf seinen Nachbar John Bull und zuletzt auf sich. Des weiteren tippte sein Finger da auf die Zeichnung, wo zwischen dem Erdkreis und dem Mondkreis die Figur seines Drachenfliegers stand.
Nach einer Weile, während welcher Uncle Sam durch Handbewegungen andeutete, daß er mit dem Flugapparat von dem andern Gestirn herüber gekommen sei, schien ein erleuchtender Gedanke im Hirne des ältesten Seleniten aufzutauchen. Hastig sagte er zu seinen Genossen eine Anzahl unverständlicher Worte. Jetzt mochten sie alle über die Herkunft der Fremdlinge unterrichtet sein, was die erstaunten Gesichter deutlich verrieten.
Auf der erleuchteten Hemisphäre des Erdplaneten konnte man die Konturen des amerikanischen Kontinentes wohl unterscheiden, ein scharfes Auge sah selbst den schmalen PanamaIsthmus, welcher bekanntlich das nordamerikanische Festland mit dem südamerikanischen verbindet. Auch nahe des Nordpols konnte man die Küstenlinien Grönlands soeben noch erkennen. Als kleiner Punkt erschien die Insel Island. Gerade über sie hinweg lief die Phasengrenze. Das westindische Inselreich trat als ein Gewirr von Pünktchen im Zentrum des erleuchteten Teiles der Erdscheibe ziemlich deutlich hervor.
Diese herrliche Ansicht eines ganzen ungeheuren Kontinentes aus solcher Perspektive hätte jedes irdischen Geographen Auge hoch erfreut; Uncle Sam schien jedoch ein solcher Anblick kalt und gleichgültig zu lassen.
Jetzt kam auch Freund Tom herangehumpelt. In dem Ältesten der Seleniten glaubte er denjenigen zu erkennen, der ihm in seinem geheiligten Felsenkäfig vor wenigen Stunden noch Speise und Trank gereicht hatte. Er trat auf diesen zu und schlug mit der Hand auf dessen Schulter. »Na, Alterchen, wir sind wohl überall?«
Der Alte schrak unter der Berührung Toms gar heftig zusammen und nahm Reißaus. Das war ein Signal auch für die übrigen Seleniten, und wenige Augenblicke später war keiner mehr von Lunas Bewohnern zu sehen.
Der Yankee führte nunmehr Tom zu jenem Orte hin, an welchem sein Drachenflieger vor Anker gegangen war.
Mister Tom war nicht wenig verwundert, als er das amerikanische Fahrzeug zu Gesicht bekam.
»Das kleine Ding hat Euch also von der Erde zum Monde getragen?«
»Wie Ihr seht! ... Übrigens läßt unsere Regierung jetzt 5000 Stück solcher Drachenflieger bauen. Eine Fabrik in Pittsburg hat das Patent von Edison übernommen.«
»5000 Stück? Wozu?«
»Um Militär und Beamte herüber zu befördern. — Auch soll ein geregelter Verkehr zwischen drüben und hier eingerichtet werden.«
»Von Amerika aus?«
»Selbstverständlich.«
»Und wir haben das Zusehen?«
»Wir hatten eben ältere Ansprüche ....«
»Nein — wir!«
»Die Sache ist doch ehrlich ausgekämpft; fangt Ihr schon wieder an?«
»Ja — — denn von der hinteren Seite des Mondes ist bis jetzt noch nicht die Rede gewesen — Eure Karte enthält nur die der Erde bekannte Halbkugel.«
»Wir kämpften, wie Ihr selbst sagtet, um die Herrschaft des Mondes; damit ist doch klipp und klar angedeutet, daß es sich um sämtliche Länder beider Hemisphären handelt.«
»Das wird noch eine schöne Kabinettfrage zwischen uns und Euch abgeben; da werden sich die Herren aus dem Weißen Hause und dem Parlament die Köpfe arg erhitzen.«
Tom trat bei diesen Worten der Flugmaschine des Amerikaners näher und besichtigte dieselbe nach allen Seiten hin.
Das Fahrzeug, welches die Form eines gewaltigen Eisenstachels hatte, war ganz aus Metall gebaut und besaß eine Länge von 6 m 45 cm und eine Breite bezw. Höhe von 2 m 70 cm. Dieses Höhenmaß betraf aber nur das hintere Ende des Fahrzeuges, vorn lief es spitz wie ein Stachel aus.
Als Tom in das Innere des Fahrzeuges sah, bemerkte er an der Hinterwand einen, 50 cm hohen, zylinderförmigen Kasten.
»Darin steckt das Geheimnis, mein Lieber,« sagte Uncle Sam, als er den Blicken Toms folgte.
»Es ist ein Accumulator.«
»Ein Accumulator?« wiederholte der Untertan der englischen Krone.
»Jawohl, ein Aufspeicherungsraum für magnetisches Fluidum,« belehrte der Amerikaner weiter.
»Fluidum?« frug Tom zurück.
»Es ist eine antimagnetische Kraft, die Edison in ungeheurer Menge aufzuspeichern verstand.«
»God dam! so ein ähnliches Ding hat ja mein Professor auch.«
»Euer Professor, wer ist das?«
»William Mac Milford, Professor der Astronomie und Physik an der Universität zu Edinburg,« replizierte Tom stolz.
»Kenne den Mann nicht.«
»Wie, Ihr kennt den berühmtesten Gelehrten der ganzen Welt nicht?«
»No ...« sagte der Amerikaner.
Tom war es unbegreiflich, wie jemand auf der Welt seinen Professor nicht kennen konnte; in seiner Eigenschaft als Faktotum dieses großen Gelehrten fühlte er sich beinahe gekränkt. Darum sagte er in etwas gereiztem Tone: »Das von Mac Milford konstruierte Vehikel übertrifft Euer Fahrzeug sicher, besonders was die Schnelligkeit der Maschine anbetrifft; darauf gebe ich Euch mein Wort!«
»Wer könnte unseren Edison übertreffen?« rief der Amerikaner.
»Mac Milford!« erwiderte stolz der Schotte. — »Unsinn!«
»Was ist Euer Edison gegen Mac Milford? — — Ein Sonnenstäubchen gegen den ganzen Sonnenball!«
Jetzt war die Reihe des Gekränktseins an dem Amerikaner. »Es lebe Edison, der große Erfinder!« schrie er.
»Es lebe Mac Milford, der große Gelehrte!« brüllte nun auch Tom.
»Ich sehe, wir einigen uns auf diesem Wege nicht; das könnte nur eine Wettfahrt entscheiden.«
»Ihr würdet sicher den kürzeren ziehen.«
»Wird Euer Professor einmal herüber kommen?«
»Er ist bereits hier ...«
Der Ort, an dem sich die beiden Erdenbürger in diesem Augenblicke befanden mochte ungefähr 30 irdische Meilen vom Krater Timocharis, Toms Landepunkt, entfernt sein. Die Landschaft bildete die Ausläufer der Apenninen und das Ringgebirge Archimedes. Auch diese Gegend lag im Bereiche des Mare imbrium, aber bereits am Rande desselben. Der Archimedes ist ein riesenhaftes Wallgebirge, dessen innere Ebene mit der äußeren Umgebung des Berges auf ziemlich gleichem Niveau liegt. In der Ferne konnte man viele Spitzen der Apenninen erblicken; Gipfel, welche zum Teil bis zu 5600 Meter aufragen. Das Auge vermochte selbst das äußerste Nordende dieser grandiosen Mondalpen zu erblicken, da, wo dieser fast hundert geographische Meilen lange Gebirgszug an den Krater Eratosthenes stößt. Fiel der Blick nach links von den Apenninen, so erreichte er die tiefen Krater Aristillus und Autolycus. Hinter diesen am Horizonte sah der Beschauer den gipfelreichen Gebirgszug des Kaukasus, dessen westliche Seite zum Mare serenitatis abfällt.
»Wollt Ihr eine Probefahrt mitmachen?« frug jetzt der Amerikaner.
»All right,« sagte Tom.
»Ich will zum Kopernikus hinüberfahren.«
»Kopernikus?«
»Es ist das ein Ringgebirge, welches hinter den Karpathen liegt ... seht hier.« Mit diesen Worten zeigte er auf einen Punkt der Mondkarte, die vor den beiden ausgebreitet lag.
»Soll die Reise sogleich losgehen?«
»Steigt ein,« lautete die Antwort.
Tom kroch durch die Decke des Fahrzeuges in das Innere desselben. Der Amerikaner folgte.
Fünf Minuten später schwebte bereits der Drachenflieger mit einer Eleganz über die ungeheuere Tiefebene des Mare imbrium dahin. Tief unten sahen seine Insassen den Timocharis liegen.
»Ja, zum Teufel, wie schafft Ihr Euch frische Luft für die Lungen?« fragte Tom nach einiger Zeit.
»Ich führe soviel Preßluft im Fahrzeug mit, daß ich für ein halb Jahr zu atmen habe. Die verbrauchte Luft, welche, wie Ihr wohl wissen werdet, aus Kohlensäure besteht, dem Oxydationsprodukt des menschlichen Atmungsprozesses, entferne ich, indem ich sie mit einer kalkartigen Masse eine Verbindung eingehen lasse. Auf diese Weise habe ich immer frische Luft im Raume.«
Tom mußte im Stillen zugeben, daß sein Nationalfeind und dessen Mitbürger recht gewiegte Köpfe waren.
Die Geschwindigkeit des Drachenfliegers sollte nach Uncle Sams Aussage 300 geographische Meilen in einer Stunde betragen; freilich fuhren sie jetzt nicht so scharf; immerhin aber war es eine an sich respektable Fortbewegung, erreichten sie doch schon nach etwa einer Stunde Fahrzeit das vorerwähnte Ziel, den Kopernikus.
Der Anblick aus der Vogelschau auf dieses gewaltige, 12 geographische Meilen breite Ringgebirge war ein großartiger. Wie Tom leichthin erkannte, lag der von dem Kraterwalle umschlossene Boden etwa 3000 Meter tiefer, als die Umgegend des Ringgebirges, während die äußeren Wände des Walles durchschnittlich eine Höhe von nur 200 Metern zeigten.
Im Innern dieses kolossalen Ringgebirges unterschieden die Insassen des über demselben schwebenden Drachenfliegers deutlich mehrere kleine Krater, niedrige Centralberge.
Wollte man diesen Vulkan mit einem der Erde vergleichen, etwa mit dem Aetna in Sizilien, der doch gewiß schon ein höchst respektabler Kraterberg ist, so würde man gewahr werden, daß der Kopernikus einen 90 mal größeren Durchmesser hat, als sein sizilianischer Kollege.
Einen wunderbaren Anblick bot dieses Ringgebirge insofern, als sich von ihm aus ein Strahlensystem weit in die Umgebung erstreckte. Die einzelnen, im Sonnenlicht hellglänzenden weißen Streifen verliefen von Kopernikus aus radienartig nach allen Richtungen; bald gradlinig, bald gekrümmt. Dieses Strahlensystem wurde von einer Anzahl Gletscherströme gebildet, deren Ausgangspunkt mächtige Firnschneefelder waren, welche den ganzen Kamm des Kraterwalles bedeckten. Wie viele irdische Astronomen hatten sich schon den Kopf darüber zerbrochen, welcher Natur jene Lichtstreifen waren. Besonders rätselhaft schien es ihnen, daß dieselben nur bei hoher Beleuchtung sichtbar waren, und daß, falls die Sonne für die Mondstriche, in welchen die Lichtstreifen lagen, nur wenig über dem Horizont stand, diese nie einen Schatten in ihre Umgebung warfen; daraus schlossen die Beobachter, daß es keine Erhebungen sein könnten und nahmen an, daß es außerordentlich lange und breite, erstarrte Lavaströme seien.
Nördlich vom Kopernikus war der Krater GayLussac sichtbar; ihn umgaben die Berggipfel des Karpathengebirges, welche in der untergehenden Sonne lange Schatten warfen. Letztere hatten irdische Astronomen auf ihre Länge gemessen, und es hatte sich das Resultat ergeben, daß die Karpathengipfel bis zur Höhe von über dreitausend Metern aufragten. Die Umgebung des Karpathengebirges ist zumeist eben und nur von einer Unmenge kleiner Kraterchen, Hügel oder Bergkegel durchsetzt.
Südlich zeigte sich dem Blicke der Krater Reinhold, sowie ganze Kraterreihen, viele Bergrücken und rillenförmige Täler. Jenseits des Karpathengebirges dehnte sich die ungeheure Ebene des »regnerischen Meeres« (Mare imbrium) aus.
Das war das Gesamtbild, welches sich den beiden Reisenden aus der Vogelperspektive bot.
Der Drachenflieger senkte sich unterm neunten nördlichen Breitengrade und zwanzigsten östlichen Längengrade auf die Majestät des Kopernikus hernieder.
In dem Cirkus dieses gewaltigen Kraterberges herrschte schwarze Nacht, da sich die Sonne schon bedenklich dem Horizontrande näherte und ihre Strahlen nunmehr auf den Kamm und die äußeren Wände des Riesenwalles warf.
Der Drachenflieger landete endlich am Fuße des Kopernikus. Kaum waren die Insassen des Fahrzeuges ausgestiegen, als ein Rudel Seleniten, welche bisher vor Staunen über die Ankunft des seltsamen Fahrzeuges und der diesem entsteigenden Menschen, wie angewurzelt zugeschaut hatten, auf sie zueilte.
»Oho! — Seht mal, wie die Leutchen zusammenströmen!« rief der Amerikaner, als er der Seleniten ansichtig wurde.
»Sie sehen nicht gerade friedliebend aus,« meinte Tom hierzu.
»Der Stamm drüben am Timocharis ist entschieden zahmer.«
Die Mondleute waren bis auf zwanzig Schritt Nähe herangekommen, als sie stehen blieben.
»Entweder machen sie jetzt einen Kniefall oder einen Überfall.«
»Befürchte eher das letztere.«
»God dam! Und wir haben keine Waffen!« sagte Tom und retirierte wieder in das Innere des Drachenfliegers.
Die Seleniten, wohl zwanzig an der Zahl, kamen unter drohenden Bewegungen langsam vorgerückt. Jetzt hielt es auch Uncle Sam für geraten in sein Fahrzeug zu flüchten. Nachdem sie die Decke desselben verschlossen hatten, schauten die beiden Insassen durch die kleinen Glasfensterchen der Wand und beobachteten wie die Mondleute jetzt einen Anlauf unternahmen.
Der Drachenflieger war im Nu umringt. Die Männer betasteten die Maschine von allen Seiten. Einer derselben schlug dann mit einem steinernen Beile auf die Decke des Fahrzeuges. Das war dem Amerikaner drinnen zu viel. Mit einem einzigen Handgriffe setzte er seinen Accumulator in Tätigkeit, und der Drachenflieger erhob sich mit einer solchen Vehemenz, daß er alle nahestehenden Seleniten mit einem furchtbaren Ruck über den Haufen warf.
Der Drachenflieger erhob sich mit einer solchen Vehemenz, daß er alle nahe-
stehenden Seleniten mit einem furchtbaren Ruck über den Haufen warf.
»Da seht, wie sie purzeln!« schrie Uncle Sam lachend, als die Maschine sich fast fünfzig Meter hoch über den Köpfen der Mondleute erhoben hatte.
Toms Wasserköpfchen nickte und seine Gesichtszüge verzogen sich zu einem Grinsen.
Während Tom mit dem Amerikaner eine Probefahrt zum Kopernikus unternahm geschah der Kraterausbruch des Hyginus.
Vom Triesnecker aus, wo Mac Milford und seine Begleiter freundliche Aufnahme gefunden hatten, war es des alten Gelehrten erste Sorge, sein Vehikel wieder ausfindig zu machen.
Als der Triesneckerhäuptling von der Vernichtung der Stadt Resles Kunde erhalten hatte, war er hocherfreut und brach sofort mit einer Anzahl Untertanen zum Orte der Katastrophe auf. Mac Milford schloß sich diesem Zuge an.
Die Gegend des Hyginus wurde nach allen Richtungen hin durchstreift, und man stieß dabei auf das südwärts vom Krater liegende Vehikel, welches Tom vor kurzem verlassen hatte. Hocherfreut bestieg der Professor den »Sirius« und stieg sogleich auf.
Als er mit dem Fahrzeug über dem Hyginus lavierte, sah er, daß das Innere des Kraterkessels mit Dampf erfüllt war, und feurige Zungen aus demselben emporstiegen. — Resles war vernichtet. Der Vulkan bildete das Grab vieler Tausender von Menschen.
Lavaströme flossen vom Rande des Berges nach allen Richtungen in das Mare vaporum. Auf der einen Seite zogen sich breite, weißglänzende Streifen den Berg hinab; es waren Obsidianströme,*) welche, wenn sie erkalten, zu einer glasähnlichen Masse erstarren.
Die Residenz der Mondstaaten ein verschüttetes Pompeji! —
Mac Milford war noch in den Anblick der wüsten Stätte unter ihm versunken, als er plötzlich durch die Ankunft des amerikanischen Drachenfliegers aufs höchste überrascht wurde. Der alte Gelehrte war maßlos erstaunt, hier auf dem Monde einem Fahrzeug irdischer Abstammung zu begegnen.
Er rieb sich die Augen, er putzte seine Brille — träumte oder wachte er?
Jetzt war das neu angekommene Fahrzeug nur noch etwa zwanzig Meter vom »Sirius« entfernt, und Mac Milford sah, wie an dem Fenster desselben zwei Köpfe auftauchten. Flugs nahm der Alte seinen Feldstecher zur Hand und richtete ihn neugierig auf die Ankömmlinge. Er konnte jetzt deutlich die Gesichter der Insassen des Drachenfliegers erkennen. Das eine derselben war lang und schmal mit markanten Zügen und schien einem Menschen anzugehören, der wohl einer Hopfenstange ähnlich sehen mußte. Den Kopf bedeckte eine graukarrierte Reisemütze; mehr konnte Mac Milford von dieser Gestalt nicht erkennen. Das Gesicht des zweiten Insassen war dick und hatte plumpe Züge; der Alte sah, wie es zu ihm herübergrinste. Die breite Stirn des mit einem roten Haarschopf gezierten Schädels preßte sich an die Scheibe des Fensters. Jetzt tauchte neben diesem Kopf, dessen Züge dem Professor wohlbekannt schienen, auch eine plumpe Hand auf, welche zu dem Vehikel in nicht mißzuverstehender Weise fortgesetzt herüberwinkte.
»Tausend Teufel,« rief Mac Milford unwillkürlich aus, »wenn das nicht Tom ist, will ich in meinem ganzen Leben die Erde nicht wiedersehen. Natürlich, er ist's ... die roten Haare, wovon Price mir bereits erzählte. Nun bin ich aber doch neugierig, wie der Bursche in jenes seltsame Fahrzeug geraten ist?« — —
Jetzt sah der Professor, wie sich das fremde Vehikel zur Mondoberfläche herniedersenkte; deshalb dirigierte er seinen »Sirius« ebenfalls nach unten.
Sehen wir jetzt zu, was sich während des unerwarteten Zusammentreffens mit dem »Sirius« drüben in dem Fahrzeuge des Yankees zutrug.
Englands und Amerikas Sohn schwebten gerade dem Krater Hyginus zu, als Mister Tom seinen Begleiter auf einen großen dunklen Punkt, dessen eine Seite von der Sonne grell beleuchtet wurde, aufmerksam machte.
*) Vom Doppelkrater Messier aus verlaufen zwei helle, breite Streifen parallel zu einander,
welche man, ohne falsch zu sehen, wohl ebenfalls als Obsidianströme betrachten darf,
da ein solcher Glasfluß im stande ist, auch Licht von der im Horizont stehenden Sonne
zu reflektieren, was bekanntlich bei den Messierstreifen der Fall ist, während Gletscher
ströme nur bei hochstehender Sonne Licht zurückstrahlen.
»Holla! Da kommt er ... wahrhaftig, er ist's ... !« schrie er.
»Wer?«
»Wer — wer anders als mein Professor!«
»Wirklich?«
»God dam, sperrt doch Eure Augen auf! ... seht nur, jetzt kann man den Umriß des Vehikels schon wahrnehmen!« Tom hüpfte bei diesen Worten, soweit ihm dies der Raum möglich machte, vor Freude umher.
»Kommt er allein?«
»Nein ...« gab Tom zurück und schaute unverwandt zum Firmament empor.
»Wer ist noch bei ihm?« frug Uncle Sam forschend.
»Ein Weib —« erwiderte Tom lakonisch.
»Sein Weib?«
»Nein.«
Der Amerikaner schwieg. Er beobachtete das Vehikel, dessen Konturen von Minute zu Minute deutlicher erkennbar wurden. Es wunderte ihn, daß das Fahrzeug nicht direkt vom Zenith, aus dem Sternbild der Jungfrau, in dem die Erde sich zur Zeit befand, herniederkam, sondern stark seitwärts aus der Sternkonstellation des Skorpiones her seine Richtung auf den Mond nahm.
»Kommt Euer Professor nicht geradewegs von der Erde herüber?«
»Weiß ich's —.«
»Was will er hier?«
»Dumme Frage ... das könnt Ihr Euch denken.«
»Wenn er dasselbe will wie Ihr, so sagt ihm beim Wiedersehen nur gleich Bescheid, daß zwischen uns, — das heißt zwischen Amerika und England — bereits alles geordnet ist.«
»Sagt ihm das gefälligst selber — doch ich mache Euch darauf aufmerksam, mit dem ist manchmal nicht zu spaßen; in einigen Dingen, besonders was die Nation und die Politik anbelangt, ist mit dem alten Herren absolut nicht gut Kirschen essen.«
»S—o—o — —,« sagte gedehnt Uncle Sam und schien recht nachdenklich geworden zu sein. Sollte es noch einmal einen Kampf kosten? Sollte er vielleicht dann gar dabei unterliegen?
Der Drachenflieger befand sich jetzt über dem Oceanus procellarum, unter dem 10° nördlicher Breite und dem 44° östlicher Länge. Die Insassen des Fahrzeuges vermochten bereits das große Ringgebirge Kepler mit seinem gewaltigen Gletscherstromsystem unter sich zu erblicken, als sich Mac Milfords Vehikel langsam auf sie zu herniedersenkte, — so ruhig, daß der Amerikaner über das vortreffliche Funktionieren der englischen Maschine erstaunt war..
Jetzt waren sie etwa nur noch 1 Kilometer von einander entfernt. Tom bemerkte, daß der Kurs des Vehikels schnurstracks auf den Drachenflieger zu gerichtet war — also mußte der Professor das amerikanische Fahrzeug gesehen haben. Schwerlich mochte dieser wohl ahnen, daß darin sein unvergleichlicher Diener war, der Mann, dem auf so eigenartige Weise eine Rippe abhanden gekommen war.
»Was nun?« frug Uncle Sam.
»Sie begrüßen ....«
»Aber wie?«
»Einfach! Wir fahren ihnen entgegen!«
»Und dann?«
»Dann entern wir,« sagte Tom mit schlauer Miene.
»Entern? Wenn Ihr damit meint, daß wir an jenem Fahrzeug anlegen und durch die Luke hinüberklettern sollen, dann seid Ihr aber schief gewickelt — —« meinte der Amerikaner.
»Natürlich ... Wie denn sonst?«
»Dunce ...« *) murmelte Uncle Sam halblaut vor sich hin.
»Thank you,« gab Tom, der das Wort wohl verstanden hatte, zurück.
»Sollen wir dabei vielleicht hier oben in dem luftverdünnten Raum halb ersticken?«
»Hm — daran dachte ich freilich nicht,« erwiderte Tom sich im stillen ärgernd, daß er dem Amerikaner einen solch dummen Vorschlag gemacht hatte.
Schon im nächsten Augenblick fuhr Mac Milfords Maschine, geschickt lavierend, dicht an die Seite des Drachenfliegers heran. Tom preßte seine breite Visage gegen die Glasscheibe, um sich seinem Professor zu erkennen zu geben. Drüben sah er die ihm wohlbekannten Gesichtszüge Mac Milfords.
Der brave Schotte nickte seinem Herrn fortgesetzt zu, dieser erwiderte die Grüße jedoch nicht. Dem Anscheine nach mußte Mac Milford sein Faktotum aber nicht erkannt haben, dessen wurde sich letzterer auch allmählich bewußt — und das schmerzte ihn fast. Sollte er sich inzwischen hier so verändert haben? Freilich, die plattgehauene Nase, das blaue Auge und — wovon Tom überhaupt nichts wußte, weil er noch keine Gelegenheit gehabt hatte, auf dem Monde in einen Spiegel zu sehen — das fuchsrote Haar, welches auf Erden stets schwarz gewesen war, das alles mochte Schuld daran sein, daß der Herr seinen Diener nicht wieder erkannte.
»Es ist das beste, wir landen unten,« meinte Uncle Sam und dirigierte sein Fahrzeug so, daß es herniederfuhr.
»Selbstverständlich ...« sagte Tom und sein feistes Gesicht glänzte vor Freude auf das in Aussicht stehende Wiedersehen — doch plötzlich verfinsterte es sich wieder, er gedachte der Veranlassung seiner Reise zum Monde. — Ob der Professor es herausbekommen hatte, wohin er verschwunden war? — Na, das konnte ihm von dem Alten noch einen schönen Rüffel einbringen.
Die Luken der beiden Fahrzeuge öffneten sich. Drüben stieg Mac Milford heraus, hier Uncle Sam und der rothaarige Tom.
»Good morning!« rief es drüben.
»Good morning!« antwortete es hier.
»Wer seid Ihr?« frug es von drüben wieder.
»Herr Professor! ... Ich ... ich! ...« rief Tom und eilte auf den alten Herrn zu.
»Tom! — — — Wahrhaftig, der Schlingel ist's ... aber Mensch, wie siehst Du aus ... rote Haare ...« rief Mac Milford erstaunt aus.
»— Rote Haare?« frug Tom etwas perplex zurück und versuchte sich ein Haar vom Kopfe zu reißen, was ihm auch gelang. Maßlos verblüfft schaute er auf die rote Strähne, dabei alles Wiedersehen vergessend. »— Rote Haare ...« murmelte er vor sich hin. Er schien durch diese Entdeckung recht unangenehm überrascht zu sein.
Inzwischen war der Professor an den Amerikaner herangetreten. Nach der gegenseitigen Vorstellung fing Mac Milford mit Uncle Sam ein Gespräch an.
»Da seid Ihr aber doch gewaltig auf dem Holzwege,« ließ sich der schottische Gelehrte im Laufe der Unterhaltung in etwas scharfem Tone vernehmen. »Ein Engländer hatte schon den Boden des Mondes betreten, ehe Euer Edison auch nur im entferntesten an die Konstruktion eines Drachenfliegers dachte.«
»Das könnt Ihr mir nicht beweisen,« erwiderte Uncle Sam, »was man nicht beweisen kann, ist stets hinfällig.«
»Nicht beweisen? Ha! — das ist eine Kleinigkeit! Besitzt Ihr eine Karte des Mondes?« — »Selbstverständlich ...«
»So sucht Euch auf derselben den Krater Triesnecker, welcher nur wenige Grad in nordwestlicher Richtung vom Centrum der Mondscheibe liegt. Dort werdet Ihr einen Engländer finden, welcher sich bereits seit langer Zeit auf dem Monde niedergelassen hat.«
»Wie —!« rief verdutzt der Amerikaner.
»Überzeugt Euch selbst — Ihr werdet dann zugeben, daß uns die Priorität zusteht.«
»Meine Regierung wird sich nicht darum kümmern.«
»Das werden wir ja sehen!« rief Mac Milford ärgerlich aus.
Uncle Sam schritt ohne ein Wort weiter zu sagen auf seine Maschine zu, stieg in dieselbe und hißte gleich darauf die Flagge seiner Nation über der Decke des Drachenfliegers auf. Dann rief er laut: »Nur diese und keine andere Flagge wird je auf Lunas Gefilde wehen! — Es lebe Amerika!«
Der englische Gelehrte lachte, und sein Faktotum Tom brüllte mit der ganzen Kraft seiner Lunge: »Es lebe England!«
Der Drachenflieger erhob sich und sauste in nördlicher Richtung fort.
»Für das erste erkläre mir jetzt, wie Du in jenes Fahrzeug kamst. — Wie war es überhaupt möglich, daß der Yankee hier herüber zum Monde gelangen konnte?« Mit dieser Frage wendete sich jetzt Mac Milford seinem Faktotum zu.
»Herr Professor, ich glaube, die vermaledeiten Amerikaner haben unsere Erfindung nachgemacht,« erwiderte Tom in etwas kläglichem Tone.
»Nachgemacht? — Wie soll ich das verstehen?« fiel der Alte seinem Diener in die Rede.
»Ja, Herr Professor, ich glaube — ich denke — — ich weiß nicht wie Ihr Tagebuch in des verflixten Yankees Hände gekommen ist,« stotterte Tom hervor und zog dabei aus der Tasche seines Rockes ein mit einem Glanzlederdeckel versehenes Heft heraus.
»Wa—a—s ...« rief der Alte; »wie kommst Du zu meinem Tagebuch? Weißt Du denn nicht, daß darin die Ideen meiner größten Erfindungen aufgezeichnet sind? Was hast Du zu Hause mit meinem Buch zu schaffen gehabt?«
»Zu Hause? ... nein, Herr Professor, ich habe das Heft in dem Drachenflieger des Yankee entdeckt.«
»Potz Blitz!« rief Mac Milford. »Wie kommt mein Tagebuch in die Hände des Amerikaners? ... Du Nichtswürdiger hast es ihm sicher in die Finger gespielt; warte das soll Dir teuer zu stehen bekommen.«
»Aber Herr Professor ...«
»Kein Aber — Du und kein Anderer hast mir diesen Possen gespielt.«
Als Tom seinen sonst stets ruhigen Herrn so furchtbar erregt sah, wurde es ihm recht schwül zu Mute.
»Jetzt stehe Rede, wie Du dazu kommst, ein Buch, das ich wie meinen Augapfel hüte, in fremde Hände zu legen?«
»Ich — ich habe es ihm wirklich nicht gegeben, Herr Professor.«
»So, Du willst auch noch leugnen, das hätte ich von Dir, Bursche, nicht erwartet; das ist also der Dank dafür, daß Du Dir in meinem Dienst einen solchen wohlgepflegten Bauch anschaffen konntest.«
»Ich versichere Ihnen, Herr Professor, ich habe das Heft dem Yankee weggestohlen, wo er es herbekommen hatte, das weiß ich wirklich nicht,« jammerte das dicke Faktotum und fühlte sich wiederholt an die schwappende Stelle seines Korpus, wo die Rippe fehlte.
»Ja, in drei Teufels Namen, wie kommt aber der Amerikaner zu meinen Aufzeichnungen, wenn Du sie ihm nicht gegeben haben willst? Versuche nicht Dich rein zu waschen, alter Bursche; nur allein die Wahrheit kann Dich vor meiner völligen Ungnade schützen!«
»Ich weiß es nicht — ich weiß es wirklich nicht; das Heft lag in dem Fahrzeug auf einem Sessel. Ich schaute hinein und da ich Ihre Schrift auf das Bestimmteste zu erkennen glaubte, so wunderte ich mich erst, steckte aber dann das Buch heimlich in meine Tasche.«
»Mensch, soll ich Dir Glauben schenken?« Bei diesen Worten klappte der Professor sein ihm gereichtes Tagebuch auf, und fand darin einen Brief folgenden Inhaltes:
Sir! Wir gestatten uns, Ihnen in der Einlage ein Manuskript zu unterbreiten, welches uns durch den Professor Raleigh der YaleUniversität übermittelt wurde.
Dasselbe enthält Aufzeichnungen von neuen Erfindungen und Entdeckungen eines schottischen Gelehrten, welche von enormer Tragweite für die gesamte Menschheit sind. Unter anderem finden Sie auch die näheren Details und die Beschreibung eines Vehikels, mit welchem man die Schwerkraft der Erde aufzuheben und zu fremden Gestirnen zu fahren vermag. Wir sind durch Zufall in den Besitz dieses unbezahlbaren, geheimen Manuskriptes gelangt; es wurde unter einer Anzahl Bücher, welche Professor Raleigh aus Schottland von einem Kollegen zurück erhielt, aufgefunden. In einem geheimen Staatskongreß haben wir nun beschlossen, den Engländern in ihren Plänen, den Mond der britischen Krone einzuverleiben, schnellstens zuvor zukommen, und beauftragen Sie daher, an Hand der beiliegenden Aufzeichnungen (Pagina 20—55) ein ähnliches Fahrzeug wie daselbst beschrieben, zu konstruieren. Vorläufig nur in einer Größe, daß es zwei Menschen bequem aufzunehmen vermag. Wir hoffen von Ihrem großen Scharfsinn und berühmten Erfindungsgeist, daß Ihnen die Aufgabe leicht und schnell gelingen wird. Wir ersuchen Sie nun außerdem noch, das Manuskript streng geheim zu halten, und nach keiner Seite hin etwas über den Bau des Fahrzeuges verlauten zu lassen. Liefern Sie das Gewünschte zu unserer Zufriedenheit und zwar innerhalb sechs Wochen, so werden Sie auf den Dank der ganzen amerikanischen Union rechnen können. Als Prämie hat der Kongreß in geheimer Sitzung eine Million Dollars für Sie ausgeworfen. Geben Sie sofort nach Empfang dieses Briefes telegraphische Nachricht, ob Sie in der Lage und gewillt sind, dem Wunsche der Regierung zu entsprechen.
Washington, D.C., Foreign Office.
An Mr. Edison in ...
J.A. Clark.
Mac Milford hatte mit maßlos verblüffter Miene das Schreiben bis zu Ende gelesen.
»Also so liegt die ganze Sache!« rief er aus und steckte Brief und Tagebuch zu sich.
»Wie? ... Herr Professor,« wagte nun Tom zu fragen, der bisher ängstlich das Mienenspiel seines Gebieters beobachtet hatte.
»Du Tölpel hast aus Versehen in die Büchersendung, welche ich dem Professor Raleigh in Amerika machte, mein wertvolles Tagebuch in das Paket hineinpraktiziert. Nur so konnten die verteufelten Amerikaner in den Besitz meiner Aufzeichnungen kommen. — Mensch, das ist doch wohl die größte Eselei die Du in Deinem ganzen Leben gemacht hast!« wetterte der alte Gelehrte sein fettleibiges Faktotum an.
»Ich — ich kann wirklich nichts dafür, Herr Professor,« stammelte Tom und war über den Rüffel, welchen er erhalten hatte, ungemein niedergeschlagen.
»Daß der Professor Raleigh mein Manuskript gleich seiner Regierung übermittelte, das finde ich äußerst niederträchtig. Aber ich werde dem Abgesandten der MalefizYankees dafür eine schöne Suppe einbrocken und ihm die Eroberungsgelüste derart vertreiben, daß er froh sein wird, wenn er wieder mit heiler Haut dem Monde den Rücken kehren kann.«
In diesem Augenblick kam ein Trupp der um den Hyginus herumstreifenden Triesneckerseleniten herbeigeeilt. Aus ihren bestürzten Mienen konnte Mac Milford entnehmen, daß sie vor irgend etwas Ungewöhnlichem geflohen sein mußten.
Seine Vermutung, daß die Ursache des Amerikaners Drachenflieger gewesen war, bestätigte sich, als der Häuptling zu wiederholtem Male mit der Hand nach der Richtung hinzeigte, in welcher der eingeschlagene Kurs des Yankeefahrzeuges lag. Da Price nicht anwesend war, und Mac Milford das Idiom der Mondleute nicht so geläufig beherrschte, daß er sich mit ihnen verständigen konnte, so wendete er sich an Rzelloe, hoffend, daß er von diesem geweckten Seleniten durch Laute und Zeichen erfahren konnte, was dessen Mitbürger jetzt zu tun beabsichtigten.
Rzelloe begriff, was der irdische Gelehrte von ihm wissen wollte. Mac Milford erfuhr nun, daß jene den Panarchen suchten, wahrscheinlich um ihn unschädlich zu machen, ehe er andere Selenitenstämme aufwiegeln konnte. Während dieser Verständigung mit Rzelloe umstanden die Triesneckerleute den vor Anker gebrachten »Sirius«. Immer und immer wieder betrachteten sie das seltsame Fahrzeug, und ihre Verwunderung über dasselbe schien kein Ende zu nehmen. Als dann schließlich Mac Milford und Tom in Begleitung Rzelloes, welcher aufgefordert worden war, mitzufahren, in das Vehikel stieg und dieses dann geräuschlos, leicht wie eine Feder sich vom Boden in die Lüfte erhob, um den Kurs zum Triesneckerkrater einzuschlagen, da konnte man auf den Gesichtern der Seleniten ein Gemisch von Staunen und Jubel erblicken.
Rzelloe war über die wunderbare Fahrt, an welcher er teilnehmen durfte, aufs höchste entzückt. Er traute seinen Augen nicht, als er die Berge und Täler so unter sich hinwegfliegen sah.
Nur zu bald näherten sie sich dem Ziele, was Rzelloe lebhaft zu bedauern schien.
Als sich der »Sirius« gerade über der Triesneckerstadt befand, senkte er sich hernieder und blieb etwa zehn Meter über den Steinbauten schweben. Zahlreiche Seleniten waren auf den Wegen der Stadt versammelt, um das über ihren Häuptern lavierende Fahrzeug anzustaunen; als dann aber Rzelloe außen auf die Plattform des Vehikels trat, und seine Mitbürger ihn von unten aus erkannten, brachen diese in hellen Jubel aus.
Inzwischen eilten auch Mary und Price herbei, um das ihnen wohlbekannte Fahrzeug zu begrüßen. Sie waren nicht wenig erstaunt, als sie den Sohn des Häuptlings auf der Plattform des »Sirius« zu Gesicht bekamen.
Gleich darauf tauchte auch die Gestalt Mac Milfords auf und er nickte seinen irdischen Freunden, welche lebhaft zu ihm heraufwinkten, freundlich zu. Der Alte ließ nun eine Strickleiter herab, und Tom und Rzelloe verließen das Vehikel.
Nachdem Mac Milford den »Sirius« soweit niedergelassen hatte, daß er glatt über einem Steinbau zu liegen kam, verließ auch er denselben und wurde mit großem Jubel empfangen.
Die Erdenbürger verweilten nun einige Tage in der Triesneckerstadt, wo Mac Milford eifrige Studien über die Seleniten machte. Sein Tagebuch war fast schon vollgeschrieben, als am dritten Tage nach der Rückkehr vom Hyginus Triesneckerseleniten Kunde von dem Verweilen des verschwundenen Panarchen brachten.
Price erfuhr von Rzelloe, daß der Hyginusfürst mit einem Fremdling, welcher ebenfalls irdischer Abstammung sein sollte, gesehen worden war. Auch hatten die Seleniten bemerkt, daß der Panarch sich neue Anhänger in den benachbarten Kraterstädten zu verschaffen gewußt hatte. Des weiteren war beobachtet worden, daß Psosnlam in einem seltsamen Fahrzeug, welches dem Fremdling gehörte, Fahrten in die Lüfte ausführte.
Als Mac Milford und Price die Sache mit einander besprochen, war es beiden sofort klar, daß jener Fremdling niemand anders sein konnte, als der Yankee. Sie witterten in der Zusammenkunft der Beiden Unheil für sich und ihre selenitischen Freunde. Deshalb pflogen sie nun mit Rzelloe und dessen Vater eingehende Beratungen, wie man den Panarchen und seinen irdischen Verbündeten unschädlich machen könnte. Sie kamen schließlich zu dem Resultat, daß hier ein entscheidender Schritt getan werden müsse, wenn nicht der Panarch wieder zur Herrschaft gelangen sollte, was für die Triesneckerleute und die ihnen befreundeten Briten hätte verhängnisvoll werden können; Amerika wäre dann sicher der reife Apfel in den Schooß gefallen. Dagegen mußte alles getan werden; Luna sollte und mußte in britischen Händen bleiben. Ein Pakt zwischen dem Panarchen und dem Amerikaner durfte auf keinen Fall zustande kommen.
Nachdem die eingehenden Beratungen gepflogen waren, wurde der Beschluß gefaßt, daß man die beiden gefährlichen Gegner mittels des »Sirius« aufsuchen wollte, um sie dann unschädlich zu machen. Der Panarch mußte aus der Welt geschafft werden, so wollten es Rzelloe und die übrigen Seleniten; den Amerikaner mit seinem Drachenflieger wollte Price ein für allemal wieder hinaus in das Weltall jagen, ihm aber vorher einen solchen Denkzettel geben, daß er fernerhin keine Gelüste mehr hegte, zum Monde zurückzukehren.
Sofort wurden die Vorbereitungen zur Abfahrt des »Sirius« getroffen. Mary Watson wollte es sich um keinen Preis nehmen lassen, ihre Freunde zu begleiten. Auch Tom flehte seinen Herrn an, ihn wieder mitzunehmen; so kam es, daß das Vehikel, als es seine Reise antrat, außer den Erdenbürgern auch noch Rzelloe und mehrere Seleniten mitnahm.
Unter dem Jubelgeschrei der Seleniten erhob sich der »Sirius« majestätisch in die Lüfte und richtete seinen Kurs südwärts.
»Ich werde die Gegend unausgesetzt mit dem Feldstecher absuchen,« sagte Price und plazierte sich an einem der Fenster.
»Es gilt jetzt ein schnelles Handeln,« meinte Mac Milford. »Nach meiner Berechnung werden wir den Ort, an dem sich vermutlich der Panarch mit seinem irdischen Genossen aufhält, in längstens einer Viertelstunde erreichen.«
»Wird es zum Kampf kommen?« frug Mary und schien schon im voraus von den Ereignissen, welche da kommen sollten, recht wenig erbaut zu sein.
»Gewalt muß auf jeden Fall angewendet werden. Den Panarchen gefangen zu halten, wird kaum ratsam sein, denn damit wäre die Ruhe und der Frieden doch nicht auf alle Zeiten hinaus gesichert; wir müssen uns dieses Feindes für immer entledigen.«
»So steht es also in der Absicht, ihn zu töten?«
»Wir werden ihn in einem ehrlichen Kampfe fallen lassen,« lautete die Antwort Prices.
»Und meinen Freund Yankee werde ich mit einem famosen Paß wieder heimwärts schicken; mag er zu Hause von seinem kläglichen Rückzuge erzählen, hoffentlich vergeht dann dem amerikanischen Präsidenten die Lust, uns auf unserer Siegesfahrt durchs Weltall den Rang abzulaufen,« sagte Mac Milford mit Nachdruck und beschleunigte die Geschwindigkeit seines »Sirius«.
Rzelloe und die übrigen Seleniten hatten sich an einem der beiden Fenster aufgestellt und schauten mit Verwunderung in die Tiefe hinab, wo sie die Landschaften im Fluge unter sich vorbeiziehen sahen.
»Bemerken Sie noch nichts?« frug nach einer Weile Mac Milford, und machte sich ebenfalls daran, mittels eines Fernrohrs die Kratergegend südlich des Hyginus, dem sie sich jetzt näherten, abzusuchen.
»Doch, Herr Professor, wenn ich nicht irre, glaube ich dort hinten einen dunklen Punkt dicht über einer großen Wallebene zu erblicken.« Bei diesen Worten zeigte der Sprecher nach der westlichen Himmelsgegend, wo in der Ferne etwas in der Luft zu schweben schien, was der Drachenflieger des Amerikaners hätte sein können.
»Sapristi, Sie haben recht, lieber Price, wir bekommen jetzt sicher mit Uncle Sam ein Renkontre.«
»Da würde ich doch raten, den famosen Drachenflieger zu übersegeln.«
»Sei meinen, daß der »Sirius‹ ihn anrempeln soll? — Hm — damit hätte ja vielleicht des Amerikaners letztes Stündlein geschlagen, aber ich weiß nicht, ob dieses Manöver ratsam ist.«
»Um des Himmelswillen,« rief Mary, welche das Gespräch mit angehört hatte. »Machen Sie das nicht, Herr Professor!«
»Wir sind uns selbst die Nächsten,« meinte Price. »Der Yankee wird sich sicher nicht mit freundschaftlichen Plänen tragen, glauben Sie mir das, Miß Watson.«
»So soll also ein Kampf in der Luft stattfinden?« frug die Schottin entsetzt.
»Ich bin dafür,« meinte Price, »möge nur Uncle Sam ruhig sein Testament machen.«
»Wir dürfen ein solches Manöver nicht versuchen,« sagte jetzt Mac Milford ernst. »Der »Sirius‹ könnte einen erheblichen Schaden davon tragen, denn wie ich gesehen habe, ist der Drachenflieger völlig aus Metall gebaut und nicht so ohne weiteres zerstörbar.«
»Wie schade — wie wäre es denn, wenn wir den Yankee überlisteten und ihm sein Fahrzeug abnehmen?«
»Wir werden seine Waffe zu fürchten haben; ich glaube bestimmt, daß er von dem Revolver, den ich in seinem Gürtel stecken sah, Gebrauch machen wird.«
»Unsere Waffen werden antworten,« meinte Price entschlossenen Tones.
Inzwischen war der »Sirius« über dem Hyginuskrater angelangt. Noch immer sahen die Insassen desselben gewaltige Rauchwolken dem speienden Vulkan entsteigen, und breite Lavaströme aus seinem Kessel hervorquellen, welche in die Tiefe herabflossen.
Price hatte recht gesehen, das amerikanische Fahrzeug näherte sich von Minute zu Minute.
»Hurrah! Jetzt wird das Theater los gehen,« rief Price lustig. »Herr Professor, es ist mein fester Entschluß, mich zum Panarchen der britischen Mondstaaten aufzuschwingen.«
»Bravo, lieber Price,« rief der Alte und rieb sich vergnügt die Hände, »ein schöner Gedanke, ich kann hier keinen besseren Vicekönig für unsere Mondkolonien einsetzen als Sie.«
»Und ich wäre glücklich, wenn Miß Watson mir die Ehre geben wollte, hier für alle Zeiten die erhabene Panarchin zu spielen.«
Während Price dies in lustigem Tone sagte, warf er einen Blick auf des Professors Reisegefährtin.
Mary Watson errötete. Das war ja ein formeller Heiratsantrag. Bisher war es ihr nicht in den Sinn gekommen, je daran zu denken, daß sie als Prices Lebensgefährtin für lange Zeit, vielleicht für immer auf dem Monde bleiben solle.
»Ich gratuliere zu dem Gedanken,« meinte Mac Milford, »bezweifle aber noch, daß Miß Watson Ihnen diese Ehre antun wird.«
In diesem Augenblick mußte das Gespräch abgebrochen werden, da der Drachenflieger inzwischen dicht herangekommen war. Die Insassen des »Sirius« sahen jetzt, wie drüben gestoppt wurde, und gleich darauf oben aus dem Fahrzeug zwei Köpfe auftauchten.
»Potz Blitz!« rief Price aus, »da sitzen die beiden gesuchten Vögel zusammen in einem Nest, das trifft sich ja prächtig; jetzt können wir mit ihnen abrechnen!«
Price und Mac Milford stiegen auf die Plattform ihres Fahrzeuges und ersterer rief den Ankömmlingen zu:
»Ich wähnte Euch längst auf dem Rückweg zur Erde!«
»Ha! Da befindet Ihr Euch aber auf dem Holzwege,« schrie Uncle Sam herüber. »Wir Amerikaner sind zähe und lassen, was wir erobert haben, nicht so leicht wieder fahren.«
»Es scheint mir, daß Ihr etwas anmaßend seid. — Übrigens sehe ich, daß Ihr Euch in recht vortrefflicher Gesellschaft befindet!«
»Was scheert das Euch!«
»Oho, wir haben ein großes Interesse an Eurem neuen Freund!«
»S—o—o,« ließ sich der Amerikaner in gedehntem Tone vernehmen.
Während dieses Wortwechsels, aus welchem man von beiden Seiten Erbitterung heraushören konnte, hatten sich die Fahrzeuge einander soweit genähert, daß sie bald in Kollision gerieten.
»Ich schlage vor, daß wir uns nicht streiten, sondern über diese Angelegenheit uns einmal gründlich aussprechen, wobei ich Ihnen den Beweis liefern werde, daß unsere Anrechte auf den Mond entschieden ältere sind, uns darum die Priorität zusteht,« sagte Mac Milford und rief seinem Diener zu, er solle den »Sirius« langsam vor Anker gehen lassen.
Als der Yankee sah, daß das britische Vehikel zu landen beabsichtigte, ließ er ebenfalls seinen Drachenflieger zur Mondoberfläche hernieder. Nach der Landung verließ er dann sein Fahrzeug, während der Panarch es für geraten hielt, im Innern des Drachenfliegers zu verschwinden.
Price war der erste, welcher dem Vertreter der nordamerikanischen Union entgegenging und sich in ein Gespräch mit diesem einließ.
Meine Regierung läßt bereits eine Anzahl Drachenflieger herstellen, und es wird nicht lange dauern, so ist eine geregelte Verbindung zwischen drüben und hier eingerichtet,« ließ sich der Yankee im Tone der Überlegenheit vernehmen.
»Oho, wir lassen uns nicht so leicht aus dem Sattel heben, wie Ihr vielleicht denkt,« gab Price zur Antwort.
»Das wird ja die Zukunft lehren,« meinte Uncle Sam; »übrigens habe ich bereits hier mit einem Engländer einen regelrechten Faustkampf um die Herrschaft des Mondes ausgefochten und habe dabei gesiegt.«
»Mit einem Engländer?«
»Jawohl, mit einem Euresgleichen.«
»Wer war es?«
»Tom Smith nannte er sich.«
»Tom ...« sagte Price, »jener dicke Bursche war Euer Gegner? Haha, da habt Ihr leicht siegen können; der Kampf mit Tom Smith ist weder für mich noch für meine Regierung maßgebend.«
»Engländer ist Engländer, ich habe Euern Landsmann besiegt, und damit basta!« rief der Yankee erregt aus.
»Da ich der erste irdische Mensch gewesen bin, welcher den Boden des Mondes betreten hat, so steht mir auch, gleich einem Kolumbus, das Recht zu, dieses Gestirn meiner Nation einzuverleiben,« gab George Price zurück. »Im Namen Ihrer Majestät, der Königin von England und Kaiserin von Indien, erkläre ich den Mond als britisches Besitztum!« klang es feierlich aus seinem Munde.
»Und ich erkläre den Trabanten der Erde für alle Zeiten als Eigentum der United States of Amerika!«
»Nicht einen Zoll breit wird England Euch jemals von diesem Gestirn abtreten.«
»All' Euer Geschwätz kümmert mich nicht, mit dem Recht des Stärkeren habe ich den Mond bereits ehrlich erobert.«
»Es war leicht, Tom Smith, den unbeholfenen, dicken Burschen zu besiegen. Ich lasse aber jenen Faustkampf nicht gelten, entweder Ihr verzichtet auf jedes Anrecht auf den Mond, oder Ihr bequemt Euch zu einem Faustkampf mit mir.«
»Well — wenn Ihr's nicht anders wollt, bin ich einverstanden.« Bei diesen Worten streifte der Yankee schon die Ärmel seines Rockes in die Höhe; glaubte er doch, den langen Briten ebenso leicht besiegen zu können, wie seinen früheren Gegner.
Die schnelle Bereitschaft des Amerikaners ließ Price auch nicht mehr länger zögern, und bald standen sich die beiden Kampfhähne in Boxerpositur gegenüber.
Mac Milford und sein Diener Tom sahen in nächster Nähe dem Schauspiel zu, während Mary Watson und die Seleniten es vorzogen, im Vehikel zu bleiben und durch die Fenster desselben den Verlauf des Kampfes zu beobachten.
»Seid Ihr bereit?« frug der junge Schotte. — »All right!«
Die Hiebe fielen gleich anfangs von beiden Seiten so wuchtig aus, daß man nicht gleich zu unterscheiden vermochte, welcher von den beiden Kämpfern der stärkere und welcher der gewandtere war.
Das Streitobjekt, der Mond, schien für einige Augenblicke, in welchen der Yankee im Vorteil war, für England auf dem Spiele zu stehen; doch es dauerte nicht lange so änderte sich das Bild. Ein gewaltiger Faustschlag machte Großbritanniens Konkurrenten kampfunfähig.
Wutschnaubend ließ der Amerikaner, als er seine Niederlage fühlte, die Fäuste sinken und biß vor Schmerz die Zähne aufeinander.
»So, lieber Freund; Sie gaben mir gütigst die Gelegenheit mich zum Champion of the Moon aufzuschwingen ... ich danke Ihnen!«
Der besiegte Gegner gab auf die hämische Rede Prices keine Antwort, eilte auf sein Vehikel zu und verschwand eiligst in demselben.
Wenige Augenblicke darauf erhob sich der Drachenflieger. Während Tom vor Freuden über den neuen Sieg unter des Yankees Fahrzeug herumtänzelte und zu diesem allerlei liebenswürdige Bemerkungen hinaufschrie, stiegen die Insassen des »Sirius« allesamt aus und umringten den Sieger.
Mary Watson drückte George Price die Hand und sagte:
»Sie sind ein wackerer Kämpfer, Mr. Price. Die Königin Victoria wird stolz auf diesen Sohn Albion's sein.«
»Auch ich gratuliere Ihnen zu Ihrer wackeren Haltung,« ließ sich Mac Milford vernehmen und umarmte seinen jungen Freund.
»Wäre ich unterlegen, so würde ich es bei dem einen Kampfe nicht belassen und in einem zweiten den neidischen Yankee sicher geworfen haben. Übrigens hatte ich einen nicht zu unterschätzenden Gegner, von dem Freund Tom hier wohl auch noch einige angenehme Andenken zurückbehalten hat.«
Tom grinste. »Der verflixte Yankee hat mein Nasenbein und meinen Bauch nicht geschont.«
Mac Milford lachte. Er stellte sich im Geiste den Kampf seines fettleibigen Faktotums mit dem sehnigen Amerikaner vor.
Unterdessen war der Drachenflieger verschwunden. Er war mit dem Panarchen auf und davon geflogen.
»Ich glaube noch nicht, daß wir mit ihnen fertig sind.«
»Der Kampf ist ehrlich ausgefochten, und die Herrschaft des Mondes ist uns zugefallen,« meinte Price.
»Trotzdem werden die beiden Kumpane, welche soeben diesen Kampfplatz verlassen haben, ihre Pläne, uns aus dem Sattel zu heben, weiter spinnen.«
»Ich möchte es ihnen nicht raten,« ließ sich Price vernehmen. »Kommt mir der Eine oder der Andere wieder in den Weg und stellt mir ein Bein, so kann er darauf rechnen, daß ihm einige blaue Bohnen um die Ohren pfeifen.«
»Wo mögen sie sich wohl hingewandt haben?« frug Mary Watson den Professor.
»Sie haben einen südöstlichen Kurs eingeschlagen und werden sich wohl nicht allzuweit aus unserer Nähe entfernen.«
»Sie sind Beide Kinder des Todes, wenn ich gewahr werde, daß sie sich von neuem mit Eroberungsgelüsten tragen,« warf Price dazwischen.
»Da wir einmal unterwegs sind, so schlage ich vor, wir unternehmen eine Fahrt rings um den Mond herum,« schlug Mac Milford jetzt vor.
»Well! Das wäre mir angenehm, doch will ich zuvor Rzelloe fragen, ob er und seine Stammesgenossen mit von der Partie sind. Es wäre mir sehr erwünscht, wenn sich unsere selenitischen Freunde anschließen würden.«
»Das wäre ein großer Vorteil für uns,« stimmte der Professor zu. »Sie würden die besten Unterhändler für uns abgeben, wenn wir mit den verschiedenen selenitischen Kraterstämmen in Berührung kommen und diesen klar machen wollen, daß wir jetzt ihre Herren sind.«
Rzelloe und seine Genossen waren nicht nur einverstanden, sondern sogar hocherfreut, eine Fahrt um ihre Weltscholle unternehmen zu dürfen.
»Ehe wir unseren Siegenszug antreten,« ließ sich nun Mac Milford in feierlichem Tone vernehmen, »will ich Sie, lieber Price, hiermit im Namen unserer großen Königin zum Panarchen sämtlicher Mondstaaten ernennen und Ihnen unumschränkte Gewalt über das britische Mondreich zuerkennen. Das Patent bekommen Sie später.«
Mac Milford und Miß Mary drückten ihrem irdischen Verbündeten nunmehr die Hand und wünschten ihm alles Glück für seine neue Stellung.
Als Rzelloe von der Ernennung Prices zum Oberhaupt Kunde erhielt, war er völlig damit einverstanden und versicherte seinem neuen Herrn die größte Untergebenheit.
»In meiner Eigenschaft als Panarch ernenne ich Rzelloe zu dem Kanzler der Mondstaaten!« sprach George Price und erfaßte des jungen Seleniten Hand.
Dieser war sich der neuen Würde nicht recht bewußt, bis ihm schließlich klar gemacht worden war, welche Stellung er von jetzt ab einnehmen sollte.
Als sich der kleine Trupp wieder ins Innere des »Sirius« begeben hatte, traf Mac Milford die letzten Vorkehrungen zur Reise um die gewaltige Mondkugel.
Bald darauf schwebte das Vehikel wieder über den Landschaften desjenigen Teiles des Erdsatelliten, welchen die irdischen Bewohner im Zentrum der Mondscheibe liegen sehen.
»Es wäre ratsam, wenn wir den Drachenflieger nicht aus den Augen verlören,« meinte Mac Milford.
»Der Meinung bin ich auch,« antwortete Price.
»So wollen wir uns an den verschiedenen Fenstern verteilen und fleißig nach dem amerikanischen Fahrzeug Umschau halten.«
Mary und Price postierten sich an dem Fenster, welches auf der Luvseite des Vehikels lag; Rzelloe und die übrigen Seleniten stellten sich an dem gegenüberliegenden Fenster auf, während Mac Milford, wenn er nicht mit dem Lenken seines Fahrzeuges beschäftigt war, ab und zu hinaus auf die Plattform des »Sirius« stieg.
Die Antigravitationskathode war in einer Stellung von fast 90° gegen den Mondball gerichtet, sodaß der »Sirius« seinen Flug allmählich nach oben nahm, bis der Professor durch die immer dünner werdende Atmosphäre gezwungen wurde, die Luke zu schließen.
Die Fahrt ging anfangs langsam von statten, und man kreuzte vorläufig noch hin und her, um dem Drachenflieger auf die Spur zu kommen.
Mac Milford hegte gegen den Amerikaner ein ganz besonderes Mißtrauen, was insbesondere auch wohl gerechtfertigt war, wenn in Betracht gezogen wurde, daß jener sich in der Gemeinschaft des Panarchen befand.
»Ich wünsche lebhaft, daß es noch einmal zu einem Kampfe zwischen dem »Sirius‹ und dem Drachenflieger kommt.« Mit diesen Worten wandte sich Price zum Professor.
»Wie ich Ihnen schon sagte, lieber Price, dürfen wir uns nicht unterfangen, ein solches Manöver vorzunehmen. Bedenken Sie, daß es unter Umständen auch für uns übel auslaufen kann.«
»Der Drachenflieger verhält sich zu unserem »Sirius‹ wie ein Sperling zum Adler!«
»Sie vertrauen so sehr auf die solide Konstruktion meines Fahrzeuges; ja, gewiß, sie ist nicht zu unterschätzen, aber des Yankees Vehikel scheint auch nicht von Pappe zu sein.«
Noch war keine Spur von den Gesuchten zu entdecken. Ob sie irgendwo vor Anker gegangen waren? Das mußte wohl der Fall sein, denn nichts war in weiter Ferne zu erblicken, was dem Drachenflieger hätte ähnlich sehen können.
»Das einzige Richtige wäre, wenn ich den Yankee mitsamt seinem Dinge aus der Nähe des Mondes verscheuchte und ihn so drohend verfolgte, daß er endlich den Rückweg zur Erde antritt.«
»Fort muß er!« rief Price, »mag er mit seinem Mondkönig meinetwegen zum Teufel fahren, aber hier dulde ich ihn nicht mehr länger!«
Wiederholt sahen die Insassen des »Sirius« von oben in kleine Krateransiedlungen hinein, ohne besondere Notiz davon zu nehmen.
»Es wird ein schweres Stück Arbeit für mich sein, diesen vielen Stämmen klar zu machen, daß ich nunmehr ihr Panarch bin; wer weiß, auf wie viele Rebellen ich dabei stoßen werde.«
Mac Milford wiegte sein graues Haupt hin und her und meinte schließlich: »Wir müssen das schlau anfangen; durch Gewalt werden wir wenig erreichen, dazu sind wir zu schwach, aber ich rechne damit, daß die meisten Seleniten, sobald sie uns zu Gesicht bekommen, uns für übernatürliche Geschöpfe halten.«
»Dann wäre es ja garnicht ausgeschlossen, daß man uns noch als Götzen anbetet,« sagte Mary Watson scherzend.
Als Tom das Wort Götze vernahm, verzog sich sein breites Gesicht zu einem Schmunzeln. »Herr Professor, sie haben mich auch schon als Götzen angebetet.«
»Wer?«
»Die Genossen von denen da,« gab das Faktotum zurück und wies mit der Hand auf die in seiner Nähe stehenden Seleniten hin.
»Dich haben sie als Götzen angebetet?«
Toms irdische Gefährten brachen in ein herzhaftes Gelächter aus.
»Ei, da hätte ich sehen mögen, wie sich der dicke Pagode in seiner Würde gefühlt hat,« meinte der alte Gelehrte.
Tom erzählte seine Erlebnisse in dem Kratertempel und kam schließlich auch auf das ihm fehlende Knochenstück zu sprechen. »Eine Rippe fehlt mir, Herr Professor, wahrhaftig, eine ganze Rippe.«
»Ist Dir schon recht, alter Bursche,« gab Mac Milford zur Antwort.
»Übrigens hatte ich das Ding gefunden, aber es kann Dir jetzt doch nichts mehr nützen.«
»Herr Professor, wo haben Sie den Knochen gefunden?«
»Ich fand ihn in meiner atomistischen Zelle, alter Freund; ich schrieb dann Deinen Namen darauf und sandte ihn Dir zum Monde nach.«
Die Angelegenheit, welche soeben zwischen dem Professor und seinem Diener verhandelt wurde, war so ungemein komisch, daß Miß Watson und George Price ein über das andere Mal herzlich lachten und fast ganz vergaßen, auf dem Posten zu sein, um nach dem Drachenflieger auszuschauen.
»Wo soll ich sie nun suchen, Herr Professor?«
»Deine Rippe? Die wird irgendwo in der Gegend des Triesneckerkraters liegen. Vielleicht hat sich schon einer der Herren Seleniten eine Waffe daraus geschnitzt.«
»Wann gestatten mir der Herr Professor nach dem Dinge zu suchen? Ich möchte die Rippe doch gern wieder haben,« sagte das Faktotum in treuherzigem Tone.
»Na, gelegentlich, vorläufig haben wir wichtigere Sachen vor,« gab der Professor zur Antwort und ließ jetzt den »Sirius« dicht über den Berggipfeln der unter ihm liegenden Gegend schweben.
Von dem Drachenflieger war noch immer nichts zu entdecken, er war von der Mondoberfläche wie weggeblasen.
»Sollte der Amerikaner es tatsächlich vorgezogen haben, das Weite zu suchen?« meinte Price.
»Sie meinen, er sei zur Erde zurückgekehrt?« erwiderte Mac Milford.
»Es wäre schon möglich, wenn er die Aussichtslosigkeit seiner Mission eingesehen hat.«
»Seine Regierung wird recht übel gelaunt sein, wenn Mr. Lowell, oder wie heißt der Kerl? so unverrichteter Dinge wieder heimkehrt. — Übrigens, habe ich Ihnen schon von dem Briefe erzählt, welchen ich in meinem Tagebuche vorgefunden habe?«
»Brief ... Tagebuch? Was hat es damit für eine Bewandtnis?«
»Durch einen unglückseligen Zufall sind wertvolle Aufzeichnungen von mir in die Hände der Amerikaner geraten und diese haben auf Grund derselben jenen Drachenflieger erbauen lassen.« Mac Milford erzählte nun die weiteren Einzelheiten, und Price und Mary waren darüber ebenso überrascht wie erschrocken.
»Potz tausend,« rief Price, »also so liegt die Sache? Das werde ich den Amerikanern besonders eintränken!
Wie nun, wenn die Union tatsächlich 5000 Drachenflieger herstellen ließe, wie mir das der Yankee versicherte?«
»Dann hätten wir freilich verlorenes Spiel,« meinte Mac Milford.
»Da wäre es das Beste, wenn der erste Drachenflieger seinen Erbauern überhaupt nicht wieder zu Gesicht käme,« erwiderte Price.
»Wieso?« frug der Gelehrte.
»Nun, die Herren Amerikaner werden doch sicher erst abwarten wollen, ob das erste Fahrzeug tatsächlich wohlbehalten wieder zurückkommt.«
»Ach so, Sie meinen, daß man drüben vorher gar keinen weiteren Versuch machen wird, als bis man den Beweis dafür hat, daß der erste gelungen ist.«
»Ganz recht, Herr Professor.«
»Hm, der Meinung bin ich auch; dann hege ich freilich ebenfalls den Wunsch, daß der Yankee den Rückweg verfehlen möchte.«
»Vielleicht will er auch den amerikanischen Boden nicht erfolglos wieder betreten und trägt sich mit dem Plane, ein anderes Gestirn aufzusuchen, um dort besser zu operieren.«
»Wo könnte er da wohl zunächst hin wollen?«
»Zu einem der Planeten.«
»Der nächste wäre dann die Venus. Ich bezweifle aber, daß er sich diesem Gestirne zuwenden wird, da käme doch eher der Mars bei ihm in Frage.«
»Der Gedanke liegt sehr nahe!« meinte Price, »natürlich der Mars. Die Amerikaner haben ja in letzter Zeit so viel über diesen Planeten und seine hypothesischen Bewohner zusammengeschrieben, daß man keinen Augenblick mehr im Zweifel sein kann, daß sie mit diesem verheißungsvollen Planeten schon lange liebäugeln und sich nun auf seinen Besitz Hoffnung machen.«
»Das wäre mir recht fatal; auf dem Mars möchte ich es am allerwenigsten mit einem Konkurrenten zu tun haben, da ich gerade diesen Planeten demnächst besuchen und ihn zur zweiten britischen Weltallskolonie machen wollte.«
»Sie beabsichtigen tatsächlich auch dem Mars einen Besuch abzustatten, Herr Professor?«
»Ich trage mich lebhaft mit dem Gedanken,« erwiderte der Alte.
»Und wann gedachten Sie ihn zur Ausführung zu bringen?«
»Gleich, nachdem ich von hier zur Erde zurückgekehrt bin.«
»Wird Ihr Vehikel die lange Reise bewältigen können?«
»Nein, lieber Price, mit dem »Sirius‹ gedenke ich nicht zu fahren.«
»So wollen Sie sich also mittels des Atomistikums hinüberbefördern?«
»Ja,« erwiderte der Professor; »da Ihre und Toms Fahrt so gut gelungen ist, so zögere ich auch nicht einen Moment, mich meiner atomistischen Zelle anzuvertrauen.«
»Und in welcher Zeit glauben Sie, daß Ihre Atome den Mars erreichen werden?«
»In etwa drei Minuten,« lautete die Antwort.
»Diese Atomwanderung ist doch das Großartigste, was man sich denken kann,« warf Miß Mary dazwischen.
»Mr. Price, bewundern Sie das phänomenale Gehirn des Herrn Professors, aus welchem die große Erfindung entsprungen ist!«
»Nun, nun, meine Liebe, schmeicheln Sie mir nur nicht gar so sehr.«
»Dem Verdienste seine Krone,« gab Mary zurück.
»Tausend gegen eins, Herr Professor, kein irdischer Gelehrter wird Sie in Zukunft übertrumpfen.«
»Nachdem ich dem Mars meinen Besuch abgestattet habe, kommt der Saturn an die Reihe,« sagte Mac Milford.
»Zum Saturn wollen Sie auch?« riefen Price und Mary wie aus einem Munde.
»Gerade auf diese seltsame Welt bin ich am meisten gespannt,« erwiderte der alte Gelehrte. »Es ist bisher mein Lebenswunsch gewesen, das großartige Ringsystem dieses Gestirnes einmal in unmittelbarer Nähe in Augenschein nehmen zu können.«
»Da werden mich der Herr Professor wohl auch wieder mitnehmen?« warf jetzt Tom dazwischen.
»Ich weiß nicht, ob die Herren Martier und Saturniten über Deinen Besuch sehr entzückt sein werden.«
Price und Mary lachten über diese Bemerkung Mac Milfords.
»Herr Professor sind wahrscheinlich recht besorgt um mich, daß ich auf der Reise zum Mars nicht noch weitere Rippen einbüße?«
»Sei unbesorgt alter Bursche, das nächste Mal kommst Du mit heiler Haut am Ziele an.«
Der »Sirius« bewegte sich jetzt in schneller Fahrt nordwärts, und seine Insassen verloren bald den Triesnecker aus den Augen.
»Es wird sich für uns Alle lohnen, wenn wir ein Auge auf die Landschaften haben, die unter uns auftauchen.«
»Fahren wir in grader Linie zum Nordpol?« frug Price.
Der Professor bejahte.
»Diese Tiefebene hier unter uns ist doch das Mare vaporum?«
»Stimmt,« antwortete Mac Milford. »Wir nähern uns jetzt den Apenninengebirgen. Sehen Sie es dort vor uns am Horizont, den langgestreckten schmalen Streifen mit seinen vielen zackigen Gipfeln?«
Mary und Price nickten.
»Dort weiter drüben zur rechten Hand ragt der Krater Manilius auf. Etwas seitlich hinter ihm ist der Hämus; in seinem Bereiche sehen Sie den Krater Menelaus und Acheriusia Cap, sowie den Plinius.«
»Werden wir wieder eine Mare überfliegen?« frug Miß Watson.
»Gewiß,« lautete die Antwort des alten Gelehrten, »doch eine der größten Tiefebenen, das Mare serenitatis, welche dort rechter Hand hinter dem Hämusgebirge sich ausdehnt, lassen wir seitlich liegen. Späterhin, in der Mitte des Nordpoles, werden wir Teile des Mare frigoris überfliegen.«
Während Mac Milford seine Gefährten über die Gegend, welche sie im Fluge durchstreiften, belehrte, hatte sich Tom in eine Ecke zurückgezogen und verschmauste die Reste der letzten Mahlzeit.
Bald stellten sich bei Mary Zeichen von Ermüdung ein, und auch Price, welcher nach irdischer Zeitrechnung wohl zwei Tage ohne Schlaf gewesen war, schien nicht übel Lust zu haben, der Ruhe zu pflegen. So kam es, daß diese Beiden, während der Professor immer noch eifrig Berge und Täler unter ihnen erklärte, allmählich den Ausführungen Mac Milfords ihre Aufmerksamkeit entzogen und schließlich einschliefen.
George Price verriet nur von Zeit zu Zeit durch einsilbige Antworten, daß er nicht ganz eingeschlummert war.
Als sich Mac Milford dann einmal nach seinen Gefährten umwandte und die Schläfer erblickte, da schwieg er. Es war bewundernswert, wie wenig Müdigkeit der Alte kannte, hatte er doch fast 48 Stunden hintereinander kein Auge zugetan.
Die Seleniten hatten inzwischen den Sohn ihres Häuptlings umringt und diskutierten lebhaft mit ihm, wobei sie ab und zu Blicke auf die im eiligen Fluge überstrichene Landschaft hinunterwarfen. Jetzt kreuzte der »Sirius« gerade das gewaltige Apenninengebirge.
Mac Milford bedauerte, daß Price und auch Mary eingeschlafen waren und die herrliche Gebirgslandschaft nicht bewundern konnten.
Weiter und weiter ging die Fahrt; schon überflogen sie den Aristilluskrater, den daneben liegenden Archimedes und steuerten auf den Autolycus zu; linker Hand blieb das Mare imbrium mit dem in seiner Nähe befindlichen Timocharis liegen. Als das Vehikel den Autolycus hinter sich hatte, durchquerte es den Palus nebularum, um dann an dem Cassini vorüberzugleiten und sich dem herrlichen Alpengebirge zuzuwenden.
Da der »Sirius« nicht mit übermäßiger Schnelligkeit fuhr, so vermochte Mac Milford manche der unter ihm liegenden Kraterstädte deutlich zu erblicken. Eine Selenitenansiedlung im Plato, welcher seitwärts der Alpen liegt, interessierte den Professor ganz besonders. Während er noch in deren Betrachtung versunken war, wurde er durch Rzelloe in seinem Sinnen gestört. Dieser war an ihn herangetreten und legte seine Hand auf des Alten Schulter, während er mit der linken durch das Fenster auf einen in der Ferne schwebenden, dunklen Punkt deutete.
»Holla,« rief Mac Milford aus und weckte die beiden Schläfer. Diese schreckten auf und glaubten schon, es sei etwas Schlimmes passiert.
Der Alte sah in die verdutzten Gesichter und wies mit der Hand auf den von Rzelloe angedeuteten dunklen Punkt. »Dort folgt er uns, sehen Sie ihn?«
»Wer?« sagte Price und rieb sich die Augen.
»Das bedarf doch keiner Frage, Mr. Price; wer anders, als der Amerikaner.«
»O, sucht er uns schon wieder zu beschleichen?«
»Ja,« meinte Mac Milford, »ich sehe es auch bald ein, daß wir den Burschen aus dem Wege räumen müssen, denn wir werden nie Gutes von ihm zu erwarten haben.«
»Wollen wir ihn herankommen lassen?«
»Ich denke, es wäre das Beste, wir kümmerten uns vorläufig garnicht um ihn. Kommt er uns wieder in die Quere oder macht Anstalten, uns irgendwie zu schädigen, so werden wir ihn verfolgen und nicht eher ruhen, als bis wir ihn 10 000 Kilometer weit ins Weltall hinausgejagt haben.«
Der »Sirius« überflog jetzt, die Alpen hinter sich lassend, ein Stück des Mare frigoris, an dessen Nordrand bis zum Nordpol hin die ganze Gegend mit großen und kleinen Kratern übersät zu sein schien.
»Er bleibt in unserer Gefolgeschaft,« meinte Miß Watson, welche den Feldstecher auf den fernen Drachenflieger gerichtet hatte.
»Ich bezweifle aber, daß er es sich wagen wird, uns zu nahen, denn er weiß, mit uns ist nicht gut Kirschen essen,« sagte Price. »Und ich schwöre es ihm, ein zweites Mal kommt er nicht mit heiler Haut davon!«
»Noch eine halbe Stunde, und Sie können den Nordpol begrüßen,« sagte Mac Milford ohne sich weiter um den Drachenflieger zu kümmern.
»Kann man sich da auf etwas Besonderes gefaßt machen?« frug Miß Watson.
»Wenn Sie meinen, daß Ihnen hier eine Eisregion, wie auf Erden zu Gesicht kommt, so irren Sie sich,« erwiderte Mac Milford. »Nordpol und Südpol des Mondes haben durchaus kein anderes Gepräge, als wie alle übrigen Teile der Mondoberfläche.«
Als der Augenblick gekommen war, wo der »Sirius« genau über dem Nordpol schwebte, konnte der Blick der Erdenbürger zum ersten Male weit hinüber auf die der Erde abgewandte Hemisphäre schweifen. Es war auffallend, daß auf derselben wenig Gebirge zu sein schienen.
Zwischen dem Professor und dem Studenten fand über diesen Punkt eine Diskussion statt, wobei jeder eine andere Ansicht vertrat.
Während die Beiden noch eifrig ihre Meinungen über die Gestaltung der Antipodenseite des Mondes austauschten, hatte Miß Watson den nachfolgenden Drachenflieger nicht aus den Augen verloren.
Des Amerikaners Fahrzeug folgte, wie es schien, seinem britischen Konkurrenten, doch immer in respektabler Entfernung. Seine Insassen mochten wenig Lust verspüren, sich mit den ihnen überlegenen Bürgern der alten Welt noch weiter einzulassen.
»Jetzt möchte ich gern darüber im klaren sein, ob uns der Yankee und sein würdiger Genosse aus Neugierde oder aber aus Rachsucht das Geleite geben,« sagte Mac Milford, nachdem sein Blick wieder auf den Drachenflieger gefallen war.
»Die Beiden sind keinen Schuß Pulver wert, verlassen Sie sich darauf, Herr Professor!«
Nachdem man den Nordpol überflogen hatte, verschwand plötzlich das amerikanische Fahrzeug aus dem Gesichtskreise der Schotten. Diese schlossen daraus, daß der Drachenflieger irgendwo gelandet sein mußte.
»Wahrscheinlich sucht der Panarch Verbindungen mit fremden Kraterstämmen anzubahnen.«
Als Mac Milford diese Ansicht äußerte, schlug Price vor, man wolle das gleiche tun. Erst nach langen Erörterungen wurde man dahin einig, daß vor Anker gegangen werden solle.
Die Landung geschah an einem kleinen Ringgebirge, in dem sich eine kleine Selenitenansiedelung befand. Als die Bewohner derselben die plötzlich vom Himmel herabgekommenen Fremdlinge zu Gesicht bekamen, waren sie erstarrt wie Salzsäulen und nahmen dann sämtlich Reißaus ohne sich auch nur wieder blicken zu lassen.
So oft Rzelloe und George Price es versuchten, sich den Fliehenden zu nähern, so war ihnen dies doch nicht möglich. Die scheuen Seleniten kamen selbst nach Verlauf einer Stunde nicht zum Vorschein, sodaß Mac Milford beschloß, von weiteren derartigen Versuchen abzusehen und die Fahrt um den Mond fortzusetzen.
Der »Sirius« fuhr nach seinem Aufstiege in raschem Tempo über ein gewaltiges Mare hin. Diese ungeheure Tiefebene, wohl die größte der ganzen Mondoberfläche, lag bereits in ihrem ganzen Umfange im Bereiche der Hemisphäre, welche ewig von der Erde abgewandt ist. Noch keines Sterblichen Auge hatte jemals von der Terra aus auf dieses riesige Mare geschaut.
Es schien den Insassen des Vehikels, als wenn die Ebene, welche sie zu überfliegen gekommen waren, sich über die ganze Antipodenseite verbreitet; jedenfalls war in der Kursrichtung des Fahrzeuges nicht eine einzige gebirgliche Erhebung zu erblicken.
»Sehen Sie, Miß Watson, hier unter Ihnen liegt das umfangreichste aller früheren Mondmeere, welchem ich, da es die Wissenschaft noch nicht kennt, hiermit einen Namen verleihe. Ich taufe dieses Mare: Oceanus immensum.«
Price war eben damit beschäftigt, mit dem Fernstecher die weite Ebene nach allen Richtungen hin zu durchmustern, als er plötzlich ausrief: »Holla! Herr Professor, was sehe ich da!«
Mac Milford war mit einem Sprunge bei ihm. »Was sehen Sie?«
»Die Reste einer verschütteten Stadt,« lautete die Antwort des jungen Schotten.
Der Professor riß ihm das Fernglas aus der Hand und ließ sich von Price die Richtung bezeichnen, wo er das Seltsame gesehen haben wollte.
»Alle Wetter, Mr. Price, da haben Sie eine schöne Entdeckung gemacht; ich bin starr. Auf solche Reste jahrtausendealter menschlicher Tätigkeit hätte ich hier nie und nimmer gerechnet. — Schnell, Miß Watson, hier, schauen Sie auch einmal hindurch. Erblicken Sie dort nahe am Horizonte die Reste kunstvoller Steinbauten?«
Mary sah aufmerksam nach der bezeichneten Stelle hin und rief erstaunt aus: »Welche Überraschung!«
Mac Milford visierte jetzt seinen Refraktor auf die verfallene Stadt. »Es sind Meisterwerke der Baukunst darunter ... Säulen im korinthischen und dorischen Stile. Ich vermag eine wunderbare Architektur zu sehen. Das ist hochwichtig, Mr. Price, hochwichtig!« Der alte Gelehrte war schier außer sich über die Entdeckung und hatte nun nichts eiligeres zu tun, als den »Sirius« auf die besagte Stelle zuzulenken.
»Ich bin einfach sprachlos, daß wir hier auf diesem Gestirn derartiges zu Gesicht bekommen,« rief Price aus.
»Einstmals herrschte auch auf dem Monde Frühling und Sommer, und die Natur war hier oben eine tropische. Was Sie jetzt sehen, ist freilich unwirtlich. Die Periode der Eiszeit hat aller gedeihlichen Entwicklung eine Grenze gesteckt.«
»Wir steigen doch selbstverständlich nieder, sobald wir dieses selenitische Pompeji erreicht haben?«
»Natürlich,« gab der Professor zur Antwort und beschleunigte die Geschwindigkeit seines Vehikels.
Von Minute zu Minute wurden die Trümmerreste, welche ein großes Areal einnahmen, dem freien Auge mehr und mehr sichtbar.
»Halt,« rief Mr. Price plötzlich aus, »da fällt mir ein, daß ich in dem Archiv, welches sich in der TriesneckerStadt befindet, ein Hautmanuskript gelesen habe, worin von einer gewaltigen Residenz des Urpanarchen erzählt wird.«
»Das ist interessant, sehr interessant,« ließ sich der alte Professor vernehmen. »Bitte, berichten Sie mir doch darüber weiteres.«
»Es muß jene Stadt dort unten diese Residenz gewesen sein, denn in dem Hautmanuskripte wurde erwähnt, daß sie unter dem Teile des Himmels läge, auf dessen schwarzer Fläche nicht jene gewaltige große leuchtende Kugel zu erblicken sei, welche für andere Gegenden sichtbar ist. Daß mit jener leuchtenden Kugel die Erde gemeint ist, dürfte wohl kaum zweifelhaft sein.«
»Das ist sicher, mein lieber Price.«
Inzwischen schwebte der »Sirius« schon über der durch Lavaströme zerstörten Stadt. Im Hintergrunde derselben erblickten unsere Reisenden einen kleinen Kranz Krater, deren feurige Schlünde wohl einstmals die Gegend mit flüssigem Gestein verheert hatte.
»Erblicken Sie dort inmitten dieses historischen Trümmerhaufens den großen quadratischen Tempelblock?« ließ sich jetzt der Professor vernehmen, indem er Price auf eine Stelle aufmerksam machte.
»Gewiß; Sie meinen doch wohl jene gigantische Säulengruppe?«
»Ganz recht. — Sind diese Reste nicht wunderbar erhalten?«
»Ich pflichte Ihnen vollkommen bei, Herr Professor; dieses ehemals mächtige Bauwerk ist ein herrliches Denkmal aus der Urzeit der Seleniten.«
»Nun wollen wir hinabfahren,« sagte Mac Milford, und dirigierte sein Fahrzeug so, daß es sich allmählich auf die Ruinenstadt herabsenkte.
»Meine Erwartungen sind aufs äußerste gespannt,« warf jetzt Miß Watson dazwischen. »Wollen wir diese Stätte betreten, Herr Professor?«
»In wenigen Augenblicken werden wir landen und dann sogleich eine Wanderung durch dieses lunarische Herkulanum antreten. Ich hoffe doch, Sie sind einverstanden damit?«
»Oh, mit Freuden,« erwiderte Miß Mary, »ich könnte mir keine interessantere Partie denken.«
Der »Sirius« berührte wenige Augenblicke darauf den Boden, und die Insassen desselben stiegen aus. Nunmehr zog der kleine Trupp durch die Straßen der zerfallenen Residenz; oft blieb Mac Milford vor dem einen oder anderen interessanten Bauwerke stehen und bewunderte den Kunstsinn, welchen deren Erbauer besessen haben mußten.
»Daran könnten ja wahrhaftig unsere irdischen Baumeister lernen,« rief der Alte aus.
»Ich kann mich von meiner Überraschung noch immer nicht erholen,« meinte Price, »auf einen solchen Anblick hatte ich nicht gehofft. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß auf dem unwirtlichen Monde solche wunderbare Bauwerke anzutreffen seien, wenn sie auch jetzt in Schutt und Asche liegen.«
»Die Trümmer zeugen von einer großen Zeit,« meinte Mac Milford. »Es müssen mindestens tausend Jahre seitdem verflossen sein, als diese Bauten von Menschenhänden geschaffen wurden.«
»Ich bin höchlichst verwundert darüber, daß der Zahn der Zeit nicht noch mehr an diesen Bauwerken genagt hat.«
»Ein Beweis, daß das Material, welches die Herren Seleniten verwendet haben, ein äußerst solides und wetterfestes gewesen sein muß.«
»Was ist das für ein Gestein, Herr Professor, welches zur Verwendung gekommen ist?«
Mac Milford trat an einen mächtigen rechteckigen Steinblock heran und prüfte die Oberfläche desselben. »Es ist eine Quarzart, Mr. Price, aber eine andere, als wie solche auf Erden vorkommt. Sie ähnelt in etwas dem irdischen Sandstein, ist dabei jedoch bedeutend härter und glänzender.«
»Wie ist es nur möglich, daß wir auf Erden dieses Gestein nicht kennen?« frug Price verwundert.
»Oh das ist sehr einfach,« meinte der Professor. »Erstens sind die vulkanischen Eruptionen auf dem Monde nicht so ganz den irdischen ähnlich verlaufen, zweitens muß auch die Erstarrung dieses Satelliten schneller als die der Erde verlaufen sein, sodaß die Bildung besonderer Steinarten dadurch möglich wurde.«
»Wie wunderbar die Ausmeißelungen der Quader sind,« meinte Miß Watson und betrachtete eine abgebrochene Säule.
»Sehen Sie hier, dieses Gebäude; alle Räume in ihm waren sechseckig geformt. Dort schien sich der Hauptwohnraum befunden zu haben, hier eine Art Küche, da jedenfalls ein Schlafraum, daneben erblicken Sie mit Sicherheit einen Baderaum ....« So erklärte der Professor, indem er den zertrümmerten Bau hin und her durchschritt.
»Es würde sich vielleicht verlohnen, hie und da die Lava, welche besonders interessante Stellen dieser Ruinenstadt bedeckt, hinwegzuschaffen. Die Ausgrabungen in Pompeji haben ja auch große Resultate im Gefolge gehabt. Wer weiß, auf was wir hier noch stoßen könnten.«
»Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir unter der Lavadecke vielleicht ganz wohl erhaltene Menschenskelette aus jener großen Kulturepoche der Seleniten entdecken würden.«
»Puh!« rief Mary Watson aus und schauderte hierbei ein wenig.
»Ich würde viel darum geben,« meinte der alte Gelehrte, »wenn wir irgendwo einmal einige versteinerte Körper der Seleniten auffänden. Ich könnte daraus Schlüsse auf das damalige Geschlecht ziehen.«
»Ich eile, Herr Professor, um eine Schaufel und eine Axt herbeizuschaffen. Sie haben ja derartiges Werkzeug drüben im Fahrzeug liegen,« rief Price und begab sich zum »Sirius« zurück.
Der Alte bejahte dies und begann bereits zu untersuchen, an welcher Stelle sich wohl die Ausgrabung am ehesten verlohnen dürfte.
Es dauerte nicht lange, so schien Mac Milford einen besonders interessanten Ort aufgefunden zu haben und winkte alsdann dem herankommenden Price zu, welcher mit Axt und Schaufel sogleich die Arbeit begann.
Die Seleniten, welche nicht recht wußten, was ihre irdischen Genossen vorhatten, sahen verwundert dem Treiben des neuen Panarchen zu. Es schien ihnen nicht klar zu sein, was jener unter den Trümmern eigentlich suchte. Rzelloe frug den eifrig arbeitenden Price, warum er so emsig in dem Boden herumwühle. Dieser erklärte ihm mit wenigen Worten seine Absicht. Rzelloe begriff dies und beteiligte sich nunmehr mit an der Arbeit.
Während der Eine hackte und der Andere schaufelte, untersuchte der Professor die bloßgelegten Stellen, ohne eine Zeit lang etwas Besonderes zu entdecken.
»Alle Wetter! Was ist das?« rief Price nach einiger Zeit und löste mit der Axt einen Kasten, welcher von Metall zu sein schien, aus dem Schutt heraus.
»Eine Kiste, das ist aber merkwürdig!«
»Ist sie verschlossen?« George Price untersuchte sogleich den Gegenstand und fand, daß es tatsächlich ein Behälter war, in dem sich etwas zu befinden schien. Die Kiste mochte etwa 20 cm lang und ebenso breit sein; sie bestand aus zwei Hälften, welche mit einander fest verbunden waren.
»Wir wollen das Ding öffnen,« meinte der Professor.
Schon war Price dabei, den Deckel aufzuschlagen, als Mac Milford rief: »Halt! Vorsicht, es könnten sich interessante Sachen in dem Behälter befinden und es wäre schade, wenn Sie dieselben zertrümmerten.«
Neugierig umstanden die Übrigen den Fund. Den Bemühungen Prices und Rzelloes gelang es schließlich, die Kiste so zu öffnen, daß sie plötzlich in zwei Teile auseinander fiel.
»Ah!« tönte es von den Lippen der Erdbewohner.
Dieser Bewunderungsruf war durch einen seltsamen Gegenstand hervor gelockt worden. Im Innern des Kastens fand man nämlich eine Art Gürtel, welcher mit taubeneigroßen Diamanten besetzt zu sein schien.
»Wenn die Steine echt sind, so besitzt der Gegenstand einen unermeßlichen Wert,« ließ sich Price vernehmen.
»Prüfen wir denselben,« meinte Mac Milford und nahm den Gürtel in die Hand, zog den Chronometer hervor und ritzte mit einem der eingesetzten Diamanten das Glas seiner Uhr. »Wahrhaftig, es sind echte Steine, sehen Sie nur, auch dieses Feuer und dieses prächtige Farbenspiel!«
Miß Watson war von alle dem höchst entzückt. Welche Evastochter würde nicht beim Anblick eines so herrlichen Schmuckes in Ekstase geraten.
Der seltsame kostbare Fund gab natürlich Veranlassung, daß die Ausgrabungen mit einem großen Eifer betrieben wurden, hoffte man doch noch auf mehr derartige Dinge zu stoßen. Der Gürtel wurde in Marys Hände gegeben und diese begab sich mit dem funkelnden Geschmeide sofort in das Innere des »Sirius«, um ihn dort in Sicherheit zu bringen.
Als Mac Milford den Behälter, welchen sie soeben ausgegraben hatten, genauer untersuchte, entdeckte er auf dem Boden desselben allerlei eingeschnitzte merkwürdige Figuren und Zeichen, welche er nicht zu deuten vermochte. Die Entdeckung bewog den alten Gelehrten, den Kasten ebenfalls aufzubewahren.
Während die Ausgrabungen ihren Fortgang nahmen, stießen plötzlich einige der Seleniten laute Schreie aus und zeigten mit der Hand gen Himmel.
»Was, der Drachenflieger?« rief Price aus.
»Wo?« ließ sich Mac Milford vernehmen.
Ersterer zeigte nach einem dunklen Punkt, welcher seitlich über der Gegend schwebte und sehr wohl des Yankees Fahrzeug sein konnte.
»Noch ist es nicht bestimmt, daß es der Drachenflieger ist.«
»Was sollte es aber sonst sein?«
»Hm, darauf muß ich Ihnen die Antwort schuldig bleiben, aber ich muß fest annehmen, daß dort etwas anderes in der Luft schwebt.«
»Ich wette, es ist der Drachenflieger,« rief Price aus, »sehen Sie denn nicht das spitze Ende voran?«
»Nein, nein, Sie irren,« antwortete Mac Milford.
Merkwürdiger Weise vergrößerte sich der sichtbare dunkle Punkt nicht, sondern schien sich mehr und mehr zu entfernen, sodaß er schließlich den Augen entschwand.
Da man nicht herausbekommen hatte, ob es tatsächlich das amerikanische Fahrzeug gewesen war, so dachte man bald nicht mehr an das Ereignis und widmete sich weiter den Ausgrabungen.
»Ich bin neugierig,« ließ sich Price vernehmen, »was bei unserer Wühlerei hier noch zu Tage gefördert wird.«
»Das Auffinden von kostbaren Steinen und Metallen würde mich nicht im entferntesten so erfreuen, wie wenn ich jetzt unvermutet auf Reste fossiler Menschen stoßen würde.«
»Und Sie glauben, daß die Möglichkeit vorhanden ist, auf menschliche Skelette hier zu stoßen?« frug Miß Watson, welche inzwischen wieder zurückgekehrt war und der eifrigen Graberei ihrer Gefährten vergnüglich zuschaute.
»Nicht bloß auf Skelette, Miß Watson, nein, ich wette, daß wir wohlerhaltene Mumien finden werden.«
»Woraus schließen Sie das mit solcher Bestimmtheit, Herr Professor?«
»Nun, es ist sehr leicht möglich, daß wir hier ebenfalls Mumien ausgraben, wie dies daheim auf unserer Erde in dem verschütteten Pompeji Herkulanum der Fall gewesen ist.«
Die Arbeiten der beiden Erdenbewohner und Rzelloes waren von gutem Erfolge. Bald stießen sie auf kunstvolle Tonwaren, bald auf metallene Gegenstände, welche mehr oder weniger ein absonderliches Aussehen hatten und deren früheren Zweck sich die Erdenbewohner nicht recht vorzustellen vermochten.
So gruben die Drei einige Stunden, ohne etwas anderes als die vorerwähnten Dinge zu finden.
»Hier, auch diese metallene Figur beweist, daß auf dem Monde einstmals die Erzgewinnung betrieben worden ist,« sagte der Professor, indem er einen halbmondförmigen glänzenden Gegenstand herausschaufelte und ihn genau betrachtete.
»Es ist doch sicher Eisen,« meinte Price, welcher gleichfalls einen Blick auf den Fund warf.
»Eisen — wiederholte der Professor, »nein, Mr. Price, da irren Sie sich; Eisen ist es nicht, aber Platina, echte Platina.«
»Wir fanden doch bereits ähnliche Gegenstände, welche aus demselben Metall hergestellt sind; demnach ist Platina hier auf dem Monde in großer Menge vorhanden.«
»Ich muß das auch annehmen; es scheint hier oben tatsächlich die Stelle des Eisens zu vertreten. Übrigens glaube ich, daß der Mondleib viel reichere metallische Schätze birgt, als das Innere der Erde.«
»Da ließe sich ja hier oben der erträglichste Bergbau betreiben; könnte man nur das Zeug zur Erde hinübersenden,« meinte Price.
»Ich glaube, daß ich, wenn ich danach suchte, sicher hier oder dort auf verfallene Schächte aus der Urzeit stoßen würde. Denn daß die Vorfahren der Seleniten Bergbau betrieben haben müssen, daran kann ich nicht mehr zweifeln, wenn ich all die Metallsachen welche mir bei der Ausgrabung zu Gesicht gekommen sind, betrachte.«
»Aber wie ich sehe, ist fast alles aus Platina.«
»Oh nein,« erwiderte der Professor auf die von Price hingeworfene Bemerkung. »Schauen Sie diesen Gegenstand an. Ich betrachtete ihn sorgfältig, bin aber völlig außer Stande zu sagen, aus welchem Metall er verfertigt ist. Auf Erden kommt dieses Element nicht vor, davon bin ich überzeugt. Es scheint mir die Mitte zwischen Blei und Silber zu halten.«
»Also ein völlig neues Metall, was wir auf Erden nicht kennen?«
»Ja, ich wäre eigentlich begierig, das Atomgewicht desselben kennen zu lernen,« gab Mac Milford zur Antwort. »Ich könnte daraus einen Schluß ziehen, welcher Elementengruppe das Metall angehört.«
»Was auf dem Monde vorkommt, könnte doch auch auf der Erde vorhanden sein,« meinte Price. »Höchstwahrscheinlich wird es bei uns daheim noch entdeckt werden.«
»Der Ansicht bin ich auch, denn verschiedenfach hat die Forschung auf spektralanalytischem Wege im glühenden Sonnenballe Stoffe entdeckt, welche auf Erden noch völlig unbekannt waren, die aber eine Zeit später auch als irdische Elemente aufgefunden wurden.«
»Es ist doch seltsam, daß ...« Hier wurde der Sprecher durch des Professors Ausruf unterbrochen.
»Hurrah!« rief Mac Milford, »endlich finde ich das Gesuchte!«
Der alte Gelehrte war eifrig beschäftigt, die harte Lava an einer Stelle aufzuhacken.
»Ist es möglich!« rief Mary Watson aus und wich einen Schritt zurück.
George Price eilte der Stelle zu, wo Mac Milford den wichtigen Fund gemacht hatte. »Wo ist das Skelett? Ich bemerke ja garnichts.«
»Hier, sehen Sie nicht den unteren Teil eines menschlichen Beines?«
»Wahrhaftig, und wie wunderbar das Gebein erhalten ist.« Jetzt half auch Price dem Professor bei der Arbeit, das Skelett aus der Lavaumhüllung herauszuschälen, was keine leichte Sache war, wollte man nicht jeden Augenblick Gefahr laufen, das anscheinend sehr wohl erhaltene Gerippe zu beschädigen. Als dieses völlig vom Schutt freigelegt war, konnten die Erdenbewohner deutlich bemerken, daß die Urseleniten im Körperbau und der Schädelbildung sehr den europäischen Menschen ähnelten.
Jetzt half auch Price dem Professor das Skelett aus der Lavaumhüllung herauszuschälen.
Mac Milford und seine Gefährten waren noch emsig damit beschäftigt, das Skelett genau zu betrachten, als einer der in der Nähe stehenden Seleniten einen Ruf ausstieß, welcher aller Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Im Nu ließen die Erdbewohner ihre Blicke umherschweifen und gewahrten fast senkrecht über ihrem Haupte den amerikanischen Drachenflieger.
»Der Yankee ist uns wahrhaftig gefolgt,« rief der Professor aus.
»Hol' ihn der Teufel!« schrie Price und blickte wütend nach oben.
Die Bewegungen des Drachenfliegers verrieten nur zu deutlich, daß man beabsichtigte, alles Tun und Treiben der britischen Eroberer zu beobachten.
»Jetzt ist es mit den Ausgrabungen zu Ende,« sagte Mac Milford und warf seine Schaufel hin.
Price tat das Gleiche.
»Wir müssen zurück zum »Sirius‹,« meinte der Alte.
Mary war bereits vorausgeeilt und die Seleniten folgten ihr auf dem Fuße.
»Ich möchte wissen, was der Yankee wieder Böses im Schilde führt,« ließ sich Price vernehmen. »Vermutlich beratschlagt er mit dem schurkischen Panarchen, welchen Streich sie uns spielen können.«
»Da der Amerikaner der selenitischen Sprache nicht mächtig ist, so werden sie Beide wohl schwerlich einen Pakt schließen können.«
Unter drohenden Bemerkungen erreichte Price den »Sirius« und postierte sich vor demselben.
Daß die Insassen des Drachenfliegers sich nicht zu landen wagen würden, darüber bestand wohl kein Zweifel. Plötzlich fiel ein Schuß.
»Bombenelement!« schrie Price. »Die Schurken haben es auf unser Leben abgesehen. Wenn wir noch ferner Gnade und Erbarmen üben wollen, so wäre es verfehlt. In die Hölle mit den Schuften!«
»Ja, jetzt ist es mit meiner Geduld auch zu Ende,« meinte Mac Milford und griff zu einer Waffe. »Ich bin ja kein Freund von blutigen Kämpfen, aber ich sehe ein, daß wir uns verteidigen müssen.«
Price war inzwischen in den »Sirius« gestiegen und hatte sich ebenfalls mit einer Waffe versehen. Sogleich feuerte er einen Schuß auf den etwa 50 Meter über der Mondoberfläche schwebenden Drachenflieger ab. Die Kugel schien jedoch dem Fahrzeug nichts anhaben zu können, denn gleich darauf tauchte der Kopf des Amerikaners aus der Luke seines Vehikels auf und sein Arm streckte das Sternbanner der Union in die Höhe.
»Ziehe nur Deine Gridironflagge *) ein!« schrie Tom hinauf und ballte beide Fäuste.
Jetzt machte der Drachenflieger Anstalt, weiter zu fahren; sein Kurs richtete sich gegen Nordosten.
»Wir wollen ihnen nach, Herr Professor, wir dürfen die Bösewichter nicht entweichen lassen; solcher Verrat muß bestraft werden.«
*) Heißt soviel wie Bratrostflagge. Englischer Spottname für das nordamerikanische Ster
nenbanner.
Mac Milford war von einer Verfolgung nicht recht erbaut und riet zu wiederholten Malen davon ab. Da George Price gar zu ungestüm auf die Verfolgung drang, so ließ sich der Professor endlich dazu bewegen und ließ den »Sirius« sich in die Lüfte erheben.
Der Yankee mochte wohl gesehen haben, daß man ihm folgte, denn es war deutlich zu bemerken, daß die Fahrt des Drachenfliegers wesentlich beschleunigt wurde.
»Aha, die Kerle nehmen Reißaus! Kommen sie in meine Hände, so stehe ich nicht dafür ein, daß ich eine Lynchjustiz an ihnen vornehmen werde!« rief Price drohend aus.
Auch der »Sirius« fuhr jetzt in einem rascheren Tempo, sodaß er das fliehende amerikanische Fahrzeug bald einholte. So sausten die beiden irdischen Vehikel durch die Lüfte und näherten sich nach kurzer Zeit der Nordpolgegend des Mondes.
Da kein weiterer Schuß seitens des Amerikaners gefallen war, so nahm man auch im »Sirius« keine Veranlassung, von der Waffe Gebrauch zu machen; was auch völlig zwecklos gewesen wäre, denn keine Kugel hätte den Metallpanzer des Drachenfliegers durchbohrt, und dessen Insassen hüteten sich wohlweislich, am Fenster sichtbar zu werden.
Nach etwa einstündiger Fahrt sah Mac Milford zu seinem Erstaunen, daß der in etwa fünfzig Meter Abstand nebenherlaufende Drachenflieger plötzlich wie fest genagelt in der Luft stehen blieb.
»Was ist das?« rief er aus, »sie stoppen!«
»Jetzt gibt es einen Angriff,« meinte Price, »sie erwarten uns.«
»Um des Himmels Willen, Herr Professor, veranstalten Sie keinen Kampf,« bat Mary Watson.
»Wir müssen unsern Feinden Mores lehren,« meinte Price. »Ich bin jetzt der Panarch der Mondstaaten, der Vertreter der Königin von England und Schottland, und als solcher steht mir das Recht zu, über Leben und Tod der auf dem Monde weilenden Menschen zu entscheiden. Jene dort haben ihr Leben verwirkt und ich werde sie nicht schonen!«
Unterdessen hatte Mac Milford sein Fernglas nach dem Drachenflieger gerichtet und erstaunte nicht wenig, als er bemerkte, daß das Fahrzeug nicht ganz still lag, sondern sich bestrebte, vom Flecke zu kommen, was aber nicht gelang. Das Vehikel schwankte wie ein Rohr im Winde, ohne sich auch nur einen Schritt weiterbewegen zu können. Das kam dem Professor wunderlich vor.
»Ich glaube bald, sie können nicht weiter, sehen Sie nur, Mr. Price, welche Anstrengungen sie drüben machen, und trotzdem schwankt das Fahrzeug nur hin und her ohne von der Stelle zu kommen.«
Mary und Price sahen erstaunt den unruhigen Bewegungen des amerikanischen Vehikels zu.
»Ob die Mechanik ihren Dienst versagt?«
»Das wäre nicht unmöglich. Es geschähe denen schon recht, wenn sie von einem Unglück überrascht worden sind!«
»Halt!« rief Mac Milford, »ich glaube die Ursache jetzt zu kennen. Wir befinden uns in der Nähe des magnetischen Pols.« Mit diesen Worten stoppte der Alte sofort sein Fahrzeug, damit es nicht ebenfalls in den Bereich des verhängnisvollen Polpunktes komme.
Schon war es die höchste Zeit, daß die Fahrt des »Sirius« unterbrochen wurde, denn es machten sich bereits Anzeigen bemerkbar, welche auf den Lauf des Vehikels störend einwirkten.
Drüben steckte der Yankee jetzt, selbst auf die Gefahr hin, daß man ihm von britischer Seite ein Stückchen Blei hinüberschicke, seinen Kopf durch die Einsteigluke, um nach der Ursache zu sehen, welche den Stillstand seines Fahrzeuges bewirkte.
»Ob der Drachenflieger auch auf dem toten Punkte im Weltall stillgelegen hat?« meinte Price jetzt.
»Sicher; es ist mir aber ein Rätsel, wie der Yankee es verstanden hat, diese Schreckensgrenze zu überschreiten,« antwortete Mac Milford.
Der Vertreter der nordamerikanischen Union kletterte in diesem Augenblick auf die Decke seines Fahrzeuges und bot so für die Waffen seines Nachbarn die beste Zielscheibe.
»Jetzt könnten wie ihm fein das Lebenslicht ausblasen,« meinte Price.
»Morden Sie nicht, Mr. Price!« rief Mary Watson aus.
»Das ist kein Mord,« erwiderte der Student. »Solcher Verrat, wie er ihn geübt, ist nicht schwer genug zu bestrafen.«
Auch der Kopf des Panarchen wurde jetzt außerhalb des Drachenfliegers sichtbar und bot ebenfalls eine Zielscheibe für die Waffen der Briten.
»Lassen Sie,« sagte der Professor, »sie sind genug bestraft, wenn wir sie nicht aus der verzwickten Lage da drüben befreien.«
»Wieso —?«
»Ohne menschliche Hilfe werden sie nicht wieder vom Fleck kommen.«
»Das Fahrzeug würde also für alle Zeiten hinaus über dieser Stelle schweben bleiben?«
»Wenigstens so lange, als noch antimagnetisches Fluidum in ihm vorhanden ist.«
Alle Bestrebungen des Yankees, sein Fahrzeug wieder flott zu machen, waren vergebliche. Als er eben wieder durch die Luke verschwinden wollte, hörte er die Stimme seines Gegners herübertönen.
»Daß Euch die Natur hier eine Falle gestellt hat, geschieht Euch recht!« rief Price dem Amerikaner zu. »Nun seht nur zu, wie Ihr loskommt, ich wünsche Euch viel Glück!«
Der Amerikaner antwortete mit einem Fluche und begab sich in das Innere seines Fahrzeuges.
»Könnten Sie ihnen helfen, Herr Professor?« ließ sich jetzt Mary Watson vernehmen.
»Hm,« meinte der Angeredete, »es wäre vielleicht möglich, wenn ich mich nähern könnte und ihnen ein Seil zuwerfen würde.«
»Tun Sie es doch,« bat die Schottin.
»Lassen wir sie lieber zappeln,« meinte Price unbarmherzig, »mögen sie dort sitzen bis zum jüngsten Tage. Ich rühre keine Hand, um sie zu retten!«
Der Professor schien aber doch nicht ganz so zu denken, wie sein Gefährte. »Wenn ich dem Yankee ein Seil zuwerfe und unsere beiden Fahrzeuge damit verbinden würde, so wäre die Möglichkeit vorhanden, daß, wenn ich den »Sirius‹ in entgegengesetzter Richtung fahren ließe, er den Drachenflieger mit von der Stelle zieht.«
»So wollen wir es doch versuchen,« bat Mary. »Man soll seinen Feinden in der Not helfen.«
»Was wir damit erreichen, das haben Sie ja gesehen, Miß Watson, als wir den Panarchen vom Tode erretteten. Jetzt spielt er den Verräter.«
Darauf konnte Mary nichts erwidern.
Als Mac Milford Miene machte, ein langes Tau, welches er für alle Fälle auf die Reise mitgenommen hatte, zu erfassen, da meinte Price nochmals, daß er nicht einen Finger rühren werde, um dem Amerikaner zu helfen.
»Lassen Sie mich nur machen,« sagte der alte Gelehrte. »Ich will mir den Undank der Beiden schon allein verdienen.«
Mit diesen Worten stieg er zur Luke hinauf und schaute aus derselben hinaus. — »Hallo! Hallo!«
Auf diesen Ruf Mac Milfords tauchte des Amerikaners Kopf drüben aus seinem Fahrzeuge auf.
»Was versprecht Ihr mir, wenn ich Euch aus der verzweifelten Lage helfe?« rief der Professor hinüber.
»Ihr wolltet mir helfen? Könntet Ihr es denn?« tönte es von drüben herüber.
»Ich will es versuchen, doch ich knüpfe eine Bedingung an Eure Rettung.«
»Und die ist? — Nennt sie.«
»Ich verlange, daß Ihr zur selben Stunde, wo es mir gelingt, Euch aus dieser Lage zu befreien, vom Monde wegfahrt und zur Erde zurückkehrt.«
Der Amerikaner antwortete auf die Forderung nichts und schien zu überlegen, was er tun solle.
»Wie Ihr wollt,« rief Mac Milford hinüber; »nur unter dieser Bedingung bringe ich Euch Hilfe, sonst mögt Ihr dort sitzen, bis Euch die Luft ausgeht.«
Der Amerikaner machte noch eine Weile vergebliche Anstrengungen, sein Fahrzeug von der Stelle zu bringen. Als er dann endlich einsah, daß dies völlig nutzlose Bemühungen waren, stand er davon ab und rief zum »Sirius« hinüber: »Ich bin bereit, Eure Forderung zu bewilligen, wenn Ihr mir helft.«
»Well!« rief Mac Milford. »Paßt auf, ich werfe Euch das eine Ende eines Seiles hinüber, versucht es aufzufangen, und wenn Ihr es habt, dann bindet es fest an Eurem Fahrzeuge an. Habt Ihr mich verstanden?«
»All right!« tönte es von drüben herüber.
Mac Milford band jetzt das Ende eines Taues am »Sirius« fest und ließ dann das Fahrzeug so weit als möglich an den Drachenflieger herangleiten, um in etwa zwanzig Meter Entfernung den Wurf mit dem Seile zu wagen. Das Manöver glückte nicht gleich beim ersten Male, sodaß der alte Gelehrte unter Hilfeleistung der Seleniten das ausgeworfene Tau wiederholt einziehen mußte, um dann von Neuem den Wurf zu machen.
Endlich gelang es dem Yankee, das Tauende zu erwischen, und nachdem das Seil hüben und drüben befestigt war, ließ Mac Milford den Sirius in entgegengesetzter horizontaler Richtung abfahren. Das Tau spannte sich zum reißen, und bald rührte sich der Drachenflieger von der Stelle. Langsam ging die Schleppfahrt vor sich, aber sie gelang. Etwa zehn Meter von dem Ausstrahlungspunkte des magnetischen Poles entfernt, vermochte der Yankee sein Fahrzeug wieder ohne fremde Hilfe im Luftmeere fortzubewegen.
»Der Undank wird nicht lange auf sich warten lassen.« Mit diesen Worten wandte sich Price an Mac Milford.
»Ich werde darauf ganz entschieden bestehen, daß der Amerikaner sein gegebenes Versprechen hält, sonst soll er sehen, daß auch ein gutmütiger Alter einmal recht ungemütlich werden kann.«
»Nun bin ich doch neugierig, ob er sogleich Anstalten zur Rückfahrt vom Monde trifft.«
»Scheint nicht so,« warf Miß Watson dazwischen. »Sehen Sie, wie er immer in horizontaler Richtung herumstreift.«
Tatsächlich sah man den Drachenflieger sich weder erheben noch senken, sondern er fuhr in grader Richtung langsam von dannen, sich anscheinend nicht mehr um seine Helfer bekümmernd.
»Warte, das werde ich Dir anstreichen!« schrie Price und ein Schuß folgte seinen Worten.
Wiederum schien dieser knallende Gruß den Amerikaner nicht im mindesten zu rühren; wenn nicht alle Anzeigen trügten, war er eifrig damit beschäftigt das Weite zu suchen.
Diese Absicht trat denn auch bald deutlich zu Tage. Jetzt ging es selbst Mac Milford über den Spaß.
»Ich werde ihn zwingen, den Mond zu verlassen.« Bei diesen Worten beschleunigte er die Fahrt des »Sirius« so, daß er mit unheimlicher Schnelligkeit dem Flüchtlinge nacheilte. Die Fahrt war in wenigen Minuten eine so rasende, daß das Vehikel wie ein Blitz an dem Drachenflieger vorbeisauste, und um ein Haar hätte es diesen vernichtet.
»So, den Burschen hätten wir eingeholt,« meinte Mac Milford und drehte sein Fahrzeug bei.
»Fahren Sie doch das Ding über den Haufen, Herr Professor.«
»Wenn das nur so leicht ginge, mein lieber Price. Wie ich Ihnen schon sagte, müssen wir auch auf uns bedacht sein. Die Kollision könnte unserem Vehikel viel mehr schaden, als dem Drachenflieger.«
Price sah dies ein und kämpfte seinen Groll ein wenig nieder.
Mary Watson schwebte bereits in tausend Ängsten, daß sich wieder etwas Schlimmes ereignen könnte.
Als die beiden Fahrzeuge dicht neben einander herfuhren, rief Mac Milford nochmals einem Nachbar zu, daß er sein Versprechen einlösen solle, andernfalls er ihn dazu zwingen werde.
Der Amerikaner schien die Drohung verstanden zu haben, denn plötzlich erhob sich der Drachenflieger und eilte dem Weltäther entgegen.
»Goddam, jetzt bekommt der Kerl doch Furcht,« ließ sich Price vernehmen. »Man muß diesen zähen Amerikanern nur gehörig drohen.«
»Sein Kurs ist aber nicht nach der Erde gerichtet,« erwiderte Mac Milford.
»Möchte der doch zum Teufel fahren! Ich wünschte, daß er überhaupt nicht mehr zur Mutter Erde zurückgelangte, sondern da draußen elend im Äther erstickte oder in der Eiskälte des Weltenraumes zu einem Eiszapfen erstarrte!«
Dieser fromme Wunsch Prices entlockte sowohl dem Professor als Miß Mary ein Lächeln.
Nach etwa zehn Minuten konnte man das amerikanische Fahrzeug kaum noch erkennen, und wenige Augenblicke darauf entschwand es völlig den Blicken der Insassen des »Sirius«.
»Ich hätte wahrhaftig nicht geglaubt, daß er unsere Drohung respektiert.«
»Nun, er sah doch wohl schließlich ein, daß er der Gewalt weichen muß,« erwiderte der alte Gelehrte.
»Sein Glück! Ich hätte den Schurken sonst gelyncht!«
Nachdem man noch eine Zeit lang dem entschwundenen Drachenflieger nachgeschaut hatte und nicht bemerkte, daß er wieder zurückkehrte, beschloß Mac Milford, seine Fahrt um den Mond bald fortzusetzen.
»Nunmehr haben wir freies Feld; ich werde jetzt bei den Selenitenstämmen mein Panarchenrecht geltend machen.«
»Kehren wir wieder zu der Trümmerstadt zurück?« frug Miß Watson.
»Oh nein,« gab der Gefragte zur Antwort. »Ich gedenke jetzt das große Mare, den Oceanus immensum in raschem Fluge zu durchqueren.«
»Sie wollen also weitere Untersuchungen hier nicht anstellen?«
»Nun, ich habe mir zum Glück schon einige Notizen über die wichtigsten Funde gemacht, welche, wie ich glaube, mir vorläufig genügen werden.«
»Herr Professor, ich verspüre, gelinde gesagt, Appetit. Wären Sie in der Lage, mir etwas auftischen zu können?«
»Oh, mit Vergnügen,« antwortete der Alte und beeilte sich, Eßbares herbeizuschaffen.
»Sapperlot, mich gelüstet danach, einmal ein echtes irdisches Mahl zu genießen,« meinte George Price und schnalzte mit der Zunge.
»Bedaure, daß ich Ihnen damit nicht dienen kann. Wir haben die Reste der mitgenommenen Sachen bereits nach unserer Abfahrt vom Liliputmonde vertilgt und dazu eine Flasche Champagner auf das Wohl der Mutter Erde und ihrer Kinder getrunken.«
»Champagner, Sapristi! Das wäre jetzt gerade mein Fall.«
»Zum Glück habe ich noch so eine goldköpfige Bouteille in meinem Vorratsschrank.« Der Alte holte jetzt eine Flasche und mehrere Gläser herbei.
»Champagner ohne Eis, Herr Professor?«
»Natürlich, Eis habe ich hier nicht, Mr. Price, aber der Sache ist leicht abzuhelfen. Sehen Sie, ich habe hier in diesem Behälter mehrere Liter flüssige Luft. Wollten wir die Flasche da hineinsetzen, so würde in weniger als einer Sekunde die kostbare Flüssigkeit so abgekühlt und festgefroren sein, daß Sie dieselbe zu Pulver zerstoßen können.«
»Ah, das gäbe ja dann ein sogenanntes Champagnereis,« ließ sich Miß Watson vernehmen, »das wäre nun wieder mein Fall.«
»Ja, wem soll ich es denn nun recht machen? — Ich werde die Kühlung des Champagners in der Weise vornehmen, daß ich jetzt diesen Behälter hier öffne, und im selben Augenblick wird die in ihm enthaltene flüssige Luft in Dampfform entweichen. In das verdampfte Fluidum werde ich die Flasche halten, und Sie werden sehen, welch prächtig gekühltes Getränk Sie in wenigen Augenblicken schlürfen werden.«
Der Professor tat, wie er gesagt, und wenige Augenblicke später schenkte er die Gläser voll des edlen Rebensaftes.
»Es ist der letzte Tropfen, trinken wir ihn mit Andacht und Verstand!«
Als Price das Glas an den Mund setzte, rief er aus: »Ei, in drei Teufels Namen, das Weinchen hat eine solide Temperatur! Ganz so, wie ich es wünsche. Was ist das eigentlich für eine Marke, Herr Professor?«
»Es ist Veuve Cliquot, lieber Price.«
»Alle Achtung vor dieser pikanten Sorte!«
Die Seleniten sahen das in den Gläsern perlende Getränk verwundert an.
Als Rzelloe einen Schluck von dem Sekt zu kosten bekam, schnalzte er mit der Zunge; für ihn mochte dieser Trank der reine Nektar sein.
Verschiedenfach warf Mac Milford einen Blick durch die Fenster seines Vehikels, um Gewißheit zu erlangen, daß der Amerikaner es sich nicht einfallen ließ, wieder zurückzukehren, doch war nichts zu sehen.
»So, meine Herrschaften, jetzt werde ich Ihnen ein Mahl auftischen.« Mit diesen Worten holte der Professor einige Büchsen herbei, öffnete sie und schüttete auf ein Blatt Papier eine pulverförmige, weißgraue Masse, benetzte diese mit Wasser und formte sie zu kleinen Kuchen.
Nach dieser frugalen Mahlzeit, welche aus Stärkemehlkuchen und einigen Resten irdischer Nahrungsmittel bestand, begaben sich die Erdenbewohner wieder zu den Fenstern, um die Landschaften, welche sie überflogen, in Augenschein zu nehmen. Soweit ihr Blick reichte, sahen sie nichts als eine ungeheure Steppe.
»Wir schweben hier anscheinend über einer Wüste, welche der irdischen Sahara an Größe und Einförmigkeit nichts nachgiebt,« meinte Price.
»Mit dem Unterschied, daß die Sonnenglut hier oben keine so sengende ist, wie daheim auf afrikanischem Boden,« entgegnete der Professor.
»Ob wohl die ganze Antipodenhemisphäre eine einzige Tiefebene ist?«
»Wenigstens werden wir nicht viel Gebirge zu Gesicht bekommen. Es ist das auch leicht erklärlich,« meinte Mac Milford, »denn da der Mond der Erde immer ein und dieselbe Seite zuwendet, so ist selbstverständlich die Anziehung auf die betreffende Seite eine besonders starke.«
»Ah so, jetzt verstehe ich es, warum die von der Erde aus sichtbare Mondseite so außerordentlich viele Gebirge und Krater aufweist, während die entgegengesetzte Hemisphäre fast völlig flach zu sein scheint. Ich vermute nämlich, daß die Anziehungskraft der Erde in Urzeiten, als die glühende Masse des Mondes zu erstarren begann, auf diese Seite besonders gewirkt haben muß, wodurch die Bodenspalten und Kraterbildungen entstanden sind.«
»Ihre Hypothese ist gar nicht übel,« meinte der alte Gelehrte, »und könnte schon neben anderen wissenschaftlichen Anschauungen zu Recht bestehen.«
Die Reisenden näherten sich jetzt fast der Mitte der Antipodenseite, ohne bisher auf von Menschen bewohnte Gegenden gestoßen zu sein. Die trostlose Ebene unter ihnen schien kein Ende nehmen zu wollen; weder Bäume noch Sträucher wuchsen auf ihr, und keinerlei Getier belebte das Land.
»Diese Tiefebene muß einstmals, ehe die Vorfahren der Seleniten existierten, ein riesenhafter Ozean gewesen sein,« meinte Mac Milford, der die Landschaft unter sich mit dem Fernrohr betrachtete.
»Woraus folgern Sie das, Herr Professor?«
»Sehr einfach, Mr. Price, ich sehe es an den verschiedenen Schichten, welche den Boden bilden, dort wo das Mare von breiten, klaffenden Bodenspalten durchzogen wird.«
»Mir scheint es, als ob wir hier drüben kaum Gelegenheiten zum Landen haben werden,« meinte Miß Watson.
»Sie glauben, daß wir hier keine Seleniten antreffen werden, denen wir klar zu machen haben, daß sich ihr neuer Panarch in den vier Wänden dieses Vehikels befindet?«
»Ganz recht, Herr Professor; wir sehen ja keine Krater und wo diese nicht sind, dürfen wir wohl auch keine Mondbewohner vermuten.«
Der Professor konnte auf Marys Frage nicht gleich antworten, denn sein Auge wurde anscheinend durch etwas Interessantes gefesselt.
Was Mac Milford durch das Fernrohr jetzt erblickte, war ein langgestreckter Bergzug, der sich wie ein schwarzer Streifen am fernen Horizonte markierte.
»Haben Sie wieder eine Entdeckung gemacht, Herr Professor?« frug Mary neugierig.«
»Jawohl, Miß Watson, bald werden wir über einem mächtigen Gebirgsstocke schweben.«
Die Fahrt des »Sirius« war eine derart schnelle, daß in weniger als zwei Stunden bereits drei Viertel der Antipodenseite durchquert war. Als sich das Vehikel mehr und mehr dem Südpole des Mondes näherte, überflog es das von dem alten Gelehrten erwähnte Gebirge, welches gleich einer ungeheuren Kette sich rechts und links viele hundert Meilen weit in der Ferne verlor. Zahllose Berggipfel ragten wie Kirchtürme empor; diese ganze Gebirgslandschaft ähnelte etwa der der nordamerikanischen Rocky Mountains.
Mac Milford prüfte einen kleinen Apparat, welcher an der Wand aufgehängt war und der die Stelle eines Barometers vertrat.
»Wir befinden uns jetzt etwa zehntausend Meter über der Oberfläche des Mondes; tausend Meter tiefer liegen die höchsten Gipfel, folglich sind die Berge dieser Antipodenseite um ein Erhebliches höher, als die auf der anderen Hemisphäre.«
»Darf ich einmal einen Blick durch das Fernrohr werfen, Herr Professor?« ließ sich Mary vernehmen.
»Oh bitte, tun Sie das nur.«
Miß Watson musterte die riesenhafte Bergkette. »Ich sehe dort an dem Abhange, dessen Steilheit Ihnen wohl auch aufgefallen ist, eine ganze Reihe gleich großer Löcher; man sollte fast glauben, es sei ein Festungswall.«
»Ich habe noch nichts davon bemerkt,« erwiderte Mac Milford und trat schnell an das Fernrohr heran. »Da haben Sie tatsächlich eine Merkwürdigkeit entdeckt, Miß Watson, das sieht ja ganz seltsam aus.«
Auch Price betrachtete die erwähnte Stelle, und da sich alle neugierig zeigten ob der durchlöcherte Abhang von der Natur oder von Mondmenschen geschaffen war, so wurde das Vehikel auf die Landschaft hinabdirigiert.
»Wir wollen landen,« meinte der Professor. »Ich möchte die Stelle einmal gründlich in Augenschein nehmen.«
Wenige Minuten später erreichte der »Sirius« den Boden.
Mac Milford und George Price stiegen aus, während Mary mit den Übrigen zurückblieb. Erstere hatten sich mit einer Laterne versehen und schritten auf die steile Bergwand zu. Eine große Anzahl Öffnungen, welche sorgfältig ausgemeißelt schienen, boten sich den Blicken der Ankömmlinge dar.
»Ich bin wirklich gespannt, was diese Anlage, die doch sicher von Menschenhänden herrührt, bedeuten soll,« ließ sich Price vernehmen und leuchtete in eine der dunklen Öffnungen hinein.
»Meine Phantasie läßt mich hier auch völlig im Stich,« gab der Professor zurück; »doch wir werden es ja gleich sehen, lassen Sie uns eintreten.«
Beide verschwanden durch eine der vielen Öffnungen und betraten einen langen, schmalen Weg, um dann nach etwa zehn Schritten auf einen quer verlaufenden Pfad zu stoßen. Indem sie diesen verfolgten, gelangten sie auf weitere Wege, um endlich in eine große Halle einzutreten.
Überrascht blieben die beiden Wanderer stehen, als sie beim Scheine ihrer Laternen erkannten, daß sie sich in einer Totengruft befanden.
»Katakomben,« ließ sich der Professor vernehmen.
»Wahrhaftig, Katakomben,« erwiderte Price.
Zahllose Menschenskelette lagen rings herum auf den schräg verlaufenden Wänden, in Reih und Glied geordnet.
Zahllose Menschenskelette lagen rings herum auf den
schräg verlaufenden Wänden in Reih und Glied geordnet.
Der alte Gelehrte durchschritt die Halle und schätzte die Zahl der in den Katakomben vorhandenen Gerippe auf viele Tausende.
Die Temperatur dieser Totenstätte war eine ziemlich warme, und die Luft schien ausnehmend trocken zu sein.
»Wie alt mag wohl diese Begräbnisstätte sein?« frug Price.
»Die Summe von einigen tausend Jahren dürfte nicht zu hoch gegriffen sein.«
Nach einer gründlichen Besichtigung der Katakomben traten die beiden Erdenbewohner den Rückweg an. Als sie eine Weile durch die sich verschiedenfach kreuzenden Wege gegangen waren und noch immer nicht ins Freie gelangten, meinte Price: »Alle Wetter, Herr Professor, wir werden uns doch nicht etwa in diesem Labyrinth verlaufen haben?«
x»Das wäre fatal,« gab der alte Gelehrte zurück und schlug gleich darauf eine andere Richtung ein. »Wir kommen hier wahrhaftig nicht heraus.«
Beide mochten suchen, soviel sie wollten, kein Lichtschein aus der Ferne begrüßte sie; wo sie gingen und standen, waren die Wege in schwarze Nacht gehüllt.
»Eine schöne Geschichte, Herr Professor, wenn wir hier noch lange herumlaufen, wird man drüben ängstlich werden.«
»Dann werden sie uns sicher suchen.«
Aus einer Stunde wurden zwei, und noch immer war der Ausweg nicht gefunden.
»Der Teufel hole dieses Labyrinth,« fluchte der junge Student.
»Damit ist uns nicht geholfen, Mr. Price; ich will nur hoffen, daß wir nicht gar so lange mehr hier kampieren müssen, ohne daß man uns findet. Ein solches Wirrsal von unterirdischen Gängen habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen.«
Im Vehikel hatte man sich über die lange Abwesenheit des Professors und seines Begleiters anfangs etwas gewundert, dann aber befürchtete man, daß ihnen ein Unfall zugestoßen sei, und Miß Mary gab Rzelloe durch Zeichen zu verstehen, daß er mit seinen Leuten aufbrechen solle, die Verlorenen zu suchen.
Der junge Selenite verstand, was die irdische Evastochter von ihm wollte, und beeilte sich nun, mit seinen übrigen Stammesgenossen das Vehikel zu verlassen und die Katakomben zu durchsuchen.
Das war ein gewagtes Unternehmen; schon nach wenigen Minuten hatte sich der kleine Trupp so verlaufen, daß der Eine hier, der Andere dort hin geraten war.
Nicht wenig überrascht waren Mac Milford und George Price, als plötzlich zwei der Seleniten in einem der dunklen Gänge ihnen entgegentraten. Mit diesem Zusammentreffen war aber noch lange keine Aussicht vorhanden, das Freie wieder zu erreichen, denn die beiden Seleniten wußten jedenfalls auch weder aus noch ein.
So laut Price auch in den Gängen rief, seine Stimme verhallte stets, ohne daß von irgend einer Seite eine Antwort ertönte.
Stunde auf Stunde verrann, sodaß es den Verirrten immer ängstlicher zu Mute wurde.
»Entweder giebt es hier tausende von Wegen, oder diese sind so kunstvoll kreuz und quer mit einander verbunden, daß sich nur schwer ein Sterblicher darin zurechtfinden wird. Es ist garnicht so unmöglich, daß wir immer im Kreise herumlaufen und stets auf die alte Stelle zurückkommen.«
Miß Watson, welche in dem Vehikel allein zurück geblieben war, konnte sich das lange Ausbleiben aller ihrer Begleiter nicht anders erklären, als daß ihnen etwas passiert sein mußte. Sie schwebte in größter Angst und schließlich ließ es ihr keine Ruhe mehr, sie mußte erfahren, was aus ihren Genossen geworden war.
Als sie vor den Eingängen zu den Katakomben stand und die gähnenden, dunklen Öffnungen sich vor ihr auftaten, da rief sie einmal über das andere die Namen ihrer Gefährten in dieselben hinein. Nichts als das Echo ihrer Stimme hallte zurück. Da sie keine Laterne besaß, so wagte sie es nicht, sich in das Innere des Berges zu begeben und stand darum eine ganze Weile ratlos vor demselben, bis daß ihr Blick plötzlich auf die Umrisse des Drachenfliegers fiel, welcher über ihrem Haupte schwebte.
Des Amerikaners Fahrzeug lavierte bereits wieder über der Mondoberfläche herum und schien in der Nähe Marys landen zu wollen.
Ob der Yankee bemerkt hatte, daß Mary Watson mit dem »Sirius« völlig allein war?
Wie der Blitz tauchte in der Schottin der Gedanke auf, daß der Amerikaner Böses im Schilde führen könne und eilte auf das Fahrzeug zu, um dieses nicht etwa in die Hände des nahenden Feindes gelangen zu lassen.
Schon einige Minuten später hatte der Yankee seinen Drachenflieger verlassen und schritt auf das britische Vehikel zu.
Mary hatte die Deckenluke aus Furcht verschlossen und schaute voller Angst und Bangen dem Ankömmling entgegen. Kurz darauf bekam sie auch den Panarchen zu Gesicht, welcher eine recht schadenfrohe Miene aufsetzte, als er Miß Watson am Fenster des »Sirius« ansichtig wurde.
Der Yankee trat jetzt dicht an das Vehikel heran, reckte sich empor und klopfte mit der Faust an eine der Hartglasscheiben.
Die Lage, in der sich Mary in diesem Augenblicke befand, war für sie eine geradezu unheimliche. Wenn ihre Gefährten nicht rechtzeitig zurückkehrten, und darauf konnte sie kaum rechnen, da dieselben bereits stundenlang fortgeblieben waren, so hätten sich der Amerikaner und sein Verbündeter sicher in den Besitz des »Sirius« gesetzt.
»Öffnet!« schrie der Yankee und trommelte wiederholt mit den Fäusten auf die Fensterscheibe.
Die Schottin war fast der Verzweiflung nahe. Daß der Amerikaner nicht so ohne weiteres in das Vehikel dringen konnte, war ihr klar; trotzdem aber fühlte sie sich nicht sicher. Die Hartglasscheiben konnte er nicht zertrümmern, denn sie waren so fest wie Metall, und die Verschraubungen an der Außenseite des Fahrzeuges konnten auch nicht so leicht gelöst werden. Dies überlegte sich Miß Watson wohl und wurde wieder etwas ruhiger, als sie beobachtete, wie machtlos der Amerikaner und sein Genosse draußen standen.
Noch immer hoffte sie auf die Rückkehr ihrer Gefährten; es war ihr ein Rätsel, wo alle miteinander geblieben waren. Mit Schrecken dachte sie daran, daß vielleicht keiner ihrer Genossen wiederkehren werde; sie wäre dann in einer verzweifelten Lage gewesen und hätte sich wohl oder übel dem Amerikaner anvertrauen müssen, um nur nicht mit dem Vehikel hilflos dazusitzen.
Während sie noch so hin und her überlegte, bemerkte sie, daß der Yankee auf den »Sirius« zu steigen versuchte, wobei ihm der Panarch Hilfe leistete. Auf der Plattform angekommen, kletterte Mr. Lowell die kleine Treppe empor und betrachtete den Verschluß der Deckenluke.
Der Insassin des Fahrzeuges wurde es schwül zu Mute, und ihre Augen hefteten sich an den Bergabhang, wo die Eingänge zu den Katakomben sich befanden. Noch immer war nichts zu sehen, nichts verriet, daß auf die Rückkehr der Vermißten zu hoffen sei.
Als der Yankee von seinen vergeblichen Bemühungen, die Deckenluke zu öffnen, abließ, entdeckte er plötzlich unterhalb der Luke eine eingesetzte Platte in der Wandung, welche, wenn sie abgeschraubt wurde, sicher den Eingang in das Vehikel gewährte.
Sofort nach dieser Entdeckung stieg der Amerikaner nieder und lief spornstreichs zu seinem Drachenflieger hin, um sich Werkzeug zu holen. Gleich darauf kam er wieder zurück und brachte es bald fertig, mit einem Schraubenschlüssel größter Dimension besagte Platte abzulösen.
Unterdessen stand der Panarch vor dem »Sirius« und schaute unverwandten Auges zu den Hartglasscheiben empor, hinter welchen er Marys Gesicht von Zeit zu Zeit auftauchen sah.
Der Schottin wurde es angst und bange, als sie bemerkte, daß der Yankee sich gewaltsam Eingang verschaffte. Sie bewaffnete sich mit einem langen, spitzen Messer, welches sie in einem Kasten vorfand und war bereit, ihr Leben aufs Äußerste zu verteidigen. Ihre Freiheit mochte sie auf keinen Fall wieder einbüßen und in des Panarchen Hände wollte sie erst recht nicht fallen.
Wieder warf Mary einen Blick zu den Katakomben hin und ließ dann trostlos den Kopf sinken. Wenn jetzt keine Rettung kam, war vielleicht alles verloren.
In diesem Augenblicke gelang es dem Amerikaner, die abgeschraubte Platte zu heben, und der Eingang in das Vehikel war frei.
Im Begriffe, einzusteigen, wurde er von einem Schreckensschrei aus dem Munde Mary Watsons empfangen.
Unbekümmert um die drohende Haltung der Schottin kletterte der Amerikaner in das Innere des Fahrzeuges ein.
Als die Geängstigte den Einbrecher so furchtlos sich nähern sah, sank ihr Arm, welchen sie zur Verteidigung erhoben hatte, machtlos herab.
Der Amerikaner trat vor Miß Watson hin, machte eine Verbeugung und sagte höflich: »William Lowell nenne ich mich. Darf ich erfahren, wer Sie sind?«
Die Gefragte war ebenso empört als erschrocken und brachte es nicht fertig, irgend etwas zu erwidern.
Der Yankee zog jetzt eine Visitenkarte hervor und reichte diese der Schottin hin.
Mary ergriff die Karte, zerriß sie ungelesen und warf sie ihm vor die Füße; dann wandte sie sich ab und schaute angstvoll durch die Fenster nach den Katakomben hin.
Mr. Lowell trat einen Schritt weiter vor. »Ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich der Gesandte der United States of Amerika bin, und ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich hier auf amerikanischem Boden befinden.«
Auch hierauf entgegnete Mary nichts. Plötzlich schrak sie entsetzt zurück, als sie den Kopf des Panarchen dicht vor dem Fenster wieder auftauchen sah.
»Wo befinden sich Ihre Gefährten?«
»Ich werde mich wohl hüten, Ihnen dies zu verraten.«
»Ich soll Sie vielleicht zwingen,« erwiderte der Amerikaner, holte seinen Revolver aus der Tasche und machte mit der Waffe in der Hand eine ironische Verbeugung.
»Zwingen Sie mich!« sagte Mary fast tonlos, »auch ich werde mich zu verteidigen wissen.« Ihre Hand umklammerte dabei krampfhaft das Messer.
»Oho, wenn Sie auch resolut sind, so fürchte ich mich doch nicht vor Ihnen.«
»Das werden wir ja sehen,« sagte Mary, welche inzwischen ihre Ruhe wiedergewonnen hatte.
»Sie verweigern mir also die Antwort auf meine Frage?«
»Jawohl!«
Ohne noch weiter auf die Schottin zu achten, durchschritt der Amerikaner jetzt das Vehikel, sich bald hier hin bald dorthin neigend, um den einen oder anderen Gegenstand in Augenschein zu nehmen.
Mary verfolgte den Eindringling mit scharfem Blicke; es entging ihr nichts von dem, was der Amerikaner tat.
»Was suchen Sie eigentlich hier?« frug sie nach geraumer Weile.
»Darüber bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig; Sie sind meine Gefangene, die Gefangene des Präsidenten der United States of Amerika.«
»Wenn sich das Blättchen nur nicht wendet, bester Herr Gesandter; meine Gefährten sind in nächster Nähe und werden bei ihrer Rückkehr über Ihren Besuch recht erfreut sein.«
Mary wunderte sich bei ihrer Rede selbst darüber, daß sich ihre Erschrockenheit und Mutlosigkeit so weit verloren hatte, daß sie dem Yankee jetzt furchtlos gegenüber stand und ihm in spöttischen Tone zu antworten vermochte.
Als Mr. Lowell hörte, daß die Schottin so bestimmt auf die Rückkehr ihrer Genossen harrte, schien es ihm doch etwas zu ungemütlich zu werden, und er hatte nicht übel Lust sich wieder zu entfernen.
In diesem Momente fiel sein Blick auf des Professors Tagebuch, welches vorher in seinem Besitz gewesen war und das er inzwischen schon vermißt hatte.
Zufälliger Weise schaute Mary gerade durch das Fenster, als der Yankee das ihm wohlbekannte Heft zu sich steckte.
Oben in der Öffnung tauchte jetzt der Kopf des Panarchen auf. Mit unruhiger Geberde schien der dem Amerikaner verständlich machen zu wollen, daß Gefahr im Verzuge sei.
Mr. Lowell warf schnell einen Blick durch das Fenster und bemerkte, daß aus den Eingängen zu den Felsen, in welchen sich die Katakomben befanden, tatsächlich Gestalten auftauchten. Mit katzenartiger Geschwindigkeit verschwand der Amerikaner aus dem Vehikel, während Mary in einen Jubelruf ausbrach, als sie ebenfalls die Entdeckung gemacht hatte, daß ihre Begleiter endlich zurückkehrten.
Gleich darauf sah sie den ehrenwerten amerikanischen Gesandten mitsamt seinem selenitischen Kumpane im Galopp davonlaufen und dem Drachenflieger zueilen.
Noch ehe die Seleniten — es waren Rzelloe und ein anderer Mondbewohner — herannahten, waren der Yankee und der Panarch im Innern ihres Fahrzeuges verschwunden, und kurz darauf hob sich der Drachenflieger in die Lüfte.
Miß Watson atmete tief auf, als sie sich aus der furchtbaren Gefahr befreit sah und begrüßte die Ankömmlinge freudigen Herzens. Freilich vermißte sie noch immer ihre irdischen Gefährten. Da sie keines Wortes der selenitischen Sprache mächtig war, so konnte sie von Rzelloe auch nicht erfahren, wo der Professor und seine Seleniten geblieben waren.
Die Zeichen, welche der Häuptlingssohn sich zu geben bemühte, blieben der Schottin völlig unverständlich, doch trug sie sich nun wieder mit der Hoffnung, daß Mac Milford auch nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Wiederum verrann eine Stunde, und die Verlorenen kamen noch immer nicht zurück.
Der Drachenflieger schien vollständig aus dem Gesichtskreise verschwunden zu sein, denn Mary sah bei wiederholtem Ausschauen keine Spur mehr von ihm. Jedenfalls liegt er im Hinterhalte, dachte sie, und sein Besitzer wird, wenn er bemerkt, daß ich meine Gefährten gänzlich verloren habe, vielleicht wieder zurückkehren und den Kampf mit mir wagen.
Vor einem weiteren Zusammentreffen mit dem Amerikaner scheute sie sich jetzt nicht mehr, hatte sie doch die beiden Seleniten zum Schutze bei sich; aber das Fernbleiben ihrer irdischen Gefährten brachte sie bald in Verzweiflung. Mit furchtbarer Angst malte sie es sich bereits aus, daß Mac Milford und George Price verunglückt seien.
Schließlich hielt es die Schottin doch nicht mehr aus und machte sich auf, um ihre Genossen zu suchen, wozu sie Rzelloe mit sich nahm, während der andere Selenit den »Sirius« hüten mußte.
Schon neigte sich die Sonne halb unter den Horizont hinab, und nur wenige Stunden trennten den Tag von der vierzehntägigen Nacht.
Voller Angst dachte Mary schon daran, wie schlimm die Lage werden würde, wenn erst die Sonne völlig untergegangen sei und alles in nächtliches Dunkel gehüllt würde.
Eiligen Schrittes lief sie den Katakombenausgängen zu und betrat einen derselben, in ihrer Hast nicht merkend, daß Rzelloe nur zögernd folgte. Nur wenige Schritte vermochte die Schottin vorwärts zu gehen, dann sah sie sich von tiefstem Dunkel umgeben.
Die Stimme des jungen Seleniten, welcher etwa zehn Schritte hinter ihr zurückgeblieben war, drang an ihr Ohr, was er wollte, konnte sie nicht verstehen, sie glaubte aber zu fühlen, daß es Warnungsrufe aus seinem Munde waren.
Mary wagte nicht, in dieser Finsternis weiter vorzudringen; mit weithin gellender Stimme rief sie die Namen ihrer verlorenen Gefährten. Einmal, zweimal — halt, was war das? Das konnte unmöglich das Echo ihrer Stimme sein, hatte man sie vielleicht doch gehört?
Wieder und wieder rief sie die Namen mit der ganzen Kraft ihrer Lunge und konnte zu ihrer Freude Gegenrufe aus der Ferne vernehmen.
Plötzlich tauchte vor Mary ein Licht in unmittelbarer Nähe auf.
»Endlich! — — Teufel, das war eine Irrfahrt! — Ihr Ruf, Miß Watson, hat uns auf den rechten Weg geleitet.« Mit diesen Worten trat Price auf die Suchende zu und erfaßte dankbar ihre Hände.
»Aber um des Himmels willen, wo haben Sie gesteckt? Fünf Stunden sind Sie bereits abwesend, hatten Sie sich verlaufen?«
»Ja, leider — wir vermochten uns in diesem Labyrinth von Gängen nicht wieder zurecht zu finden.«
»Und der Professor? Wo haben Sie ihn gelassen? Er folgt Ihnen doch? Oder haben Sie ihn verloren?« Diese Fragen überstürzten sich fast aus dem Munde der Schottin.
»Sie werden ihn auch sogleich begrüßen können,« sagte Price. »Sehen Sie, dort hinten taucht schon das Licht seiner Laterne auf.«
»Herr Professor, Herr Professor, kommen Sie wirklich!« Mary eilte dem Ankömmling entgegen, während Price durch Rzelloe von dem Überfall des Yankees erfuhr.
»Goddam!« rief er aus, »jetzt ist sein letztes Brot unfehlbar gebacken, solch eine elende Kreatur! Der Mensch verdient tausend Tode zu sterben!«
Als der Professor mit Mary herantrat, rief ihm Price zu: »Es ist inzwischen etwas Unerhörtes geschehen, Herr Professor!«
»Ich weiß, ich weiß,« erwiderte der alte Gelehrte, »ich habe es eben durch Miß Watson erfahren.«
»Der Schurke verdient regelrecht gehängt zu werden ... wehe, wenn ich ihn erst in meine Finger bekomme!« Price hatte sich gewaltig in Erregung hineingesprochen, und seine Fäuste ballten sich krampfhaft.
Jetzt schritt der kleine Trupp dem Ausgange zu. Da noch nicht alle Seleniten wieder zurück waren — einige irrten noch in dem Labyrinth der Katakombengänge umher — so war Mac Milford unschlüssig, wie die Verlorenen zu suchen seien; ein neues Vordringen in das Innere des Felsens, um die Seleniten zu retten, wäre zu gewagt gewesen.
Schließlich erklärte sich Rzelloe dem Studenten gegenüber bereit, mit Hilfe des ihn begleitenden Seleniten seine Stammesgenossen durch fortgesetztes Rufen in die Nähe der Ausgänge zu locken. George Price versprach ihm, daß sie auf keinen Fall im Stiche gelassen würden.
Rzelloe postierte sich nun abwechselnd an einem der Ausgänge und suchte durch Schreien und Rufen die Aufmerksamkeit der verlorenen Genossen auf sich zu lenken.
Indessen begaben sich die Erdenbürger nach ihrem Fahrzeuge. Empört betrachteten Mac Milford und Price die Spuren des Einbruches, welchen der Amerikaner freventlich unternommen hatte, als er bemerkte, daß die Führer des Vehikels schon seit Stunden abwesend waren.
»Was bezweckte dieser Yankee wohl mit seinem Überfall?« frug der Professor.
»Ich weiß es nicht,« erwiderte der Gefragte, »jedenfalls schien er große Lust zu haben, von dem »Sirius‹ Besitz zu ergreifen.«
»Hätten Sie das zugelassen?«
»Was konnte ich schwaches Weib gegen den Mann tun? Zwar ergriff ich eine Waffe, der Amerikaner nahm jedoch nicht die geringste Notiz davon; er bedeutete mir, daß er amerikanischer Gesandter wäre, und ich seine Gefangene sei.«
»Ich schicke den Kerl in die Hölle, wenn ich ihn fange!« rief Price aus.
Nachdem Mac Milford noch die Einzelheiten des Überfalles erfahren hatte, befestigte er die abgeschraubte Platte wieder an dem Vehikel und unterwarf den Mechanismus desselben einer gründlichen Besichtigung, glaubte er doch, daß der Yankee seinem Fahrzeuge vielleicht Schaden zugefügt haben könnte. Als er aber alles in bester Ordnung fand, war sein Ärger über den stattgefundenen Besuch verraucht.
»Wohin ist er geflogen?« frug Price Miß Watson.
»Nach der Richtung hin, welche entgegengesetzt von dem Bergabhange liegt,« erwiderte diese. »Nach seiner Auffahrt kreuzte er noch eine Weile in der Nähe umher, und dann habe ich ihn ganz aus den Augen verloren.«
»Vielleicht liegt er irgendwo im Hinterhalt,« meinte Price.
»Wollen wir ihn nicht aufstöbern?«
»Der Panarch war übrigens in seiner Begleitung.«
»Dachte ich es mir doch!« meinte Mac Milford, »die Beiden scheinen ja treue Freundschaft geschlossen zu haben.«
»Ich bedaure es nur unendlich, daß es hier kein Holz gibt, um für die Beiden einen Galgen zu bauen,« sagte Price. Eine Kugel ist für diese Schufte viel zu ehrenvoll!«
»Auf Schonung meinerseits können sie jetzt natürlich auch nicht mehr rechnen,« ließ sich der Professor vernehmen; »ich habe sie bisher immer noch in Ruhe gelassen, nun ist aber auch meine Geduld zu Ende.«
Eine Viertelstunde nach diesem Gespräche erhob sich das Vehikel in die Lüfte, um den Drachenflieger zu verfolgen. Da man wieder zurückkehren mußte, um die Seleniten, welche sich an und in den Katakomben befanden, mitzunehmen, so lavierte das Fahrzeug nur in der Umgegend umher. Lange konnte man zwar hier nicht mehr verweilen, da die Nacht hereinzubrechen drohte.
Price beobachtete scharfen Auges vom Fenster aus die unten liegende Landschaft, aber weder auf dem Boden noch in den Lüften konnte er eine Spur von dem Amerikaner finden.
»Es scheint, als hätte er sich aus dem Staube gemacht; ein Glück für ihn, denn so hat er einige Stunden länger zu leben.«
Die Aussichtslosigkeit des Suchens einsehend, kehrte Mac Milford mit dem »Sirius« zu den Katakomben zurück, wobei er zu seiner Freude entdeckte, daß die Seleniten sich allmählich sämtlich wieder zusammengefunden hatten und ungeduldig der Ankunft der Erdenbürger harrten.
Rzelloe und seine Genossen bestiegen nunmehr das Fahrzeug, und die Reise durch die unbekannte Hemisphäre wurde fortgesetzt. Der Kurs war auf den Südpol gerichtet, für welche Gegend die Sonne noch hoch über dem Horizont stand.
Der »Sirius« erreichte, nachdem er noch einige große Tiefebenen, welche der Professor Mare Britanicus, Mare Albion und Mare rubrum taufte, überflogen hatte, bald darauf eine riesenhafte Wallebene, deren Diameter nach oberflächlicher Schätzung wohl über 400 Kilometer zu betragen schien. Der etwas elliptisch geformte Wall war unregelmäßig in seinem Verlauf und oft durchbrochen. In dem innern Rayon waren isoliert stehende Berge sichtbar, deren Spitzen jedoch die Höhe des Walles nicht überragten.
»Ist das nicht imposant?« rief der Professor aus. »Sie sehen hier die größte Wallebene, welche der Erdsatellit besitzt.«
»Großartig!« sagte die Schottin und betrachtete voller Interesse das ungeheuere Ringgebirge.
»Vollziehen wir auch hier eine Taufe,« meinte der alte Gelehrte.
»Welchen Namen haben sie in petto?«
»Bitte, schlagen Sie einmal einen vor,« entgegnete Mac Milford.
»Wie wäre es, wenn wir die Wallebene Darwin tauften?«
»Bedaure, den Namen habe ich schon verwendet.« Bei diesen Worten zog der Professor ein Blatt Papier aus der Tasche, auf welchem man die Umrisse der Mondscheibe aufgezeichnet sah. »Sehen Sie, hier habe ich bereits eine Karte von der unbekannten Hemisphäre des Mondes entworfen.« Mac Milford breitete das Papier auf einem Tischchen aus, und Price und Mary betrachteten es mit Neugierde.
»Hier habe ich den Oceanus immensum verzeichnet; seitwärts davon erblicken Sie den Umriß eines Kraters, welchen ich Vulkan Darwin getauft habe.« Der Alte zeichnete nunmehr auch die Wallebene auf das Papier.
»Darf ich Ihnen einen Namen vorschlagen, Herr Professor?« frug Mary. »Ich habe eine gute Idee.«
»Bitte, bitte, lassen Sie sich hören.«
»Wie wäre es, wenn wir diese Ebene Viktoria nennen, zur ewigen Erinnerung an unsere große Königin?«
»Ein famoser Gedanke, Miß Watson. Ich möchte Sie bitten, die Taufe zu vollziehen.«
Mac Milford nahm ein kleines Gefäß zur Hand und füllte aus einer der Aluminiumröhren, welche sich an der Wand des Fahrzeuges befanden, eine Flüssigkeit in dasselbe.
»Wie soll ich das machen,« frug Mary lachend.
»Die feierliche Handlung können wir allerdings nicht in dieser Höhe vornehmen, doch wird sich der »Sirius‹ in wenigen Augenblicken bis dicht über den Wallrand herabsenken. Dann dürfen wir es wagen, ohne die dünne Atmosphäre befürchten zu müssen, auf die Plattform unseres Vehikels zu steigen.«
Mac Milford dirigierte sein Fahrzeug jetzt so, daß es mit rapider Geschwindigkeit sich auf den gigantischen Bergkranz herniederließ. In einer Höhe von etwa zwanzig Metern über einem der Berggipfel, welcher sich im Innern der Wallebene befand, machte der Gelehrte halt und stieg mit der Schottin durch die Deckenluke auf die äußere Plattform des Fahrzeuges.
»So, nun vollziehen Sie die Taufe; schütten Sie den Inhalt des Gefäßes aus und rufen Sie: Ich taufe dich Viktoria!« sprach der Alte lachend und drückte seiner Gefährtin den Behälter in die Hand.
Mary tat, wie ihr geheißen und sah gleich nach dem Entleeren des Gefäßes, wie die Flüssigkeit sich in Dampf verwandelte und gleich einer weißen Wolke über dem Innern der Wallebene schwebte.
Dieser Anblick erinnerte die Schottin daran, daß Tom etwas ähnliches über Resles getan hatte und sie erzählte jetzt dem Professor, was sein Faktotum vor kurzem über dem Hyginus vorgenommen hatte.
»Das war ebenfalls flüssige Luft, meine Liebe. — Ich hätte Ihnen ja jetzt auch Wasser zur Taufe geben können, aber das wäre doch nicht so imposant gewesen. Meinen Sie nicht auch?«
»Die Taufe hat so entschieden einen wissenschaftlicheren Anstrich,« gab die Schottin belustigt zurück.
Nachdem der scherzhafte Moment vorbei war, begaben sich die Beiden wieder in das Innere des Vehikels, wo sie von dem über das Manöver lachenden Price empfangen wurden. »Das flüssige Fluidum scheint ja bei uns eine große Rolle zu spielen,« meinte er.
Der Professor nickte lächelnd und zeichnete an seiner Mondkarte weiter, dabei von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Landschaft werfend, über welche der »Sirius« dahinschwebte.
Mary Watson schaute der Arbeit des Alten mit großem Interesse zu.
Als das Vehikel sich dem Südpole näherte, hatte der Professor bereits über fünfzig Ringgebirge, Wallebenen und Krater auf seiner Karte verzeichnet und diesen sämtlich Namen verliehen.
Der Gesamteindruck, den die neu entworfene Mondkarte machte, war ein wesentlich anderer, als der, welchen die kartographischen Aufzeichnungen der den Erdbewohnern bekannten Mondseite bieten.
Zumeist hatte man auf der neuen Hemisphäre große Tiefebenen entdeckt, nur gegen die Pole hin bemerkte man gebirgige Erhebungen.
»Diese Mondseite muß einstmals ein großes Meer gewesen sein, größer als der Stille Ozean, welcher doch fast die halbe Erde umgürtet,« meinte der alte Gelehrte, als Mary ihre Verwunderung über die große Verflachung aussprach.
»Die wenigen Berge und Krater sind wohl Eilande in der mächtigen Wasserwüste gewesen?« frug die Schottin interessiert.
»Ja, sie haben sich ganz sicher als kleine Inseln über dem Wasserspiegel erhoben; wer weiß, ob nicht auch auf ihnen einmal ein lunarischer Robinson gehaust und dort sein Leben in Einsamkeit vertrauert hat.«
Die neue Region, welche der »Sirius« jetzt überflog, bildete ein Chaos kleiner Ringgebirge und Krater. Schon konnten die Reisenden wieder einen Blick auf die andere Hemisphäre des Mondes hinüberwerfen; der 8850 Meter hohe Curtius bot von der Ferne aus einen imposanten Anblick.
»Sehen Sie dort diesen Bergriesen, wie seine mächtige Kuppe in das Äthermeer hinaufragt, wie sich die Strahlen des Tagesgestirns an dem basaltähnlichen Gestein brechen?«
Mary bejahte.
»Der Curtius ist für die Seleniten das, was für uns Erdenbürger der Gaurisankar oder der Chimborasso ist; ein gigantischer Bergkoloß, der wohl kaum von einem anderen Gebirge in der Höhe übertroffen wird.«
Der »Sirius« kreuzte bald darauf den Südpol, und die in der Gegend des Curtius liegenden Berge, wie den Moretus, den Zach, den Mancinus und den Boguslawsky, welche alle sehr deutlich hervortraten.
»Meine Vermutung, daß auf der der Erde ewig verborgenen Hemisphäre wenig gebirgige Erhebungen vorhanden sind, und daß auch zur Zeit nur wenige Selenitenstämme dieselbe bevölkern, hat sich vollauf bestätigt,« meinte Mac Milford, als er das Facit über die soeben durchquerte Mondseite zog.
»So werde ich es hier wohl hauptsächlich mit den Kraterstämmen der uns bekannten Mondhemisphäre zu tun haben?« warf Price dazwischen.
»Ganz recht, aber wie ich Ihnen schon bemerkt habe, sind es eine ganze Menge großer und kleiner Krater, welche in ihrem Schoße Seleniten beherbergen. Sie werden kein leichtes Spiel haben, mein lieber Price; wenn Sie Ihre Panarchenschaft ordentlich behaupten und zur Geltung bringen wollen, so harrt Ihrer hier oben viel Arbeit.«
»Die ich mit Freuden übernehme, wenn Miß Watson mich dabei in Zukunft unterstützen will,« gab Price mit einem Seitenblick auf des Alten Gefährtin zurück.
Diese errötete. »Ei, Mr. Price, Sie stellen da aber eine große Anforderung an mich; wie nun, wenn ich nein sagte, wenn ich keine Lust dazu hätte, mein Leben auf diesem Erdentrabanten zu verbringen?«
»Dann würde es mich auch keine Minute länger hier oben halten,« erwiderte Price, auf Mary zutretend und deren Hände ergreifend. »Darf ich darauf rechnen, daß mir Ihre Unterstützung zu Teil wird?«
Mary stockte mit der Antwort.
»Ich würde es an Ihrer Stelle versuchen,« riet ihr der Professor lachend.
»Gut, Mr. Price,« sagte die Schottin festen Tones, »ich werde Ihnen hier oben auch fernerhin Gesellschaft leisten — verdanke ich Ihnen doch mein Leben, und das schlage ich hoch an!«
Price preßte die kleinen Hände seiner zukünftigen Gefährtin fest zusammen und flüsterte ihr seinen Dank ins Ohr.
»So wäre also der neue Mondstaat geschaffen,« scherzte der alte Gelehrte. »Der englische Vicekönig ist da, die Königin hat sich dazu gefunden, und der Ministerpräsident ist ebenfalls zur Stelle; nun kann die Herrschaft beginnen! Eigentlich müßte eine feierliche Inthronisation vorgenommen werden. Die Herren Seleniten können stolz auf ihre neue Panarchin sein.«
»Und die Selenitinnen werden sich nicht minder freuen,« sagte Price.
»Ich bin sehr verwundert darüber, bisher so wenig weibliche Geschöpfe hier oben angetroffen zu haben.«
»Das ist mir auch aufgefallen,« sagte Mac Milford; »ich kenne aber den Grund hierfür. Die Zahl der weiblichen Seleniten ist stark im Rückgange begriffen; ferner werden sie mit den Kindern streng abgeschlossen gehalten. Deshalb mußte es bisher auffallen, wenn man so wenige Evastöchter erblickte.«
»Dazu möchte ich mir noch erlauben, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß ich verschiedene lunarische Schwestern bereits näher kennen gelernt habe, aber sie alle, mit Ausnahme einer, für träge und geistig bedeutend weniger entwickelt als die Männer halte.«
»Dann würden Sie eine Perle unter Ihren Schwestern hier oben sein,« meinte Price, zu Mary gewandt.
»Oho!« ließ sich jetzt Mary vernehmen, indem sie ihren Gefährten mit einem Seitenblick streifte. »Sie werden sich wohl schon in eine der Mondtöchter verliebt haben?«
»Befürchten Sie nichts ...« lautete die Antwort. — »Befürchten?«
»Ich wünschte, daß es bei Ihnen der Fall wäre, es würde mir dies ein Zeichen dafür sein, daß ich Miß Mary Watson nicht ganz gleichgültig bin.«
Hier wurde der Sprecher unterbrochen.
Der Professor trat mit seinem Notizbuche in der Hand auf die Beiden zu und sagte: »In längstens zehn Stunden wird für den Breitengrad, auf welchem der Timocharis liegt, ein seltsames Naturschauspiel vor sich gehen.«
»Darf man näheres über diese wissenschaftliche Prophezeiung erfahren?« frug Mary wißbegierig.
»Ja, meine Liebe, das Ereignis ist sehr interessant.«
»Nun — was ist es?«
»Es handelt sich um eine Sonnenfinsternis auf dem Monde.«
»Ah!« rief die Schottin aus, »das muß ja ein prächtiger Anblick sein.«
»Wenn Sie Neigung haben, das Schauspiel zu beobachten, so können wir zur gegebenen Zeit mit dem »Sirius‹ nach dem Timochariskrater fahren.«
»O, mit Vergnügen, Herr Professor. Mr. Price wird sicher auch damit einverstanden sein.«
Der Student nickte eifrig und versank dann in kurzes Sinnen.
»Das Ereignis tritt 5 Uhr 41 Minuten 3 Sekunden morgens nach irdischer Zeitrechnung ein.«
»Die Erde zieht dann wohl vor der Sonnenscheibe vorüber?«
»Sagen wir lieber, was richtig ist, die Sonne zieht hinter der Erdscheibe vorbei, denn die Erdkugel selbst werden Sie fast stets unverrückbar im Zenith sehen.«
»Dann wird wohl auf einige Stunden völlige Finsternis herrschen?« frug Mary interessiert weiter.
Der Alte nickte und machte sich einige Notizen in sein Buch.
In diesem Augenblicke vernahmen die Insassen des »Sirius« wieder jenes Knacken, welches Mac Milford und seine Gefährtin bereits in der Nähe des toten Punktes im Weltall zu hören bekommen hatten.
»Hören Sie es, Herr Professor? Da geht es schon wieder an,« unterbrach die Schottin den Gelehrten beim Schreiben.
Merkwürdig, ich hatte die Ursache damals eigentlich auf die Nachbarschaft der verunglückten Ballongondel zurückgeführt.«
»Ach ja, die armen Luftschiffer, wo mögen sie eigentlich niedergestürzt sein?« sagte Mary.
»Wenn die Gondel nicht unserer Flugbahn gefolgt ist, so wird sie noch jetzt auf dem toten Punkte verharren, was letzteres ich auch mit größter Wahrscheinlichkeit annehme.«
»Dann wird die Gondel mit ihren Insassen wohl für alle Zeiten dort schweben bleiben?«
»Bis in alle Ewigkeit,« erwiderte der Professor. »Es sei denn, daß irgend ein Himmelskörper einmal den Ort, wo sie liegt, zufällig kreuzt, oder daß die Mondkugel, deren Umlaufsbahn um die Erde sich im Laufe der Zeiten immer enger zusammenzieht, nach Jahrmillionen vielleicht auf dem toten Punkt anlangt. Mit dem Ankommen auf der jetzigen Attraktionsscheide, wird sich auch diese selbst inzwischen um ein entsprechendes Maß nach der Erde zu verschoben haben, was bedingt, daß auch die Luftschiffergondel mit zurückweicht.«
»Was war das mit der Luftschiffergondel!« frug jetzt Price.
Der Alte und Mary erklärten im das Begegnis im Weltall.
Inzwischen sauste der »Sirius« seinem Abfahrtsziele zu. Als er sich gerade über dem Krater Aliacenus befand, machte Mac Milford seine Gefährten auf die in dem Kraterkessel liegende große Selenitenansiedelung aufmerksam. Rzelloe schien den Stamm bereits zu kennen, denn seine lebhaften Gestikulationen verrieten, daß er mit diesen Kraterleuten schon irgendwie in Beziehung gestanden hatte. Price erfuhr denn auch sogleich, daß die Aliacenusseleniten die besten Freunde des TriesneckerStammes waren.
Aus diesem Grunde beschloß man, dem Selenitenvolke einen Besuch abzustatten.
Wenige Minuten später senkte sich der »Sirius« sanft wie eine Schwalbe auf die gebirgige Gegend hinab. Ehe gelandet wurde, überflog Mac Milford noch einmal den ganzen Horizont, um nach dem Drachenflieger auszuschauen; daß er denselben über kurz oder lang doch wieder zu Gesicht bekommen würde, davon war er fest überzeugt. Als er keine Spur davon entdecken konnte, ließ er seine Blicke auf die Kraterstadt unter ihm schweifen.
Price und Mary schauten gleichfalls auf die Ansiedelung herab und wurden bald gewahr, daß die Bewohner des Aliacenus auf das Vehikel in der Luft aufmerksam geworden waren.
Noch war der »Sirius« so hoch, daß sich die Kraterstadt wie ein Ameisenhaufen ausnahm. Ein Blick durch das Fernrohr ließ jetzt erkennen, daß unten zahllose Seleniten zusammenströmten, um das in der Luft schwebende Wunder anzustarren.
»Wenn wir die Sonnenfinsternis rechtzeitig beobachten wollen, so dürfen wir nicht gar zu lange im Aliacenuskrater verweilen,« meinte jetzt Mac Milford und öffnete die Deckenluke seines Fahrzeuges.
»Sagten Sie nicht, daß wir noch zehn Stunden Zeit bis dahin übrig hätten?« entgegnete George Price.
»Wenn wir noch vorher nach der Triesneckerstadt zurückkehren wollen, so haben wir hier nicht viel Zeit zu verlieren.«
Werden wir eine freundliche Aufnahme finden?« wendete sich jetzt Price an Rzel—loe. »Der neue Panarch der Mondstaaten wird zufrieden sein,« erwiderte der Selenit.
Die Landung des Vehikels erfolgte auf einem freien Platze inmitten der Aliacenusansiedelung. Alle Bewohner der Stadt waren scheu vor dem nahenden Ungetüm zurückgewichen und hielten sich versteckt.
Die Deckenluke öffnete sich und Mac Milford stieg durch dieselbe auf die
Plattform des Fahrzeuges hinaus. Dicht hinter ihm folgten Price und Rzeloe.
Die Deckenluke öffnete sich, und Mac Milford stieg durch dieselbe auf die Plattform des Fahrzeuges hinaus. Dicht hinter ihm folgten Price und Rzelloe.
Als die Aliacenusseleniten den Letzteren erkannten, wagten sie es, sich dem Vehikel zu nähern. Rzelloe betrat jetzt als erster den Boden der Stadt; sogleich eilten mehrere Seleniten auf ihn zu und umringten ihn.
Als dann aber Mac Milford und Price unter sie traten, stob die kleine Schar aufs heftigste erschreckt auseinander, und es währte eine ganze Weile bis Rzelloe sie durch Zurufe wieder herbeigelockt hatte.
Allmählich hatten sich fast über tausend Seleniten und Selenitinnen um die angekommene Schar versammelt.
Bald ging es von Mund zu Mund, daß die Insassen des merkwürdigen Fahrzeuges jenem Gestirn entstammten, welches hoch über ihnen im Zenith ständig sichtbar war.
Die Verwunderung war allgemein grenzenlos. Bald wurden die Leutchen aber so zutraulich, daß sie den alten Gelehrten und seine Begleiter von allen Seiten betasteten. Bei dieser Umzingelung kam der dicke Tom recht schlecht weg, denn die Zahl der Seleniten, welche sich um ihn geschart hatte, schien an diesem Monstrum von Menschen besonderes Gefallen zu finden.
»Wann wollen wir nun unsere Wanderung durch die Stadt beginnen?« frug George Price.
»Ich für meinen Teil möchte den Residenzbau gern besuchen,« gab Mac Milford zurück.
»Rzelloe hat seinen Genossen hier übrigens bereits mitgeteilt, daß ich jetzt der Panarch der Mondstaaten bin, und daß Psosnlams Herrschaft zu sein aufgehört hat.«
»Sapperlot! dann werden wir wohl so eine Art Triumphzug durch die Stadt unternehmen, man wird Ihnen huldigen,« meinte der Professor lächelnd.
»Am Ende werden sie mir gar einen Fackelzug bringen,« gab George Price scherzend zurück.
Mary Watson, welche die Worte gehört hatte, lachte. »Ein selenitischer Fackelzug müßte sich doch pompös ausnehmen.«
Zu hunderten umstanden die Aliacenusseleniten das Vehikel und betasteten jede Schraube und jede Röhre an demselben, hatten sie doch noch nie etwas derartiges erblickt.
Zu wiederholten Malen mußte Tom es verhindern, daß der eine oder andere der Mondmenschen etwas beschädigte. Die Aufgabe war für Mister Tom eine verhältnismäßig schwierige, da er sich der wie Ameisen um ihn herumkriechenden Seleniten kaum erwehren konnte. Alsdann erhielt er von Mac Milford den Befehl, das Fahrzeug zu verschließen, damit kein Unberufener in das Innere desselben eindringen könne. Bei dieser Gelegenheit geschah es, daß das fettleibige Faktotum auf dem Fahrzeuge ausglitt und aus einer ansehnlichen Höhe mitten zwischen die neugierigen Seleniten purzelte.
Dieser Anblick wirkte zwerchfellerschütternd und entlockte selbst Mac Milford ein Lachen.
»Dieser unbeholfene Bursche bricht noch einmal den Hals,« ließ sich der alte Gelehrte vernehmen und trat auf den Gefallenen zu, um ihn wieder aufzurichten.
Die Seleniten, welche auf diese Weise mit dem Heruntergefallenen in unliebsame Berührung gekommen waren, wußten natürlich nichts eiligeres zu tun, als sich aus dem Staube zu machen. Nachdem der kleine Trupp zum Abmarsch bereit war, sollte die Wanderung unter der Führung Rzelloes stattfinden.
Wie Mac Milford vernahm, war zur Zeit ihrer Ankunft gerade der Häuptling des Aliacenusstammes aus dem Leben geschieden. Den Erdenbewohnern, welche neugierig waren, wie die Bestattung dieses Mondmagnaten sich zutragen würde, folgte ein riesenlanger Zug Seleniten.
Zwischen den Steinbauten hindurch, gelangte man vor die Residenz des verblichenen Häuptlings.
Rzelloe betrat mit Price den Bau.
Mac Milford und seine Gefährtin folgten ihnen; Tom bildete den Schluß.
Bald standen die Erdenbürger in einem großen Raume, in welchem die Leiche des Gewaltigen der Kraterstadt auf einem Echsenfelle aufgebahrt lag. Wie Price erfuhr, sollte der Verstorbene in das Fell eingewickelt und in einen unterirdischen Raum gebracht werden.
»Ob die Aliacenusseleniten wohl Katakomben als Begräbnisstellen besitzen?« frug Price den Professor.
»Das möchte ich bezweifeln,« erwiderte dieser.
»Die vorhandenen selenitischen Katakomben sind wie die irdischen vor Jahrtausenden im Gebrauch gewesen und dürften jetzt kaum mehr zur Bestattung benutzt werden.«
Mary Watson schrak beim Anblick des toten Häuptlings zurück und wollte den Raum verlassen, als mehrere Seleniten hereinkamen und mit den brennenden Erdfackeln, welche sie trugen, vor die Leiche hintraten.
Die Laute, die Price vernahm, schienen einem selenitischen Dialekt anzugehören, welcher ihm völlig fremd war.
Die Seleniten senkten ihre brennenden Fackeln so nahe auf das Gesicht des Toten, daß das Haar angesengt wurde. Dann ging die Manipulation der Verpackung des Leichnams vor sich. Der Körper wurde in das Fell, auf welchem er lag, eingehüllt, sodaß der Kopf frei blieb.
Alsdann hörten die Erdenbürger plötzlich merkwürdige musikalische Töne, welche von draußen hereinzudringen schienen, und die wohl einer primitiven Art Flöte entstammen mußten.
»Ich bin überrascht,« sagte Mac Milford zu Price, »daß wir hier oben auf dem Monde musikalische Klänge zu hören bekommen.«
»Es ist eine Art Okarina, welche die Seleniten benutzen; wenn ich nicht irre, fertigen sie dieses Instrument aus versteinertem Holz, welches sich massenhaft an einigen Stellen der Mondoberfläche vorfindet,« gab Price zurück.
»Versteinertes Holz? Das ist interessant! Kennen Sie die Stellen, wo solches vorkommt?«
»Gewiß, wenn Sie besonderes Gewicht darauf legen derartige Lagerstätten zu sehen, so bin ich gern bereit, Ihnen die nächste zu zeigen.«
Unterdessen wurde die Leiche des Aliacenushäuptlings aus dem Steinbau herausgetragen.
Mac Milford und seine Begleiter schlossen sich dem Zuge an, welcher sich nach östlicher Richtung durch die Stadt fortbewegte.
Die Klänge der Musikinstrumente waren sehr matt und verschwommen, woran die dünne Mondatmosphäre wohl die Hauptschuld tragen mochte.
»Ich bin neugierig, wo sie den Toten unterbringen werden,« meinte der Professor.
Price antwortete hierauf nichts; er war soeben mit Mary Watson in einem Gespräch begriffen, welches für beide Teile ein sehr interessantes zu sein schien, denn die Schottin setzte, trotzdem sie sich in einem Trauergefolge befand, des öfteren eine recht heitere Miene auf.
Die Unterbringung der Leiche geschah in einem Raume, welcher unter der Stadt lag und zu dem ein schmaler Stollen hinabführte.
Wie Price von Rzelloe erfuhr, war dies die Begräbnisstätte für sämtliche Angehörige des Aliacenusstammes.
Unter dem Trauergefolge fielen den Erdenbürgern zum erstenmale weibliche Seleniten und Kinder auf. Es war Sitte bei den Mondbewohnern, daß Frauen und Kinder sich nur bei Leichenbegängnissen in der Stadt zeigen durften; sonst waren sie stets in besonderen Steinbauten untergebracht und betraten nur in den seltensten Fällen die Wege der Ansiedelung.
Die verschiedenen Zeremonien, welche bei der Beerdigung stattfanden, boten zeitweise den Erdenbürgern gar seltsame Szenen. Man konnte sehen, wie die Seleniten unzählige Bücklinge vor dem Toten machten und dabei die tollsten Grimassen schnitten.
Mary Watson, welche anfangs nicht den Begräbnisraum betreten wollte, wurde schließlich doch von Price überredet und nahm auch an den übrigen Feierlichkeiten teil.
Nachdem die Bestattung vorüber war, begab sich Rzelloe mit den Erdenbürgern in einen Steinbau, welcher der Beratungsraum des Kraterstammes zu sein schien.
Rzelloe verständigte nunmehr seine Stammesfreunde darüber, daß sie in dem langen Fremdling den neuen Panarchen vor sich hätten und er hoffte, daß sie auch ihm ihre Untergebenheit versichern sollten.
Die Ältesten der Seleniten ließen denn auch nicht lange auf sich warten und versicherten durch Zeichen, daß sie Price als ihren Regenten anerkennen wollten. Rzelloe teilte kurz darauf dem neuen Panarchen mit, daß er sich auf eine feierliche Inthronisation gefaßt machen müsse. In welcher Art und Weise dieselbe vor sich gehen sollte, wurde Price nicht gleich gewahr, da Rzelloe soeben verschwand, um wahrscheinlich die nötigen Vorkehrungen mit den Ältesten der Aliacenusseleniten zu treffen.
»Hallo!« rief Mac Milford aus und zeigte mit der Hand nach oben. »Sehen Sie das herrliche Meteor?«
Wer von den Anwesenden das Auge noch rechtzeitig erhoben hatte, konnte über der Stadt eine glänzende Feuerkugel mit grünlichem Lichtschweife erkennen, welche durch die Atmosphäre auf die Mondoberfläche herniedersauste.
Aus Prices und Marys Munde ertönte ein Bewunderungsruf über die prächtige Naturerscheinung.
»War das Meteor nicht von einer außerordentlichen Größe?« sagte der alte Gelehrte.
»Auf Erden sah ich noch nie eine derartige Feuerkugel. — Aus welchem Sternbilde mag sie gekommen sein?«
»Ihr Radiant schien im Perseus zu liegen,« erwiderte der Professor; »ich kann mich aber auch irren, denn das Meteor machte einen gewaltigen Bogen und konnte auch aus einer nebenliegenden Sternkonstellation gekommen sein.«
Als Rzelloe wiederkehrte, waren in seiner Begleitung sechs alte Seleniten und ebenso viele Selenitinnen und mehrere Kinder. Die kleine Schar war beauftragt, die Inthronisation des neuen Panarchen vorzunehmen.
George Price wurde nun von Rzelloe unter Begleitung aller Anwesenden aus dem Steinbau hinaus und auf den freien Platz der Kraterstadt geführt, auf welchem das irdische Vehikel lag.
Hier sahen Mac Milford und seine Begleiter, daß sämtliche Bewohner der Ansiedelung herbeigeeilt waren, um der feierlichen Handlung beizuwohnen und den neuen Panarchen anzustaunen.
Als Zeichen seiner Würde empfing Price eine faustgroße Kugel, welche aus versteinertem Holz angefertigt und in der Mitte durchlöchert war; damit war ihm das Recht auf Leben und Tod über seine Untertanen verliehen.
Gleich darauf vernahm man einen dumpfen, langgezogenen Ton, dessen Echo von den Wänden des Kraterkessels vielfach zurückschallte. Auf dieses Zeichen hin warfen sich die versammelten Seleniten sämtlich nieder und berührten mit ihrer Stirn den Boden.
Dann wurde ein Ruf aus tausenden von Kehlen laut, der wie »Struzlae« klang; das sollte wahrscheinlich so viel wie das englische Hurra bedeuten.
»Die Inthronisation des neuen Herrschers der Mondstaaten ist vollzogen,« ließ sich Mac Milford, zu Mary gewandt, vernehmen.
»Die Inthronisation des neuen Herrschers der Mond-
staaten ist vollzogen!« ließ sich Mac Milford vernehmen.
»Könnte man nur eine Depesche an die Königin Viktoria absenden,« meinte hierauf die Schottin, welche über die Thronfeier sehr belustigt war.
»Leider ist die Verbindung mit meinem Hause zerstört, denn mein Empfangsapparat daheim ist zertrümmert. Im übrigen hätte das Telegraphieren auch keinen Erfolg, da niemand in meiner Wohnung ist, um eine Lichtdepesche aufzunehmen.«
Nachdem die Feierlichkeit völlig beendet war, durchwanderten die Erdenbürger die Kraterstadt nach allen Richtungen, und Mac Milford geriet dabei schließlich auch in denjenigen Steinbau, welcher das Archiv des Aliacenusstaates war. Genau wie in der Triesneckerstadt wurden auch hier zahlreiche Hautmanuskripte aufbewahrt.
Unter der Beihilfe von Price und Rzelloe vermochte es der Professor, viele der selenitischen Manuskripte auf ihren Inhalt hin oberflächlich zu prüfen. Was fand er da nicht alles!
Da war eine Schrift, anscheinend mit einer Art farbiger Tusche geschrieben, welche die letztwillige Erklärung eines sterbenden Staatsleiters enthielt.
Die wortgetreue Übersetzung der selenitischen Schriftzeichen ergab etwa folgendes:
»Da es nun Llersles will, daß ich den letzten Atemzug tue, so bestimme ich, daß mein einziger männlicher Abkömmling in meine Fußstapfen tritt. Was mir gehörte, gehört jetzt ihm. Möge er zu der Freude Llerzles' leben und unsern Staat wohlleiten Wsilzor.«
Links von der Unterschrift standen mehrere Kreuze und Kreise, welche, wie Mac Milford erfuhr, die Jahreszahl darstellen sollten und zwar ermittelte der Professor, daß diese letztwillige Bestimmung nach irdischer Zeitrechnung etwa 2000 Jahre alt sein mußte.
Ein anderes Manuskript, welches zur Hand genommen wurde, hatte folgenden Inhalt:
»Der Schreiber verzeichnet hier eine Erfindung, welche er gemacht hat. Es betrifft
die Verlängerung des menschlichen Lebens um mehr als das Doppelte ... (Hier
war ein Teil des Manuskriptes unleserlich.) ... am Storles beim Aliacenuskrater
befindet sich ein kriechendes Gewächs, dessen Wurzeln nicht am Boden haften,
dessen Stengel ständig umherwandert, und welches seine Nahrung aus den Ge
wässern zieht. Dieses Gewächs enthält einen Saft, der weiß ist, wie das Licht der
Sonne. Wer ihn genießt, wird mit jedem Sonnenaufgange sich stärker fühlen und
an Geist und Körper zunehmen ...«
Soweit war das Schriftstück zu lesen; der Rest der Aufzeichnung war teils durch das Alter verblichen, teils auch zerstört.
Ein drittes Manuskript, welches der Professor zu Gesicht bekam, ließ erkennen, daß hier eine kunstgeübte Hand wunderbare, groteske Figuren zu zeichnen verstanden hatte. Die wenigen selenitischen Hieroglyphen, welche auf der Haut sichtbar waren, deuteten darauf hin, daß dasselbe wahrscheinlich ein Diplom war. Die Kreise und Kreuze auf ihm verrieten, daß der Verfertiger dieser kunstvollen Aufzeichnungen vor etwa 2500 Jahren gelebt haben mußte. Daß sich die Farbentöne auf dem Manuskripte so gut erhalten hatten, mochte wohl auf eine unzerstörbare Farbenmischung, welche die Seleniten seinerzeit benutzten, zurückzuführen sein.
Während der Gelehrte noch eifrig das Diplomstück studierte, wurde er durch einen Ausruf Marys, welche ebenfalls eine Hautrolle hervorgezogen hatte, gestört.
»Was haben Sie, Miß Watson?«
»O, Herr Professor, betrachten Sie doch einmal dieses hier.«
Mac Milford nahm das gereichte Schriftstück zur Hand und sah darauf zahllose Reihen Ziffern, die zwar nicht den irdischen Zahlen glichen, aber sich doch in ihrem Charakter als selenitische Ziffern verrieten.
»Das ist ein interessanter Fund für mich,« meinte der alte Gelehrte und musterte das Hautmanuskript mit kritischen Blicken. »Es ist zweifellos eine ausgeführte Rechnung.«
»Die Null scheinen die Herren Seleniten auch gekannt zu haben,« meinte Price, als er ebenfalls einen Blick auf das Schriftstück geworfen hatte.
»Fast kommt es mir vor, als wenn diese Zahlenreihen hier eine Art lunarischer Logarithmen sein könnten.«
»Alle Achtung vor den Seleniten!« rief Price aus. »Sollten sie es damals in der Mathematik ebensoweit gebracht haben, wie wir?«
»Vielleicht ist es eine astronomische Berechnung, das Ergebnis der Beobachtung einer Kometenbahn, oder die genaue Ermittelung der Parallaxe der Sonne, oder gar eine trigonometrische Ausmessung der Milchstraße.«
»Ei, Herr Professor, Sie lassen aber Ihre Gedanken adlermutig schweifen! Meinen Sie wirklich, daß die Seleniten jemals die Dreiecksmessung gekannt haben?«
»Warum nicht?«
»Bis jetzt habe ich aber noch auf keinem Manuskript irgend welche geometrische Zeichen entdeckt, welche darauf hindeuten, daß die Seleniten Trigonometrie getrieben haben?«
»Trotzdem zweifle ich nicht daran,« erwiderte der Professor und zog abermals eine Hautrolle hervor.
Rzelloe erklärte Price den Inhalt derselben. Der obere Teil des Manuskriptes war derart vom Zahn der Zeit benagt, daß der Anfang nicht zu entziffern war. Gegen die Mitte der Aufzeichnung hin konnte man etwa folgendes lesen:
»... tief führt der Schacht hinab; durch ihn gelangt man zum Mittelpunkte des
Mondes. Herrliche Krystalle zieren die Wände, das Licht der Fackeln bricht sich
in ihnen tausendfach, sodaß das Auge fast geblendet wird ....«
Dies war das wenige, auf dem Manuskripte noch leserliche. In einer Ecke befand sich eine kleine Skizze, welche, wie der Professor annahm, wohl dazu diente, den Weg vom Aliacenuskrater zu dem betreffenden Schachte zu veranschaulichen.
Als Mac Milford die Zeichnung mit seiner Mondkarte prüfte, schien er zu einem befriedigenden Resultate gekommen zu sein.
»Das wäre ja hochinteressant, wo mag der Schacht liegen, Herr Professor?« frug Price, nachdem er ebenfalls einen Blick auf die Skizze geworfen hatte.
»Ich vermute, es ist der Tycho.«
»Ah, das ist wohl jener bekannte Berg, welcher uns auf Erden durch sein großes Strahlensystem besonders ins Auge fällt?«
»Ganz recht!«
»Meinen Sie wirklich, Herr Professor, daß der Kessel dieses Kraters hinab bis zum Mittelpunkte des Mondes reichen könne?« frug Mary interessiert.
»Bis zum Mittelpunkte — das möchte ich noch bezweifeln; jedenfalls aber ist der Schlund des Tycho so tief, daß man nach den Angaben dieses Manuskriptes hier auf Hohlräume stößt, welche zahlreiche wertvolle Krystallgebilde aufweisen dürften.«
»Da möchte ich dann doch den Vorschlag machen, wir besuchen den Tycho und klettern einmal in den Mondleib hinein.«
»Jedenfalls würde die Partie aber sehr beschwerlich sein,« sagte Mary Watson; »ich glaube kaum, daß ich mich daran beteiligen werde.«
»Ich werde bestimmt den Tycho aufsuchen,« erwiderte Mac Milford und legte das Manuskript zur Seite.
Inzwischen hatte Rzelloe eine andere Aufzeichnung herbeigebracht und Price bedeutet, daß dieselbe den Erdenbürgern sehr interessant sein dürfte.
Am Kopfe derselben war etwa folgendes zu lesen:
»Versuch zur Anbahnung eines Verkehrs zwischen unserer Welt und derjenigen,
die hoch über uns im Scheitel sich befindet.«
»Alle Wetter!« Das ist ein wichtiger Fund,« sagte Price, sich an den Professor wendend.
»Ich bin ebenfalls überrascht,« erwiderte dieser. »Also hat man doch schon vor Jahrtausenden versucht, sich von hier aus den Erdenbewohnern bemerkbar zu machen.«
Nachdem Rzelloe das Hautmanuskript völlig entziffert hatte, konnte sich Mac Milford ein Bild von der Art und Weise machen, wie die Mondbewohner mit den Erdenbewohnern in Verkehr treten wollten.
»Selenitische Gelehrte müssen eine besondere Modification magnetischen Fluidums entdeckt haben, um mit Hilfe desselben die Aufmerksamkeit der irdischen Menschen zu erregen.«
»Das ist aber doch merkwürdig,« entgegnete Price. »Die Wirkung eines Fluidums sollte noch 50 000 Meilen weit gewisse Erscheinungen hervorbringen?«
»Nun, es ist nicht so unmöglich, wenn die Forscher hier oben es verstanden haben, ungeheure kräftige magnetische Wellen durch den Weltäther hinab zur Erde zu senden.«
»Ich setze den Fall, daß dies stattgefunden hat, welche Wirkung würde diese Manipulation der Seleniten auf der Erde ausgeübt haben?«
»Darauf eine Antwort zu geben, ist mir unmöglich,« erwiderte der Professor. »Es liegt aber garnicht so fern, daß, wenn solche mächtige magnetische Wellen die Erdkugel erreicht hätten, diese vielleicht ungeheure Springfluten erzeugt haben könnten.«
»Das wäre doch ein gewaltsamer Versuch, die Bewohner der Mutter Erde aufmerksam zu machen,« gab Price im scherzenden Tone zurück.
»Sie meinen eine Springflut, Herr Professor?« warf Mary dazwischen. »Dann ist wohl gar die Sintflut auf eine solche Ursache zurückzuführen?«
»Sie sind da auf einen genialen Gedanken gekommen, Miß Watson; derselbe ist wahrhaftig nicht unrecht. Man hat sich auf Erden schon lange den Kopf zerbrochen, welche Ursache der biblischen Sintflut zu Grunde gelegen hat. Sie scheinen den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, das giebt mir wieder Gelegenheit ein epochemachendes Werk über die Entstehung der Sintflut zu schreiben, und ich werde nicht verfehlen, Miß Mary Watson als diejenige anzuführen, welche die Entdeckung zuerst gemacht hat.«
»Aber Herr Professor, positiv fest steht doch diese Annahme nicht; sie würde höchstens eine Hypothese darstellen.«
»Die Springfluten der irdischen Weltmeere sind zuweilen sehr gewaltige, sodaß keinen Augenblick mehr daran zu zweifeln ist, daß die Ursache in einer zeitweilig verstärkten Anziehungskraft des Mondes zu suchen ist. Darum liegt es gar nicht so fern, daß in Urzeiten einmal ungeheuere magnetelektrische Wellen zur Erde hinüber gesandt worden sind, welche die ungeheuersten Umwälzungen auf dem Erdenplaneten hervorgerufen haben.«
Mac Milford machte sich über alle in dem Manuskripte bemerkenswerten Stellen Notizen.
Noch stundenlang widmete er sich dem Studium der Weltgeschichte der Aliacenusseleniten. So kam es, daß die Erdenbürger vollständig den Eintritt der Sonnenfinsternis, welche sie beobachten wollten, verpaßten. Als schließlich der Professor sich derselben erinnerte, drängte er zum schleunigen Aufbruch.
Auf der Fahrt zum Timochariskrater, wo die Beobachtung stattfinden sollte, pflegten die Insassen des »Sirius« zeitweise der Ruhe, hatten sie doch eine Menge Strapazen hinter sich.
Noch ehe man an Ort und Stelle ankam, wurde ein Mahl, welches lediglich aus komprimierten Nahrungsmitteln bestand, eingenommen.
Die Fahrt zum Beobachtungsort ging glatt von statten und die Landung erfolgte in einer Kraterrille, welche südwärts vom Timocharis aus verlief.
Der kleine Trupp war ausgestiegen und begab sich zu Fuß auf den Weg, um von einer geeigneten Stelle aus das prächtige Naturschauspiel zu beobachten.
»Welche Zeit zeigt Ihr Chronometer, Herr Professor?« frug Mary Watson.
»Es ist jetzt 4 Uhr 48 Minuten 31 Sekunden nach irdischer Zeitrechnung,« sagte Mac Milford, nachdem er einen Blick auf seinen Chronometer geworfen hatte.
»Ich habe schon immer darüber nachgegrübelt, wie ich hier auf dem Monde eine lunarische Zeiteinteilung einführe,« meinte Price darauf.
»Wie — kennen die Seleniten den Begriff Zeit überhaupt nicht?« frug Mary Watson erstaunt.
»Für sie wird es nur ein vierzehntägiges Zeitintervall geben,« lautete des Professors Antwort.
»Ach so, ich verstehe; der Zeitraum, welcher zwischen dem Wechsel von Tag und Nacht liegt.«
»Ganz recht, — — diese Zeiteinteilung wäre ja natürlich für irdische Verhältnisse höchst unvollkommen, für die wissenschaftliche Forschung überhaupt völlig unbrauchbar; genügt doch für diese noch nicht einmal das kleinste gebräuchliche Zeitmaß, die Sekunde; sie benützt sogar noch Bruchteile derselben, wie zum Beispiel die Terzen.«
»Ob die Vorfahren der jetzigen Selenitenstämme wohl eine ähnliche Uhrzeit wie wir gekannt haben mögen?« frug Mary Watson.
»Wahrscheinlich; sie waren ja hochentwickelte Kulturmenschen.«
»Wie müßte, Ihrer Ansicht nach, deren Zeitmessung wohl beschaffen gewesen sein, Herr Professor?« frug jetzt Price.
»Das irdische Maß der Stunde ließe sich bei einer lunarischen Zeiteinteilung freilich nicht verwenden, da sich der Mond nicht, wie die Erde, in 24 Stunden einmal um seine Achse dreht, sondern dazu 27 Tage 7 Stunden 43 Minuten und 11½ Sekunden, also rund 656 Stunden gebraucht,« belehrte Mac Milford.
»Dann müßte die Stunde als Zeitmaß eigentlich 27 mal vergrößert werden,« ließ sich Price darauf vernehmen.
»Stimmt! — Ein Mondchronometer müßte demnach ein Zifferblatt besitzen, auf welchem sich die Zeiger, wenn man das Stunden, Minuten- und Sekundenmaß beibehalten wollte, mehr als 27 mal langsamer bewegen, als auf einer irdischen Uhr.«
»Puh! Das wäre ja der reinste Schneckengang ...« meinte Miß Watson.
»Ich werde für die Herren Seleniten eine Normalzeiteinteilung im Dezimalsystem ersinnen, wobei ich im Auge habe, über die Stunde noch ein größeres Zeitmaß zu setzen.«
Unter solchen Gesprächen gelangte der kleine Trupp zu dem Punkte, welchen der Professor für die Beobachtung der Sonnenfinsternis ausgesucht hatte.
Da die Erdenbürger verspätet ankamen, war die Verfinsterung bereits so weit vorgeschritten, daß nur noch eine schmale Sonnensichel sichtbar war. Die Dämmerung hatte schon Platz gegriffen, und ein rötlicher Beleuchtungston lagerte über der ganzen Gegend.
»Wie ich bemerke, treten hier dieselben Erscheinungen, wie bei einer von der Erde aus beobachteten Sonnenfinsternis auf,« sagte Miß Watson.
»Gewiß, aber in ganz erhöhtem Maße. Alle die erscheinenden Phänomene sind in großartigster Weise zu sehen, weil die Atmosphäre der Erde das Licht der verdunkelten Sonne rings um den Planeten herum teilweise hindurch läßt, wodurch sich jene große, farbenprächtige Corona unseren Blicken zeigt,« erklärte Mac Milford seinen mit Interesse lauschenden Gefährten.
Das Licht der Sterne in der Umgebung der Sonne wurde durch die strahlende Corona völlig abgeschwächt, und nur die entfernter liegenden Gestirne zeichneten sich als schwache Lichtpünktchen von dem schwarzen Firmamente ab.
Über der ganzen Gegend lag es wie Gewitterschwüle. Die Großartigkeit der Erscheinung begeisterte die für Naturereignisse leicht empfängliche Schottin sehr. »Sehen Sie nur, Herr Professor, die blutroten Flammenzungen, welche an vielen Stellen von der Sonne aufschießen.«
»Ja, es ist ein prächtiges Schauspiel. Wie feurige Fontänen schießen die Protuberanzen auf,« erwiderte der alte Gelehrte.
»Ich bin kolossal überrascht ... welche Ursache liegt dieser Erscheinung zu Grunde?« frug Miß Watson wißbegierig und wandte kein Auge von den interessanten Vorgängen ab.
»Diese Flammensäulen, welche Sie dort auflodern sehen, sind nichts anderes als brennender Wasserstoff und werden von der Wissenschaft Protuberanzen genannt,« erwiderte der Professor und schickte sich an, in seinem Notizbuch über die Corona und die Flammengebilde Aufzeichnungen zu machen.(*)
(*) Zur Orientierung des Lesers will der Verfasser dieser Erzählung es nicht unterlassen, ein kurzes Kapitel aus seiner »Populären Himmelskunde,« welches über die Protuberanzen näheren Aufschluß gibt, obenstehend anzuführen.
Unterdessen gelangte der kleine Trupp zu dem Punkte, welchen der
Professor für die Beobachtung der Sonnenfinsternis ausgesucht hatte.
Betrachtet man bei einer Sonnenfinsternis den Sonnenrand, so wird man bemerken, daß eine leuchtende Strahlenkrone den unsere Sonne verdunkelnden Himmelskörper umgibt, welche man mit dem Ausdrucke Corona belegt hat. Aus dieser heraus ragen flammenartige Erhebungen hervor, die sich im Aussehen wie Feuerfontänen verhalten und in rötlichem Lichte erstrahlen. Diese Erscheinungen werden Protuberanzen genannt. Man unterscheidet sie in vier Gestalten: Strahlen, Büschel, Nebel- und Haufenprotuberanzen. Diese Klassifizierung ist jedoch nur eine ungenaue, da erstens die Form sich häufig und schnell ändert und auch überhaupt bei der Unmenge der Protuberanzen eine strenge Einteilung einfach ein Unding ist. Innerhalb der Corona, die wie ein Heiligenschein den Rand der Sonne umgibt, ist eine rötliche Schicht bemerkbar, welche mit Chromosphäre bezeichnet wird und die in ihrem Aussehen einem wogenden Flammenmeere sehr ähnelt. Man hat die Dicke dieser rötlichen Schicht auf etwa 10 000 Kilometer geschätzt. Aus ihr direkt heraus entspringen die erwähnten Protuberanzen, welche zuweilen bis zu einer Höhe von 50 000 Kilometer über der Sonnenoberfläche emporsteigen. Dies käme einer Feuergarbe gleich, welche etwa 40 mal so lang als der Erddurchmesser wäre. Solche Protuberanzen sind oft mehrere Tage sichtbar, bis sie durch die Umdrehung der Sonne hinter derem Rande verschwinden; je weiter sie den Polen zuliegen, desto länger sind sie sichtbar. Die Protuberanzen treten einzeln, wie auch in Gruppen auf und finden sich an allen Teilen des Sonnenrandes. Der schroffe, schnelle Formenwechsel läßt alle Gestalten zu. Bald erscheinen sie wolkenähnlich, bald wie durch starken Wind beeinflußte Fackeln usw. Diese feurigen Fontänen sind nach Ansicht der Gelehrten GasAusbrüche des Sonneninnern. Als Gasgemisch nimmt man an, daß es Wasserstoffgas und Metalldämpfe sind, welche auch die Bestandteile der Chromosphäre ausmachen sollen.
Als nach Beendigung der Totalität die erste feine Lichtsichel der Sonne wieder erschien, begaben sich die Erdenbürger und ihre Begleiter zu dem Vehikel zurück, und die Fahrt sollte gleich beginnen, als sich Tom an seines Herren Worte erinnerte, welche ihn davon in Kenntnis gesetzt hatten, daß er seine fehlende Rippe in der Umgebung des Timochariskraters zu suchen habe.
»Herr Professor ...« sagte Tom zögernd, als Mac Milford ihm Befehl gab, die Luke zu schließen. — »Was willst Du?«
»Herr Professor — — meine Rippe —.«
»Deine Rippe ... richtig, die hätte ich bald vergessen.«
»Darf ich sie suchen?«
»Es ist fraglich, ob Du sie findest.«
»Der Herr Professor sagten aber doch, daß mir die Rippe nachgesandt sei.«
»Ganz recht — sogar Deinen Namen habe ich darauf geschrieben.«
»Was denken der Herr Professor, wo ich sie zu suchen habe?«
»Suche einmal aufmerksam am östlichen Abhange des Timocharis.«
»Ist der da drüben ....«
»Gerade dort, wo Du jetzt hinblickst.«
»Würden der Professor nicht die Güte haben mir ein wenig beim Suchen zu helfen?«
»Wer weiß, ob Deine Rippe nicht schon von Seleniten gefunden worden ist.«
»Ja — ja —,« seufzte der Dicke.
»Übrigens kannst Du mir ihr auch gar nichts mehr anfangen; glaubst Du vielleicht, ich könnte Dir das Ding wieder in Deinen Körper hineinpraktizieren?«
»Geht das wirklich nicht?« frug Tom in kläglichem Tone.
»Ich bin doch kein Hexenkünstler ... nun komm, wir wollen die Rippe suchen.«
»Ach, der Herr Professor sind die Güte selbst ... Sie wollen sich wirklich bemühen?«
»Ja — wenn Dir soviel daran liegt. Hoffentlich stoßen wir auch bald auf den fatalen Knochen.«
Der alte Herr und sein Diener verließen jetzt das Vehikel und schlenderten in der Umgebung des nahen Kraterberges umher.
Auf der Suche nach der Rippe stieß Mac Milford verschiedentlich auf versteinertes Holz. Als er in eine klaffende Bodenspalte, welche nur geringe Tiefe besaß, hinabstieg, bemerkte er, daß der Erdboden mit einer Unmenge versteinerter Baumstämme durchsetzt war.
»Herr Professor, Herr Professor, ich glaube, ich habe sie gefunden!«
»Wen? Was?«
»Meine Rippe!« schrie der dicke Diener eine Weile darauf in die Spalte hinunter.
»So, da hast Du aber Glück gehabt; es wird doch auch Dein Knochen sein? Du wirst doch nicht etwa die Rippe eines vorsintflutlichen Tieres erwischt haben?«
Darob war Tom sichtlich betrübt, zweifelte er doch nun an der Echtheit des Knochens, den er für seine Rippe hielt.
Als der alte Gelehrte aus der Spalte wieder heraufgestiegen war, betrachtete er den Knochen und sagte: »Nein, mein Lieber, diesmal hast Du Dich geirrt, das ist im ganzen Leben kein menschlicher Knochen. Es ist der Unterschenkel irgend eines ausgestorbenen Säugetieres. — Übrigens habe ich auf die Rippe, als ich sie im Atomistikum fand, sofort Deinen Namen geschrieben.«
»Der Name wird aber doch wohl auf der weiten Wanderung verwischt sein?« meinte Tom.
»Verwischt? — Unsinn! Wenn wir überhaupt noch das Glück haben, Deine Rippe zu finden, so wirst Du klar und deutlich Tom Smith darauf lesen können, denn die Atome des Knochens setzen sich bei ihrem Auftreffen auf dem Monde genau in derselben Weise wieder zusammen, wie sie vorher gruppiert waren.«
Mac Milford wollte nach einer Weile die Suche nach der Rippe aufgeben, als er zufälliger Weise auf den vermißten Knochen stieß.
»So, hier hast Du das Ding, alter Bursche, nun gieb Dich zufrieden.«
»So, hier hast Du das Ding, alter Bursche, nun gieb Dich zufrieden.«
Tom war über den Fund ganz glückselig und wickelte seine Rippe fein säuberlich in eine der Zeitungen, welche Mac Milford zur Lektüre mitgenommen hatte. Nachdem diese Mission erfüllt war, gingen die Beiden zu dem Vehikel zurück.
Als der Professor den »Sirius« wieder in Bewegung setzte, um zum Triesnecker zurückzukehren, schlug Price vor, man wolle bei dieser Gelegenheit gleich den Krater Tycho mit aufsuchen, um sich zu überzeugen, ob der Schlund dieses Vulkans wirklich so immens tief sei, wie es das eine Hautmanuskript angab.
»Wie ich schon einmal gesagt, bezweifle ich sehr, daß durch den Tycho hinab der Weg bis zum Mittelpunkt des Mondes führt,« entgegnete der alte Gelehrte.
Mary Watson fing allmählich zu klagen an, daß sie bisher so wenig der Ruhe habe pflegen können und äußerte den Wunsch, daß ihre Begleiter die Fahrt zum Tycho ein andermal unternehmen möchten.
Auf der Rückfahrt zum Triesnecker, welche ohne Aufenthalt und Unfall von statten ging, ließ sich Price von Rzelloe alle die wichtigeren Kraterstämme nennen, und machte auf der selenographischen Karte Mac Milfords bei den betreffenden Ringgebirgen und Kratern, welche in ihrem Innern große Ansiedelungen bargen, rote Kreuze.
Wieder wurde ein frugales Mahl eingenommen und Mac Milford bereitete hierzu ein angenehmes, Price völlig unbekanntes Getränk.
Nachdem der Professor auf chemischem Wege Wasser hergestellt hatte, schüttete er dasselbe in ein Trinkgefäß und mischte eine braune Substanz darunter.
»Hier, mein Lieber, kosten Sie einmal.«
Price schien das Getränk zu munden; als er es gegen das Licht hielt, sah er, daß es echtem Rotwein nicht unähnlich war, auch hatte er gefunden, daß es dem letzteren Getränke an Wohlgeschmack nichts nachgab.
»Sie sind ein wirklicher Tausendkünstler, Herr Professor, und verstehen aus Wasser Wein zu machen. Sapperlot, ein echter Bordeaux ist ja hiervon gar nicht zu unterscheiden!«
»Schmeicheln Sie nur nicht gar zu sehr, Mr. Price. — Übrigens haben Sie tatsächlich echten Wein vor sich.«
»Aber diese braune Substanz ... ?«
»War zu Pulver erstarrter ausgegorener Traubensaft, dem eine gute Portion Oneanthäther beigegeben ist.«
»Wie konnten Sie es ermöglichen, Traubensaft in feste Form zu bringen?« frug Price verwundert.
»Aber mein Lieber, Sie wissen doch, daß ich mit Hilfe der flüssigen Luft alle Sachen in einen pulverförmigen Aggregatzustand zu bringen vermag. Selbst die Blume, das Bouquet des Weins vermag ich auf solche Weise festzuhalten, ohne daß es sich aus der festen Substanz verflüchtigt.«
»Das ist ja einfach großartig, Herr Professor!«
Als Mary, welche auf der ganzen Fahrt geschlafen hatte, kurz vor der Ankunft am Triesnecker erwachte, wurde ihr ebenfalls ein Glas des seltsamen Rotweins kredenzt. Sie prüfte denselben auf seinen Wohlgeschmack hin und fand ihn vortrefflich.
Nachdem das Vehikel am Ziel gelandet war, bezogen die Erdenbürger zusammen einen der Steinbauten, um sich darin für einige Zeit häuslich niederzulassen. Zwar fühlte sich Mary im Innern des »Sirius« wohler, dort hatte sie allen Komfort, während ihr hier in dem Steinbau nichts als einige Steinsitze und Echsenfelle zur Verfügung standen.
Price hatte nicht übel Lust sein altes Quartier, jene Felshöhle am Abhange des Triesnecker, wieder zu beziehen, umsomehr, da er dort seine Apparate und Sammlungen hatte. Freilich schien die Sonne niemals in diesen dunklen Hohlraum hinein, und die Luft darin war so drückend, daß sich Price ab und zu ins Freie hinaus begeben mußte.
Die Beratungen, welche der TriesneckerHäuptling mit seinem Sohne Rzelloe pflog, zielten darauf hin, dem neuen Panarchen eine würdige Residenz zu schaffen.
Bald wurde es im TriesneckerStaate bekannt, daß die Gefährtin der Erdenbürger die Stelle der neuen Panarchin einnehmen wolle. Dies gab Anlaß zu einer Huldigung, welche die Selenitinnen auf Befehl der Ältesten des Stammes darbrachten.
Eine große Schar Frauen und Kinder kam kurze Zeit nach der Landung des »Sirius« herbeigeeilt und gruppierte sich um den Steinbau, welcher den Fremdlingen augenblicklich zur Wohnung diente.
Als Mary und Price durch Rzelloe erfuhren, daß die weiblichen Untertanen der neuen Panarchin huldigen wollten, begaben sich beide aus dem Steinbau hinaus. Der Professor und Tom folgten ihnen und nahmen hinter dem neuen Herrscherpaare Aufstellung.
Lächelnd schaute Mary auf ihre Mondschwestern, welche zahlreich versammelt waren. Tom, der dicht hinter ihr stand, schnitt sehr vergnügliche Grimassen, als er so viele selenitische Weiber, von denen er bisher noch kein einziges zu Gesicht bekommen hatte, hier beisammen sah.
Eine der herbeigeeilten Selenitinnen kniete vor dem neuen Panarchenpaare nieder und machte mit den Händen verschiedenartige Gestikulationen, wobei ihrem Munde leise, klanglose Laute entschlüpften. Die übrigen Versammelten kreuzten bei dieser Gelegenheit die Hände über die Brust.
Die übrigen Versammelten kreuzten bei
dieser Gelegenheit die Hände über die Brust.
Nachdem die Sprecherin sich wieder vom Boden erhoben hatte, zogen sich die Selenitinnen, rückwärts gehend, wieder zurück und entschwanden bald darauf den Blicken der Erdenbürger.
Mac Milford machte sich sogleich einige Notizen über diese Huldigung und begleitete dann das neue Panarchenpaar zu dem Vater Rzelloes.
Einige Stunden später erfuhr der Professor durch Price, daß dieser um Mary Watsons Hand angehalten habe, und daß dieselbe geneigt sei, als seine Gemahlin auf dem Monde zu bleiben.
Mac Milford gratulierte seinem jungen Freunde und wünschte ihm an der Seite seiner zukünftigen Gemahlin eine lange und glückliche Regierung.
»Haben Sie wirklich die Absicht, Ihr Dasein hier auf dem Monde zu beschließen?« frug der Gelehrte.
»Das hängt von den Umständen ab, Herr Professor. Um eines aber möchte ich Sie bitten. Senden Sie mir doch, sobald Sie zur Erde zurückgekehrt sind, durch Ihr Atomistikum alle Bestandteile herüber, welche zum Bau einer atomistischen Zelle gehören. Ich möchte für den Fall, daß ich einmal Lust verspüre, der Erde einen Besuch abzustatten, oder dem Monde für immer den Rücken zu kehren, die Gelegenheit haben, Miß Mary und mich ohne Schwierigkeiten in die alte Heimat zurückzubefördern.«
»Ja, mein Lieber, wo wollen Sie aber den zersetzenden elektrischen Strom hier oben herbekommen?«
»Teufel! daran dachte ich nicht. Wäre es nicht möglich, hier Elektrizität zu erzeugen?«
»Ich weiß nicht, ob die elektrische Energieform in der Weise, wie sie diese zur Zersetzung der Körper in Atome benötigen, hier auf dem Monde unter den veränderten physikalischen Zuständen verwendbar ist.«
»Könnten Sie dies nicht einmal prüfen,« frug Price.
»Da ist es doch viel einfacher, Sie senden mir eine Lichtdepesche für den Fall, daß Sie der lunarischen Welt den Rücken kehren wollen. Dann hole ich Sie mit meinem Vehikel wieder ab und bringe gleichzeitig einen Vertreter für Sie mit.«
»Sie haben recht, Herr Professor, das ist das einzig richtige.«
»Wie steht es nun mit der Fahrt zum Tycho?« frug jetzt Mac Milford.
»Ich bin mit von der Partie, Herr Professor, doch bezweifle ich stark, daß unsere erhabene Panarchin die Parforcetour mitmachen wird.«
»Nun, so kann sie ja mit Tom hier zurückbleiben, und wir fahren allein.«
»Ratsam wäre es doch, Rzelloe mitzunehmen,« sagte Price.
»Wenn der junge Selenit Lust hat, soll es mir recht sein. Besser zu dreien als zu zweien bei solch einer gefährlichen Partie.«
»Glauben Sie wirklich, daß die Sache schwierig ist?«
»Bis zum Mittelpunkt des Mondes werden wir ja nie und nimmer vordringen können, bedenken Sie, daß derselbe 234 Meilen unter der Oberfläche liegt.«
»234 Meilen,« wiederholte Price, das wären ja bald zwei Millionen Meter!«
»Ganz recht! Sie werden nun wohl selbst zugeben, daß wir eine solche Tiefe niemals erreichen würden. Schon der Luftdruck und die Temperatur würden unserer Wanderung bei Zeiten ein Ziel setzen.«
»Wann gedenken Sie zum Tycho hinüberzufahren, Herr Professor?«
»Wir wollen noch einige Stunden hier ausruhen und dann die Partie unternehmen.«
»Warum so eilig, Herr Professor? Wollen wir nicht noch einige Tage darüber verstreichen lassen, ehe wir diese schwierige Tour beginnen?«
»Ja, mein Lieber, ich trage mich mit der Absicht den Mond bald zu verlassen.«
»Wie? Was muß ich hören? Sie wollen zur Erde zurück?«
»Zurück auf unsere heimatliche Scholle, um bald darauf eine neue Reise ins Universum anzutreten.«
»Zum Mars?«
»Zum Mars,« wiederholte der Professor.
»So werden Sie uns also schon bald verlassen?«
»Nicht eher, als bis der Amerikaner auf dem Rückwege zur Erde vorausspaziert ist. Sie sollen mit Bruder Jonathan keine weiteren Aergernisse haben.«
Einige Stunden nach diesem Gespräche wurde abermals das Vehikel reisefertig gemacht und verließ den Triesnecker, um in raschem Fluge dem Tycho zuzueilen.
Mac Milford und Price wurden von Rzelloe begleitet, während Miß Watson und Tom zurückblieben.
Die große Schnelligkeit, mit welcher der »Sirius« fuhr, brachte die kühnen Reisenden bald an ihr Ziel.
Das Vehikel erreichte nach kurzer Zeit den gewaltigen Tycho. Fast die ganze Umgegend war vergletschert, nirgends schien es auf dem Monde unwirtlicher zu sein, als gerade hier. Eine Unmenge von Gletscherströmen verliefen sich von dem Gipfel des Berges oft hundert Kilometer weit in die umliegenden Tiefebenen.
Der »Sirius« landete mit einiger Schwierigkeit auf einem Plateau der Berghalde, welches keine fünfzig Meter vom Gipfel des gewaltigen Berges entfernt lag.
»Steigen wir aus, Mr. Price!«
»Wir wollen den Rest des Weges bis zum Gipfel zu Fuß zurücklegen?« frug der Angeredete.
»Jawohl; der Aufstieg wird uns keine sonderliche Mühe bereiten. Wie ich bemerkt habe, sind nur wenige Steigungen zu überwinden; einen besseren Landungsplatz konnten wir uns nicht wünschen.«
Der Professor und seine Gefährten verließen jetzt das Vehikel, nachdem sie sich schon vorher mit allen nötigen Sachen wie Nahrungsmitteln, Seilen und dergleichen mehr versehen hatten.
»Wenn nun aber der Schlund des Kraters sich so steil in die Tiefe versenkt, daß man nicht einen Schritt hinabwagen darf, ohne jeden Augenblick Gefahr zu laufen, den Hals zu brechen ....«
»Das wäre freilich ein Strich durch die Rechnung,« warf der Professor in Prices Rede ein. »Dann freilich müßten wir von dem Versuche, zum Mittelpunkt des Mondes vorzudringen abstehen. Selbst wenn wir genügend Seile hätten, würden wir es nicht wagen dürfen. Das Unternehmen wäre zu gefährlich.«
»Wie aus dem Hautmanuskripte hervorging, muß der Schlund aber doch nicht so steil beschaffen sein, als daß nicht ein Mensch zu Fuß in die Tiefe hinabgelangen könne. Sicher haben doch die Urseleniten den Versuch gemacht, auf diesem Wege tief in das Innere des Mondleibes vorzudringen.«
Der Professor räusperte sich. »Je nun, die guten Leute werden vielleicht bei der ungeheuren Tiefe des Kraterkessels nur vermutet haben, daß der Schlund bis zum Mittelpunkte hinabreiche.«
Während dieses Gespräches kletterten die Drei auf dem eisigen Abhange zum Gipfel empor, wobei sie öfter gefährliche Stellen passieren mußten. Alles gelang glücklich. Eine halbe Stunde später standen sie am Ziele ihrer Wanderung, oben auf dem Kraterrande. Die Atmosphäre war hier so ungemein dünn und die Temperatur so kalt, daß alle Drei nur mühsam atmen konnten und gewaltig froren.
»Teufel,« rief Price aus, »hier möchte ich auch keine Nacht zubringen!«
»Aha, sehen Sie, Mr. Price, das Glück ist uns hold, wir werden bequem in die Tiefe hinabgelangen können.« Mac Milford konnte bei dem Scheine der Sonne, welcher fast hundert Meter in den Kraterkessel hinabdrang, deutlich erkennen, daß ein Abstieg bequem möglich war, da die Wand ungemein viele Vorsprünge zeigte, auf welchen man festen Fuß fassen konnte.
Das Nächste, was die beiden Erdenbürger und ihr Begleiter Rzelloe nun vornahmen, war, daß sie sich, wie daheim die irdischen Bergführer, durch ein Seil miteinander verbanden. Die Laterne wurde mittels eines Riemens an der Brust befestigt und, trotzdem die Sonne noch alles beleuchtete, bereits in Tätigkeit gesetzt.
»Lassen Sie mich vorangehen, Herr Professor; es ist sicherer, meine Augen sind schärfer. Auch vermag ich infolge meiner Jugend besser zu klettern und den geeigneten Weg zu wählen.«
Mac Milford ließ seinen Gefährten gewähren, und dieser beeilte sich nun, den Abstieg in die gähnende, schwarze Tiefe zu unternehmen.
Das Seil, welches die Drei miteinander verband, war etwa zehn Meter lang; ein zweites hatte sich Price aufgerollt über die Schultern gehängt, und der alte Gelehrte trug eine zusammengelegte Strickleiter, welche er auf seinem Rücken befestigt hatte. Das übrige Reisegepäck, welches in die Tiefe mit hinabgenommen wurde, bestand aus einem Behälter mit Wasser und einer Büchse mit komprimiertem Nahrungsstoffe.
»Es ist doch eigentlich ein ganz gefährliches Unternehmen, welches wir hier beginnen,« meinte Price, und es sah fast aus, als ob er nicht übel Lust hätte, auf halbem Wege wieder umzukehren.
»Vorwärts!« sagte Mac Milford. »Solange wir noch festen Fuß fassen können, mein lieber Price, können wir es riskieren.«
Die ersten 100 Meter waren ohne Beschwerde zurückgelegt. Schon fing es allmählich an um sie her zu dämmern; das Licht der Sonne schwächte sich mehr und mehr ab. 200 Meter Tiefe waren bald erreicht, und noch immer bot der Weg keine besondere Schwierigkeit. Freilich galt es ab und zu wie eine Katze zu klettern, doch es ging stets ohne jeden Unfall ab. Endlich umfing die Drei völlige Finsternis, welche nur durch den Schein ihrer Laternen unterbrochen wurde. Die Öffnung des Kraterschlundes über ihrem Haupte zeigte sich ihren Blicken nur noch als eine unendlich ferne, kleine Lichtöffnung.
»Donner und Doria! Ich möchte eigentlich wissen, was wir in diesem Höllenschlunde suchen; Herr Professor, Sie sind auch zu unternehmungslustig. Glauben Sie wirklich, daß wir hier ein gut Stück Weges zum Mittelpunkte vordringen können?«
»Wenigstens bis zu den in dem Hautmanuskripte erwähnten Stellen, welche mit glänzenden Kristallen übersät sein sollen.«
»Wieviel Meter mögen wir bis jetzt wohl zurückgelegt haben?«
Mac Milford blieb auf dem kleinen Plateau stehen und zog ein Etui aus der Tasche, öffnete dieses und sah auf den darin liegenden Barometer. »Alle Wetter, wir sind ja schon über 1000 Meter tief geraten — — ja, ja, so ein Abstieg geht schnell, wenn der Weg nicht zu beschwerlich ist; aber wieder hinauf, mein lieber Price, das wird nicht so einfach sein; wir werden dann die doppelte Zeit klettern müssen.«
Die Wände des Kraterschlundes waren mit erstarrter Lava bedeckt. Wohin der Fuß trat, lag lockeres, oft sehr nachgiebiges Gestein unter ihm, meist sogenannte Bomben und Lapilli.
Bald wäre es einmal um die Wanderer geschehen gewesen, denn Price strauchelte an einer Stelle und wäre beinahe in die Tiefe hinabgeglitten, wenn sich nicht Mac Milford zufällig mit den Händen an einem spitzen, vorstehenden Stein festgehalten hätte, und die Seilverbindung so von Nutzen wurde.
»Sapperlot,« rief Price seinem über ihm stehenden Begleiter zu; »beinahe wären wir in die Tiefe gerasselt. Ich glaube übrigens, wir können unser Testament machen, Herr Professor.«
»Nur Mut, Mr. Price, die Sache sieht gefährlicher aus, als sie ist; vorläufig geht der Abstieg noch ganz bequem.«
Wieder verging eine Weile, bis Mac Milford sein Barometer abermals prüfte und sagte: »1300 Meter. Jetzt sind wir bereits in eine größere Tiefe vorgedrungen, als wie solche auf der Erde mittels Bohrlöchern jemals erreicht worden ist.«
Von Zeit zu Zeit wurde die Wanderung zum Mondmittelpunkte durch ein leises, dumpfes Donnerrollen, welches aus der Tiefe heraufklang, und durch fernes Rauschen unterbrochen.
»Was tönt da nur immer herauf?« frug Price.
»Über die Ursache dieser Geräusche bin ich mir nicht im Klaren,« erwiderte der Professor.
»Verspüren Sie nicht auch, daß der Boden zeitweise unter uns bebt?«
»Ganz Recht! Noch vor einigen Augenblicken verspürte ich ein leises Zittern des Plateaus, auf welchem ich Fuß gefaßt hatte.«
»Diese Erschütterung ist vielleicht der Ausläufer eines Mondbebens.«
Als die Reisenden die Tiefe von 2000 Metern erreicht hatten, verspürten sie, daß die Luft bedeutend wärmer und dichter geworden war.
»Wieviel Grad Celsius mögen wir hier unten wohl haben?« ließ sich Price nach einer Weile vernehmen. »Ich glaube, daß hier über 30 Grad Wärme herrschen.«
»Das könnte ungefähr stimmen. Machen Sie sich aber darauf gefaßt, daß, je tiefer wir kommen, die Temperatur immer mehr zunimmt. Dies wird Ihnen ja auch von der Erde aus genügend bekannt sein.«
Der Schein der beiden Laternen reichte nur etwa 20 Meter weit, war aber immerhin genügend hell, um daß sie mit einiger Vorsicht tiefer und tiefer hinabdringen konnten.
»Wann glauben Sie, daß wir auf jene Kristallmassen stoßen werden, von denen das Hautmanuskript erzählte?«
»Jedenfalls haben wir noch mehrere Tausend Meter zurückzulegen, ehe nur daran zu denken ist, daß wir diese beiden Schichten erreichen, in welchen derartige Kristallbildungen vorkommen können.«
»Ich möchte fast vermuten, daß wir auf große Diamantlagerstätten stoßen werden. Denn was könnte es anders sein als Diamant, wovon die historische Aufzeichnung spricht.«
»Der Gedanke liegt sehr nahe,« erwiderte der Professor. »Der Anblick einer solchen Ablagerungsstätte muß entzückend sein, vorausgesetzt, daß die eine oder andere Seite der Kristalle eine blanke Oberfläche zeigt. In der Regel entwickelt ja der Diamant erst sein prächtiges Farbenspiel, wenn er von der undurchsichtigen Schale durch Abschleifen befreit worden ist.«
Je tiefer die mutigen Reisenden drangen, desto beschwerlicher wurde mit der Zeit auch das Atmen. Die dicke, warme Luft und der zeitweilig recht beschwerliche Abstieg gaben Veranlassung, daß Price allmählich die Lust am Unternehmen verlor und sich schon innerlich nach der Oberfläche zurücksehnte. Zwar ließ er davon nichts verlauten, aber seine Wortkargheit und eine deutlich bemerkbar werdende Unlust gaben Mac Milford die Gewißheit, daß sein junger Freund über kurz oder lang Halt machen und vorschlagen würde, wieder umzukehren.
Der alte Gelehrte hatte recht gedacht. Nachdem etwa 3500 Meter zurückgelegt waren, sagte Price: »Ich glaube, ich kann nicht mehr, Herr Professor. Das Atmen fällt mir schwer, die Füße tun mir weh, und — die Aussicht, vielleicht noch viele Tausend Meter weiter hinabklettern zu müssen, benimmt mir allen Mut.«
Als Price so seine Mutlosigkeit bekannt hatte, ermunterte ihn der alte Gelehrte, doch noch wenigstens 1000 Meter Wegs weiter zu riskieren. Kam man dann noch nicht zu jenen Kristallschichten, so sei er bereit umzukehren.
Der junge Student ließ sich schließlich auf Zureden Mac Milfords bestimmen, den Weg fortzusetzen. Schon hatte er sich verschiedentlich die Hände und das Gesicht beim Klettern an dem harten Gestein verletzt, und jetzt drohten ihm auch noch die Füße wund zu werden.
»4000 Meter!« rief Mac Milford plötzlich aus.
In diesem Augenblicke stieß Price einen Schrei aus, denn der Boden schien unter seinen Füßen nachzugeben. Sofort klammerte sich Mac Milford fest an das Gestein. Das Seil, welches ihn mit Price verband, spannte sich straff. Der Alte merkte sofort, daß jener abgeglitten sei; er verspürte die ganze Last von Prices Körper.
Das war ein furchtbarer Augenblick. Wenn jetzt den Professor die Kräfte verließen, so waren alle Drei unrettbar verloren und stürzten in die Tiefe. Rzelloe klammerte sich, als er das Unglück bemerkte, ebenfalls fest an das vorspringende Gestein der Kraterwand.
»Was ist passiert, Mr. Price? Antworten Sie doch, antworten Sie.«
Dem Angerufenen gelang es soeben, sich auf ein Plateau zu retten.
»Lassen Sie um Gotteswillen das Seil nicht locker, Herr Professor, nur noch einige Augenblicke und ich kann wieder festen Fuß fassen. Ziehen Sie doch bitte ein Stückchen aufwärts!«
Mac Milford tat, wie ihm geheißen.
»So — noch ein Stückchen; halten Sie ja fest, es gilt unser Leben!«
Durch die krampfhaften Anstrengungen der Drei löste sich vielfach gelockertes Gestein von der Kraterwand und prasselte in den gähnenden Schlund hinab.
Endlich gelang es ihnen, sich aus der furchtbaren Gefahr zu retten, indem Mac Milford seinen Gefährten mit großer Mühseligkeit auf das kleine vorspringende Plateau hinaufziehen konnte.
Halb erschöpft setzte sich Price auf demselben nieder und rang schwer nach Atem.
Dieser Vorfall raubte auch dem Alten fast die Lust, die Wanderung fortzusetzen.
»Um ein Haar wäre es um uns geschehen gewesen. Ich danke Ihnen, Herr Professor, daß Sie in der gräßlichen Lage so wacker Stand gehalten haben.« Bei diesen Worten drückte Price dem Alten herzlich die Hand.
Während der Erschöpfte sich etwas ausruhte, prüfte Mac Milford sein Taschenbarometer; er glaubte ihn schon bei dem krampfhaften Anklammern an das Gestein zerdrückt zu haben.
»Haben Sie noch Lust, die Wanderung fortzusetzen, Mr. Price?«
»Wenn ich wüßte, daß wir bald auf die Kristallschichten stoßen würden, so hätte ich nichts gegen einen weiteren Abstieg.«
»Ich werde einmal die Tiefe loten und untersuchen, ob wir uns dem erstrebten Ziele nähern.«
»Wie wollen Sie das machen, Herr Professor?«
»Sehr einfach, mein lieber Price. Ich binde meine Laterne an das lange Seil, welches Sie mit sich führen, und lasse sie so in die Tiefe hinab.«
»Das Tau ist aber kaum 100 Meter lang; ich bezweifle, ob unser Vorhaben irgend welchen Zweck hat. Es wäre doch ein Zufall, wenn die Kristallschichten bereits in allernächster Nähe unter uns liegen sollten.«
»Lassen Sie mich nur machen,« meinte der Professor.
Wenige Augenblicke später sank Mac Milfords Laterne in den schwarzen Schlund hinab. Hierbei bemerkten die Wanderer, daß sich etwa 30 Meter unter ihnen Boden befand.
»Was, sollten wir hier schon auf dem Grunde des Kraters sein?« rief der alte Gelehrte erstaunt aus. »Das kann ich mir nicht gut denken.«
»Wahrhaftig, auch ich sehe deutlich den Grund.«
Als die Laterne unten auf dem Boden aufstieß, erkannten die Erdenbürger, daß der Kraterschlund seitwärts noch weiter in die Tiefe zu verlaufen schien, anscheinend aber nicht mehr in senkrechter Richtung.
Nun zögerten die Drei keinen Augenblick mehr, die Wanderung fortzusetzen; bot sich ihnen doch jetzt ein bequemer Abstieg.
Bald waren sie auf dem Grunde des Schlundes angekommen und untersuchten sogleich den Stollen, welcher die Fortsetzung nach unten bildete. Als sie fanden, daß der Weg gar nicht so abschüssig war, wagten sie sich weiter. Sie mochten so etwa bis zu 4500 Meter Tiefe vorgedrungen sein, als Price einen Ruf ausstieß.
»Hurrah, Herr Professor wir sind am Ziele!«
Schon blitzte den Wanderern funkelndes Gestein entgegen, in welchem sich die Lichtstrahlen der Laternen brachen.
Wieder sahen sie in nächster Nähe Grund. Die letzte Strecke bis zu demselben war freilich sehr steil, sodaß jetzt die Strickleiter in Aktion treten mußte. Dieselbe wurde an einem spitzen Steine in der Wand befestigt, gerade an einer Stelle, wo sich ein kleiner Felsvorsprung befand, auf welchem Rzelloe stehen blieb und die Strickleiter festhielt, während die beiden Erdenbürger auf derselben hinabstiegen.
Die letzte Strecke bis zu dem Grund war freilich sehr
steil, sodaß jetzt die Strickleiter in Aktion treten mußte.
Wunderbar war der Anblick hier unten. Aus dem Boden und den Wänden ragten stellenweise mehr als faustgroße, funkelnde Kristalle heraus. Der Professor prüfte sofort einen derselben, indem er das Glas seiner Laterne mit ihm zu ritzen versuchte, was auch von Erfolg war.
»Diamanten! Echte Diamanten! Hier unten sind Schätze vorhanden, welche nach irdischen Begriffen einen unermeßlichen Wert besitzen.«
»Diese Diamantenstätte werde ich ausbeuten, Herr Professor. Heute werde ich freilich zur wenige Edelsteine mitnehmen können; aber ich werde bald ein zweites Mal mit einer Anzahl Seleniten zurückkehren und hier reiche Ernte halten.«
Mac Milford löste mittels eines kleinen Hammers, welchen er für alle Fälle mitgenommen hatte, einige der Kristalle aus der Wand, was nicht ohne Schwierigkeiten abging.
Die drei Wanderer konnten sich an dem Funkeln des herrlichen Gesteins nicht satt sehen. Wunderbar war die Pracht, wie die Diamanten beim Scheine der Laternen ihr herrliches Farbenspiel entwickelten. Grüne, blaue und gelbe Strahlen schossen wie kleine Blitze aus ihnen heraus.
»Wie ist es möglich, Herr Professor, daß sich hier so viele Diamantkristalle bilden konnten? So viel ich weiß, finden wir den König der Edelsteine auf Erden doch immer nur vereinzelt im Geröll und Sande ausgetrockneter Flußbetten, sowie in gewissen, der Erdoberfläche naheliegenden Bodenschichten,« sagte Price, indem er einen großen Kristall bewundernd betrachtete.
»Wie Sie wohl wissen werden, mein Lieber, besteht der Diamant aus nichts weiter als reinem Kohlenstoff, welcher sich in kristallisiertem Zustande befindet. Der Kohlenstoff kommt auf Erden in drei Modifikationen vor, die erste ist eine verunreinigte Substanz und zwar die Kohle, die zweite bildet den Graphit, und die dritte ist der Diamant ...« belehrte Mac Milford seinen jungen Gefährten.
»Herr Professor,« fiel Price dem Alten in die Rede, »ich habe mich immer schon darüber gewundert, warum es der Wissenschaft noch nicht gelungen ist, Kohle und Graphit in Diamanten zu verwandeln, der Grundstoff ist doch da und braucht nur kristallisiert zu werden.«
»Das stimmt schon, aber Sie bedenken nicht, welche ungeheuren Schwierigkeiten es hat, Kohlenstoff zum Kristallisieren zu bringen? Ich selbst habe mich seinerzeit mit diesem Problem beschäftigt und erst nach langen, mühseligen Versuchen endlich ein Resultat zu verzeichnen gehabt. Wenn Sie einen Blick in mein Tagebuch werfen, so werden Sie in demselben eine kurze Aufzeichnung darüber finden.«
»Ich muß immer wieder Ihren großen Scharfsinn und Ihren Forschergeist bewundern!«
Auf Veranlassung Prices wurde inzwischen Rzelloe damit beschäftigt, einige der schönsten und größten Diamantkristalle mittels eines Hammers aus den Wänden herauszuhauen, was dem jungen Seleniten jedoch viel Mühe verursachte, da die Verbindung des Diamanten mit dem ihn umgebenden Gestein eine äußerst innige war.
»Um die Kristallisation des Kohlenstoffes zu erzwingen, muß man mit einem außerordentlich hohen Hitzegrad und einem gewaltigen Druck operieren. Zur Erlangung der nötigen Hitze verwendete ich den elektrischen Flammenbogen; den hohen Druck führte ich nicht selbstständig herbei, in dieser Hinsicht half mir die Natur.«
»Die Sache interessiert mich, Herr Professor; darf ich Sie bitten, mir über das Zustandekommen der Kristallisation weitere Angaben zu machen?«
»Oh gewiß, mein Lieber, dazu bin ich gern bereit.«
Rzelloe war es soeben gelungen, einen besonders großen Kristall, welcher fast zwei Pfund schwer war, aus dem harten Gestein zu lösen. Freudig nahm ihn Price in Empfang und konnte sich an dem herrlichen Farbenspiel dieses Riesendiamanten kaum satt sehen.
»Bei meinen Versuchen,« fuhr Mac Milford fort, »verwendete ich als Kohlenstoff Zuckerkohle, brachte diese mit Eisen durch Einwirkung starker, elektrischer Ströme zum Schmelzen, sodaß sich der Kohlenstoff im Eisen löste. Alsdann kühlte ich diese Mischung urplötzlich ab, wodurch das Eisen bei der schnellen Erstarrung sich derart zusammenzog, daß es auf die in seinem Innern befindlichen Kohleteilchen einen Druck von etwa 1000 Atmosphären ausübte. Als ich dann die Eisenmasse chemisch auflöste, fand ich einmal den Versuch gelungen, indem sich meinen Blicken zahlreiche Diamantsplitter zeigten; freilich waren dieselben mikroskopisch klein. Doch ich hoffe, mit der Zeit auch größere Diamanten herstellen zu können, sobald mir nur die erforderlichen Apparate zur Vornahme der Kristallisation zur Verfügung stehen.«
»Welch eine ungeheure Macht würde durch diese Entdeckung in Ihre Hand gegeben sein, Herr Professor! Ein Milliardär wäre ja dann gegen Sie ein armer Mann,« rief Price begeistert aus.
Mac Milford steckte die gelösten Diamanten in die Tasche und untersuchte den Grund des Schlundes, auf welchem sie sich befanden, weiter. Er sah, daß sich seitwärts einige Stollen in die Tiefe verliefen und leuchtete in einen derselben hinein.
»Ein Abstieg ist hier unmöglich.«
»Sehen Sie einmal her, Mr. Price. Der dunkle Kanal hier ist unpassierbar; wir wüßten nicht, wo wir, falls wir ihn betreten, den Fuß hinsetzen sollten.«
Nachdem sich Price auch davon überzeugt hatte, daß ein weiteres Vordringen unmöglich war, beschlossen die Wanderer, den Rückweg anzutreten. Auch Price und Rzelloe brachen sich einige DiamantKristalle ab und beschwerten damit ihre Taschen.
Der Aufstieg war entschieden mühseliger. Von Glück konnten die Drei sagen, daß sie ohne ernsten Unfall schließlich wieder, nachdem sie einige Stunden geklettert waren, die Öffnung des Schlundes über sich erblickten, und die ersten Spuren des Tageslichtes zu ihnen herabdrangen.
Der Aufstieg der letzten hundert Meter zum Kraterrande bot die größte Schwierigkeit, da man nicht den alten Weg beim Abstieg benutzen konnte und an einer viel steileren Stelle in die Höhe klomm. Fast wäre es noch wenige Meter vom Gipfel entfernt zu einem ernsten Unfalle gekommen, wenn nicht Rzelloe, der wie eine Katze zu klettern verstand, das Seil, welches ihn mit den beiden anderen verband, um einen Steinblock, welcher aus der Wand herausragte, gewickelt hätte.
Tief aufatmend standen schließlich die Drei wieder am Ausgangspunkte ihrer Wanderung auf dem Kraterrande. Bald machten ihnen die dünne Luft und die Kälte von neuem Beschwerden, sodaß sie sich eiligst zu dem Vehikel hinabbegaben und ins Innere desselben flüchteten.
Die Anstrengungen waren so große gewesen, daß sowohl die Erdenbürger, als auch Rzelloe beschlossen, zunächst der Ruhe zu pflegen und erst dann weiterzufahren.
Gedacht, getan. Wenige Minuten später herrschte tiefe Stille im »Sirius«. Die leisen Atemzüge der Insassen verrieten, daß sie bald in tiefen Schlummer verfallen waren.
Einige Stunden mochten sie so geschlafen haben, als Price plötzlich munter wurde und aufsprang. Er warf einen Blick durch das Fenster hinaus in die Umgebung des Tycho. Während sein Auge über die von Gletscherströmen durchsetzte Gegend umherschweifte, bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß sich der amerikanische Drachenflieger in der Nähe befand.
Eiligst weckte er die Schläfer. »Herr Professor, stehen Sie auf, der Yankee naht sich wieder!«
Schnell sprangen Mac Milford und Rzelloe auf die Beine, und ersterer eilte ans Fenster, wo er sich von der Wahrheit des soeben Gehörten überzeugte.
»Also doch — ich glaubte wahrhaftig den Amerikaner längst draußen im Weltall. Er ist doch ein Verräter. Auf Schritt und Tritt scheint er uns zu folgen und paßt wahrscheinlich nur den Moment ab, wo er uns überrumpeln und unschädlich machen kann.«
»Das wird ihm nie gelingen!« rief Price aus.
Mac Milford visierte jetzt sein Fernohr auf den etwa 1000 Meter entfernten Drachenflieger, welcher über dem PictetKrater zu schweben schien.
»Ob sich Freund Jonathan heranwagen wird?« meinte Price.
»Ich glaube es kaum. Er wird sich wohl immer in respektabler Ferne halten ... sehen Sie, schon ändert er den Kurs!«
»Er schwenkt links ab, Herr Professor; wir dürfen ihn nicht aus den Augen lassen. Es wird Zeit, daß wir einmal mit ihm abrechnen.«
»Warten wir dazu nur einen geeigneteren Augenblick ab, lieber Price. Der Yankee ist listig und verschlagen; wir werden ihn nicht so leicht unter die Finger bekommen.«
»Mag dem nun sein, wie es wolle; ich stelle ihm doch noch eine Falle,« gab Price zur Antwort.
»Ich schwanke jetzt, ob wir das Fahrzeug verfolgen oder überhaupt keine Notiz von ihm nehmen.«
»Aber Herr Professor, Sie wollen den Burschen nochmals laufen lassen; dann wird er vollends üppig und glaubt, wir wagten es nicht, mit ihm anzubinden. Jagen wir ihm lieber nach.«
»Gut, Mr. Price, ich will Ihrem Wunsche entsprechen.«
»Sie sind also wirklich geneigt, sich zu einem Kampfe in der Luft herbeizulassen, Herr Professor?«
»Davon kann keine Rede sein. Ich beabsichtige, den Drachenflieger in die Flucht zu jagen. Vielleicht besinnt sich sein Besitzer doch noch und hält es für das Beste, uns das Feld zu räumen und zur Erde zurückzukehren.«
»Die Amerikaner sind verzweifelt zähe, und besonders dieser hier wird nicht so leicht aus dem Felde zu schlagen sein.«
Die Fahrt des »Sirius« ging jetzt von statten. Mac Milford verfolgte eiligst den schon in der Ferne verschwindenden Drachenflieger. Der Kurs wurde nordwärts dem Ringgebirge Hell zu genommen.
Die Überlegenheit des »Sirius« gegenüber dem Drachenflieger zeigte sich bald. Mehr und mehr näherten sich die beiden Fahrzeuge. Price hielt fleißig nach seinem Feinde Ausschau und beobachtete jede Bewegung des Drachenfliegers.
»Ich vermisse mein Tagebuch,« ließ sich plötzlich Mac Milford nach einer Weile vernehmen.
»Sagten Sie mir nicht, daß es Ihnen schon einmal abhanden gekommen war?«
»Ja, aber dem Yankee ist es von meinem Faktotum wieder abgenommen worden.«
»Sie haben es vielleicht verlegt ...«
»Das kann nicht gut sein; wo sollte es hier stecken? Ich erinnere mich, es noch vor einiger Zeit dort auf den Klapptisch gelegt zu haben.«
In Price tauchte jetzt ein Gedanke auf.
»Sollte es der Amerikaner, als er unserem »Sirius« bei den Katakomben einen Besuch abstattete, abermals gestohlen haben?«
»So ist es — er und kein anderer hat das Buch!« rief Mac Milford überzeugt aus.
»Es wird die höchste Zeit, daß wir den Burschen auf immer unschädlich machen,« ließ sich George Price vernehmen.
»Das Tagebuch ist für mich ungemein wertvoll, da ich fast alle meine wichtigsten Aufzeichnungen, Skizzen und Berechnungen darin niedergeschrieben habe. Ich muß es wieder haben; koste es, was es wolle. Wir müssen es dem Räuber wieder abnehmen.«
Sogleich drehte Mac Milford die Antigravitationskathode seines Fahrzeuges so, daß die Geschwindigkeit in wenigen Augenblicken fast um das Doppelte erhöht wurde.
»Dem werden wir bald auf den Fersen sein. Jetzt ist es mit meiner Geduld auch zu Ende,« meinte der Professor und legte alsdann seine Waffe bereit.
»Bravo, bravo, Herr Professor, das freut mich, Sie so entschlossen zu finden. Auf meinen Beistand dürfen Sie voll und ganz rechnen.«
Mit fabelhafter Geschwindigkeit sauste der »Sirius« über die Landschaften der Luna dahin, um nach etwa einer Viertelstunde dicht in die Nähe des Drachenfliegers zu kommen.
Bereits konnte man den Kopf des Amerikaners drüben am Fenster erkennen. Wahrscheinlich wurde es dem Verfolgten jetzt doch angst, denn er versuchte, mit seinem Fahrzeuge nach einer andern Richtung zu retirieren.
Mac Milford dirigierte den »Sirius« aber so geschickt, daß er bald hart neben dem Drachenflieger herfuhr. Fast streiften sich die Wände der beiden Fahrzeuge. Mit großer Vorsicht unternahm es Mac Milford, die Kathode des »Sirius« aus dem unmittelbaren Bereiche des Drachenfliegers zu bringen, damit dieselbe nicht etwa durch eine plötzliche Wendung des Amerikaners Schaden erleide.
Jetzt war der Augenblick gekommen, wo man die Insassen des Drachenfliegers zwingen wollte, sich zu ergeben. Daß der Panarch sich ebenfalls noch in dem amerikanischen Fahrzeuge befand, darüber waren sich die Insassen des »Sirius« klar, denn Rzelloe hatte durch die Fenster hindurch die Gestalt seines Erbfeindes, trotzdem dieser sich den Blicken zu entziehen versuchte, erkannt.
»Ich bin neugierig, wie ihnen unsere Forderung munden wird,« meinte Price und prüfte seinen Revolver. »Pardon giebt's nicht!«
Die Grimassen, welche der Amerikaner drüben am Fenster schnitt, ließen seine Gegner im Unklaren, ob sich darin Furcht oder Hohn und Trotz ausdrückten. Daß auch der Feind entschlossen war, sein Leben aufs äußerste zu verteidigen, daran zweifelten die Insassen des »Sirius« keinen Augenblick.
Jetzt war guter Rat teuer, wie man sich gegenseitig verständlich machen sollte. Mac Milford kam auf den Gedanken, seine Forderung an den Amerikaner auf ein Blatt Papier zu schreiben und ihm dieses zu Gesicht zu bringen. Der Gedanke wurde von Price gebilligt, und der Professor schrieb sogleich folgendes mit großen Buchstaben auf einen Bogen Papier nieder:
Wenn Ihr es wagt, uns Widerstand zu leisten, so seid Ihr für immer verloren. Mein Fahrzeug wird dann den Kampf mit dem Euern in der Luft aufnehmen, und Ihr werdet totsicher unterliegen. Ich fordere Euch auf, Euch zu ergeben und mir vor allem das Tagebuch, welches Ihr mir gestohlen habt, sofort wieder auszuhändigen.
Ich bemerke nochmals, daß ich keinen Spaß verstehe und daß ich Euch, wenn Ihr Trotz bietet, schonungslos vernichten werde.
Der Yankee überflog an dem Fenster seines Drachenfliegers die Aufforderung, welche ihm Mac Milford von seinem Fahrzeuge aus entgegenhielt. Alsdann verschwand er.
Nach einer Weile stoppte unvermutet der Drachenflieger, sodaß der »Sirius« an ihm vorbeischoß.
»Er hält an!« rief Price aus. »Ihre Drohung scheint gefruchtet zu haben.«
Der Alte nickte befriedigt und drehte sein Vehikel bei, um wieder an die Seite des Amerikaners zu fahren, wo er dann ebenfalls stoppte.
Inzwischen hatte sich die Deckenluke des Drachenfliegers geöffnet, und der Kopf seines Besitzers tauchte aus derselben auf.
Mac Milford und Price öffneten jetzt ebenfalls die Luke des »Sirius« und stiegen auf die Plattform hinaus, um mit dem Amerikaner weiter zu verhandeln.
»Warum trotzt Ihr?« schrie Price hinüber.
»Ich habe keine Absicht, neue Eroberungsfahrten zu machen; ich will vielmehr die Gelegenheit meines Hierseins ausnützen, um einmal das Leben und Treiben auf dem fremden Gestirne beobachten zu können. Ich gedenke über den Mond und seine Bewohner ein umfangreiches Werk herauszugeben,« antwortete der listige Yankee.
»Er will mir litterarisch Konkurrenz machen,« meinte der alte Gelehrte zu seinem Gefährten.
»Nun, das Vergnügen können Sie ihm ja gönnen,« gab Price zurück. »Wehe ihm aber, wenn er es noch einmal wagt, auch nur die Hand nach unserm Eigentum auszustrecken!«
»Ihm ist nicht zu trauen. — Wo habt Ihr mein gestohlenes Tagebuch?« Diese letzten Worte richtete der Professor an den Yankee.
»Ihr sprecht da von einem Tagebuche. Wie soll ich in den Besitz desselben gekommen sein?« rief es von drüben herüber.
»Was ... Ihr wollt noch lügen!« schrie Price, und schon färbte sich sein Gesicht vor Zorn dunkelrot. »Gesteht es ohne Umschweife ein, daß Ihr das Tagebuch habt, sonst findet Ihr keine Gnade und kein Erbarmen mehr, und Ihr seid in wenigen Minuten ein Kind des Todes!«
Die Drohung des erzürnten Schotten schien seine Wirkung nicht verfehlt zu haben, denn der Yankee verschwand urplötzlich im Innern seines Fahrzeuges und tauchte nach wenigen Augenblicken mit einem Hefte in der Hand wieder auf.
»Also habt Ihr es doch gestohlen?« rief Mac Milford.
Der Amerikaner gab hierauf keine Antwort, sondern warf das Tagebuch mit geschicktem Wurfe auf das britische Vehikel.
»Für diesen Diebstahl solltet Ihr eigentlich gebührend bestraft werden. Schämt Ihr Euch nicht, fremdes Eigentum zu stehlen?« rief Price, hob das Tagebuch auf und überreichte es Mac Milford.
»Ich kann Euch fernerhin nicht mehr gestatten, ohne unsere Einwilligung Fahrten auf dem Monde zu unternehmen,« ließ sich jetzt der Professor vernehmen.
»Wie ich Euch schon versicherte,« antwortete es von drüben herüber, »haben meine Fahrten keinen politischen Anstrich mehr. Es wird einem doch gestattet sein, eine wissenschaftliche Forschungsreise zu machen.«
»Ich kenne Euch schon,« schrie Price. »Ihr seid ein Heuchler!«
»Um Euch zu beruhigen, werde ich in einigen Stunden definitiv die Rückreise zur Erde antreten. Ihr könnt mein Fahrzeug meinetwegen 10 000 Meilen weit in das Weltall hinaus verfolgen.«
»Das werden wir der Sicherheit halber auch tun,« meinte Price. »Überbringt Eurer Regierung nur die Nachricht, daß wir es fernerhin nicht mehr gestatten, daß die Union eine neue Mission zum Monde sendet. Im übrigen laßt mich dafür sorgen, daß ich Euch alle Annexionsgelüste für die Zukunft völlig austreibe.«
»Ich muß darauf bestehen, daß Ihr mir jetzt auf der Weiterfahrt beständig zur Seite bleibt,« rief Mac Milford dem Amerikaner zu. »Ich fahre zum Triesneckerkrater. Dort trefft Ihr die letzten Anordnungen zur Rückreise in Eure Heimat. Verstanden?«
Der Yankee, welcher wohl einsah, daß hier jeder Widerstand vergeblich war, nickte wortlos.
»Wagt es nicht, uns wieder zu entschlüpfen; es würde Euch das Leben kosten!« Diese Drohung bekräftigte Price noch durch das Hervorziehen seines Revolvers.
Im Nu verschwand der Besitzer des Drachenfliegers.
Die beiden Fahrzeuge schwebten augenblicklich über der Gegend, welche zwischen den Kratern Gauricus und Hell liegt.
Bei der Abfahrt nahm der »Sirius« den Kurs nordwestwärts.
Der Drachenflieger blieb auf der ganzen Fahrt bis zum Triesnecker in der unmittelbaren Nachbarschaft des »Sirius«. Der Amerikaner schien tatsächlich keinen Versuch zu machen, wieder zu entfliehen.
»Ich verstehe es nicht, zu welchem Zwecke der Yankee mit dem Panarchen Freundschaft geschlossen hat und diesen permanent mit sich nimmt,« sagte Price zu dem Professor, welcher soeben damit beschäftigt war, sein Tagebuch zu prüfen, ob nicht etwa einige Blätter herausgerissen worden waren.
»Es dürfte wohl ratsam sein,« erwiderte Mac Milford, »den verräterischen Seleniten in Gewahrsam zu nehmen, damit er Ihnen in Zukunft keine weiteren Schwierigkeiten macht.«
»Man müßte ihn dann im Triesnecker gefangen halten,« gab Price zurück. »Am liebsten würde ich den Schurken hängen. Ich bedauere es unendlich, daß auf dem ganzen Monde kein Galgen für ihn zu finden ist.«
Mac Milford hatte unterwegs genügend Gelegenheit, den Bau des amerikanischen Fahrzeugs gründlich zu mustern und zu beobachten, daß dessen Fortbewegung im allgemeinen eine etwas unsichere war, und daß der Besitzer des Fahrzeugs es leicht einmal zu gewärtigen hatte, daß sein Vehikel den Dienst versagte.
Mehr als einmal mußte der »Sirius« seine Fahrt verlangsamen, um seinen Konkurrenten immer in der Nähe zu behalten.
So kam es, daß der Triesnecker erst nach einigen Stunden erreicht wurde.
Als die beiden Fahrzeuge über der Kraterstadt schwebten, gab Mac Milford dem Amerikaner das Zeichen zur Landung.
Die TriesneckerSeleniten waren höchst erstaunt, außer dem »Sirius« noch ein seltsames Luftschiff zu erblicken. Wieder strömten sie in Massen auf den Wegen ihrer Ansiedelung zusammen und starrten dem neuen Ankömmling mit weit aufgerissenen Augen entgegen.
Nachdem die beiden Fahrzeuge den Boden erreicht hatten, verließen Mac Milford und seine Gefährten den »Sirius«; sie wurden sogleich von der herbeigeeilten Mary und von Tom freudig begrüßt.
Price klopfte jetzt an das Fenster des Drachenfliegers. »Steigt aus!«
Wenige Augenblicke später kletterte dessen Besitzer heraus.
»Ich teile Euch jetzt mit, daß Ihr noch in dieser Stunde den Mond verlassen müßt,« sagte Mac Milford, als er dem Amerikaner entgegentrat.
»Well,« gab der Angeredete zurück und zuckte im Gesichte mit keiner Muskel.
»Bevor Ihr jedoch abreist, müßt Ihr ein von mir aufgesetztes Schreiben unterzeichnen, welches ich nach meiner Rückkunft zur Erde an Eure Regierung absenden werde.«
»Was hat es für eine Bewandtnis mit diesem Schreiben?« frug der Amerikaner.
»Ich habe das Dokument bereits ausgefertigt und werde es Euch jetzt vorlesen,« sagte Mac Milford und zog ein Papier aus der Tasche. »Hört zu.«
An die Regierung der United States of America zu Washington.
Wir bringen hiermit zu Ihrer Kenntnis, daß der Mond als Besitztum der englischen Krone eine britische Kolonie geworden ist. Söhne Albions waren es, welche zuerst den Boden des Erdsatelliten betraten, darum stand Großbritannien das unbedingte Recht der Besitzergreifung zu. Außerdem hat auch der von uns eingesetzte Vicekönig, der Panarch der Mondstaaten, mit dem um vieles später eingetroffenen amerikanischen Abgesandten im ehrlichen Faustkampfe um die Herrschaft des Mondes gestritten und dabei gesiegt. Wir nehmen Veranlassung, Ihnen dieses alles mitzuteilen, damit Sie keine weiteren vergeblichen Maßregeln treffen, um den Mond in Ihren Besitz zu bringen. Gleichzeitig bringen wir noch zu Ihrer Kenntnis, daß Ihr Abgesandter, Mr. Lowell, zur Stunde der Unterzeichnung dieses Schriftstücks, seine Rückreise zur Erde antreten wird.
Unsere Regierung in London billigt alle Abmachungen, welche der Vicekönig der Mondstaaten trifft. Mr. Lowell hat dieses Schriftstück eigenhändig unterzeichnet.
Ausgefertigt in der Residenz des Panarchen der Mondstaaten.
Der Vicekönig: George Price.
Der Professor hatte das Schriftstück zu Ende gelesen, Mr. Lowell schien über den Inhalt desselben nicht gerade erbaut zu sein.
»Unterzeichnet mit Eurem Namen!« sagte Mac Milford und reichte dem Yankee das Schriftstück.
Dieser nahm das Schreiben entgegen und stieg damit wortlos in seinen Drachenflieger.
Da die Unterzeichnung etwas lange zu dauern schien, wurde Price ungeduldig. »Macht, daß Ihr fertig werdet! Denkt Ihr, wir haben unsere Zeit gestohlen?«
Der Yankee mochte wohl keine Lust haben, das Schriftstück, welches ihn in den Augen seiner Landsleute als unwürdigen Vertreter der amerikanischen Regierung herabsetzte, zu unterzeichnen.
Schließlich kletterte Price zur Deckenluke des Drachenfliegers empor und machte eine drohende Bewegung mit dem Revolver.
Dies schien zu wirken. Wenige Augenblicke später reichte der würdige Abgesandte der Vereinigten Staaten das Schreiben heraus. Es war unterzeichnet.
Price überbrachte das wertvolle Dokument dem Professor.
Während man noch beratschlagte, ob man dem Drachenflieger auf seiner Heimreise der Sicherheit halber ein Stück Wegs in das Weltall hinaus folgen wolle, kam Mr. Lowell wieder zuvor und verließ sein Fahrzeug.
»Gestattet mir, daß ich vor meiner Abreise noch einmal zu einem nahe liegenden Krater fahre, an dessen Abhange ich einige Sachen zurückgelassen habe, welche ich nicht gern vermissen möchte.«
Der Bitte des Amerikaners wurde entsprochen; doch hielten es Mac Milford und Price für angebracht, dem Drachenflieger mit dem »Sirius« zu folgen. Denn man konnte dem Yankee nach den gemachten Erfahrungen keine drei Schritte weit trauen.
Daß sich der Panarch noch im Innern des amerikanischen Vehikels befand, daran dachten in diesem Augenblicke weder Price noch Mac Milford. In Wirklichkeit hatte der Amerikaner die Absicht, den abgesetzten Mondfürsten in Sicherheit zu bringen.
Der Abfahrt des Drachenfliegers wollten denn auch Mary Watson und Tom zusehen. Sie begaben sich deshalb zu ihren Gefährten in das Vehikel; auch Rzelloe, dessen Vater und mehrere Seleniten, schlossen sich der Fahrt an.
Eine Viertelstunde später ging der Drachenflieger in unmittelbarer Nähe des Pallasgebirges nieder. Gleichzeitig war auch der »Sirius« gelandet und dessen Insassen ausgestiegen.
Der Yankee verließ nun ebenfalls sein Fahrzeug. Die Gestalt des Panarchen erschien in der Deckenluke, und Psosnlam versuchte unbemerkt auf der Rückseite des Drachenfliegers hinunterzugleiten, um seinen Feinden zu entfliehen. Blitzschnell eilte Price mit vorgehaltenem Revolver hinzu, sodaß der Panarch und sein irdischer Freund nichts eiligeres tun konnten, als wieder im Innern ihres Fahrzeugs zu verschwinden.
»Das ist also die Absicht unseres würdigen irdischen Mitbürgers,« sagte Mac Milford zu Price. »Er will Psosnlam entfliehen lassen.«
Noch ehe George Price hierauf etwas antworten konnte, erhob sich der Drachenflieger und fuhr senkrecht in die Höhe.
»Zum Teufel! Er nimmt den Panarchen wahrhaftig mit. Nun, meinetwegen mag ihn die amerikanische Regierung bin an sein Lebensende verpflegen,« rief Price aus. »Ich bin nur neugierig, ob die Beiden heil zur Erde kommen.«
Mac Milfords Gefährten sahen jetzt, wie der Amerikaner oben das Sternenbanner herausstreckte und hörten den Ruf: »Der Sieg wird dennoch unser werden. Der Mond wird amerikanische Kolonie, verlaßt Euch darauf. Es lebe Amerika!«
»Dem Verräter der Lohn!« schrie Price hinauf, zog seinen Revolver heraus und feuerte einen Schuß auf den Kopf des Amerikaners ab. Dieser verfehlte jedoch sein Ziel und traf das Fenster des Fahrzeugs, wo er seinen Weg in das Innere desselben fand.
Wenige Augenblicke später ertönte hoch oben in der Luft ein furchtbarer
Knall, und die Untenstehenden sahen zu ihrem Entsetzen, wie des Yankees
Luftschiff in tausend Stücke zerschellte, und seine beiden Insassen herausstürzten.
So endeten der Nationalfeind Großbritanniens und sein selenitischer Verbündeter.
Wie sich Mac Milford und Price überzeugten, waren der Yankee und der Panarch in eine nahe liegende Schlucht hinabgestürzt und dort völlig zerschmettert liegen geblieben.
Entsetzt über diese Szene begab sich die kleine Schar in das Vehikel und fuhr zum Triesnecker zurück.
»Herr Professor, das war ein gräßlicher Anblick. — Wie können Sie sich das furchtbare Drama in der Luft enträtseln?« frug Mary Watson, deren Stimme infolge des schrecklichen Unfalls, welchen sie soeben mit angesehen hatte, zitterte.
»Das Fahrzeug ist explodiert,« antwortete der Alte in seiner ruhigen Weise. »Vermutlich hat der Schuß unseres Mister Price dem Drachenflieger das Lebenslicht ausgeblasen. Jedenfalls ist die Explosion durch den Sauerstoff- und Wasserstoffvorrat, welchen der Amerikaner mit sich führte, hervorgerufen worden.«
»Wie konnte das aber nur möglich sein?« frug Mary weiter.
»Wenn sich Wasserstoff und Sauerstoff mit einander in gewissem Verhältnis vermischen oder wenn Wasserstoff mit etwas atmosphärischer Luft zusammenkommt, und in dem einen wie in dem andern Falle eine Entzündung stattfindet, so hat dies stets eine furchtbare Explosion zur Folge. So wird es wahrscheinlich auch oben in dem Drachenflieger zugegangen sein; unser
Wenige Augenblicke später ertönte hoch oben in der Luft ein furchtbarer Knall, und die Untenstehenden sahen zu ihrem Entsetzen, wie des Yankees Luftschiff in tausend
Stücke zerschellt wurde und seine beiden Insassen herausstürzten.
Schuß hat die Behälter zerstört, die Gase sind ausgeströmt und haben sich auf irgend eine Art entzündet. Anders kann ich mir den Vorgang nicht erklären.«
»So haben die Beiden doch noch einen entsetzlichen Tod erleiden müssen,« meinte Mary mit gedrückter Stimme.
»Ihr Schicksal hat sie in gerechter Weise ereilt,« gab Price hierauf zur Antwort.
»Ich werde der Union von dem Tode ihres Abgesandten berichten.« Mit diesen Worten nahm der Professor das Schreiben, welches er für die amerikanische Regierung von ihrem Vertreter Lowell hatte unterzeichnen lassen, zur Hand und schrieb noch folgende Worte auf dasselbe nieder:
P.S. Wir bringen Ihnen ferner noch zur Kenntnis, daß soeben, eine Stunde nach Unterzeichnung dieses Schreibens seitens Ihres Abgesandten, das Fahrzeug des Letzteren hoch oben in der Luft über dem PallasKrater explodiert und in unzählige Stücke zerschellt ist, wobei Mr. Lowell sein Leben verloren hat.
Nachdem der Professor dieses Postskriptum unter das Schreiben gesetzt hatte, steckte er das Papier in ein Kuvert, fertigte die Anschrift an und versiegelte das Dokument.
»Wollen Sie nicht lieber den Inhalt dieses Schriftstückes bei Ihrer Ankunft auf der Erde der Union telegraphisch übermitteln?«
»Die schnelle Beförderung der Nachricht mittels einer Kabeldepesche dürfte für uns entschieden von Vorteil sein,« meinte Price.
»Wieso?« frug Mac Milford.
»Nun, dann wird Amerika sicher wohl davon abstehen, die, wie ich hörte, in Pittsburg in Auftrag gegebenen 5000 Drachenflieger herstellen zu lassen. Würden wir an Stelle der Kabeldepesche diesen Brief absenden, so wäre es bei der Länge des Seeweges sehr wohl möglich, daß inzwischen einige bereits fertiggestellte Drachenflieger zum Monde abgesandt werden, und ich hätte dann mit neuen und noch größeren Schwierigkeiten hier zu kämpfen.«
»Ihre Kombination ist sehr richtig, mein lieber Mr. Price. Ich werde dieses Schreiben persönlich bei dem Gesandten der United States of Amerika abgeben und ihn ersuchen, den Inhalt desselben seiner Regierung in Washington mittels Kabeldepesche mitzuteilen.«
»Sicher wird die Union daraufhin davor zurückschrecken, weitere Eroberungsfahrten zum Monde zu unternehmen.«
»Das wollen wir hoffen. England wird übrigens Amerika auf diplomatischem Wege verständigen, daß der Mond eine britische Weltallskolonie geworden ist. Die entstehenden Streitigkeiten über diese Angelegenheit können die Herren unten auf der Erde unter sich ausmachen.«
Während dieses Gesprächs erreichte der »Sirius« in schneller Fahrt wieder den Triesnecker und ließ sich auf seine frühere Landestelle nieder.
Die Kunde von dem Tode des Panarchen erregte unter den Seleniten ein Frohlocken; hatten sie doch Jahre hindurch unter dem furchtbaren Drucke dieses Mannes gestanden und trotzdem er seine Macht verloren hatte, ihn noch immer gefürchtet.
Als die Erdenbürger in dem Steinbau, welcher Price vorläufig als Residenz überwiesen worden war, eine Stunde später Beratungen pflogen, kam Mac Milford auf seine baldige Abreise zu sprechen.
»Sie wollen uns tatsächlich schon verlassen, Herr Professor?« sagte Mary in traurigem Tone, und man sah es ihr an, daß sie sich nur schwer von dem guten Alten trennen konnte.
»Es geschieht zu Ihrer eigenen Sicherheit, Miß Watson,« antwortete der Gelehrte,
»Wie soll ich das verstehen?«
»Nun, je eher die amerikanische Regierung die Nachricht von dem Tode ihres Gesandten erhält, desto besser ist es. Wenn sich meine Abreise hier noch länger verzögerte, so könnten Sie über kurz oder lang gewärtig sein, daß inzwischen die in Auftrag gegebenen Drachenflieger hergestellt sind und sich auf der Reise zum Monde befinden.«
»Teufel! Das wäre eine unliebsame Überraschung,« meinte Price. »Wenn die Amerikaner gleich in Masse angerückt kommen, so können wir nur ruhig unsere Koffer packen und der Luna Valet sagen, wenn man uns nicht etwa schon vorher in die Ewigkeit schickt.«
»Ich ängstige mich bereits wieder, lieber Price,« sagte Miß Watson. »Glauben Sie wirklich, daß man uns in solchem Falle ermorden würde?«
»Geben Sie nur sofort eine Lichtdepesche ab,« fiel Mac Milford in das Gespräch ein, »damit ich Sie im schlimmsten Falle aus einer bedrängten Lage befreie.«
»Sollten Sie nun aber inzwischen bereits zum Mars gefahren sein, was dann?«
»Ich werde meine Reise dahin eine geraume Zeit verschieben, bis daß der Union die Eroberungsgelüste auf den Mond vergangen sind.«
»Ach ja, Herr Professor, warten Sie so lange, und sollte es wirklich dazu kommen, daß Amerikaner uns hier eines Tages überfallen, so kommen Sie schnell mit dem Vehikel herüber und retten uns,« bat Mary Watson und drückte des Alten Hand.
»Vorläufig ist noch nichts zu befürchten, meine Liebe. Es ist jetzt natürlich unbedingt notwendig, daß ich so schnell als möglich zur Erde zurückkehre, um allen Eventualitäten vorzubeugen.«
»Meinen Sie, Herr Professor, daß wir es aushalten, bis an unser Lebensende hier auf dem unwirtlichen Monde unser Dasein zu verbringen?« ließ sich Price vernehmen.
»Wenn Sie die Herrschaft hier satt sind, so bedarf es nur einer Nachricht, und die Königin sendet für Sie einen Vertreter herüber. Vorläufig versuchen Sie es einmal ein Jährchen, vorausgesetzt, daß uns die Amerikaner keine Schwierigkeiten machen. Bin ich dann vom Mars wieder zur Erde zurückgekehrt, so werden Sie von mir hören.«
»Beabsichtigen Sie nicht gleich vom Mars zum Saturn zu fahren?« frug Mary Watson.
»Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, befördere ich mich zu den Planeten nicht durch mein Vehikel, sondern durch das Atomistikum. Betreffs der Fahrt zum Saturn hängt es freilich davon ab, ob ich auf dem Mars die unumstößliche Gewißheit erlange, daß der Saturn tatsächlich eine Welt ist, in der man leben kann, so wie ich es immer vermutete.«
»Wie oft habe ich aber in astronomischen Lehrbüchern gelesen, daß der Saturn sich noch in feuerflüssigem Zustande befinden soll; da wäre es also doch ausgeschlossen, eine Fahrt zu diesem glühenden Planeten zu unternehmen,« meinte George Price.
»Die Wissenschaft auf der Erde nimmt zwar immer noch an, daß der Saturn zu den unbewohnbaren Welten gehöre. Doch ich bin in letzter Zeit anderer Ansicht geworden. Verschiedene Anzeichen, welche völlig untrügerisch sind, haben mich mit Gewißheit erkennen lassen, daß die Saturnwelt sich in einem Zustande befindet, welcher es zuläßt, daß Menschen auf ihr existieren können ... Doch, meine Lieben, jetzt möchte ich die letzten Vorkehrungen zur Abreise treffen. Lassen Sie uns nun zusammen nach dem »Sirius‹ hinübergehen.«
»Ach, wann werden wir Sie wiedersehen?« klagte Miß Watson.
»Wann wollen Sie definitiv abfahren, Herr Professor?« sprach Price.
»In längstens einer Stunde will ich mit meinem »Sirius‹ schon unterwegs sein.«
»Ich bezweifle es, daß wir beide es hier oben lange aushalten werden. Schon die ungenügende Ernährungsweise wird uns wohl auf die Dauer kaum zusagen,« meinte Mary; sie schien von der sich ihr eröffnenden Zukunftsperspektive wenig erbaut zu sein.
»Beruhigen Sie sich, meine Liebe. Ich werde versuchen, Ihnen nach Möglichkeit Nahrungsmittel durch mein Atomistikum zuzusenden.«
»Werden Sie, wenn Sie sich später auf dem Mars befinden, in der Lage sein, uns ein Zeichen nach hier herüberzusenden?« fragte Price den Alten.
»Ich hoffe; wenn mir der physikalische Versuch auf die ungeheure Entfernung von etwa 30 Millionen Meilen gelingt. Ich habe die Absicht, auf jenem Planeten ebenfalls ein Atomistikum zusammenzustellen, vorausgesetzt, daß mir dort diejenige elektrische Energieform zur Verfügung steht, welche ich zur Zersetzung der Körper in ihre Atome benötige.«
»Glauben Sie, daß diese Energieform auf jedem Himmelskörper vorhanden ist?«
»Darüber habe ich meine Untersuchungen leider noch nicht abschließen können,« erwiderte der alte Gelehrte. »Die elektrische Energie ist ja im Weltall überall zu finden, ihr Wesen ...«
»Haben Sie auch schon das eigentliche Wesen der Elektrizität ergründen können?« fiel Mary wißbegierig in des Alten Rede.
»Nach meinen eingehenden Untersuchungen bin ich zu der Ansicht gekommen, daß die Naturkräfte, deren eigentliches Wesen bisher für die Menschen noch ein Buch mit sieben Siegeln war, mit einander eng verwandt sein müssen und sich nur durch verschieden hohe Schwingungszahl unterscheiden. Diese meine Theorie will ich Ihnen jetzt einmal kurz erklären. Schwingen Sie einen Stab, so werden Sie einen Ton vernehmen. Wird dieser Stab immer schneller geschwungen, so erzielt man einen immer höher liegenden Ton, der schließlich, wenn er vierzigtausend Schwingungen in der Sekunde macht, für unser Ohr nicht mehr vernehmbar ist. Erhöht man diese Schwingungszahl noch mehr, so wird der Stab warm werden und kommt schließlich bei 450 Billionen Schwingungen in einen rotglühenden Zustand, in welchem er Wärme ausstrahlt. Steigert sich die Schwingungszahl noch weiter, so wird der Stab weißglühend und strahlt erst rotes, dann weißes und zuletzt, wenn 800 Billionen Schwingungen erreicht sind, violettes Licht aus. Wird die Schwingungszahl des Stabes noch um ein beträchtliches erhöht, so werden sich die verschiedenen Modifikationen, unter welchen die elektrische Energie auftritt, zeigen; mit einem Worte, der Stab wird dann elektrisch.« In dieser Weise belehrte der alte Professor seinen Begleiter.
»So wären also Töne, Wärme, Licht und Elektrizität lediglich nur verschiedene hohe Schwingungen der Ätherwellen?«
»Richtig,« gab der Professor zurück; von allen hat die Elektrizität die höchste Schwingungszahl aufzuweisen.«
»Das ist ja eine wunderbare Hypothese, Herr Professor; ich glaube, daß Sie für deren Richtigkeit Tausende von Beweisen erbringen könnten,« sagte Price.
»Ja, deren giebt es hierfür viele, und ich werde in meinem nächsten sechsbändigen Lehrbuche der Physik, welches ich bereits seit zwei Jahren unter der Feder habe, die treffendsten Beweise für meine Hypothese mit anführen.«
Die Erdenbürger begaben sich nunmehr zu dem »Sirius« hin, und die nötigen Vorkehrungen zur Abreise wurden sogleich getroffen.
Mac Milford untersuchte noch einmal den Mechanismus seines Fahrzeugs auf das gründlichste, prüfte die Antigravitationskathode auf ihre gute Funktion hin und versetzte den elektrischen Scheinwerfer probeweise in Tätigkeit.
Hu! wie erschraken und erstaunten da die in der Nähe des Vehikels befindlichen Seleniten, als sie die strahlende Helle aus dem Metallschirme hervordringen sahen.
Das neue Panarchenpaar sah zu seiner Belustigung, wie ihre Untertanen eine gewaltige Ehrfurcht vor dem künstlichen Lichte bezeugten.
»Mr. Price, haben Sie oder Tom von dem Yankee vielleicht erfahren, wann die Drachenflieger von der amerikanischen Regierung in Pittsburg in Auftrag gegeben worden sind?«
»Warum, Herr Professor?« Glauben Sie vielleicht, daß einige der Dinge doch schon fertig und unterwegs sein könnten?«
»Nicht so unmöglich, wenn inzwischen schon ein größerer Zeitraum verstrichen ist. Wir haben dann leichthin zu gewärtigen, daß über kurz oder lang hier neue Amerikaner auftauchen.«
»Was würden Sie tun, bester Herr Professor, wenn Sie auf Ihrer Rückreise im Weltall einigen dieser Fahrzeuge begegnen sollten?«
»Darüber bin ich mir selbst noch nicht im klaren,« antwortete der Alte. »Gegen ein einzelnes werde ich schon Maßregeln treffen können. Doch wenn es deren mehrere sind, so dürften meine Kräfte und meine Schlauheit wohl erlahmen. — Darum ist es das beste, ich begebe mich unverzüglich auf den Rückweg. Hoffentlich treffen unsere Befürchtungen nicht ein.«
Als der Augenblick des Abschieds gekommen war, konnte sich Mary nicht mehr halten. Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie fing heftig zu schluchzen an. Der Abschied ging ihr doch recht nahe. Auch Price und Mac Milford waren in weicher Stimmung. Eine kurze Zeit sprachen alle Drei nichts, nur das dicke Faktotum Tom schien aus Freude über die Rückkehr seine Gesprächigkeit nicht unterdrücken zu können.
Mac Milford legte noch einmal die Hände Marys und Prices ineinander und wünschte den beiden fernerhin alles Glück. Bewegt dankten die Angeredeten dem Alten.
»Eure Hochzeit, meine Lieben, können wir hier oben natürlich nicht feiern. Ich werde daheim auf der Erde die englische Regierung veranlassen, daß sie Euch beide als ein eheliches Paar von Rechts wegen betrachtet und diese Verbindung öffentlich bekannt giebt. Auf solche Weise ist auch Eure Ehe formmäßig geschlossen. Das Hochzeitsgeschenk, welches ich Euch gebe, soll jener Gürtel mit den prächtigen Diamantsteinen sein, welchen ich bei den Ausgrabungen gefunden habe. Hier oben auf dem Monde hat er ja keinen Wert, aber Miß Watson wird sich mit ihm als Panarchin trefflich schmücken können.«
Der Alte holte jetzt den Behälter mit dem kostbaren Schmuck herbei und überreichte ihn seiner Gefährtin. Diese nahm das Geschenk dankbar an und fiel Mac Milford gerührt um den Hals.
Nachdem der Professor noch allerlei Dinge von Price in Empfang genommen hatte, welche er als Andenken zur Erde mitnehmen wollte, ließ er sich unter diesen auch die Diamantkristalle geben, die sie bei der Kraterfahrt erbeutet hatten. Mac Milford hegte die Absicht, den größten und schönsten der Steine der Königin Viktoria zum Präsent zu machen. Einen anderen Diamanten sollte das British Museum erhalten, und ein dritter war für Marys Freundin Ellis Rosebery bestimmt.
Inzwischen hatte sich die Kunde von der Abfahrt des Fremdlings zur Erde in der Kraterstadt verbreitet. Fast deren sämtliche Einwohner waren zusammengeströmt und umstanden im weiten Kreise das Vehikel. Rzelloe und dessen Vater hatten sich ebenfalls eingefunden, um von dem würdigen Alten Abschied zu nehmen.
Mac Milford wollte sich gerade anschicken, endgültig von seinen Gefährten Abschied zu nehmen, als er verspürte, daß der Boden der Kraterstadt unter ihm erzitterte.
»Was ist das, um Himmelswillen!« rief in diesem Augenblick Mary entsetzt aus; »der Boden schwankt ja unter meinen Füßen!«
Die Erschütterungen des Bodens nahmen immer mehr zu, sodaß sich unter dem versammelten Volke eine Unruhe bemerkbar machte.
»Es ist ein heftiges Mondbeben,« sagte der Professor. »Hoffen wir, daß es seinen Herd nicht hier unter unseren Füßen hat!«
»Wenn es uns erginge wie drüben in der Kraterstadt Resles, das wäre ja schrecklich!« rief Price aus.
»Bedenklich ist es immerhin,« meinte der alte Gelehrte. »Man kann nicht wissen, ob sich auch dieser Krater hier wieder einmal eruptiert. Es wäre wohl ratsam, Mr. Price, wenn Sie Ihre Residenz in einen kleineren Krater verlegten.«
Mary, welche schon ziemlich aufgeregt war, wurde durch die Worte des Alten noch mehr beunruhigt.
Die Bodenerschütterungen setzten ab und zu aus, um dann mit erneuter Heftigkeit zurückzukehren.
»Ich bedaure sehr, meinen Seismographen zum Monde nicht mitgenommen zu haben. Mittels dieses Instrumentes hätte ich die Entfernung des Mondbebenherdes leicht bestimmen können, was für Sie eine große Beruhigung gewesen sein würde.«
Abermals erzitterte nach einem kurzen Intervall der Ruhe der Boden, und die Stöße waren so kurz aufeinanderfolgend und heftig, daß sich alle in der Kraterstadt befindlichen Menschen kaum auf den Füßen zu halten vermochten, und viele Angstrufe vernehmbar wurden.
Mac Milfords Gesicht zeigte einen besorgten Ausdruck; wie es schien, mochte selbst der alte Gelehrte schlimmes für die Folge gewärtigen.
»Was soll nur aus uns werden, wenn Sie uns jetzt verlassen, Herr Professor?« klagte Mary Watson. »Wir werden hier oben elend zu Grunde gehen — oh, eine dunkle Ahnung beschleicht mich, als ob wir uns niemals wiedersehen würden.«
»Fassen Sie Mut, meine Liebe, es steht ja noch lange nicht fest, ob wir den Herd dieses Mondbebens unter dem TriesneckerKrater zu suchen haben, wenngleich die Heftigkeit, mit welcher dasselbe hier auftritt, dies nicht unmöglich erscheinen läßt. Vielleicht sind die Bodenerschütterungen auch nur starke Ausläufer eines gewaltigen Bebens, dessen Ursprung möglicherweise hunderte von Kilometern von hier entfernt liegt.«
Allmählich ließ das Beben nach und verschwand schließlich ganz, sodaß nach etwa einer Viertelstunde alle aufatmeten und neuen Mut faßten.
Mac Milford war inzwischen zu der Ansicht gelangt, daß der Mondbebenherd wohl schwerlich unter dem Triesnecker zu suchen sei, da er gewahr geworden war, daß die Bodenwellen nicht vertikal, sondern horizontal unter seinen Füßen zu verlaufen schienen, was ihn zu der Folgerung kommen ließ, daß die TriesneckerBevölkerung wohl schwerlich das Schicksal der Reslesleute jemals zu teilen haben würde,
Nachdem sich die Anwesenden alle wieder beruhigt hatten, und auch die Bedenken Marys und Prices durch des Professors Ansicht wieder geschwunden waren, begab sich der alte Gelehrte auf die Plattform seines Fahrzeuges, um von hier aus den letzten Abschied zu nehmen.
Der dicke Tom schaute während dieser Szene oben aus der Deckenluke heraus, und sein breites Gesicht hatte sich zu einem vergnügten Grinsen verzogen.
Der dicke Tom schaute während dieser Szene aus der Deckenluke heraus,
und sein breites Gesicht hatte sich zu einem vergnügten Grinsen verzogen.
Trübe Ahnungen umfingen Mary Watson, als der letzte Augenblick gekommen war. Der Professor drückte seiner Gefährtin die Hand und beschwichtigte ihre ernsten Bedenken.
Rzelloe und der alte Häuptling empfingen von Mac Milford einige Gegenstände, welche dieser auf der Rückreise entbehren konnte. Unter den Geschenken befanden sich eine prächtige Wolldecke und einige Flaschen, welche mit künstlichem Rotwein gefüllt waren.
Alles war zur Abfahrt bereit. Der Professor hieß seinen Diener die Auftriebshebel umlegen; er selbst drückte noch einmal seinen bisherigen treuen Gefährten herzlich die Hand und winkte dann den Seleniten freundlich zu. Unter lautem Geschrei der ganzen Bevölkerung erhob sich der »Sirius« senkrecht in die Höhe.
»Good bye!« tönte es noch einmal von oben herab.
»Good bye!« klang es von unten herauf.
Und hinaus ging es in das Weltall.
»Nun, alter Bursche, Du freust Dich wohl, die Mutter Erde bald wiederzusehen?« wandte sich Mac Milford an sein Faktotum, welcher vergnügt schmunzelnd in die gähnende Tiefe des Weltalls hinausschaute.
»Ach ja, Herr Professor, ich habe es auf dem Monde herzlich dick gekriegt; es geht doch nichts über unsere schöne Erde.«
»Ich glaube bald, daß Du recht hast, Tom. Ich beneide den Mister Price und Miß Watson wahrhaftig nicht. Die beiden werden die Sache wohl auch bald satt bekommen.«
»Wird unsere Rückfahrt lange dauern, Herr Professor?«
»Etwa vier Tage,« lautete die Antwort.
»Wir werden während der Zeit doch auch genug zu essen und zu trinken haben?« meinte der dicke Tom, bei dem sich alles immer nur um sein leibliches Wohl drehte.
»Du wirst weder Hunger noch Durst leiden. Was ich Dir freilich hier vorsetze, wird wohl nicht immer nach Deinem Geschmack sein; dafür kannst Du Dich nachher daheim auf der Erde entschädigen.«
»Wenn der Herr Professor es mir gestattet, so schlafe ich ein wenig. Das Leben auf dem Monde war doch recht aufreibend. Man kam kaum dazu, ein Auge zuzutun,« klagte Tom.
Mac Milford hatte nichts gegen diesen Wunsch, und so hörte man denn bald Mister Tom in einem Lehnsessel schnarchen.
Allmählich verspürte auch der Professor eine außerordentliche Abspannung. Er hätte ebenfalls am liebsten ein wenig der Ruhe gepflegt; doch das ging nicht, da er den Kurs seines Fahrzeugs nicht einen Augenblick außer acht lassen durfte.
Die Antigravitationskathode war in einem solchen Grade gegen die bleiche Scheibe der Luna gerichtet, daß die Fahrt im allerschnellsten Tempo vor sich ging. Mac Milford prüfte wiederholt den Monstrumakkumulator, welcher das antimagnetische Fluidum aufgespeichert enthielt. Er wollte sich vergewissern, ob von letzterem noch ein genügendes Volumen vorhanden war, um ohne Unfall glücklich bis zur Erde gelangen zu können. Zu seiner Befriedigung fand er, daß ein Versiegen des antimagnetischen Fluidums nicht zu befürchten war.
Je weiter der »Sirius« in das Weltall hinaussauste, desto mehr verkleinerte sich die hinter ihm liegende Scheibe des Mondes.
Der Professor grübelte jetzt darüber nach, ob er den toten Punkt, welcher ihm auf der Hinfahrt solche Schwierigkeiten bereitet hatte, im weiten Bogen umgehen wolle. Dabei gedachte er auch der verunglückten Luftschiffergondel. Gar zu gern hätte er den amerikanischen Ballon ins Schlepptau genommen, um dessen toten Insassen ein christliches Begräbnis daheim auf der Erdscholle zu Teil werden zu lassen.
Das Unternehmen hätte ja für sein Vehikel gefährlich auslaufen können, aber trotzdem wollte er es wagen.
In der Nähe des toten Punktes angekommen, änderte der »Sirius« seinen Kurs und entfernte sich stark seitlich von der Attraktionsscheide, um diese zu umkreisen.
Das Manöver gelang dem Alten.
Als sich das Vehikel glücklich hinter der Attraktionsscheide befand, und Mac Milford die Gondel tatsächlich noch an derselben Stelle verharren sah, dirigierte er sein Fahrzeug so, daß die Antigravitationskathode direkt gegen den Mond gerichtet war. Hiermit wollte er bezwecken, jenseits des toten Punktes die Anziehungskraft des Mondes derart abzuschwächen, daß die Attraktionskraft der Erde diese überwog, und so der tote Punkt für Augenblicke um ein Stück weiter dem Monde zu verschoben wurde.
Das hatte zur Folge, daß jetzt die Luftschiffergondel mit einem Male in der wirksamen Anziehungssphäre der Erdkugel stand.
Wie Mac Milford es richtig vorausgesetzt hatte, verließ die Gondel urplötzlich ihre Lage und begann sich gegen die Erde zuzubewegen. Sofort ließ Mac Milford den »Sirius« seine direkte Weiterfahrt zur heimatlichen Weltscholle aufnehmen, indem er die Antigravitationskathode mit voller Front gegen die Erde richtete.
Wie ein Trabant sauste die amerikanische Luftschiffergondel hinter dem »Sirius« her, sich immer in gleichem Abstande haltend.
Stunde um Stunde verrann, kleiner und kleiner ward die Scheibe des Mondes, größer und größer die der Erde.
Als Tom endlich nach fast zehnstündigem Schlafe erwachte und einen Blick hinaus in das Weltall warf, schrak er nicht wenig zusammen, als er das durch den elektrischen Scheinwerfer hellerleuchtete, unheimliche Fahrzeug im Gefolge sah.
»Um des Himmels willen, Herr Professor; haben Sie es schon bemerkt?«
»Du meinst wohl das Ding da hinten?« erwiderte der Gefragte und zeigte mit der Hand nach der Gondel.
»Ja, ja, das Ding dort,« rief Tom entsetzt aus, als sein Blick die beiden Toten in der Gondel entdeckte.
»Beruhige Dich, alter Freund, wir haben nichts von ihm zu befürchten.«
»Meinen Sie, Herr Professor — —?« ließ sich das Faktotum ängstlichen Tones vernehmen.
»Ich kenne die Gondel schon, Tom. Wir haben sie auf der Hinreise zum Monde bereits ein großes Stück gegen unseren Willen mitgeschleppt, und ich will sie nun auch wieder zur Erde gelangen lassen, um den armen Toten eine Ruhestätte in heimatlichem Boden zu teil werden zu lassen.«
Tom war nunmehr beruhigt, vermied es aber doch, fernerhin sich an dem Fenster zu postieren, welches den Ausblick auf das unheimliche Gefährt bot.
Im Verlaufe der weiteren Stunden machte Mac Milford Aufzeichnungen in sein Tagebuch und vervollständigte die Mondkarte beider Hemisphären.
Tom mußte dazu dem Professor allerlei Angaben machen, wobei ersterer auch auf die seltsamen Hieroglyphen des Podiumsteines in dem Selenitentempel zu sprechen kam. Das Faktotum zog das Papier aus der Tasche, auf welches er damals aus Langeweile die Bilder und Zeichen des Podiumsteines gemalt hatte.
Mac Milford interessierte sich lebhaft für die ungeschickt ausgeführte Skizze und enträtselte sie dahin, daß seiner Zeit einmal ein Riesenmeteorstein vom Himmel herab in die Kraterhöhlung gefallen war und sich wahrscheinlich tief in den Boden desselben eingewühlt hatte. Weiter vermutete er, daß Seleniten dieses gesehen und geglaubt hatten, es sei das ein warnendes Zeichen irgend einer Gottheit gewesen; deshalb hielten sie wahrscheinlich jene Stelle für heilig und gestalteten den bewußten Raum in eine Art Tempel um.
Als der »Sirius« in die Nähe des Liliputmondes kam, hatten seine beiden Insassen die Gelegenheit, durch große Lücken der dichten Wolkendecke, welche zu dieser Zeit gerade den MiniaturHimmelskörper umgab, mehrere riesige Kraterausbrüche beobachten zu können, was Tom besonders in großes Erstaunen versetzte, da er von dem Vorhandensein dieses kleinen Mondes kaum eine Ahnung und auch noch niemals feuerspeiende Berge aus der Vogelschau in einer solchen wunderbaren Pracht zu sehen bekommen hatte.
Eine Landung auf dem Liliput hatte Mac Milford nicht vor, da es ihm darum zu tun war, so schnell wie möglich die Erde zu erreichen.
Die Anziehungskraft des Liliputmondes wurde zwar bei der Fahrt im »Sirius« als störend empfunden, doch wurde sie wie bei der Hinreise leicht überwunden.
Verschiedenfach sahen die Insassen des »Sirius« kleine dunkle — Meteoriten — den Weg des Vehikels kreuzen; glücklicherweise hatte man aber keinen Sternschnuppenschwarm wieder zu durchqueren.
Nach etwa 40 Stunden Fahrt war der »Sirius« soweit gekommen, daß die Erdkugel wieder in ungeheurer Größe vor ihm lag, und seine Insassen deutlich alle Landschaften auf ihr erblicken konnten.
Nach des Professors Berechnung hätte das Vehikel, wäre es in gerader Linie auf den Mittelpunkt der Erde zugeeilt, auf den nordamerikanischen Kontinent stoßen müssen, was der schottische Gelehrte aber zu vermeiden suchte, indem er den Plan faßte, bei der unmittelbaren Annäherung an die Erde, deren Rotation entgegenzulaufen und seitwärts vom Kurse auf ihr da zu landen, wo sich großbritannischer Boden befand.
Tom verbrachte die meiste Zeit auf der Rückfahrt durch Schlafen; so oft er aufwachte, fiel sein Blick jedesmal unwillkürlich auf die Schreckensgondel, welche noch immer im Gefolge des »Sirius« war.
Als das Vehikel sich endlich nur noch einige Kilometer von der Erdoberfläche entfernt befand und nun seinen Kurs seitwärts um die gigantische Erdkugel nahm, geschah es, daß die amerikanische Gondel durch das Entfernen des »Sirius« plötzlich ganz der Schwerkraft der Erde ausgeliefert war und mit ungeheurer Schnelligkeit gleich einem fallenden Meteorsteine in gerader Linie auf die Erdoberfläche niederstürzte; sonderbarerweise war es gerade das Heimatland, auf welchem die toten Luftschiffer in tausend Stücke zerschmetterten.
Der Anblick war für Mac Milford und Tom ein grausiger. Sie konnten nur zu deutlich mit ihren Blicken verfolgen, wie die Gondel zu Boden niederstürzte.
»Ach, Herr Professor, ich zittere an allen Gliedern — Das war ja schrecklich!« rief Tom aus und starrte noch immer zu der Stelle hinab, wo die Gondel zerschmettert lag.
»Wir werden nach einer halben Stunde landen, mach' alles fertig!«
Das Faktotum beeilte sich, dem Befehle seines Herrn nachzukommen, während Mac Milford seine ganze Aufmerksamkeit auf die Landschaften, welche der »Sirius« jetzt im Fluge durcheilte, lenkte, um eine günstige Landung in Schottland zu bewerkstelligen.
Kurze Zeit darauf erreichten der Professor und sein Diener — es war gerade zur Nachtzeit — den schottischen Boden seines Heimatgestirns.
»1. März nachts 12 h. 1 m. 3 s. Ankunft auf der Erde vom Monde. Zur Rückfahrt benötigt nur 60 Stunden. — Dauer der Abwesenheit von der Erde: 11 Tage. — Ort der Landung: Ayr am Fird of Clyde in Schottland.«
konnte man im Notizbuch des großen schottischen Gelehrten am Tage seiner Ankunft auf der Erde lesen. Daheim fand Mac Milford alles in alter Ordnung. Zwei Schreiben und eine Depesche wurden ihm eingehändigt. Er durchflog sie. Die Depesche stammte vom Präsidenten des Trente et quarante-Klubs und enthielt die Mitteilung, daß die Bank durch ein Mitglied, den Konsul Louis de Rancé, gesprengt und der Klub aufgelöst sei.
Das eine Schreiben besagte, daß die Auffindung jener großen Goldader in den australischen Flindersbergen, welche Mr. Pinkerton und Genossen ausbeuten wollten, eine Mythe sei, und daß das ehrenwerte Konsortium mit der Ausstreuung dieser Nachricht nur einen Aktienschwindel in Szene zu setzen versucht, aber dabei Fiasko erlitten hatte, indem ihnen die Absage Mac Milfords einen Strich durch die Rechnung machte. Es mußte dem Konsortium natürlich viel daran gelegen sein, den weltberühmten schottischen Gelehrten, welcher auch eine Kapazität auf dem Gebiete der Geologie war, für ihren schändlichen Plan zu gewinnen, um so von diesem eine Scheinerklärung über eine nie stattgefundene Untersuchung der Goldader und deren unermeßliche Ausgiebigkeit zu erhalten, um dieselbe dann als erwiesen der Welt hinausposaunen zu können.
Das zweite Schreiben war an Miß Mary Watson gerichtet. Als Absenderin war der Name Ellis Rosebery auf der Rückseite des Briefes vermerkt. Ellis war, wie wir bereits wissen, die einzige Freundin Mary Watsons.
Mac Milford sandte sofort Tom zu ihr hin und ließ die Mitteilung machen, daß seine Reisegefährtin als Gemahlin des Panarchen der Mondstaaten auf dem Erdtrabanten zurückgeblieben sei und durch ihn einen Gruß ausrichten lasse. Ferner ließ ihr der Professor den einen der lunarischen Diamantkrystalle als Geschenk aushändigen.
Am folgenden Tage brachte Mac Milford seinen Funkentelegraphen wieder in Ordnung und sandte sogleich eine Depesche zum Monde, welche seine glückliche Ankunft auf der Erde meldete. Dann reiste er nach London, um der Königin Viktoria persönlich die Mitteilung zu machen, daß es ihm gelungen sei, den Mond in Besitz Englands zu bringen und die Seleniten zu britischen Untertanen zu machen.
Das mußte jedenfalls ungeheures Aufsehen erregen!
Als Mac Milford um eine Audienz bei der im BuckinghamPalast weilenden Regentin nachsuchte, hielt er den Grund seiner Mission vorläufig noch geheim und gab nur an, daß eine Entdeckung von ungeheurer Tragweite gemacht worden sei.
Königin Viktoria gewährte darum dem berühmten Gelehrten sofort die erbetene Audienz.
Als Mac Milford der Majestät seine Sache vorgetragen hatte und gleichzeitig vor den Augen derselben eine von ihm entworfene und in Grafschaften eingeteilte Mondkarte ausbreitete, da zweifelte die Königin keinen Augenblick länger mehr daran, daß ein geistesgestörter, übergeschnappter Gelehrter vor ihr stand. Entsetzt floh sie bei dieser Entdeckung aus dem Gemach und alarmierte ihre ganze Umgebung.
Als Mac Milford der Majestät seine Sache vorgetragen hatte,
breitete er vor den Augen derselben eine Mondkarte aus.
Im Nu hatte man sich des verblüfften Gelehrten bemächtigt. Er wurde aus dem Palast abgeführt und in einer Londoner Irrenanstalt untergebracht. Hier erhielt Mac Milford damit man seinen Geisteszustand beobachten konnte, eine bequeme Einzelzelle, welche im obersten Stockwerk der Anstalt lag und deren Fenster auf das flache Dach hinausführte.
Mac Milford war sich noch immer nicht im klaren, weshalb man seine Internierung vorgenommen hatte.
Nachdem er schließlich zu der Überzeugung gekommen war, daß seine Königin ihn für einen Geistesgestörten gehalten und ihn der Irrenanstalt überwiesen hatte, sandte er sogleich durch den Aufseher einen Brief an seinen Diener Tom, in dem er diesem befahl, mit dem Antigravitationsvehikel unverzüglich nach London zu fahren und sich am 4. März nachts punkt 12 Uhr auf dem Dache der Irrenanstalt in der von ihm näher bezeichneten Street einzufinden.
Als Tom das inhaltsschwere Schreiben erhielt, erschrak er zuerst heftig, begab sich aber sofort daran, das Vehikel reisefertig zu machen.
Zur festgesetzten Stunde war das treue Faktotum des Alten, trotz des heftigen Sturmes, welcher zur Zeit gerade wehte, auf dem Dachplateau der Irrenanstalt. Sein Herr ließ nicht lange auf sich warten. Mac Milford hatte, nachdem er die Drahtvergitterung des Fensters mit großer Anstrengung zu beseitigen verstanden, das Dach betreten. Bald hätte ihn der Orkan in die Tiefe hinabgeweht, wenn nicht Tom, welcher des Sturmes halber platt auf dem Dache lag, seinen Professor an den Füßen festgehalten hätte. Wenige Augenblicke später saßen beide wohlgeborgen in dem Antigravitationsvehikel, welches sofort aufstieg und seinen Kurs auf Edinburg zu nahm.
In der Morgenausgabe der »Times« vom 5. März des betreffenden Jahres in dem unsere Erzählung spielt, war folgendes zu lesen:
»In der letzten Nacht entwich auf bis jetzt noch nicht aufgeklärte Weise der in der Irrenanstalt Bedlam untergebrachte geistesgestörte Mr. Mac Milford, Professor der Astronomie an der Universität zu Edinburg. Dieser berühmte, jetzt leider dem Irrsinn verfallene Gelehrte, hatte gestern bei Ihrer Majestät der Königin um eine Audienz nachgesucht und diese erhalten. Er behauptete auf dem Monde gewesen zu sein und dessen Staaten dem Besitztume der englischen Krone einverleibt zu haben, welche unsinnige Idee an einer Geistesgestörtheit wohl nicht mehr zweifeln läßt.«
Der Verfasser der vorliegenden astronomischen Erzählung macht in seiner »Populären Himmelskunde« in dessen dreizehntem Abschnitte, betitelt: Kosmologie oder die Lehre vom Weltall, über die Entstehung der Gestirne folgende Ausführung:
»Wenn wir uns die Fragen vorlegen: wie entstanden die Himmelskörper? wie entwickelten sie sich? was wird aus denselben dereinst? so ist eine bestimmte Antwort darauf nicht zu geben; doch haben zwei der berühmtesten Forscher die Menschheit mit einer sehr glaubwürdigen Hypothese, welche allgemein von der Gelehrtenwelt als die wahrscheinlichste aller aufgestellten unbewiesenen Annahmen bezeichnet wird, beglückt.
Jene berühmten Forscher waren der große Königsberger Philosoph Immanuel Kant und der scharfsinnige Mathematiker Pierre Simon Laplace. Beide sind unabhängig von einander, auf Grund der in unserm Sonnensystem herrschenden Regelmäßigkeit auf den Gedanken gekommen, daß eine einheitliche Entstehung aller Himmelskörper stattfinden muß. Sie stellten auf diese Erkenntnis hin die berühmte NebularHypothese auf. Dieselbe lautete etwa wie folgt:
Wie wir in unserem Sonnensystem ein Werden und Vergehen sehen, so dürfte sich eine solche Wandlung auch in unzähligen Billionen anderen Fällen am Fixsternhimmel ständig vollziehen, man kann annehmen, daß jeder Fixstern ein Sonnensystem für sich bildet, dessen Existenz ebenso verlaufen wird, wie bei dem Unsrigen. Vor vielen, vielen Billionen Jahren mußte der Raum, den unser Sonnensystem jetzt einnimmt, ein Raum, dessen Halbmesser die Entfernung des unbekannten letzten Planeten Neptun von der Sonne ist, im Urzustande von einem dünnen nebelhaften Gase angefüllt sein; dieses Nebelgas besaß eine Rotation, das heißt, es drehte sich um sich selbst, so daß durch die Umdrehung die Gasmasse eine ballförmige Gestalt annahm. Durch eine wahrscheinlich sehr schnelle Rotation entstand an den beiden Polflächen der Gaskugel eine Abplattung, während am Äquator eine Anhäufung der Nebelteilchen stattfand, bis sich schließlich bei vermehrter Umdrehungsgeschwindigkeit die Anhäufungen am Äquator der Gaskugel nach und nach losrissen. Diese abgetrennten Gasteile in Form von Ringen waren aber gezwungen, wenn auch in einem gewissen Abstande von der Urmasse, die Rotation weiter mitzumachen, bis daß auch diese Ringe dadurch eine Ballung erhielten und sich schließlich zu einer Kugel formten. Jede solcher Kugeln bildete nun den Urzustand der Planeten. Jene größte Gaskugel, von der sich die kleineren wieder gebildet hatten, verdichtete sich nach und nach immer mehr, wurde kleiner und kleiner, nachdem sich so viel Ringe von ihrer Äquatoranhäufung abgelöst hatten, als wie zur Bildung der vorhandenen uns bekannten und vielleicht noch unbekannten Planeten und Monde nötig war, bis sie am Ende so zusammenschrumpfte und ihre Gasmasse sich derart verdichtete, daß Abstoßungen von Teilchen nicht mehr möglich wurden, die Nebelballung in den feurigflüssigen Zustand überging und somit unser Zentralgestirn, die Sonne, in ihrer jetzigen Gestalt zurückließ.
Die Planetengaskugeln, welche nach ihrer Abstoßung als Ring vom Sonnenballe ebenfalls rotierten, das heißt sich um ihre eigene Achse drehten, machten im Kleinen denselben Prozeß wie das Zentralgestirn durch. Infolge vermehrter Rotationsgeschwindigkeit lösten sich auch von ihrem Äquator Teile der dort stattfindenden Anhäufung los, und diese ballten sich wieder und bildeten später die Monde oder Trabanten der Planetenkugeln.
Von den entstandenen Planeten und Monden kühlten sich die kleineren Körper zuerst und am schnellsten ab, das heißt die Nebelmasse verdichtete sich bis zur feurigflüssigen Masse, die sich dann im Laufe von vielen Millionen Jahren mit einer festen Oberflächenkruste überzog. So dürften die großen Planeten Jupiter und Saturn sich noch vollständig im feurigflüssigen Zustande befinden, vielleicht mit Anfängen von Schlackenbildungen auf der Oberfläche, was wohl auch durch das Eigenlicht, welches diese beiden Himmelskörper neben der Sonnenbestrahlung besitzen, bestätigt wird.
Der geschilderte Bildungsvorgang der Gestirne läßt sich durch einen kleinen Versuch, durch welchen erst die beiden Forscher Kant und Laplace auf den Gedanken ihrer Nebularhypothese kamen, trefflich darstellen:
In einen mit Wasser gefüllten gläsernen Behälter wird etwas Öl gegossen. Dasselbe schwimmt und breitet sich als eine dünne Decke, infolge seines geringeren Gewichtes als das Wasser auf diesem aus. Schüttet man nun etwas Weingeist in diese Flüssigkeit, so spielt sich ein merkwürdiger Vorgang ab, den man mit Hilfe einer Nadel unterstützen muß. Das Wasser wird durch die Verdünnung mit dem Alkohol leichter und nähert sich dem Gewichte des Öles. Letzteres sinkt daher unter die Oberfläche des Wassers und bildet zuletzt eine Kugelform. Wird in diese Ölkugel, welche etwa in der Mitte des Wasserbehälters schwimmt, nun eine Nadel gesteckt und diese dann gedreht, so wird auch die Ölkugel jene drehende Bewegung annehmen; erst langsam, dann aber immer schneller. Nun tritt der Zeitpunkt ein, wo sich die Kugel oben und unten, also an ihren Polen, abplattet, während wir an dem Äquator eine Anhäufung oder Verbreiterung erblicken, die Kugel wird jetzt nahe eiförmig. Alsdann lösen sich von der Äquatoranhäufung Teilchen los und zwar in Form von Ringen; diese rotieren in gleicher Weise, bis daß sie sich ebenfalls zu kleineren Ölkügelchen gebildet haben, welche dann wiederum Teilchen abstoßen, die denselben Vorgang durchmachen. Damit ist der Prozeß zu Ende, es tritt Ruhe ein.
Betrachten wir den Vorgang näher und vergleichen ihn mit dem Weltenbildungsprozeß, Das durch den Alkohol verdünnte Wasser stellt den Weltäther in seiner Feinheit dar und das Öl vertritt die Nebel- oder Gasmasse. Die erste sich bildende Ölkugel stellt unsere Sonne in ihrem Urzustande als ungeheuren Nebelball dar, die abgestoßenen Ringe und sich dann zu Kugeln verdichtenden Teilchen bilden die Planeten, und die von diesen wiederum abgestoßenen Teile deren Monde.
Nur bei einem Planeten, dem Saturn, blieben die von seinem Äquator sich ablösenden Ringe zum Teil bestehen, sie konnten sich aus irgend einer Ursache nicht zu einem Monde ballen. Somit läßt sich mit Hilfe der Nebularhypothese auch das Ringsystem des Saturn erklären.
Den Abkühlungsprozeß kann man nun sechs Phasen durchwandern lassen. Die erste ist der glühendgasförmige Zustand, wie sich in solchem die Nebelflecke repräsentieren. Die zweite Phase, der glühende Zustand, in welchem sich die weißstrahlenden Fixsterne befinden, z. B. der Sirius. Die dritte Phase ist den gelbstrahlenden Himmelskörpern eigen und hat in unserer Sonne ihren nächsten Repräsentanten (glühendflüssige Masse mit beginnender Schlackenbildung). Die vierte Phase läßt schon die allmähliche Oberflächenbildung zu, wobei aber immer noch feuerflüssige Eruptionen massenhaft stattfinden; diesem Zustand dürften die rötlichleuchtenden Sonnen entsprechen. Die fünfte Phase verkörpert unsere Erde, und die sechste und letzte Phase zeigt den völlig erstarrten Körper, wie wir einen solchen in dem Monde besitzen. Man könnte nun noch eine siebente Phase annehmen, das wäre die allmähliche Zerbröckelung der erstarrten Gestirne, deren einzelne Teilchen dann vielleicht im Weltenraume umherirren, etwa als Sternschnuppen und Meteoriten, bis daß sie in den Bereich der Anziehungskraft anderer Himmelskörper kommen und dort niederfallen.
Einige Forscher, welche die NebularHypothese von Kant und Laplace, in ihren letzten Teilen nicht annehmen zu können meinen, urteilen über das Vergehen der Himmelskörper wie folgt:
Das Uhrwerk des Planetensystems ist nicht von ewiger Dauer. Es findet ein allmähliches Annähern der einzelnen Planeten an die Sonne statt, und wenn das Leben auf jenen längst erloschen ist, fordert diese die Körper, die Kinder, denen sie das Leben gab, einen nach dem andern zurück.
Dasselbe Schicksal erreicht aber auch unsere Sonne und alle die strahlenden Fixsterne im Weltall. Auch sie werden einst erstarren und als Körper durch den unendlichen Raum wandern. Doch bleibt dieser Zustand kein andauernder.
Auch hier herrscht das ewige Gesetz vom Kreislauf aller Dinge, von der Unvergänglichkeit des Stoffes, von der ewig wiederholten Vernichtung und vom Wiedererwachen des Lebens.
Verschiedentlich hat man im Altertum und auch in der neuern Zeit, ja sogar jüngst erst wieder plötzlich hellaufleuchtende, vorher nie gesehene Sterne beobachtet, welche in mächtigem Glanze erstrahlten und dann schnell wieder verschwanden. Zwei zusammenprallende Sterne die sich durch die Allgewalt des Stoßes in ihren Uraggregatzustand auflösten, veranlaßten diese Weltkatastrophe. Sie verwandeln sich durch den erlösenden Zusammenstoß in ihre Urmasse, in ihren ursprünglichen Gaszustand und der Werdegang beginnt von neuem.(*)
(*) Ob diese zweite eben angeführte Hypothese mehr Wahrscheinlichkeit für sich besitzt, als die Nebularhypothese, kann hier an dieser Stelle nicht weiter geprüft und erörtert werden, da letztere kein Feld für philosophischkosmologische Untersuchungen ist.
Wie wir in unserm Sonnensystem ein Werden und Vergehen sehen, so muß sich eine solche Wandlung auch in unzähligen Millionen anderen Fällen am Fixsternhimmel unausgesetzt vollziehen. Man kann annehmen, daß jeder Fixstern ein Sonnensystem für sich bildet, dessen Existenz ebenso verlaufen wird, wie die des unserigen.
Der KantLaplaceschen Hypothese zufolge ist der Mond ein erstarrter Himmelskörper, demnach also ein im Greisenalter stehendes Gestirn, während sein Mutterplanet noch im Jugendkleide prangt. Infolgedessen ist die Physiognomie des Mondantlitzes auch eine ganz andere, als die unserer Erde. Überall wohin der Blick fällt, reiht sich ein Kraterschlund an den anderen, sodaß die Mondoberfläche siebartig durchlöchert erscheint. Die Entstehung der unzähligen großen und kleinen Krater hat die Astronomen zu allerlei Hypothesen verführt. Einige nehmen an, daß durch die einstmals flüssige Oberfläche bei ihrer Erstarrung an vielen Stellen Gasausbrüche stattgefunden haben, die jene Krateröffnungen erzeugten. Man dachte dabei an irgend eine dicke, glühendflüssige Masse, auf deren Oberfläche sich Blasen bildeten, die dann zerplatzend als Überrest eine kreisrunde, erhöhte, im Innern vertiefte Narbe, eine Art Kessel, zurückließen.
Andere Astronomen sind wieder der Meinung, daß, als die Mondoberfläche zu erkalten begann, auf die noch lockere Decke zahllose Meteoriten, vielleicht Reste eines zerbröckelten, fremden Himmelskörpers herniedergefallen seien und dieselbe durchbrochen hätten, dabei an jeder Einfallstelle eine kraterförmige Öffnung zurücklassend.
Zur Beweisführung für diese Hypothese hatte man Experimente angestellt, welche auch Resultate ergaben, die auf den ersten Blick große Ähnlichkeit mit den Mondkratern zeigten. Es wurde unter anderm aus einer gewissen Höhe eine Kanonenkugel in eine flüssige Gipsmasse fallen gelassen, dieselbe verschwand darin und hinterließ einen kreisrunden aufgeworfenen Wall; man hatte somit den Anblick eines kleinen Mondkraters aufs täuschendste vor sich.
Trotzdem die AufsturzHypothese manches für sich hat, so bekennen sich doch die Mehrzahl der Forscher zu der erstgenannten, der vulkanischen Theorie.
Ähnlich wie auf der Erde, doch um vieles stärker, fanden nach der VulkanHypothese bei der Erkaltung der Mondoberfläche eruptive Ausbrüche statt, sodaß unzählige Krateröffnungen entstanden. Der Anziehungskraft der Erde schreibt man in diesem Falle eine große Rolle zu, indem sie auf die unter der erstarrten Oberfläche heftig wogenden, flüssigen Massen so stark an vielen Stellen einwirkte, daß sich diese wie Flutwellen durch die schwache Decke brachen, und dabei kraterähnliche Formationen erzeugten. Bei der geringen Schwerkraft des Mondes ist es auch erklärlich, wie sich ausgedehnte Wälle, Ringgebirge genannt, in solcher Heftigkeit aufwerfen konnten.
Es dürfte für den Leser nicht uninteressant sein, an dieser Stelle auch noch einige andere Hypothesen über die Entstehung der eigentümlichen Formationen der Mondoberfläche anzuführen.
Die älteste der Hypothesen dürfte wohl die von Hooke sein, welche in neuerer Zeit Falb wieder hervorgezogen hat. Nach dieser Theorie haben sich, als der Mond sich noch im feuerflüssigen Zustande befand, auf seiner Oberfläche Blasen gebildet, deren Ursache in aufsteigenden Gasen aus dem Mondinnern zu suchen ist. Diese Blasen sollten nach Hooke geplatzt sein, und zwar in der Weise, daß nur die dünnste, obere Schicht zerrissen war, während die unteren zähflüssigen Teile der Masse konstant blieben und zu einem ringförmigen Walle erkalteten.
Eine andere Hypothese stellte Scrope auf. Dessen Theorie lehnt sich an die irdischen vulkanischen Eruptionen an. Scrope nimmt an, daß die vulkanische Tätigkeit auf unserem Erdtrabanten Bodenerhebungen, wie Berge und Gebirge, erzeugt hat. Bei dem Auftrieb der Mondrinde wurden die Krater, Ringgebirge und Wallebenen geschaffen, indem sich tief unter den Bergen große Hohlräume gebildet hatten. Der Umfang der letzteren sollte nach Scrope fast bis in die Spitzen der Berge gereicht haben; auftretende Erschütterungen haben dann die Berggipfel in das Innere der Hohlräume hinabstürzen lassen, dadurch die kraterartigen Öffnungen hervorrufend.
Eine dritte Hypothese hat Dana aufgestellt, welche die Bildung der Ringgebirge des Mondes auf ein Überwallen von Lavaseen zurückführt. Er verweist uns auf einen ähnlichen irdischen Vorgang, auf den Lavasee auf Hawaii.
Die von Rozets aufgestellte Hypothese lautet dahin, daß alle die Ringwälle des Mondes durch heftige Wirbelstürme aufgeworfen sein sollen. Diese Ansicht ist sehr kühn, denn man kann sich nicht recht denken, wie sich Wirbelstürme von solchem Umfange in der dünnen Atmosphäre unseres Satelliten bilden konnten, und wie diese sich genügende Zeit lang auf ein und derselben Stelle hatten halten können, um die mächtigen Wallebenen, welche die Mondoberfläche aufweist, zu erzeugen.
Im allgemeinen wird man wohl die Entstehung der verschiedenen gebirgigen Erhebungen, wie Krater, Ringgebirge und Wallebenen in einen und denselben Zeitraum zu verlegen haben. Die Ansicht, daß die vulkanische Kraft einzig und allein die Ursache der Oberflächenbildung des Mondes ist, dürfte von vornherein zu verwerfen sein, denn hierfür giebt es Beweise, welche diese Anschauung unterstützen. So hat man z. B. Gestaltungen an den Ufern der Mare beobachtet, deren Entstehung unmöglich auf Eruptionen zurückzuführen ist, welche vielmehr durch das Wasser erzeugt wurden. Im Anschluß hieran wollte man auf Grund des eben gesagten auch die Rillen für frühere Wasserbetten ansehen; zu dieser Annahme verführt vor allen Dingen die muldenförmige Gestalt derselben, welche auf Flußbetten hindeutet.
Da wird man sich nun natürlich wieder fragen: Wo mag aber das Wasser geblieben sein, welches die Rillen und die Mare früher gefüllt hat?
Es wäre da nur eine Annahme möglich, und zwar die, daß das Wasser sich ebenso wie die Atmosphäre durch irgend welche Ursachen in ihre Bestandteile zersetzt haben und diese Teile dann von den Gesteinen chemisch gebunden worden sind.
Die Annahme, daß das Wasser im Laufe der Jahrmillionen vom Erdreich des Mondes ohne chemische Versetzung völlig aufgesaugt sein sollte, kann nicht gut aufrecht erhalten werden.
Die Entstehung der Rillen hat man sich andererseits auch so ausgelegt, daß man annimmt, daß sogenannte Mondbeben Risse in der starren Oberfläche erzeugt haben, deren obere Ränder mit der Zeit abbröckelten und in das Innere herabfielen was dann zur Folge gehabt hatte, daß die entstandenen Rillen dadurch gleichzeitig eine Verflachung und eine Verbreiterung erfuhren. Hiergegen spricht die Länge mancher Rillen; doch führt man dagegen eine außerordentliche Sprödigkeit der Bodenmassen ins Feld.
Über die Veränderungen auf dem Monde, welche die Astronomen der Neuzeit beobachtet haben wollen, mag hier noch kurz einiges erwähnt sein.
Es ist eine vielumstrittene Frage, ob tatsächlich Veränderungen der Mondoberfläche in letzter Zeit stattgefunden haben. Die Neu- und Umbildungen, welche einzelne Forscher wie unter anderen Klein beobachtet haben wollen, sind noch nicht als unumstößlich sicher bewiesen worden. Freilich genügen die vorhandenen Beweise, um die Beobachtungen glaubwürdig erscheinen zu lassen, doch der Skeptiker wird immer noch Gründe finden, welche ihm zur Aufstellung von Zweifeln Veranlassung geben.
Die moderne astrophysikalische Wissenschaft beschäftigt sich ja neuerdings sehr mit der Frage, ob der Mond gänzlich luft- und wasserleer ist. Die Antwort hierauf lautet unbestimmt; doch weicht man von einer entschiedenen Bejahung obiger Frage allmählich mehr und mehr zurück. Wiederholte Beobachtungen haben mit ziemlicher Gewißheit ergeben, daß noch Spuren von Luft und Feuchtigkeit auf unserem Trabanten vorhanden sind. Man will schwache Nebelbildungen gesehen haben; ja, der amerikanische Astronom Pickering behauptet neuerdings sogar Schneestürme auf dem Monde beobachtet zu haben.
Der Verfasser dieses Buches neigt sich mehr und mehr zu der Annahme hin, daß sämtliche Flüssigkeit, welche auf dem Monde vorhanden war, völlig vereist ist; was, wie aus der von ihm zu Beginn der vorstehenden Erzählung aufgestellten Hypothese hervorgeht, eine völlige Vergletscherung der Mondoberfläche zur Folge gehabt hat.
Für die Veränderungen der Mondformationen bietet der Krater Linné wohl das treffendste Beispiel. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hatten ihn noch Lohrmann, sowie Beer und Mädler, ferner auch Schmidt immer deutlich beobachten können, und war er von Lohrmann als ein besonders tiefer Krater von etwa 10 Kilometer Durchmesser beschrieben worden. Im Jahre 1866 machte jedoch Schmidt die wunderbare Entdeckung, daß dieser Krater urplötzlich verschwunden war. An seiner Stelle war eine Depression entstanden, auf welcher man einen kleinen Hügel beobachten zu können glaubte. Tatsächlich hat sich denn auch durch weitere Forschungen ergeben, daß an Stelle des Kraters Linné sich ein anderer kleiner Krater gebildet hatte. Die Messung der Astronomen ergab für seine Öffnung anfänglich 900 Meter Durchmesser; bald darauf wurde jedoch diese Messung wieder umgestoßen und an ihre Stelle trat ein neues Resultat: 3 Kilometer Durchmesser.
Eine zweite Veränderung hat Dr. Klein beobachtet. Es handelt sich in diesem Falle um einen kleinen Krater, welcher bisher auf keiner selenographischen Karte verzeichnet gewesen war. Der Entdecker konnte nicht glauben, daß dieses Kratergebilde bisher von jedem Forscher übersehen worden sein könnte und nimmt daher auf das bestimmteste an, daß das Kraterchen eine Neubildung ist. Einen anderen Beweis als den obengenannten vermochte Klein freilich nicht zu verbringen, weshalb man diese Neubildung entschieden skeptisch betrachten muß.
Weitere Neubildungen wurden in einem Krater, welcher am Mare nectaris liegt, und in einer Kratergrube, in der Nähe des Hyginus befindlich, entdeckt. Beide Gebilde fehlten bisher auf allen Karten der Astronomie. Die Frage, ob man es hier tatsächlich ebenfalls mit Neubildungen zu tun hat, ist streitig, da leicht eine Ungenauigkeit des früheren Kartenmaterials vorliegen kann.
Eine weitere Veränderung wollen die Astronomen am Krater Messier beobachtet haben. Letzterer besteht aus zwei Kratern, von denen jeder etwa 12 Kilometer Durchmesser besitzt. Beer und Mädler hatten den Messier in den Jahren 1830—37 sehr häufig beobachtet und niemals eine Veränderung an ihm wahrgenommen. Heute ist dies aber anders. Die beiden Krater, welche früher stets völlig gleich an Gestalt und Durchmesser waren, sind jetzt von einander sehr abweichend. Nicht allein, daß sie ungleich groß sind, sondern auch ihre Form ist ganz verschieden. Waren die beiden Krater früher rund, so hat jetzt der eine mehr als der andere eine elliptische Gestalt angenommen. Die Veränderung der MessierKrater würde sich vor allem darin offenbaren, daß ihre runde Form sich in eine ovale umgebildet hat. Ob diese Veränderung tatsächlich stattgefunden hat, muß ebenfalls noch bezweifelt werden.
Die Frage der Veränderungen der Mondoberfläche wird wohl erst dann einmal gelöst werden, wenn die coelistische Photographie Beweise dafür erbringt.
Beschäftigen wir uns jetzt einmal mit den topographischen Verhältnissen der Oberfläche des Mondes, mit den Tiefebenen, Kratern, sowie Ring- und Wallgebirgen.
Die meisten Erhebungen der Mondoberfläche werden von Wallgebirgen gebildet. Es giebt solche mit Höhen bis zu fast 9000 Meter; sie überragen im Verhältnis der Größe des Mondes zur Erde die Gebirgsgipfel der letzteren um ein bedeutendes. Der höchste Berggipfel der Erdkugel, der Gaurisankar oder Mount Everest im Himalajagebirge besitzt, vom Meeresspiegel aus gemessen, nur eine Höhe von 8840 Meter.
Da die Astronomen annehmen, daß der Mond ohne Wasser ist, so messen sie die auf dem Trabanten befindlichen Berge von keiner allgemeinen Niveaufläche aus, wie solche auf unserem Planeten der Meeresspiegel bildet; vielmehr beziehen sich alle Höhenmaße auf die nächste tiefliegende Umgebung des Berges. Das als eines der höchsten bekannte Ringgebirge ist der Curtius, welcher 8850 Meter ansteigt.
Ha! — würde der Leser rufen, — wer vermöchte die Berge des Mondes zu messen ohne selbst auf diesem Gestirn gewesen zu sein. —
Bah! — ruft darauf der Gelehrte — Kleinigkeit! —
Erstens, man mißt mit dem Mikrometer des Refraktors die Länge der schwarzen Schatten, welche die Berge bei Sonnenauf- oder Untergang in ihre Umgebung werfen, wodurch sich ohne sonderlich große Rechnung annähernd genaue Höhenmaße ergeben.
Zweitens gestattet die coelistische Photographie auf den von ihr gelieferten naturgetreuen Negativen bzw. Diapositiven eine ziemlich exakte Messung der Berghöhen.
Das erstere Verfahren ist ziemlich sicher, nur ist es dabei unbedingt notwendig, daß die Sonne für den Teil der Mondstriche, auf welchen sich die zu messenden Erhebungen befinden, nicht hoch über dem Horizont stehen darf, da nur dann die Berge ihren längsten Schatten werfen, und ein genaues Resultat erzielt werden kann.
So zahllos die Kraterberge auf dem Monde sind, so giebt es dort doch auch ungeheuer große Tiefebenen, welche der Erdenbewohner als dunkle, umfangreiche Flecken auf der Scheibe des Trabanten erblickt, die von Laien nur zu oft für Gebirge oder Meere gehalten werden, während sie doch nichts anderes als trockene Ebenen sind. Diese, Mare genannten Vertiefungen, sind arm an gebirgigen Erhebungen; letztere bilden meist nur die Ränder von solchen flachen Becken.
In der lunarischen Topographie kennt man über ein Dutzend solcher fälschlich mit Mare, h. h. Meer bezeichneten Tiefebenen; die größten derselben sind die nachstehend aufgeführten:
Mare imbrium, d.h. das regnerische Meer.
Mare frigoris, d.h. das Eismeer.
Mare crisium, d.h. das gefährliche Meer.
Mare serenitatis, d.h. das heitere Meer.
Mare tranquillitatis, d.h. das ruhige Meer.
Mare foecunditatis, d.h. das fruchtbare Meer.
Mare vaporum, d.h. das Dunstmeer.
Mare nectaris, d.h. das Nektarmeer.
Mare nubium, d.h. das Wolkenmeer.
Mare procellarum (Oceanus), d.h. das stürmische Meer.
Mare humorum, d.h. das feuchte Meer.
Zu fast zwei Drittel bedecken diese Mare die Oberfläche des Mondes. Hauptsächlich liegen sie auf der nördlichen Hälfte, reichen aber auch weit in die südliche hinein. Diese muldenförmigen Tiefebenen sind nicht völlig flach, sondern werden von hügeligen Erhebungen, welche oft mehrere hundert Kilometer lang sind, durchsetzt. — —
Soweit das Notwendigste, was der Leser aus der Weltgeschichte des Mondes wissen muß.
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