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KARL FRIEDRICH KAHLERT
ALS
LORENZ FLAMMENBERG

DER GEISTERBANNER

EINE WUNDERGESCHICHTE AUS
MÜNDLICHEN UND SCHRIFTLICHEN
TRADITIONEN


Cover Image

RGL e-Book Cover
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Ex Libris

Erstveröffentlichung:
Verlag Wallishauser, Wien, 1792


Diese E-Buchausgabe: Roy Glashan's Library, 2025
Version Date: 2025-02-12

Erstellt von Roy Glashan

Alle von RGL hinzugefügte Inhalte sind urheberrechtlich geschützt

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Impressum des Verlegers


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Titelblatt der Erstausgabe


Frontispiz der Erstausgabe

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Wer ist der, der die Todten in ihrer Ruhe störet?


ÜBER DIESES BUCH

Carl Friedrich Kahlerts "Geisterbanner" erschien 1792 unter dem Pseudonym Lorenz Flammenberg und zählt zu den erfolgreichsten Schauerromanen seiner Zeit. Die englische Übersetzung von 1794 übte nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Gothic Novels in Großbritannien aus und erfuhr auch im 20. und 21. Jahrhundert noch mehrere Neuauflagen. Die vorliegende Ausgabe macht Kahlerts Originaltext nun erstmals nach über zweihundert Jahren auch dem deutschen Lesepublikum wieder zugänglich und lädt zur Wiederentdeckung dieses hierzulande zu Unrecht vergessenen Werkes ein. Das spannungsreiche Zusammenspiel einer vielschichtigen Erzählperspektive mit drastisch beschriebenen Horrorszenen macht den Text zu einem auch heute noch faszinierenden Vertreter seiner Gattung.


INHALTVERZEICHNIS


Einleitung.

Ich überliefre hier dem Publikum eine Geschichte, die hoffentlich seinem Geschmacke gemäß seyn, und also meinen Hauptendzweck hinlänglich erreichen wird.

Uebrigens mag die Mähr in ihrem Zusammenhange so unglaublich scheinen, als sie will; so kann ich doch für die Wahrheit verschiedener einzelner Züge bürgen. Sichere Traditionen haben meine Phantasie in Stand gesetzt, ein romantisches Ganzes zusammenzuweben, dessen Fäden durch weit von einander entfernte Räume schweifen, sich endlich aber in einem Mittelpunkte verbinden.

Einige Geistesprodukte ähnlichen Inhalts haben sich bereits rühmlichst ausgezeichnet. Doch, hoffe ich, wird mich der Vorwurf nicht treffen, daß ich von einem meiner Vorgänger Plan, Ausführung oder Bilder entlehnet hätte; obgleich unser aller Absicht eine und dieselbe zu seyn scheinet.

Der Verfasser.


Erster Abschnitt. Mündliche Traditionen.

Der Sturm tobte über die Elbe; der Hagel rasselte am Fenster; die Krähen krächzten dem Herbste den Abschied, die Wetterhähne ächzten seinen Sterbegesang: Da saßen zwey traute Freunde am Kamine, und feyerten die Ankunft des Winters; Herrmann und Hellfried, ein Brüderpaar zärtlich und standhaft. —

Dreyßig Jahr lang hatten die Guten einander nicht gesehen; weil ihr verschiedener Beruf sie von einander trennte; weil Herrmann, als er die Akademie verließ, in entfernte Gegenden seinem Schicksale folgte, und Hellfried einige Zeit darauf, seinem alten Vater zum Troste — zur Stütze, nach der entlegenen Heymath eilte. Ehe noch dieses geschahe, durchstrich der Letztere den anmuthigsten Theil Deutschlands; doch nirgends behagte es ihm, nirgends fand er ohne seinen Freund Vergnügen— nirgends Zufriedenheit und Ruhe. Er suchte endlich diese unentbehrlichen Gesellschafter im Schoße der Seinen, und fand sie. Zehn Jahre lebte ihm noch sein Vater, ein siebenzigjähriger, heiterer Greis zur Freude, zum Vorbilde; zwölf Jahre pflegte und versorgte er hierauf noch seine Mutter, und nun war er schon seit acht Jahren mit seiner Schwester allein. Temperament, Laune und Erfahrung hatten ihm frühzeitig den Ehestand verleidet. Itzt, da er sich seinem sechzigsten Jahre näherte, itzt merkte er, woran es ihm, fehlte, was ihm noch mangelte, um vollkommen glücklich zu seyn. Mismuth und Grillen zu vertreiben, entschloß er sich eine Reise, so weit und lang sie Amt und Beschäftigung erlaubten, vorzunehmen. Seine Schwester hütete indeß den friedlichen Heerd daheime.

Ueberall fand Hellfried noch Freunde seiner Jugend, überall noch Gesellen und Gefährten seiner ehemaligen Studien, seiner Uebungen auf Schulen und Akademien. Endlich gelang es ihm auch, den Theuersten von allen, seinen getreuen Herrmann auszuspähen. Zwar zürnte Hellfried auf ihn, daß er so lange nichts von sich wissen ließ; daß er ihn ob Leben und Freundschaft nie vergewissert, nie, nachdem er von ihm geschieden, Nachricht von seinem Wohlseyn, von seinem weiteren Fortkommen, gegeben hatte. Doch die Freude, daß er noch lebe, daß er glücklich zufrieden sey, machte ihn bald Groll und Zanksucht vergessen: und sonder Säumen bestieg er seinen Wagen, und reisete in einem fort, bis daß er bey seinem Freunde, bis daß er in Herrmanns Armen war.

Er fand den Edlen im Schooße des Glücks, im Schooße der seligsten Ruhe. Ein biederes deutsches Weib, in gleichem Maaße Gattin, Mutter und Hausfrau, lebte an seiner Seite. Kinder, fromm und gut, hatte ihm der Himmel viele beschehret. Zwey davon hatten ihm schon Enkel gegeben, die zu seinen Füßen spielten. Segen und Wohlstand blühte um ihn her, Freude thronte auf seiner Stirn, hoher Frieden in seinem Herzen.

»Gott!« rief er, als das entzückende Wiedersehen seines Freundes ihm Sprache und Worte erlaubte: — »Gott!« — rief er, und blickte dankbar gen Himmel: — »So sind denn alle meine Wünsche erfüllt; so mußte ich auch noch auf dieser Welt meinen lieben, getreuen Hellfried wiederfinden! O Hellfried! Hellfried! Dein Andenken war die einzige Bitterkeit, die mit den Kelch der Freuden zuweilen unschmackhaft machte. Du lebst — du lebst: ich habe kein Begehr an den Höchsten mehr, als ein Ende, das meinem itzigen Leben gleichet!« —

Hellfried erzählte nun, nachdem der erste Freudenrausch vorüber war, wie emsig er stets nach seinem Freunde geforschet, berechnete, wie viele Briefe er geschrieben, um Kundschaft von ihm einzuziehen, und war im Begriffe, dem treuen Herrmann, seiner Saumseligkeit halber, Verweise zu geben; als dieser einen Brief herbey holte, worin ihm ein alter Bekannter. die Nachricht ertheilte:

»Hellfried habe die Wissenschaften verlassen, und Pallas rauhere Seite liebgewonnen, sey mit in den siebenjährigen Krieg gezogen, und, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Opfer seiner Tapferkeit geworden.«

»Deinen Gesinnungen — fuhr Herrmann fort, als sein Freund jenes Schreiben gelesen hatte, — schien diese Lebensart immer angemessener zu seyn, als stiller, häuslicher Friede; wie konnte ich also an dem Berichte des braven Ehrichs zweifeln? Ich habe dich beweinet; was sonnte ich mehr für dich thun?«

Hellfried sahe seinen Freund gerechtfertiget, und freuete sich nun noch um eines so sehr über den ausgeführten Entschluß, Herrmann gut besuchen.

»Bruder! — rief er — laß uns das Alter vergessen, und leben, — so lange mirs bey dir zu bleiben vergönnet ist, — als ob wir noch Jünglinge, als ob die dreyßig Jahre, die wir von einander getrennt sind, nicht gewesen wären!«

Herrmanns Wange glühete. Er reichte seinem Hellfried die Hand, und beyde begannen ein Leben, das nie — das nirgends glückseliger geführt wurde.

Sechs Tage waren sie nunmehr schon beysammen. Herrmann wohnte auf einem Landgute, das an der Elbe lag, und ringsum von Waldung umgeben war; für Hellfried, dem leidenschaftlichsten Liebhaber der Jagd, also auch im Winter der anmuthsvollste Aufenthalt. Jeden Morgen wurde gejaget. Da streisten die rüstigen Alten durch Feld und Hain, bis beide endlich ermüdet zur Mittagszeit nach Hause kehrten, wo ein kräftiges Mahl, und alter Rheinwein ihrer harrete. Innigst vergnügt saßen sie dann traulich bey einander, und schwatzten und, tranken, bis der Abend anbrach, und das Feuer im Kamine das düstere Zimmer, erhellte. Dann wurden Pfeifen gestopfet, Stühle zum wärmenden Feuer gesetzet, und nun begannen Erzählungen von dem, was sich seit ihrer Trennung ereignet hatte. So schwanden den beyden Freunden die Tage wie Stunden dahin, und Hellfried dachte noch nicht an sein Scheiden. —

Also es stürmte der Wind, es ras'te der Hagel. Hellfried und Herrmann mußten heute das Jagen unterlassen, blieben am Kamine, und suchten und fanden stets neuen Stoff zu zeitverkürzenden Unterhaltungen. Das unfreundliche Wetter lockte zu ernsten Gesprächen. Man sprach von den Zeiten des Krieges, von überstandenen Gefahren, und von vielen andern ehemaligen Sorgen und Leiden. Der Abend kam, und der Sturm wüthete heftiger; die Flamme im Kamin schwankte hin und her, und drohete zu verlöschen. Vater Herrmann gab ihr neue Nahrung, und schürte die verzehrte zusammen. Hoch loderte wieder die Gluth empor, und prasselnd strubte sich das Holz zu verbrennen.

»Bruder! — fieng itzt Hellfried an, der schweigend indeß eine frische Pfeife gefüllet und entzündet hatte: — Bruder! Glaubst du an übernatürliche Begebenheiten? — »Glaubst du an Geister?«

Herrmann schüttelte lächelnd den Kopf.

»Auch ich fuhr — Hellfried fort: — auch ich glaube nicht daran. Aber auf meiner Reise durch Deutschland habe ich eine Reihe von Abentheuern erlebet, die ich mir itzt noch nicht zu erklären vermag.«

Herrmann horchte begierig auf, und erwartete mit stummer Sehnsucht die wunderbaren Begebenheiten seines Freundes. Hellfried ließ ihn nicht lange harren; er begann:

*

Es war eben Meßzeit, als ich in F... ankam. Das Getümmel der Käufer und Verkäufer, die vielen abwechselnden Zeitvertreibe, das Auffinden manches Bekannten, versprachen mir zusammengenommen die angenehmste Unterhaltung, und ich entschloß mich einige Wochen an diesem Orte zu verweilen.

Der Gasthof, worin ich logirte, wimmelte von Fremden. Unter diesen zeichnete sich vorzüglich ein bejahrter Mann von sonderbarem Aeußeren aus. Sein Ansehen flößte Ehrfurcht ein; seine Kleidung war einfach, doch kostbar und verrieth einen reichen Kavalier. Er hatte die erste Wohnung im Gasthofe inne. Eine sechsspännige Kutsche und vier Bedienten waren auf seinen Wink bereit. An allen öffentlichen.Oertern, bey allen Lustbarkeiten fand man ihn; aber, was mir auffiel, immer allein, immer für sich und in tiefes Nachdenken versunken. Ich bemerkte öfters, wie er, wo er auch seyn mochte, keine Achtung auf das hatte, was um ihn vorgieng; wie er, gleich einem, der von innerlichem, heftigem Grame überwältiget ist, bey Seite schlich, und sich nebst allem, was ihn umgab, zu vergessen schien. Auch zu Hause war er stets allein auf seinem Zimmer, dessen Eingang mir immer verschlossen zu seyn deuchte. Gleich nach der Mittagsmahlzeit, fuhr er aus, und kam gewöhnlich erst spät in der Nacht wieder zurück.

Ich erkundigte mich bey dem Wirthe des Gasthofes: wer der sonderbare Mann wäre? Er zuckte die Achseln. Ich fragte die Aufwärter. Sie thaten das nehmliche.

»Aber — rief ich verdrießlich; — man wird doch wissen, woher er sey? Seine Diener können ja davon Bericht abstatten!«

»Die Diener — versetzte der Aufwärter; den ich zuletzt vornahm, sind stumm, wie der Herr. Man sagt; er wäre ein Englischer Lord. Das ist alles, was ich weiß.«

Mir war dies gleich vom ersten Anfange an glaublich gewesen. Ich hatte bereits auf meiner Reise Gelegenheit gehabt, Engländer kennen zu lernen, und dieses Mannes Wesen schien mir ganz dasselbe zu seyn, womit jene begabet waren. Was seine Schwermuth betraf; so hielt ich dafür: er hätte den Spleen, und bekümmerte mich nicht weiter um ihn. Auch wurde mir bald durch gewisse unangenehme Zufälle alle Aufmerksamkeit auf fremde Gegenstände versagt.

Kaum war ich drey Tage in F..., so verlor ich meine Geldbörse. Ich gab diesen Verlust meiner wenigen Achtsamkeit schuld, die ich beym Eingange in eine Bude, worin man ausländische Thiere zeigte, beobachtet hatte, und naht mir vor, in Zukunft besser auf meiner Hut zu seyn. Schon am folgenden Tage verspätete ich indeß, der sorgfältigsten Aufmerksakeit ungeachtet, einen neuen Verlust. Ich vermißte einen Silhouettenring mit brillantener Einfassung. Ich wußte genau, daß ich diesen Ring noch gestern Abend am Finger gehabt, und bey meinem Schlafengehen auf den Tisch gelegt hatte. Ich examimirte die Aufwärter des Gasthofes. Alle äusserten Mismuth über meine Untersuchungen und kurz — der Ring war weg.

Am dritten Tage nach dem ersten dieser Diebstähle gieng ich in das Schauspiel. Ich hatte eine Dose von geringem Werthe, unter meinem Schnupftuche, in der rechten Rocktasche stecken. Mein Nachbar ersucht mich in der Mitte der Vorstellung um Tabak. Ich greife nach meiner Dose: — sie war weg. Die Unwichtigkeit des Diebstahls zwang mir ein Lächeln: ab. Ich erwartete ruhig das Ende des Schauspiels, und war von Herzen froh, daß ich meine Börse zu Hause gelassen hatte.

Das Stück war aus. Ein Knabe leuchtete mir mit der Fackel bis zu einem benachbarten Speisehause. Ich will sehen, wie viel die Klocke sey, greife nach meiner Uhr: — die Uhr ist weg.

»Verdammtes Unglück!« murmelte ich. Der Knabe mit der Fackel mahnte mich um seinen Lohn. Ich gab ihm denselben, und trat in den Speisesaal. Einer meiner Bekannten machte die Bemerkung: daß ich blaß sähe, und fragte: ob ich krank sey? Ich verneinte es, und setzte mich zur Tafel. Ohne darauf acht zu haben, wer mein Nachbar sey, aß ich schnell meine Mahlzeit hinein und stand mit dem festen Entschlusse auf: sogleich meinen Koffer zu packen, und mit dem frühesten Morgen weiter zu reisen; denn ich glaubte mich nunmehr fest überzeugt, daß gewisse Meßleute ihr sicheres Augenmerk auf mich gerichtet hätten. Indem ich meinen Stuhl zurückschiebe, und den Tisch verlassen will; erschallt auf einmal dicht neben mir eine Stimme:

»Mein Herr! was ist die Uhr?« Ich antworte nicht, weil diese Frage aufs neue meinen verdrießlichen Verlust mir ins Gedächtniß rufet, und setze den Fuß vorwärts.

»Mein Herr! was ist die Uhr?« erschalle die Stimme noch einmal.

»Ich weiß es nicht!« erwiedere ich itzt, ohne mich umzudrehen, und zahle dem Aufwärter die Zeche.

»Haben sie keine Uhr?« schallt es aufs neue hinter mir. Mehr aus Verdruß, als aus Höflichkeit wende ich mich, und — Bruder, denk dir mein Erstaunen! — der Frager; der so ungestüm die Zeit von mir zu wissen verlanget, ist mein Nachbar im Gasthofe, ist der Mann, der noch vor wenig Tagen so heftig meine Neugierde reitzte.

Er blickte mich steif an, als ob er die Beantwortung seiner Frage erwartete. Ich gewährte sie ihm.

»Mein Herr — stotterte ich — meine Uhr« —

»Ist ihnen entwendet! — fiel mir der Unbekannte rasch ins Wort: — Aber ich habe den Dieb ertappt. Hier ist sie!« —

Ich stand außer mir vor Verwunderung. In meiner Seele stieg sogleich der dringendste Wunsch auf, den Thäter zu wissen; um auch wegen meiner übrigen verlornen Sachen Gewißheit zu erhalten. Denn daß mich dieser aller einer und derselbe beraubet hätte, schien mir anitzt außer Zweifel geseket zu seyn. Aber ehe ich noch dies Verlangen in Worten zu äußern vermochte; so hatte ich auch schon meine Uhr in der Hand, und fort war der Unbekannte.

Betroffen gieng ich nach Hause. Der Unbekannte war noch nicht da. Er kam, wie gewöhnlich, erst nach Mitternacht. Ich sprang zur Thüre hinaus, da ich ihn die Treppe herauf kommen hörte, machte ihm eine tiefe Verbeugung, und bat ihn, mir eine Frage zu erlauben. Aber er gieng, ohne mich zu bemerken, in tiefen schwermuthsvollen Gedanken schnell bey mir vorüber, nahm seinem Diener das Licht aus der Hand, und schloß die Thüre hinter sich zu.

Alle meine folgende Versuche, den Unbekannten zu sprechen, liefen fruchtlos ab, wie dieser erste. Im Gasthofe verschloß er sich, auf dem Vorsaale bemerkte er mich nicht, und in öffentlichen Oertern vermied er mich. Misvergnügt über dies unhöfliche Betragen, gab ich mir auch bald keine weitere Mühe, mit dem Sonderlinge in genauere Bekanntschaft zu kommen.

Unterdessen waren wieder drey Tage hingelaufen. Ueber dem seltsamen Vorfall hatte ich meine Abreise vergessen. Itzt erneuerte ich wieder meinen Entschluß: und ob mir gleich keine fernere Unannehmlichkeit zugestoßen war; so bestimmte ich doch schon den folgenden Tag zur Abfahrt aus F... Ich begann sogleich mich dazu bereit zu machen, packte meinen Koffer, und fand für nöthig, einen Negocianten aufzusuchen, der von mir die Cession eines in Leipzig zahlbaren Wechsels annähme.

Ich gieng den ganzen Nachmittag umher; aber vergebens. Erst gegen Abend war ich so glücklich, einen billigen Mann zu erspähen, der meine Verlegenheit nicht zu nutzen begehrte. Freudig greife ich nach meinem Portefeuille: es war nicht in der linken Tasche. Ich greife in die rechte: es war auch nicht darin.

»Um Gotteswillen! was ist Ihnen?« rief der Kaufmann.

»Nichts — nichts!« stammelte ich und stürmte fort.

Ein schwacher Hoffnungsstrahl schimmerte noch in meiner Seele. Ich wähnte meinen ganzen, noch vorräthigen Reichthum — ob ich gleich gewiß wußte, daß ich das Portefeuille in die Tasche geschoben hatte — ich wähnte, meinen letzten Wechsel im Gasthofe zurückgelassen zu haben. Zitternd kam ich daselbst an; zitternd schloß ich die Thüre meiner Wohnung auf. Fürchterlich langsam, als wenn ich den grausen Stoß verzögern wollte, trat ich ein; ängstlich schweisten meine Blicke umher: ach! mein ganzer Reichthum war nirgends zu finden.

Es war mir unmöglich, mich von meinem großen Unglücke zu überzeugen. Zehnmal warf ich alle Sachen wieder aus dem Koffer heraus; hundertmal suchte ich auf allen Tischen und Stühlen. Das Portefeuille oder der Wechsel sollten und mußten da seyn; aber sie blieben beyde weg.

Der Abend war itzt vergangen, und ich saß, mit in einander geschränkten Armen, tiefsinnig auf meinem Koffer. Ich entschloß mich endlich, bey frühem Morgen zu allen Bekannten umherzugehen, und sie um Vorschuß zu bitten. Eine schreckliche Nacht folgte auf den schrecklicher Abend. Der Morgen kam. Mein Stolz kämpfte heftig in mir: aber die Vorstellung des herein; brechenden Mangels siegte; ich gieng.

Mitleiden, Bedauern, Schimpfen und Fluchen auf den Räuber, das fand und hörte ich überall; doch an Hülfe war nirgends zu gedenken. Meßgeschäfte, Reise, Zehrung: — ach! es giebt tausend Entschuldigungen, wenn man seinem Nebenmenschen nicht dienen will. Ich kam fühllos und betäubt nach Hause. Es schlug zwölf Uhr, es schlug ein Uhr; man erinnerte mich, daß es Essenszeit wäre: ich mochte nicht essen. Da stand ich nun im fremden Lande verlassen, ein Sohn des Elends, ein Sklave der Nothwendigkeit, gerungen meine Hände, festgewurzelt in die Erde meine Blicke. Wie lange ich so stand, weiß ich nicht. Ein Klopfen an meine Thüre schreckte mich auf. Ich schrie wild: herein! Die Thür offnete sich; wie ward mir! — der Unbekannte trat über die Schwelle. Mein ganzes Wesen Iösete sich plötzlich in Freude auf. Außer mir sprang ich ihm entgegen, faßte ihn in meine Arme, und rief:

»Haben sie — haben sie gefunden?«

»Diesmal nicht!« versetzte der Unbekannte trocken.

Mir ist als sähe ich ihn noch, eine lange hagere Gestalt, bleich im Gesicht, stier und ernst an Blick und Miene. Ich bebte bey seiner Rede.

»Nicht nicht? — jammerte ich laut: — O ich Unglücklicher!«

»Geduld! Geduld, junger Mann! — erwiederte der Unbekannte: — ist auch der Thäter fort; so bin ich doch da!«

Ich sah ihn erstaunt an. Er zog eine Brieftasche hervor, nahm zwey Papiere heraus, und reichte sie mir.

»Hier — fuhr er fort: — hier ist so viel, als sie bedürfen, nach Hause zu reisen! Uebermorgen geht die Post dahin ab. Glückliche Reise!« —

Die Papiere lagen schnell auf meinem Tische, und eben so schnell verließ der Unbekannte mein Zimmer. Eine wunderbare Empfindung hielt mich am Boden gefesselt, und kettete meine Zunge, daß ich meinem abermaligen Wohlthäter nicht danken, ihn nicht um Anweisung zum Wiederbezahlen meiner Schuld befragen konnte. Ehrfurcht, hohe Verwunderung, doch mitunter ein gewisses heimliches Grauen, was ich für den sonderbaren Fremden fühlte. Eine Zeit lang stand ich, wie in Stein verwandelt; dann trat ich zu dem Tische, worauf die von dem Unbekannten hinterlassenen Papiere lagen. Ich fand zwey Anweisungen in F... zahlbar, jede auf hundert Thaler. Es kränkte mich innerlich, von einem fremden, niemand bekannten Manne beschenket worden zu seyn; doch was zu thun? — wie dem wunderbaren Sonderlinge beyzukommen? Vielleicht, dachte ich, schickt er dir noch seine Addresse. Doch ich hoffte umsonst; er schickte sie nicht. Ich sahe ihn schnell von dannen fahren. Auch ich machte mich aus dem Hause, und suchte Zerstreuung.

Erst spät kam ich zurück. Der Unbekannte war noch nicht auf seinem Zimmer. Ich entschloß mich, ihn zu erwarten, und sobald er anlangte, ihm entgegen zu gehen, und auf eine Anweisung zu Entrichtung meiner Schuld zu dringen: im Falle aber, daß er, wie sonst geschehen, ohne auf mich zu merken, vorüber eilen wollte, ihn anzuhalten, und mit Gewalt zur Rücknahme seines Geschenkes zu bewegen. Der Entschluß war gut; aber ich vermochte ihn nicht zu vollführen: denn der Unbekannte kam nicht zurück.

Mitternacht war itzt bereits vorüber. Ich lag auf einem Sopha. Der Vorbote des Schlafes überraschte mich. Plötzlich vernahm ich ein leises Klirren an meiner Thüre. Ich ermunterte mich. Alles war still. Ich hielt das Gehörte für einen der frühen Träume, die so gern dem wirklichen Entschlummern vorhergehen. Aber bald vernahm ich dasselbe schon gehörte Geräusch aufs neue. Ich verließ das Sopha. Alles war wieder still. Begierig horchte ich auf. Das Geräusch ertönte wieder, und heftiger und anhaltender als vorher. Es war, als ob eine Person an meiner Thüre wäre, die den Drücker des Schlosses nicht finden könnte. Ich wollte zu Hülfe eilen: aber ehe ich noch in der Mitte meines Zimmers war, gieng die Thüre auf. Ich blieb erwartungsvoll stehen.

Die Thüre bewegte sich allgemach, wie von einer schüchternen Hand regieret. Itzt war sie so weit geöffnet, daß ich den, der sie aufstieß, zu bemerken vermochte. Es war eine sonderbare Figur; lang und verfallen, in ein weißes Gewand gekleidet. Itzt trat sie herein, und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Ich bebte zurück; ein kalter Schauer durchzitterte mein Gebein.

Die Figur näherte sich stumm und feyerlich dem Tische, worauf meine Uhr lag, ergriff dieselbe, blickte darauf, als wollte sie die Zeit wissen, seufzte tief, und legte die Uhr wieder nieder. Ich stand wie vom Donner getroffen. Die seltsame Gestalt wankte wieder allmählig rückwärts. Das Licht, bey dem sie itzt dichter vorübergieng, warf seine Strahlen auf ihr Gesicht. Himmel, wie ward mir! unter den Tüchern, die ihr Haupt verhüllten, erkannte ich die Züge meiner verstorbenen Mutter. Meine Kniee schlagen an einander; kalter Schweiß floß meine Stirne herab; alle Gedanken verließen mich.

Die Gestalt war indeß, ohne sich umzukehren, bis zur Thüre gegangen, öffnete dieselbe wieder langsam, und trat auf die Schwelle. Itzt wandte sie sich, sah mich lange und starr an, hob endlich ihre dürre Rechte empor, drohete dreymal gräßlich, und verschwand hinter der an sich gezogenen Thüre.

Da ich zu mir selbst kam, fand ich mich auf meinem Sopha, und wähnte geträumet zu haben. Ich wollte nach der Uhr sehen. Die Klocke schlug eben eins. Ungeduldig, daß der Unbekannte nicht nach Hause käme, warf ich mich nunmehr auf mein Lager, und schlief bis an den hellen Morgen.

Der Aufwärter weckte mich bey Ueberbringung des Frühstückes. Ich erkundigte mich: ob mein Nachbar diese Nacht im Gasthofe zugebracht habe? Er verneinte es. Ich fragte: ob er etwa gestern noch abgereiset wäre? Der Aufwärter sann nach.

»Wohl möglich! — versetzte, er: — Miethsgeld und was er verzehrte, bezahlte er alle Tage nach der Mittagsmahlzeit. Koffer oder Gepäck führte er nicht bey sich, und keiner seiner Diener logirte in diesem Gasthofe.«

Ich gieng mit ihm nach dem Quartier, das er bewohnet hatte. Der Schlüssel steckte an der Thür. Wir traten hinein. Alles war leer, und sonder Spur von eines Menschen ehemaligem Daseyn.

Voll Verdruß kehrte ich nach meinem Zimmer zurück: voll Verdruß nahin m ich die von dem Sonderlinge erhaltenen Anweisungen in die Hand, und hatte sie gern vernichtet, wäre dadurch meine Verpflichtung gehoben gewesen. Plötzlich fiel mir bey, daß sie vielleicht ungültig, oder an ein Haus gestellet seyn könnten, das nirgends zu finden wäre. Der Gedanke labte mich, ob ich mich gleich, im Falle, daß er berechtiget wurde, in mein voriges Elend zurückgestoßen sahe. Ich eilte schnell zu meinem Wirthe, und zeigte ihm die Noten, unter dem Vorwande: mich nach des angewiesenen Negotianten Wohnung zu erkundigen. Er nannte mir das Haus und die Straße, wo er zu finden sey. Ich erschrack.

Ich gieng noch des Vormittags zu dem Wechsler. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Papiere, aber einen desto forschendern auf mich. Seine Augen schienen mir Erstaunen und Mitleiden zuzublicken. Ich erwartete voller Freude den förmlichsten Protest. Doch ich hatte mich geirrt. Der Banquier schloß seufzend und mich stets anstaunend sein Pult auf, und zahlte mir die zweyhundert Thaler hin. Ich strich sie zitternd zusammen, und fest überzeuget, daß die Blicke dieses Mannes auf mein Unglück und meine fremde Verpflichtung deuteten, wagte ich ihn zu fragen: durch wen er diese Anweisungen zu erhalten glaubte. Er schien mir in Verlegenheit zu gerathen, zuckte die Achseln, murmelte einige unverständliche Worte, schloß wieder sein Pult, und verließ mich schnell. Aeusserst bestürzt gieng ich aus seinem Hause. Das Wetter war schön, und ich entschloß mich, um meine Grillen zu vertreiben, in einen der Stadt nahegelegenen Garten zu spatzieren.

Der angenehme Morgen hatte viele Fremde und Einheimische heraus gelockt. Ich setzte mich in eine etwas versteckte Laube, und forderte Chokolade. Ehe ich diese erhielt, überließ ich mich meinen Betrachtungen über die sonderbaren Zufälle, die ich, während der kurzen Zeit meines Aufenthaltes in dieser Stadt, schon erlebet hatte. Auch mein Traum fiel mir bey, und er deuchte mir itzt wichtiger, als es die vergangene Nacht, da ich blos den Unbekannten und seine Assignationen im Sinne hatte, geschehen war. Ich dachte ernstlich darüber nach: ob das Gesicht nicht auch könne Wahrheit gewesen seyn? Unmöglich schien es mir beynahe, so lebhaft, so natürlich zu träumen. Dessen ungeachtet schallt mein Unglaube an Geistererscheinungen die gemachte Erfahrung eine Betrügerin; und trotzend auf meine einmal vorgefaßte Meynung, verwarf ich alle Einwendungen, die mir Sinne und Wahrscheinlichkeit entgegen hielten. Ich kämpfte mich ab, um den ganzen Vorfall zu vergessen: aber umsonst! Der Traum, oder vielmehr die Erscheinung kam immer wieder aufs neue in mein Gedächtniß zurück; und immer grauser und grauser schwebte die nächtliche Schreckgestalt vor meinen Augen.

Müde und laß des Streites mit einer erhitzten Phantasie, wähnte sich endlich meine Seele durch einen lauten Ausruf Luft zu verschaffen; und ohne daran zu gedenken, wo ich mich befände, brach ich auf einmal in die Worte aus:

Nein — es war kein Traum!

»Es war kein Traum!« rief im Nu eine mir wohl bekannte Stimme.

Beschämt und erschrocken schlug ich meine Augen auf. Wie ward mir! Der Unbekannte stand dicht vor mir.

»Junger Mann!« — sprach er, ohne mir Zeit zum Bedenken, zum Sammeln zu lassen! — »Verlangen sie Bescheid wegen der Erscheinung in vergangener Nacht?«

Ich staunte ihn sprachlos an.

»Wenn sie Licht in dieser Sache wünschen; — fuhr er nach einer kurzen Pause fort: — so erwarten sie mich kommenden Abend um zehn Uhr an dem bey ihrem Gastshofe nächstliegenden Thore!«

Der Unbekannte sprach diese Worte freundlich und herablassend, nahm seinen Hut ab, und verließ die Laube, worinn ich mich befand. Meine Augen verfolgten ihn. Er verlor sich im Gedränge beym Eingange des Gartens.

Man brachte die bestellte Chokolade. Mein Appetit war vorüber. Vergebens durchstrich ich, nunmehr auf Anrede und Leitung des Gespräches gefaßt, alle Gänge des Gartens; vergebens befragte ich jeden Bekannten, jeden Aufwärter; beschrieb, schilderte, mahlte den seltsamen Fremden: niemand hatte ihn gesehen.

Ich eilte nach Hause. Mir grauete vor meinem Zimmer. Alle Augenblicke öffnete, bewegte sich die Thüre; alle Augenblicke schwebte die Gestalt meiner Mutter fürchterlich und drohend einher: ich mußte wieder fort. Unstät und flüchtig verschwärmte ich den ganzen Rest des Morgens, den ganzen Nachmittag. Von dem Caffeehause auf die Promenade, von der Promenade zum Raritätenkrämer, vom Raritätenkrämer zum Speisewirthe, vom Speisewirthe wieder auf die Promenade, von da zum Puppenspiele, zu Gaucklern, zu seltenen Thieren, endlich in die Komödie: nirgends fand ich Ruhe.

Als ich das Schauspielhaus wieder verließ, fieng es eben an dunkel zu werden. Ein sonderbares Gefühl regte sich in mir. Gehest du, oder gehest du nicht? Diese Frage, die den ganzen Tag über schwer auf meiner Seele gelegen hatte, diese Frage forderte anitzt ernstlich Entscheidung, und versetzte mich in die peinlichste Verlegenheit.

Sehest du, oder gehest du nicht? murmelte ich unaufhörlich vor mir hin. Was hast du bey diesem Abentheuer zu wagen? fragte die Klugheit. Meine Antwort blieb aus. Furcht und Zweifel kämpften in mir. Doch plötzlich erscholl die lockende Stimme der Neugierde, verscheuchte jede Bedenklichkeit, und spottete des Raths der Vorsicht. »Morgen ist deine Abreise beschlossen« — rief diese anmuthsvolle Sirene: — »und heute noch kannst du völliges Licht über alle die wunderbaren, verworrenen Dinge erhalten. Es wird dich in der Folge gereuen, wenn du nicht gehest. Muth! Muth! Schäme dich vor einem alten Manne dir bange seyn zu lassen!« »Und — fügte schnell mein Stolz hinzu: — du kannst Gewißheit erhalten, wie du deine Verpflichtung von wegen der beyden Noten zu tilgen vermagst!« — Du gehest! durchfuhr ein schneller Entschluß meine Seele. Ich gehe! sprach ihn leise mein Mund nach. Mir ward auf einmal leicht und froh im Sinne.

Ruhig gieng ich in mein Quartier zurück, forderte Licht, und begann Briefe zu schreiben. Bis nach acht Uhr setzte ich diese Beschäftigung fort; dann hielt ich für gut, noch etwas Zerstreuung zu suchen. Ich fand sie bey der Wirthstafel meines Gasthofes, wo mir in der angenehmsten Gesellschaft beynahe zwey Stunden verstrichen. Der Wirth zog mich nach geendigter Mahlzeit bey Seite.

»Mein Herr! — sprach er: — ich habe ihnen eine angenehme Nachricht zu bringen.«

»Nun?« — fragte ich neugierig.

Wirth. »Sie haben während ihres Aufenthaltes in dieser Stadt verschiedene Sachen vermißt?«

»Das habe ich!« erwiederte ich verwunderungsvoll.

Wirth. »Ihr Verlust verursachte auch mir Unannehmlichkeit. Denn der Ruf eines Gasthofes« —

»Zur Sache, zur Sache! wenn ich bitten darf.« — fiel ich ihm ungeduldig ins Wort.

Wirth. »Sie verloren eine Börse, einen Ring, eine Dose und ein Portefeuille.«

»Sie wissen meinen Verlust aufs genaueste — versetzte ich erstaunt.

Wirth. »Sie werden alle diese Sachen auf ihrem Zimmer finden.«

Ich fuhr zurück.

»Wie?« — rief ich außer mir.

Wirth. »«So ist es. Ein unbekannter Mann überbrachte mir vor einer Stunde alle diese Stücke.«

»Ein Unbekannter?— entgegnete ich: — doch nicht? — Aber nein, den kennen Sie ja!«

Wirth. »Wen meinen Sie?«

»Meinen ehemaligen Nachbar.«

Der Wirth schüttelte lächelnd den Kopf, Er wurde abgerufen. Ich stieg eiligst zu meinem Zimmer hinauf.

Wie Wirth gesagt hatte, so war es. Alle die verlornen Sachen lagen auf meinem Tische. Der Wechsel steckte in die Brieftasche. Ich konnte vor Verwunderung nichts zu mir selbst kommen.

Daß dies ein neuer Streich, von meinem unbekannten Wohlthäter seyn mußte, war mehr, als zu glaublich. Aber warum wartete er nicht mit der Rückgabe dieser wiedergefundenen Stücke bis zehn Uhr, wo er mich an das nächstliegende Thor beschieden hatte? Sollte er an meinem Kommen gezweifelt haben; oder sollte er gar genöthiget gewesen seyn, plötzlich zu verreisen. Das Letztere war mir am glaublichsten, aber auch am unangenehmsten. Ich sollte itzt meine Schuld nicht entrichten — itzt, da ich all mein Hab und Gut wieder besaß? Aber wer konnte auch so gewiß wissen, ob der Unbekannte wirklich schon fort sey? Sein Thun und lassen war ja alles sonderbar. Und ein Mann wie er, ein Muster der Redlichkeit; ein beyspielloser Menschenfreund, er könnte die erste Pflicht der Rechtschaffenheit aus der Acht lassen — er könnte sein Wort brechen? Um zehn Uhr hat er mich bestellt, und der Wirth sagte keine Silbe, daß ich mich nicht einfinden sollte.

Ich begab mich wieder hinunter in den Speisesal, bat den Wirth um einen Augenblick Gehör, und legte ihm die Frage vor:

ob der unbekannte Mann, der ihm meine Habseligkeiten überlieferte, keine weitere Nachricht an mich verlassen hätte?

Er verneinte es.

»Seine Worte waren: — setzte er hinzu: — hier sind die Sachen, die Herr Hellfried verloren hat. und ohne mir Zeit zu lassen, ihn zu examiniren: woher und, von wem er sie erhalten hätte? verließ er schnell wieder meine Stube.«

Ich sah itzt, nach der Uhr. Dreyviertel auf zehn war schon vorüber. Ich holte mir Hut und Mantel und gieng mit langsamen Schritten nach dem nahgelegenen Thore.

Der Abend war ziemlich angenehm. Der Mond stand sichelförmig am Himmel; Millionen Sterne umgaben ihn. Es schlug zehn Uhr, und ich stand schon in meinen Mantel gehüllt an Ort und Stelle. In jedem Kommenden glaubte ich meinen wohlthätigen Unbekannten zu sehen. Ich sprang vielen, entgegen, fieng an zu reden: immer fand ich mich getäuscht. Es schlug halb eilfe, dreyviertel: — mir begann die Zeit lang zu werden. Meine Vermuthung, daß der Unbekannte, plötzlich abgereiset sey, und mir deshalb meine Sachen vor der Zeit übermachet habe, schien in Erfüllung zu gehen.

»Noch bis eilf Uhr voll schlägt, willst du warten!« — sprach ich zu mir selbst; — »dann gehst du, ist er noch nicht da!«

Die Glocke summte vom nahen Kirchthurme herab: — Der Unbekannte war noch nicht da.

»Noch eine Viertelstunde, dann kehrest du wieder nach Hause zurück!« — beschloß ich nun fest bey mir selbst.

Die Viertelstunde gieng vorüber: — der Unbekannte war noch nicht da. Mitternächtliche Stille umgab mich. Kein Mensch ließ sich mehr an meinem abgelegenen Standorte erblicken. Ich trat misvergnügt den Rückmarsch an.

Kaum war ich zehn Schritte gegangen; so sahe ich meinen lieben Unbekannten auf mich zu kommen. Wer war freudiger als ich. All mein vergebliches langes Warten war vergessen. Ich stürzte auf ihn zu. Er faßte mich traulich bey der Hand.

»Ich bedaure; — hub er an: — Sie haben lange gewartet!«

»Noch länger würde ich mit Vergnügen gewartet haben; — versetzte ich ohne Schüchternheit: — hätte ich mit Gewißheit auf ihre Ankunft hoffen dürfen. Jede Beschwerlichkeit würde ich willig auf mich nehmen, um ihren Befehlen zur gehorchen, um von meinem Zweifeln befreiet zu werden.«

»Das sollen sie werden! — entgegnete der Unbekannte: — Folgen sie mir!«

Er fieng itzt an, mit flinken Schritten vor mir her zu gehen. Ich hatte Mühe, ihm gleich zu schreiten. Er sprach kein Wort mehr. Wir kamen an das Thor. Es wurde auf ein Wort von ihm geöffnet. Unser Weg gieng nunmehr immer gerade hinaus, die ganze Vorstadt entlang. Am äussersten Ende derselben stand ein einzelnes Haus! Mein Führer pochte an. Wir wurden eingelassen. Wüste und leer sah alles in diesem Hause. Außer einem alten Manne, der uns die Thüre öffnete, ließ sich kein lebendiges Wesen wittern. Der Unbekannte forderte Licht.

Es wurde ihm eine Lampe gereichet; und nun gieng er, ohne sich aufzuhalten, durch einen langen Gang bis zu einer Thüre. Ich blieb immer hinter ihm. Durch die Thüre kamen wir in einen Garten. Im Hintergrunde desselben befand sich ein gemauertes Lufthäuschen. Mein Führer öffnete die Pforte desselben. Wir traten in ein enges, modriges Gemach.

»Hier sind wir an Ort und Stelle!« — begann izt der Unbekannte, nachdem er zuvor sorgfältig die Pforte wieder verschlossen hatte: — »izt sagen sie mir; was sie zu wissen verlangen!«

Ich wollte ihm vor allem in der Kürze den letzten Vorfall berichten, und mich sodann erkundigen: ob er auch dieser Wohlthat Urhebet sey? Aber er ließ mich nicht zu Worte kommen.

»Ich weiß alles, — rief er: — fassen sie ihr Begehr in eine Frage!«

Ich sann nach. Aber ich war nicht vermögend, in der Geschwindigkeit alle meine Wünsche auf einen Punkt zu bringen. Möglich, daß auch die Gegenwart des sonderbaren Unbekannten etwas dazu beytrug; kurz: ich war nicht im Stande, die verlangte Frage vorzulegen.

»Nun! — fuhr endlich mein Führer fort: — so fragen Sie: wer der Freund sey, der so treulich für Sie sorget?«

Diese Frage war wie aus meiner Seele genommen. Sie war mir vorhin beygefallen; aber ich fürchtete dadurch den Unbekannten zu beleidigen, und wagte sie nicht. Freudig erwiederte ich nun:

»Ja — das will ich — das möcht' ich wissen!«

»Nun wohl! — sprach der Unbekannte: — sie sollen diesen Freund bald persönlich kennen lernen.«

»Also kenne ich ihn noch nicht persönlich? — entgegnete ich hitzig: — ich glaubte: Sie mein Herr, wären es!«

Der Unbekannte bewegte verneinend das Haupt.

»Ich bin blos sein Werkzeug; — war seine Antwort: — und — setzte er nach einer Pause hinzu: — auch dies erst durch die dritte Hand.«

Ich starrte ihm verwunderungsvoll an. Er schien das nicht zu bemerken sondern begann Anstalten zu einem mir fremden Unternehmen zu machen. Er fieng nehmlich an, den Boden des Lusthauses mit Sand zu bestreuen, beschrieb zwey Zirkel darin, stellte mich in den einen und sich in den andern.

»Was will das werden?« — dachte ich bey mir selbst.

Der Unbekannte stand nunmehr in feyerlicher Stellung mir gegenüber. Seine Hände lagen auf seiner Brust gefaltet; sein Blick war gen Himmel gerichtet. Schweigend und unbeweglich, gleich einer Bildsäule, stand er da. Eine schauerliche Empfindung durchdrang mein Innerstes: ich wagte nicht laut zu athmen.

Der Unbekannte blieb in seiner Stellung, blieb es itzt schon eine Viertelstunde lang. Meine Bangigkeit verlor sich in Staunen, und verwunderungsvolles Harren der Dinge, die da kommen sollten. Itzt begann sich mein Führer wieder zu bewegen. Ich vernahm endlich seine Stimme: aber was er sprach, verstand ich nicht; es schienen Worte einer fremden Sprache zu seyn. Die Lampe brannte dunkel, und erhellte kaum noch sichtbar den Ort, wo wir uns befanden. Alles war still; nur zuweilen flüsterte mein Gefährte, und scharrte mit seinem Stabe im Sande.

Itzt hörte ich in der Ferne, zwölf Uhr schlagen. Kaum war der letzte Schlag ertönet; so drehete sich der Unbekannte schnell in seinem Kreise umher, und rief laut und deutlich den Vor- und Zunamen meiner Mutter aus. Ich bebte zusammen. Plötzlich entstand ein unterirdisches Getöse.

Der Unbekannte rief die Namen, meiner Mutter zum zweytenmale aus, und lauter und schrecklicher, als das erstemal. Plötzlich fuhr ein Feuerstrahl durch das Gemach; ein dumpfer Donner brausete unter meinen Füßen.

Itzt rief der Unbekannte den Namen meiner Mutter zum drittenmale aus, und noch lauter und gräßlicher, als das zweytemal, Plötzlich stand das ganze Lusthaus in Feuer. Der Boden wankte unter meinen Füßen; ich sank hinab, Furchtbar schwebte der Geist meiner Mutter einher; — meine Sinne verließen mich.

Ein heftiges Rütteln brachte mich endlich wieder zu mir selbst. Das Rütteln dauerte fort. Es war nicht anders, als wenn ich hin und her geschwenket würde. Dabey vernahm ich in der Nähe ein gewaltiger Knarren und Sausen. Als ich mich völlig wieder gesammelt hatte, ward ich gewahr, daß ich in einem schnell fortrollenden Wagen säße. Ich fand mich enge eingepreßt: neben mir schnarchte etwas. Dicke Finsterniß umgab mich.

Mein Zustand in dieser Lage ist unbeschreiblich. Angst mit Ungewißheit verschwistert verursachte in mir ein Gefühl, das sich nicht peinlich genug schildern läßt.

Die Straße, die mein unbekannter körperlicher oder geistiger Fährmann mit mir fuhr, mußte ziemlich ungleich seyn, oder er war des Weges nicht kundig. Denn alle Augenblicke geschahen Stöße, die zu meiner eben erwähnten Angst noch die Bangigkeit, umgeworfen zu werden, gesellten, und die meine Gebeine, die ohnedies durch das Herabfallen im Lusthause gelitten zu haben schienen, auf das schmerzhafteste erschütterten. Eine halbe Stunde hatte ich ungefähr in solcher Todesangst zugebracht; als auf einmal ein neuer Stoß, mächtiger, als alle vorhergehenden, geschah, die Kutsche sich seitwärts neigte und umschlug.

»Jesus! Maria!« rief eine Stimme.

Die Luft vergieng mir; meine Besinnung verlor sich.

Gräßliche Schmerzen weckten mich wieder aus meiner Betäubung. Ich öffnete die Augen. Zwey Männer mit Pferden an der Hand, standen vor mir; ein Bauer leuchtete mit einer Laterne; ohnweit von mir lag der zerbrochene Wagen. Man wollte mich aufheben. Fürchterlichere Schmerzen durchbebten mich. Ich bat um Gotteswillen: mich liegen zu lassen. Man besah mich genauer, fragte, versuchte; und es fand sich, daß mein Bein zerschmettert war. Die Männer mit den Pferden versprachen in der Stadt Hülfe zu holen, setzten sich auf, und ritten schnell von dannen, jeder noch eines der vermuthlich ausgespannten Kutschpferde an der Hand haltend. Der Bauer blieb bey mir, und sprach mir Trost ein.

Eine halbe Stunde vergieng; endlich eine ganze. Die Nacht war kalt. Ich sank aus einer Ohnmacht in die andere. Itzt hörte ich einen Wagen kommen. Der Bauer trat mit der Laterne mitten auf den Weg. Es war eine vierspännige Kutsche. Der brave Landmann bat stille zu halten, und erzählte mein Unglück. Ein ältlicher Mann sprang heraus, ladete mich, mit Hülfe des Bauers, auf seinen Wagen, und befahl: langsam weiter zu fahren.

Gegen Morgen kamen wir in ein Dorf. Mein Retter war der Herr desselben. Er ließ mich aufs Schloß bringen, gebot: in aller Eile, einen benachbarten Chirurgus herbeyzuschaffen, und war indeß bemühet, durch tröstliche Gespräche meine wüthenden Schmerzen zu lindern.

Der Chirurgus blieb nicht lange aus. Ich wurde verbunden und ins Bette gebracht. Mein Retter wich anfangs nicht von meiner Seite, und besuchte mich in der Folge alle Tage wenigstens dreymal. Gott vergelte ihm, was er an mir gethan hat!

Nach neun Wochen war ich wieder in so weiß hergestellt, das ich nach F... zurückreisen konnte. Der großmüthige Gutsbesitzer begleitete mich selbst dahin; mein ehemaliger Wirth hatte große Freude, mich wieder zu sehen. Nach drey Tagen gieng mein Retter wieder auf sein Dorf zurück; und ich trat am folgenden, ohne weitern Verzug, die Reise nach meiner entlegenen Vaterstadt an, woselbst ich auch sonder alles fernere Ungemach glücklich anlangte.

*

Hier endigte Hellfried seine seltsame Geschichte, die ihm — wie er hinzusetzte — sowohl in Verwickelung, als Entwickelung das undurchdringlichste Räthsel war. Er schwieg, und erwartete begierig das Urtheil seines Freundes.

Herrmann dachte einige Zeit nach; dann sprach er:

»Freund: Deine Geschichte ist seltsam, daß ich — wäre mir nicht auf meinen Reisen eine ähnliche begegnet, die mit vielen andern und auch vielleicht mit der Deinigen in Verbindung stehet — daß sich dieselbe unglaublich finden würde!«

Hellfried hatte gewähnt, in seinem Freunde einen ungläubigen Richter zu finden, der ihm geradezu — wie ihm das schon öfters bey andern geschehen war die Möglichkeit seiner Erfahrung abstreiten würde. Ausserordentlich groß war daher sein Erstaunen über Herrmanns Worte. Er bat ihn dringend um einen kurzen Bericht der erwähnten Begebenheiten. Aber Herrmann versprach ihm, der Weitläuftigkeit seiner Erzählung halber, den umständlichsten Bericht davon zu geben, und dies nicht allein mündlich, sondern auch schriftlich. Doch ersuchte er ihn, sich bis morgen zu gedulden; weil er die dazu nöthigen Papiere erst aus seinem Schranken hervorsuchen müsse. Hellfried ließ sich dies gefallen.

Der folgende Morgen war heiter; aber Herrmanns Gast hatte keine Lust, auf die Jagd zu gehen. Schon beym Frühstücke erinnerte ihn derselbe an sein gestriges, ihm gethanes Verspreschen, und erkundigte sich: ob er die Papiere gefunden hätte? Herrmann bejahte es, und machte zugleich seinem Freunde, bekannt:

»Daß er wegen allzu großer Länge seiner Geschichte, nur so weit mündlich erzählen würde, als er selbst darin eine handelnde Person vorstellte. Den übrigen und längsten Theil wolle er ihm sodann schriftlich übergeben; aber nicht eher, als bey der noch lange zu verschiebenden Abreise: damit Geister und Zauberer ihm nicht den Genuß seines lieben, nur auf kurze Zeit wiedergefundenen Freundes entziehen möchten.

Hellfried war damit zufrieden. Beyde Freunde setzten sich wieder mit ihren Pfeifen zum Kamine, und Herrmann begann also:

*

Du weißt, Freund, daß man mich, nachdem ich die Akademie verlassen hatte, bey dem jungen Baron R... als Hofmeister annahm, und daß ich nach einigen Jahren diesen Herrn auf seinen Reisen begleitete. Wir giengen aus Italien, durch die Schweiz, nach Deutschland zurück; und auf dieser letzten Tour begegnete uns das merkwürdigste Abentheuer von unserer ganzen Reise.

Wir waren schon nahe am Ausgange des Schwarzwaldes; als bey einbrechender finsterer Nacht der Postillion von der rechten Straße abkam und sich endlich so verirrte, daß er nicht mehr wußte, wo und wie er fahren sollte. Unser Schrecken war nicht gering als er uns hiervon Nachricht gab. Denn die vielen gräßlichen Mordgeschichten, womit uns der Schwager durch den ganzen Wald hindurch unterhalten hatte, und die vielen angezeigten Stellen, wo man dergleichen verübte, mußten nothwendig in uns den eifrigsten Wunsch erregen, dieses fürchterliche Gehölz bald hinter unserm Rücken zu haben. Wir ermahnten daher den Postillion, auf gutes Glück immer weiter fortzufahren. Dies geschah: und ohngefähr in einer halben Stunde kamen wir auf einmal aus einem dicht verwachsenen Gebüsche heraus.

»Wir sind im Freyen! — rief frohlockend der Schwager: und wenn ich mich nicht sehr irre, nahe bey einem Dorfe!«

Er hatte Recht. Bald hörten wir ein nicht fernes Hundegebell, und kurz darauf sahen wir in der Nähe Licht.

Wir kamen in ein ziemlich großes Dorf, aber in ein sehr schlechtes Wirthshaus. Der Wirth konnte sich nicht satt wundern, daß einmal eine Post bey ihm vorgefahren wäre. Sein ganzer Vorrath an Lebensmitteln bestand aus einigen geräucherten Würsten und einem harten Brote. Ein Trunk Wein oder Bier war, wie er sagte, nie in dieser Gegend zu haben, und seinen Brandwein mochte nicht einmal unser Schwager zu sich nehmen.

Wir fragten: ob nicht der Herr des Dorfes anwesend wäre? bekamen aber zur Antwort: daß er sich nie hier aufhielte; weil es schon seit undenklicher Zeit auf dem Schlosse niemand schaffen könnte! Ich wollte die Ursache wissen.

»Itzt — erwiederte der Wirth — kann und darf ich ihnen keinen Bericht davon abstatten! Morgen sollen sie alles wissen; wofern sie nicht schon diese Nacht etwas vermerken werden!«

Der Baron und ich drangen beyde an ihn, unsere Neugierde zu befriedigen. Aber er schüttelte bedächtig den Kopf, und gieng zur Thüre hinaus. Von Hunger gezwungen, machten wir uns nun über das ärmliche Abendbrot her, und legten uns sodann auf die mitten in der Stube zubereiteten Streue nieder.

Ich warf mich unruhig hin und her: Ader der Baron schlief bald ein. Itzt verkündigte der Nachtwächter, mit heiserer Stimme, die Mitternacht; und auf einmal hörte ich nicht allzufern den Hufschlag von Pferden, das Blasen von Hörnern. Der Lärm kam näher. Ein ganzer Schwarm von Rossen deuchte mir im schnellesten Laufe herbeyzustürmen, und, eine Menge Hörner tönten, als wenn eine ganze fürstliche, Jagd ihren Durchmarsch hielte. Im Nu jagte das Geschwader vor den Fenstern des Wirthshauses vorbey. Der Baron fuhr aus dem Schlafe empor, und rief erschrocken:

»Was ist das?« —

»Ich weiß nicht!« antwortete ich kurzweg, horchte auf; und das Getös war noch nicht weit von unserm Gasthofe entfernt, als mit einem male alles wieder stille wurde. Der Baron fieng aufs neue an zu schnarchen; ich aber dachte über das Gehörte nach.

Unmöglich schien es mir, das der Vogel, den man den Nachtjäger nennt, einen so schrecklichen Lärm verursachen könnte; noch unmöglicher schien es mir, daß jemand zur Stunde der Mitternacht auf die Jagd gehen sollte: und schon war ich geneigt, die ganze Sache für einen Traum zu halten; als mir auf einmal wieder die Worte des Wirthes und das Erwachen des Barons ins Gedächtniß kamen. Und, ich kann es nicht läugnen, mich überfiel ein innerliches Grauen.

Unter solchen Empfindungen möchte ich eben etwas eingeschlummert seyn; als das Schreyen des Nachtwachters, der ein Uhr ankündigte, mich aufs neue wach machte. Kaum hatte dieser ausgerufen; so vernahm ich schon wieder, ganz in der Nähe, das vorige Getös. Ich rafte mich auf, und wollte nach dem Fenster springen. Aber ehe ich noch auf den Füßen stand, brausete auch schon der Schwarm, gleich dem tobensten Sturmwinde, bey den Fenstern vorbey, und verlor sich in kurzer Zeit nach und nach in der Ferne. Nun war mein Schlaf für die ganze Nacht dahin.

Der Baron hörte das zweyte Mal nichts, und schnarchte ruhig an meiner Seite fort, indessen ich mit der heißesten Sehnsucht den Morgen herbeywünschte; um bald meine peinliche Neugierde befriediget zu sehen. Ich konnte die Zeit nicht erwarten, wo unser Wirth, seiner Verheißung gemäß, die Erzählung des abentheurlichen Schlosses beginnen wollte. Sobald der Wächter zwey Uhr ansagte, eilte ich ans Fenster, und ließ mich mit diesem ins Gespräch ein.

»Wächter!« — rief ich: — »was hatte der Lärm um zwölf Uhr und ein Uhr zu bedeuten?«

»Hum!« — antwortete er: — »ihr seyd gewiß fremd in dieser Gegend; denn der Spektakel ist keinem Kinde im Dorfe mehr was Neues. Das dauert oft Wochenlang alle Nächte hinter einander. Darnach ist es wieder auf lange Zeit stille.«

»Aber« — fragte ich weiter — »wer ist der Mann, der bey Nachte jagt?«

»Das kann ich euch izt nicht sagen!« — erwiederte der Wächter: »fragt euren Wirth darum; der wird euch alles umständlich erzählen! Ich bin hier in meinem Berufe, und habe Gott zum Schutze. Aber was ich seh' und höre, davon darf ich keine Silbe verrathen!«

Und mit diesen Worten zog er mit seinem Spieße von dannen.

Ich hüllete mich nun in meinen Mantel, sezte mich auf einen beym Fenster stehenden Schemel, und erwartete so mit Ungeduld den zögernden Morgen. Endlich röthete sich der Himmel; das ganze Dorf erschallte vom Hahngeschrey, und der Nachtwächter meldete seinen Abzug. Der Baron erwachte.

»Schon aufgestanden?« — sprach er, und rieb sich die Augen: — »sagen sie mir! was war das diese Nacht für ein Lärm?«

»Ich brenne selbst vor Begierde« — war meine Antwort: — »mir von unserm Wirthe über diesen Vorfall Auskunft geben zu lassen. Auch ist der Schwarm um ein Uhr, mit dem nehmlichen Getöse, noch einmal vorbeygejagt.«

Indem wir so redeten, hörte ich Pferde kommen. Ich sah zum Fenster hinaus, und erblickte einen Officier mit seinem Bedienten. Sie stiegen vor unserm Wirthshause ab, pochten an, und traten zu uns in die Stube herein. Der Officier war ein junger, lebhafter Mann, trug dänische Uniform, und war auf Werbung. Er hatte sich so, wie wir, verirrt; unsre Bekanntschaft war daher bald gemacht. Der Baron erzählte ihm das nächtliche Abentheuer. Anfänglich hielt er alles für Spaß. Auf meine ernstliche Betheurung aber, bezeigte er großes Verlangen, mit den nächtlichen Jägern bekannt zu werden.

»Diese Ehre können sie leicht haben!« — versezte der Baron: — »bleiben sie auf die Nacht hier! wir leisten ihnen Gesellschaft.«

»Bravo!« — rief der Lieutenant: — »ich halte sie beym Worte. Vielleicht sind die Herren so höflich, uns zu ihrer Jagd einzuladen, und wir erhaschen noch ein gutes Stück Wildpret!«

Itzt trat der Wirth ein.

»Nun!« — fieng er an, nachdem er uns seinen guten Morgen geboten hatte: — »nun, haben die Herren diese Nacht gehört?«

»Mehr, als zuviel!« — entgegnete ich: — »was sind das aber für Jäger, die um Mitternacht auf die Jagd gehen?«

»Ja« — antwortete er; — »das ist so eine Sache, wovon man nicht gern redet! Ich wollte ihnen gestern nichts davon sagen; damit sie sich nicht etwa, wie schon mancher Anderer, durch Vorwitz ein Unglück zuziehen sollten! Da ich ihnen aber einmal auf heute meine Erzählung versprochen habe; so will ich auch Wort halten!«

»Hier weiter unten im Dorfe,« — fuhr er, nach einer Pause, im Tone des Zutrauens fort: — »da ist ein großes Haus, worin ehemals immer der Herr dieses Ortes wohnte. Schon vor gar langer Zeit war dieser nun einmal ein grundböser, gottloser Mann, der die Bauern aufs äußerste preßte und marterte. Niemand konnt' es um ihn schaffen. Seine eigenen Kinder wurden von ihm mit Füßen getreten, in finstere Löcher geworfen, und bekamen viele Tage lang nichts zu essen. Die Unterthanen nannte er nicht anders, als Hunde, und behandelte sie auch nicht anders, als Hunde; kurz: er war die Grausamkeit selber.«

»Was ihm über alles gieng, das war die Jagd. Er hegte, alle Arten von Wild, das den armen Bauern noch vollends ihr bischen Haab und Gut zu Schanden machte. Und unterstand sich einer eine solche Bestie nur von seinem Acker zu verscheuchen; so wurde er auf viele Wochen ins Hundeloch gesperrt. Wenn der böse Mann jagte; da mußte das ganze Dorf herbey. Die Unterthanen zwang er, die Stellen der Hunde zu vertreten. Und waren sie nicht geschwind genug, so hezte er sie anstatt des Wildes so lange herum, bis sie niederfielen, und unter seinen Peitschenhieben ihren Geist aufgaben.«

»Als er nun auch einmal bis in die sinkende Nacht so turnirt hatte; da stürzte er vom Pferde, und brach den Hals. Man begrub ihn in seinen Garten. Aber nun kam das Strafgericht Gottes erst recht nach. Denn er kann bis auf den heutigen Tag noch keine Ruhe in der Erde haben. Zu gewissen Zeiten im Jahre muß er alle Nächte, mit dem Schlage zwölf, hier im Dorfe erscheinen, und mit seinem höllischen Gefolge in das Schloß einziehn; sobald es aber ein Uhr schlägt, wieder in den Höllenpfuhl zurückkehren.«

»Kein Mensch ist mehr im Stande, das Schloß zu bewohnen. Viele, die es mit Gewalt versuchen wollten, sollen schon ihr Leben eingebüßt haben. Und Mancher, der sich ans Fenster wagte, wenn das wüthende Heer vorbey stürmte, hat zum Lohne für seine Neugierde ein geschwollenes Gesicht davon getragen.«

»Wir hier im Dorfe sind den Spuk gewohnt, und lassen die bösen Geister ungestört ihr Wesen treiben. Aber viele Fremden sind schon vor Schrecken über den Lärm krank geworden.« —

Hier schwieg der Wirth, und weidete sich an unsern erstaunten Mienen, Seine Freude wurde aber bald zu nichte gemacht. Denn der Lieutenant brach in ein schallendes Gelächter aus, wozu er geflissentlich bis zum Stillschweigen des Wirthes Kräfte gesammlet zu haben schien.

»Lachen sie immer! — sprach dieser anscheinend gleichgültig; — Lachen sie immer! Wenn sie Herz haben; so bleiben sie nur auf die Nacht hier! Da wollen wir sehn, ob sie auch lachen werden!«

»Das will ich!« — erwiederte jener pochend: — »Nicht nur bey ihm hier will ich bleiben; sondern in dem fürchterlichen Schlosse selbst will ich die kommende Nacht zubringen!« —

»Nicht wahr, meine Herren!« — rief er sich zu uns wendend! — »nicht wahr, sie leisten mir Gesellschaft?«

Mein Baron war ein Mann von Ehre. In den Augen des Officiers für feigherzig zu gelten, dünkte ihm ein unauslöschlicher Schimpf zu seyn. Sein Wort war daher bald gegeben. Ich für meine Person machte zwar Einwendungen, und stellte dem Lieutenant vor: wieviel wir bey diesem Unternehmen wagten, da wir doch nicht wissen könnten, wer die Geister wären! Er schlug aber alle meine Zweifel darnieder.

»Ich bin Soldat!« — war seine Gegenrede: — »und vor dergleichen haben von jeher alle Geister, mit und ohne Fleisch, gewaltigen Respekt gehabt.«

Kurz: ich sah mich genöthiget, wenn ich den Baron nicht verlassen wollte, das Abentheuer mit bestehen zu helfen.

Der Wirth, der uns bisher wechselsweise erstaunt angesehen hatte, hob nun, da auch ich meine Einwilligung gegeben hatte, beyde Hände empor, und beschwor uns bey allem, was heilig ist, unser Vorhaben aufzugeben.

»Ich stehe mit meinem Kopfe dafür,« — sezte er hinzu: — »daß sie alle drey morgen nicht mehr am Leben seyen!«

Doch der Spott des Lieutenants machte ihn bald so fassungslos, daß er uns entrüstet verließ.

»Meine Herren!« — begann izt jener: — »wie wäre es, wenn wir den fürchterlichen Ort, der uns kommende Nacht zur Herberge dienen soll, bey Tage in Augenschein nähmen?«

Der Vorschlag hatte unsern beyderseitigen Beyfall, und wir begaben uns sogleich alle drey auf den Weg.

Ein gothisches, halb verfallenes Gebäude kündigte sich uns bald als die Geister-Residenz an. Die Pforte war offen; und wir traten hinein. Dumpf schalleten unsere Tritte durch das hohe, bemooste Gewölbe. Ein langer, schmaler Gang führte uns auf einen weiten, öden, gepflasterten Hof. Wir erblickten eine steinerne Wendeltreppe und stiegen schweigend hinan. Wieder ein langer schmaler Gang, der von oben herab durch einige kleine, vergitterte: Fenster kärgliches Licht erhielt, leitete uns an eine schwarze Thüre. Ein modriger Geruch schlug uns entgegen, als sie der Lieutenant öfnete. Das Zimmer, worein wir kamen, hatte ganz das Ansehen eines Gefängnisses. Die veralteten Tapeten, die verblindeten, mit Spinngeweben behangenen Fensterscheiben verursachten eine schauerliche Dunkelheit. Verschiedenes Stückwerk von zerbrochenem Hausgeräthe lag zerstreut auf dem Boden umher. An einem Seile, das an die Decke befestiget war, hieng noch die Hälfte von einer ehemaligen Lampe.

Schon wollten wir wieder den Weg, den wir gekommen waren, bis auf den Hof zurückgehen; als ich in dem finstersten Winkel des Zimmers eine kleine Thüre entdeckte. Auch diese war unverschlossen, und wir traten in ein anderes Gemach. Aber auch hier herrschte halbe Nacht; auch hier fanden wir nichts, als Trümmer und Scherben. Eine wieder geöfnete Thür führte uns endlich in einen geräumigen Saal, worin — weil die mehresten Fenster theils zerschlagen, theils offen waren — der helle Tag seine Wohnung hatte. Die freye Luft, die herrlichen Aussichten, die sich hier von allen Seiten unsern Augen darboten, verscheuchten auf einmal den feyerlichen Ernst von unsern Gesichtern.

»Hier rief — der Lieutenant: — hier wollen wir den Geistern das Rendez-vous geben! Lassen sie uns versuchen, meine Herren, ob wir nicht aus den umherliegenden zertrümmerten Meublen einen Tisch und ein Paar Gesäße zu Stande bringen können!«

Dies gieng glücklich von statten. Wir schleppten mit vereinten Kräften einen großen, runden Tisch in die Mitte des Saales, brachten ihn, vermöge der Füße eines anderen und durch Hülfe einiger verrosteten Nägel, zum Aufrechtstehn; holten sodann aus den anstoßenden Zimmern Bretter herbey, legten diese über die haltbarsten Gestelle von Stühlen und Schemeln um den Tisch herum: und so war in kurzer Zeit für unsere Bequemlichkeit auf die Nacht gesorgt.

Izt durchwanderten wir noch einige Gemächer, die sich auf der andern Seite des Saales befanden. Da wir aber nirgends etwas merkwürdigeres, als Spuren der Verwüstung, entdeckten so nahmen wir denselben Weg wieder zurück, den wir gekommen waren.

Wir stiegen zum Hofe hinab; und unsere Neugierde trieb uns, auch hier Beobachtungen anzustellen. Wir traten durch ein verfallenes Seitengebäude in einen ehemaligen, dem Anscheine nach, ziemlich angenehmen Garten. Unsere Hirschfänger mußten uns durch das hoch empor gewachsene Unkraut den Weg nach einer Buchen-Allee bahnen. Auch in dieser mußten sie uns forthelfen. Ueber eine halbe Stunde arbeiteten wir uns durch verschlungene Aeste, durch Diesteln und Nesselsträuche hindurch; bis mit endlich ganz ermüdet auf einen freyen, ovalförmigen Platz gelangten, aus dessen Mitte sich eine steinerne Säule erhob, die eine schwarz marmorne Urne auf ihrem Haupte trug. Wir naheten uns vermittelst unserer Seitengewehre derselben, und lasen folgende Inschrift auf ihr:


HIC JACET
GODOFREDUS HAUSLINGERUS
PECCATOR.


Weiter unten war ein Kreuz eingegraben, und unter diesem stand, wenn ich mich nicht irre, die Jahrzahl 1603.

Wir sahen einander schweigend an.

Schon allzumüde hatten wir keine Lust, uns noch tiefer in den Garten hineinzubauen: wir giengen also die gemachte Bahn wieder zurück.

»Meine Herren!« — fieng unterwegens der Lieutenant an: — »was denken sie von der Inschrift dieses Grabmahles?«

»Ich halte sie« — erwiederte der Baron für die stärkste Bestätigung der Erzählung unseres Wirthes.«

Beyde lachten, und wir kamen wieder auf den Hof. — Dem Eingange zur Wendeltreppe gegenüber, hatten wir schon vorhin eine gewölbte Oefnung in der Mauer bemerkt. Izt traten wir näher, und befanden uns an der Treppe eines Kellers; wozu uns aber schon auf der dritten Stufe eine eiserne Thüre, mit einem großen Vorlegeschlosse verwahret, den Zutritt versagte. Einige verstörte Gemächer, die vorzeiten mochten Küchen vorgestellet haben, und einige 'verwüstete Ställe abgerechnet, fanden wir nun nichts mehr zu erforschen: wir begaben uns also wieder nach unserm Gasthofe zurück.

Der Wirth, der nicht, wußte, was wir vorgenommen hatten, konnte vor Verwunderung und Entsetzen nicht zu sich selbst kommen, da wir ihm erzählten, wo wir gewesen waren, und that endlich sein Aeußerstes, um uns von dem vermessenen Vorhaben abzuhalten. Da er aber von neuem sah, daß alle seine Mühe vergeblich sey; so schwieg er, und sprach den ganzen Tag über kein Wort mehr davon. Dies thaten auch wir. Denn der Lieutenant wußte uns den Rest des Morgens und den folgenden Nachmittag hindurch so angenehm zu unterhalten, daß wir keine Zeit gewinnen konnten, uns mit schwankenden Vermuthungen zu plagen.

Unsere Mahlzeit war für izt viel besser bestellet. Der Lieutenant hatte einen reichlichen Vorrath von kaltem Braten und Schinken bey sich. Auch thaten einige Bouteillen Wein, die er mit sich führte, trefliche Wirkung, und feuerten seinen und des Barons Muth dergestalt an, daß sie sich bey anbrechendem Abende auf unser Abentheuer, wie die Kinder auf das Weihnachts-Geschenke, freueten. Alle Augenblicke sahen sie nach ihren Uhren, und da endlich die Klocke neun geschlagen hatte; so hielten sie es für die höchste Zeit, nach dem Schlosse zu gehen. Mir war es gleichviel, ob ich dort oder im Wirthshause säße; und wir machten uns reisefertig.

Der Wirth, den wir riefen, um unsere Zeche zu berichtigen, that noch einmal, wie er es nannte, seine Pflicht, und ermahnte uns in den rührendsten Ausdrucken: von dem Wege zum Grabe abzustehen, und unser theures Leben doch nicht so freventlich in die Schanze zu schlagen. Da wir aber, ohne weiter auf ihn zu hören, die Stube verließen; so bedauerte er uns in voraus als Opfer des schmähligsten Todes, gab uns eine Lampe, und schloß seufzend die Hausthüre hinter uns zu.

Der Diener des Lieutenants voran, die Lampe in der Hand und ein Felleisen mit Mundvorrathe unter dem Arme, wir alle drey mit Hirschfängern und Pistolen bewafnet, wanderten nun mit starken Schritten nach dem Schlosse. Es war Herbst, also schon ziemlich finster. Wir kamen an. Grausend erhellte der Lampe schwacher Schimmer den hoch gewölbten Gang, der nach dem Hofe leitete. Auf diesem schossen wir alle unsere Pistolen ab, um sie desto schärfer laden zu können, und stiegen die enge Treppe hinan. Die Thüren der Zimmer, die auf den Saal führten, und wovon das erstere in den Hof sah, ließen wir beyde offen stehen, sezten uns an den errichteten Tisch, und fiengen an, unsere Abendmahlzeit zu verzehren.

Eine Bouteille Wein, die der Lieutenant zur Erhaltung unseres Muthes aufgespart hatte, verfehlte izt ihre Wirkung. Denn wir begannen nach geendigtem Mahle, insgesammt schläfrig zu werden. Den Schlaf zu vermeiden standen wir auf und giengen in dem Saale herum. Bald wurde uns aber auch dies auf dem holprichten Fußboden zu beschwerlich; und wir saßen wieder auf den wankenden Bänken. Glücklicherweise erinnerte ich mich an ein Buch, das sich in meiner Tasche befand. Es waren Gellerts Fabeln. Ich langte sie heraus, und fieng an laut zu lesen, gab sie sodann dem Baron, dieser alsdann dem Lieutenant: und auf solche Art erhielten wir uns munter.

Izt war es eilf Uhr. Tiefe Stille herrschte um uns her, die nur dann und wann durch das Prasseln des im Saale und in den Nebenzimmern umherliegenden Gehölzes unterbrochen wurde. Der Lieutenant zog seine Uhr auf, und legte sie vor sich auf den Tisch.

»Nur noch eine Stunde;« — sprach er; — »und wir sind in jener Welt!«

Sein Diener war eingeschlafen. Er weckte ihn. Der Baron fieng wieder von neuem an vorzulesen. Wir lasen fort, bis zum zweytenmale die Reihe an den Lieutenant kam. Er sah nach der Uhr.

»Schon drey Viertel gewesen!« — rief er: — »da müssen wir acht haben!«

Er verließ seinen Sitz, und trat ans Fenster. Ich folgte ihm. Das schwärzeste Dunkel verfinsterte die Gegend: kein Sternchen ließ sich blicken. Rings umher schwebte feyerliche Stille. Nur, daß im Saale Johann schnarchte, und dann und wann noch das Getrümmer prasselte. Schauerlich flimmerte das bleiche Licht der Lampe durch das weite, öde Gemach. Der Baron, den Kopf auf seinen Arm gestüzt, schien sich Gewalt anzuthun, durch Lesen alles, was um ihn war, zu vergessen. Der Lieutenant sprach kein Wort mehr.

Izt hörten wir in entlegener Ferne dumpf eine Klocke summen. Ich begab mich leise an meinen vorigen Ort. Auch der Lieutenant that es, nahm die eine von den vor sich liegenden Pistolen in die Hand, und puzte das Schloß ab. Noch war alles still. Wir bemerkten einander verstohlen, und einer schien vor dem andern sein innerliches Grauen verbergen zu wollen. Der Wächter rufte. Das Krähen der Hähne verkündigte die Mitternacht. Noch blieb alles still.

Der Baron machte das Buch zu. Der Lieutenant, verzog den Mund zum Lachen, und war eben im Begriff zu fragen: wo die Geister blieben? Auf einmal ertönte das Stampfen von Pferden, das Blasen von Hörnern. Unbeweglich saßen wir alle. Im Augenblick schallte das Getös in der Nähe. Izt sprang der Lieutenant, die Pistole in der Hand, nach dem Fenster. Doch ehe er noch dahin gelangte, war auch schon der Lärm vor dem Schlosse; und weg war das Stampfen der Pferde, weg war das Blasen der Hörner. Alles war wieder still. Aber in wenig Sekunden erhob sich ein fürchterliches Geräusch im Hofe. Ein Gepolter und Geklirr, wie von vielen gespornten Stiefeln, deuchte mir die Wendeltreppe herauf zu kommen. Kalter Schauer durchbebte meine Glieder. Doch das Getös wurde schwächer, und immer schwächer und schwächer, bis es sich endlich ganz und gar verlor. Alles war izt wieder still.

Lange staunten wir in stummer Betäubung. Der Lieutenant sammlete sich zuerst.

»Wollen wir hinunter?« sprach er. Ich schüttelte schweigend den Kopf. Auch der Baron schwieg.

»So geh ich allein!« fuhr jener fort, er griff auch die andere Pistole, zog seinen Hirschfänger, und gieng. Nach einigen Minuten kam er zurück.

»Unbegreiflich!« — rief er: — »weder von Menschen, noch von Pferden ist die mindeste Spur zu finden!«

Er sezte sich wieder zu uns, und sah nachdenkend vor sich hin. Sein Diener schnarchte noch immer fort. Der Baron fieng wieder an für sich zu lesen. Ich wurde aufs neue schläfrig, und endlich fielen mir die Augen zu.

Ein Schuß weckte mich. Ich fuhr mit Johann zugleich empor, und hörte, das Stampfen der Pferde, das Blasen der Hörner. Es verhallte bald in der Ferne; und der Lieutenant trat mit dem Baron in den Saal. Beyde waren, so wie ich, eingeschlummert, und von dem nehmlichen Geräusche im Hofe, das wir um zwölf Uhr vernommen hatten, erweckt worden. Sie waren mit ihren Pistolen nach dem ersten Zimmer geeilet. Ehe sie aber noch dahin kamen, hörten sie schon wieder das Jagdgetös vor dem Schlosse. Der Lieutenant hatte in der Geschwindigkeit ein Fenster des Gemaches, das an den Saal stieß und so wie dieser die Aussicht in das Dorf gewährte eingeschlagen, und dem fortrennenden Schwarme eine Pistole nachgeschossen; vermochte aber durch die dichte Finsterniß nichts, als einige weiße Pferde zu erkennen.

»Die Geister fürchten sich vor uns,« — beschloß er diese Erzählung.

»Und vorizt« — sezte er hinzu — »wäre mein Rath: wir giengen wieder nach dem Gasthofe zurück, und verschliefen lieber die Nacht auf der Streu, als hier auf diesen unsicheren Gesäßen!«

Der Vorschlag wurde angenommen; und wie verließen alle viere die Herberge der nächtlichen Jäger.

Lange mußten wir pochen, bis die Thüre des Wirthshauses geöfnet wurde. Der Wirth that dies endlich selbst.

»Wie?« — stotterte er, außer sich vor Erstaunen: — »wie? sie leben noch?« —

Der Lieutenant band ihm einige derbe Lügen auf, und versprach ausführlichern Bericht des schrecklichen Ebentheuers auf den kommenden Tag abzustatten. Unterdessen war die Streu bereitet worden, worauf wir bis an den hellen Morgen der süßesten Ruhe genossen.

»Meine Herren!« — sprach der Lieutenant, als wir kaum aufgestanden waren: — »Ich gehe künftige Nacht wieder auf das Geisterschloß, und will unten auf dem Hofe übernachten. Leisten sie mir Gesellschaft?« —

Der Baron blickte mich unentschlossen an, und schien von mir die Entschuldigung zu erwarten. Ich erfüllte seinen Wunsch.

»Unmöglich!« — antwortete ich: — »können wir uns hier noch länger verweilen! Ueberdies ist auch ein solches Unternehmen zu gewagt, da unser nur vier Mann sind.«

»O!« — rufte der Lieutenant: — »wenn sie sich blos daran stoßen, so ist wohl Rath zu schaffen! wir nehmen noch ein Dutzend handfeste Kerls aus dem Dorfe dazu. Für einige Groschen und Brandwein wollen wir diese schon zusammentreiben. Es wird ein Spaß werden, der nicht seines Gleichen hat! Und morgen in aller Frühe reise ich mit ihnen von dannen.« —

Der Baron war gewonnen, und mir selbst gefiel der Vorschlag nicht übel. Unser Schwager hatte nichts dagegen, da wir die Verspätung gut zu machen, versprachen, und kurz, wir blieben.

Nun wurde sogleich im ganzen Dorfe durch den Postillion ausgeblasen:

»Daß, wer sich entschließen könnte, zukünftige Nacht auf dem Schlosse mit uns zu machen, sechs Groschen und Brandwein, so viel er wolle, bekommen sollte!«

Ehe eine halbe Stunde verlief, war schon das ganze Dorf vor unserer Thüre versammlet, und wir hatten volle Freyheit, unsere Mannschaft nach der Regel auszuheben. Funfzehn der allerstärksten wurden endlich ausgewählet, und mit beliebigen Waffen versehen, auf den Abend um zehn Uhr vor das Wirthshaus beschieden.

Unser Wirth, der allen diesen Anstalten, wie versteinert, mit beygewohnet hatte, hielt uns anizt für leibhaftige Hexenmeister, und bekam, von den wunderbaren Erzählungen des Lieutenants angefeuert, beynahe selber Lust, dem wilden Geisterheere zu trotzen, und mit uns auf das Schloß zu gehen. Da aber der Abend herannahte, verlor sich allmählig sein Muth, und er wünschte uns blos Glück zu unserm Vorshaben, das, wie der Lieutenant ihm weiß machte, in nichts Geringerem bestand, als auf immer den wüthenden Jäger aus dem Schlosse zu verbannen.

Punkt zehn Uhr versammlete sich unsere Mannschaft, mit Sensen und Stangen, Heugabeln und Dreschflegeln bewafnet, vor dem Wirthshause: und mit Tischen und Schemeln, Lampen und Brandwein versehen, zogen wir triumphirend in das Schloß ein.

Wir nahmen auf dem Hofe, ohnweit des Einganges, Plaz. Die Bauern lagerten sich mit ihren Brandweinsflaschen, rings um uns her, in das hohe Gras, steckten ihre Pfeifen an, und freueten sich herzlich auf die bevorstehende Geister-Massakrade.

Ein neuer Vortheil, der uns aus dieser löblichen Gesellschaft erwuchs, bestand darin, daß mir diese Nacht nicht erst nöthig hatten, durch Lesen unsere Wachsamkeit zu befördern. Denn nach gerade wurden die Bauern immer munterer. Sie begannen die anmuthigsten Gesänge; und der edle Kornsaft beseelte endlich ihren Muth dergestalt, daß sie die gesammte Hölle, nebst deren Urvater Beelzebub, verspotteten und herausforderten.

Eilf Uhr war vorbey, und unsere Mannschaft fieng an stiller zu werden. Hier fiel ein Auge zu; dort schnarchte gar schon einer. Wir mußten also, so lieb uns unsere Ohren auch waren, einige noch muntere junge Kerle ermahnen, ihre Gesänge wieder von neuem anzufangen. Dies geschah mit zwiefach starkem Gebrülle. Die schon Entschlummerten ermannten sich, stimmten frisch mit ein; und so erhielten wir die brave Schaar wach.

Izt winkte der Lieutenant mit der Hand. Alles schwieg. Es war zwölf Uhr. Schon hörten wir das Stampfen der Pferde, das Blasen der Hörner. Die Bauern horchten mit offenem Munde auf, und sahen einander an, als ob sich einer bey dem andern Muth erholen wollte. Der Lärm kam näher. Nun war er vor dem Schlosse. Auf einmal wurde alles still. Aber im Nu begann wieder das nehmliche Getös; im Nu tobte der Schwarm wieder von dannen.

Wie verabredet, sprangen der Lieutenant, der Baron, und ich, den Gang hindurch, zur Pforte hinaus. Aber das fliegende Geschwader war schon weit vom Schlosse entfernt, und wir sahen nichts, als den Schimmer von einigen weißen Rossen. Bald vernahmen auch unsere Ohren das Stampfen der Pferde, das Blasen der Hörner nicht mehr. Mitternächtliche Stille herrschte schon wieder um uns her; und wir giengen nach dem Hofe zurück.

Unsre tapfere Mannschaft saß und lag noch, wie in Stein verwandelt, auf ihren vorigen Plätzen. Keiner von ihnen wußte, als wir hineintraten, ob wir die Geister, oder ihre vorherigen Gesellschafter wären. Erst nach und nach faßten sie sich wieder; erst nach und nach wurden sie fähig, sich mit uns zum Abzuge bereit zu machen.

Der festen Meynung, daß diese Geister Wesen wären, die uns fürchteten, verließen wir nun das wüste Schloß; besoldeten im Wirthshause die herzhaften Wächter, und begaben uns sodann zur Ruhe.

Ich erwachte vor Aufgange der Sonne, und weckte den Baron und den Lieutenant. Der leztere schien wenig Lust zu haben, sein uns gegebenes Wort zu halten. Er wünschte, noch eine Nacht sein Heil zu versuchen; und zwar im Schlosse versteckt, oder ausserhalb derselben. Da wir aber anfiengen, uns reisefertig zu machen; so verschob er sein Vorhaben auf ein andermal, und folgete unserm Beyspiele.

Wir reiseten gegen sechs Uhr ab. Es war ein trüher regnichter Morgen. Der Wind tobete heftig, und trieb die schwarzen Wolken immer mehr und mehr zusammen. Bald hatten wir wieder den furchtbaren Schwarzwald erreichet; als ich bemerkte, daß der Lieutenant, der mit seinem Diener vor unserer Kutsche herritt, seitwärts auf den vorbeyfließenden Bach zulenkte. Ich schob den Vorhang des Wagens zurück, und erblickte eine sonderbare Erscheinung.

Des wüthenden Sturmes, des beginnenden Regens ungeachtet, saß ein ehrwürdiger Greis an dem Ufer des Baches, und las in einem großen Buche. In tiefes Nachdenken versunken, trotzte er mit unbedecktem Haupte dem überhandnehmenden Ungewitter, und überließ sorgenlos sein graues Haar, dem reissenden Sturme zum Spiele. Sein braunes Gewand, das die Form eines Leibrockes hatte, schien den Wanderer aus einem weit entlegenen Lande zu verrathen. Neben ihm lag ein langer Stab und ein schwarzes Felleisen.

Diesen seltsamen Mann zu sehen, und aus der Kutsche heraus nach ihm hinzuspringen, war bey mir das Werk eines Augenblickes. Ehe ich aber noch bis zu ihm gelangen konnte, rufte schon der Lieutenant:

»Alter! was liest du da?«

Der Greis schien diese Frage nicht zu bemerken, und las immer fort.

»Was liest du da?« rief jener nochmals, stieg vom Pferde, und sah ihm über die Schultern in das Buch.

Der Greis erwiederte kein Wort, und las ruhig weiter.

Auch ich stand nunmehr dicht hinter ihm, und erblickte eine Menge großer Charaktere auf den aufgeschlagenen Seiten des Buches. Die Chiffern waren von verschiedener Farbe, die Blätter des Buches selbst von gelbem Pergamente.

Der Baron folgte mit auf dem Fuße nach; und es begann endlich zwischen uns und dem seltsamen Pilger ein wunderbares Gespräch.

Der Lieutenant stieß den Greis unsanft an, und rief noch einmal mit starker Stimme:

»Was liest du, Alter?«

Der Greis hob sein Haupt langsam empor, wendete sich verdrießlich, sah uns lange wechselsweise start an, und sprach dann mit feyerlichem Ernste:

»Weisheit!« —

Ich. Was ist das für eine Sprache, worin dies Buch geschrieben ist?

Der Greis. Wieder fortlesend; — die Sprache der Weisheit.

Ich. Und was nennst du Weisheit?

Der Greis. Alles, wovon du keine Einsicht hast.

Der Lieutenant. Wenn du alles das verstehst, wovon andere keine Einsicht haben; so hätte ich wohl Lust, mich von dir über eine Sache belehren zu lassen!

Der Greis. (Ihn wieder starr anblickend) Diese wäre?

Der Lieutenant. Hier auf dem nächsten Dorfe ist ein Schloß, worein alle Nächte ein ganzer Schwarm von Geistern seinen Einzug hält. Ich habe mit diesen Herren zwey Nächte darin gewacht —

Der Greis. (Ihm ins Wort fallend) Und bist nicht klüger, als vorher, geworden; denn du bist nicht der Mann, der die Sitte der Geister versteht.

Der Lieutenant. Der bist du vermuthlich?

Der Greis. Ich verstehe die Sprache der Weisheit. —

Der Lieutenant trat zurück, biß sich über die Lippen, und schüttelte lächelnd den Kopf. Der Baron, nahete sich dem Greise, der in sein voriges Nachdenken zurücksank und knüpfte den Faden des Gespräches wieder an.

Der Baron. Nun gut! wenn so große Weisheit in deinem Buche enthalten ist; so sage uns: was das für Geister sind, die jenes Schloß beunruhigen; und aus was für Ursachen sie dies thun?

Der Greis. (Nach einer langen Pause) Das müssen dir die Geister selber sagen.

Der Baron. Was steht denn also in deinem Buche?

Der Greis. Die Art und Weise, alle Geister zum Bekenntnisse zu zwingen.

Der Baron. Und warum hast du jene nicht schon längst dazu gezwungen?

Der Greis. Weil mir nichts daran liegt.

Der Lieutenant. (Lachend) Wenn wir dich aber darum ersuchten, und dir unsere Börsen anböthen; würdest du dich denn dazu entschließen?

Der Greis. (Entrüstet) Elender Erdensohn! vermag Geld Weisheit zu bezahlen?

Der Lieutenant. Was bezahlt sie denn?

Der Greis. Nichts! — Habt ihr Muth?

Der Lieutenant. Ohne diesen hätten wir nicht schon in dem furchtbaren Schlosse gewacht.

Der Greis. So wachet noch einmal diese Nacht darin! Punkt drey Viertel auf zwölf Uhr bin ich bey euch. Izt verlaßt mich! —

Zweifelhaft starrten wir einander an. Der Greis vertiefte sich wieder in seine Lectüre, und schien nicht zu bemerken, daß wir noch erstaunet hinter ihm standen. Endlich stieg der Lieutenant auf sein Pferd, und wir giengen mit langsamen Schritten nach unserem Wagen.

»Nun, meine Herren!« — fieng jener an, da wir uns einsezten: — »wir kehren doch wieder zurück?«

Vergebens machte ich Gegenvorstellungen. Die Erwartung der beyden feurigen Jünglinge war auf einen zu hohen Grad gespannet. Unüberwindlich blieb die Neugierde meines Barons; und die Gegenwart des Lieutenants ließ mich leicht einsehen, daß der Gebrauch meines hofmeisterlichen Rechtes mich nicht nur verächtlich machen, sondern auch zugleich fruchtlos seyn würde. Ich sah mich also wider meinen Willen genöthiget, abermals ein Vorhaben mit auszuführen, das als unnütz und gefahrvoll, mir die größte Verantwortung zuziehen konnte. —

Unser Wirth war vor Verwunderung und Freude außer sich, daß wir, wie er vermuthete, noch einmal mit den Geistern anbinden wollten. Unsere gestrigen, muthvollen Gefährten hatten Wunderdinge erzählet, wie fürchterlich die Geister gesehen, wie tapfer sie sich mit dem Höllengesindel herumgebalget, und wie die fremden Hexenmeister endlich das gesammte wüthende Heer verbannet hätten. Sobald daher nur unsere Zurückkunft bekannt wurde, lief das ganze Dorf herbey; um uns als überirrdische Wesen, in Augenschein zu nehmen, und sich, verschiedener Dinge wegen, Raths: zu erholen. Der Lieutenant belustigte sich mit der Einfalt dieser guten Leute; und so verstrich der ganze Tag.

Schon war es finster, und die Einwohner des Dorfes verließen noch nicht das Wirthshaus. Alle baten uns: sie doch ja in das Schloß mitzunehmen. Wir sahen uns also genöthiget, unser Vorhaben zu läugnen; und da sie noch nicht giengen, uns schläfrig zu stellen, und die Streu bereiten zu lassen.

Erst um eilf Uhr wanderten wir in aller Stille und ohne Licht nach dem Schlosse. Auf dem Hofe zündete der Diener des Lieutenant, vermittelst seines Feuerzeuges, die mitgenommene Lampe an; und nun begaben wir uns in den Saal, worinn wir die erste Nacht gewachet hatten, und wo wir unser künstliches Meublement noch im besten Stande antrafen. Hier harreten wir sehnsuchtsvoll auf die lezte Viertelstunde vor Mitternacht.

Der Lieutenant zweifelte, ob der Alte Wort halten würde. Ich pflichtete ihm von ganzer Seele bey, und wäre froh gewesen, wenn wir nicht erst darauf gewartet hätten. Der Baron aber, der von Jugend auf die heftigste Neigung für alles Geheimnisvolle bezeigte, war so von dem ehrwürdigen Ansehen des Greises eingenommen, daß er seine Ehre für desselben Worthaltung verpfändete. Der Lieutenant ließ sich mit ihm in einen Streit über Geister und Geisterrufen ein, und behauptete aus Erfahrung und Vernunftsgründen geradesweges das Gegentheil. Aber der Baron verblieb bey seiner einmal gefaßten Meynung: daß man über diese Dinge nicht so kühn entscheiden müsse; und kam endlich wieder auf den wunderbaren Alten zurück, der uns, wie er gewiß vermuthete, davon völlig überzeugen würde.

Wir erschöpften uns alle drey, noch einige Zeit, in Muthmaßungen über diesen seltsamen Pilger; und nun war die Klocke vier und vierzig Minuten auf zwölf Uhr. Ohne weiter ein Wort zu reden, sahen wir izt starr auf die vor uns liegenden Uhren, die wir alle drey im Wirthshause, als die benachbarte Klocke eilfe schlug, gleich gestellet hatten. Izt stand der Zeiger auf fünf und vierzig; und schon hörten wir durch die offenen Thüren leise Fußtritte sich nähern.

»Der alte ist ein Mann von Wort!« — sprach der Lieutenant: »sie haben Recht gehabt, Herr Baron!« — ergriff die Lampe, und gieng dem Greise entgegen.

Der Greis trat in den Saal, das Felleisen auf seinem Rücken. Feyerlich langsam winkte er uns mit der Hand, ihm zu folgen. Wir folgten ihm. Er leitete uns durch die Vorzimmer hindurch, den schmalen Gang hinunter, die Treppe hinab. Keiner sprach ein Wort. Nun gieng unser Weg über den Hof auf die verschlossene Kellerthüre zu. Hier blieb der Alte stehen, wendete sich zu uns, und ließ einige Zeit seinen stieren Blick auf uns ruhen. Dann sprach er mit leiser, bebender Stimme:

»Soll euer Leben nicht dahin fahren, so verstummet!«

Hierauf trat er die beyden Stufen hinab, zog aus seinem Busen einen großen Schlüssel hervor, der an einer eisernen, um seinen Hals hängenden Kette befestiget war, und öfnete damit ohne die mindeste Schwierigkeit das ungeheure Vorlegeschloß. Die Thüre flog auf. Und nun nahm der Greis dem Lieutenant die Lampe aus der Hand, und führte uns eine lange, steinerne Treppe hinab.

Wir kamen in einen weiten festgemauerten, dumpfigen Keller, worin uns auf allen Seiten große, eiserne Thüren, mit starken Schlössern verlegt, in die Augen fielen. Der Greis nahete sich sonder Säumen einer doppelten Flügelthüre, die gerade der Treppe gegenüber lag. Leicht öfnete auch diese sein Schlüssel. Rasselnd sprangen die Flügel auseinander, und wir blickten in ein schwarzes Gewölbe, das der sterbende Strahl eines verlöschenden Lichtes zu erhellen schien.

Der Alte entblößte sein Haupt, und trat hinein. Wir folgten seinem Beyspiele, und traten auch hinein. Kalter Schauer durchbebte meine Glieder: — wir waren in einer Gruft. Hin und wieder standen verfallene Särge. Schädel, Gebeine und zerbrochene Urnen prasselten unter unseren Füßen. In der Mitte des Gewölbes erhob sich auf einem steinernen Gestelle ein großer, schwarz marmorner Sarg. Ueber demselben hieng eine Ampel, die den bleichen, flimmernden Todesschimmer verbreitete. Eine dicke modrige Luft, die anfänglich alle Gegenstände um uns her wie ein blaulichter Nebel verdämmerte, erschwerte uns das Athemholen. Dumpf dröhnten die oben Mauern von unseren Tritten.

Der Greis blieb in einiger Entfernung vor dem mittleren Sarge stehen, und gab uns ein Zeichen, um ihn her zu treten; doch näher nicht, als daß er uns mit ausgestreckten Armen berühren konnte. Zu seiner Rechten stand der Lieutenant, zu seiner Linken der Baron, und seitwärts ihm gegenüber ich.

Nun sezte der Alte die mitgebrachte Lampe vor sich hin auf den Boden, langte aus seinem Felleisen das Buch, einen zusammengelegten, durch Rinken wieder zu verbindenden Stab, und eine blecherne Büchse heraus. Aus der leztern streuete er rothen Sand um sich her, schob darauf den Stab aus einander, und beschrieb mit demselben einen dreyfachen Kreis in dem Sande. Hierauf legte er seine Hände kreuzweise über die Brust, sprach unter heftigen Zuckungen einige für uns unverständliche Worte, ergriff sodann das Buch, und begann darin, mit fürchterlichen Verzerrungen seiner Gesichtsmuskeln, leise zu lesen. Je länger er las, desto schrecklicher wurden seine Bewegungen. Sein ganzer Körper zuckte konvulsivisch; seine Augenbraunen zogen sich immer dichter und dichter zusammen. Der Schweiß rann ihm über Stirn und Wangen.

Izt warf er auf einmal das Buch vor sich hin, und sah mit starrem Blicke und emporgehobenen Händen nach dem Sarge. Bald merkten wir, daß es zwölfe wäre; denn es stampften die Pferde, es tönten die Hörner. Der Greis bewegte sich nicht. Das Jagdgetös kam näher. Der Greis bewegte sich nicht. Mit emporgehaltenem Stabe starrte er unverwandt nach dem Sarge hin. Izt stürmte der wüthende Schwarm in den Hof. Der Greis bewegte sich nicht. Izt schallte das Gepolter auf der Kellertreppe. Der Greis bewegte sich noch nicht. Mit emporgehaltenem Stabe starrte er noch unverwandt nach dem Sarge hin. Aber izt war der Lärm im Keller; und der Greis schwang seinen Stab, und — still war alles.

Mit gräßlicher Stimme rufte er nun dreymal ein wieder für uns unverständliches Wort aus, und schlug bey jedem Rufe mit dem Stabe auf die Erde. Plözlich fuhr ein weißer Blitz zuckend an den Wänden der Gruft umher; ein dumpfer Donner brausete furchtbar in unsern Ohren. Die Ampel und unsere Lampe waren verloschen. Stille und Finsterniß herrschten überall.

Izt hörten wir ein leises Geräusch vor uns. Ein schwacher Schimmer fieng wieder an das Gewölbe zu erleuchten. Der Schimmer begann immer stärker und stärker zu werden. Bald wurde ich gewahr, daß er aus dem mittleren Sarge kam. Der Deckel desselben hob sich immer höher und höher, und immer heller und Keller ward es in der Gruft. Endlich richtete sich eine schreckliche Menschengestalt aus dem Sarge empor. In ein weisses Todtenhemde gehüllet, mit sterbender Miene, zitterte sie nach und nach aufrecht. Mit gräßlichem Erstaunen blickte sie um sich her. Izt stieg sie aus dem Sarge heraus, schwang sich die Anhöhe herunter, und näherte sich, mit schwankenden Schritten, dem Kreise.

»Wer ist der« — röchelte sie in hohlen, bebenden Tönen: — »wer ist der, der die Todten in ihrer Ruhe störet?«

»Und wer bist du?« — entgegnete der Alte trotzig: — »der du dies Schloß und diese ganze Gegend in ihrer Ruhe störest?«

Die Gestalt schauderte zurück.

»Ich nicht, ich nicht!« — winselte sie kläglich: — »mein verdammter Gemahl störet sie, störet auch meine Ruhe!«

Der Alte. Und warum das?

Der Geist. Ich bin ermordet und der gerechte Richter warf meine Sünden auf ihn, den Mörder!

Der Alte. Ich verstehe dich, unglücklicher Geist! begieb dich wieder zur Ruhe! »Bey meiner Macht, die jedem Geiste gebeut — du sollst sie auf immer haben!«

Die Gestalt beugte sich, schwankte wieder auf den Sarg zu, stieg zu ihm hinauf, und schwand in denselben hinein. Langsam sank der Deckel herab, uns allmählig erstarb auch wieder das Licht. Ein weißer Blitz fuhr aufs neue zischend an den Wänden der Gruft umher; ein dumpfer Donner brausete aufs neue furchtbar in unsern Ohren. Lampe und Ampel fiengen wieder an zu brennen. Todesstille herrschte wieder überall.

Der Greis rafte izt seine Sachen zusammen, und gebot uns durch einen Wink, ihm zu folgen. Wir traten in das erste Gewölbe. Dieser Ort war leer, wie wir ihn verlassen hatten.

Unser Führer verschloß sorgfältig die Thüre der Gruft; und zog sodann aus seiner Tasche einen großen, mit Charakteren beschriebenen Zettel, ein Stück rothes Wachs und ein eisernes Pettschaft hervor. Nachdem er alle diese Sachen zu wiederholten Malen mit seinem Stabe bekreuzet und eingesegnet hatte, legte er den Zettel dicht über das Schloß, so das die eine Hälfte desselben auf dem ersten, die andere auf dem zweyten Thürflügel ruhete, und siegelte ihn eiligst auf allen vier Ecken an.

Hierauf trat er mitten in den Keller, bezeichnete uns wieder unsere Plätze, streuete Sand, beschrieb den dreyfachen Kreis, und fieng von neuem an, unter heftigen Zuckungen, in seinen Buche zu lesen. Dann schwang er seinen Stab, und rief das nehmliche Wort, das er in der Gruft sprach, mit noch viel gräßlicherer Stimme aus.

Plözlich erleuchtete ein feuriger Blitz den ganzen Keller; ein fürchterlicher Donnerschlag tönte in dem hohen Gewölbe. Alle Thüren, die versiegelte ausgenommen, sprangen auf einmal unter einem schrecklichen Knalle aus Ihren Angeln. Die Lampe verlosch, aber ein schwefelblauer Schimmer, der die Treppe herabfiel, glänzte gräßlich an der entgegenstehenden Mauer. Jämmerliches Gewinsel, dumpfes Kettengerassel schallte vor unseren Ohren. Das Getös näherte sich von oben der Treppe. Izt kamen leise Tritte die Stufen herab; und lauter tönte das Gewimmer, und stärker rasselten die Ketten. Unaussprechlich grausenvoll, wankte endlich sichtbar eine neue Menschengestalt einher. Das Gewand blutig, den Schädel zerschmettert schwebte sie dem Kreise zu.

»Wer bist du?« donnerte die Stimme des Greises ihr entgegen.

Die Gestalt erwiederte hohl und stöhnend:

»Eine verdammte Seele!«

Der Greis. Was suchest du in diesem Schlosse?

Die Gestalt. Erlösung aus der Hölle!

Der Greis. Was kann dir diese gewähren?

Die Gestalt. Vergebung meiner Gemahlin.

Der Greis. Steht die bey ihr Verworfner? — Kehre auf immer mit deinen verfluchten Gesellen zur Hölle zurück! Fürchte diese Schrift, fürchte dieses Siegel! —

Hier deutete der Alte mit der Hand auf die Thüre der Gruft. Die Gestalt schwankte gegen sie zu. Plözlich aber schauderte sie zurück, und sank wimmernd zu Boden. Sogleich erleuchtete wieder ein feuriger Blitz den ganzen Keller; ein fürchterlicher Donnerschlag tönte in dem hohen Gewölbe. Alle Thüren fielen wieder auf einmal unter einem schrecklichen Knalle zu. Wildes Geheul drang in unsere Ohren. Gräuliche Erscheinungen glüheten in feuerrothen Blitzen an den Wänden umher. Brüllende Donner droheten die Mauern einzustürzen.

Nach und nach hörten endlich die Blitze auf zu zischen, die Donner auf zu brausen. Noch flimmerte der schwefelblaue Flimmer gräßlich die Treppe herab; doch bald verlosch er, und dichte Finsterniß umgab uns. Noch ertönte furchtbar von Stöhnen und Gewimmer das Gewölbe; doch bald verstummte auch dieses, und Todesstille umgab uns. Aber auf einmal erhob sich über uns das Stampfen der Pferde, das Blasen der Hörner; und ehe wir noch zu unsrer völligen Besinnung gelangen konnten, war auch dies Getös verschwunden.

Als wir uns wieder zu sammeln begannen, standen wir im finstern Keller, ohne zu wissen, ob wir noch alle drey bey einander wären. Ein stinkender Schwefeldampf peinigte unsere Geruchsnerven, und verursachte uns mit jedem Athemzuge die drückendste Beklemmung. Lange Zeit war alles still. Endlich faßte mich jemand bey der Hand. Noch halb ausser mit von der schrecklichen Dingen, die ich so eben gesehen und gehöret hatte, fuhr ich erschrocken zurück.

»Ich bin es!« — sprach der Lieutenant, und auf einmal war es, als wenn ein schwerer Stein von meiner Brust gewalzet würde. Auch der Baron fieng izt an zu reden.

»Wo sind sie?« — rief er.

Wir griffen im Finstern nach ihm herum, und faßten ihn endlich.

»Wie werden wir hier Heraus kommen!« — fuhr der Lieutenant fort: — »lassen sie uns versuchen, die Treppe zu finden! Wenn ich mich nicht irre, so muß sie gerade vor uns seyn. Halten sie sich nur beyde fest an mich an!«

Mit diesen Worten fieng er an zu gehen, und wir tappten mit ihm zugleich immer weiter.

»Hier ist sie!« — sprach endlich der Baron: — »ich fühle die erste Stufe.«

Wir ließen einander los, und klimmten nun die Stiege hinan. Aber wie groß war unser Schrecken, als wir die Thüre erreichten, und dieselbe verschlossen fanden. Der Baron, der vorangieng, benachrichtigte uns davon. Wir stießen alle drey mit vereinten Kräften an das Eisen; doch vergebens die Thüre war fest vor außen verriegelt. Der Lieutenant rufte mit lauter Stimme seinen Bedienten, den wir oben im Saale, als uns der Greis abholte, schlafend verlassen hatten. Wir standen ihm alle drey bey, und riefen, so laut wir vermochten. Johann! Johann! Das dumpfe Echo tönte wild und grausend zurück: Johann! Johann! Aber kein menschlicher Tritt ließ sich hören. Wüthend und verzweifelnd schlugen wir uns an der eisernen Thüre die Hände blutig, schrieen, daß uns die Brust schmerzte: Johann! Johann! Das dumpfe Echo tönte wild und grausend das Poltern und den Namen Johann zurück: aber kein menschlicher Tritt ließ sich hören.

»Der Kerl wird schlafen, und unser Schreyen und Pochen nicht hören!« — begann endlich der Lieutenant kraftlos und außer Odem: — »wir wollen uns hier auf die Treppe setzen, und acht geben, wenn er herunter kömmt.«

Wir befolgten seinen Rath. Ich hoffte nicht auf des Dieners Ankunft; verrieth aber meinen Argwohn nicht. Der Lieutenant verstellte seine Angst, und fieng an über das Geschene und Gehörte zu sprechen: doch geschahe dies nur in abgebrochenen Sätzen; die er pausenweise hervorstotterte. Der Baron und ich antworteten ihm wenig, und so mochten wir ohngefähr eine Stunde zugebracht haben, als keiner mehr ein Wort sprach. Alles war still um uns her; nur das wir einer des andern leises Athemholen vernahmen. Der Lieutenant rief uns endlich zu: ob wir schliefen? aber die größte Bangigkeit scheuchte jeden Gedanken an Schlaf von uns. So saßen wir noch einige Stunden, und nun mochte es beynahe gegen fünf Uhr des Morgens seyn.

»Das wird mir zu lang!« — sprach der Lieutenant: — »so verschlafen ist mein Kerl nicht! Aber wo sollte er seyn?«

Izt fieng er wieder an zu rufen, und an die Thüre anzuschlagen. Alles war umsonst; kein menschlicher Tritt ließ sich hören. Wir blieben noch einige Stunden auf der Treppe sitzen: kein menschlicher Tritt ließ sich hören.

»Ich will sie und mich nicht mit Vermuthungen quälen;« — begann izt der Lieutenant: — »aber unser Untergang scheint hier beschlossen zu seyn. Doch müssen wir versuchen, ob er nicht noch auf irgend eine Art zu vermeiden ist. Kommen sie wieder in den Keller hinunter: vielleicht finden wir da noch eher, als hier, einen Ausgang!«

Ohne ein Wort zu erwiedern, stiegen wir mit zitternden Knieen hinab, und tappten nun einzeln in der Finsterniß lange Zeit umher. Oft stießen wir uns mit der größten Heftigkeit gegen die Wände und gegen die eisernen Thüren, oft faßten wir uns bey den Händen. All unser Forschen war fruchtlos. Ermüdet und ohne alle Geisteskraft, sank ich endlich zu Boden, und fieng mir an die schrecklichsten Vorwürfe zu machen, daß ich nicht allein mich, sondern auch den, der mir anvertrauet war, ins Unglück gestürzet, und durch meine Nachsicht dahin gebracht hatte, in einem unterirrdischen Gewölbe zu verschmachten.

Anfänglich hörte ich noch immer den Lieutenant und den Baron im Keller umher irren. Keiner gab einen Laut von sich: fürchterlich tönte der hohle Wiederhall ihre Tritte zurück. Endlich verloren sich die Schritte des Einen in der fernen und bald gieng nur noch der Andere meiner Unglücksgefährten um mich her.

»Wo sind sie?« — rief die Stimme des Lieutenants.

»Ich bin hier« — so antwortete ich: — »wo ist aber der Baron?«

Der Lieutenant rief nach ihm auch ich that es. Der Baron gab keine Antwort. Plötzlich vernahmen unsere Ohren ein dumpfes Geprassel, und fast zu gleicher Zeit brach aus der Ecke unseres Kerkers ein schwacher Lichtschimmer hervor. Erstaunt rafte ich mich von dem Boden auf, und gieng mit dem Lieutenant dem Scheine nach. Er schien aus einer Oeffnung zu kommen. Und welche Freude bemeisterte sich unsrer, als wir eine der eisernen Thüren offen fanden. Wir giengen durch dieselbe. Ein langer gemauerter Gang lag vor uns, und ganz in der Ferne sahen wir den Lichtschein aus der Tiefe hervordämmern. Der Gang führte uns bergab. Je weiter wir kamen, desto heller ward es um uns. Endlich erreichten wir das Ende der Wölbung; und nun erblickten wir einige Stufen vor uns, die in ein weites Gemach leiteten, an dessen Eingange im Fußboden einige Dielen eingebrochen waren, durch welche Oeffnung das Licht hervorbrach. Wir traten die Stufen hinunter, und wie groß war mein Entsetzen, als ich in der Vertiefung den Baron auf vermodertem Strohe wie todt liegen sahe!

Ohne mich zu besinnen, sprang ich hinunter: der Lieutenant folgte mir; und nun rüttelten wir den Baron so lange, bis wir endlich wieder Leben in ihm vermerkten. Wir setzten unsere Bemühungen fort, und bald erholte er sich völlig. Seine Ohnmacht war blos die Wirkung des Schreckens gewesen; an seinem Körper hatte er übrigens nicht den mindesten Schaden genommen. Er erzählte uns nunmehro: daß er in der Finsterniß auf einmal in einen engen, langen Gang gerathen, und ohne Bewußtseyn immer weiter gegangen sey, bis daß er plötzlich von einer Anhöhe herunter getaumelt, mit den Bretern eingebrochen, und vermuthlich hier herabgefallen wäre.

Wir sahen uns nun erst um, wo wir waren. Wir befanden uns in einer weiten Höhle, die, dem Anscheine nach, einmal zum Stalle gedienet hatte. In der Höhe bemerkten wir auf der einen Seite zwey große runde Löcher, mit eisernen Gittern verwahret, woraus das Licht in die Tiefe herunterfiel; und endlich erblickten wir auch in dem düstersten Winkel den Ausgang, den eine hölzerne Thüre versperrte. Wir naheten uns derselben, stießen daran, um zu versuchen, ob sie fest wäre; und die morschen Breter fielen zu unsern Füßen.

Entzückt stiegen wir nun alle drey, durch einen finstern, in die Erde gehöhlten Gang, immer nach und nach höher herauf, bis wir endlich eine Oeffnung vor uns sahen, die uns die Aussicht in den schon bekannten Garten gewährte. Unsere Hirschfänger bahnten uns aus dem, mit Unkraut verwachsenen Eingange der Höhle und durch den Garten hindurch, einen Weg. Bald waren wir auf dem Hofe des Schlosses. Wir umarmten uns vor Freude über unsre glückliche, unverhoffte Rettung, und begaben uns nun nach dem Saale, um zu sehen, ob der Diener des Lieutenants noch da wäre. Der Tisch und alle unsre Gesäße standen noch in der Ordnung, wie wir sie verlassen hatten: aber Johann war nicht da.

»Er wird nach dem Gasthofe zurückgegangen seyn!

sprach sein Herr: und wir giengen, Gott dankend, daß er uns so wunderbar gerettet, und unseren Vorwitz nicht schärfer bestrafet hatte, aus dem fürchterlichen Schlosse nach dem Wirthshause zurück.

Bey unserm Eintritte in dasselbe fanden wir den Wirth in der Mitte einer starken Anzahl von Bauern, die insgesammt sich zu erkundigen gekommen waren: ob wir noch nicht aus der wüsten Burg zurückgekehret? Denn so ein Spuck, wie diese Nacht gewesen, sollte noch nie im Dorfe seyn gehöret worden. Der Wirth und sie geriethen daher nicht in geringes Erstaunen, als wir auf einmal hereintraten. Ehrerbietig griff die ganze Versammlung nach ihren Mützen, und stürmte sogleich mit Fragen auf uns los: was im Schlosse vorgefallen sey? Der Lieutenant hatte izt keine Lust, sich aufs neue mit ihrer Einfalt zu belustigen, sondern fertigte sie; so wie wir, trocken ab, und fragte den Wirth nach seinem Bedienten.

»Ich habe keinen seit gestern gesehen!« — war des Wirthes Antwort.

»Es ist nicht möglich!« — versetzte der Lieutenant: — »Sind die Pferde noch da?«

»Die stehen ruhig im Stalle;« antwortete der Wirth: — » ich bin so eben bey ihnen gewesen.«

Der Lieutenant sah uns bedenklich an, und bat die Bauern für ein gutes Trinkgeld im Dorfe und in der Gegend umher nach seinem Diener zu forschen. Alle waren bereitwillig dazu, und verließen sogleich den Gasthof.

Es war nach neun Uhr des Morgens, als wir wieder in das Wirthshaus anlangten, und gegen Mittag kamen die ausgesandten Einwohner des Dorfes sämmtlich mit der Nachricht zurück: daß Johann nirgends zu sehen und zu hören wäre.

Der Lieutenant hielt izt nicht für nöthig, sich länger an diesem Ort aufzuhalten; auch der Baron verlangte nach unserer Abreise, und ich war schon längst begierig darnach gewesen. Wir verzehrten also noch ein armseliges Mittagsbrot zusammen, und machten uns sodann zum zweytenmale reisefertig. Unser Wirth und die guten Bauern weinten, da der Lieutenant auf sein Pferd, und wir auf unseren Wagen stiegen. Wir beschenkten die letzeren nochmals, und eilten schnell von dannen.

Dem Lieutenant waren die Wege innerhalb des Schwarzwaldes ziemlich bekannt: auf einem Pferde sitzend, das andere an der Hand führend, ritt er vor uns her, und so reiseten wir glücklich durch das grauenvolle Gehölz hindurch. Schon am Abende des folgenden Tages mußten wir uns von ihm trennen. Er sah sich genöthiget; zu seinem Transporte zurückzugehen, und wir wollten eilen, um bald nach Hause zu kommen.

»Ich danke ihnen, meine Herren!« sprach er beym Abschiede vor der Thüre eines Gasthofes, als wir uns anschickten, unseren Wagen zu besteigen:

»Ich danke ihnen für die treue Mitbestehung des fürchterlichsten Abentheuers, das ich je erlebet habe. Sollte ich so glücklich seyn, einst einiges Licht darüber zu erhalten, wonach ich auf das eifrigste streben will: so werde ich es für meine schuldige Pflicht ansehen, ihnen davon Nachricht zu ertheilen. Leben sie wohl, und vergessen sie den drey und zwanzigsten September des Jahres 1750 und ihren ergebensten Freund, den dänischen Lieutenant B... nicht!«

Der Postillion stieß ins Horn, und wir fuhren ab. Nach fünf Tagen kamen wir, ohne den mindesten ferneren Anstoß, gesund bey dem alten Baron R..., dem Vater meines Eleven an.

*

»Und hier« — fuhr Herrmann fort: — »trete ich von der Bühne ab. Ein Brief des Barons knüpfet den Faden der Geschichte wieder aufs neue an, und ein beyliegendes Manuscript, das den Lieutenant B... zum Verfasser hat, und wovon ich Abschrift genommen habe, setzet den Verlauf derselben bis zu ihrem gänzlichen Schlusse fort. Doch, wie schon gesagt, diese Papiere erhält erst mein Freund bey seiner noch lange nicht erfolgenden Abreise.«

Hellfrieds Neugierde war freylich mächtig gereitzet; doch vermochte er den Gründen seines Freundes und seinem vorhin gegebenen Worte nichts entgegen zu setzen. Er ergab sich also willig in sein Schicksal, das durch Jagd, Spiel und andere Zerstreuungen auf das angenehmste versüßet wurde. Erst nach vierzehn Tagen dachte er im Ernste auf seine Abreise, und Herrmann konnte, als billiger Freund, seine Gegenwart nicht länger begehren. Er entließ ihn mit einem friedlichen Kusse und dem herzlichsten Danke für die Freude, die ihm sein unverhofter Besuch gemacht hatte. Das bewußte Manuscript überließ er ihm gänzlich, und versicherte ihn: er würde ihm dasselbe eher gegeben haben, hätte er es unter seinen vielen Schriften und Papieren früher aufgefunden. Bloß um seinen Freund zu beruhigen, war von ihm das Vorgeben erdichtet worden, dessen vorhin Erwähnung geschehen ist; doch hatte er den festen Entschluß gefaßt: falls sich die Fortsetzung der abentheuerlichen Begebenheiten nicht geschrieben fände, Hellfrieden dieselbe noch vor seiner Abreise mündlich zu überliefern. Aber sie war noch den Tag vorher, ehe sich die beyden Freunde trennten, bey rastlosem Forschen unter Staub und Moder hervorgezogen, gesäubert und eingepackt worden. Herrmanns Freude über diesen Fund war unaussprechlich groß.

»Nimm hin!« — sprach er zu seinem Freunde, als er ihm die Schriften übergab: — »nimm hin das Ende der Geistermähr! Und wenn du irgend einen findest, der Lust bezeuget, diese Wundergeschichte der Vergessenheit zu entreißen, und öffentlich bekannt zu machen: so erzähle ihm unsere beyderseitigen Begebenheiten dazu. Nur sage ihm: er solle Hellfrieds und seines Freundes Herrmanns rühmlichst dabey gedenken, und es nicht so machen, wie viele andere, die da rauben und plündern, ohne nur den Ort anzuzeigen, wo sie geraubet und geplündert haben.«

Die beyden Freunde schieden nunmehr — schieden auf immer. Herrmanns letzter Wunsch war erfüllt; er hatte seinen Freund wiedergesehen: bald darauf entschlief er. Auch Hellfried ruht anizt im Grabe. Kurze Zeit vor seinem Ende, das plötzlich erfolgte, tradirte er die gegenwärtige Geschichte mündlich und schriftlich, wie sein verstorbener Freund verlanget hatte.

Die mündliche Erzählung ist vorausgesetzet worden: izt zur schriftlichen.


Zweyter Abschnitt. Schriftliche Traditionen.

Der Baron R... an seinen ehemaligen Hofmeister Herrmann.

Bester Freund!

B... den 11. Nov. 1772.

Ich eile, Ihnen Bericht von einem Vorfalle abzustatten, der mir diesen Sommer zu Pyrmont begegnete. Längst schon würde ich diese meine Schuldigkeit erfüllet haben, hätte ich nicht immer noch einige Schriften erwartet, deren Beyfügung meiner Begebenheit erst das gehörige Interesse geben konnte. Izt sind sie endlich angekommen, und ich übersende sie Ihnen sogleich, mit der Bitte: mir dieselben, sobald sie durchlesen sind, wieder zuzustellen.

Ich war schon drey Wochen in Pyrmont, und begab mich eben an einem heiteren Abende auf die Promenade; als ich einen wohlgekleideten Mann bemerkte, der viel auffallendes für mich hatte, dessen Gesichtszüge mir aber gänzlich unbekannt waren.

Ich schlenderte ruhig meinen Weg vor mich hin, und wurde bald gewahr, daß der erwähnte Mann dicht hinter mir drein kam. Er gieng mit eilfertigen Schritten bey mir vorüber, wendete sich sodann, und sah mir starr ins Gesicht. Ich that desgleichen, und verwunderte mich, daß auch ich dem Fremden aufgefallen wäre. Nicht lange, so kehrte er wieder um, richtete seinen Gang geradesweges auf mich zu, und blickte mir nochmals starr in die Augen. Ich blieb vor ihm stehen, und that das nehmliche: Er bewegte die Lippen zum reden. Ich wollte ihn fragen ob er was verlange? Aber wir schwiegen beyde, und, giengen weiter. Diese Pantomime wiederholten wir noch einigemal. Keiner sprach ein Wort. Endlich ward es finster, und ich gieng nach meinem Logis zurück.

Am folgenden Morgen erwachte ich mit Aufgang der Sonne. Ich entschloß mich dies herrliche Schauspiel im Freyen anzusehen, warf in der Eile meinen Ueberrock um mich, und verließ das Zimmer. Kaum hatte ich am Ende der nächsten Allee auf einer Bank Platz genommen; als ich den gestrigen unbekannten Mann schon wieder auf mich zukommen sahe. Er näherte sich, grüßte mich freundlich, und nahm dicht neben mir Platz. Wir beobachteten beyde ein halbes Viertelstündchen in stummen Entzücken die prachtvolle Scene. Izt war die Sonne herauf, und der Fremde blickte mich forschend an.

»Mein Herr!« — begann er endlich: — »sie werden verzeihen, wenn ich mich irren sollte; aber ich glaube vor Zeiten irgendwo das Glück gehabt zu haben, in ihrer Gesellschaft zu seyn.«

»Wohl möglich, daß ich diese Ehre gehabt habe!« — versetzte ich: — »dürfte ich mir ihren Namen ausbitten?«

Der Fremde. Mein Name ist B...; mein Charakter ein dänischer Major.

Ich. B...? — Der Name deucht mir bekannt: aber dennoch erinnere ich mich nicht, den Herren Major an irgend einem Orte gesehen zu haben.

Der Fremde. Vielleicht erinnere ich mich, wenn ich ihren Namen weiß.

Ich. Ich heiße R...

Der Fremde. Und kamen im Jahre 1750 von ihren Reisen nach Deutschland zurück.

Ich. Getroffen!

Der Fremde. (Lächelnd) So hätte ich mich also nicht geirrt! Haben sie nie mehr an das Abentheuer hinter dem Schwarzwalde, an das wüste Schloß und an den Geisterbanner gedacht?

Ich saß wie in Stein verwandelt. »Wie? — rief ich: — sie?« —

Der Fremde. Ich bin es, lieber Freund, Ich bin es! Sonderbar müssen doch, oft die Menschen in diesem Leben wieder zusammentreffen! Ich begleite izt einen angesehenen Herrn auf seinen Reisen. Wir sind beyde im strengsten Incognito. Ihnen glaube ich mich sicher entdecken zu können.

Ich konnte vor Verwunderung nicht zu mir selber kommen.

»Nun!« — fuhr der Major endlich fort: — »sind sie nicht begierig, etwas Näheres von dem abentheuerlichen Schlosse und dessen nächtlichen Bewohnern zu vernehmen? Gern hätte ich ihnen eher davon Nachricht gegeben, und habe sie deshalb auch, als ich die Werbungsgeschäfte verließ und wieder nach Dännemark zurückgieng, in ihrer Vaterstadt aufgesuchet: aber, wie man mir sagte, so waren sie damals so eben in Gesandtschafts-Affären nach England gereiset.«

Ich. Ihre Attention erfordert meinen wärmesten Dank. Ich bedaure von Herzen, daß ich nicht das Glück haben sollte, zu der Zeit, als sie in B... eintrafen, gegenwärtig zu seyn.

Der Major. Ihre Abwesenheit war mir in doppelter Rücksicht unangenehm. Einmal: daß ich meinen alten Freund nicht wiedersehen sollte; das zweytemal: daß ich mein Wort nicht auslösen, und sie von meinen gemachten Entdeckungen benachrichtigen konnte. Doch was damals nicht geschah, kann ja izt noch geschehen. Wenn es ihnen gefällig wäre, bey mir das Frühstück einzunehmen; so wollte ich versuchen, ob ich nicht im Stande bin, ihnen einen Abriß der verschiedenen Vorfälle zu geben, die sich vor, bey und nach der Untersuchung unseres Abentheuers in der Geisterburg, ereigneten.

Ich ließ mich nicht lange nöthigen, sondern gieng sogleich mit ihm nach seiner Behausung. Unterwegens erkundigte er sich nach meinem ehemaligen Hofmeister, und freuete sich herzlich, wie er vernahm, das Sie — bester Freund! — sich im gesegneten Wohlstande befänden, und im Arme eines braven Weibes des Lebens Bitterkeiten nicht gewahrten. Er schien vorzüglich über dieses Ihr letzteres großes Glück innigst bewegt zu seyn. Ich wollte nicht auf die Ursache seiner Rührung dringen; oder ihn, durch die Frage: ob er verheyrathet sey? an einen etwanigen schmerzhaften Verlust zwiefach erinnern; vielmehr leitete ich das Gespräch auf andere Gegenstände, und so kamen wir in seinem Quartier an. Er bestellte das Frühstück, das auch nicht lange ausblieb; und wir setzten uns zusammen in stiller Selbstzufriedenheit ans offene Fenster, das uns die Aussicht in die herrlichste Gegend gewährte.

Er begann seine Geschichte, die über alle meine Erwartung die wunderbarste Wendung nahm. Sie dehnte sich aber so sehr in die Länge, daß er mir nur einen unvollständigen Umriß davon liefern konnte, der, weil er durch mannigfaltige Episoden durchkreuzet ward, ziemlich verworren ablief. Er fühlte dies selbst, und versprach mir, sobald er seine gegenwärtige Reise würde geendiget haben — das anizt nicht mehr lange dauern könnte — eine Abschrift dieser von ihm sorgfältig aufgezeichneten abentheuerlichen Begebenheiten zu übersenden. Ich genoß in seiner Gesellschaft noch fünf vergnügte Tage, worauf er sein Versprechen nochmals erneuerte, und nach dem herzlichsten Abschiede weiter reisete.

Dies ist die merkwürdige Begebenheit, die ich Ihnen mitzutheilen nicht langer habe säumen wollen. Sie werden über den Zusammenhang und weiteren Verlauf des Abentheuers im wüsten Schlosse erstaunen. Major B... läßt Sie vielmals grüßen. Er wünschte von Herzen, auch mit Ihnen nochmals sprechen zu können. Leben Sie wohl.


Fortsetzung der Abentheuer des dänischen Lieutenants B...

Ich versank nach der Trennung von meinen bisherigen Gesellschaftern in das tiefeste Nachdenken. Alle Scenen des so eben bestandenen Abentheuers schwebten einzeln aufs neue vor meinen Augen. Ich befand mich im Wirthshause, ich befand mich im Schloßsaale, ich befand mich im Keller; sah den Banner und die Geister, sah die Blitze und den grausen Schwefelschimmer; hörte das Gebrüll des Donners, das Rasseln der Thüren, und die hohlen Stimmen der Schreckgestalten; fand mich endlich versperret, und kam erst dann wieder zu mir, da ich den Ausgang der Höhle entdeckte, und in den Garten hinaus trat.

Meine rege Phantasie malte mir alle diese Bilder mit den grellesten Farben, malte sie mit so gräßlich, daß ich von Herzen Gott dankte, mich auf dem Wege nach meinem Transporte, und nicht mehr in den unterirrdischen Gemächern zu befinden.

Ernstere Betrachtungen verscheuchten endlich das ganze Gefolge dieser fürchterlichen Träume. Der Verlust meines Dieners, den ich alle Augenblicke hinter mir suchte, erweckte nunmehr das heftigste Verlangen in mir, den wahren Grund des Unwesens zu erforschen, den armen Johann aus den Klauen der Geister zu befreyen, oder wenigstens seinen Tod auf die nachdrücklichste Weise zu rächen. Hierzu fand ich mich aber allein zu schwach, die Bauern des Dorfes, an dessen Ende sich das wüste Schloß befand, zu meinen Gehülfen untauglich, und endlich das ganze Unternehmen ohne den Rath und Beystand eines erfahrnen, entschlossenen Mannes zu gewagt. Ich nahm mir also vor, den letzteren aufzusuchen, und an seiner Hand das Abentheuer mit den nächtlichen Jägern nochmals und ernstlicher zu bestehen; bis dahin aber mich in Geduld zu fassen, und ruhig meinem Transporte das Geleite zu geben.

Dieser Entschluß war das Resultat meines Nachdenkens schon am ersten Morgen meiner alleinigen Reise. Der Weg bis zu meinem Transporte ward mir daher ziemlich lang. Ich brannte vor Begierde, mich bald aus dem Meere der Ungewißheit befreyet zu sehen, und mein Roß hatte es schlimm, bis ich an Ort und Stelle gelangte. Meine Mannschaft war schon ansehnlich weit vorgerückt, und hatte sich während meiner Abwesenheit tapfer vermehret. Ich begleitete den Zug noch zehn Meilen, und übergab ihn sodann dem mich erwartenden Officiere; worauf ich wieder aufs neue, in Begleitung meiner zwey alten Korporale, die Werbung begann.

Ich eilte wieder in die Gegend des Schwarzwaldes zu kommen, und gieng von da weiter bis F..., woselbst mehrere meines Metiers, der starken Conkurrenz von Handwerksvolkes wegen, ihren Hauptstandpunkt genommen zu haben schienen. Ich traf hier Preußen, Hessen, Oesterreicher u.s.w., mitunter auch manchen meiner alten Bekannten, durch die ich sogleich in den Zirkel der Werber eingeführet wurde.

Unter der gesammten Schaar fiel mir vorzüglich ein österreichischer Officier auf, der schon bey Jahren war, und von allen seinen Kameraden in großem Respekte gehalten wurde. Sprach er, was selten, und immer nur kurzweg geschahe; so hörte jeder von ihnen mit der größten Aufmerksamkeit zu; und entstand bey ihren Berufsgeschäften, beym Spiele, oder aus anderen Ursachen, Zwistigkeit; so bedürfte es nur der. Dazwischenkunft des Oesterreichers, und aller Streit war sogleich beygeleget.

Ein Mann von so gewaltiger Autorität bey einem Haufen Leute, die kein Gesetz, als das Recht des Stärkern erkennen, dünkte mir ein Gegenstand zu seyn, der meine Verwunderung im vollesten Maaße verdiente; und der mir, wenn ich ihn dazu zu bringen vermöchte, bey näherer Untersuchung des Geisterabentheuers, die hülfreichste Hand leisten könnte. Aber ich sahe leicht ein, daß es viele Mühe kosten würde, bis es mir gelänge, das Zutrauen eines solchen Mannes in der Größe zu erregen, dass eine Geschichte wie die, welche er von mir hören sollte, in seinen Augen nicht eitle Fabel, nicht weiterer Erwähnung unwürdig wäre. Ein ernster, strenger Soldat, wie er, schien mir über alle dergleichen Gauckeleyen erhaben zu seyn, und seine Neugierde lernte ich bald aus häufigen Erfahrungen als die demüthigste Sclavin einer kalten, richtigen Beurtheilungskraft kennen.

Seine Laune bestand in nichts weiter, als in einem gemäßigten Ernste; sein Lächeln in einer fast unmerklichen Auseinanderfaltung der dichten Runzeln um Mund, und Wangen und einer geringen Erhebung seiner langen, schwarzen Augenbraunen. Selbst sein Scherz hatte das Gewand seines äusseren Ansehens, und vor seinem Unmuthe bangte jeder, der ihn kannte, ob ihm gleich keiner noch nicht die mindeste Spur von Leidenschaft, viel weniger von aufbrausendem Zorne abgemerkt hatte.

Ich versuchte mich durch verschiedene Dienstleistungen bey ihm beliebt zu machen: er schien meinen Eifer nicht zu bemerken. Ich bezeigte ihm besondere Aufmerksamkeit in allen Gesellschaften, an allen Orten, wo ich ihn antraf: er schien dies als schuldigen Gehorsam anzunehmen. Was war noch anzufangen, diesem sonderbaren stoischen Manne beyzukommen? Ich gab bald die Hoffnung auf, ihn je für mein Abentheuer zu gewinnen.

Endlich verhalf mir ein Zufall zu dem, was meine sorgfältigste Bemühung nicht vermochte, was ich bereits für unmöglich hielt.

Das Wirthshaus, worin einer der ausländischen Officiere logirte, war in übelem Rufe: man sprach in der ganzen Stadt geheimnisvoll davon, und wollte von Dingen wissen, die nicht natürlich zugiengen. Diese Mähr, die der eben gegenwärtige Inwohner des verschrienen Gasthofes lächerlich zu machen suchte; weil er während der vierzehn Tage, die er in demselben zugebracht hatte, nicht das Geringste bemerkt zu haben versicherte, diese Mähr gab eines Abends dem ernsten Oesterreicher Stoff zu einem anhaltenden Gespräche. Er erklärte sich zu unserer allgemeinen Verwunderung geradezu für die Wahrheit gewisser Begebenheiten, und keine Einwendung war vermögend, ihn von seiner einmal behaupteten Meynung wieder abzubringen.

Mir pochte das Herz vor Freude. Denn nun durfte ich mit meinen seltsamen Historien auf Glauben rechnen. Schon war ich im Begriffe meine Erfahrungen auszukramen; wurde aber bald wieder durch die Betrachtung davon abgehalten: daß die andern Werber mich und meine Gespenster verlachen möchten; oder das ich gar unter ihnen Liebhaber finden könnte, die sich unaufgefordert das Abentheuer aufs neue mit mir zu bestehen erböten.

Der Oesterreicher gerieth in ein Feuer, worin ich ihn noch nicht gesehen hatte. Seine Augen funkelten, seine Stirne zog sich mächtiger und mächtiger zusammen. Und da die übrige Gesellschaft seinem Urtheile diesmal nicht beypflichten wollte; so entschloß er sich, seine Behauptung mit Gründen aus der Erfahrung zu belegen; und bat sich deshalb ein geneigtes Stillschweigen aus, das einem Manne, wie er, sogleich verwilliget wurde, und das jeder von uns schon deswegen gern beobachtete; weil er mit Zuversicht hoffen durfte, etwas Ausserordentliches zu hören. Eine Weile saßen wir in stummer Erwartung; dann begann der ehrwürdige Geisterseher also:

»Wenn ich behauptet habe: es sey Geistern möglich, vor unsern Augen zu erscheinen; so begreift dies Resultat meiner Erfahrungen nicht nur die schlichte Möglichkeit in sich, daß Seelen, oder andere höhere Wesen im Stande seyen, wenn und wie sie wollen, sich uns sichtbar zu machen: sondern diese meine Behauptung bestätiget auch die Wahrheit, daß es Menschen gebe, die derselben Erscheinung zu gewissen Zeiten und unter vorgeschriebenen Bedingungen hervorzubringen vermögend sind.«

Wir staunten einander in sprachloser Verwunderung an. Die Worte des Oesterreichers schienen der schaudervollsten Begebenheit zur Vorbereitung zu dienen, und wurden mit einem Gewichte ausgesprochen, das auch dem Wildesten unter uns Ehrfurcht einflößte. Nach einer kurzen Pause fuhr der feyerliche Erzähler fort, wie folget.

*

Ein Regiment der Garnison, wobey ich vor zwanzig Jahren als Lieutenant stand, hatte einen Mann aufzuweisen, der diesen letzteren meiner Sätze auf die nachdrücklichste Art und Weise bekräftigte. Er war Sergeant, ohngefähr einige vierzig Jahr alt, finster und mürrisch von Ansehen. Jedermann hatte Hochachtung vor ihm; denn er war prompt und exact im Dienste, und ließ, wie man sagte, keinen angethanen Schimpf ungerochen. Lose Gesellen nannten ihn den Hexenmeister; andere Verständigere sprachen von geheimen Bündnissen, und hüteten sich wohl, dem fürchterlichen Volkert zu nahe zu treten. Er war übrigens ein gutmüthiger Mann, der unangetastet keinem Menschen etwas zu Leide that, gern still vor sich weg gieng, und von Herzen die Einsamkeit liebte.

Man erzählte wunderbare Dinge, die er schon sollte ausgeübet haben. Dort hatte er auf einem Grabe den Bewohner denselben herausgefordert: hier hatte er gar die Seele eines Lebendigen über gewisse Umstände Nachricht zu geben gezwungen. Das Meiste aber, womit man sich von ihm herumtrug, betraf Handlungen, die von bloßer Rache zeigten.

Ein Fähndrich, der ihn, eines leichten Versehens halber, seinen Degen fühlen ließ, vermochte noch bis auf diese Stunde seinen rechten Arm nicht fertig zu gebrauchen. Ein Hauptmann, der ihn einst unschuldigerweise ausschalt, sollte von Stund an die Geläufigkeit seiner Sprachorganen verloren haben. Kurz: überall hörte man von Volkert Berichte, die nur, des ernsthaften Vortrages wegen, dem unbefangenen Zuhörer das Lachen ersparten.

Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den Wundermann genau kennen zu lernen, und war auch nicht sonderlich begierig, diese Bekanntschaft zu machen: weil ich von Jugend auf wenig von übernatürlichen Begebenheiten hielt; dessen ungeachtet aber auch nicht gern mit diesen Dingen meinen Spott trieb. Einige meiner Kameraden bezeigten oft starke Lust, sich, wie sie es nannten, einen Spaß zu machen, und durch den Geisterbanner einen ihres Gelichters, der frühzeitig starb, herbeyrufen zu lassen; um desselben Geist zu befragen: ob es in der Unterwelt auch Wein und Mädchen gäbe? Aber ich rieth stets davon ab, und suchte meine Gesellschafter zu einem andern, besseren Zeitvertreibe zu stimmen.

Unterdessen häuften sich die Sagen von Volkert immer mehr und mehr; ja es traten sogar Leute auf, die hoch und theuer versicherten: durch seine Vermittelung ihre verstorbenen Anverwandten wiedergesehen zu haben. Unter diesen befand sich vorzüglich eine Frau, deren Ehemann vor einigen Monaten, nach kurzer Krankheit, verschieden war, und noch vor seinen Ende dieselbe gebeten hatte: ihre einzige Tochter einem gewissen jungen Handwerker nicht zum Weibe zu geben. Das Mädchen hieng fest an dem Jünglinge; denn er war schon seit Jahr und Tag ihr versprochener Bräutigam: und die Betrübniß der beyden jungen Leutchen, daß sie das langersehnte Ziel ihrer Wünsche izt nie erreichen sollten, überstieg alle Grenzen.

Volkert lag in der Nähe des Hauses, worin das unglückliche Mädchen mit ihrer Mutter wohnte, im Quartiere, und wurde endlich von der Ersteren versuchet: seine Einsichten zu Rathe zu ziehen, und zu bestimmen, aus was für Gründen wohl der verstorbene Vater die Heyrath mit dem Manne des Herzens, könne verboten haben; da er doch zeitlebens keine Einwendung dagegen gemacht, vielmehr diese Verbindung mit dem innigsten Wohlgefallen bestätiget hätte? Volkert bat sich Bedenkzeit aus, und berichtete sodann nach einigen Tagen: daß diese Frage der Verstorbene seiner Tochter selbst beantworten müsse. Das gute Mädchen erschrak anfangs heftig vor dieser Nachricht. Aber die Hoffnung, ihren Geliebten vielleicht noch zu erhalten, stärkte sie, und sie entschloß sich, die Ruhe ihres Vaters in der Erde stören zu lassen. Die Mutter wollte sich lange nicht dazu bequemen, willigte aber doch endlich ein; und der Tag oder vielmehr die Nacht zur Vollführung der Citation wurde festgesetzt.

»Ich hörte« — fuhr der Oesterreicher fort: — »diese Geschichte aus der Mutter eigenem Munde, und ich will dieselbe, des Nachdruckes halber, von nun an selbst sprechen lassen.«

»Es war. an einem Sonnabende«— erzählte die gute Frau weiter: — »als wir uns des Nachts um eilf Uhr in einer Hinterstube, der nehmlichen, worin mein Mann gestorbene ist, versammelten. Die Gesellschaft bestand, außer mir und meiner Tochter, noch aus derselben Bräutigam und zweyer meiner Nachbaren. Volkerts Vorschrift gemäß, sangen und beteten wir Bußlieder und Bußpsalme, bis daß die Klocke zwölfe schlug. Izt schwiegen wir und Volkert trat zu uns in das Zimmer. Er war ganz weiß gekleidet, gieng ohne Schuhe, und sah blaß und verstört. Unter dem Arme trug er einen schwarzen Teppicht, einen Degen ohne Scheide und ein Crucifix. In der Hand hielt er zwey brennende Wachslichter. Sobald er in die Stube getreten war, winkte er uns aufzustehen und gab uns ein Zeichen, nicht zu reden. Er stellte hierauf einen Tisch mitten in das Gemach, breitete den Teppicht darüber, und setzte Crucifix und Lichter darauf. Den Degen behielt er in der Hand. Hierauf langte er eine Flasche mit Weihwasser aus einer Tasche, die um seine Schulter mit Bändern befestiget war, besprengte damit uns und den Boden; nachdem wir, gleich ihm, unsere Füße entblöset hatten, zündete er Rauchwerk an und begann die Beschwörung. Er sprach lange und viel in sich gekehrt, und kämpfte mit dem Degen um sich her, als ob ihm ein unsichtbarer Feind gewaltig zu schaffen machte. Endlich ward er ruhiger wandte sich zu uns, die wir im Kreise um ihn her standen, und rief:

»Es ist geschehen; — er ist nahe!«

»Plötzlich verfinsterte ein dicker Rauch das ganze Gemach; die Lichter verloschen, und eine leuchtende Gestalt, die das völlige Ansehen meines sterbenden Mannes hatte, schwebte dicht bey uns vorüber.«

»Fragt ihn!« — rief der Beschwörer!— »fragt ihn, ehe er verschwindet!«

»Ich bebte, und konnte keinen Laut, vorbringen. Auch meine Tochter vermochte vor Schrecken kein Wort zu sprechen. Die Gestalt stand izt still, und bewegte gräßlich das Haupt, als wenn sie etwas verneinen wollte. Der Beschwörer rufte uns aufs neue zu. Einer meiner Nachbarn faßte Herz.«

»Wer bist du?« — stammelte er. »Gottfried Burger!« — hallte es dumpf und kläglich.

»Soll deine Tochter sich nicht mit Anton Schmidt verehlichen?« — fragte jener von neuem.

»Nein — nein — nein!« — entgegnete ächzend der Geist, und schwankte gräßlicher mit seinem Haupte.

»Und warum nicht?« — fuhr der Nachbar fort.

»Die Gestalt erschütterte sich, streckte drohend beyde Hände von sich, wankte, und jammerte im Scheiden:

»Er ist ihr Bruder!« —

»Nacht umgab uns. Der Beschwörer stieß das Fenster auf. Der Rauch zog hinaus, und die Lichter fiengen wieder an zu brennen. Izt war ich erst fähig, freyen Athem zu holen. Ich blickte ängstlich um mich her, und sah meine Tochter in Ohnmacht liegen. Die Unglückliche kam wieder zu sich, aber zu unsrer aller Entsetzen. Sie phantasirte wild und verworren durch einander; ein heftiges Fieber überfiel sie: am dritten Tage war sie nicht mehr. Ihr Bräutigam ist aus Verzweiflung in die weite Welt gegangen. Der Himmel weiß, wo er izt lebt, und ob er noch lebt.«

»Ich bin eine arme, trostlose Mutter;« — setzte die bedaurungswerthe Wittwe hinzu; — »und klage mich selbst an, daß ich das gottlose Wesen zugelassen habe. Doch ist Gott im Himmel mein Zeuge, daß es wider meinen Willen geschahe, und daß ich blos der Ruhe meines Kindes halber den Unfug erlaubt habe!«

Diese Erzählung, so unglaublich sie mir auch vorkam, machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Ich sah die Frau vor mir, die mit eigenen Augen den Geist gesehen hatte; ich sah ihre Thränen; sah, daß sie um ihre Tochter trauerte. Alles dies zusammengenommen erregte den heftigsten Wunsch in mir, die Wahrheit oder Unwahrheit dieser Erscheinung zu erforschen; und falls dies nicht möglich wäre, mich durch eigene Erfahrung von Volkerts Geschicklichkeit überführen zu lassen.

Ich fragte die Frau noch um verschiedene Nebenumstände aus, befragte sie endlich auch: ob sie Muthmaßungen hatte, daß der Bräutigam ihrer verstorbenen Tochter in der That ein Sohn von derselben Vater gewesen wäre? Aber ihre Thränen, die bey dieser Frage viel häufiger flossen, erlaubten mir nicht, in diesem Punkte mehreres Licht zu erspähen, und ich entließ sie mit dem Vorsatze: meine Untersuchungen bey den von ihr genannten Nachbarsleuten fortzusetzen. Dies geschah noch an demselbigen Tage. Doch erfuhr ich hier nicht mehr, als mir bereits bekannt war. Man wiederholte mir die Geschichte, so wie sie die Wittwe schon erzählt hatte: über alles andere vermochte man mir aber keine befriedigende Auskunft zu geben. Ich sah mich also genöthiget, diesen ganzen Vorgang dahingestellt seyn zu lassen, und eine neue Gelegenheit zu erwarten, wo Volkert wieder Dienste von dergleichen Art verrichten würde, und wo ich seiner Beschwörung mit beywohnen konnte.

Ich meldete mich bey dem Geisterrufer, und bat ihn: mich bey abermaligem Experimente als Zuschauer zuzuziehen. Er versprach dies sogleich; schien aber wenig Lust zu haben, sein Wort zu halten. Der letzte Vorgang hatte ihn behutsamer gemacht. Man hatte viel und stark davon gesprochen. Die Wittwe war wegen des Todes ihrer Tochter zu gerichtlicher Verantwortung gezogen worden; und Volkert erhielt von seinem Generale den ernstlichen Befehl: dergleichen Dinge nicht mehr zu unternehmen; wofern er nicht aus unserer Garnison in eine geringere wandern wollte. Volkert erwähnte hiervon nichts gegen mich; doch merkte ich deutlich bey meinem Besuche eine gewisse Verlegenheit an ihm, die ich in der Folge, als ich diesen Umstand erfuhr, für Mistrauen erklärte, das er in die Lauterkeit der Absicht bey meinem Anliegen gesetzt hatte. Indeß ereignete sich einige Zeit darauf ein Zutfall, der den Geisterbeschwörer seine Kunst in ihrem größten Glanze nochmals zu zeigen bewog.

Einer meiner Kameraden bekam mit einem auswärtigen Officiere, der seine Anverwandten besuchte, auf einem Balle ernstlichen Verdruß. Der Fremde Officier forderte meinen Freund, und dieser nahm sogleich die Ausforderung an. Der zu Ende gegangene Urlaub nöthigte den Fremden, noch in derselben Nacht abzureisen. Er versprach am neunten Tage früh um acht Uhr zur Stelle zu seyn; und mein Kamerad war mit diesem Aufschube zufrieden.

Zwey Tage vor dem Duelle befand ich mich mit noch einer Menge anderer von unserm Regimente bey dem herausgeforderten Freunde. Wir waren munter und vergnügt zusammen, spielten, aßen und tranken, und dachten an nichts weniger, als daß unser Wirth am dritten Tage vielleicht nicht mehr seyn dürfte. Er selbst schien den ganzen Handel vergessen zu haben, bis er sich endlich am Ende des Jubels an den auf übermorgen festgesetzten Zweykampf, erinnerte, und mich, als seinen Sekundanten, im Scherze ersuchte: ihm doch ja morgen nochmals das große Vorhaben ins Gedächtniß zu rufen; damit den tapfern T... nicht umsonst hinter der verfallenen Schanze warten ließe.

»Ja!« — fügte er vom Weine erhitzt hinzu: — »ich wollte, er wäre izt stille; hol mich der Teufel! er sollte bald seine Abfertigung haben.«

»Laß ihn citiren, Brüderchen!« rief einer aus unserer Mitte.

»Das wäre was!« — erwiederte der Duellant: »aber wer sollte die Beschwörung übernehmen? Meister Volkerten ist ja seit seinem letzten Stückchen das Handwerk gelegt! da muß man sich also in Geduld fassen! Aber kommt der H — übermorgen nicht, wie es mir sehr glaublich scheint; dann muß Volkert dran! Und sollte ich mir's bey seinem Generale ausbitten; er muß mir den Kerl herzubannen, und ich steche seine Seele über den Haufen!«

Ein einstimmiges Bravo belohnte der Wirth für seinen unreifen Einfall. Alle stürmten bald darauf aus einander, und ich gieng nachdenkend in mein Quartier. Daß Baron T... sich nicht stellen würde, schien auch mir glaublich, und dieser Vorfall deuchte mir die beste Gelegenheit zu seyn, des Geisterbeschwörers Kunst zu prüfen. Nur zweifelte ich sehr, ob Volkert bey so bewandten Umständen sich entschließen würde, ein Probestück seiner Geschicklichkeit abzulegen. Ich nahm mir endlich vor, den Handel mit dem Duelle ruhig abzuwarten, und sodann alles mögliche aufzubieten, meinen Endzweck zu erreichen.

Ob ich mich gleich, wie die Folge lehren wird, mit meinem Kameraden in Baron T... sehr geirrt hatte; so geschah doch, was wir einstimmig vermutheten: Tag und Stunde erschienen; aber er war nicht hinter der Schanze zu finden. Wir lauerten den halben Morgen; doch vergebens: er kam nicht. Und nun eilte ich sogleich, ohne jedoch mein Vorhaben in voraus gegen den geforderten Freund mit einer Sylbe zu verrathen, zu Volkert, dem Geisterrufer.

Der wunderbare Mann lächelte bey meinem Eintritte, und schien gleich von Anfange an mehr Zutrauen, als bey meinem ersten Besuche, in mich zu setzen. Ich rückte muthig mit meinem Anbringen heraus; und er bezeigte nicht üble Lust, die Feigheit des auswärtigen Officiers zu bestrafen. Doch bewies er auch zu gleicher Zeit die größte Furcht vor dem Ausbruche der Sache, und der daraus für ihn entspringenden Unannehmlichkeiten. Ich sprach ihm zu, und widerlegte seine Einwendungen mit der Vorstellung, daß, wenn Officiere etwas begleichen von ihm verlangten, derselben Ehrenwort ihn vor allen Verdrüßlichkeiten schützte; daß er auf unser Stillschweigen sicher fußen könnte, und daß — im Fall, daß ja unvorhergesehene Zufälle den Handel verriethen — unser allgemeines Verwenden ihm jede Demüthigung oder anderweitige schlimme Behandlung ersparen würde.

Diese Gründe, nebst einer Anweisung auf goldene Aussichten siegten endlich über alle seine Zweifel. Er versprach jederzeit mit seiner Wissenschaft zu meinem Gebote zu stehen; nur verbat er sich bey dem gegenwärtigen Experimente eine all zu große Menge von Zuschauern, theils der Störung, theils der gewissern Verborgenheit halber. Ich sagte ihm dies zu, und gieng zufrieden von ihm. Mein erster Gang war nunmehr zu meinem Freunde. Ich fand ihn sehr übellaunig wegen der Feigherzigkeit seines Gegners.

»Wozu, Bruder!« — rief ich: »wozu kann all dein Aerger frommen? Baron T... bekömmt dadurch eben so wenig Muth, als du von der ganzen Geschichte Schande hast. Du hast nicht gefordert, folglich haftet auch kein Flecken an dir. Mancher würde sich an deiner Stelle Glück wünschen, so wohlfeilen Kaufes siegreich von dannen gezogen zu seyn. Gönne also dem furchtsamen Gesellen sein feiges Blut, und laß' uns ihn lieber von einer Seite fassen, wo er sich am sichersten wähnet!«

Ich war nicht gewiß, ob mein Freund das Werk, so ich begonnen, billigen würde, und sprach deshalb die letzten Worte in einem scherzhaften Tone, um mich, falls mein Vorschlag nicht behagte, gehörig zurückziehen zu können. Mein Kamerad fragte sogleich: was ich unter der Seite verstande, wobey man einen abwesenden Poltron fassen könnte.?

»Nun!« — erwiederte ich: — »wie kann man diesem anders beykommen, als wenn man ihn mit Gewalt herzuschleppen läßt? Du bezeigtest ja neulich selbst große Lust dazu, und nahmest dir vor; wenn T... sich nicht stellte, ihn durch Volkert citiren zu lassen.«

Mein Freund schien diese Rückerinnerung an einen Entwurf, den er bey halber Trunkenheit machte, als einen übel angebrachten Einfall mit Stillschweigen übergehen zu wollen. Aber ich fuhr fort von Volkert und seinen Künsten, zu sprechen.

»Scherz bey Seite!« — hub endlich mein Kamerad an: »Glaubst du wirklich an die übernatürliche Wissenschaft dieses Mannes?«

»Ich glaube nichts, was ich nicht sehe,« — versetzte ich ernsthafter: — »Laß uns einen Versuch machen, was davon zu glauben ist!«

Der Duellant sah mich, verwunderungsvoll an.

»Willst du den Schwarzkünstler zu unserem Willen bewegen?« — fragte er nach einigem Nachdenken.

»Und wenn dies schon geschehen wäre?« — entgegnete ich.

Mein Freund sah mich nochmals starr und lange an, reichte mir endlich die Hand und rief:

»Ich bin dabey!« —

Alles zu diesem Unternehmen Nöthige ward nunmehr verabredet. Noch zwey der solidesten Kameraden wurden zu unsern Gesellschaftern erwählet. Mein Freund nahm es auf sich, diese für unser Vorhaben zu gewinnen, und ich eilte wieder zu Volkert.

Zu meinem nicht geringen Erstaunen fand ich ihn anizt weniger willfährig, als vorhin. Er gab vor, sich die Sache genauer überleget zu haben, und äusserte die Besorgniß: daß diesmal sein Experiment von übelen Folgen seyn möchte; weil die Beschwörung eines Lebenden für dessen Person mit vielen Unannehmlichkeiten verknüpfet sey, und es dem Baron T... an Muth und Standhaftigkeit zu mangeln schiene. Ich konnte ihm hierin nicht widersprechen, bemühete mich aber dadurch seine Bedenklichkeiten zu überwinden, das ich ihm nochmals mit meinen Freunden für den Ausgang des in seinen Augen so gefahrvollen Handels zu haften versprach. Er schien endlich über diesen Punkt beruhiget zu seyn, erneuerte jedoch sogleich seine Einwendungen gegen die Citation, indem er den Ort des Versuches in der Wohnung meines von T... geforderten Freundes für unschicklich erklärte. Ich schlug ihm mein Quartier dazu vor, und er entschloß sich endlich nach langem Zureden, dasselbe in Augenschein zu nehmen. Hiermit zufrieden verließ ich ihn.

Volkert kam des Nachmittags, seinem gegebenen Worte gemäß, zu mir, begann aber sogleich neue Schwierigkeiten zu machen, und verwarf auch mein Zimmer als untauglich zu seinem Experimente. Ich ward endlich verdrießlich, und ließ ihm dies deutlich bemerken. Er schien wenig darauf zu achten, entschloß sich aber, ehe er von mir gieng, noch zu einem Vorschlage, der darin bestand: daß er einen bekannten Hauswirth um den Gebrauch einer ledigstehenden Wohnung ersuchen wollte, der sich auch hoffentlich für ein billiges Douceur dazu verstehen würde.

Ich ließ mir diesen Vorschlag gefallen. Nach Verlauf einer halben Stunde war Volkert wieder bey mir, und brachte mir die Nachricht: daß seine Bestellung glücklich vollführet wäre. Die Zeit zur Versaminlung wurde auf denselben Abend nach neun Uhr bestimmt. Volkert betrieb mir genau das Haus und die Gegend der Straße, wo es sich befände; erinnerte mich nochmals an mein Versprechen wegen der auf mich genommenen Wagniß, und verließ sodann geschäftig mein Zimmer. Ich beschied hierauf meinen Freund und die zwey übrigen zu dem Abentheuer erwählten Kameraden nach acht Uhr in meine Wohnung. Sie fanden sich pünktlich ein, äusserst begierig nach dem bevorstehenden Schauspiele.

Die Klocke war drey Viertel auf neun, und wir begaben uns nach dem angezeigten Hause. Der Wirth desselben war mit als ein braver, rechtschaffener Mann bekannt. Er kam bey unserm Eintritte sogleich zum Vorscheine, und bat sich von uns die Erlaubnis aus, dem Experimente mit beywohnen zu dürfen. Wir verstatteten ihm diese gern; zumal da er großes Mistrauen gegen Volkert bezeigte, und uns nicht undeutlich warnte, auf unserer Huth zu sein.

»Was mich betrift;« — setzte er hinzu: — »so habe ich solche Anstalten getroffen, die dem Geisterbanner gewiß allen Unterschleif unmöglich machen sollen.«

Wir berichteten ihm, das Betrug diesmal nicht statt finden könnte; weil die Beschwörung einem Lebendigen und keinem Todten gälte. Der Hauswirth fieng an überlaut zu lachen, und ersuchte uns: so lange in seinem Zimmer zu verweilen, bis das Volkert uns rufen würde.

»Er will nicht in seiner schweren Arbeit gestört seyn,« — fügte er spottend bey: — »Schon über eine Stunde sitzt er oben, und rumort zuweilen umher, als spielte er mit dem gesammten höllischen Heere Parforcejagd.«

Wir ließen uns bey diesem drolligten Manne die Zeit nicht lang währen. Er holte ein Paar Flaschen Wein herbey; und ehe wir es uns versahen, schlug die Klocke zehn Uhr. Kaum war der letzte Schlag geschehen; so trat Volkert, ein Licht in der Hand, zu uns herein. Sein Blick war stier, seine Gesichtsfarbe bleich, alle seine Züge schienen von einem schrecklichen Auftritte entstellt zu seyn. Sein Eintritt in unsre frohe Gesellschaft machte auf einmal allem Scherz und Lachen ein Ende. Unwillkürlich theilte sich, gleich einem elektrischen Funken, das Schauderhafte von Volkerts Ansehen allen unsern Gesichtern mit. Die feyerliche Erwartung von etwas Großem, drang plötzlich in unsere Seelen. Wir vergaßen, wo wir waren und folgten maschienenmägig dem winkenden, fürchterlichen Manne.

Er voran, bis aufs Hemde entkleidet und heftig zitternd, stieg die Treppe hinauf. Der Nächste hinter ihm war ich. Dann folgte mein herausgeforderter Freund, dann die beyden anderen Officiere, und zuletzt der Hauswirth mit zwey Lichtern. Izt hatten wir die Treppe erstiegen, und kamen auf einen geräumigen Saal. Im Hintergrunde stand eine kleine Thüre offen: unser Weg führte zu ihr. Wir giengen durch sie in ein leeres, enges Vorzimmer, bis zu einer doppelten, Flügelthure. Volkert blieb bey dieser stehen, blickte sich bebend nach uns um, und steckte den in der Hand haltenden Schlüssel in das Schloß. Er drehete langsam um. Die Flügel rauschten auseinander. Ein dicker Dampf schlug uns entgegen. Wir traten ein. Ich war der Erste.

Anfänglich verdämmerte der Rauch alle Gegenstände um mich her. Endlich bemerkte ich in der Tiefe des weiten Gemaches eine weiße, menschliche Figur. Der Dampf verlor sich allmählig durch die geöffneten Thüren, und die Gestalt wurde immer heller und heller. Ich näherte mich einige Schritte, und glaubte bekannte Gesichtszüge an ihr wahrzunehmen. Izt schwand der Nebel gänzlich und frey und klar schwebte die Figur vor meinen Augen. Ich fuhr zurück: es war der Baron T... wie er leibte und lebte. Seine schlanke Gestalt, in ein weisses Gewand gehüllet, stand unbeweglich. Sein Antlitz war das Antlitz eines Menschen, den Todesangst überwältiget. Gräßlich wallte das schwarze Haar um die entfärbten Wangen und seine Schultern herab. Starr hafteten seine Blicke auf mir und meinen Gesellschaftern. Inniges Grausen wandelte mich an jedes meiner Haare sträubte sich empor: ich zog mich zu meinen Gefährten, die schaudernd bey der Thüre verweilten.

Der Geist schien sich ist zu bewegen. Ich faßte meine ganze Standhaftigkeit zusammen, und trat wieder einige Schritte vorwärts. Bald entdeckte ich, daß die Gestalt unvermerkt näher käme, und mit ihrem Arme etwas anzudeuten versuchte. Ich bemühte mich zu reden. Es gelang mir. Aber was ich sprach, weiß ich nicht. Der Geist gab keinen Laut von sich; sondern deutete ängstlicher mit seinen Arme. Izt verstand ich, was dies sagen wollte. Der rechte Arm hieng an einer Binde, gleich als ob er gebrochen wäre.

Kaum hatte ich diese Pantomime der Schreckgestalt begriffen; so schwankte sie zurück. Ein dicker Nebel erhob sich plötzlich vor ihr, der nach und nach ihren ganzen Umfang verhüllte, nach und nach sie gänzlich unsichtbar machte. Meine Brust verengte sich; meine Sinne verloren sich. Fürchterlich tobte es vor meinen Ohren; schwärzer und schwärzer wurde es vor meinen Augen. Ich taumelte an die nahe Wand; ich war der Ohnmacht nahe.

Auf einmal wurde mir wieder leichter. Ich schlug die Augen auf, und befand mich in einem leeren geräumigen Zimmer: um mich her standen meine vorigen Gesellschafter, die so wie ich nach Luft schnappten. Volkert war nicht mehr vorhanden.

Es bedurfte lange Zeit, bis wir uns wieder völlig erholten. Meine Kameraden waren vor Schrecken ausser sich. Einer schien den Andern zu befragen: ob das, was er gesehen, Traum oder Wahrheit gewesen wäre? Der Hauswirth stand, mit in einander geschlagenen Armen und mit gesenktem Haupte, in tiefes Nachdenken versunken, bey der Thüre. Endlich ergriff er den nächst bey sich Stehenden bey der Hand, und bat uns; ihm zu folgen. Wir traten wieder in sein Zimmer, aber nicht mit der Laune, wie es vorhin geschehen war. Er ersuchte uns, eine Tasse Thee mit ihm zu trinken. Wir schlugen es aus; drückten ihm für seine Gefälligkeiten ein Paar Goldstücke in die Hand, und machten uns auf den Weg nach unsern Quartieren.

Der folgende Morgen fand mich matt und kraftlos auf meinem Lager. Die ganze verwichne Nacht war kein Schlaf in meine Augen gekommen. Ich erwartete Volkert; aber er kann nicht. Ein Zug, der mich sehr für ihn einnahm: denn er hatte seinen versprochenen Lohn noch nicht empfangen. Gegen Mittag besuchte mich der zum Duelle geforderte Freund.

»Bruder!« — rief er sogleich als er in mein Zimmer getreten war: »sage mir: was meinte der Geist gestern mit der sonderbaren Bewegung seines rechten Armes?«

»Daß er ihn gebrochen habe!« — entgegnete ich eifrig.

»Da lies!« —

versetzte mein Kamerad, und warf einen offenen Brief auf den Tisch. Ich nahm ihn, und las ohngefähr folgendes:


»Mein Herr!«

»Ein Unfall hindert mich, meinem gegebenen Worte gemäß übermorgen um acht Uhr hinter der verfallenen Schanze bey... zu erscheinen. Auf meiner Reise hatte ich das Unglück zur Nachtzeit vom Pferde zu stürzen, und den rechten Arm zu brechen. Sobald ich nur wieder in so weit hergestellt bin, daß ich eine Reise von zwanzig Meilen unternehmen kann; werde ich mir sogleich die geforderte Revange von Ihnen ausbitten. Ich bin überzeugt, Sie würden dieser Nachricht ohne Attestat Glauben beymessen. Um aber meine Schuldigkeit zu erfüllen, und um Ihnen zu keiner Ausflucht, von wegen unnöthigem Aufschube des Duells Gelegenheit zu verstatten, habe ich von unserm General-Chirurgus beyliegenden Schein ausfertigen lassen. Längstens binnen sechs Wochen glaubt mich der brave Mann zu meinem Vorhaben hinlänglich geschickt. Bis dahin verharre ich ohne Groll und Feindschaft u.s.w.

Baron F... eigenhändig unterschrieben.


Ich blickte erstaunt meinen Freund an, der tiefsinnig auf und nieder gieng.

»Nun!« — hub er endlich an: — »was meinst du zu diesem Briefe? Blos durch die Fahrläsigkeit der Postbedienten ist er zu spät an mich gekommen. Das Attestat hat seine Richtigkeit, und ich würde dem Baron auch ohne Attestat geglaubt haben!«

Ich schwieg und begann das Schreiben des unglücklichen T... aufs neue zu lesen. Die Nacht hindurch und den ganzen Morgen über schwankte ich noch zwischen Zweifeln und Glauben; von nun an war ich völlig zu des Geisterbeschwörers Vortheil eingenommen, bauete auf seine Untrüglichkeit — so wie noch diesen Augenblick — und scheute mich innerlich, vor seine Augen zu treten.

Auf Zureden meines Freundes entschloß ich mich endlich, mit ihm zugleich bey Volkert einen Besuch abzustatten. Wir trafen ihn nicht zu Hause. Erst am dritten Tage entdeckte ich ihn auf der Wachtparade. Ich gieng sogleich auf ihn los. Mein Freund und die anderen bey der Erscheinung mit zugegen gewesenen Kameraden folgten mir. Volkert zog sich zurück, sobald er mich ansichtig ward. Aber er wurde eingeholet, umringet, und zu der Zusage genöthiget: kommenden Nachmittag einen von uns zu besuchen. Er bestimmte mein Zimmer zu der Zusammenkunft, und eilte von dannen.

Punkt drey Uhr war er in meinem Quartiere. Wir zeigten ihm den Brief des Baron T... Volkert las ihn kalt, und meinte: daß ihm ja dies, so wie uns, schon seit vier Tagen bekannt wäre. Wir drangen ihm jeder einige Goldstücke für die gehabte Mühe bey der Beschwörung auf. Er nahm sie endlich, und versprach: öfterer bey uns einzusprechen, und sich durch Gegendienste seiner großen Verpflichtung zu entledigen. Nur bat er: ihn in Zukunft mit allen Geistercitationen zu verschonen.

»Ich habe viel gelitten« — setzte er hinzu: — »und fest beschlossen, mich nicht mehr in dergleichen Gefahr zu begeben. Der Himmel weiß, ob nicht noch größere Unannehmlichkeit meiner harret! Baron T... ist kein Poltron; das freut mich. Aber ich fürchte — ich fürchte.« —

Hier brach er schnell ab, und griff nach seinem Hute. Wir befragten ihn um die Ursache seiner Furcht, ermahnten ihn frey zu sprechen; doch vergebens: er wollte nicht dran, und gieng endlich mit den Worten zur Thüre hinaus:

»Ich will das Beste wünschen!«

Wir verstanden nicht, was Volkerts letzte Rede eigentlich zu bedeuten hatte und bekümmerten uns auch wenig darum. Mein Freund fürchtete sich vor keinem Duell; Volkerts Besorgniß deshalb, wofür er seine zweifelhafte Worte nahm, deuchte ihm daher zwar ein gutes Herz zu verrathen, aber sehr unnöthig zu seyn.

Acht Tage verstrichen in Ruhe und Frieden. Keiner von uns sprach weder von der Geistergeschichte, noch von dem bevorstehenden Zweykampfe. Am neunten Tage wurden wir furchtbar daran erinnert. Der geforderte Freund kam zu dieser Zeit mit dem Frühesten auf meine Stube, und warf blaß und entstellt ein zusammengelegtes Papier auf meinen Tisch. Ich ergriff es erschrocken. Es war ein neuer Brief von Baron T...

»Ich habe dies Schreiben« — unterbrach der Oesterreicher seine Erzählung: — »in Abschrift genommen, und kann ihnen diese vor Augen legen. Es lautet ohngefähr also.

[Der Oesterreicher zeigte mir in der Folge dieser merkwürdigen Brief. Ich kopirte ihn genau, und überliefere ihn hier wörtlich.]


»Mein Herr!«

»Kaum haben sich wieder in etwas meine Kräfte gesammelt; so eile ich mich bey Ihnen um einen Vorfall zu erkundigen, wovon Sie ohne Zweifel genau unterrichtet seyn werden. Am Abende des zu unsrem Duell bestimmten Tages ereignete sich mit mir eine Begebenheit, die mir gänzlich unerklärbar ist, und die ich, wenn viele Zeugen meine unaussprechlichen Leiden nicht bestätigten, sehr geneigt wäre, für einen bloßen Fiebertraum zu halten.

Ich wurde nehmlich an diesem Abende nach acht Uhr von einer Angst überfallen, die das Schrecklichste, was ich mir je von Todeskampfe und von Bangigkeit beym Hinscheiden der Seele vorstellte, weit hinter sich ließ. Kalter Schweiß floß stromweise an meinem ganzen Körper herab. Ich hoffte ausser meiner Lagerstätte Ruhe zu finden; aber nur gräßlichere Qualen warteten meiner. Die Unruhe meines Geistes vergrößerte sich jeden Augenblick. Ich zitterte und bebte, daß meine Zähne klappten, und meine Gebeine zusammenrasselten. Diese Angst stieg zwey Stunden lang immer höher und höher, bis endlich die gegenwärtigen Freunde das Ende meines Lebens vermutheten, und mich wieder zu Bette brachten. Hierin lag ich eine halbe Stunde wie entseelt, und ich war es auch wirklich. Ich kann die letzte Empfindung meiner Todesmarter nicht anders beschreiben, als durch einen zermalmenden, bis in das Innerste meines Herzens dringengenden Stoß; worauf ich mich auf einmal wie in einen Traum versetzt fühlte — aber in einen so schauerlichen Traum, wie ich ihn noch nie gehabt habe.

Ich befand mich in einer Gesellschaft, worin ich nicht gern verblieb, und wo mich wohlbekannte Personen auf die gräßlichste Art und Weise folterten. Endlich kam ich zum Erstaunen meiner Freunde wieder zu mir selbst; doch in einem Zustande, der die größte Schwäche verkündete, und der meinen Freunden und Aerzten aufs neue die äußerste Besorgniß um mein Leben verursachte. Alle diese sprechen izt laut von unnatürlichen Dingen; und mir selbst ist dies nur leider allzuwahrscheinlich. Schreiben Sie mir deshalb Antwort. Denn Sie müssen um diese Dinge wissen. Ich sage es noch einmal: Sie müssen um diese Dinge wissen u.s.w.«


Die Sensation, die dieser Brief bey uns machte fuhr der Erzähler fort: — können sie sich, meine Herren, leicht gedenken. Ich las in meines Freundes Augen die bittersten Vorwürfe, daß ich ihn zu einer so unbesonnenen Handlung, als die Citation des Baron T... war, verleitet hatte. Denn die ernste Wendung, die dieser nekromantische Versuch zu nehmen begann, ließ uns den übelsten Ausgang befürchten. Doch alle unsre Furcht war nichts gegen die Angst, worein der Beschwörer selbst bey jener Nachricht gerieth. Izt sahen wir deutlich ein, wohin die zweifelhaften Worte bey seinem letzteren Besuche gezielet hatten. Nie habe ich einen Menschen in peinlicherer Verlegenheit gesehen, als den guten Volkert, da er den schrecklichen Brief des Baron T... durchlas. Seine Bangigkeit trieb ihn nach dessen Beendigung bis zur Verzweiflung. Er rang die Hände, schlug sich ins Gesicht, zerraufte sein Haar, und rief unaufhörlich:

»Ich bin verloren! Ich bin verloren!«

Er fiel endlich vor uns auf seine Kniee, und beschwor uns bey allem was heilig ist: seiner zu schonen, und ihn nicht lebenslang unglücklich zu machen.

»Ich habe es vorhergesehen;« — jammerte er: — »ich habe es vorhergesehen, ach hätte ich mich nur diesmal nicht wieder verblenden lassen, und dem gottlosen Handwerke meine Hände geliehen!«

Wir trösteten ihn durch die Zusage: alle etwa noch entstehenden Verdrießlichkeiten einzig auf uns allein zu nehmen. Er wollte aber diesen Trost nicht fassen.

»Man kennt mich — man kennt mich!« — schrie er laut, und rennte ausser sich von uns.

Ich überlegte nun mit meinem Freunde, was bey so gestalten Sachen zu thun wäre. Wir hielten beyde für das Beste, das Schreiben des Barons gar nicht zu beantworten; sondern ruhig und geduldig abzuwarten, bis er käme, und die verlangte Satisfaction nochmals forderte. Dieses Resultat unsrer reiflichen Ueberlegung befolgten wir. Volkert, der von Stund an viel geschmeidiger und demüthiger, und nunmehro beynahe unser täglicher Gast ward, gab diesen Maaßregeln seinen vollkommensten Beyfall; nur verursachte ihm stets die Erinnerung an die heranrükende Ankunft des Baron T... das mächtigste Herzklopfen.

Die Zeit kam indessen immer näher, wo sich mein Freund seines Gegners versahe. Schon lebten wir seit dem ersten Briefe in der sechsten Woche. Eine fernere Nachricht hatten wir nicht erhalten. Eines Morgens sitze ich ruhig mit meiner Pfeife bey einem Buche, und denke an nichts weniger, als daß ich der Erste seyn sollte, dem der Baron seine Gegenwart kund thun würde: da tritt mein Pursche herein, und meldet einen fremden Officier bey mir. Ich springe sogleich zur Thüre hinaus, und sieh da! es ist T..., der mich zu sprechen begehret. Ich kann es nicht leugnen; ich entsetzte mich etwas vor ihm. Sein Gesicht entdeckte noch merkliche Spuren von einer schweren Krankheit. Ein gewisses melancholiches Wesen; das den unverkennbarsten Stempel tiefer Seelenleiden an sich trug, war in seinem ganzen Benehmen sichtbar, und erinnerte mich deutlich an jenen verabscheuungswürdigen Abend.

Er trat mit einer stummer Verbeugung in mein Zimmer, und begann nach einer bedeustungsvollen Pause folgende Anrede:

»Herr Lieutenant, sie sind der Sekundant: des Herrn von C... Ich bin zwiefach von diesem ihren Freunde beleidiget: einmal während meiner Gegenwart auf dem hiesigen Carneval; das anderemal während meiner Abwesenheit. Die Größe des mir angethanen Schimpfes wird ihnen bekannt seyn. Ich will ihren Freund nicht öffentlich einer so schwarzen, schändlichen Handlung beschuldigen, wie er an mir verübet hat, und wovon noch klare Denkmäler auf meinem Gesichte eingeprägt sind. Aber Genugthuung verlange ich auch für diese Schmach, für diese Leiden. Ich habe ihm geschrieben, und er hat mir nicht geantwortet: Beweis, das er ein ihm aufgebürdetes Verbrechen, wovon ich mich damals noch nicht bis zur Gewißheit überzeugt glaubte, als wahr anerkannte. Hier bin ich zu dieser gelanget. Ich weiß alles — weiß sogar den Mann, der den teuflischen Anschlag vollführen half. Fragen sie nicht! wodurch?« —

Diese Worte sprach er mit einem Nachdrucke begleitet, der jede Entschuldigung zum Besten des Lieutenants C..., in meinem Munde stocken machte. Auch erwartete er meine Gegenrede nicht; sondern fuhr nach kurzem Stillschweigen fort:

»Mein Arm ist noch nicht im Stande, den Degen zu führen. Ich verlange also einen Zweykampf auf Pistolen. Machen sie dies ihrem Freunde kund. Ich hoffe, er wird mich nicht nöthigen, ihn mit Gewalt zur Annahme dieses Vorschlages zu bewegen. Klock sieben Uhr bin ich morgen mit vier Pistolen auf dem schon neulich bestimmten Platze. Bis dahin leben sie wohl; und sagen sie ihrem Freunde: daß ich deswegen nicht selbst zu ihm gekommen wäre, weil er nur gern mit Wesen ohne Körper zu thun hat; und daß ich deswegen nicht mehr an ihn geschrieben hätte, weil er mir auf meinen letzten Brief die Antwort schuldig geblieben ist!«

Hier stand der Baron auf, und verließ mich in einer Verlegenheit, die mir nicht erlaubte, ein Wort gegen ihn aufzubringen. Ich eilte betroffen zu meinem Freunde. Er erschrack nicht minder, als ich erschrocken war; zumal da der Fremde alles zu wissen vorgegeben hatte. Indessen stützte er sich auf seiner Muth, und machte sogleich Anstalt auf den Fall, daß er das Unglück hätte, seinen Gegner zu erlegen. Ich war ihm behülflich hierzu; und so verstrich der ganze Tag unter Beschäftigung.

Volkert kam, wie izt gewöhnlich, des Abends zu uns: denn bey Tage vermied er sorgfältig zu verrathen, daß er mit uns in genauerer Verbindung stünde. Er zitterte heftig, da er des Baron T... Anwesenheit vernahm. Als er aber erfuhr, daß derselbe die ganze Sache zu unterdrücken geneigt sey, und blos doppelte Satisfaction von dem Lieutenant C..., verlange: so verließ ihn seine ganze Furcht, und er machte sich anheischig, dem Bedienten meines Freundes, der eben beschäftiget war, das auf morgen bestimmte Gewehr zu putzen und zu laden, in dieser Arbeit beyzustehen. Er verstand seine Sache vollkommen. In kurzer Zeit waren alle vier Pistolen blank und scharf geladen. Er setzte sich nunmehr zu uns; und wir schwatzten bey einer Schaale Punsch ziemlich heiter bis gegen Mitternacht zusammen.

Izt beurlaubte sich Volkert, und versprach: morgen in aller frühe nochmals meinen Freund zu besuchen; weil man doch nicht wissen könnte, ob man einander nach dem Duelle wiedersähe. Von der Art und Weise, wie der fremde Duellant den eigentlichen Vorgang der Beschwörung, und den Mann, der dieselbe vorgenommen hatte, in Erfahrung gebracht, wollte er anfänglich nicht viel sagen; verhieß uns aber bey seinem Weggehen, morgen auch hiervon Nachricht zu ertheilen.

Ich blieb die ganze Nacht über bey meinem Kameraden. Gegen Morgen warfen wir uns ein wenig auf das Bette; wurden jedoch schon um sechs Uhr von Volkert gestöret,

»Meine Herren!« — sprach er nach einem kurzen Gruße: — »ich komme von ihnen Abschied zu nehmen.«

Wir sahen ihn erstaunt und zweifelhaft an.

»Ja!« — fuhr er fort: »es ist nun einmal nicht anders. Ich muß von hier weg, und danke Gott, daß dies noch mit Ehren geschiehet. Ich versprach ihnen gestern Bericht von der Art und Weise, wie der Herr Baron T... mich, als seinen Aengstiger, ausgekundschaftet hat. Hier haben sie ihn! — Das Nehmliche, was ihnen dieser in seinem zweyten Briefe schrieb, hatte er auch an seine Familie hier in der Stadt berichtet. Die Anverwandten erkannten sogleich an diesem Meisterstückchen meine Hand. Denn ich bin leider als Geisterbanner schon seit Jahr und Tag bey Vornehmen und Geringen berühmt. Sie meldeten den Vorgang dem Gouverneur. Und dieser, der gewaltigen Respect vor mir hat, wollte sich mit der Sache nicht einlassen; sondern ersuchte meinen General, den Handel in der Stille beyzulegen, und mich je eher je lieber aus Stadt und Land zu entfernen. Das hatte mein Chef lange im Sinne gehabt, und nun fand sich zu gleicher Zeit die beste Gelegenheit dazu. Er nahm mich eines Tages allein.«

»Volkert! — sagte er in gemäßigtem Tone: — »du lässest dein Unwesen nicht; und was ich dir bey der letzten Geschichte versprochen habe, sehe ich mich izt genöthiget zu halten. Du mußt fort von hier. Doch fürchte nichts Schlimmes bey deiner Versetzung. Ich will dich in dein eigentliches Element befördern: du sollst auf Werbung.«

»Ich sprang vor Freude hoch in die Höhe, denn dies war längst der Inbegriff aller meiner Wünsche gewesen. Vergangene Woche bekam ich nun meine Anweisung, meinen Beglaubigungsschein und einen Sack mit Gelde; bloß um den Ausgang der Begebenheit mit Baron T... zu erwarten, verschob ich noch meine Abreise: Ist das Duell vorbey; dann hält mich nichts mehr zurück: ich gehe gern und willig ins Reich, und fange an, frisch drauf los zu werben.«

Wir verwunderten uns, den düsteren schwermüthigen Volkert auf einmal so munter zu sehen. Doch ließ er uns nicht Zeit, weder dies Erstaunen, noch den Vorwurf: daß er so versteckt gegen uns war, zu äussern. Er kam rasch auf uns los, drückte uns die Hände, wünschte dem Duellanten Glück zu seinem Vorhaben, und ersuchte ihn: falls er den Baron erlegte, einen Weg zu nehmen, der sie beyde zusammen brächte.

»Vielleicht« — setzte er hinzu: — »kann ich ihnen dann besser, als bisher, mene Liebe und Achtung beweisen.«

Mir versprach er, wenn es ihm anders möglich wäre, nach dem Duelle noch einen Besuch abzustatten; und verließ uns sodann eilig.

Es muß ihm nicht möglich gewesen seyn, sein Versprechen zu halten: er kam nicht.

Unter Volkerts Erzählung und Abschiede war die Hälfte der letzten Stunde vor dem Zweykampfe verstrichen. Izt nahmen wir noch das Frühstück ein, und machten uns sodann reisefertig. Es schlug eben sieben Uhr, als wir uns auf den Weg begaben. Unsere Diener wurden mit den Pferden vorausgeschickt. Baron T... wartete unsrer schon mit seinem Sekundanten, diesem gleichfalls auswärtigen Officiere, hinter der Schanze. Er schien den Verzug für üble Vorbedeutung gehalten zu haben, und wollte sogleich zur Sache schreiten. Ich bat um einige Augenblicke Geduld, und that den Antrag: ob es ihn nicht gefällig wäre, sich etwas weiter ins Feld zu begeben; weil das Geräusch eines Schusses von dem Geklirre eines Degens weit unterschieden wäre; und weil man anfänglich, der letzteren Art des Zweykampfes gemäß, diesen Platz hinter der Schanze bestimmet hätte.

Der Baron fand diese Vorsicht unnütz, indem, wie er sagte, der Flüchtige immer noch Zeit genug übrig behalten würde, ehe jemand in diese wüste Gegend gelangte. Doch setzte er sich auf sein Pferd, und ritt eine gute Strecke vorwärts. Wir dankten ihm für seine Gefälligkeit, und stiegen ab. Der Raum wurde abgemessen; auf ausdrückliches Begehr des Barons nicht mehr als vier Schritte.

Mein Freund schoß zuerst, und fehlte. Izt schoß Baron T..., und fehlte. Mein Freund brannte die zweyte Pistole ab, und fehlte wieder. Baron T... brannte die zweyte Pistole ab, und streifte seinen Gegner an der linken Wange. Der Lieutenant C... gerieth in Verlegenheit. Ich sah deutlich, daß er zitternd nach dem dritten Gewehre griff. Ich fragte deshalb den Fremden: ob er noch nicht hinlänglich begnüget sey? Der Fremde schüttelte schweigend den Kopf: Mein Freund faßte sich, und feuerte zum drittenmale los:wieder ein Fehlschuß. Der Baron antwortete, und seine Kugel flog durch des Lieutenants Schulter. Ich drang izt ernstlicher in den Fremden, den Duelle ein Ende zu machen. Aber er wandte sich lachend, und nahm aus der Hand seines Sekundanten die vierte Pistole. Mein Freund schoß die seinige in die Luft. Der fremde zielte, drückte ab, und die letzte Kugel sausete durch des Lieutenants Hut. Nun reichte Baron T... kaltblütig meinem Freunde die Hand, setzte sich sodann zu Pferde, und jagte mit seinem Sekundanten nach der Stadt zu.

Der Lieutenant wurde indessen schwächer und schwächer. Heftig strömte sein Blut: alle die meinige und seines Bedienten Mühe war vergebens; wir vermochten es nicht zu stillen. Ich schickte meinen Purschen in die Stadt nach einem Wagen, und that, bis dieser kam, das Möglichste, den guten C... bey Kräften zu erhalten. Endlich langte die Kutsche mit einem unserer Feldscheerer an. Die Wunde meines Freundes ward nicht gefährlich befunden. Der Feldscheer verband ihn, und wir brachten ihn nach seinem Quartiere: Sein Gegner hatte schon, wie wir sogleich bey unserer Ankunft in der Stadt erfuhren, sammt dem Sekundanten Arrest. Durch wen der Handel war verrathen worden, wußte niemand zu sagen. Der Auditeur erschien in kurzer Zeit bey meinem Freunde. Ich wurde statt ihm scharf examinirt, doch von dem Auditeur versichert: daß weder ich, noch der Kranke, etwas unangenehmes zu befürchten hätte.

»Es ist bekannt« — fügte er hinzu: — »daß ihr Freund den Streit nicht angefangen, und auch nicht seinen Gegner gefordert hat.«

Ich bat ihn: mir den Angeber zu entdecken. Er sann ein Weilchen nach; dann versetzte er:

»Wohl! ich kann es ihnen sagen; der Mann ist nicht mehr hier. Es ist Volkert, der berüchtigte Korporal vom R... Regimente; der zum Verräther an ihnen geworden ist.«

»Volkert!« — rief ich, und das Wort blieb zur Hälfte in meinem Munde. Der Auditeur bejahete es nochmals schweigend, und verließ mich. Ich gieng ihn nach, und fragte ihn: ob Volkert sonst noch etwas berichtet hätte?

»Das ich nicht wüßte!« — war seine Antwort: — »Er ist diesen Morgen auf Werbung gegangen, und hat kurz vor seiner Abreise dem Gouverneur gemeldet: daß sich heute ein auswärtiger Officier hinter der alten Schanze auf Pistolen schlagen würde, der ein Erzzänker sey, und seinen Gegner, den Lieutenant C..., mit Gewalt zu dem Duelle gezwungen habe. Der Gouverneur ließ sogleich nachspüren; allein es war schon zu spät. Die Herren Duellanten hatten bereits ihre Sache ausgemacht. Baron T... kam nach der Stadt zurück, und wurde nebst seinem Sekundanten arretirt. Das ist alles, was ich weiß, und was ich ihnen sagen kann.«

Ich gieng nachdent kend zu meinem blessirten Freunde zurück. Unerklärbar schien mir Volkerts Betragen. Viel Liebe für meinen Kameraden leuchtete zwar bey diesem letzten Verfahren durch: dessen ungeachtet aber begriff ich nicht, was seine eigentliche Absicht dabey gewesen seyn könne; da ihm doch die zum Zweykampfe bestimmte Stunde nur allzuwohl bekannt war, und er also, wollte er Unglück verhüten, beyzeiten die Sache verrathen mußte.

Die Wunde, meiner Freundes hatte nicht viel zu bedeuten. Er vermochte schon am zehnten Tage sein Zimmer zu verlassen. Sein erster Gang war zum Gouverneur. Er hatte sich wenigstens auf einen vierwöchentlichen Arrest gefaßt gemacht; allein zu seiner größten Verwunderung entließ ihn der sonst strenge Mann mit einer väterlichen Vermahnung. Unser General ignorirte den ganzen Vorgang. Baron T... reisete nach einem monatlangen Arreste in seine Garnison zurück. Alle unsere Officiere hatten Achtung vor ihm, und behaupteten: er hätte aus edlem Stolze jedes Vorwort seiner Familie für sich selbst verbeten; da hingegen mündlich und schriftlich der Gouverneur um die Erlassung der Strafe seines Gegners von ihm ersucht worden wäre. —

»Doch« — begann der Erzähler: — »ich will ihre Geduld, meine Herren, nicht länger ermüden, und meine wunderbare Begebenheit beschließen. Ich glaube meine anscheinend irrige Behauptung durch Volkerts Experiment hinlänglich bewiesen zu haben, und sage ihnen für ihre Aufmerksamkeit den verbindlichsten Dank. Die Wahrheit der erzählten Geschichte verbürgt ihnen meine Ehre. Sie werden verzeihen, wenn ich zu viele Nebenumstände eingewebt habe, die eigentlich nicht meiner Absicht entsprachen. Ich wollte ihnen den sonderbarsten Mann den ich während meines ganzen, an Erfahrung reichen Lebenslaufes kennen lernte, auf das genaueste beschreiben, Ob ich gleich nicht im Stande bin, seinen Charakter in dasjenige Licht zu setzen, worin ich ihn gern selbst erblicken möchte; so bin ich doch überzeuget, daß sie seinen übernatürlichen Kenntnissen Glauben beymessen, und von nun an die starke Wahrheit: daß sich Geister dem menschlichen Auge versichtbaren können, nicht mehr in Zweifel ziehen werden.«

*

Hier schwieg der ernste Oesterreicher, und schien wenig bekümmert zu seyn, und was für Sensation seine Erzählung bey uns hervorgebracht hätte. Die imposante Art und Weise, womit er dieselbe schloß, und das Ansehen, worin er überdies bey uns allen stand, hinderte jeden, seine Bemerkungen über das Gehörte zu machen. Was mich betraf, so fand ich zwar in der Begebenheit mit den Duellanten viel Fabelhaftes; dennoch aber verschlang die Ehrfurcht, die ich einmal für den würdigen Erzähler gefaßt hatte, jedes Mistrauen, das meine Vernunft in die Wahrheit seiner wunderbaren Geschichte setzen wollte. Mein Entschluß, ihm das Abentheuer im wüsten Schlosse anzuvertrauen, gedieh nun mehr zu seiner völligen Reife; und ich nahm mir vor, die erste Gelegenheit zu ergreifen, wo ich ihn allein sprechen und von meinem Geheimnisse unterrichten könnte.

Die anderen Werber saßen noch, während dies in meiner Seele vorgieng, ohne ein Wort zu reden, und schienen zu überlegen: wie sie, ohne unhöflich zu seyn, ihre vorherigen Zweifel an Geisterleben nicht zurücknehmen, und doch ihrem ehrwürdigen Gegner das Feld überlassen möchten.

»Schade!« — hub endlich der Eine von ihnen an: — »Schade, daß Volkert nicht hier ist! Er würde auch uns davon überzeugen, was jedem unbefangenen Wahrheitsforscher, bis ihm selbst die gewisseste Erfahrung in die Hände kommt, unglaublich dünken muß.«

Der Oesterreicher würdigte den Sprecher keines Blicke; sondern stand auf, und griff stillschweigend nach seinem Hute.

»Aber« — rief ein Anderer: — »haben sie denn keine weitere Nachricht von Volkert erhalten? Ist er nicht mehr von der Werbung zurückgekommen?«

»Er ist todt« — erwiederte der Oesterreicher.

»Todt?« — wiederholten wir alle, wie aus einem Munde.

»So ist es!« — fuhr der Oesterreicher kalt fort: — »Er verunglückte schon im zweyten Jahre seiner Werbung mit einem ansehnlichen Transporte. Zehn seiner besten Rekruten verschwanden. Man gab ihm die Schuld. Er gerieth in Verzweiflung und verschoß sich.«

»Ein trauriges Ende für einen Geisterbanner!« — rief der vorige Frager.

»Und das gewöhnliche!« — fügte sein Nachbar etwas vorlaut hinzu.

Der Oesterreicher sah den Spötter starr an.

»Lebte Volkert doch noch!« —

begann izt derjenige, der in dem unheimlichen Gasthofe logirte, und der Ursache an dem ganzen Geisterstreite und an des Oesterreichers Erzählung war:

»Lebte der brave Mann doch noch; er sollte bald meinem Wirthe Ruhe verschaffen, und all dem Gerede ein Ende machen!«

Der Oesterreicher gieng mit einer stummen Verbeugung zur Thüre hinaus. Ich folgte ihm auf dem Fuße.

»Sie werden meine Freyheit verzeihen!« — sprach ich: — »Ich fühle mich gedrungen, ihnen eine Sache anzuvertrauen, die« —

»Ich morgen früh hören will.« —

fiel er mir trocken ins Wort, bestimmte mir seine Wohnung, und schlug eine Nebenstraße ein. Es war schon spät in der Nacht: ich gieng in mein Quartier. Kaum graute der folgende Tag, als mich der Schlaf verließ. Ich stand auf, zog mich an, und harrte mit Verlangen auf den Klockenschlag acht, den ich mir zum Zeichen meines Besuches bey dem österreichischen Officiere vorgesetzet hatte. Peinlich lang deuchten mir die drey Stunden, die ich noch bis dahin verweilen mußte. Endlich schlug die ersehnte Klocke, und ich begab mich auf den Weg. Der Oesterreicher nahm mich nach seiner Art ziemlich höflich auf. Er nöthigte mich sogleich zum sitzen, stopfte mir selbst eine Pfeife, und fragte, nachdem ich sie angebrannt hatte: was zu meinem Belieben stünde

»Reden sie frey!« — setzte er hinzu: — »sie haben mit einem ehrlichen Manne zu thun.«

Ich begann ihm nach einigen Umschweifen die Absicht meines Besuchs kund zu thun. Er bat mich zur Sache zu kommen; und ich nahm keinen ferneren Anstand, daß Abentheuer der wüsten Burg mit allen dazu gehörigen Umständen zu erzählen. Er hörte mich bis zum letzten Worte mit der größten Aufmerksamkeit an. Izt hatte ich geendiget, und gab ihm zu verstehen, daß ich wünschte an seiner Hand dieser anscheinend trüglicher Begebenheit auf den Grund zu kommen. Er sah mich bedächtig an, und ich schwieg, mit der größten Sehnsucht seinen Entschluß erwartend. Lange mußte ich auf diesen harren. Der Oesterreicher hatte seinen Sitz verlassen, und gieng nachdenkend hin und her.

»Freund!« — rief er endlich: »was ist ihr Endzweck bey einem so gefahrvollen Unternehmen?«

»Kein anderer« — erwiederte ich: — »als die Betrüger zu züchtigen, und meinen Diener wieder zu erhalten.«

Der Oesterreicher schüttelte den Kopf.

»Wissen sie gewiß« — fragte er weiter: — »daß ihr Diener in keiner Verbindung mit den wilden Jägern stand?«

Ich stutzte.

»Nein!« — war meine Antwort nach einigem Nachsinnen: — »das ist nicht möglich. Der Kerl war zu ehrlich, und welche Absicht« —

»Sie haben Recht!« — fiel mir der Oesterreicher in die Rede: — »Keine Absicht konnte hier nicht statt finden. Sie lieferten sich selbst in die Macht der Geister.«

Er gieng wieder einigemal auf und nieder.

»Gut dann!« — rief er schnell und entschlossen: — »ich begleite sie. Und wenn sie wollen, heute noch reisen wir ab.«

Ich war sogleich bereit dazu. Wir verabredeten das Nöthige, und setzten den Termin zur Abfahrt gegen Abend fest. Der Oesterreicher erbot sich, einen seiner Unterofficiere mitzunehmen: ich sagte das Nehmliche zu. Aeusserst vergnügt kehrte ich endlich gegen Mittag nach meiner Wohnung zurück, und machte die schleunigsten Anstalten zur Abreise. Wir fuhren des Abends um acht Uhr aus F... Niemand war von unserem Endzwecke unterrichtet. Unsere Korporale wähnten in Amtsgeschäften zu seyn, und schienen sich sehr zu wundern, daß zwey verschiedene Werber gemeinschaftliche Sache gemacht hätten. Wir rissen sie aber sogleich unterweges aus ihrem Irrthume, und bemerkten zu unserer größten Freude, daß das Abentheuer den beyden Graubärten nicht unwillkommen war.

Ohne den geringsten merkwürdigen Vorfall kamen wir am dritten Tage in der berufenen Gegend an. Wir hatten schon den Schwarzwald im Rücken; noch aber war es unseren Augen unmöglich, ein Dorf zu entdecken. Ich kannte den Plaz genau, wo die vor dem Geisterschlosse befindlichen Häuser ihren Anfang genommen hatten. Ich zeigte meinen Reisegesellschaftern den Bach, wo der Greis saß, und wo zwischen ihm, meinem ehemaligen Gefährten und mir das seltsame Gespräch vorfiel. Wir sahen und sahen; aber vergebens! kein Haus ließ sich erblicken. Izt fuhren wir eine kleine Anhöhe hinauf: wie ward mir! statt des Dorfes gewahrten meine Augen auf einmal eine Brandstätte. Tief im Hintergrunde standen noch einige armselige, unversehrte Hütten, und noch tiefer erhob sich fürchterlich die öde Burg. Wir blickten einander erstaunt an. Der Oesterreicher stieg ab. Ich und die beyden Unterofficiere folgten ihm. Ueber Schutt und Trümmer klimmten wir bis zu den übriggebliebenen Häusern. Die Einwohner derselben kamen uns entgegen, blasse, hagere, mit Lumpen bedeckte Gestalten. Sie rangen die Hände, und schrien und weinten. Wir zogen unsere Börsen, und theilten aus.

»Kinder!« — sprach ich: — »wann ist das geschehen?«

»Ach!« — jammerten sie: — »wer uns das gesagt hätte, wie Sie noch bey uns waren! Ach, was ist aus uns geworden! All unser weniges Hab und Gut ist vollends dahin.«

Ich wiederholte meine Frage: Wann der Brand gewesen wäre?

»Gleich am folgenden Tage nach Ihrer Abreise« — antworteten die Unglücklichen.«

Meine Seele durchfuhren bange Ahndungen. Des Oesterreichers Blick schien sie zu billigen. Ich erkundigte mich nach dem Wirthe, und erfuhr, daß er in den Flammen umgekommen wäre. Das Feuer, berichtete man uns, sey plötzlich zur Nachtzeit an verschiedenen Stellen auf einmal ausgebrochen. Keine Kettung irgend einer Habseligkeit wäre möglich gewesen. Viele Einwohner hätten ihr Leben verloren. Fast alles Vieh sey verbrannt. Niemand wäre in der Angst auf Löschen bedacht gewesen. Mir ward heiß und enge: denn ich wähnte mich izt überzeugt, die Veranlassung zu diesem Brande gegeben zu haben.

Wir traten in eine der Hütten. Sie wimmelte von halbnackenden Menschen. Ich wurde allgemein erkannt. Ein gräßliches Wehklagen empfieng mich. Gute Leute! — dachte ich: — wüßtet ihr erst, was ich vermuthe! Meine Baarschaft war nicht hinreichend, die Unglücklichen gänzlich zu trösten: ich gab sie aber willig hin, und freuete mich herzlich, wenigstens in etwas den Schaden, den ich angerichtet hatte, vergütigen zu können.

Der Oesterreicher sah mich freundlich an, und folgte meinem Beyspiele, in so weit es ihm die Sorge für unsere Reise erlaubte. Ich wagte, mich nach dem Geisterschlosse zu erkundigen. Die Abgebrannten schauderten, und gaben deutlich zu verstehen, daß sie dem letztern Besuche in demselben ihr Unglück zuschrieben. Ich vermochte hierauf nichts zu erwiedern, und fragte eiligst nach dem nächsten Dorfe. Sie wiesen uns den Weg dahin, und geleiteten uns auf einem anderen zu unserer Kutsche, der nicht über die Spuren des wüthenden Feuers führte. Wir setzten uns von den Seegenswünschen der Verunglückten begleitet ein, und der Wagen rollte schnell von dannen.

Noch außer mit von dem Gesehenen und Gehörten, war ich lange Zeit nicht vermögend, ein Wort zu reden. Der Oesterreicher, sprach viel, und sein Vorhaben, mich zu zerstreuen, gelang. Nach einer kurzen halben Stunde kamen wir auf einem ansehnlichen Dorfe an. Wir entschlossen uns; hier den Rest des Tages über zu verbleiben, und zur Abendzeit heimlich nach dem wüsten Schlosse zu wandern. Unser Wirth konnte oder wollte uns auf alle Fragen wegen des benachbarten, abgebrannten Dorfes wenig Bescheid geben. Wir hätten gern in Erfahrung gebracht, ob das wüthende Heer noch bey Nachte daselbst hausete; aber die Erreichung unserer Absicht war bey diesem Manne unmöglich.

Mein Korporal gieng auf Kundschaft aus, und hatte das Glück, bey dem Schulmeister des Ortes hinlängliche Berichtigung zu erhalten. Er kam nach einer Stunde zurück, und erzählte uns, daß dieser ihm anvertrauet habe: die in der benachbarten Burg residirenden Geister hätten das dabey befindliche Dorf in Brand gesteckt, und ließen seit dieser Zeit nichts mehr von sich vernehmen. So äusserst widerwärtig diese Nachricht für unser Vorhaben auch war, so gaben wir deshalb dasselbe doch nicht gänzlich auf. Der Oesterreicher bezeigte großes Verlangen, den berüchtigten Ort wenigstens in genaueren Augenschein zu nehmen; wir verharrten daher bey dem einmal gefaßten Entschlusse, und begaben uns, sobald es finster ward, alle vier zu Fuße auf den Weg.

Die Nacht brach ein, ehe wir auf dem abgebrannten Dorfe anlangten. Wir giengen von hinten herum, und kamen unbemerkt in das Schloß. Auf dem Hofe zündeten wir einige zu diesem Behufe von F... mitgenommene Kerzen an, und stiegen die Wendeltreppe hinauf. Der Oesterreicher durchforschte alles genau. Ich fand ganz noch das Alte; sogar, der von meinen ehemaligen Gesellschaftern und mir zubereitete Tisch, nebst den rings umher befestigten Gesäßen, war noch unangetastet zu sehen. Endlich hatte der Oesterreicher genug gespähet, und wir stiegen wieder die Stiege hinab. Unser Weg gieng nun zu dem der Treppe gegenüber liegenden Keller. Er war fest verschlossen, wie ich ihn bey meiner ersten Untersuchung gefunden hatte.

Wir traten anizt in den Garten, und suchten und forschten so lange, bis wir endlich so glücklich waren, die Oeffnung der Höhle zu entdecken, wodurch ich mit dem Baron R... und seinem Hofmeister aus den unterirrdischen Gemächern entkam. Wir drangen hinein. Dumpf dröhnte der hohle Boden unter uns. Grausend brachen sich die Strahlen der Kerzen an den bemoosten Wänden des tiefen, schmalen Ganges. Endlich gelangten wir in den wüsten Stall, und bemerkten sogleich zu unserem innigen Vergnügen die Stelle an der Breterdecke, wo der Baron eingebrochen und herabgefallen war.

Wir vermochten mit unseren Händen bis hinauf zu langen, und waren schon im Begriffe, einer dem anderen empor zu helfen; als wir in der finstersten Ecke des Stalles eine Leiter, und in der Höhe bey derselben ein Pförtchen gewahr wurden. Ich untersuchte, ob die Sprossen der ersteren fest wären. Sie waren es, und ich stieg frisch hinan.

Auf einen schwachen Stoß öffnete sich das Thürchen, und ich trat mit meinem mir folgenden Gefährten in das bekannte weite Gemach. Ein Sprung half uns über die eingesunkenen Dielen hinweg. Wir stiegen die Stufen, die neulich der Baron im Finstern herabtaumelte, hinauf, und befanden uns bald alle viere in dem hohen, engen, gemauerten Gange. An der linken Seite desselben erblickten wir verschiedene kleine eiserne Thüren. Eine davon sprang auf des Oesterreichers Anstoßen auf, und entdeckte uns den Eingang in ein dumpfes rundes Gewölbe, woraus eine steinerne Treppe in das verfallene Seitengebäude, das der Kellerpforte im Hofe gegenüber lag, führete.

Ohne uns hier weiter aufzuhalten, setzten wir unseren Weg bis an die große Thüre fort, die in das unterirrdische Hauptgemach leitete. Durch sie entrann ich mit meinen ehemaligen Gesellschaftern aus diesem gräßlichen Aufenthalte; aber izt war sie fest von innen verriegelt, und beraubte uns aller Hoffnung, weitere Entdeckungen zu machen. Wir versuchten wechselsweise unsere Kräfte, das mächtige Thorwerk aus seinen Angeln zu heben; umsonst! seine Stärke spottete aller angewandten Mühe.

Indem wir noch so standen, und uns nicht entschließen konnten, wieder rückwärts zu gehen, vernahmen unsere Ohren auf einmal das entfernte Geräusch eines Schlosses, das geöffnet wird. Bald hörten wir ein Paar Flügelthüren aus einander rasseln, und im nehmlichen Augenblicke die lauten Tritte vieler herabsteigenden, gespornten Stiefeln. Das Getös kam näher und näher; endlich ertönte von dumpfem Lerme das ganze unterirrdische Gewölbe. Wir blickten einander mehr erfreuet als erschrocken an. Unserer waren vier Mann, jeder mit Seitengewehr und zwey scharf geladenen Pistolen versehen; was hatten wir also zu befürchten? Der Oesterreicher stand zunächst an dem Thore, und blieb sich völlig gleich. Nicht lange, so erschallten hörbare Worte. Eine rauhe Stimme rief:

»Herbey mit der Beute!«

Es entstand ein düsteres Gewirr. Man rechnete zusammen; man zählte Geld; man stritt, man zankte; man versöhnte sich wieder: das Gewirr nahm kein Ende. Endlich schien man fertig zu seyn. Es ward dicht neben uns eine Thüre aufgeschlossen, und Geld in einen Kasten geschüttet. Unterdessen erhub sich in der unbekannten Versammlung folgendes Gespräch:

Erste Stimme. Brüder, morgen gilts den Nürnbergern! Haltet euch tapfer! Schade, wenn sie uns wieder entwischten!

Zweyte Stimme. Das sollen sie nicht!

Viele Stimmen. Sie sollen nicht — sie sollen nicht!

Dritte Stimme. Wo mag unser Alter bleiben? Haben ihn seit dem letzten Spas noch nicht wiedergesehen.

Vierte Stimme. Wird hinter dem Ofen sitzen, und Bußpsalme beten. Der Kerl ist keinen Teufel mehr werth.

Erste Stimme. Laßt, Brüder! Er hat uns Dienste genug geleistet: — hat schon manchen eurer Gesellen von Galgen und Rad gelös't. Mag er ruhen und feyern! wird doch wiederkommen, und neue Botschaft bringen.

Zweyte Stimme. Und Rath und That dazu! Undankbar ists, ihn zu schelten. Ohn' ihn, wär' unsere Bande da was?

Dritte Stimme. Recht — recht, Brüder! 's ist eine brave Haut. Schade, das er alt und stumpf wird!

Erste Stimme. Laßt ihn alt und stumpf werden! Der Galgen kriegt ihn doch nicht.

Dritte Stimme. Recht — recht! der kriegt ihn nicht.

Izt schnappte wieder das Schloß an der benachbarten Thüre. Es entstand aufs neue ein dumpfes Gewimmel und Gemurmel. Die Räuber — denn daß sie dies waren, wer konnte daran noch zweifeln? — die Räuber schienen sich zum Abmarsche bereit zu machen. Der Oesterreicher wandte sich zu mir, und fragte:

»Wollen wir hinein?«

Ich zuckte die Achseln, und versetzte:

»Wie?« —

»Durch den Garten, oder durch das nahe Seitengebäude« — erwiederte der Oesterreicher.

»Aber die Gefahr!« — entgegnete ich.

»Ist nicht so groß, als sie denke« — fiel er mir ins Wort: — »Doch besser, wir nöthigen vorher die Herren das Thor zu öffnen! Geschiehet dies aber nicht; so dringen wir von hinten zu in den Hof. Seitwärts die steinerne Treppe herauf möchte es unsicher seyn; weil man uns leicht von oben herab alle Vertheidigung unmöglich machen könnte!« —

Neue Stille im Keller, und ein neues Gespräch unterbrach uns.

Erste Stimme. Noch eins, Bruder! Was sollen wir mit dem Diener des Officiers anfangen? Der Hund ist zu nichts zu gebrauchen. Wir laufen am Ende noch Gefahr, durch ihn verrathen zu werden.

Zweyte Stimme. Schlagt ihn' todt!!

Dritte Stimme. Laßt ihn laufen!

Vierte Stimme. Verkauft ihn einem Werber!

Erste Stimme. Dein Wort, Bruder Rasch, gilt! Wollen ihn laufen lassen. Ist der Herr lebendig weggekommen; so mags der Diener auch. Nur schwören muß der Tropf hoch und theuer; und den Kragen dreh' ich ihm 'rum, will er nicht!

Viele Stimmen. Recht — recht! rum mit dem Kragen, will er nicht schwören!

Izt bemerkten wir, daß man sich der Treppe näherte, und hinauf zu klirren und zu poltern begann. Ohne weiter ein Wort zu sprechen, schlug plötzlich der Oesterreicher mit Händen und Füßen an das eiserne Thor. Alles Geräusch war im Keller für einen Augenblick weg.

»Macht auf!« — donnerte der Oesterreicher.

»Macht auf!« brüllten unsere beyde Gesellschafter und ich ihnen nach.

Aber noch nicht war der Schall unserer Stimmen durch das hohe Gewölbe des Ganges, worin wir standen, verhallet, als auch schon der wilde Schwarm im benachbarten Gemache die Stiege herauf und aus dem Keller heraus entschwunden war. Ohne den mindesten Zeitverlust stürmten wir nun alle viere, die Pistolen in der Hand, durch das lange Gewölbe und Geklüfte hindurch. Doch ehe wir noch den Ausgang der Höhle erreichen konnten, vernahmen wir schon den Aufschlag von Pferden, der sich bald allmählig in öder Ferne verlor. Unsere Kerzen waren bey der Geschwindigkeit des Laufens verloschen; aber der Mond leuchtete izt hell und klar, und entdeckte uns eine Oeffnung in der Mauer, die den Garten umschloß, wodurch wir sogleich in das freye Feld gelangten, und noch in mäßiger Entfernung einen Haufen Reiter gewahr wurden, die mit verhängtem Zügel wüthend von dannen sprengten. Wir bemerkten bey unserem Rücktritte in den Garten deutliche Spuren, daß das wilde Heer durch denselben seinen Einzug und wieder seinen schleunigen Abmarsch gehalten hatte; und daß man vermuthlich seit dem Brande des Dorfes diese Lücke im Gemäuer vorsetzlich machte, um sich einen immerwährenden heimlichen Ein- und Ausgang zu verschaffen.

Aeusserst unbefriediget verließ ich den nächtlichen Aufenthalt der Räuber, der Oesterreicher aber sehr befriediget. Kalt und entschlossen in der Gefahr, nachdenkend ausser derselben, war ein Hauptzug seines Charakters. Er stellte mir vor: daß, im Falle die Räuber auch die Thüre geöffnet, wir schwerlich etwas Aufklärenderes, als wir schon aus ihren Gesprächen wußten, in Erfahrung gebracht hätten; daß mein Bediente geborgen sey; von mir aber nicht mehr angenommen werden dürfe: weil er sonder Zweifel schon Räuberdienste verrichten müssen; und das endlich jeder Gedanke, sich an solchem Gesindel eigenmächtig zu rächen, unedel sey; weil Galgen und Rad dadurch bevortheilet würden.

»Alles, was wir thun könnten« — setzte er hinzu: »wäre, die Sache bey den hiesigen Gerichten anzuzeigen. Allein dergleichen Denunciationen sind itziger Zeit hier zu Lande so häufig, daß die Richter bey dem besten Willen nicht gehörig darauf reflectiren können: zumal da sich die Räuberbanden an Anzahl ausserordentlich hoch belaufen; und also, um einen solchen Schwarm verzweifelter Menschen zu vertilgen oder gefangen zu nehmen, eine ganze Armee regulärer Truppen erforderlich seyn würde!«

Durch diese Vorstellung beruhiget, gieng ich wieder an der Hand des Oesterreichers nach unserem Quartiere ins nächste Dorf zurück. Nie werde ich diese Stunde vergessen! Sie gehöret zu den seligsten meines Lebens. Nie werden die Worte, die ich damals hörte, nie die Lehren, die mir damals noch unerfahrenem Jünglinge, bey der mondhellen Nacht, in den anmuthigsten Gefilden gegeben wurden, aus meiner Seele verlöschen!

Wir kamen erst nach zwey Uhr in unserer Herberge an. Der Wirth hatte schon ausgeschlafen, und grüßte uns mit einem freundlichen Gutenmorgen. Er war wegen unseres langen Ausbleibens nicht wenig bekümmert gewesen; weil wie er sagte, die Gegend rings umher sehr unsicher wäre. Wir gaben vor: des Abends auf einen Spatziergange den Weg verfehlet zu haben, und bis anizt in der Irre umhergestrichen zu seyn. Der Wirth ließ sich dies gefallen, und machte uns die Streu zurecht. Wir schliefen bis acht, und reiseten gegen neun Uhr ab.

Unsere Abwesenheit hatte in F... keine große Aufmerksamkeit erreget: weil schnelle, heimliche Reisen bey Werbern nichts seltenes sind. Nur fand man die Verbindung zwischen mir und dem Oesterreicher sonderbar, und erschöpfte sich deshalb in Muthmaßungen, wovon aber bey unserer Zurückkunft, weder von uns noch von unsern getreuen Korporalen, keine gerechtfertiget wurde. Auch hatte sich, während wir nicht zugegen waren, mit einem unserer Kameraden ein Vorfall ereignet, der die anderen in nicht geringe Verwunderung setzte, und der allen das heftigste Verlangen nach des Oesterreichers Gegenwart einflößte; mithin vorizt, über der Freude unseres Wiedererscheinens, die Neugierde wegen des Zweckes unserer Reise größtentheils vergessen machte. Kaum waren wir angekommen, als sich die sämmtlichen Werber auf meinem Zimmer versammelten, um uns Bericht von der wunderbaren Neuigkeit abzustatten.

Die Sache war folgende:

Der Officier, der in dem Gasthofe residirte, worin es irre gehen sollte, war vor drey Tagen erst gegen Mitternacht nach Hause gekommen. Er hatte Licht bringen lassen, und sich, laut seinem Vorgeben, an den Schreibtisch gesetzet, um einen Brief an seinen Chef zu schreiben. Plötzlich war ein fürchterlicher Schlag an die Thüre geschehen. Er hatte dies nicht geachtet, sondern seine Arbeit begonnen. Ein zweyter noch mächtigerer Schlag war erschollen. Doch hatte auch dieser ihn nicht gestöret. Von dem dritten und schrecklichsten aber war die Thüre aufgesprungen, und eine weiße, weibliche Figur hatte auf seiner Schwelle gestanden.

»Muthig« — erzählte er izt selbst weiter: — »muthig verließ ich meinen Sitz, griff nach dem Degen, und eilte auf die Gestalt zu. Sie wich zurück. Ich nach, durchbohre sie, höre ein dumpfes Gekrisch: — was aber weiter vorgegangen ist, vermag ich nicht zu sagen. Ich wachte wie aus einem Traume auf, und befand mich unten an der Treppe. Eine Menge Menschen mit Lichtern stand um mich her. Gräßliche Schmerzen folterten mich. Ich lag vorwärts gestreckt. Der Degen hieng noch an meiner Hand.«

Ich bemerkte auf seinem Gesichte deutliche Spuren von der Wahrheit dieses Vorganges, und erkundigte mich blos: ob er sich sonst noch etwa Schaden zugefüget hätte? Aber sein schwerer Fall war noch ziemlich glücklich von statten gegangen. Außer einigen heftigen Contusionen hatte er nichts gelitten.

Der Oesterreicher ließ sich anizt mit ihm ins Gespräche ein.

»Haben sie schon vor dieser Erscheinung etwas von dem nächtlichen Unwesen bemerket?« — fragte er ihn.

»Nichts weiter« — war seine Antwort: — »als daß sich einige Nächte vorher jederzeit nach zwölf Uhr ein unbedeutendes Getös erhob.«

»Haben sie etwa« — fuhr der Oesterreicher fort: — »ehe sie dies Unglück hatten, an meine Erzählung von Volkert gedacht?«

Der Geisterseher schien über diese Frage empfindlich zu seyn.

»Ich schrieb;« — versetzte er: — »wie war dies also möglich? Oder glauben sie, daß nicht auch andere Leute Dinge erfahren können, deren Möglichkeit sie uns erwiesen haben?«

»Mehr, als zu gern, glaube ich dies!« — entgegnete schnell der Oesterreicher, und faltete vielsagend die Stirn.

Izt erfuhren wir erst die eigentliche Absicht, die unsere Herren Kameraden zu uns brachte. Es war auf nichts Geringeres, als auf einen Feldzug angesehen, den die sämmtlichen Werber gegen das Geisterreich unternehmen wollten; und wozu sie sich die Ehre erbaten, meinen Freund, den ernsten Oesterreicher, zum Anführer zu haben. Ich witterte sogleich bey diesem Vorschlage Unrath, und glaubte meinem Reisegefährten einen Gefallen zu erzeigen, wenn ich seine Entschuldigung, auf mich nähme.

»Meine Herren!« — sprach ich — »wissen sie nicht, daß Geister große Gesellschaften scheuen; oder meinen sie, daß das Gespenst im Gasthofe eine zweyte Semiramis sey?«

Mein Sport that auf die nach dem abentheuerlichen Unternehmen begierigen Krieger die verkehrte Wirkung. Des Oesterreichers Erzählung hatte ihre Köpfe zu sehr in Hitze gesetzet, als daß sie nicht alle, gleich ihm, Recht zu haben wähnten, Geister zu sehen. Sie fanden sich daher durch meine Rede beleidiget, kehrten sich unwillig von mir ab, und drangen izt mit Ungestüm in meinen Freund, ihrem Wunsche Genüge zu leisten. Dieser erkundigte sich: ob der Lieutenant N... noch in dem unsicheren Wirthshause wohnte? Und da man ihm dies mit dem Zusatze verneinte: daß sich der tapfere Mann schon den folgenden Morgen nach dem gehabten Schreck in ein anderes Quartier hätte bringen lassen, so schlug er ihnen ihre Forderung rund ab, und gab ihnen die stärkste Versicherung, daß sie nicht das mindeste wahrnehmen würden.

»Darauf wollen wirs versuchen!« — riefen alle einstimmig: — »und sollten wir zehn Nächte in dem fürchterlichen Gasthofe wachen; wir müssen Licht — wir müssen Gewisheit erhalten!«

Und hiermit stürmte der ganze Haufe zur Thüre hinaus.

»Was denken sie von dieser Geschichte?« — frug ich nunmehr meinen Freund.

Er zuckte die Achseln, und Antwortete kalt:

»Nichts!«

Ich. Aber der Geist?

Der Oesterreicher. Hirngespinst.

Ich. Und der Fall?

Der Oesterreicher. Ist ganz natürlich. Ich könnte ihnen hundert Geschichten erzählen, die alle die Wahrheit beweisen: das Menschen in Furcht und Angst weder wissen, was sie thun, noch was mit ihnen vorgehet. Und ein heftiger Sturz vermag sehr leicht den Faden unserer Vorstellungen — wenn man nicht sagen will, abzuschneiden — doch wenigstens so anzuhalten, daß alle Rückerinnerung an den Sturz selbst unmöglich ist. Fragen sie jeden, den einmal dergleichen Unglück betroffen hat; und er wird ihnen das nehmliche sagen.

Ich fand keine Einwendung mehr. Das der Geisterseher im Grunde wenig Herz haben müßte, lag am Tage; und daß er aus Unvorsichtigkeit die Treppe herabgefallen wäre, deuchte mir gleich bey seiner Erzählung äusserst glaublich. Ich kümmerte mich daher wenig mehr um den Großsprecher und seine prahlerischen Gesellen: auch war mir der Ausgang ihres nichtsbedeuten: den Abentheuers gänzlich gleichgültig. Der Oesterreicher sprach von der ganzen Sache kein Wort mehr. Wir giengen beyde des Tages über unseren Geschäften nach, und genossen des Abends der süßesten Ruhe im Schooße der Freundschaft.

Acht Tage waren auf diese Weise in stiller Selbstzufriedenheit verstrichen; als eines Morgens der Geisterseher N... verstöret auf mein Zimmer trat.

»Ich komme zu ihnen;« — begann er: — »weil ich befürchten muß, ohne ihren Beystand abermals eine abschlägliche Antwort von ihrem Freunde zu erhalten.«

Ich fragte ihn: ob sein Verlangen ein neues Unternehmen gegen die Geister beträfe?

»Nichts geringeres!« — war seine Antwort.

»So werden sie mich und meinen Freund nochmals entschuldigen!« — rief ich etwas unwillig.

Er blickte mich eine Weile schweigend an machte nachdenkend einen Gang durch meine Stube, und setzte sich sodann vertraut zu mir.

»Hören sie mich zuvor!« — fieng er in»einem ruhigern Tone an: — »und wenn sie mir dann noch ihr Vorwort bey dem Oesterreicher versagen; dann darf ich ihr Freund nicht mehr seyn.«

Die Art, womit er diese letzten Worte sprach, war rührend und feyerlich. Ein sonderbares, schauererweckendes Gefühl durchdrang meine Seele. Ich rückte näher zu ihm. Er fuhr fort:

»Sie wissen, was ich mit unseren Kameraden zu thun willens war. Es ist geschehen. — Alle unsere Versuche, den Geist herbeyzurufen, waren anfangs vergebens. Schon drey Nächte hatten wir gewacht, gelermt, getobt, gesucht, gespäht, geforscht, geruft, den Geist beschworen; umsonst! Er ließ sich weder hören noch sehen.«

Ich wollte ihn ins Wort fallen, und ihm die Unbesonnenheit dieses Unternehmens vorstellen. Er drückte meine Hand, als ob er mich bäte, seine Erzählung nicht zu unterbrechen. Ich schwieg.

»Die vierte Macht erschien« — hub er aufs neue nach einer schreckhaften Pause an: »Noch erinnere ich mich mit Grausen des Auftrittes, der in dieser Nacht erfolgte. Wir begaben uns wieder alle in den Aufenthalt des furchtbaren Wesens. Unsere Residenz war im zweyten Stockwerke ein öder Saal: in der Nachbarschaft meines ehemaligen Zimmers. Wir setzten uns, wie gestern und die vorhergehenden Nächte, sogleich nach unserer Ankunft, die gegen eilf Uhr geschahe, zum dampfenden Punschnapfe, zündeten unsere Pfeifen an, und fluchten und wetterten auf die Feigherzigkeit des Poltergeistes, der sich vor Soldaten so mächtig zu fürchten schien. Er rächte seine Schmach, und zwar auf eine Weise, die nur denen, die zugegen waren, glaublich zu seyn vermag. Zwölf Uhr hatte geschlagen. Der Punsch stieg in unsere Köpfe. Wir griffen nach den Lichtern zogen unsere Degen, und fiengen wieder die Untersuchung an. Trepp auf, Trepp ab, durch Stuben und Kammern, durch Küchen und Keller gieng unser Weg: nichts rührte sich. Meine Freunde, die schon gestern üble Gesichter zu ziehen begannen, wurden izt im Ernste unwillig. Dank sey es des Oesterreichers Erzählung! sie war noch das Einzige, was die tobende Schaar im Zaume hielt: sonst hätte man mir izt geradesweges Betrug, oder die größte Furchtsamkeit zu Schulden kommen lassen. Den Berichten des Wirthes in diesem Gasthofe maß man, so wie dem meinigen, keinen Glauben bey, und des guten Mannes Bitten: den Zorn eines rachgieriger Wesens nicht länger zu reitzen, wurden mit Lachen aufgenommen. Doch die Wahrheit kam meinen Kameraden und auch nochmals mir fürchterlich in die Hände.«

»Wir stiegen wieder die Treppe hinauf zu unserer Residenz. Noch hatte der Vorderste nicht die oberste Stufe erreichet; als wir auf einmal ein seltsames, dumpfes Geräusch um uns her vernahmen. Es glich dem heulenden Sturme, wenn er durch die Spalten einer morschen einsamen Hütte pfeift; doch war dabey noch etwas gräßlichers, das sich nicht beschreiben läßt. Mein Haar kräuselte sich; eiskalt fuhr's durch meine Glieder. Die Spotter wurden ernsthaft und blickten einander verwunderungsvoll an. Noch eine kurze Weile dauerte das wimmernde Gesause; dann war alles still. Wir setzten schweigend und ungestört unsern Weg fort, kamen in den Saal, und nahmen unsere vorigen Plätze ein. Man fragte sich untereinander: woher dies Geheul gekommen seyn möchte? Einer riß das Fenster auf, um zu entdecken, ob das Wetter stürmisch geworden: es war eine heitere Nacht, kein Wind zu bemerken. Wir sahen einander bedächtig an. Der Rausch verflog aus unseren Köpfen. Tiefe Stille herrschte in unserem Zirkel. Noch wenige Minuten, und das schon vernommene Brausen erhob sich fürchterlicher, als vorher. Thüre und Fenster sprangen zu gleicher Zeit mit solcher Heftigkeit auf, daß die Angeln rasselten, und die Scheiben klirrten. Alle Lichter verloschen. Ein Schlag geschah auf den Tisch, wobey wir saßen, daß das Punschgefäß erdröhnte, und die Gläser erklangen und herabfielen. Zischend fuhr ein feuriger Blitz an den Wänden umher. Gekreisch und Geächtz erschallte vor unseren Ohren. Ich sah den Geist, schrecklicher als vor sieben Tagen, auf mich zukommen.«

»Was weiter mit uns worden; weiß ich nicht. Man brachte Licht, und fand uns insgesammt auf unseren Plätzen leichenblaß und versteinert. Erst gegen Morgen waren wir wieder fähig, uns zu besinnen, und den Rückweg nach unseren Quartieren anzutreten. Keiner hatte Lust, in der schauderhaften Herberge ferner zu übernachten.«

Hier schwieg der Erzähler; schien aber blos neue Kräfte zu sammeln. Ich unterdrückte mein Urtheil; weil ich eine Widerlegung dieser Einbildungen aus seinem eigenen Munde erwartete. Aber die Geschichte nahm eine Wendung, die aus mir, dem kältesten Zuhörer, bald den wärmsten Theilnehmer machte.

»Ich würde« —hub der Geisterseher wieder an: — »ihnen diesen Vorfall nicht erzählet haben, wenn sich nicht ein anderer daran kettete, der sich erst gestern zur Abendzeit ereignete.«

Ich vermuthete bey diesem Eingange, ein neues Mährchen. Der Erzähler fuhr fort:

»Werbungsgeschäfte führten mich vorgestern über Land. Ich verspätete mich, und mußte dessen ungeachtet unverrichteterweise zurückkehren. Verdrießlich ritt' ich von dannen, und traf gestern bey einbrechender Nacht wieder hier ein. Mein Weg gieng, da es schon finster ward, durch ein dichtes Gebüsch. Alles war still und einsam um mich her. Endlich bemerkte ich seitwärts im Gesträuche ein leises Geflüster. Ich nahm eine meiner Pistolen zur Hand, und ritt auf meinem Pfade fort. Auf einmal theilte sich in mäßiger Entfernung, vor mir das Gebüsch, und eine männliche Figur trat heraus. Durch die Dunkelheit vermochte ich den Anzug derselben nicht genau zu unterscheiden; sie deuchte mir aber das Ansehen eines Bauers zu haben. Mit starken Schritten wanderte der Mann einher, und schien mit sich selbst in einem lauten Gespräche begriffen zu seyn. Ich gab meinem Pferde die Spornen, und hatte ihn bald ereilet. Seine Kleidung war wirklich die eines Landmannes; auf seinem Rücken trug er einen Sack; ein dicker Ast diente ihm zum Stabe. Er schien mich nicht zu bemerken, und gieng seinen Gang rasch weiter, immer fort vor sich hin murmeind. Ich grüßte ihn; er dankte nicht.

»Wohin, guter Freund?«— rief ich.

»Zu Menschen!« — war seine Antwort.

»Ich gerieth in Erstaunen.«

»Also vermuthlich nach F...?« — fragte ich weiter.

»Ja« —entgegnete er: — »da wohnen Menschen!«

»Ich hielt ihn für wahnsinnig und sprengte»bey ihm vorüber. Izt kam ich aus dem Gebüsche heraus, und erblickte mich näher, als ich gewähnet hatte, bey der Stadt. Frisch jagte ich drauf los. Sieh da! auf einmal schritt, wieder die vorige Figur vor mir her.«

»Schon wieder da!« — rief ich: — »du mußt die Wege besser wissen, als ich!«

»Das glaub' ich!« — versetzte der Wanderer trocken: »so wie ich alles besser weiß, als du.«

»Seltsamer Mann!« — brach ich izt aus: — »wer bist du?«

»Ein Weisheitsforscher« — war seine Antwort.

»Deine Weisheit« —erwiederte ich: — »muß so sonderbar, wie du selbst seyn! Was nennst du Weisheit?«

»Alles, was du nicht verstehest« — gegenredete der Sonderling trockener, als vorhin.

Schon bey dem Worte: Weisheitsforscher, durchdrang mich plötzlich eine Ahndung, die meinen Lesern nicht wunderbar vorkommen wird; und bey des Erzählers Berichte von der Antwort auf die Frage: was nennest du Weisheit? Ward diese Ahndung zur gewissesten Vermuthung. Ich erkannte nun deutlich an dem Wanderer in ländlicher Tracht den Pilger am Bache jenseits des Schwarzwaldes; und ich mußte mit aller Macht kämpfen, daß ich dem Lieutenant nicht in die Rede fiel, daß ich nicht laut in die Worte ausbrach:

Ha, bist du da, Betrüger!

Das Ende von des Erzählers Wunderbegebenheit ist leicht zu ersehen. Ich war ungeduldig, es abzuwarten und ihm ward es schwer, mir davon eine Beschreibung zu machen. Er war bis zur höchsten Staffel der Bewunderung für den alten Gauckler eingenommen, und konnte nicht Worte finden, die Empfindung zu schildern, die ihm desselben ehrwürdiges Ansehen, als er ihn bey Lichte erblickte, eingeflößet hatte.

Er glaubte einen rüstigen Landmann in und ausserhalb des Waldes gefunden und gesprochen zu haben, und sah nun, da er in der Vorstadt von demselben eingeladen wurde, in sein Haus zu treten, die Gestalt eines silberharigen, Ehrfurcht einprägenden Greises. Sein Gespräch mit ihm ward nunmehr intressanter. Er hatte von des seltsamen Alten Reden, die alle auf hohe Weisheit abzweckten, gelockt, schon mehr als einmal den Entschluß gefaßt, ihm seine Abentheuer in der Geisterherberge zu berichten; auch schon nicht undeutliche Erwähnung von sonderbaren, ihm unerklärbaren Ereignissen gethan, immer aber wieder wegen mancherley Besorgnissen zurückgezogen.

Anizt geschah sein Wille zur völligen That. Er erzählte alles haarklein; und das Resultat von dem ganzen langen Gespräche war das nehmliche, welches es von dem ehemaligen unsrigen war. Der Greis versprach auf anhaltendes Bitten des Werbers: zur Nachtzeit in den unheimlichen Gasthof zu kommen, und durch eine förmliche Beschwörung allen Spuckereyen ein Ende zu machen. Doch bedingte er sich aber die Gegenwart von nicht mehr als sechs Personen, und die Einwilligung des Wirthes aus. Der Lieutenant sagte ihm diese Bedingungen zu, und schied entzückt von ihm.

Mein Sie brannte unter mir, bis der Erzähler so weit in seinem Berichte kam. Ich erwartete nunmehr weder seine fernere Lobeserhebungen des Geisterbeschwörers, noch die Wiederholung seines Gesuches: meinen itzigen Freund, den Oesterreicher, zur Beywohnung bey den auf die nächstfolgende Nacht bevorstehenden Bannereyen zu bewegen; sondern verhieß ihm dies sogleich unerinnert, und bot mich selbst zum Zuschauer oder Mithelfer bey dem nächtlichen Abentheuer an.

Des Lieutenants Freude hierüber überstieg alle Grenzen. Er umarmte mich unzähligemal, nannte mich seinen theuersten Freund, seinen Wohlthäter, und weiß der Himmel! was er mir noch alles für Beynamen gab. Ich aber hatte meine Gedanken einzig und allein auf den ernstlichen Ausgang gerichtet, den durch mein Zuthun die betrügerischen Gaukeleyen des alten Taschenspielers nehmen sollten, blieb kalt bey des, gleich mir, Betrogenen Liebkosungen, und ersuchte ihn endlich: mir zu erlauben, dem Oesterreicher von diesem merkwürdigen Vorgange Nachricht zu geben, und ihn für unser Vorhaben zu gewinnen.

Er erfüllte sogleich meine Bitte, und bestimmte mir die Stunde auf den Nachmittag, zu welcher er sich wegen des Oesterreichers Entschlusse Bescheid holen wollte; binnen welcher Zeit er auch für die Genehmigung des Wirthes im Geisteraufenthalte und für noch drey andere taugliche Gesellschafter bey unserer nächtlichen Zusammenkunft zu sorgen versprach.

Ich eilte sogleich zu meinem Freunde; aber ich traf ihn nicht mehr zu Hause. Erst bey der Mittagsmahlzeit kamen wir zusammen. Mein Bericht, der jedoch ohne seiner eigenen Beurtheilung vorzugreifen, bey dem Gespräche des Lieutenants N... mit dem sonderbaren Greise anfieng, und bey desselben mit seinen Kameraden im Wirthshause bestandenem Abentheuer aufhörte, that die erwünschte Wirkung. Ein Mann, von so festem, kaltem Charakter, wie der Oesterreicher, konnte sich über nichts bis zum Außersichselbstkommen verwundern; weil jede Leidenschaft, jede Wallung unter seiner Botmäßigkeit stand: dessen ungeachtet aber hatte ich ihn noch nie so in Bewegung, noch nie so seiner selbst vergessend gesehen, als bey dieser Nachricht.

»Freund! —

begann er nach einer kurzen Pause, worinn seine überlegende Kraft wieder die Oberherrschaft über das keimende Gelüst nach Licht und Rache erlanget hatte:

»— Freund! was gedenken sie zu thun?«

Ich. Den Geisterbanner festzuhalten.

Der Oesterreicher. Vor oder nach der Beschwörung?

Ich. Nach der Beschwörung.

Man rief izt zur Tafel. Der Oesterreicher verließ mich mit dem Bedeuten: daß er zu allem bereit sey.

Meine Denkungsart hatte sich allmählig gwöhnet, den verborgenen Falten in den Charakterzügen meines edlen Freundes nachzuspähen. Ich berechnete sein Benehmen in Fällen, die am Tage lagen, mit allen, die noch nicht zur Wirklichkeit gediehen waren; und so gelang es mir, aus der Summe einen Schluß zu ziehen, die das Undurchdringliche seiner Vorsätze wenigstens in etwas enträthselte, und mich der Schmach überhob, alle Augenblicke in Besorgniß zu gerathen, seiner Willensmeinung schnurstracks entgegen zu denken; oder gar Handlungen zu begeben, die seinem Begriffe von meinen Einsichten gänzlich widersprachen. Mit einem Worte: ich hielt den Oesterreicher einmal für das untrüglichste Wesen, und glaubte nichts klug eingerichtet zu haben, als was ihm gut dünkte; nichts weise vollführet zu haben, als was ihm völlig gleich gehandelt zu seyn schien.

Gegenwärtig war daher meine Verlegenheit nicht gering, als ich mich, laut seinen letzten Worten, in die Nothwendigkeit versetzet sahe, für ihn mit zu wirken, und einen Plan zu erdenken, vermöge dessen unsere beyderseitigen Absichten erreichet würden. Indessen verhalf mir die erwähnte Erfahrung zu einem Entwurfe, den ich ihm nach der Mahlzeit vorlegte, und der seinen vollkommensten Beyfall hatte. Mein Entschluß war nehmlich: mich anfangs vor dem betrügerischen Alten zu verbergen, nach verübter Gauckeley aber plötzlich hervorzubrechen, ihm seinen Frevel vorzuhalten, das Bekenntniß seiner Taschenspielereyen, vorzüglich der im Keller des wüsten Schlosses vollbrachten zu erzwingen, und sodann ohne weitere Umstände zu seiner Gefangennehmung zu schreiten.

Wir nahmen nunmehr gemeinschaftlich unsere Maaßregeln dahin: daß der Geisterbanner nach überwiesenem Betruge den Gerichten sollte überliefert werden; verließen uns bey Ausführung dieses Vorhabens auf unsere handfesten Korporale, die bey gegebenem Zeichen hereinzudringen beordert wurden, und zweifelten an nichts weniger, als an dem glücklichen Ausgange dieses neuen abentheuerlichen Unternehmens. Mein Freund hatte noch viele Geschäfte, und wir trennten uns sogleich nach dieser genommenen Abrede.

Um drey Uhr kam der Geisterseher zu mir, und stattete Bericht von dem glücklichen Erfolge seiner Expeditionen ab. Der Wirth des unruhigen Gasthauses war für das nekromantische Experiment gestimmet, und wollte selbst bey der Erscheinung des Wesens zugegen seyn, das den Ruf seines Gasthofes so herabgesetzet, und seine Vermögensumstände so in Verfall gebracht hatte. Der ehrwürdige Beschwörer — wie Lieutenant N... den alten Gauckler zu nennen pflegte — war ihm nicht unbekannt; und seine Freude, daß der brave Greis wieder in F... sey, und sich seiner annehmen wolle, machte ihn schon in voraus unaussprechlich glücklich.

»Izt ist mir geholfen!« — hatte er ausgerufen: — »Vater Franz ist ein ganzer Mann! Schade, daß er sich so selten hier aufhält, und ist er auch da, in seiner Hütte verborgen hauset!«

Genau, sollte, wie der Wirth sagte, niemand den Alten kennen. Man wisse nicht, woher er wäre, und wohin seine häufigen Reisen giengen. In vielen benachbarten Städten besitze er eigen Haus und Hof; doch führe er überall eine so stille, einsiedlerische Lebensart, als hier.

Meine Botschaft: daß der Oesterreicher an den mystischen Versuche Antheil nehmen wollte, entzückte den Lieutenant im höchsten Grade. Er eilte von mir, um nunmehr auch die andern beiden schon benachrichtigten Freunde mit Gewisheit zu bescheiden, und ersuchte mich, nebst dem Oesterreicher, bey ihm die Abendmahlzeit einzjunehmen. Ich versprach dies meinerseits, und er entfernte sich.

Es war ein später Novembertag, folglich der Abend bald vorhanden. Ich wechselte meine Kleider, um nicht so leicht von dem Alten erkannt zu werden, und begab mich sodann zu meinem Freunde, dem Oesterreicher. Dieser wartete schon meiner, und ließ sich den Vorschlag: bey Lieutenant N... das Nachtmahl zu genießen, gefallen. Unsere Korporale kamen, und empfingen nochmals ihre Order. In meiner Seele regten sich sonderbare Empfindungen. Die Erwartung von etwas Großem hemmte öfters meinen Athem. Ein seltsamer Schauer durchzitterte zuweilen meinen ganzen Körper. Vielleicht, daß dies die bange Ahndung von dem nahen Verluste meines Freundes war. Der Oesterreicher steckte indeß mit der größten Kälte ein Paar geladene Pistolen in seinen Mantel, schärfte nochmals unsern heimlichen Begleitern die strengste Aufmerksamkeit ein, und griff nach seinem Hute. Schweigend stieg ich hinter ihm die Treppe hinab; schweigend gieng ich an seiner Seite durch die Straßen.

»So feyerlich?« — hub mein Freund endlich an: — »sie scheinen wenig Begierde nach ihrem alten Bekannten zu haben!«

»Es ist kein erfreuliches Geschäft.« — erwiederte ich: »einem Betrüger die Larve abzureissen.«

»Aber doch ein nützliches!« — entgegnete der Oesterreicher, faßte mich am Arme, und begann eine Erzählung von den Geschäften, die er den verflossenen Tag über verrichtet hatte. Dies war ganz wider seine Gewohnheit. Ich bemerkte seine Absicht, verscheuchte den trüben Ernst, und bemühete mich, wenigstens heiter zu scheinen. Mein Bestreben gelang mir so ziemlich. Doch blieb immer noch eine wunderbare; schauerliche Empfindung in mir zurück, die meiner Seele und meinem Charakter gänzlich fremd war; obgleich der letztere seit dem Umgange mit dem Oesterreicher eine andere Wendung genommen hatte, die vielleicht, bey längerer Bekanntschaft mit demselben, von den übelsten Folgen für mich gewesen wäre.

Wir kamen bey Lieutenant N... an. Zwey seiner trautesten Freunde, die das nächtliche Abentheuer im Wirthshause schon einmal mit bestanden hatten, sollten dasselbe auch gegenwärtig mit bestehen helfen, und waren bereits deshalb auf seinem Zimmer. Man war äusserst über des Oesterreichers Ankunft erfreuet, und fieng sogleich an, das große gehabte Schrecken auf die fürchterlichste weitschweifigste Art zu beschreiben. Der Oesterreicher bat die Gesellschaft hiervon zu schweigen, um sich nicht durch die Rückerinnerung an die Vergangenheit Muth und Festigkeit für die Zukunft zu rauben. Er spann sogleich selbst den Faden zu einer andern Unterhaltung an: und ich muß gestehen, noch nie hatte ich meinen Freund so angenehm, so gefällig, so zeitverkürzend gefunden.

Der Tisch wurde nunmehro bereitet; wir festen uns nieder aber das Essen wollte keinem von uns, den Oesterreicher ausgenommen, reche schmecken. Mir fiel es schwer, nur einige Bissen zu verschlingen. Der Wein schien bessere Laune in unsern Zirkel bringen zu wollen; doch er schien es auch nur. Vergebens nöthigte der Wirth: die Gläser blieben immer voll. Je später es ward, desto stiller ward die Gesellschaft. Endlich sprach nur noch der einzige Oesterreicher, an dem man nicht die mindeste Veränderung wahrzunehmen vermochte. Er trank, tapfer; doch blieb er völlig nüchtern. Izt schlug es eilf Uhr, und er leerte das letzte Glas zum Danke des Wirthes, schob seinen Stuhl zurück, und suchte Hut und Mantel. Ich that das Nehmliche. Die anderen folgten zitternd unserem Beyspiele. Stumm stiegen wir alle hinter dem Oesterreicher die Treppe hinab; stumm tappten wir bis zum unheimlichen Gasthofe. Auch der Oesterreicher sprach kein Wort mehr.

Der Wirth in der Geisterherberge empfing uns auf das freundlichste, und dankte uns schon im voraus für die bevorstehende Ruhe und den wiederaufblühenden Wohlstand feines Hauses. Er führte uns in den oberen Saal, wo die schon berichtete Erscheinung geschehen war, und erzählte uns viele greuliche Geschichten, die binnen Jahr und Tag bey ihm vorgefallen seyn sollten. Der Oesterreicher sprach keine Sylbe; sondern durchspührte rundum das weite, öde Gemach, ergriff sodann ein Licht, gieng zur Thüre hinaus, und blieb lange Zeit weg. Endlich kam er zurück, warf seinen Mantel beyseite, und ließ sich mit dem Wirthe in ein weitläuftiges Gespräch ein. Er legte ihm viele und mancherley Fragen vor, die mir deutlich bewiesen, daß er Verdacht wegen desselben Ehrlichkeit geschöpfet hätte. Doch mir dünkte dieser völlig ungegründet zu seyn. Der Wirth war ein gerader, simpler, treuherziger Mann, und hatte überdies keinen Vortheil, vielmehr den größten Schaden von den Spuckereyen in seinem Hause gehabt. Sein Gasthof stand schon seit Jahr und Tag wüste und leer: jeder Fremde wurde gewarnet, bey ihm einzukehren. Er versicherte den Oesterreicher auf Seel und Seeligkeit: daß er den Vater Franz — wie er den Geisterbanner nannte — noch mit keinem Auge gesehen habe; ob er gleich schon seit undenklicher Zeit von desselben Wunderthaten gehöret hätte.

»Izt« — fuhr er fort: — »vernimmt man schon lange nichts mehr von diesem klugen Greise. Man spricht: er wäre über den Undank der hiesigen Einwohner ergrimmt, und treibe izt sein Wesen in anderen Gegenden. Vorzeiten hat er sich hier zu Lande besonders mit Wahrsagen abgegeben; doch alles unentgeldlich. Mein Vater, der vorhergehende Besitzer dieses Gasthofes, hat mir viele erstaunenswürdige Geschichten erzählet, auf was für sonderbare Weise er immer die Diebstähle an den Tag: zu bringen gewußt; wie er alles und jedes, was ein Mensch zeitlebens verrichtet hatte, im Nu aus desselben Augen herlesen konnte; wie er die bösartigsten Hexereyen entdecket, zerstöret und ihre Urheber bestrafet hat; kurz: wie nichts gewesen ist, wobey der weise Franz nicht mit Rath und That an die Hand zu gehen vermocht habe.«

Der Oesterreicher deuchte mir nicht befriediget zu seyn. Er beobachtete alle Handlungen des Wirthes genau, verließ so oft den Saal, als ihn dieser verließ und war immer bemühet, ihn durch Fragen und Reden an sich zu fesseln. Wir Anderen standen indeß dicht bey einander, und erwarteten, ich für meinen Theil, nunmehro mit der größten Begierde, die Uebrigen aber zitternd den Anfang des Abentheuers.

Izt schlug es zwölf. Der Wirth und der Oesterreicher standen sprechend bey uns im Saale. Die Thüre öffnete sich. Der Greis trat herein. Sein Anblick goß plötzlich Feuer in meine Adern: unwillkührlich faßten meine Hände das Seitengewehr. Der Oesterreicher, der, den Hut in die Augen gedrückt, beyde Pistolen in der Hand, in mäßiger Entfernung vor mir stand, wendete sich, und schien mich mit einer Seitenblicke zu befragen: ob mein alter Bekannter und Vater Franz eine und dieselbe Person wäre? Ich bewegte schnell meine Augenlieder, statt der bejahenden Antwort auf diese Frage. Der Oesterreicher wandte sich wieder.

Ich trat nunmehr etwas in den Schatten, den der anfänglich neben mir stehende Lieutenant N... warf, sahe aber die Schulter desselben, und bemerkte den Geisterbanner, wie er mit feyerlichen abgemessenen Schritten bis in die Mitte des Saales getreten kam. Hier blieb er stehen, und verweilte mit forschendem Blicke auf den Gesichtern der Anwesenden. Tiefe Stille herrschte rings um uns her. Unbeweglich harrten wir alle. Kein lauter Athemzug ließ sich vernehmen. Der Greis war in ein schwarzleinenes Gewand gekleidet; das an Form dem glich, das er bey meiner ersten Zusammenkunft mit ihm trug. Sein Haupt war, wie damals, entblöset. Um seine Hüften schlang sich ein weisser Gürtel mit Hieroglyphen und Charakteren vor verschiedener Farbe bezeichnet. Auf seinem Rücken ruhete das schon bekannte Felleisen. Er nahm es herab, und langte den Inbegriff seiner Weisheit hervor. Auf seinen stummen Befehl wurde von dem Wirthe ein Tisch herbey getragen, mit zwey. Lichtern besetzet, und die Thüre des Saales fest verschlossen und verriegelt.

Nunmehr gab uns der Geisterbeschwörer ein Zeichen, um ihn her zu treten. Der Oesterreicher stellte sich ihm zunächst links, mit dem Gesichte gegen die Thüre gerichtet. Rechts trat ihm zunächst, auf sein ausdrückliches Verlangen, der Lieutenant N... Der Wirth war auf der Seite des Oesterreichers. Neben dem Wirthe stand einer von unsern beyden Kameraden, diesem gegenüber der andere, und seitwärts dem letzteren ich. Der Greis schien sich wenig um den rechten Flügel zu bekümmern. Ich merkte deutlich, daß sein Nachbar zur Linken ihm Verdacht erregte. Doch begann er muthig die Beschwörung, nachdem er zuvor, wie in der Gruft und in dem Keller des wüsten Schlosses, rothen Sand um sich her gestreuet, und mit dem auseinander geschobenen Stabe einen dreyfachen Zirkel darein beschrieben hatte. Die Art und Weise seiner Beschwörung war die nehmliche, wie ich sie schon gehöret und gesehen hatte: nur daß er das mehreste laut las, und nicht so gräßliche und anhaltende Convulsionen bekam, als in den unterirrdischen Gemächern der verödeten Burg.

Izt waren die Ceremonien zu Ende; und der Alte warf das Buch auf den vor dem Kreise stehenden Tisch, und rief dreymal das unverständliche, schon ehemals vernommene Wort aus. Plötzlich schlug ein brausender Windstoß in unsere Gesichter; eine dicke Rauchsäule walzte sich gräßlich empor, und verdämmerte rings umher den ganzen Saal. Die Lichter verloschen. Nacht und Graus umgab uns. Nicht lange, so erleuchtete wieder ein feuerartiger Schein, der aus dem Fußboden allmählig hervorzubrechen schien, sparsam die Gegenstande in dem mit Dampfe erfüllten Gemache. Der Schein zog sich an der uns gegenüber befindlichen Wand langsam herauf. Izt war ein großer Theil der Mauer bis an die Decke erleuchtet, und grausend dehnte sich nunmehr eine menschliche Figur empor. Ihr Gewand, ihr Antlitz, beyde mit den schauderhaftesten Spuren der Verwesung bezeichnet, trugen Merkmale von Flammen. Sie schüttelte sich fürchterlich. Funken sprüheten um sie her. Ein beissender Schwefelgeruch verbreitete sich. Der Greis gewährte uns einige Augenblicke stillschweigend ihren schrecklichen Anblick. Izt donnerte seine Stimme, und die Gestalt schwand zusammen.

»Wer bist du?« — rief er.

Der Geist erwiederte kreischend:

»Eine Seele aus der Quaal!«

Der Alte. Was ist dein Begehr?

Der Geist. Rettung aus der Flamme!

Der Alte. Durch welches Mittel?

Der Geist. Durch den Verkauf dieses Hauses.

Der Alte. Warum das?

Der Geist. Unrechtes Gut brennt in der Erde!

Der Alte. Wie kann Verkauf den Frevel tilgen?

Der Geist. Es tilgt ihn: denn meine Nachkommen sind nicht verloren! —

Der Greis schwieg. Die Gestalt sank wieder hinab. Der feuerartige Schein zog sich wieder allmählig in die Tiefe. Ein brausendes Windstoß schlug aufs neue in unsere Gesichter. Der Rauch zerfloß. Die Lichter fiengen wieder an zu brennen. Vor Erstaunen gefesselt verblieben der Lieutenant N..., seine Kameraden und der Wirth auf ihren Plätzen. Der Oesterreicher rückte seinen Hut aus den Augen und harrete wild nach dem Greise. Ich erwartete sehnsuchtsvoll seinen Wink zum Losbrechen. Der Gauckler rafte ruhig und entkräftet seine Sachen zusammen.

Izt trat der Oesterreicher vor den Tisch. Ich griff nach meinem Seitengewehre, und setzte meinen Fuß vorwärts. Alles war still. Unsere Gesellschafter standen noch immer, Bildsäulen gleich, auf ihren vorigen Plätzen. Des Oesterreichers Blick blieb fest in das Antlitz des Geissterbeschwörers gewurzelt. Der Alte hatte nunmehr sein Buch, seinen Stab und sein Sandbehältniß wieder in das Felleisen geschoben, ladete es auf seine Schultern; und wollte fort. Sein Auge hob sich izt empor und fiel auf das freye Gesicht des Oesterreichers. Starrend sah er ihn an. Beyder Blicke schienen in einander verwachsen zu seyn. Des Oesterreichers Ansehen wurde stierer und stierer, des Alten Gesichtsmuskeln steifer und steifer. Aller Anwesenden Erwartung war bis zu dem höchsten Grade gespannet. Unbeweglich standen wir um die grause Gruppe her; die meisten nicht ohne Zittern, ich nicht ohne heimliches Grauen.

»Ja« —

begann izt der Oesterreicher mit bebender Stimme, mir ward wunderlich zu Muthe.

»Ja, du bist es! — Volkert — du bist es!«

Der Greis schauderte heftig, verzerrte gräßlich sein Gesicht, und sank, ächzend zu Boden. Wir waren alle auf einmal wie in eine andere Welt versetzet. Der Oesterreicher stand noch einige Zeit in fürchterlicher Betäub?ng. Endlich sammelte er sich, näherte sich mit seiner gewöhnlichen Festigkeit dem Geisterbanner, hob ihn auf, rüttelte ihn, und rief:

»Volkert! Volkert! Freund! Ermanne dich!«

Sein Bemühen war umsonst. Der Alte schien in tiefer Ohnmacht zu liegen.

»Volkert! Volkert!«

schrie ihm der Oesterreicher in die Ohren. Der Alte hörte nicht. Wir sprangen nun auch zu Hülfe. Der Wirth eilte zur Thüre hinaus, und holte Wasser und Balsam herbey. Kein Mittel wollte anschlagen. Der Alte blieb sinnlos in unseren Armen.

»Nun wohl« — sprach der Oesterreicher: — »wenn du denn nicht in Frieden willst; so sey's in Unfrieden.«

Er schoß eine Pistole los. Die Thüre öfnete sich. Vier: Korporale traten herein.

»Bindet der Betrüger!« — befahl der Oesterreicher: — »Schleppt ihn fort! Er ist unser.«

»Euer?« — grinzte der Alte, der auf einmal wieder ins Leben zurück kam: »Euer?« — brüllte er, und riß sich von uns los.

Die Korporale drangen auf ihn ein.

»Ich bin Bürger!« — rufte der Greis: — »Bürger der freyen Reichsstadt F...! Wer will mir etwas anhaben?«

Die Korporale zogen sich schnell zurück. Des Oesterreichers Stirne legte sich plötzlich in grimmige Falten. Seine Augen funkelten, sein Mund schäumte, sein ganzer Körper bebte vor Wuth. Nie habe ich einen furchtbarern Zornigen gesehen.

»Teufel! Teufel!« — knirschte er: — »Betrogen! Betrogen! von dir betrogen? Volkert! Volkert!« —

Seine Stimme sank auf einmal bis zum bittenden Tone herab.

»Volkert Volkert um Gotteswillen! erbarme dich! Reiße mich aus dem Meere meiner Zweifel! Befreye mich von der Schmach: in meinen und aller meiner Mitbrüder Augen ein Thor, ein abergläubischer, fanatischer Schwärmer zu heißen! — Sprich — sprich! Bin ich betrogen? Hast du mich betrogen? — O! ich vergebe dir — alles, alles! Nur rede — rede!«

Die Thränen rannen, bey diesen im heftigsten Affecte ausgesprochenen Worten, häufig an meines armen Freundes Wangen herab. Schrecklich ist der Anblick, einen Mann weinen zu sehen. Ich ertrug ihn nicht, und kehrte mein Auge von der fürchterlichen Scene ab. Die übrigen Gesellschafter standen aufs neue wie in Stein verwandelt. Eine schaurige Pause folgte auf des Oesterreichers Rede. Der Greis wollte, oder konnte nicht sprechen. Endlich hub der Oesterreicher wieder an. Sein Ton war die Stimme der äussersten Fühllosigkeit.

»Volkert!« — sprach er leise: — »du willst mich nicht kennen, und das ist gut. Ich will dir die Schande ersparen, dich selbst für einen betrügerischen Gauckler zu erklären. Stündest du in meiner Macht« —

Sein Auge blitzte von neuem; seine Stimme rollte wie der laute Donner:

»Stündest du in meiner Macht; du müßtest bekennen, und sollte ich deine morschen Knochen aus ihren unbiegsamen Gelenken zerren: und sollte ich dein kaltes Blut tropfenweise aus seinen verschrumpften Adern herausfoltern; du müßtest bekennen! Aber« — fuhr er wieder sanfter fort: — »aber so ist es anders und besser. Volkert! hier ist meine Hand! ich verzeihe, dir. Nimm sie — nimm sie! Du verdienst meine Vergebung und obendrein meinen Dank, denn du hast mich belehret: daß jeder Mensch, er dünke sich so weise er auch wolle, dennoch könne getäuschet werden, und diese Lehre ist mit den peinlichsten Gefühlen nicht zu theuer erkauft.«

Der Greis wollte reden; aber eine plötzliche Rührung überraschte ihn: er wandte sich abwärts.

»Schön, Volkert!« — rief der Oesterreicher: — »schön! Du bist nicht der Bösewicht, für den ich dich hielt. Ich will nicht weiter in dich dringen; obgleich meine Neugierde ungestüm nach Licht verlangt; ob ich gleich sehe, daß du mir in diesem Augenblicke mehr sagen würdest, als ich zu wissen vonnöthen hätte.«

»Auch dein freywilliges Geständniß erlasse ich dir; auch meines längeren Anblickes sollst du überhoben seyn! Ich gehe aus diesem Hause ich gehe aus dieser Stadt.«

»Meine Herren!« — fuhr er fort, indem er sich zu uns kehrte: — »Ich habe sie betrogen, habe ihnen Dinge für wahr ausgegeben, die es nicht, die bloße Täuschung waren. Von nun an bin ich ihrer Achtung unwürdig, bin unwürdig, ferner in einem Zirkel zu leben, der mich ehemals verehrte. Nehmen sie es für Stolz, für Eigensinn, für was sie wollen; heute noch in dieser Stunde noch reise ich von hier. Leben sie wohl — leben sie glücklich!« —

Hier endigte der Oesterreicher seine Rede, und seine unter uns gespielte Rolle. Von mir nahm er nicht besonders Abschied, und ein feines, ihn schonendes Gefühl nöthigte mich, diesen auch nicht von ihm zu nehmen. Ein Blick, den er mir noch bei der Thür zuwarf, sagte mir mehr, als tausend Worte, sagte: ich war ein Mensch, wie du! Er verschwand, und meine Augen schwammen in Thränen. Nie habe ich den Edlen wiedergesehen. Ewig unvergeßlich wird mir die unselige Nacht verbleiben, wo ich einen Freund wie diesen, wo ich meinen Abgott verlor; wo ich plötzlich aus einem Traume erwachte, der schauerlich, aber doch süß gewesen war.

Sobald uns der Oesterreicher verlassen hatte, dem sogleich auch seine Korporale folgten, machte der Geisterbanner Anstalt, sich von dannen zu begeben. Sein Ansehen war finster und mürrisch, sein Blick auf den Boden geheftet. Meine Freunde fiengen sich nunmehr an zu bewegen, und zogen eine dichte Schanze vor ihm. Der Wirth stand noch wie aus den Wolken gefallen, und wußte nicht, was er sich zu allen den wunderbaren Vorfällen gedenken sollte. Ich blieb wegen des Verlustes meines Freundes trostlos und betäubt, und gab keinem rachgierigen Gedanken gegen den Alten in meiner Seele Raum; zumal, da derselbe, laut seiner Aussage, Bürger in F..., folglich vor jeder unserer Gewaltthätigkeiten hinlänglich geschützet war.

Meine Kameraden achteten indeß hierauf wenig, und versuchten die Erklärung des Alten über seine so eben verrichtete Gauckeley zu erzwingen. Der Wirth legte sich ins Mittel, und bat himmelhoch, ihn durch Zank und Streit nicht noch vollends zum unglücklichen Manne zu machen. Lieutenant N... drohete endlich zum Stadtrichter zu gehen, und den ganzen Vorgang zu melden; der klügste Entschluß, der bey diesem Vorfalle statt haben konnte, und dessen Ausführung auch mit zu meinem vormaligen Plane gehörte, der anizt aber durch das Scheiden meines Freundes gänzlich vernichtet war. Doch auch diese Drohung fruchtete nichts: der Alte blieb stumm und kalt, wie vorhero. Ich trat izt hinzu, und ermahnte meine Gefährten, sich ruhig zu verhalten, und den Greis in Frieden von dannen ziehen zu lassen.

»Im Grunde genommen« — beschloß ich meine Erinnerung: — »kann es uns gleichviel seyn, wie wir betrogen worden; genug, daß wir wissen, wir sind betrogen. Unser Freund, der Oesterreicher, zeigte uns, wie man sich in diesem Falle zu benehmen habe. Lassen sie uns dies großmüthige Beyspiel befolgen, und gleich ihm, dem, der uns betrog, vergeben!«

Diese letzten Worte verursachten den gehörigen Eindruck auf die Gemüther der Gehülfen des nächtlichen Abentheuers. Schaam und Reue bemeisterte sich ihrer; besonders empfand Lieutenant N... die ganze Last seiner ehemaligen thörigten Furcht und seiner thörigten Unternehmungen. Er verließ eiligst den Saal. Seine beyden Freunde und der Wirth begleiteten ihn.

Ich war nun mit dem Geisterbanner allein. Anfänglich hoffte ich das, wonach die anderen umsonst gestrebet hatten, nunmehr ohne Widerwillen zu erhalten; ich hoffte auf befriedigende Aufklärung aller Begebenheiten, die sowohl mich, als den Oesterreicher, als den berufenen Gasthof betrafen. Aber ich hoffte vergeblich. Des Alten Starrsinn war zur Zeit noch unüberwindlich.

»Leben sie wohl, Herr Lieutenant!« —sprach er, indem er von mir gieng: — »Izt erst kenne ich auch sie. Es freuet mich, daß sie noch leben. Ich habe das nicht verdienet, was sie in dieser Stunde für mich gethan haben. Leben sie wohl, und denken sie zuweilen an den Geisterbanner Volkert. Vielleicht kann er ihnen noch einmal nützlich seyn.«

Ich begleitete ihn die Treppe hinab. An der Hausthüre drückte er nochmals meine Hand, und schwand schnell in eine Nebengasse hinein. In einer sonderbaren Gemüthsstimmung verließ auch ich nun das unglückliche Wirthshaus. Mir war wie einem, vor dessen Augen ein schwarzer Schleier hängt, der ihm jede helle Aussicht in die Zukunft verdunkelt. Es schlug eben zwey Uhr. Ich schlich träumend in mein Quartier.

Sobald der Tag anbrach, kamen die Mitgesellen des fatalen Abentheuers, und verlangten von mir einen Aufschluß über die wunderbaren Begebenheiten der vergangenen Nacht.

»Wir wissen« — hub ihr Wortführer, der Lieutenant N... an: — »wir wissen, daß zwischen ihnen und dem Oesterreicher das engste Freundschaftsband statt findet, oder wenigstens statt gefunden hat. Es wird ihnen also bekannt seyn, wodurch derselbe die Betrügereyen des Geisterbanners in voraus erfahren habe. Hätte er zuvor gewußt, daß der Beschwörer kein anderer, als sein ehemaliger Vertrauter, Volkert wäre; so dürfte er freylich wohl etwas behutsamer zu Werke gegangen seyn. Doch alles dies bey Seite! Wir verlangen blos von ihnen Bescheid über unsere Zweifel von wegen des Betragens des Oesterreichers. Denn daß er hinlänglichen Grund dazu haben mußte, dafür bürgt uns sein solider Charakter und sein fester Glaube an Geistererscheinungen und an die Möglichkeit, dieselben zu bewerkstelligen.«

Ich war weder vorizt zu einer langen Erzählung aufgelegt, noch fand ich für nöthig, den Herren mein Abentheuer im wüsten Schlosse zu berichten. Ich schlug also einen andern Weg ein, sie sämmtlich über ihre Zweifel zu beruhigen. Einer der Korporale, die zu Nachte mit im Gasthofe auf der Lauer gestanden hatten, war in meinem Vorzimmer zugegen. Ich rufte ihn herein:

»Dieser Mann« — rief ich: »wird ihnen mehr sagen können, als ich selbst vermag. Er hat die ganzen heimlichen Machinationen mit angesehen, und untersuchet.«

Der Korporal begann nun eine weitläuftige Erzählung von allem, was im untersten Stockwerke des isolirten Gasthofes vorgefallen seyn sollte. Der Wirth war, nach seinem Berichte, gleich uns, betrogen, und dessen Hausgesinde in Verbindung mit den körperlichern Geistern. Ich hatte wenig Acht auf meines Korporals Erzählung; meine Kameraden aber desto genauere. Sie schienen endlich nach oft wiederholten Fragen begnügt, und verließen mich mit der größten Danksagung für die Befreyung von ihren Zweifeln und Irrthümern.

Ich gieng izt meinen Geschäften nach: aber es wollte nichts gelingen. Verdrießlich kam ich des Abends nach Hause, und noch verdrießlicher stand ich am folgenden Morgen auf. Der zweyte Tag nach der Trennung von meinem Freunde verstrich wie der erste. Ich fand nirgends meines Bleibens; überall schwebte der Vertraute, Geliebte vor meinen Augen; überall verscheuchte mich der Gedanke: ihn nie wieder zu sehen, nie an seinem Arme die Schönheiten der Natur, nie an seinem Busen die stärkende Wonne sympathetischer Gefühle zu empfinden! Im dritten Tage war es mir unerträglich, länger an einem Orte zu verweisen, wo alles den Genus glücklich verlebter Stunden in mein Gedächtniß zurückrief. Ich entschloß mich schnell, packte meine Koffer, beorderte meine Korporale, setzte mich auf die erste beste abgehende Post, und fuhr betrübt und schweres Herzens aus einer Stadt, wo ich viel fand, doch noch mehr vermißte.

Ich wußte und konnte unterwegens die Zeit mit nichts anderem zubringen, als mit Rückerinnerung an die Vergangenheit. Die Bilder verflossener Zeiten stellten sich aufs neue meinen Augen dar, und erregten aufs neue die schmerzhafteste Sehnsucht nach dem verlornen Freunde. Vergebens dachte ich mir die Folgen von einem Umgange, wie der meinige mit dem Oesterreicher war; vergebens bewies ich mir, daß dieser Mann, so brav er auch immer seyn mochte, für meine Seele, für mein ganzes Wesen tödtliches Gift bey sich geführet hätte. Ich mußte mir damals schon selbst bekennen, daß diese plötzliche Trennung mein Glück sey; daß — wäre des Oesterreichers Stolz, durch die Entdeckung: sich und andere betrogen zu haben, nicht so heftig beleidiget, sein hoher Begriff von selbsteigener Größe, Klugheit und Unfehlbarkeit nicht so gewaltig herabgesetzet worden — daß mich, gleich ihm, eine Schwärmerey angestecket hätte, die für meine Ruhe, für die Heiterkeit meines Gemüthes von der nachtheiligsten Wirkung gewesen seyn würde. Dessen allen ungeachtet aber hieng mein Herz mit noch zu festen Banden an dem ehemaligen, düsteren Freunde; und noch in dem Augenblicke, da ich dies niederschreibe, wäre ich willig und bereit, alle meine Zufriedenheit dem Umgange des Mannes aufzuopfern, der durch sein Ehrfurcht einflößendes Aeußere, und durch sein unerforschliches Innere mich und jeden, der ihn kennen lernte, ohne alles eigene Zuthun, so unaufhaltsam zu sich hinriß.

Doch ich komme wieder zur Fortsetzung meiner Abentheuer zurück.

Also, ich saß auf dem Postwagen und dachte an die Vergangenheit. Da mußten mir nun freylich sogleich nach dem Andenken meines verlornen Freundes die Geister und ihr Beschwörer einfallen. Ich überlegte ernstlich alles, was ich davon gesehen und gehöret hatte; erwog reiflich jeden Zufall, der mir und meinen Kameraden, den Oesterreicher mit eingeschlossen, izt und vor Zeiten begegnet war: und da fand es sich, daß noch wenig oder gar nichts von den nähern Umständen der sich sonder allen Zweifel natürlich ereignenden Begebenheiten am Tage läge.

Ein Betrüger war Volkert, das war erwiesen, aber wie er seine Betrügereyen oder Täuschungen bewerkstelliget hatte, und was er dabey für Absichten erreichen wollen, dies war es, was ich bey dem schärfesten Nachdenken bis zur völligen Befriedigung nicht herauszubringen vermochte. Ich gieng einzeln alle seine mir bewußten Thaten durch; besonders untersuchte ich mit der größten Strenge die Erzählung des Oesterreichers: aber hier eben war die undurchforschlichste Finsterniß vorhanden. Und ich mußte eingestehen, daß jeder Mensch, er sey so klug und weise er auch wolle, bey diesen Vorfällen wäre hintergangen, und, gleich meinem würdigen Freunde, auf die Gedanken gebracht worden, worauf dieser, seinem Charakter gemäß, so eifrig bestand und beharrte.

Fast ward ich auf mich selbst böse, daß ich die Gelegenheit aus den Händen gelassen hatte, einen der Menschheit so schädlichen Verbrecher zum Bekenntnisse seiner verübten Greuel zu zwingen. Seine entrissene Larve machte mir zwar den grausen Betrüger kenntlich; deshalb war aber noch nicht für viele meiner Mitbrüder gesorget, die in Zukunft, durch die Fallstricke des gleißnerischen Bösewichts gelockt, in ihr gewisses Verderben hinein rennen konnten. Dieser letzte Gedanke beunruhigte mich vorzüglich, und quälte mich mit den bittersten Vorwürfen, daß ich dem großmüthigen Beyspiele des Oesterreichers gefolget, und dem Gauckler nicht nur für meine Person ruhigen Abzug verstattet, sondern ihm noch obendrein denselben bey meinen Freunden erbeten hatte.

Freylich fiel mir sogleich bey, daß es noch eine große Frage gewesen wäre; ob der F... Magistrat von Werbern dergleichen Klage gegen einen Bürger der Stadt angenommen haben dürfte: freylich hätte, wenn auch dies geschehen wäre, das Zeugniß des Wirthes, der durch Furcht, Geld oder andere Dinge bestochen seyn konnte, unsere Aussage zu nichte machen, und auf diese Weise alle unsere Bemühung vereiteln können. Dessen ungeachtet aber hatten wir doch auch alsdann die Beruhigung gehabt, unsere Pflicht erfüllet, und alle Einwohner der Stadt F... vor diesem schädlichen Insekte gewarnet zu haben.

Dergleichen Vorstellungen folterten mich den ganzen ersten Tag meiner Reise. Ich versuchte, meine vormalige muntere Laune mit Gewalt wieder in Schwung zu bringen; doch meine Seele war vorizt noch nicht zur Freude gestimmet, und deshalb all mein Bestreben dazu zu gelangen vergebens. Ueberdies schienen auch meine Reisegesellschafter mehr Lust zum Schlafen als zum Scherzen zu haben. Ich wünschte sehnlichst meine Korporale herbey, um wenigstens mit diesen zu plaudern, und so meine Grillen verscheuchen zu können. Aber beyde hatten, laut meiner Order, noch eher als ich F... verlassen, und verschiedene andere Wege nach N... eingeschlagen.

Die Nacht brach an. Kein Schlaf kam in meine Augen. Ich war genöthiget, mit meinen trüben, schwermuthsvollen Gedanken und der peinlichsten Langeweile noch immer fort zu kämpfen. Die Einförmigkeit des Fahrens trug auch das ihrige bey, mich von Stunde zu Stunde mit mir selbst und allem, was mich umgab, unzufriedner zu machen, und endlich den Entschluß in mir zur Reife zu bringen: den Postwagen aufzugeben, und meine Reise zu Pferde fortzusetzen.

Kaum war es wieder Morgen; so kaufte ich auf dem ersten besten Dorfe ein Pferd mit Sattel und Zeug, und trabte frisch von dannen. Die Wege waren mir in dieser Gegend gänzlich unbekannt; ein Umstand, worauf ich bey der schnellen Ausführung meines Entschlusses keine Rücksicht genommen hatte. Schon in den ersten Stunden mußte ich mir gefallen lassen, eine halbmeilige Strecke wieder zurück zu reiten; und als der Abend heran kam, befand ich mich in einer Wildniß, woraus ich keinen Ausweg zu finden wußte. Es begann dunkel zu werden. Mein alter Gaul vermochte kaum mehr von der Stelle zu schreiten. Um schneller vorwärts zu kommen, stieg ich ab und gieng zu Fuße, das Pferd am Zaume hinter mir drein schleppend. Izt war es schon so finster, daß ich kaum noch auf zehn Schritt die Gegenstände um mich her unterscheiden konnte.

Auf einmal hörte ich etwas im Gebüsche rasseln: Ich wähnte, irgend ein Wild hatte sich vor mir verborgen, und setzte meinen Weg unbekümmert weiter fort. Aber nicht lange war ich gegangen so erhob sich das Geräusch lauter und mächtiger dicht neben mir. Das Rasseln dauerte fort. Endlich theilte sich zu meiner Rechten das Gesträuch, und ein Mann mit einem Sacke auf dem Rücken und einem Stabe in der Hand, stand vor mir. Sein Anblick war für mich nichts minder, als fürchterlich; vielmehr freute ich mich herzlich, einen Reisegefährten zu finden, der mich aus dieser Einöde leiten, und mir Ort und Stelle anweisen könnte, wo ich nebst meinem müden Hengste Unterkommen fände.

»Wohin, guter Freund?« — rief ich ihm sogleich zu.

»Nach der Mühle!« — versetzte er ächzend.

Ich. Ist die noch weit?

Der Wanderer. Eine Stunde.

Ich. Und ist da Herberge zu haben?

Der Wanderer. Nein.

Ich. Warum nicht?

Der Wanderer. Weil der Müller keinen Fremden einnimmt.

Ich. So — so! das ist schlimm! Ist denn sonst nirgends in der Nähe ein Haus zu finden, wo man übernachten könnte?

Der Wanderer. O ja! Hier oben gleich rechts 'rum, da wohnt ein Holzbauer, der beherbergt Reisende.

Ich. Ist man aber da sicher?

Der Wanderer.Wie meint ihr das?

Ich. Nun, so in eigentlichen Verstande! Die Gegend hier steht nicht im besten Rufe.

Der Wanderer. Wollte Gott, ich dürfte bey der guten Mar die Nacht zubringen! Sollte mir nicht bange seyn. Aber ich habe noch einen weiten Weg vor mir, und meine Bürde, ach! die ist schwer.

Ich. Wäre mein Pferd nicht stumpf und schon zu müde, ich wollte es euch leihen!

Der Wanderer. Danke schön, lieber Herr! 's wird wohl gehen! Geduld muß helfen.

Unter dergleichen Reden schlenderten wir zusammen immer weiter. Izt stand der Wanderer still, und zeigte mir den Fußsteg, wovon er vorhin schon gesprochen hatte.

»Ihr könnt nicht fehlen;« — setzte er hinzu: — immer grade-'naus! Bald werdet ihr Licht sehen.«

Ich stand noch bey mir an, ob ich den Rathschlag des fremden Mannes befolgen sollte; aber die überhandgenommene Finsterniß, und ein Sturmwind, der in den Wipfeln der Bäume zu rauschen begann, bestimmten schnell meinen Entschluß. Ich dankte dem guten Wanderer für seine Zurechtweisung, wünschte ihm glückliche Reise und schlug den angezeigten Pfad ein.

Bald bemerkte ich, daß ich mich auf einer ungebahnten Straße befände. Verschlungenes Gesträuch, Anhöhen Wurzeln und Dornbüsche verzögerten oft meinen Lauf, und hinderten das Fortkommen meines Pferdes, das ohnedies jeden Augenblick zu sinken drohete. Schon gab meine Seele dem argwöhnischen Gedanken Raum: der fremde Mann hätte seinen Sport mit mir getrieben, und mir einen unwegsamen Theil des Waldes angezeiget. Behutsamer gieng ich deshalb weiter. Doch ich irrte mich in meiner Erwartung. Die Bahn schlang sich izt wieder eine Anhöhe herauf. Mühsam und voll Verdruß erklimmte ich sie. Mein Gaul sank auf seine Kniee. Ich riß ihn wieder in die Höhe, und immer mit mir empor. Endlich gieng es wieder bergab; und nun erblickte ich ohnweit von mir den Schimmer eines Lichtes. Ich schritt rasch darauf los. Bald stand ich vor einer armseligen Hütte: Der Inwohner derselben trat auf mein Pochen heraus, bot mir einen freundlichen guten Abend, und ließ sich sogleich auf mein Ansuchen willig finden, in seinem Hause mir Nachtquartier zu verstatten.

Ich war auf wenig Bequemlichkeit gefaßt; erstaunte daher gewaltig; als ich eine Stube geführet wurde, deren Inneres dem Aeußeren der Hütte gänzlich widersprach. Nichts von ländlicher Dürftigkeit war hier zu verspüren; überall herrschte Wohlstand, der mehr den Aufenthalt eines bemittelten Bürgers als die Wohnung eines armen Holzbauers zu verrathen schien.

Meister Max — so kündigte, mir mein Wirth sogleich selbst seinen Namen an — Meister Max hatte wenig acht auf meine Verwunderung: sondern, machte schleunige Anstalt, mich und mein Pferd mit Speise und Trank zu versorgen. Während er das letztere versah, hatte ich Zeit und Muße genug, meine Neugierde zu befriedigen, und die Gegenstände, die sich um mich her befanden und durch den bleichen Schimmer einer Lampe nur zur Hälfte erleuchtet wurden, in genaueren Augenschein zu nehmen.

Das erste, was mir auffiel, war ein großer Haudegen, der dicht bey dem Bette hieng. Einen Augenblicke deuchte es mir wunderbar, ein solches Instrument in der Hütte eines Holzbauers zu finden; bald aber erinnerte ich mich, daß der Mann mitten im Walde einsam und allein wohnte, und also wohl nöthig hätte, ein solches Gewehr bey sich zu haben, das vielleicht auf irgend eine sonderbare Weise in seine Gewalt gekommen wäre. Ich setzte, die Lampe in der Hand, meine Untersuchungen fort, und kam zu einem Rechen an der Wand, woran zwey Pistolen hiengen. Die Ursache ihres Daseyns war in meinen Augen die nehmliche, wie die des Schwerdtes. Ich versuchte, ob sie geladen wären: sie waren es. Ich gieng weiter. Nichts merkwürdiges stieß mir mehr auf, als überall Wohlstand und Ordnung. Mein Wirth war noch nicht zurück. Ich trat zum Ofen, um mich zu wärmen. Von ohngefähr wandte ich mich, und meine Blicke fielen hinter denselben. Da sah ich zu meinem größten Erstaunen eine ganze Rüstkammer von blanken Flinten, Pistolen und Seitengewehren. Erschrocken griff ich nach der nahestehenden Lampe, diese Dinge in helleres Licht zu versetzen; aber ehe dies noch geschehen konnte, öffnete Meister Max die Thüre, und brachte eine mächtige Schüssel voll Gemüse und einen ungeheuern Krug Wein hereingeschleppt.

»Na!« — rief er fröhlich und guter Dinge: — »Hier, lieber Herr! da eß' er und trink' er, wieviel ihm schmeckt! Und nehm er vorlieb, so gut, als ichs habe!«

Ich nickte ihm schweigend meinen Dank zu, und bezeigte wenig Lust, seine Einladung anzunehmen. Er aber holte unbekümmert ein großes Brot, Messer und Teller herbey, setzte sich zum Tische, und fieng an frisch drauf los zu essen.

Erst nach langer Zeit schien er zu bemerken, daß ich nicht mit zulangte.

»Nu!« — rufte er verwundernd: »will er denn nicht auch essen? Wenn man weit her kommt, und sich obendrein noch verirrt hat, da ist man ja immer hungrig!«

Das drollige Betragen meines Wirthes munterte mich wieder in etwas auf. Seine ländliche Einfalt und Ehrlichkeit dünkte mir wenig reimbar mit den vielen Mordgewehren zu seyn, Bald begann ich wieder den Vorrath der letztern auf die Rechnung seiner ängstlichen Besorgnis für Sicherheit zu schreiben, setzte mich zu ihm, und fieng an mit zu essen und zu trinken.

»Guter Freund!« — sprach ich nach geendigter Mahlzeit; denn während derselben war nicht viel mit meinem Wirthe zu reden: — »Guter Freund, ihr seyd stark mit allen Arten von Waffen versehen. Wozu dies?«

Meister Max schien über meine Frage verlegen, stand auf und dehnte sich. Ich glaubte, er hätte mich nicht recht verstanden, und wiederholte sie nochmals.

»I!« — versetzte er unwillig: — »was geht ihn das an? Ich bekomme oft Gäste; für die brauche ich so was.«

Der Sinn dieser Worte war mir hell, und bestätigte meine Vermuthung.

»Aber« — fuhr ich fort: — »wozu so viel Gewehr? Da hinter dem Ofen hängt ja alles voll.«

»So?« — erwiederte er noch verdrießlicher: — »wer hat ihn denn geheißen, hinter meinen Ofen zu kucken? Ist das Gastmanier?«

Ich stand auf, und begehrte zu wissen: wie viel ich für das Abendbrot schuldig wäre? Mein Wirth hub an, laut zu lachen.

»Er will doch wohl nicht gar schon fort?« — rief er: — »in der rabenschwarzen Nacht fort? Höret er denn nicht, wie der Sturm heult? — Sey, er doch nicht so wunderlich« — fügte er hinzu: — »und denk' er, daß, weil Schieß- und Stechgewehr hinter meinem Ofen hängt, daß ich ihn deshalb erschießen und erstechen werde!«

Er brach wieder in ein gutes Gelächter aus.

»Nein nein guter Freund!« — schrie er: — »das Zeug gehört alles nicht mir! 's kommen immer Jäger hieher, die legen so was bey mir ein. Morgen früh kann er sie vielleicht selber sehen. Und da der Palasch, der bey meinem Bette aufgehangen ist, den hab' ich vor Zeiten einmal von einem Panduren gekauft.«

Ich hatte wenig Lust, die Ankunft der Jäger abzuwarten; indeß, wo sollte ich in der finstern stürmischen Nacht, mit meinem stumpfen Gaule hin. Ich lief dieselbe Gefahr, die ich in dieser Herberge zu befürchten hatte. Mein Entschluß war daher kurz gefaßt. Ich bat den Wirth, mir meine Lagerstätte anzuweisen; und nahm mir vor, meine bey mir habenden Pistolen scharf zu laden, und bis zum folgenden Tage wach zu bleiben.

Meister Max willfahrte sogleich meinem Verlangen, öffnete eine Seitenthüre, und führte mich in eine Nebenkammer, worin ein gutes Bette befindlich war.

»Hier« — sprach er: — »könnt ihr ruhen und schlafen bis an den hellen Morgen. Das ist das Nachtlager, das ich immer für verirrte Reisende aufbehalte. Da nehmt die Lampe und zieht euch aus! Seyd ihr erst eingeschlafen, will ich sie schon wieder abholen.«

Meister Max verließ mich mit diesen Worten, und machte die Thüre hinter sich zu. Ich blickte izt genauer umher, und bemerkte bald, das ich mich in einem Gemache befände, worin keine Fenster waren. Auf das ärgste gefaßt trat, ich, izt zur Lampe, und ladete meine Pistolen, die ich vorsichtigerweise, noch ehe ich bey der Hütte des Holzbauers anlangte, in meine Tasche geschoben hatte. Nachdem dies geschehen war, überlegte ich bey mir selbst: ob es rathsam sey, meinen Wirth zu täuschen und mich zu Bette zu legen? Ich fand dies für dienlich, ergriff die Lampe, und untersuchte, ob die Bettstelle auch fest wäre, und ob ich nicht das Unglück zu befürchten hätte, das jenem widerfuhr, der, als er sich auch in einem solchen verdächtigen Orte zu Bette verfügte, einbrach und in einen Keller hinabstürzte. Diese Besorgniß war ungegründet; das Bett war fest: aber ich machte eine andere Entdeckung, die nicht minder schrecklich war. Ich gewahrte an dem oberen Hauptküssen und an der inneren Seite des Deckbettes Spuren von Blute. Ein plötzliches unwillkührliches Grauen überfiel mich; meine Hände zitterten; die Lampe entsank mir: — ich war im Finstern.

Einige Minuten stand ich außer mir. Als ich wieder zu mir selbst kam, war das erste, was ich that, daß ich meine Pistolen suchte. Lange Zeit tappte ich durch das schwarze Dunkel vergebens umher. Bald wußte ich selbst die Gegend der Kammer nicht mehr, wo ich mich befand. Doch gelang es mir endlich, auf mein anhaltendes Spähen den Tisch, worauf ich das geladene Gewehr vorhin geleget hatte, zu ergreifen, und meiner Pistolen mich zu bemächtigen. Mir wurde leichter, sobald diese nur wieder in meinen Händen waren. Ruhig tappte ich nun noch bis zu einem nahen Schemel, und setzte mich lauschend nieder. Anfänglich war alles um mich her still. Nach einer Viertelstunde ohngefähr hörte ich jemand in das benachbarte Gemach kommen. Sein Gang näherte sich meiner Kammerthüre. Sie ward geöffnet, und die Stimme meines Wirthes erschallte:

»Schlaft ihr schon?«

Ich antwortete nicht. Nach einer kurzen Pause ertönte sie nochmals:

»Habt ihr die Lampe ausgelöscht?«

Ich antwortete wieder nicht. Der Wirth nahm dies für die Bejahung seiner Fragen, und zog behutsam die Kammerthüre zurück. Seine Schritte giengen izt wieder durch die Stube hindurch; und zur Thüre hinaus. Alles war von neuem still? Aber die Ruhe dauerte kurze Zeit. Meine Ohren vernahmen auf einmal das Geräusch von vielen Menschen. Man klirrte mit Spornen, man polterte, man sprach; aber alles geschah leise, alles geschah heimlich, alles glich einem dumpfen Wirrwarr, der jedoch für mich desto furchtbarer war.

Izt bemerkte ich durch die Spalten der Kammerthäre, daß man Licht anzündete: ein Trost für mich. Der düstere Lerm dauerte indessen fort. Endlich deuchte mir, man setze sich. Ich hörte nunmehr deutlichere Stimmen und Worte. Die Stimmen waren rauh, die Worte schienen mir aus einer fremden unverständlichen Sprache genommen zu seyn.

Gleich einem Verurtheilten, der die Losung zu seinem Lebensende erwartet, der aber bis zum letzten Blutstropfen sich zu vertheidigen entschlossen ist, blieb ich unbeweglich eine gute Stunde lang auf meinem Schemel sitzen. Oft faßte ich den Entschluß, plötzlich in die mir unbekannte Versammlung einzutreten, und mit der Pistole in der Hand freyen Durchgang mir zu erbitten; doch immer ermahnte mich ein gewisses Etwas: noch zu harren, und in Geduld zu erwarten, ob man mir nicht selbst den Besuch abstatten würde. Unaussprechlich peinlich war meine Lage. Bey dem mindesten Getöse, das sich meiner Kammer zu nähern schien, sprang ich auf, und setzte mich in Positur, die Eintretenden gehörig zu empfangen. Aber immer hatte ich mich noch getäuschet, immer verblieb ich noch unbesuchet, und in meiner vorigen Verlegenheit.

Schon fieng ich an zu glauben; mein Wirth sey wirklich ein ehrlicher Mann, und seine nächtlichen Gäste wären keine anderen, als — wie er mir vorhin selbst sagte — Weidmänner, die sich vielleicht noch vor Tage auf den Anstand begeben wollten, und bis dahin bey Meister Max einzukehren pflegten. Ihre Sprache schien freylich dieser Vorstellung zu widersprechen; doch sie war für mich beruhigend, und deshalb beharrte ich auf meinem Glauben, bis mir endlich wieder die Blutflecke im Bette einfielen, wogegen ich mir nichts anderes, als betrügerische Täuschung meiner Augen einzuwenden wußte.

Unter solchen Gedanken übermannte mich endlich der Schlummer, den ich seither mit der größten Sorgfalt zu vermeiden bemühet gewesen war. Kaum aber begann ich im völligen Ernste einzuschlafen; als eine meiner Pistolen, die ich mit gespanntem Hahne in der Hand hielt, herabfiel und losgieng. Ich fuhr erschrocken empor. Und im nehmlichen Augenblicke glitschte die noch unaufgezogene unter meinem Arme hinweg, und sank gleichfalls zu meinen Füßen. Ich bückte mich eiligst, die letztere aufzuheben; hatte sie aber noch nicht gefaßt, als die Thüre aufsprang, und drey baumstarke Kerls mit blanken Säbeln zu mir hereintraten.

Der Schlaf, der Knall meiner einen Pistole, das Verlieren der andern, der schnelle Ueberfall; alles dies zusammengenommen, betäubte mich dermaßen, daß ich an nichts, als an meine schleunige Vertheidigung dachte. Ich schoß die nun mehr in der Hand haltende Pistole los, und einer der bewaffneten Männer stürzte brüllend zu Boden. Im Nu stürzte ein ganzer Haufe mit Lichtern; Flinten, Hirschfängern, Dolchen und allen möglichen Mordinstrumenten zu mir herein, indeß die zuerst Eingetretenen bey ihres Kameraden Falle sogleich auf mich zu drangen. Und ehe ich noch mein Seitengewehr zu entblößen vermochte, sah ich mich festgehalten, umringet, und aller eigenmächtigen Vertheidigung, aller Hoffnung zur Rettung meines Lebens beraubet.

»Bringt ihn herein!« — donnerte von innen eine Stimme.

Plötzlich fühlte ich mich, mir selbst unbewußt, fortgerissen, und bevor ich mich noch zu sammeln vermögend war, stand ich vor einem Manne, den fürchterlichsten, den ich Zeit meines Lebens gesehen habe. Mit gräßlichem Tone, drohender Gebehrde und feuersprühenden Augen fragte er mich: ob ich mein Schicksal nicht erwarten gekonnt hätte.

»Bindet ihn!« — rief er wüthend: — »und werft ihn hinaus, bis Recht und Urtheil über ihn gesprochen ist!«

Man, vollzog sogleich seinen Befehl. Meister Max legte selbst mit Hand an. Ein fühlloser Starrsinn bemächtigee. sich meiner; ich gab keinen Laut von mir. Man brachte mich hinaus in einen Keller. Wie lange ich in diesem dumpfigen Loche gelassen wurde, kann ich nicht sagen. Ich war in einem Zustande, der keine Zeitrechnung erlaubte. Endlich holte man mich wieder herauf, und stellte mich vor den Richterstuhl des furchtbaren Mannes. Der Blessirte lag mit verbundenem Kopfe auf dem Bette, um ihn her standen wehklagend seine Gesellen. Unter diesen entdeckte ich einen ehrwürdigen Greis, den ich vorhin nicht bemerket hatte.

Der Richter hub izt an zu sprechen. Die ganze Versammlung begann rachgierige, blutdürstige Blicke auf mich zu schießen. Auch der Alte wandte sich gegen mich: —wie, ward mir! — So müßte dem zum Tode geführten Missethäter zu Muthe seyn, wenn plötzlich ein schützender Engel erschiene, und den himmlischen Arm zu seiner Rettung darböte; wie mir zu Muthe war, als ich in dem Greise Volkert erkannte. Ob er mich retten wollte, ob er mich retten konnte; das wußte ich nicht: aber mein Zutrauen verstattete der kalten Vernunft keine Einwendung. Ich hatte ihn von Schmach und Schande gerettet; er hatte mir seine Gegendienste versprochen: wer durfte noch zweifeln! — Er mußte mich retten.

»Volkert!« — rief ich: — »Volkert!«

Die fürchterlichen Männer bebten zurück, und blickten mich und ihn betroffen an.

»Volkert!« rief ich: — »Volkert!« und streckte meine gebundenen Hände nach ihm aus. Er erkannte mich, eilte auf mich zu ergriff ein Messer und durchschnitt meine Bande. Die fürchterlichen Männer standen wie an den Boden gefesselt.

»Du hast mich befreiet;« — sprach izt Volkert ernst und feierlich! — »du hast mir die Freyheit geschenkt; nimm deine Gabe zurück, und dein Leben obendrein!«

»Brüder!« — fuhr er fort, und kehrte sich gegen die von Erstannen in Stein verwandelte Versammlung: — »Brüder! Er ist der Retter meiner Ehre, meiner Freyheit; was wollt ihr von ihm?«

»Gnade! Gnade!« — schrieen die Männer alle einstimmig: — und schwenkten die Hüte: — »Gnade! Gnade! Er soll leben!«

»Brav, Brüder! — fiel ihr furchtbarer Anführer, der sich zu meinem Richter aufgeworfen hatte, ihnen ins Wort: — »Brav, »Brüder! So seyd ihr Volkerts und meiner würdig!«

»Fahr' wohl, Andres!« — fügte er hinzu und wendete sich zu dem Sterbenden: — »Fahr wohl Andres! du bist gerächt, zwiefach durch deiner Brüder Großmuth gerächt.«

Ohne sich nun länger aufzuhalten, stürmte der ganze Haufe bey mir vorbey,« und zur Thüre hinaus. Volkert allein blieb noch bey mir.

»Leben sie wohl, Herr Lieutenant!« — sprach er, und reichte mir seine Hand: — »Sie haben wohl gethan, daß sie, gleich ihrem Freunde, aus F... gegangen sind. Mich siehet man nie da wieder. Und wenn ihnen auf dieser ihrer Reise ein ähnlicher Unfall begegnen sollte; so dürfen sie nur meinen Namen nennen, und sie werden geborgen seyn!«

Ich wollte ihn umarmen, wollte ihm den herzlichsten Dank abstatten; aber er riß sich von mir los, und eilte schnell seinen Freunden nach. Noch kurze Zeit vernahm ich außer Hütte einiges Geräusch. Bald hörte ich einen Schwarm Pferde im wildesten Laufe von dannen rennen. Todesstille, die nur durch das Aechzen des Sterbenden unterbrochen wurde, umgab mich anizt. Max ließ sich nicht mehr sehen.

Ich vermochte endlich nicht länger mehr in der Stube zu verbleiben. Das Toben des Sturmes hatte sich gelegt. Der Morgen fieng eben an zu dämmern. Ich suchte mein Pferd, fand es in einem Winkel des Hauses schlafend, zog es heraus, bestieg es, und ritt langsam davon.

Als die Sonne emporstieg, befand ich mich noch mitten unter Bäumen und Hecken. Lange irrte ich umher, ohne einen Ausweg erforschen zu können. Endlich begegnete mir ein Landmann, der mich für ein verheißenes Trinkgeld durch die Wildniß hindurch auf den rechten Weg nach N... leitete. Durch mein gefahrvolles Abentheuer behutsamer gemacht, erkundigte ich mich nun von Ort zu Ort nach der geraden Straße dahin, und so gelang es mir, ohne weiteren Unfall mit meinem steifen Gaule das Ziel meiner Reise zu erreichen.

Doch ehe ich noch dahin gelangte, ereignete sich ein Vorfall den ich — weil er in die Geschichte des Geister-Schlosses eingreift, und zur ferneren Aufklärung über die nächtlichen Inwohner, desselben das Seinige mit beyträgt — hier einzuschalten mich genöthiget sehe.

Ongefähr eine Meile vor N... führte mich der Weg durch ein Dorf, worin ich schon von weiten einen gewaltigen Lerm vernahm, der mich anfänglich eine Kirmeß vermuthen ließ. Bey meinem Einreiten in diesen Ort aber ward ich sogleich aus jenem Irrthume gerissen. Denn ich bemerkte an der Thüre der Schenke, die zu den ersten Häusern dieses Dorfes gehörte, einige Leute, die ich im Augenblicke für das, was sie waren, für betrunkene, angeworbene Soldaten erkannte. Begierig zu wissen, wer der Anführer dieses Transports sey, und ob er vielleicht ein Bekannter von mir wäre, stieg ich ab, und gieng in das Wirthshaus hinein.

Ich fand nicht, was ich suchte; weder — wie eine dunkle Ahndung mir zulispelte — weder meinen ehemaligen Freund den Oesterreicher, noch einen andern Bekannten. Zwey fremde Korporale geleiteten den Zug, und auf Befragen: wie ihr Officier hieße? nannten sie mit einen noch nie gehörten Namen. Um nicht ganz unnütz meine Reise unterbrochen zu haben und ganz vergeblich eingekehret zu seyn, musterte ich die gegenwärtige Mannschaft, und forschte einzeln nach ihrer Größe und übrigen äusseren Qualitäten.

Ich hatte eben meine Untersuchungen geendiget, und wollte wieder die Herberge verlassen; als meine Augen auf einen Menschen fielen, den ich unter dem Schwarme noch nicht entdecket hatte. Er stand still, mit in einander geschlungenen Armen, am Ofen, und heftete starr seinen Blick auf die Erde. Seine Gesichtszüge deuchten mir nicht fremd. Ich trat ihm näher. Er schlug die Augen auf, und bebte erschrocken zurück. Aber sein Entsetzen verwandelte sich schnell in Freude. Entzückt kam er auf mich los, ergriff mich bey der Hand, und rief:

»Lieber lieber Herr Lieutenant! Sind sie's? Gott sey dank, daß sie noch leben! Gott sey gelobt, daß ich sie noch einmal wiedersehe!«

Seine Stimme,'seine Redensweise überzeugten mich völlig; es war kein anderer, es war mein im Geisterschlosse vermißter Diener.

Der gute Mensch konnte sich nicht satt freuen, daß ich nicht in jenem Keller, nebst dem Baron R... und seinem Hofmeister, nach der Räuber Willen, umgekommen wäre. Er schrie und jauchzte, daß sich die anderen Rekruten um uns her zu versammeln begannen. Ich bat mir bey den Korporalen ein Gespräch unter vier Augen mit ihm aus. Es wurde mir sogleich zugestanden. Man rufte den Wirth, und dieser geleitete uns beyde in eine Stube des obern Stockwerkes, wo wir frey und ungestört mit einander sprechen konnten. Ich ersuchte nun meinen ehemaligen Diener: ohne weitere Umschweife alles her zu erzählen, was sich, seitdem ich ihn schlafend in dem Saale der wüsten Burg verließ, mit ihm zugetragen hätte. Er war willig und bereit, mein Verlangen zu erfüllen, und sein Bericht lautete in besseren Ausdrücken ohngefähr also:

*

Ich wurde aus meinem Schlafe durch ein gewaltsames Hin- und Herreißen erwecket. Als ich zu mir selbst kam, empfand ich mich von starken Fäusten angepackt und fortgeschleppt. Furcht und Schrecken beraubten mich meiner Sprache und aller meiner Kräfte. Ich versuchte zu schreyen; aber ich vermochte es nicht. Wie ich in der dicken Finsterniß vermerken konnte; trug man mich die Wendeltreppe hinab, über den Hof hinweg und zur Pforte hinaus. Hier ladete man mich queer über zwey Pferde, und befestigte mich mit Stricken darauf. Um mich herum vernahm ich einen ganzen Trupp Reiter. Zwey davon bestiegen die Rosse, woran ich gebunden war, und nun gieng es im schnellsten Galoppe auf und von dannen.

Der Morgen fieng schon an zu dämmern; ich fühlte mich meinem Ende nahe: doch meine Entführer rasteten noch nicht, sondern ritten mit der größten Schnelligkeit immer weiter. Das Ziehen, Dehnen, Reißen, Stoßen, womit ich gemartert wurde, versetzte mich endlich in einen Zustand, der mich nicht bemerken ließ, wie lange noch die Reise dauerte.

Als ich wieder aus meiner Ohnmacht erwachte, befand ich mich in einem, dem Anscheine nach, tief unter der Erde verborgenen Gemache. Ein altes Weib war um mich her, und bestrich mich mit Zwiebeln. Sobald sie sahe, daß wieder völliges Leben in mich zurückgekehret wäre, holte sie eine Flasche Brandwein herbey, und ermahnte mich, in einer grobbäurischen Sprache zu trinken. Ich schlug diesen Gebrauch des Brandweins aus, und ersuchte sie: mir denselben zur Stärkung meiner zerstoßenen und auseinander gezerrten Glieder zu überlassen. Sie war bereit dazu, und verließ mich.

Izt entdeckte ich erst die Scheußlichkeit des Ortes, wo ich mich befand. Der furchtbarste Kerker kommt diesem jämmerlichen Aufenthalte nicht gleich. Schwarze, hochgewölbte, mit feuchtem Moos bewachsene Mauern umgaben mich. Modriges Stroh, daß auf naßkaltem Boden lag, machte meine Lagerstätte aus. Ein schwacher Lampenschein erhöhete die Schrecken des verödeten Kellers. Ein dumpfiger Geruch verwehrte mir, aus freier Brust Athem zu schöpfen. Hierzu kamen noch die gräßlichsten Schmerzen, die mich folterten, und die durch den eingeschriebenen Brandwein nicht vermindert, vielmehr, wegen der vielen wunden Stellen, nur vermehret wurden. Und heftiger als dies alles peinigte mich die Furcht vor der Zukunft. Ich war, wie leicht zu ermessen, in den Händen von Menschen, die mir ohne die mindeste Scheu das Leben rauben, oder mich durch dergleichen Bedrohung zu den größten Schandthaten verleiten konnten.

Zwey Tage brachte ich in einem Zustande hin, der bis hieher der peinlichste meines Lebens war. Obgleich meine Schmerzen nachließen; ob ich gleich meine Glieder wieder freyer zu heben und zu bewegen vermochte: so wurde ich doch durch die Angst vor den Dingen, die da kommen sollten, so ermattet, daß ich mein ärmliches Lager am dritten Tage noch nicht zu verlassen im Stande war. Auch versetzte mich noch obendrein die häfßiche Alte, durch ihre mir zur Last fallende Geschäftigkeit, beständig in die unbehaglichste Gemüthsstimmung. Bald brachte sie Umschläge von geröstetem Mehle; bald wollte sie mich mit Gewalt zwingen, einen Löffel schwarzer Tropfen einzunehmen; bald kam sie mit einer Suppe von dem widrigsten Ansehen; bald holte sie anderes Stroh herbey, das noch sehnmal nässer und modriger war, als das, worauf ich lag. Kurz: ich sah mich alle Augenblicke genöthiget, meine wenigen Kräfte noch, durch heftigen Widerstand gegen meiner Pflegerin gutgemeinte Rathschläge, zu verschwenden.

Am vierten Tage endlich änderte sich mein Aufenthalt. Was ich vorausgesehen, geschah. Die fremden, nächtlichen Unholde hatten mich zu ihrem Gesellen bestimmt, und als solcher ward ich izt auf ein Pferd gesetzt, und mußte, meiner geringen Kräfte ungeachtet, durch unbekannte Gegenden eiligst mit ihnen von dannen traben. Meine Führer, vorerst nur drey Mann an der Zahl, alle in leinenen, mit Kohlstaub eingepuderten Kitteln, ritten vor mir her, und sahen sich öfters und sorgfältig nach mir um. Ihre schwarzen Gesichter, ihre rustigen Hände schienen mir schlimme Vorboten zu seyn; schienen mir Vorhaben zu verrathen, vor deren Ausführung ich schauderte.

Wir mochten ohngefähr eine Stunde geritten seyn; als meine Gefährten vor dem Wirthshause eines Dorfes Halt machten, von ihren Pferden stiegen, und mir ein gleiches zu thun geboten, mit dem Befehle: die Rosse so lange zu bewachen, bis daß sie wieder ihre Reise fortsetzen würden. Ich gehorchte stillschweigend, band die Pferde an einen nahen Baum, und setzte mich auf die an der Herberge befindliche Bank nieder. Traurige Betrachtungen ermangelten nicht, mir die Zeit zu verkürzen. Ich dachte an meine vorige Lebensart, dachte an die guten Tage, die ich bey meinen Herrschaften genossen hatte, und bald rollten dicke Tropfen an meinen Wangen herab.

»Was soll aus dir werden?« — rief ich mir selbst zu: — »Ein Räuber, oder, gar ein Mörder!« —

Brühheiß durchfuhr es meine Glieder. Ich sprang auf, entschloß mich kurz ein Pferd zu besteigen und in die weite Welt zu jagen. Aber der Mangel meiner Kräfte, mahnte mich bald an die Unausführbarkeit meines Willens. Ich sank wieder auf meine Bank zurück, und bat den Himmel: mich lieber von der Welt zu nehmen, als einen Mitgesell des schändlichsten Gewerks aus mir werden zu lassen. Mir ward auf einmal nach diesem Gebete leichter um das Herz. Munter und gestärkt stand ich auf, und wartete mit Verlangen auf meine Führer.

Nach kurzer Zeit traten diese aus dem Wirthshause heraus. Mit ihnen kamen noch drey andere, schmutzig und schwarz bestäubt, wie sie; ausser der Gestalt, nicht Menschen ähnlich. Mit der größten Geschwindigkeit holten die drey letzteren aus einem, in der Nähe liegenden Stalle, Pferde herbey, schwangen sich darauf, und jagten eiligst davon. Meine vorigen Gefährten folgten ihrem Beyspiele, winkten mir, es eben so zu machen, und im schnellesten Laufe rannten unsere Rosse den vorweg Gerittenen nach. Bald hatten wir sie ereilet, und nun gieng die Reise rasch weiter.

Meiner Gesellschafter waren nun sechs an der Zahl: Aus Versehen war beym Aufsteigen meiner Führer, das Pferd, worauf ich vorhin ritt, verwechselt worden, und ich hatte dafür einen leichtern rüstigern Läufer unter mich bekommen. Er hielt sich stets bey den Ersteren meiner Gefährten, und ich konnte genau jedes ihrer Worte vernehmen; ob mir gleich keines derselben verständlich war. Der Tag begann sich eben zu neigen. Wir ritten noch eine gute Stunde. Hierauf stiegen meine Führer wieder vor einem Gasthofe ab, und beorderten mich: die Pferde anzuhalten. Ich ergab mich ruhig in mein Schicksal, und harrte in stiller Gelassenheit auf den Ausgang des so fürchterlich beginnenden Abentheuers.

Schon hatte ich über eine Stunde, bey der kalten Witterung unter freiem Himmel, die Rosse gehütet, und noch ließ sich keiner meiner Begleiter erblicken. Endlich kam der Wirth der Dorfschenke, wobey ich mich befand, heraus, und brachte mir ein Butterbrot und ein Glas Bier. Ich schütterte mich vor Frost, und vermochte weder zu essen, noch zu trinken. Izt war bereits die völlige Nacht eingebrochen. Kein Stern leuchtete. Ein durchnässender Nebel umhüllte mich. Noch eine Viertelstunde weilte ich, und nun erschienen meine Führer: aber nicht mehr sechs an der Zahl, sondern ihrer zwölfe; nicht mehr in Kohlenbrennerkitteln, sondern in Jägerkollets, und mit Flinten, Pistolen und Pallaschen versehen. Wie mir bey diesem Anblicke zu Muthe warb, vermag ich nicht zu beschreiben. Ich fühlte mich mehr todt, als lebendig, klimmte außer mir auf das Pferd, folgte bewußtlos meinen Gefährten, und wurde dann erst zu mir selbst gebracht, als aus der Ferne das Blasen von Körnern ertönte, und meine zwölf Begleiter ein einstimmiges Hussa! Hussa! brüllten.

Das entfernte Hörnerblasen kam näher und näher. Meine Führer griffen auch nach ihren Hörnern, und stießen zuweilen schnell und abgebrocher in dieselben. Izt schallten die fremden Hörner dicht vor mir. Ein mächtiger Schwarm Reiter stürmte: herbey. Bald fand ich mich ringsum von Pferden und Menschen umringt. Rauhe, fürchterliche Stimmen murmelten verworren durch einander. Man schlug Feuer, man zündete Pechfackeln an. Gott! unter was für Geschöpfen befand ich mich. Ein Schwarm der furchtbarsten Wesen stellte sich mir izt im feurigen Schimmer zum Anschauen dar. Gräßliche Blicke scheuchten von allen Seiten mein starres Auge, und schreckten meine muthlose Seele. Mein Gemüthszustand ward bald bemerkt. Man schrie mir zu, man lachte, man fluchte. Endlich trat einer, gräulicher von Ansehen, als alle seine Gesellen, aus dem tobenden Haufen hervor. Sogleich verstummte die ganze Versammlungs und der greuliche Mann fieng an also zu reden:

»Es wird euch nicht fremd sein; Brüder, daß dieser Bube der Diener eines jener Elenden ist, die sich mit und ohne Mannschaft unterstanden, in unserer Burg zu wachen. Die Frechen sind bereits bestraft. Hunger und Durst malmen an ihrer Beute, und martern bis zur Verzweiflung ihre Opfer. Sobald wir wieder im Schlosse den nächtlichen Einzug halten, werden wir sie finden zu Boden gestreckt und getödtet. Mögen sie büßen für ihren Frevel; und zu spät einsehen lernen: daß verborgene Dinge ans Licht zu ziehen, ein Unternehmen sey, das den, der es wagt, ins Verderben hinabstürzt. Die mehresten von euch haben mit angesehen und mit geholfen, wie die treusten Thoren von unserem Vater Franz geneckt, getrillt, gefoltert wurden. Unser Muth ward gekühlt, unser Spas und Spott vollbracht, unsere Rache an ihnen gesättiget. Die Einwohner des Dorfes harren noch ihres Lohnes; dafür, daß sie die Burg mit den kühnen Fremden zugleich bezogen. Auch erheischt unsere zukünftige Sicherheit die Verwüstung dieser Gegend. Doch davon ein andermal. Izt sagt an: was seid ihr entschlossen, mit diesem Buben vorzunehmen? Fein und vorsichtig war es von euch, ihn wegzuführen: denn er hätte leicht an uns können zum Verräther werden. Feist und stark ist er genug; mein Rath wäre also: wir machten ihn zu unserm Gesellen!«

»Zu unserm Gesellen! — Zu unserm Gesellen!« — brüllten alle.

»So mag er heute noch sein Probestück ablegen!« — fuhr der greuliche Mann fort.

»Er soll — er soll!« — schrie der ganze Haufe drein.

Ich stand zagend und bebend, wie der Verbrecher, über den das Wehe gerufen wird. Der Sprecher wandte sich anizt zu mir.

»Pursche!« — rief er: — »du hast die Ehre vernommen, die wir dir zugedenken. Unter Räubern gelten Schwüre so wenig, wie in der Hölle. Ein bloßer Handschlag kann uns also nur deine Treue zusichern. Reiche deine Rechte, und gelobe mir zu gehorchen!«

Zitternd that ich, was der greuliche Mann verlangte. Er sprach mir Muth ein, hieß mich, alle Angst fahren zu lassen, und befahl mir, ihm zu folgen. Plötzlich wurden die Fackeln verlöscht. Die Räuber murmelten aufs neue verworren durch einander. Die Hörner begannen wieder zu tönen. Die Rosse rannten auf und davon. Ich fühlte mich fest beym Arme gehalten, und mein Pferd fortgezogen. Nach kurzer Zeit rufte die Stimme des greulichen Mannes ein furchtbares Halt.

»Hier« — setzte sie hinzu: — »hier ist eine geladne Flinte und eine Pfeife! Die erste gebrauchst du nur im äussersten Nothfalle, die zweyte sobald ein Wagen vorüber fährt.«

Meine Ohren vernahmen den sich entfernenden Hufschlag eines Rosses; aber es kam mir vor, als ob sich noch in der Nähe bey mir ein anderes mit seinem Reiter aufhielte.

Ich überlegte, was nunmehro zu thun wäre. Dem Befehle des Räubers Folge zu leisten; ein Verräther armer Reisender zu werden? — Unmöglich! Aber durch Ungehorsam gegen den Befehl des Räubers mein Leben zu wagen, dies dünkte mit noch schwerer zu erfüllen. Indem ich so hin und her dachte, hörte ich auf einmal in mäßiger Entfernung das Rasseln einer heranfahrenden Kutsche. Ich zitterte am ganzen Leibe: Die Kutsche näherte sich. Mein Leben wurde stärker. Mir selbst unbewußt schob ich die Pfeife zwischen meinen Fingern herauf; aber diese waren erstarret; meine Hand schwankte: die Pfeife entfiel mir. Jach rauschte anizt der Wagen bey mir vorüber. Plötzlich wurde dicht hinter mir gepfiffen. Nicht lange, so vernahm ich in der Nähe einige Schüße, und bald darauf Geschrey um Hülfe. Eine weibliche Stimme flehete um Erbarmen. Wildes Rufen schallte durch einander. Noch kurze Zeit dauerte der Lärm; dann war alles wieder still.

Betäubt saß ich noch auf meinem Pferde, als eine fremde Macht schnell den Zügel desselben ergriff, und es eiligst fortriß. Bald erblickte ich durch das Gesträuche Lichtschimmer. Mein Weg gieng schnurstracks darauf los. Izt war ich nahe dabey, und erkannte an meinem Führer den greulichen Mann, der vorhin zu mir gesprochen hatte. Voll Todesangst kam ich nunmehr auf einen freyen, runden Platz, wo ohngefähr die Hälfte der Räuberbande versammelt, und mit Durchsicht ihrer so eben gemachten Beute beschäftiget war. Alle schrien bey meinem Anblicke laut auf, als ob sie schon wußten, wie schlecht ich mein Probestück abgeleget hätte. Vermuthlich mochte ihnen der Ton der Pfeife einen geübtern Mund, als den meinigen, verkündiget haben.

»Richtet über ihn!« — donnerte meines Führers Stimme.

»Schlagt ihn todt!« — erwiederte ein Räuber.

»Werft ihn in die Höhle!« — riefen einige andere.

»Das letztere!« — fiel der Anführer ein: — »Vielleicht bessert ihn Strafe.«

Flugs saßen zwey von ihnen auf den Pferden, faßten den Zaum des meinigen, und fort gieng es über Stock und Stein.

Schon graute der Tag, als wir vor dem Abhange eines Hügels anlangten. Durch verschlungenes Gesträuch bahnte man Weg, und schleppte mich, nachdem man vorher meine Hände und Füße gebunden, eine enge Kluft entlang in ein finsteres Loch. Eine Falthüre schien mir hinabzusinken; denn ich fühlte mich auf einmal in die Tiefe geschnellt, und gewahrte das Schnappen eines Riegels, der schnell wieder über mir zurückgeschoben wurde. Ich tappte um mich her, und fand mich von feuchtem Strohe umgeben, das, wie mich der Geruch lehrte, halb verweset war.

Lange Zeit schmachtete ich einsam in dem fürchterlichsten Zustande. Endlich bemerkte ich in der Ferne das schwache Getös eines langsam herbeykommenden Fußes. Die Tritte verhallten zuweilen gänzlich; dann vernahm sie wieder mein Ohr lauter und schneller, als vorher. Nach und nach dämmerte der Schein eines Lichtes vor meinen Augen auf. Ich wandte mich mühsam, und entdeckte, daß er hinter mir aus einer tiefen Grotte hervorbrach. Der Schimmer wurde heller und heller, die Tritte kamen näher und näher. Und nunmehr sahen meine Augen eine Gestalt, die mich mehr, als die Räuber selbst erschreckte, sie sahen die verschrumpfte, häßliche Alte mit der schnellesten Geschäftigkeit, die ihr möglich war, aus dem weiten, düsteren Geklüfte emporsteigen. Keuchend kroch sie aus dem Eingange heraus, und nun vermochte ich erst den schauderhaften Ort, wo ich mich befand, in Augenschein zu nehmen. Die matten Strahlen der Lampe brachen sich grausend an den hohen Felsenmauern, und verloren sich im schwarzen, gräßlichem Gemische an der Decke derselben. Mein ganzer Aufenthalt hatte ohngefähr acht Schritt in der Länge und drey Schritt in der Breite, ein furchtbares Loch mit modriger Luft und verpesteten Dünsten angefüllet, wodurch, wie im blauen Nebel, das Licht hervorschimmerte.

Die Alte fieng mich an zu beklagen und zu bejammern, vermahnte mich zum bessern Gehorsame gegen meine Herren, und setzte ohne weiteren Zeitverlust einen Krug Wasser, der mit einem Stücke Brot zugedecket war, vor mich hin, wand die Stricke von meinen Händen los, und bat mich: Geduld zu haben, und durch Versuche, zum Entkommen, das schlechterdings aus dieser Höle unmöglich wäre, meine Strafe nicht zu verlängern und zu verstärken. Ich antwortete keine Silbe auf ihre Reden, und sie verließ mich.

Da lag ich nun wieder im Finstern einsam und allein; lag, der peinlichsten langeweile überlassen, drey Tage und drey Nächte in diesem schrecklichen Kerker. Blos nach den Besuchen der Alten, die täglich zur Mittagszeit mit Brot und Wasser bey mir erschien, vermochte ich Tag und Nacht zu berechnen, und dadurch die Quaal meines unaussprechlich martervollen Zustandes zu vergrössern. Keines meiner Lebensjahre hat mir so lange gedeucht, als diese fürchterlichen drey Tage: Vergebens strebte ich die Banden an meinen erstarrten Füßen zu zerreißen. Der Knoten, der sie hielt, war so unauflösbar, daß die Haut meiner Finger, ohne nur eine Schlinge bewegt zu haben, daran hängen blieb, und daß ich, unversehen mit einem Messer oder sonstigen hierzu dienlichen Instrumente, bald die Hoffnung aufgab, aus den Händen der Räuber zu entwischen. Am vierten Mittage endlich trat ihr greulicher Anführer, eine Fackel in der Hand, zu mir ins Gefängniß.

»Nun!« rief er, ehe noch sein Fuß den langen Felsengang verlassen hatte: — »nun, Pursche, wie stehts? Ist izt dein Starrsinn gebeugt? Willst du künftig besser gehorchen?«

Ich wimmerte ein klägliches Ja, das Ende meiner Entschlüsse, die ich während der dreytägigen Marter gefaßt hatte. Sogleich wurde der Strick, der meine Füße fesselte, durchschnitten. Ich versuchte aufzustehen; aber vergebens. Meine Beine, die während ihrer langen Unbewegbarkeit fühllos geworden waren, erhielten anizt mit dem Gebrauche ihrer Kräfte die schmerzhafte Empfindung ihres Starrseyns im vollesten Maaße wieder, und ich sank auf mein Lager zurück. Den Räuber verwunderte dies nicht. Er raffte mich mit mächtigem Arme empor, und schleuderte mich über den steinigten Boden. Lange mußte ich so gezerrt und gerissen meinen Weg fortsetzen; oft auf den Knieen durch enge Felslöcher schlüpfen, oft wieder auf Händen und Füßen über gähnende Schlünde hinwegklimmen. Endlich waren wir an Ort und Stelle.

Eine kleine Thüre öffnete sich, und zeigte meinen Augen ein geräumiges, durch viele Lichter erhelltes Gemach, worin einige der Räuber am Tische saßen, und Speise und Trank zu sich nahmen, andere Karte spielten, und noch andere Schießgewehr putzten und ladeten. Sie waren alle äusserst freundlich gegen mich, nöthigten mich zum Essen und Trinken, und wünschten mir Glück zu meinem gefaßten Entschlusse. Braten und Wein behagten mir treflich. Ich aß und trank, so viel ich konnte, für die Räuber aber dennoch zu wenig, die mir stets aufs neue vorlegten, und tapfer auf baldige Kameradschaft zutranken. Erst nach einigen Stunden räumte man den Tisch bey Seite. Die Alte, die bisher blos bedienet hatte, fieng nunmehr an zu essen, und die Räuber machten sich reisefertig.

»Heute gehst du noch nicht mit!« — rief mir der Anführer zu: — »aber morgen sollst du aufs neue beweisen, ob wir dich brauchen können, oder todt schlagen müssen.«

Ohne eine Antwort von mir zu erwarten, stürmte nun die ganze Schaar zu der kleinen Thüre hinaus, und ich war mit der Alten allein, die auf das sorgfältigste für meine Unterhaltung bedacht war. Sie erzählte mir vielerley, von den lieben, guten Herren, wie sie die Räuber nannte, und pries ihre Großmuth auf alle ersinnliche Art und Weise. Da sie bemerkte, daß mir diese Gespräche in der Lange nicht mehr gefallen wollten, holte sie Bücher, Karten und Würfel herbey, und ließ mir die Wahl, unter diesen Dingen einen Zeitvertreib für mich zu bestimmen, wobey sie sich im letztern Falle — nehmlich, wenn mich die Lust zum Spielen anwandelte — zu meiner Gehülfin anbot. Ich wählte die erstere Art von Unterhaltung, und vertrieb mir Grillen und Langeweile durch das Lesen einiger alten Ritterbücher, Chroniken, und anderer historischen Schriften, des Abends sollte ich wieder mit meiner Gefährtin essen und trinken; aber ich bedankte mich, und ließ mir von ihr mein Nachtlager anweisen, das in einer engen Nebenkammer befindlich war, und aus trockenem Strohe mit einer Matratze bedeckt, bestand. Ich warf mich darauf, und schlief nach acht quaalvollen Nächten, wieder das erstemal sanft und ruhig bis an den folgenden Morgen. Die Alte weckte mich, und kündigte mir an: daß es schon neun Uhr wäre, und daß unsere Herren bald zum Essen kommen würden. Ich raffte mich auf, und half ihr in der Küche an die Hand gehen, worüber sie großes Wohlgefallen äusserte, und meiner bey den Herren rühmlichst zu gedenken versprach.

*

Bis hieher hatte mein ehemaliger Diener ununterbrochen forterzählt. Ich störte ihn nicht in seinem Berichte, ob sich gleich derselbe der größten Umschweife halber mächtig in die Länge dehnte, und bereits eine ganze Stunde gedauert hatte. Es machte mir Vergnügen, die Räuber und ihre Höle auf das genaueste kennen zu lernen, und die simple Treuherzigkeit, womit Johann alle diese Dinge vorbrachte, war mir die interessanteste Unterhaltung, die sich bey meiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung nur denken ließ. Izt aber, da er die Rückkunft der Herren in der Höhle, ihr diesmaliges Betragen, ihre Schwelgerey bey der Tafel und alles, was sie zu ihm sprachen, ausführlich beschreiben wollte, trat einer der Korporale herein, und kündigte an, daß nunmehr der Marsch weiter gienge.

Ich ersuchte den rauhen Mann mir diesen Rekruten zu überlassen, und sein Handgeld doppelt wieder zurückzunehmen; aber er wollte meinem Vorschlage nicht Gehör verstatten, und selbst Johann bezeigte keine Lust, aufs neue in meine Dienste zu gehen. Durch gute Worte brachte ich endlich den Korporal dahin, daß er mir noch auf eine Viertelstunde auf seinen angeworbenen Rekruten zugestand. Er verließ wieder das Zimmer, vermahnte uns aber, ja so kurz als möglich unsere Sachen abzumachen.

Ich fragte nun Johann: Warum er mir nicht mehr dienen wolle, und ob er es für besser hielte, in Kriegsdienste zu gehen, als seinem ehemaligen Herrn zu folgen?

»Was kann ich anderes und besseres izt thun?« — antwortete er mit Thränen in den Augen: — »Mein Leben ist hier zu Lande nicht sicher. Und welcher rechtschaffene Herr kann sich mit einem Räuber behaben!«

»Du warest kein Räuber!« — fiel ich ihm in die Rede. Doch bald besann ich mich, daß er die Erzählung seiner Begebenheiten noch nicht geendiget hätte, und daß er vielleicht das noch könne geworden seyn, dessen er sich freywillig anklagte. Ich bat ihn also, in seinem Berichte fortzufahren, und wegen der wenigen gegebenen Zeit sich so kurz als möglich zu fassen. Er versuchte dies, kam aber wider seinen Willen stets auf neue Abwege. Ich erinnerte ihn immer schnell daran, und so erfuhr ich noch während der verstatteten Frist ziemlich unzusammenhängend ohngefähr folgendes:

*

Die Räuber kamen zurück, waren wieder ziemlich herablassend, aßen, tranken, und verließen ihren angehenden Gesellen, ohne weitere Ermahnung von dem auf heute bestimmten abzulegenden Probestücke zu thun. Johann war darüber nicht böse, aß und trank nach ihrer Abreise mit der Alten, las sodann in seinen Büchern, und legte sich auf sein Strohlager. Diese Lebensart setzte er acht Tage fort; binnen welcher Zeit täglich gegen Mittag die Räuber theils in vollständiger Anzahl, die sich auf vier und zwanzig ohne den Hauptmann belief, theils zu zehnen, zwölfen oder noch wenigern eintrafen.

Am neunten Tage kamen die Räuber nicht zurück; so auch am zehnten, eilften und den drey folgenden Tagen. Erst am funfzehnten erschienen sie wieder insgesammt muthig und vergnügt, doch wie alle vorherigemale mit leeren Händen. So viel Johann aus ihren verwirrten Gesprächen herauszubringen vermochte, so mußten sie noch verschiedene andere Löcher in der Gegend umher haben, worin sie ihre erbeuteten Reichthümer verbargen: ihr Hauptsammelplatz aber war außer allem Zweifel das entfernte wüste Schloß an der Gränze des Schwarzwaldes.

Diesmal erinnerte sich der Hauptmann an das Probestück, das Johann ablegen sollte. Er mußte nach der Essen ein Pferd besteigen, und mit dem Hauptmanne und noch einem andern Räuber rüstig von dannen traben. Man führte ihn bis zur nächsten, durch den Wald gehenden Straße. Hier gebot ihm der Hauptmann: sich in Hinterhalt zu legen, und den ersten einzeln vorüberziehenden Wanderer, die Pistole in der Hand, anzufallen und seiner Baarschaft zu berauben. Mein armer Johann gerieth bey diesem Auftrage in Todesangst, fiel auf seine Knie, und bat um Gnade. Aber die Räuber spotteten seiner, und der Hauptmann drohete endlich: ihn auf der Stelle zu ermorden, wofern er nicht sogleich seine Befehle vollzöge. Zitternd und bebend schlich sich der Unglückliche nunmehr in das Gebüsch, und die Räuber lagerten sich ihm gegenüber ebenfalls in das dichte Gesträuch, worein auch die Rosse verborgen wurden.

Die ersten Vorübergehenden waren zwey Mönche. Johann dankte Gott in seinem Herzen, daß es ihrer zwey wären. Diesen folgte kurze Zeit darauf ein munterer Landmann zu Pferde, der vermuthlich vom Markte kam; denn er hatte vor und hinter sich leere Säcke, und zählte Geld. Das ist ein leichtes Stück Arbeit! dachte Johann, wollte vorwärts schreiten; aber seine Knieen wankten: er kam nicht von der Stelle. Der Bauer zog ungestört vorüber. Die Räuber fiengen an zu husten. Johann erbebte, wollte dem Landmanne nachspringen; doch schnell entschloß er sich auf den nächstfolgenden Wanderer zu harren, und dann sicher und gewiß sein Probestück abzulegen.

Es dauerte eine lange Weile, ehe sich wieder neue Gelegenheit ereignete. Endlich näherte sich ein wandernder Handwerksgesell. Johann sprang, einem sinnlosen Menschen gleich, aus dem Gebüsche hervor, da der Reisende noch zehn Schritt von seinem Hinterhalte entfernt war. Sobald also dieser einen mit Schießgewehr Bewafneten auf sich zueilen sahe; so begann er mit solcher Geschwindigkeit rückwärts zu laufen, daß der angehende Räuber den Gegenstand seiner muthlosen Raubbegier in kurzer Zeit aus den Augen verlor. Der versteckte Hauptmann und sein Gefährte schlugen ein lautes Gelächter auf, und vermahnten mit leiser Stimme ihren rückkehrenden Lehrling, in Zukunft besser seine Zeit abzupassen.

Johann verkroch sich wieder in das Gebüsch, und bald darauf erschien ein Jude. Der Anblick des armen Israeliten gab dem neuen Räuber im Ernste Muth. Er stürzte auf ihn los, da derselbe dem Gesträuche, worin er verborgen lag, schon den Rücken zuwandte, faßte ihn von hinten beim Kragen, und forderte mit donnernder Stimme sein bey sich habendes Geld. Der Jude gerieth anfänglich bey dem unverhoften Ueberfalle in nicht geringes Schrecken, schrie was er konnte, und weigerte sich schlechterdings, mit seiner Baarschaft herauszurücken. Da er aber wahrnahm, daß es auf sein Leben gemeinet sey, und daß der Diebsgesell die Pistole auf seine Brust setzte; da rief er:

»Ich will geben — ich will geben, alles, alles was ich habe!«

Er schnallte hierauf eine Geldkatze von seinem Leibe, und reichte sie dem gierigen Räuber dar. Indem dieser aber darnach greifen wollte, sah sich der Jude seinen Vortheil so gut ab, daß er ihm die Pistole aus der Hand riß, seine Katze schnell hinter sich barg, und nunmehr den versteinerten Johann fragte: ob er marschiren, oder das Hirn voll Bley haben wollte? Johann wählte das erstere, und lief, was er konnte. Der Räuberhauptmann und sein Gefahrte sprangen aus dem Gebüsche hervor und ihm nach. Der Jude machte sich aus dem Staube. Johann wurde erwischt, zurückgeführt, auf das Pferd gesetzet, und wieder nach der Höle geleitet, wo er aufs neue in das Loch, das seinen ersten Aufenthalt bey den Räubern ausmachte, und das tiefste unterirrdische Gemach der Höle war, geworfen wurde. Hier empfieng er wieder einige Wochen lang nichts als Wasser und Brot zu seiner Nahrung, und hatte niemand, als die eckelhafte Alte zu seiner Gesellschaft.

Nach der Zeit holten ihn die Räuber aus dem Keller herauf, und drangen ihm einen fürchterlichen Eid ab; weder von den Begebenheiten im wüsten Schlosse, noch von alle dem, was er während seines Aufenthaltes in der Höle und während des Umganges mit ihnen gesehen oder gehöret hätte, irgend jemand ein Wort zu verrathen. Hierauf gaben sie ihm noch einen Zehrpfennig und ließen ihn in Frieden von dannen ziehen, doch mit der ernsten Vermahnung: je eher, je lieber das Land, worin er sich befände, zu verlassen.

*

Dies war der Inhalt von meines ehemaligen Dieners übrigem Berichte. An seinen Eid hatte er nicht eher gedacht, als bis er desselben in seiner Erzählung erwähnte. Doch tröstete er sich über den begangenen Meineid damit: daß er mit Gewalt zum Schwören genöthiget wurde; daß der Räuberhauptmann, wie man ihn anfänglich zum Mitgesellen aufzunehmen willens war, selbst gesagt hatte: bey Räubern gälten keine Schwüre; und daß endlich derselbe darauf keine Rücksicht genommen haben würde, daß ich noch am Leben sey, und also meiner Ermordung halber nichts zu befürchten wäre. Ich ließ ihn bey seinen Gedanken, schenkte ihm ein reichliches Reisegeld; und er wanderte innigst vergnügt mit dem Transporte von dannen. Auch ich bestieg wieder mein Roß, und kam unter Nachdenken über das neue Abentheuer und über das viele Gehörte, ehe ich mich's versahe, in N... an.

*

Doch ich eile endlich zur letzten, zur wichtigsten Begebenheit, die mir noch während der ganzen übrigen Zeit, die ich auf Werbung zubrachte, in A... zustieß, und die über alle bisher noch dunkel gebliebenen Vorfälle dieser Geschichte das gehörige Licht verbreitet.

Schon waren beynahe zwey Jahre seit dem letztern, in die Reihe meiner Erzählungen passenden Abentheuer verflossen, ohne daß sich weiter etwas neueres von dem Geisterbanner und seinen Gesellen vermerken ließ. Die Vorgänge in der verödeten Burg und alle daraus entspringende Folgen mochten beyde Partheyen behutsamer gemacht haben, und eben diese Behutsamkeit schien mir auch der Grund zu seyn, warum man meinen ehemaligen Diener wieder entlassen hatte, nehmlich deshalb: weil ich glücklich mit dem Baron und seinem Hofmeister aus den unterirrdischen Gemächern des wüsten Schlosses entkommen war, und man also zu befürchten hatte, daß ich nach dem verloren gegangenen Johann starke Nachforschung halten würde. Doch dies bey Seite gesetzt. Kurz: ich witterte nirgends etwas mehr von Geistern und Räubern, und selbst in F..., wohin ich nach Verlauf einiger Monate zurückkehrte, selbst in F..., dem Schauplatze des Endabentheuers der Geisterbannereyen, selbst hier war alles längst wieder vergessen. Das berüchtigte Wirthshaus war verkauft, der Poltergeist daraus vertrieben, und nunmehr ein ziemlich angesehener Gasthof.

Nach gerade fieng auch ich an, die ganze Summe von gehörten und selbst erfahrnen abentheuerlichen Begebenheiten zu vergessen. Nur daß noch zuweilen das Andenken an meinen immer noch herzlich geliebten Oesterreicher alle diese Vorgänge, wie an einem Faden, hinter sich drein führte, und meiner Seele eine schwermuthsvolle, nichts desto weniger aber unangenehme Empfindung gewährte. Meine heitere Laune hatte sich übrigens nach und nach völlig wieder eingefunden, und jene Rückerinnerung diente mir endlich nur noch dazu, meinen stets für Freude gestimmten Gefühlen die rechte Richtung, ober vielmehr neue Kraft zur Empfänglichkeit für den wahren Genuß des Lebens zu geben.

In dieser Stimmung kam ich gegen das Ende des Sommers nach A..., zu einer Zeit, wo das Harren auf eine bevorstehende blutige Ausübung der strafenden Gerechtigkeit alle Einwohner dieser Stadt beschäftigte. Doch ich will, der Ordnung halber, den ganzen Vorfall, so wie man mir ihn sogleich nach meiner Ankunft berichtete, von Anfange an, hererzählen.

Es war vor ohngefähr einem halben Jahre ein großer Kirchenraub in A... geschehen. Verschiedene verdächtige Personen waren eingekerkert und gefoltert worden; doch keine hatte das mindeste bekannt: und da man aus Mangel an gehörigen Anzeigen nicht zu dem Grade der Tortur schreiten konnte, der selbst den Unschuldigen zum eingestandenen und überwiesenen Verbrecher macht; so sah man sich genöthiget, die sämtlichen Inhaftirten wieder auf freien Fuß zu setzen, und die diesmaligen Untersuchungen bis zu gewisseren Entdeckungen aufzuheben und einzustellen. Diese waren nun, weil sich ausserhalb A... Niemand darum bekümmerte, und die eigentlichen Thäter sich der List bedienet hatten, die gestohlnen Sachen in ferne Länder zu transportiren, natürlicherweise ausgeblieben: und man gab bald alle Hoffnung auf, je wieder die beraubte Kirche im Besitze ihrer Schätze und Kleinodien zu wissen, oder zum mindesten die Räuber derselben mit dem Holzstoße bestrafet zu sehen. Endlich aber hatte ein bloßer Zufall an den Tag gebracht, was Ausschreiben, Prämien, Marterkammer und alles richterliche Ansehen nicht zu erforschen im Stande gewesen waren.

In einer Vorstadt von A... lebte ein argloser, unverdächtiger Mann, unter dem Namen: der alte Peter, bekannt. Die Kinder des Ortes waren gern bey ihm; betagte Leute aber wichen ihm aus, und warnten die unerfahrne Jugend vor seinen schwarzkünstlerischen Gauckeleien, wovon er dann und wann, wenn er bey guter Laune war, ein Probestückchen sehen ließ, das jedoch in nichts mehr und nichts wenigerm, als in dem gewöhnlichen Hokus Pokus gemeiner Taschenspieler bestand.

Dieser Greis, der übrigens keinen Verdacht von unrecht erworbenem Gute auf sich ladete, weil er arm war, in einer schlechten, baufälligen Hütte wohnte, und blos von der Gutmüthigkeit edelgesinnter Menschen lebte, oder vielmehr zu leben schien — dieser Greis war öfters und lange Zeit von A... entfernt, ohne daß man mit Gewißheit zu sagen vermochte, wo er hinwanderte, oder was er während dieser Zeit vorhätte. Einige sprachen: er gienge auswärts betteln; andere, die abergläubischer waren, wollten ihn durch seine zerbrochenen Fensterladen wie todt auf dem Boden liegend entdecket haben; noch andere dergleichen meinten: er reisete während der Zeit seiner Abwesenheit auf den Blocksberg zu Hexen- und Teufels-Banqueten; oder mache gar in der Hölle seinem Herrn und Befehlshaber, dem er mit Leib und Seele angehörte, solche lang anhaltende Besuche.

Zu der Zeit, da der Kirchenraub vorfiel, war der alte Peter nicht in A...; ein Glück, das ihm viele von Herzen gönneten: Andere aber, die allerley Unheil durch ihn erfahren haben wollten, von Herzen misgönneten. Denn dieser Vorfall wäre für sie die schicklichste Gelegenheit gewesen, den alten Hexenmeister, der bisher im Ernste Niemand etwas zu Leide gethan hatte, den Gerichten zu überantworten, dem Grunde: weil derselbe sich nie in einer Kirche bey der Messe oder beym Gebete blicken ließe; da man doch aus sicheren Quellen überzeugt seyn wollte, daß er ein römisch-katholischer Christ sey.

Schon waren die oberwähnten Inquisiten wieder entlassen, als Vater Peter endlich in A... ankam. Seine Ankunft geschahe an einem Festtage nach Sonnenuntergang. Die umherlaufenden Kinder sprangen dem Alten sogleich entgegen, hiengen sich an ihn, durchsuchten seine Taschen, ob er ihnen nicht etwas mitbrächte, und zogen, zerrten und rissen ihn so lange, umher, bis daß ihm die Geduld entgieng, und er dem tobenden Schwarme mit seinem Stocke drohete. Doch dies machte den tollen Haufen nur noch zügelloser; und Vater Peter sah sich endlich gezwungen, seine Drohungen zu erfüllen, und einige der nächststehenden Knaben seinen Stab fühlen zu lassen. Die Mütter der ungesitteten Kinder, die an der Thüre saßen, sahen dies, und schrien über Gewalt, über Entheiligung des Festtages. Sogleich stürmten die Väter und Nachbarn herbey. Die heulenden Knaben vermehrten ihre Rachsucht, die bis zum höchsten Zorne entbrannte, da sie in dem Urheber des Lermes den verhaßten Alten erblickten. Wüthend stürzten sie auf ihn los, rissen ihm seinen Mantelsack von dem Rücken, und mishandelten ihn so lange, bis daß sie hinlänglich ihre Kinder und des Himmels und ihre eigene Ehre gerächet glaubten.

Der gute alte Peter schlüpfte nunmehr zerzauft, zerschlagen und zerstoßen, Gott dankend, daß er mit dem Leben davon gekommen wäre, in seine Hütte. Aber hier gewahrte er erst das größte Unglück. Sein Mantelsack war zurückgeblieben und als Beute in die Hände seiner triumphirenden Sieger gefallen. Ausser sich lief er heraus, bat und weinte, fluchte und schimpfte; alles umsonst! er erhielt seine Habseligkeiten nicht wieder zurück: und da er sich endlich mit Gewalt in Besitz derselben setzen wollte; so belehrte ihn ein pfeilschneller Steinregen, daß die schleunigste Flucht in seine Hütte das einzige Mittel sey, den gereitzten Pöbel zu besänftigen, seiner fürchterlichen Rache zu entgehen. Er ergriff verzweifelnd dies Mittel, indeß die frohlockende Schaar mit seinem Mantelsache von dannen zog.

Der Haupttrieb zum Vorbehalte dieses Eigenthumes des alten Peters, war Neugierde, zu untersuchen, was er auf seiner langen Reise erbeutet hätte, oder sonst etwa bey sich führe, und der Anfall der Kinder mochte vielleicht ein veranstalteter Handel seyn, um den Greis zu reitzen, um Gelegenheit zu finden, ihn übel zu behandeln und jene Neugierde zu befriedigen. Kurz: man trug den Mantelsack davon und öffnete ihn.

Das erste, was man herausgog, waren einige abgetragene Kleidungsstücke; dann folgte ein großes Buch, dann verschiedene andere unbekannte Instrumente, und zuletzt ein schwerer lederner Beutel, der mit Gelde gefüllet zu seyn schien. Man war nicht im Stande, den Knoten, der ihn zusammenhielt, aus einander zu schlingen, und schnitt ohne lange Verzögerung denselben mitten durch. Unaussprechlich groß war das Erstaunen des gaffenden Pöbels, als er, statt des gehofften Silbergeldes, nichts als Goldstücke erblickte. Anfänglich verstummte der ganze Haufe vor Verwunderung; bald aber schriee eine einzelne Stimme: wir haben ihn — wir haben ihn, den Kirchenräuber! Dies Wort war die Losung für die ergrimmte neidische Schaar. Alles rief anizt: Kirchenräuber! Kirchenräuber! und fort ras'te sogleich ein Theil des wüthenden Pöbels zum Stadtrichter, und schrie aus allen Kräfen: er ist da der Kirchenräuber — er ist da!

Der Stadtrichter erstaunte über die unverhoffte Botschaft, erstaunte noch mehr, da man ihm einen ganzen Sack voll Goldstücke überlieferte, den man bey einem Bettler gefunden zu haben vorgab, und beorderte den Gerichtsfrohn, diesen Bettler ohne Zeitverlust herbeyzuschaffen. Unterdessen war aber schon der andere Theil des schadenfrohen Pöbels auf des alten Peters Hütte losgestürmt, hatte die Thüre derselben zertrümmert, und den wehrlosen Greis herausgeschleppt. Nunmehr überantwortete man ihn den Gerichtsdienern, und geleitete ihn unter Stößen, und Schimpfwörtern bis vor das Haus des Richters, der ihn sofort nach dem Gefängnisse bringen, und das versammelte Volk aus einander scheuchen ließ.

Die Untersuchung nahm sogleich den folgenden Tag ihren Anfang. Peter sollte berichten: wie er zu dem vielen Gelde, das sich bis gegen fünfhundert Goldstücke belief, gekommen wäre. Doch er beantwortete diese Frage nicht, sondern behauptete nur schlechthin: er hätte sich die ganze Summe ehrlich verdienet. Man drohet wörtlich und thätig mit der Folter, Vater Peter blieb bey seiner Aussage.

Und man sahe sich endlich genöthiget, den nur in geringer Rücksicht verdächtig scheinenden Inquisiten aus enger Verwahrung zu entlassen. Jedoch geschah dies mit Vorbehalt seines Geldes, welches er nur auf den Fall zurückbekommen sollte: wenn er die Art und Weise, wie er dasselbe erworben und wo er es erworben, hinlänglich würde darthun können. Peter versprach diese Bedingung binnen kurzer Frist zu erfüllen, und begab sich wieder nach seiner Hütte, die während er im Gefängnisse war, seine geschäftigen Nachbarsleute bis auf den Grund durchspähet und durchforschet hatten, worin aber nichts weiter, als zerrissene Kleidungsstücke und alter, untauglicher Hausrath gefunden wurde.

Der Stadtrichter, ein kluger Mann, setzte die Untersuchung, die er öffentlich aufhob, nunmehr in der Stille fort. Bestellte Kundschafter bewachten fleißig die Hütte des alten Peters, und beobachteten jeden Schritt desselben. Lange Zeit war indeß ihre Mühe vergebens. Peter gieng wenig aus; und gieng er auch aus, so geschahe dies blos, um sich die nöthigsten Bedürfnisse herbeyzuholen. Diese eingezogene Lebensart dauerte jedoch nicht für immer. Plötzlich bemerkte einmal des Morgens ein Nachbar, der mit den Kundschaftern in genauer Verbindung stand, daß Vater Peter, mit einem Sacke auf dem Rücken, sein Haus verließ, und, so schnell er nur vermochte, von dannen eilte. Sogleich wurden die gerichtlichen Aufpasser von diesem Vorgange benachrichtiget. Diese schlichen dem Alten, auf verschiedenen Wegen, in unkenntlicher Kleidung nach, und waren so glücklich, den schwachen Greis bald zu ersehen, der unbekümmert vor sich hin schlenderte, und endlich zur Mittagszeit in ein abwärts gelegenes Wirthshaus einkehrte.

Der Nachmittag vergieng, der Abend kam heran; Peter sollte noch immer aus der Herberge herauskommen. Die Kundschafter fiengen an Verdacht zu schöpfen, und verblieben, bis daß es völlig finster war, in einem nahen Gehölze verborgen. Izt brach die Nacht ein, und sie vernahmen in der Ferne den Hufschlag von einem Haufen Pferde, die eiligst herangesprengt kamen. Nicht lange, so erschien ein ganzer Schwarm Reiter, die insgesammt vor der abgelegenen Herberge abstiegen und hineingiengen. Die Kundschafter krochen nun aus ihrem Hinterhalte hervor, und näherten sich den seitwärts befindlichen Fenstern des Wirthshauses. Bald höreten sie, daß man Geld zählte, und durch die weiten Spalten des einen Ladens erblickten sie zur Hälfte einen Tisch, der von bewaffneten Männern mit blanken Thalern beleget wurde. Auch Vater Petern entdeckten sie, der dabey stand, und innigstvergnügt zuschaute. Izt wußten sie genug. Ohne weiteren Zeitverlust ergriff jeder von ihnen eines der Rosse, welche die Reiter ausserhalb des Gasthofes angebunden hatten, schwang sich darauf, und jagte im schnellesten Galopp nach der Stadt zurück.

Sie waren nur zwey Meilen von A... entfernt, kamen also noch, ehe sechs Viertelstunden verliefen, daselbst an, statteten von dem Gesehenen und Gehörten schleunigen Bericht ab, und erhielten sogleich den größten Theil der Stadtwache zu ihrer Begleitung, mit der strengsten Order: die sämmtliche Gesellschaft in der verdächtigen Herberge, nebst dem Wirthe derselben und allen seinen Dienstboten, gefangen zu nehmen, und nach der Stadt zu bringen. Ohne alles Säumen machte man sich sogleich wieder auf den Weg. Und da das ganze Commando rüstige Pferde unter sich hatte, so gelangte der Trupp noch vor Mitternacht bey dem abgesonderten Wirthshause an.

Die Männer saßen noch sämmtlich in der Stube, und hatten sich unterdessen, sonder den mindesten Verdacht, belauschet worden zu seyn, Essen und Trinken so wohl schmecken lassen, daß ihnen izt insgesammt der halbe Gebrauch ihrer Stärke und ihrer Sinne mangelte. Als die bewaffnete Schaar eindrang, bebeten sie alle, wie Sünder bey dem rollenden Donner; und ihre bey seite gelegten Flinten und Säbel waren nicht so geschwind in ihren Händen, als sie die starken Fäuste der städtischen Wache schon gefaßt, und zu aller Vertheidigung untauglich gemacht hatten. Auch Peter wurde ergriffen und gebunden. Den Wirth, der sich gleich zu Anfange des Ueberfalles verbarg, verrieth sein eigenes Hausgesinde. Er wurde hervorgezogen, und nebst seinen Dienstboten, dem alten Peter und den fremden Männern, deren zehen an der Zahl waren, im Triumphe von dannen geführet. Die Nacht war finster; man steckte Fackeln an: und so traf der Zug noch vor Anbruch des Tages in A... ein. Der Stadtrichter ließ sogleich die Gefangengenommenen in feste Kerker werfen, und begann Tages darauf die Untersuchung.

Der jüngste und schwächeste der Räuber — denn das dies die fremden bewaffneten Männer waren, schien Jedermann ausser allem Zweifel zu seyn wurde zuerst vorgenommen, und da er nicht gutwillig bekannte, gefoltert. Schön bey den Beinschienen legte sich sein Trotz, und er entdeckte den Zusammenhang zwischen den eingezogenen Gefährten und einer ganzen, großen Räuberbande, die durch das Land umherstreifte, und überall in Wäldern und abgelegenen Häusern ihre Schlupfwinkel hätte. Was den alten Peter betraf, so gestand er: daß dieser mit allen seinen Gesellen in der genauesten Verbindung stünde; daß er nirgends bleibenden Aufenthalt habe, sondern in vielen benachbarten und entfernten Städten zuweilen lebe, ja in einigen Oertern sogar Bürgerrecht gewonnen hätte, und Haus und Hof daselbst besäße. An dem Kirchenraube, leugnete er, selbst Theilnehmer gewesen zu seyn'; nannte und beschrieb aber drey von seinen Mitarrestanten, die bey diesem Diebstahle zugegen, und mit Rath und That behälflich gewesen wären. Ob Peter daran Antheil genommen, oder nicht? darüber vermochte er keine Auskunft zu geben.

Den nächstfolgenden Tag wurden die angezeigten drey Räuber einzeln herbeygeholet. Keiner war zum Geständnisse zu bringen. Man confrontirte sie mit ihrem Gesellen. Auch das war vergebens. Man schritt zur Folter. Der erste, ein bejahrter Mann, hielt alle drey Grade derselben aus, und bekannte nichts. Er wurde ins Gefängniß, zurückgebracht, und starb. Der zweyte gab sich beym äusserster Grade. Er gestand ein: daß er bey dem Kirchenraube hülfreichen Beystand geleistet habe, erklärte aber den dritten, noch nicht gefolterten Gefährten, für unschuldig, und schob seine eigene Schuld auf den alten Peter, der ihn zu dieser Frevelthat verleitet hätte.

Man holte sogleich den angeklagten Greis herbey. Er trat männlich gefaßt vor einer Richter, und hörte standhaft die ihm zur Last gelegte Beschuldigung an. Der Richter schwieg, und er nahm gelassen das Wort.

»Ja!« — sprach er: — »ich habe gethan, dessen ihr mich zeihet; und wollte Gott! mich drückte keine größere Sünde. Die feisten Mönche, die, um einen Steinklumpen — um ihr Kloster zu bereichern, eine ganze Familie ins Elend stürzten, eine ganze Familie dahin brachten, daß sie ihre Vaterstadt verlassen — daß sie in fernen Gegenden ihr Brot betteln mußte; diese Unmenschen dünken mir noch in diesem Augenblicke meiner Reue unwürdig zu seyn. Ich half der ewigen Gerechtigkeit zum Gleichgewichte ihrer Wagschaalen. Hat das Strafe verdient? wohl! so nehmet mich hin, zerreißt meine Glieder, zerbrecht meine mürben Knochen, verwandelt diese morsche Hülle in Asche; — ich bin bereit dazu! Der Rächer ist da; ich fühle es! seine Hand liegt furchtbar auf mir; seine Hand zwingt mich um Bekenntnisse, nicht die eure!« —

Verstummt sahen der Richter und die Schöppen bey diesen Worten des Greises einander an. Keiner vermochte in der Untersuchung fortzufahren. Peter überhob sie dieser Mühe. Er dictirte selbst, mit allen Umständen, dem Blutschreiber die Begebenheit des Kirchenraubes in die Feder; nannte die Familie, die durch Erbschleicherey von den Mönchen des beraubten Klosters um alle das Ihrige war gebracht worden; bestimmte genau, wo und wie man die erbeuteten Juwelen und das viele Gold, und Silbergeräthe verhandelt und zu Gelde gemacht, und auf was für Art und Weise man der unglücklichen Familie, die daraus gelösete Summe nach und nach im Verborgenen zugestellet hätte. Das Erstaunen des Richters und der Besitzker vergrößerte sich bey jedem seiner Worte.

Da er geendiget hatte, bat er die Gerichtsdiener: ihn wieder in seinen Kerker zurückzubringen. Dies geschah; und nun kamen erst die Sprecher über Tod und Leben von ihrer Verwunderung zurück. Ihr einmüthiges Urtheil lief sogleich auf Minderung seiner Strafe hinaus. Die Gesetze erkannten ihm das Feuer lebend zu. Man fällte aber den Spruch dahin: daß er zuvor enthauptet und dann verbrannt werden sollte; welche Art der Bestrafung auch dem eingestandenen Theilnehmer zuerkannt wurde. Alle übriger Inhaftirten ließ man bis zu weiterer Untersuchung ihrer Verbrechen in die engste Verwahrung nehmen.

Da Peter und sein Unglücksgefährte vorgeführet wurden, um ihren Urtheilespruch zu empfahen, war der erstere standhaft und gelassen, wie bey seinem Verhöre, und tröstete den, der ihn verrathen hatte. Ohne die mindeste Veränderung hörte er die Verkündigung des Todes an; bedankte sich sodann auf das rührendste für die Milde seiner Richter, und verließ wieder Arm in Arm mit seinem sinnlosen Gefährten den Gerichtssaal. Im Gefängnisse verblieb er stets bey gleicher Gemüthsruhe. Und da man ihn sechs Tage vor seiner Hinrichtung in die Stube brachte, die zur Bewohnung verurtheilter Delinquenten bestimmet ist; so holte er selbst den mit ihm zugleich zum Tode Verdammten dahin ab, und beschäftigte sich hier mehr mit Aufrechthaltung dieses Unglücklichen, als mit seiner eigenen Zubereitung.

Noch zwey Tage waren bis zur Vollziehung des richterlichen Spruches an diesen beiden Missethätern vorhanden, da ich in A... ankam; und man schloß diese Erzählung mit einer Gratulation: daß ich noch zur rechten Zeit eingetroffen wäre, um einen so seltsamen Uebelthäter kurz vor seinem Ende besuchen, und eine so merkwürdige Exekution mit eigenen Augen ansehen zu können.

Ich muß gestehen, daß, einen so großen Eindruck diese Begebenheit auch auf mich machte, ich mich dennoch nicht sogleich entschließen konnte, den sonderbaren Peter in dem Armensünderstübchen zu besuchen. Mein Gefühl sagte mir, daß dieser würdige, ruhig dem Tode entgegengehende Greis — wie ihn alle diejeningen, die ihm einen Besuch abgestattet hatten, zu benennen pflegten — kein anderer sey, als Vater Franz, als Volkert: und eine unüberwindliche Abneigung, den, der mir vor zwey Jahren das Leben rettete, in diesem Zustande zu sehen, in dieser Lage zu finden, hielt mich einen ganzen Tag lang ab, meiner Neugierde, die mich unaufhörlich lockte, den Zügel schießen zu lassen.

Doch mit dem frühesten des folgenden Tages, dem letzteren vor des Greises Hinrichtung siegte mein Verlangen nach Licht in der Vergangenheit über jedes Bedenken. Ich rüstete mich mit Stärke, hüllte mich in meinen Mantel, und begab mich schon um sechs Uhr nach dem Gefängnisse. Vielleicht — dachte ich — erhältst du nun den völligen Aufschluß über alle Vorfälle in deinen und des Oesterreichers Begebenheiten: vielleicht thut izt der Greis das gutwillig, was er vorzeiten im Gasthofe zu F... dem Geisterseher und seinen Gefährten versagte! Aber bey allen diesen Vorstellungen blieb immer noch eine martervolle Ungewißheit in meiner Seele zurück. Ich fürchtete, mein Anblick möchte Volkert zu tief erschüttern; und nur der Gedanke konnte mich bewegen, vorwärts zu schreiten: vielleicht ist es auch Volkert nicht!

Ich kam endlich vor das Gefängnis. Auf mein anhaltendes Pochen öffnete sich die Pforte, und der Kerkermeister trat heraus. Ich ersuchte ihn: mich zu den beyden Delinquenten zu bringen, die am nächstkommenden Morgen hingerichtet werden sollten, und erhielt zum Bescheide: daß nach hiesiger Sitte heute, als den Tag vor ihrem Tode, zu denselben Niemand mehr zugelassen würde. Ich drückte ihm ein Thalerstück in die Hand, und bat: bey mir eine Ausnahme zu machen, weil ich fremd; und aus gewissen Ursachen sehr begierig wäre, diese Delinquentent zu sehen und zu sprechen. Das Thalerstück schien mehr Aufmerksamkeit, als meine Worte zu erregen. Der Kerkermeister zog mich schnell hinein, und schloß die Thüre hinter mir.

»Nun!« sprach er! — »so will ich bey dem Herrn eine Ausnahme machen; aber ich bitte mir aus, sich nicht damit zu rühmen!«

Ohne Zeitverlust führte er mich ist eine schmale Treppe hinauf, durch einen langen Gang, bis zu einer kleinen schwarzen, mit drey rothen Kreutzen bezeichneten Thüre. Stillschweigend öffnete er dieselbe; und ich gieng hinter ihm in ein düsteres Gemach hinein. Ohnweit dem Eingange saßen einige schlaftrunkene Männer, die vermuthlich die Wache vorstellen sollten. An der entlegensten Wand entdeckte ich zwey bleiche menschliche Figuren. Ich trat langsam näher, und erblickte, was ich gefürchtet hatte, erblickte in einer der Gestalten — Volkert, blaß zwar und abgezehrt, doch noch kenntlich an Gesichtszügen, noch derselbe an Ernst und Würde. Sein Haupt lag rückwärts an die Mauer gelehnt; seine Hände ruheten gefaltet im Schooße. Er schien nicht bemerket zu haben, daß jemand in das Zimmer getreten wäre, bis der Kerkermeister ihm zurufte:

»Nun,« Vater Peter! »da ist ein Herr, der mit euch und eurem Kameraden sprechen will.«

Auf diese Worte hob er langsam sein Haupt empor, und heftete einen starren Blick auf mich.

»Volkert!« rief ich mit leiser Stimme:

Sein Blick wurde stier. Sein Haupt sank zurück. Er seufzte tief. Ich stand vor ihm, einer Bildsäule gleich. Schrecken und Mitleiden durchdrangen mich. Der Kerkermeister verließ uns. Volkert begann sich endlich zu faßen.

»Herr Lieutenant! — fieng er an: — »kommen sie, mir meine letzten Stunden zu erschweren, oder zu erleichtern?«

Ich. Das letztere, guter Volkert!

Volkert. So seyn sie mir willkomen! Setzen sie sich zu mir. Vielleicht vermag ich ihnen noch in etwas auf dieser Welt zu dienen. Wärs auch nur durch Warnung vor Betrügern, wie ich einer war.

Ich. Volkert! die Ursache, weshalb ich zu dir komme, ist nicht eitle leere Neugierde; ist nicht die Absicht, dich durch Fragen über deinen Lebenslauf, oder durch Vorwürfe wegen der mir ehemals zugefügten Unannehmlichkeiten zu beunruhigen. Nein! was geschehen, ist geschehen! Du hast mein Leben gerettet; genug Ersatz. Aber du wirst mir nicht verargen, wenn ich von die Aufklärung über gewisse Dinge verlange, über Vorfälle aus der Vergangenheit, die mich, und über noch andere, die meinen ehemaligen Freund, den österreichischen Werber betreffen, der —

Volkert. Der von mir gleich ihnen, betrogen ward; den ich in F... vor ihren und seiner Gefährte Augen zum Lügner, zum Betrüger machte! Sie sollen die verlangte Aufklärung haben, und mit ihr zugleich einen kurzen Umriß meines Lebens, so gut, als ich beyde in meiner gegenwärtigen Lage geben kann. Wollte Gott! ich hätte gethan, was ich immer zu thun willens war; wollte Gott! ich hätte diese Begebenheiten und meine ganze Lebensgeschichte aufgezeichnet. Sie würden die lehrreichste Unterhaltung. seyn, würden gewiß in Zukunft der Betrüger und der Betrogenen weniger machen.

Volkert schwieg einige Zeit, sammelte sich, und begann nunmehr seine Erzählung. Der Bericht seiner Thaten und Schicksale war im ganzen genommen unvollständig, doch für mich vergnügend. Der Grund dieser Unvollständigkeit lag in dem Zustande, worin ich Volkert antraf, und in dem ihn folternden Gewichte seiner verübten Greuel. Ich erzähle treulich nach, was ich hörte.

*

Ich bin — hub Volkert an — ein gebohrner Engländer. Mein Vater starb, da ich kaum das zehnte Jahr erreichet hatte. Hülflos und dürftig nahm mich ein reicher Holländer in sein Haus auf, der nach einem Jahre England verließ, und mich nach Haag mitnahm. Hier wuchs ich heran, und lernte bey meinem Pflegevater die Handlung. Einige zwanzig Jahre war ich alt, da derselbe plötzlich starb. Sein Sohn führte die Handlung fort, gerieth mit mir in Streit, und verstieß mich. Ein so eben nach Deutschland reisender Cavalier suchte einen Bedienten, der zugleich Sekretairstelle vertreten könnte. Ich vermiethete mich bey ihm. Sein Weg gieng nach H..., woselbst sein Vater einen ansehnlichen Posten bekleidete. Er selbst bezeigte wenig Lust, sich zu einem künftigen Staatsmanne zu qualificiren: theils, weil er nicht nach Ehre geitzte, theils weil er ein Lieblingsstudium hatte, dem er mit solchem Eifer oblag, daß ihm jede Störung in demselben äusserst unwillkommen seyn mußte. Dies Studium aber war kein anderes, als geheime Wissenschaften; und ich, der ich von jeher einen heftigen Hang zu dergleichen bey mir verspüret hatte, ward bald sein getreuer Schüler und emsiger Gehülfe.

Es würde zu weitläuftig seyn, alle die vergebliche Mühe zu beschreiben, die wir anwandten, um einen Geist herbeyzubannen. Ich fieng bald an, der Möglichkeit einer solchen Erscheinung allen Glauben abzusprechen: aber mein Herr fuhr immer noch bey Tage und bey Nachte in seinen Bemühungen fort, und war auf keine Weise von seinen mystischen Operationen abzubringen. Natürlich, daß ich endlich auf den Gedanken kommen mußte: ihn, der so gern betrogen seyn wollte, wirklich zu betrügen; zumal da ich dies als das gewisseste Mittel erkannte, seine Liebe auf immer zu erwerben, meinen Vortheil auf immer zu begründen.

Als er einst um Mitternacht auf das eifrigste seinen Schutzgeist beschwor, sich ihm darzustellen; trat ich zu ihm hinein, und versicherte ihn; daß alles sein Bestreben vergeblich wäre; weil er nicht die rechte Manier verstünde, wie man die Bewohner anderer Welten herbeylocken müsse. Er erstaunte über meine Rede, und fragte endlich; ob ich nunmehr darin unterrichtet sey? Ich verneinte und bejahte diese Frage nicht; sondern bestimmte die folgende Nacht zur Ablegung eines Probestückes, wie weit ich anizt in der Nekromantie gekommen wäre.

Mit Hülfe noch eines andern Dieners ward es mir leicht, den guten, durch Schwärmerey verblendeten Grafen zu betrügen, der von nun an mit keinem Menschen, außer mir, Umgang pflegte. Wir wohnten auf einem Landgute, das einen Theil seines mütterlichen Erbgutes ausmachte, ein Ort, ganz geschaffen für unser Tagewerk. Ueber ein Jahr lang trieb ich meine Betrügereyen, und ward endlich so dreist, daß mein Herr nothwendig die Taschenspielerkünste merken mußte, und mich zum Lohne für meine Frechheit sogleich ausser Diensten setzte. — Der gute Graf! Er hat gewiß in der Folge eingesehen, daß die Lehre, die ich ihm durch meinen Betrug gab, des größten Dankes würdig war.

Ich hatte mir während dieses Dienstes ein ansehnliches Sümmchen zusammengelegt, und dachte nunmehr, des Müssigganges gewohnet, an nichts weniger, als daran, wie ich wieder irgend anderswo mein Unterkommen finden möchte. Ich gieng nach H... zurück, woselbst ich so lange spielte, trank und andern Unfug trieb, bis daß ich mein Geld verpraßt, und mich genöthiget sahe, da in der Geschwindigkeit kein neuer, mir anständiger Dienst aufzutreiben war, mein Glück im Soldatenstande zu suchen. Ein werbender Officier zahlte mir hundert Gulden, versprach: als Sergeant mich anzustellen; und ich ließ mir munter und vergnügt die Montirung anziehen.

Ich wurde zwar anfänglich, jenes Versprechens ungeachtet, nur zum Gemeinen gemacht. Meine gute Hand, meine Fertigkeit im Rechnen und meine untadelhafte Aufführung empfahlen mich aber meinen Vorgesetzten so sehr, daß ich in kurzer Zeit wirklich bis zum Sergeant avancirte. Wäre ich in meinem Eifer für den Dienst, in meinem gesitteten Betragen und in der Aufmerksamkeit gegen meine Oberen immer fortgefahren; so hätte ich leicht mit der Zeit noch höher steigen können. Allein meine Geduld schien sogleich nach Erhaltung der Sergeantenstelle erschöpft zu seyn, und ich fieng wieder an, in verschiedene Ausschweifungen zu verfallen.

Unordentliche Lebensart erfordert Geld, und die Begierde Geld zu erwerben, bringt den, der einmal schon auf unrechten Wegen schweifte, gewiß wieder auf dieselben zurück. Meine Taschenspielerkünste wurden aufs neue wieder hervorgesucht. Ich spähete Diebstähle aus, weissagete aus Karten und Caffeesatz, rufte Geister, vertrieb Hexen und die Schädlichkeit ihrer Wirkungen; kurz: verrichtete alles, wozu mich Aberglaube und Dummheit aufforderten und berechtigten. Mein Gewerbe war einträglich und noch in mancher andern Rücksicht vortheilhaft; brachte mich aber um die Achtung meiner Vorgesetzten, verschlimmerte allmählig meinen Charakter, und warf mich endlich in die Classe von Menschen, deren Leichtsinn nichts unüberwindlich findet, deren tägliches Dichten und Trachten nur dahin gehet, wie sie sich auf Kosten ihres Nächsten immer mehr und mehr zu bereichern vermögen; — machte mich mit einem Worte, zu einem Gauner von der feinsten, von der gefährlichsten Art.

Es konnte nicht fehlen, daß, ehe ich bis zu zu dem Grade von Geschicklichkeit in dergleichen Proceduren, wozu ich in der Folge gelangte, emporstieg, meine Betrügereyen hin und wieder an den Tag kamen. Meine Vorgesetzten, die mich öfters von dergleichen Unternehmungen abgemahnet hatten, wurden endlich des Warnens müde. Ein citirter Geist, der seine Rolle unglücklich spielte, machte das Maaß meiner Unthaten voll, und ich wurde, bevor ich mich's versahe, über die Grenze gebracht.

Ein wohlgewachsener, gutgebildeter dreyssigjähriger Mann, wie ich war, durfte sich, seines weitern Fortkommens halber, nicht bange seyn lassen. Ich hatte den Soldatenstand aus mancherley Ursachen liebgewonnen; und es fand sich bald wieder Gelegenheit, in neue und, dem Anscheine nach, in vortheilhaftere Kriegsdienste zu treten. Ich stach sogleich am ersten Tage nach meiner Transmigration einem österreichischen Werber in die Augen. Durch Erfahrung klug gemacht, schlug ich izt nicht so leicht mit meiner Person los, wie ich das erstemal gethan hatte; sondern stellte mich anfangs gegen das Soldatenleben gänzlich. abgeneigt, und setzte diese meine Verstellung so lange fort, bis mir endlich der erhitzte Werber hundert Dukaten auf den Tisch zahlte, und sich hoch und theuer vermaß: noch nie einem Rekruten so viel Handgeld gegeben zu haben.

Izt hielt ich es für die höchste Zeit, loszubrechen, strich mein Geld ein, und that den Werber kund: daß ich bereits Sergeant in H...schen Diensten gewesen wäre, zeigte ihm eine Probe von meiner Geschicklichkeit im Schreiben, und bat ihn: die mir schon gethane Zusage zu erfüllen, und mich bey seinem Chef rühmlichst zu empfehlen. Er versprach dies nochmals und hielt Wort. Der General empfieng mich auf das freundlichste, wiederholte die Verheißungen seines Beorderten, und ehe noch ein Jahr vergieng, stand ich auf dem Posten, worauf ich vorhin gestanden hatte.

Ich hatte mir bey meiner Verweisung aus H... fest vorgenommen, niemals mehr jene schwarzkünstlerische Betrügereyen auszuüben, und blieb lange Zeit meinem Vorsatze getreu. Acht Jahre lang lebte ich in der österreichischen Garnison, wie es sich gebührte. Ich unterließ gänzlich meine Taschenspielerkünste, war pünktlich und ordentlich im Dienste, und erwarb mir auf diese Weise die vollkommene Achtung meiner Vorgesetzten, die mir auch in der Folge stets geblieben ist, und, der häufigen über mich ergehenden Klagen ungeachtet, mich nie hat sinken lassen.

Ein unglücklicher Zufall bewog mich, meine Gauckeleyen wieder hervor zu suchen, und mir dadurch aufs neue den Namen des Hexenmeisters zu verschaffen. Ich will ihnen dies Abentheuer der Länge nach hererzählen; um wenigstens meine Lebensbeschreibung in etwas angenehm zu machen, und ihnen zu bezeugen, daß nichts geringeres, als die höchste Nothwendigkeit, mich wieder zu Unternehmen verleiten konnte, die schon einmal mein Glück untergraben, und mir Brot und Ehre geraubt hatten.

Ich logirte mich in einem Hause ein, worin es, wie man sagte, nicht geheuer wäre. Ein Poltergeist, der hier schon seit undenklicher Zeit sein Unwesen getrieben hatte, ohne jedoch irgend einem Menschen etwas zu Leide zu thun, sollte nunmehr seit ohngefähr sechs Monaten die sämmtlichen Einwohner auf die fürchterlichste Art und Weise beunruhigen. Diese Sage brachte den Preis der Wohnungen ausserordentlich herunter; und bald mochte Niemand mehr ein Quartier in diesem Hause beziehen. Theils durch die wohlfeile Miethe gelockt, theils um dem Gerede auf den Grund zu kommen, gieng ich zu dem Wirthe des Geisteraufenthaltes, und wurde in der Geschwindigkeit mit ihm für wenige Thaler über sein bestes Zimmer eins. Ich bezog sogleich mein neues Logis, und bemerkte zu meinem Erstaunen nicht das mindeste von Spuckereyen. Der Hauswirth, den ich hierüber befragte, wich mir stets durch zweydeutige Worte sorgfältig aus: und seine Tochter, das einzige, ausser einer alten Magd, in diesem Hause befindliche weibliche Geschöpf, die, laut dem Gerüchte, das meiste von dem nächtlichen Unholde leiden sollte, erwiederte jederzeit meine Fragen mit einem tiefen Seufzer.

Dies Mädchen fiel mir gleich von Anfange besonders auf. Sie hatte ein gewisses einnehmendes, anziehendes Wesen an sich, das eben darum gewann, weil es nicht zu gewinnen verlangte. Bleich, schwach, kränkelnd, nichts minder, als schön, war sie dennoch liebenswürdig, und in meinen Augen die liebenswürdigste Person, die ich je gekannt hatte. Regelmäßige Liebe war mir bis zu meinem neun und dreyßigsten Jahre eine fremde Sache gewesen; aber ich muß es frey gestehen, dies Mädchen lehrte mich sie bey ihrem ersten Anblicke.

Lehnchen — so hieß das liebe Mädchen — ihr Vater und ich, wir drey bewohnten das erste Stockwerk des verrufenen Hauses. Im zweyten Geschosse logirte in dem einen Zimmer ein junger Sekretair. Und übrigens, war, ein enges Parterr-Stübchen für die Dienstboten des Wirthes ausgenommen, alles unbesetzt. Der Sekretair schien sich um die ganze Welt wenig zu bekümmern, lebte und webte in seinen Schreibereyen, und ließ sich höchst selten bey dem Haushern, oder bey dessen reizenden Tochter, erblicken. Ich für mein Theil nahm diese Gelegenheit besser wahr. Kein Tag vergieng, daß ich mir nicht drey auch viermal bey meinem Wirthe etwas zu schaffen machte, und zwar immer zu Zeiten, wo ich wußte, daß er nicht zu Hause zu treffen wäre.

Dessen ungeachtet wollte alle meine Sorgfalt wenig fruchten. Lehnchen schien weder meine Aufmerksamkeit für sie zu bemerken, noch irgend einen Wohlgefallen daran zu finden. Meine Gespräche mit ihr bestanden meinerseits in einem durch Pausen unterbrochenen Monologe, und ihrerseits in einer aus Kopfschütteln und Kopfnicken zusammengefegten Pantomime, die dann und wann durch Seufzer unterbrochen wurde. Nach gerade mußte ich also wohl der langweiligen Unterhaltung überdrüßig werden, und meine Liebe zu einem so fühllosen Gegenstande zu unterdrücken bemühet seyn.

Unterdessen waren einige Wochen verstrichen, und noch ließ sich kein Poltergeist wittern. Die Domestiquen meines Wirthes geriethen hierüber in nicht geringe Verwunderung, und schrieben das Außenbleiben jenes furchtbaren Wesens einzig und allein meiner Gegenwart zu. Selbst ihr Herr fieng izt an deutlicher zu sprechen, und bezeigte mir zum öftersten sein herzliches Wohlwollen über meinen Aufenthalt in seinem Hause.

»Lieber Freund!« — sprach er einmal zu mir: — »ihnen verdanke ich Ruhe und Friede. Geht das so fort; so ist mein Haus auf immer geborgen, und sie sollen, so lange ich es besitze, freie Wohnung darin haben!«

Diese Worte sagte er im Beyseyn seiner Tochter, und es dünkte mir, als ob das gute Mädchen einen tiefen Seufzer ausstieße.

Einige Tage nach diesem unbedeutend scheinenden Vorfalle komme ich des Abends spät nach Hause, gehe, weil alles schon schläft, ohne Licht in mein Zimmer, und mache mich bereit, das Bette zu besteigen. Auf einmal höre ich leise Tritte vor meiner Thüre: Die Tritte kommen näher und näher. Die Thüre öffnet sich, und eine weiße Gestalt tritt herein

»Wer bist du?« — rufe ich mit donnernder Stimme, und pralle auf das Unding los.

»Jesus Maria!« — ächzt die Figur: — »Stille! Stille!«

Die Stimme deucht mir bekannt. Ich rufe nochmals: wer bist du? Und der Geist entdeckt sich, als die Tochter meines Wirthes.

Voller Freude fasse ich das bebende Mädchen in meine Arme, drücke einen Kuß auf ihre Lippen, und frage: welchem Zufalle ich ihren so späten Besuch zu verdanken hätte?

»Ach!« — seufzt das Mädchen: — »sie sollen mir helfen!

»Herzlich gern« — erwiedere ich: — »wenn es in meiner Macht steht!«

»Es steht in ihrer Macht,« — entgegnete das Mädchen: — »Mein Vater schätzt sie; mein Vater trauet ihnen: ach, helfen, sie — helfen sie mir!«

Ich dringe in sie, zu sagen, was ihr fehle, und worin ich ihr beystehen könne. Sie setzt sich zu mir, und beginnt also:

»Der Poltergeist, der in diesem Hause spukt, — ist mein Geliebter, ist — Heinrich, ist oben der Sekretair. Er hielt vergangenen Herbst um meine Hand beim Vater an. Der Vater schlug ihn sein Gesuch rund ab; und seine Verzweiflung brachte ihn zu einem Entschlusse, der mir meine Ruhe raubte, und auch ihn unglücklich macht. Lange schon stand dies Haus im Rufe, weil es einmal ein Kloster soll gewesen seyn, als ob sich zur Nachtzeit unnatürliche Dinge ereigneten. Mein Heinrich nutzte diesen Aberglauben zu seinem Vortheile, und — erreichte seine Absicht. Außer mir vor Angst und Schrecken, wußte ich lange nicht, daß Heinrich der Geist wäre, der mich fast alle Nächte in meiner Kammer beunruhigte. Endlich entdeckte er sich mir; aber erst, da es schon zu spät war. Ich fühle nun die Folgen dieses sträflichen Umganges. O, helfen sie — helfen sie mir!« —

Ich stand bey dieser Erzählung vor dem Mädchen, ihre Hand in meiner Rechten; mein Ohr, weil sie leise sprach, nahe zu ihrem Munde geneigt. Izt hörte sie auf zu flüstern, erhub sich, und empfieng mich flehend. Ihre glühende Wange glühete auf der meinigen, ihr Herz pochte an dem meinigen, ihr ganzer leicht bedeckter Körper preßte sich an den meinigen: — genug hiervon!

Lehnchen schlich sich entzückt von meinem Zimmer. Denn ich hatte ihr gelobet, sey es, auf welche Art es wolle, ihren Vater zur Einwilligung in die Heyrath mit dem Sekretair zu bewegen. Die Dankbarkeit des armen Mädchens kannte keine Grenzen. Sie erstickte mich beynahe unter Liebkosungen, und schied endlich mit den Worten:

»In ihren Händen liegt mein Glück — mein Leben Ohne ihre Hülfe bin ich auf ewig verloren!«

Da mein Blut wallte, da fand ich jedes Hinderniß übersteiglich; aber izt sah ich bey kalter Ueberlegung bald ein, das ich mich in den schlimmsten Handel gemischet hatte. Auf welche natürliche Art war der Vater des verführten Mädchens für ihre Liebe zu gewinnen? Wie war es möglich, einen eigensinnigen, strengen Mann von dem einmal gefaßten Entschlusse abzubringen wenn man nicht zu einem Mittelschritte, das sich ganz seiner Denkungsart anpaßte, das ohne vorhergegangenen gütlichen Versuch, der ihn nur argwöhnisch machen konnte, das ohne jede Vorbereitung ihn überraschte, ihn durch seinen eigenen Vortheil zu unsern Absichten nöthigte? Dieses Mittel aber — ich wollte mir es anfangs selbst nicht gestehen — dieses Mittel war kein anderes, als eben dasjenige, das er mir selbst an die Hand gab, als sein Glaube an die Unnatur des Poltergeistes, und an die Macht, die er mir über denselben zuschrieb.

Ich warf mich die ganze Nacht schlaflos umher, torquirte mein Gehirn, marterte meine Einbildungskraft; alles umsonst! Wähnte ich auch einmal ein ausführbares Hülfsmittel entdecket zu haben; so durfte ich es nur mit der Fackel der Vernunft beleuchten, und es war eitler Schatten, der wie nichts dahin schwand, und an dessen Stelle immer wieder der Schwarzkünstler mit der Zauberruthe erschien. Drey Tage lang kämpfte ich. Oft entschloß ich mich binnen dieser Zeit, das Quartier im Geisteraufenthalte schleunigst aufzugeben, und weit davon entfernt mich einzumiethen. Aber da stand immer wieder das bleiche, flehende Mädchen vor mir, und rufte: Hülfe! Hülfe! Freylich schien, beim Lichte besehen, ihr Liebhaber dessen nicht werth, was ich für ihn thun sollte. Doch auch er war betrogen, durch mich betrogen; und worauf sollte Lehnchen außer meinem Beystande hoffen? Vorstellungen, die mich laut aufforderten, das unglückliche Paar aus seiner Verlegenheit zu reißen.

In der vierten Nacht erhielt ich noch einen Besuch von Lehnchen. Sie flehete dringender, als das erstemal. Ich blieb ernst und streng. Da sie mich aber an mein Wort erinnerte, da sie mich erinnerte — —; da gab ich ihr nochmals meine Hand, und führte ohne Zeitverlust schon am folgenden Morgen aus, wozu mich Pflicht und Zusage verbanden. Ich trat gegen neun Uhr in das Zimmer meines Wirthes. Lehnchens Wange erglühete ihr Blick stärkte mich.

»Mein Herr!!« — begann ich: — »Die Ruhe ihres Hauses ist mir theuer, und ich bin so glücklich gewesen, vergangene Nacht ein Mittel auszuspähen, dieselbe auf immer zu bewerkstelligen.«

Der abergläubische Mann umarmte mich vor Freude.

»O, sagen sie — sagen sie!«

rief er, ließ in der Eile eine Flasche Unger herbeyholen, und bat mich zu trinken. Ich schlug dies aus.

»Mein Herr!« — fuhr ich fort: — »der Geist, der hier hauset« —

»Haben sie ihn gesehen?« — fiel mir der Wirth erschrocken ins Wort.

»Ich will ihn sehen« — erwiederte ich: — »er ist ein bösartiges Wesen, und hat mir viel zu schaffen gemacht. Doch vermöge meiner Kunst will ich ihn schon vollends zum Gehorsam bringen«

»Wie? Wie?« — stammelte der Hauswirth: — »sind also wirklich das, wofür ich sie hielt, wirklich einer jener großen Künstler, wirklich ein in der Nekromantie erfahrner Mann? O seyn sie mir willkommen, tausendmal willkommen! Einen solchen habe ich lange gesucht. Sagen sie — sagen sie! was ist zu thun?«

»Nichts« — versetzte ich: — »als den Geist förmlich zu citiren.«

»Und das wollen sie?«

»Warum nicht!«

»Und wenn?«

»Heute noch, wenn sie ihre Einwilligung dazu geben. Denn diese ist bey meinem Unternehmen schlechterdings nöthig.«

»O, die haben sie — die haben sie! Machen sie was sie wollen; ich lasse mir alles gefallen!«

Ich gieng von dem leichtgläubigen Manne in einer Gemüthsstimmung, die mehr Mitleiden mit seiner Schwäche, als Freude über seine Unklugheit, mehr Zorn auf mich selbst, als Freude über das gelungene Vorhaben erregte. Meine Anstalten wurden nunmehr sogleich getroffen. Der Sekretair stand mir bey. Die Domestiquen des Hauswirthes wurden gewonnen. Alles gieng glücklich von statten. Nachts gegen zwölf Uhr versammelten sich die sämmtlichen Inwohner auf meinem Zimmer. Einer meiner Kameraden spielte den Geist, und mit dem besten Erfolge. Alle mögliche Arten Räuchwerk betäubten die Zuschauer und machten den Wirth, der vorher schon durch ein ins Getränk gemischtes Pulver zubereitet war, zu jeder Untersuchung untauglich.

Der Geist erschien, oder trat vielmehr hinter einer falschen, aus Papier bestehenden Seitenwand hervor. Auf mein Befragen: warum er dies Haus beunruhigte? erwiederte er: als Rache gegen die Weiber. Und auf meint ferneres Fragen, erzählte er Antwortsweise: daß ihn vor hundert Jahren die Sprödigkeit einer Dirne genöthiget habe, ins Kloster zu gehen; für welchen Frevel — weil er nehmlich nicht reines Herzens die Tonsur und das heilige Gewand empfangen hätte— er, wenn eine gewisse Bedingung nicht erfüllt würde, ewig büßen müsse. Alle diese Reden waren in kurzen, abgebrochenen, zuvor wohl aus- und einstudirten Sätzen abgefasset, und bewirkten den erwünschten Eindruck auf den Vater des unglücklichen Mädchen. Er stotterte selbst die Frage hervor: was ihn aus der Quaal lösen könne? Und der Geist antwortete: die Vereinigung eines getrennt seyn sollenden, sich, liebenden Paares. Hierauf verschwand er wieder hinter die Wand, wozu ihm eine plötzlich aufsteigende Dampfsäule behülflich war, und ließ den Wirth in einer Verwunderung, die ihn zu unserem Endzwecke hinlänglich bereit machte.

Da der gute Mann wieder in etwas zu sich selbst gekommen war, trat ich zu ihm, und erkundigte mich: ob er die letzte Antwort des Geistes verstanden hätte, und jene Bedingung zu erfüllen vermögend wäre? Er nickte schweigend mit dem Kopfe, und versprach mir: den folgenden Tag in aller Frühe einen Besuch und seine schuldige Danksagung abzustatten. Er kam, seiner Zusage gemäß, schon um sechs Uhr zu mir, bekannte mir die Unthat, die in seinen Augen den Zorn des Mönches so gereitzet hatte, und entschuldigte sich mit der Armuth des Sekretairs und seiner wenigen ernstlichen Bewerbung um Lehnchen.

»Izt ist mir alles klar!« — »schloß er seine Beichte: — »Gestern, da der Geist die letzten Worte sprach, fiels auf einmal wie Schuppen von meinen Augen. Ich danke Gott, daß noch nicht die Zeit vorüber ist, zu welcher der Miethscontrakt zu Ende geht, und der junge Mensch mein Haus verlassen sollte! Denn da würde es das größte Aufsehen geben, wenn er, wie doch einmal seyn muß, meine Tochter noch zum Weibe erhielte!«

Kurz und gut: der Sekretair bekam das Mädchen, und der Poltergeist ließ sich von nun an nicht mehr verspüren.

Dieser wohlthätige Betrug — denn so darf ich ihn nennen, da des Vaters und der Tochter Ehre und vielleicht auch Leben dadurch gerettet wurde, und jener junge Mann, seinen letztern leichtsinnigen Streich abgerechnet, ein ordentlicher, zugleich arbeitsamer Mensch war, der gewiß in der Folge dem guten Alten noch viele Freude verursachet haben wird — dieser wohlthätige Betrug war der erste Schritt zu meinem gänzlichen Verderben. Reich an Menschenkenntniß, Erfahrungen und Einsichten, begnügte ich mich izt nicht mehr mit zwecklosen Taschenspielereien, sondern handelte nach tiefausgesonnenen Plänen. Und an Gelegenheit hierzu konnte es mir nicht mangeln, da, alles meines Bittens um Verschwiegenheit ungeachtet, die eben erzählte Geschichte bald das Mährchen der Stadt wurde, und Jedermann den Geisterbanner Volkert als ein überirrdisches Wesen anstaunte.

Erlassen sie mir das Geständniß meiner vielen, in diesen Zeitpunkt treffenden, unbekannten Frevel. Ich könnte Bücher damit anfüllen, und käme nicht zu Ende. Die Zeit, die mir noch zu leben vergönnet ward, ist kurz. Ich will ihnen also blos noch die beyden Verbrechen enthüllen, die ihren Freund, den braven Oesterreicher, betrogen, und diese mögen für alle andere hieher gehörigen Begebenheiten gelten.

Sechs Jahre hatte ich schon wieder dies ehrlose Handwerk getrieben, und mit solcher Heimlichkeit, daß die wenigsten meiner Thaten ans Licht kamen. Einigemal ward ich zwar verrathen, und von meinen Vorgesetzten gewarnet: dergleichen betrügerische Unternehmen mir nicht mehr zu Schulden kommen zu lassen: aber immer wurde ich aufs neue durch Geld, Ehre und andere Dinge geblendet, und lieh meine Hände ohne Unterlaß den teuflischsten Bosheiten.

Eines Tages rufte mich eine Bürgersfrau zu sich, drückte mir einige Goldstücke in die Hand, und bat mich: ihr mit Rath und That in einer mißlichen Sache beyzustehen. Ihr kürzlich verstorbener Mann, erzählte sie mir, habe ihre Tochter an einen Menschen versprochen, dem sie dieselbe schlechterdings nicht zum Weibe geben wollte; weil er bey ihres Mannes Lebzeiten alle Achtung gegen sie aus den Augen gesetzet, und sich wenig um ihre Einwilligung bekümmert hätte: überdies wäre er auch ein fauler Gesell, ein Säufer, ein Spieler; mit einem Worte: ein Taugenichts.

»Ich weiß, Herr Volkert!« — schloß sie ihre Rede: — »ich weiß, daß er mit dem Bösen im Bündnisse stehet. Laß' er doch einen der höllischen Geister meiner Tochter erscheinen, und ihr durch denselben drohen: daß, wenn sie nicht von Anton Schmidt abließe, er sie ehester Tages holen würde!«

Ein Antrag dieser Art verdroß mich. Ich war schon bereit, die erhaltenen drey Dukaten vor der schlechtdenkenden Wittwe Füße zu werfen: — O, daß ich es gethan hätte! — aber noch drey dazu kommende andere verblendeten meine Augen, und bewegten mich zu der Zusage: die Sache zu überlegen, und auf den folgenden Tag Antwort zu bringen. Ich hielt, was ich zugesagt hatte und rieth der Frau: vor allen Dingen ihrer Tochter als ein großes Geheimniß zu verkündigen; daß ihr verstorbener Vater kurz vor seinem Ende ihre Verheyrathung mit Anton Schmidt auf das strengste verboten habe. Mein Rath wurde befolgt, und das gute Mädchen das durch in die peinlichste Lage versetzet. Nunmehr schlug ich der Wittwe vor: ein mildes, freundliches Betragen gegen ihre Tochter anzunehmen; zuweilen mit ihr zu weinen, zuweilen auf den Eigensinn des Todten zu schmälen; nach gerade die größte Neugierde nach der Ursache dieses seines Verbotes, in die Seele des Mädchens einzuflößen; und endlich, wie einmal von ohngefähr, des Nachbars Volkert und seiner Geschicklichkeit zu erwähnen, doch kein Wort von einer im Sinne habenden Beschwörung sich verlauten zu lassen. Auch dieser mein Vorschlag wurde befolgt. Die treulose Mutter weinte mit ihrer Tochter, und gewann dadurch ihr Herz. Das unglückliche Mädchen hörte ihre lockenden Reden, entbrannte vor Neugierde kam zitternd, und bebend eines Abends zu mir, klagte mir ihren Jammer, flehete mich um Beystand, und ich verhieß ihr diesen.

Das Uebrige wird ihnen aus der Erzählung ihres Freundes bekannt seyn. Einer meiner Kameraden, der des Gewinnstes halber jederzeit auf meine Befehle lauerte, spielte auch hier wieder die Rolle des Geistes. Die Procedur bey der Erscheinung glich der vorhin erwähnten. Lassen sie mic von dieser schrecklichen Begebenheit abbrechen. Schwer liegt sie auf meiner Seele: denn ich habe zweyer Menschen Leben ihrentwegen zu verantworten.

Ihr Freund ersuchte mich um diese Zeit: vor seinen Augen eine Probe meiner Talente abzulegen. Ich sagte ihm dies zu; gedachte es aber nicht zu halten. Wenige Wochen darauf ereignete sich indeß der Vorgang mit den beyden Duellanten, der mir Gelegenheit gab, den feinsten aller meiner Streiche auszuüben. Die Sache scheint einem Wunder ähnlich. Sie werden eine langwierige Aufklärung erwarten. Aber der Schlüssel ist sehr einfach. Hier haben sie ihn.

Eines. Morgens läßt mich ein ausländischer Officier zu sich rufen, und macht mir den Auftrag: meine ganze Geschicklichkeit zu Rathe zu ziehen, und eine Salbe zu verfertigen, die ihn vor jedem Stich sicherte. Ich sehe den Herrn erstaunt an. Er aber holt seine Börse herbey, und zählet mir den ganzen Tisch voll Goldstücke. Das viele Geld reitzet mich. Ich frage: wer sein Gegner sey? Er nennet mir den Lieutenant C... Ich greife nach meinem Hute, und gehe zur Thüre hinaus. Acht Tage darauf besucht mich ihr Freund.

»Volkert!« — spricht er: —»es giebt was für ihn zu thun. Er kann ein schönes Stückchen machen, u. s. w.«

Ich spitze die Ohren, mache Einwendungen, lasse mich überreden. Ihr Freund verläßt mich endlich; und ich begebe mich zu Baron T... Dieser liegt noch in den Federn, und denkt wenig ans Duelliren.

»Herr Baron!« — rufe ich — »her mit dem Gelde! es ist verdient. Sie sollen nicht nur fest seyn; sondern auch als Mann von Ehre das Feld und die hiesige Garnison verlassen!«

»Das wäre was!« —

jauchzt der tapfere T..., springt zum Bette heraus, zahlt mir mein Geld; und ich gebe ihm die Hand auf mein Versprechen.

Dies war das Vorspiel zu dem wundervollen Experimente. Das Spiel selbst ist leicht zu errathen. Funfzig Dukaten gewannen den Hauswirth; ein paar andere den Briefträger. Die Briefe studirte ich aus, und gab sie dem Baron zum Abschreiben. Der Schein vom General-Chirurgus war falsch. Das übrige ist klar.

Was das erfolgende Duell selbst betrift; so gieng auch dies ganz natürlich zu. Die Pistolen des Lieutenant C... wurden von mir geputzt und geladen. Zwey verdarb ich am Schlosse: zwey füllte ich mit unrechten Kugeln. Ich verrieth den Handel beym Gouverneur, um des Baron T... Standhaftigkeit und Tapferkeit an den Tag zu bringen. Aus eben diesem Grunde kam er selbst nach vollbrachtem Zweykampfe in die Stadt zurück, und ließ sich freywillig arretiren. Und um auch großmüthig zu scheinen, bat er für seinen Gegner Pardon. Die Schwärze dieser meiner That wird sich in ihren Augen vermindern, wenn ich ihnen sage, daß es auch mit den Kugeln in den Pistolen des Barons keine rechte Richtigkeit hatte. Lieutenant C..., der ehemalige Freund ihres Freundes, konnte keinen großen Schaden nehmen; dafür war gesorgt.


Bis hieher hatte Volkert mit ziemlicher Heiterkeit erzählet; und es schien beynahe zuletzt, als ob er sein bevorstehendes Schicksal ganz und gar vergessen hätte. Aber nunmehr ward er auf einmal ernster und ernster. Seine Stirne faltete sich; sein Mund verzog sich; er seufzte tief, und fuhr endlich mit bebender Stimme also fort:

O, daß ich hier, meine Geschichte enden könnte! daß ich ihnen: nicht Greuel berichten dürfte, die meine Seele mit Angst erfüllen, und mein Herz mit den schrecklichsten Gewissensstichen quälen! Doch ich versprach ihnen einen Abriß meines ganzen Lebenslaufes; ich will fortfahren. Unvollkommen nur werde ich ihnen meine izt folgenden Thaten zu schildern vermögen; aber ich will fortfahren.

Das Fürwort des Baron T... brachte es bey dem Gouverneur dahin, daß man mich auf Werbung sandte. O, hätte man dies nicht gethan! vielleicht wäre ich wieder auf die rechte Straße zurückgekehret; aber so war ich verloren. Also ich gieng auf Werbung. Ein weites Feld für meinen Wirkungskreis. Auch erfüllte ich meine Pflicht, erfüllte sie so, daß meine Kameraden staunten, und meine Vorgesetzten sich immer mehr und mehr auf mich verließen. Ich bekam die größten Summen unter meine Hände; das verdarb mich vollends. Meine Ausschweifungen verleiteten mich zu Betrug, verwirrten mich in ein Labyrinth, woraus ich bald keinen Ausweg mehr zu finden wußte. Ich machte Bekanntschaften, gefährliche Bekanntschaften, Bekanntschaften mit Räubern und Räubersgenossen. Durch meine listige Streiche gelockt, bestrebte man sich, meiner Freundschaft theilhaftig zu werden, mich(in Bündnisse einzuziehen, die meinen Untergang begründeten. Ich ward Spion, Verräther, am Ende gar Gehülfe der schändlichsten Thaten.

Meine Werbungsgeschäfte stockten. Man war im Begriffe, mich zurückzuberufen. Das gieng nicht: denn ich konnte keine Rechnung ablegen. Wozu war also die Zuflucht zu nehmen, als zum gänzlichen Verschwinden? Dies wurde ausgeführt; aber auf eine Art ausgeführt, daß man mich für todt halten mußte.

Ich transportirte durch eine angesehene Stadt, wo mancher meines Gleichen vorhanden wäre: zehn Räubergesellen. Kaum erreichten wir den nahegelegenen Wald, als diese flohen. Ich lief verzweifelt in das benachbarte Dorf, klagte mein Unglück, schriee, heulte und rennte wieder in das Gehölz. Einem todtgefundenen, vielleicht auch so eben getödteten Menschen wurde von den mich erwartenden Gefährten meine Montierung angezogen, eine Pistole in die Hand gelegt, und der Hirnschedel mit einem Flintenschusse zerschmettert. Izt war ich nicht mehr Volkert, der Sergeant; izt war ich Volkert, der aufgenommene Räuber und Mörder. Lassen sie mich hier abbrechen. —

Ich malte mein Gesicht, stellte mich um zwanzig Jahre älter, und so gelang es mir, alle meine ehemaligen Bekannten zu täuschen. Als Vater Franz wurde ich bald in verschiedenen Gegenden berüchtiget, als Vater Franz machte ich mich hier und dort ansäßig; Vater Franz war ich und blieb ich, bis daß ich wirklich das vorgespiegelte Alter erreichet hatte, und nicht mehr für nöthig fand, weine Maskerade fortzusetzen. Dennoch ward ich, ehe mich noch ihr Freund, der Oesterreicher, erkannte, von einem meiner vormaligen H...schen Kriegskameraden, der als Werber ins Reich kam, entdecket, und zu dem Versprechen genöthiget: mit ihm zugleich die Werbungsgeschäfte zu betreiben. Der Schlaue hatte meine Geschicklichkeit in täuschenden Unternehmungen nicht vergessen; und seine vorgefaßte Meynung von den Diensten, die meine List ihm leisten könnte, wurde durch die neueste Erfüllung meiner Zusage hinlänglich berechtiget. Keiner entgieng meinen Netzen, auf den wir einmal unser Augenmerk gerichtet hatten, und in kurzer Zeit war ein ansehnlicher Haufe Rekruten zusammengeworben. Wie fein und leicht ich jedes Hinderniß aus dem Wege zu räumen wußte, mag ein einziges Beyspiel bezeugen.

In dem Gasthofe, wo ich in F... eingekehret war, kehrte auch ein junger, wohlgewachsener liebenswürdiger Liefländer ein. Mein Patron fand ungemeines Behagen an diesem Jünglinge, und versicherte mich seines verbindlichsten Dankes und der gänzlichen Erlassung meiner ferneren Dienstleistungen, wenn ich ihm denselben noch zum Rekruten verschaffen könnte. Ich verhieß, mein möglichstes zu thun, und begann sogleich mein Unternehmen damit, daß ich dem Anzuwerbenden von einigen meiner Diebskameraden, die sich, weil es eben Meßzeit war, in Menge zu F... aufhielten, seine Börse, seinen Ring, seine Dose und seine Uhr entwenden ließ. Die letztere gab ich ihm an einem öffentlichen Orte zurück, und meldete ihm dabey: daß ich den Thäter ertappt hätte. Ohne aber seine weiteren Fragen und Danksagungen zu erwarten, verließ ich ihn schnell.

Meine Absicht hierbei war keine andere, als des jungen Menschen Neugierde zu reitzen, und sein Zutrauen zu gewinnen. Sie gelang mir vollkommen. Der Liefländer bemühete sich auf das eifrigste, mit mir in genauere Bekanntschaft zu kommen, paßte mir auf, wenn ich zur Nachtzeit in den Gasthof zurückkehrte, redete mich an; kurz: bestrebte sich aus allen Kräften, nähere Aufklärung über jenen Vorgang zu erhalten. Ich wich ihm aber stets aus, bis ich endlich für nöthig fand, ihn auf seinem eigenen Zimmer zu besuchen, und ihn über den Verlust eines Wechsels zu trösten, der ihm gleichfalls nebst seinem Portefeuille von meinem Gefährten geraubet wurde. Dieser Wechsel machte seinen ganzen bey sich habenden Reichthum aus, und er war izt ohne denselben gezwungen, in F... zu verbleiben; oder alles, was er an Kleidern, Wäsche und anderen Habseligkeiten besaß, in Geld zu verwandeln, und sich auf die kümmerlichste Weise bis in sein entferntes Vaterland zu verhelfen. Ich überbrachte ihm zwey Noten, jede zu hundert Thaler; nichts mehr und nichts weniger als das Handgeld des Werbers. Er gerieth bey meiner unerwarteten Erscheinung und bey meinem Geschenke in das größte Erstaunen. Ich verließ ihn wieder schnell.

Das Werbegeld war nun in des Lieflanders Tasche. Wie ich ihn aber izt in die Gewalt des Kriegsmannes bringen sollte diese Frage legte ich abermals meiner Geschicklichkeit im Geisterbannen zur Beantwortung vor.

Einige Briefe, die in dem entwandten Portefeuille des jungen Mannes befindlich waren, belehrten mich: daß seine Mutter kürzlich gestorben, und aus verschiedenen Gründen, hauptsächlich wegen seiner verschwenderischen Lebensart auf Akademien, sehr unzufrieden mit ihm gemessen sey. Seinen geraubten Silhouettenring bezeichneten die nehmlichen Buchstaben, die unter zweyen noch vorhandenen Briefen seiner Mutter standen. Die Silhouette selbst, war, dem Kopfzeuge nach, eine ältliche Frau, folglich aller Wahrscheinlichkeit gemäß keine andere, als des Lieflanders verstorbene Mutter.

Einer meiner Räubergesellen, dessen Züge die mehreste Aehnlichkeit mit dieser Silhouette hatten; verbarg sich schon bey Tage auf meinem Zimmer im Gasthofe, bemalte sein Gesicht mit Kreide; nahm das im Bette ausgebreitete Tuch, verhüllte sich darein, und schlich so zur Mitternachtszeit nach des angeworbenen Rekruten benachbarten Stube. Dieser schien eben wieder auf meine Nachhausekunft zu harren, um mich vermuthlich der beyden Noten wegen zu befragen, die er vergangenen Nachmittag in sprachloser Verwunderung von mir empfangen hatte; und erschrack nicht wenig, als die Gestalt seiner Mutter zu ihm hereingetreten kam. Das Gespenst machte einen Gang durch seine Stube, sahe in seine Uhr, um anzuzeigen, daß es nach Ruhe verlange, seufzte, drohete ihm, und gieng wieder zur Thüre hinaus.

Den folgenden Tag ließ ich dem Liefländer von meinen Gefährten auf allen Tritten begleiten. Man meldet mir: er sey, nachdem er die beyden Noten auswechseln gelassen, in einen vor dem Thore gelegenen Garten gegangen. Ich eile ihm ohne Zeitverlust nach, suche und finde ihn in einer einsamen Laube. Er sieht mich nicht, ob ich gleich dicht neben ihm stehe. In sich gekehrt sitzt er da, und scheint mit sich selbst zu sprechen. Plötzlich bricht er laut in die Worte aus: Nein! es war ein Traum. — Es war kein Traum! erwiedere ich auf der Stelle. Er blickt auf, erstaunt, erschrickt. Ich verspreche ihn auf kommenden Abend über alle die wunderbaren, ihm in F... zugestoßenen Vorfälle Licht zu verschaffen, und gehe, nachdem ich ihn an das seinem Gasthofe nächstliegende Thor bestellet habe, ohne seine Antwort zu erwarten, wieder schnell von dannen.

Meine Kundschafter fahren fort, ihm sonder Rast den ganzen Tag auf allen seinen Gängen zu folgen. Um seine Neugierde nach der versprochenen Aufklärung noch mehr zu reitzen, trägt einer von ihnen alle die entwandten Sachen zu dem Wirthe der Herberge, wo er logirt. Dies wirkt. Er geht zu der von mir bestimmten Zeit nach dem nahen Thore. Ich lasse ihn über eine Stunde auf mich warten, komme alsdann, da er eben wieder nach Hause gehen will, geschäftig herbeygeschritten, führe ihn zum Thore hinaus in einen entlegenen Gasthof, wo Werber und Werbersgenossen beständig zu residiren pflegen. Hier nehme ich ihn allein in ein Gartenhaus, worunter ein Keller liegt, und dessen Fußboden beweglich ist. Ich frage ihn izt; was er zu wissen begehre? Und da er nicht geschwind genug alle seine Wünsche in einen einzigen zu vereinen im Stande ist; so schlage ich ihm vor: den Wohlthäter kennen zu lernen, der so eifrig für ihn sorget.

Er ist es zufrieden; und ich stelle ihn auf den Platz, wo die Dielen in das unterirdische Gemach hinuntergezogen werden können. Hierin lauern schon einige meiner Gesellen, die anfänglich bey meiner Beschwörung den Donner verursachen, und sodann die Dielen hinabsinken lassen. Derjenige, der schon einmal im Wirthshause den Geist gespielt hat, kleidet sich wieder zu dieser Rolle, an und steht gleichfalls in dem Keller. Einige andere blasen Calfonium zu den Fenstern des Lufthauses herein, und so geht alles auf das treflichste von statten.

Der Lieflander geräth über alle die Wunderdinge ausser sich. Und da er hinabfällt, und den Geist seiner Mutter erblickt; so verläßt ihn sein Bewustseyn gänzlich. Man schleppt ihn in einen Wagen, um mit ihm dem eben fortwandernden Transporte nachzueilen. Ein Korporal setzt sich zu ihm in die Kutsche, und der andere auf den Bock. Die Reise beginnt mit der größten Schnelligkeit. Aber der Fuhrmann versteht das Fahren nicht, wirft um, und der arme Liefländer bricht ein Bein. Wie die Werber das sehen, lassen sie ihn liegen, spannen die Pferde vom Wagen ab, und reiten davon.

Ein großes Unglück, ein noch größeres Glück! diesen Satz kann die eben erzählte Geschichte beweisen. Der gute Liefländer würde von einem benachbarten Edelmanne in seinem jammervollen Zustande gefunden, aufgenommen, verpfleget, und reisete in einigen Monaten munter und vergnügt zu den Seinigen zurück.

Unmuthig über dies mein letztes, verunglücktes Unternehmen, gieng der Werber mit seinem Transporte zugleich von dannen, und entledigte mich meines Amtes.

Izt sollte ich ihnen ihr eigenes Abentheuer im wüsten Schlosse jenseits des Schwarzwaldes auseinander setzen; aber ich bin überzeugt, daß sie mich gern dieses für mich so peinlichen Berichtes überheben, und durch Vergleichung meiner vorhergegangenen Erzählungen den ganzen Zusammenhang dieses Vorfalles herausbringen werden.

Was die Erscheinungen in den unterirdischen Gemächern betrift, so wurden dieselben gleichfalls durch meine schändlichen Gefährten bewerkstelliget. Einige davon verbergen sich in die dem Hauptkeller und der Gruft naheliegenden Kammern, und bliesen durch in die Mauer gemachte Oeffnungen die Blitze heraus. Andere versteckten sich in verschiedene Schlupfwinkel des Kellers und der Gruft selbst, und verursachten, vermittelst großer, mit Schellen behangener Trommeln, den Donner und das Gebrauses. Der Deckel des Sarges wurde durch ein in der Finsterniß unsichtbares Seil in die Höhe gezogen. Die weibliche Figur war der Sohn eines benachbarter Dorfwirthes der nebst seinem Vater in genauer Verbindung mit uns stand, rund schon öfterer bey Anwesenheit neugieriger Reisenden im Schloße das Gespenst vorgestellet hatte. Der Lichtschein, der aus der Sarge kam, wurde mit Hülfe einer in demselben befindlichen Blendlaterne hervorgebracht.

Den Schimmer bey der zweyten Erscheinung erregte ein Licht, das in eine aus blauen Gläsern zusammengefügte Leuchte gesetzet ward, die man oberhalb der Kellertreppe befestigte. Den zweyten Geist spielte ein Räuber. Sein zerschmetterter Kopf war aus einem hohlen Kürbis verfertiget: Unsere schnelle Retirade geschah größtentheils durch die eisernen Thüren und das verfallene, der Kellerpforte gegenüberliegende Seitengebäude. Der uns begleitende üble Geruch entstand vermöge eines großen angezündeten Gebund Schwefels, das die auf der Treppe stehenden Zuschauer, ehe sie dieselbe verließen, hinabwarfen. Das Verlöschen der über dem mittleren Sarge hängenden Ampel und der von ihnen mit heruntergenommenen Lampe war durch einen gewissen Spiritus verbreitet, den ich unvermerkt in die letztere schüttete, als wie in den Keller hinabstiegen.

Vielleicht entsinnen sie sich selbst noch, daß ich ihnen dieselbe, bevor ich den Eingang zu dem Schauplatze meiner Gauckeleyen öffnete, aus der Hand nahm, und voran die Stiege hinuntergieng. In der Ampel war dies schon vorher geschehen. Der durch das Blitzen entstandene Dampf mußte die Flamme so lange ersticken, bis er sich wieder in dem hohen Gewölbe zu verlieren begann. Nach der zweyten Erscheinung stieß ich die Lampe um. Alles übrige ergiebt sich von selbst. —

Und nun komme ich zu der Begebenheit, die mich in ihren und in ihres Freundes, des Oesterreichers Augen zu dem, was ich wirklich war, zum Gauckler — zum Betrüger machte. Veranlassung, Leitung und Bewerkstelligung dieser meiner letzten Geistercitation ward einzig und allein durch mich bewirket. Hier haben sie den Aufschluß.

Seitdem mich der H...sche Werber in F... erkannt hatte, pflegte ich diese Stadt höchst selten zu besuchen, ob ich gleich daselbst Haus und Hof besaß, und von meinen Nachbarn und Mitbürgern wohl gelitten war. Einer meiner ehemaligen Bekannten, der ausserhalb F... die Wirtschaft in einer Herberge verwaltete, begab sich nach F... selbst, und miethete sich hier einen ansehnlichen Gasthof. Er versprach sich von diesem Unternehmen den glücklichsten Erfolg. Allein ein benachbartes Wirthshaus entwandte ihm, des guten Rufes halber, worin es stand, alle Nahrung, und brachte meinen Freund bald um sein zusammengespartes Vermögen und zugleich um die Hoffnung: je seinen Gasthof emporzubringen. Er klagte mir sein Unglück, da ich endlich wieder einmal in F... eintraf; und eingedenk jenes Hauses, worin ich während meines Soldatenstandes logirte, rieth ich ihm: durch einen Poltergeist dem Wohlstande der verhaßten, naheliegenden Herberge ein Ende zu machen. Der Vorschlag wurde angenommen und ausgeführet.

Der Besitzer jenes Wirthshauses war kürzlich gestorben, und sein Sohn, ein junger, unerfahrner, einfältiger Pursche trat an die Stelle des Vaters. Wir gewannen zwey seiner eigenen Dienstboten, die bey Nachte lermten und polterten, und durch die ganze Stadt das Gerücht verbreiteten: das der verstorbene Wirth zum ... wiederkäme, und die Gäste seines Sohnes auf die schrecklichste Art und Weise beunruhigte. Diese List gelang. Da ich nach einigen Monaten wieder F... verließ, war meines Freundes Gasthof, der sonst außer der Messe immer leer stand, voller Fremden, und jene Herberge ein verödeter Tummelplatz der vermummten Gespenster.

Ich sah leicht ein, daß dieser Handel mit der Zeit entdeckt werden könnte, und versprach deshalb bey meiner Abreise dem gleichfalls darüber besorgten Freunde: innerhalb Jahresfrist zurückzukehren, und es dahin zu bringen, daß er das unheimliche Gasthaus für einen wohlfeilen Preis käuflich erhalten sollte. Ich erfüllte meine Zusage, kehrte noch vor der bestimmten Zeit nach F... zurück, und was ferner geschahe, ist ihnen bekannt.

Anfänglich war mir die Gegenwart des ausländischen Officiers in dem Geisteraufenthalte nicht wenig zuwider. Ich verbot, so lange dieser in dem verrufenen Wirthshause wohnen würde, alle nächtliche Erscheinungen; und machte mich schon wieder gefaßt, unverrichteterweise von dannen zu wandern, als die Feigherzigkeit dieses Werbers selbst mir die beste Gelegenheit verschafte, mein angefangenes Werk zu vollenden. Seine Kameraden, feig wie er, entschlossen sich mit ihm zugleich in dem fürchterlichen Orte zu übernachten, und wurden ebenfalls durch ihre Einbildung betrogen.

Ein heftiger Sturm, der in der vierten Nacht tobte, und den sie vor Lerm und Geschrey beym dampfenden Punschnapfe nicht zu bemerken vermochten, jagte sie bey ihren Untersuchungen dermaßen in Angst, daß sie Leichen ähnlich in den Saal schlichen, und sich zitternd und bebend auf ihre vorherigen Plätze verfügten. Der Kühnste und Klügste von ihnen öffnete das Fenster; aber der eben schweigende Sturm erlaubte ihm nicht, die mindeste Entdeckung von seiner Wuth zu machen. Er schob den Riegel des Fensters nicht wieder zurück; seine Gesellschafter hatten in der Verlegenheit die Thüre fest zu schließen vergessen: der nächste Windstoß warf also Thüre und Fenster in das Gemach hinein. Die Lichter verloschen; und nun vollbrachte die Phantasie, was vielleicht kein körperlicher Geist zu vollbringen vermögend gewesen wäre. Blitze leuchteten vor der Geisterforscher durch Punsch und Bangigkeit verblendeten Augen; Donner brüllten vor ihren Ohren. Der Tisch, an dem sie saßen, krachte, die Gläser fielen herab; vielleicht durch ihre eigenen Bewegungen. Der Geist erschien in seiner gräßlichsten Gestalt. Der ganzen Gesellschaft Besinnung war dahin.

Was nach folgte, wissen sie. Meine Kundschafter berichteten mich genau von dem Wege, den der nach einigen Tagen abreisende Geisterseher genommen hatte. Auch seine Rückkunft erfuhr ich. Ich eilte ihm entgegen, fand ihn, und die Beschwörung wurde verabredet. Ich wähnte von seinen Kameraden nichts zu befürchten zu haben, und erlaubte ihm daher, noch einige bey dem Experimente zuzuziehen. Doch ich irrte mich sehr. Zwey davon waren Männer, auf die ich nicht gefaßt war; zwey davon waren Männer, die der Geisterbanner Volkert schon einmal betrogen hatte.

Dessen ungeachtet aber erreichte ich dennoch die Hauptabsicht meines Unternehmens. Mein Freund, der Wirth in dem benachbarten Gasthofe, empfieng für einen leidlichen Preis kurze Zeit darauf die schöne, bisher verödete Herberge. Denn der einfältige Tropf, der Inhaber derselben, glaubte allen dem, was nach der Beschwörung in seiner Gegenwart vorgefallen war, glaubte, der gefunden Vernunft zum Trotze, an die Wahrheit der Erscheinung, und hatte eher keine Ruhe, bis er das unrechte Gut von sich losgeschüttelt, und seinen Gasthof in anderen Händen wußte.

Die Erscheinung selbst ward vermittelst einer magischen Laterne in einem unter dem Saale befindlichen Gemache hervorgebracht. Die Decke desselben wurde in der vorhergehenden Nacht heimlich durchbrochen, und einige Bretter an Fußboden des Saales Beweglich gemacht. Durch diese Oeffnung stieg der Rauch empor. Die hinwegzuschiebenden Dielen grenzten an die Wand. Diese empfieng das Bild der Maschiene. Dampf und Finsternis vollendeten die Täuschung.

Ich verließ, gleich ihrem Freunde, F... mit dem festesten Entschlusse: nie mehr dahin zurückzukehren, weil ich befürchtete, ihrer Großmuth ungeachtet, dennoch in die Hände der Obrigkeit zu gerathen, und weil mein guter Name in dieser Stadt auf immer verloren war. Auf meiner Reise traf ich sie an, und pries mein Schicksal, daß es mir Gelegenheit verstattete, das Unrecht, so ich ehemals an ihnen verübte, wieder in etwas zu vergütigen. Ich hatte mir vorgenommen: hier in A... unbekannt und in der Stille, unter Reue und Buße aber meine Thaten, das Ende meines elenden Lebenslaufes zu erwarten. Aber bald ward ich durch meine ehemaligen Bundesgenossen ausgespähet, und zur Fortsetzung meines schändlichen Gewerbes genöthiget.

Die Ursache, warum ich mich hier befinde und warum der morgende Tag bestimmet wurde, wird ihnen bekannt seyn. Ich will nichts zur Entschuldigung dieser meiner letzten Unthat sagen, als daß sie zu den edelsten, meiner Handlungen gehöret. Hätte ich durch sie nicht andere zugleich mit ins Unglück hinabgerissen; so würde ich nicht den mindesten Gewissensbiß deshalb empfinden.

*

Hier schwieg Volkert, erschöpft und kraftlos von dem vielen anhaltenden Reden. Ich unterhielt mich noch einige Zeit mit ihm über verschiedene Punkte seiner Geisterbannereyen, und bezeigte ihm besonders meine Verwunderung darüber: daß alle seine Streiche dieser Art so verborgen geblieben wären, da er sich doch immer, und vorzüglich in der Garnison, wo es ihm auch gelang, meinen ehemaligen Freund, den Oesterreicher, zu täuschen, auf anderer Menschen Hülfe verlassen mußte. Aber er befriedigte mich auch hierüber gänzlich.

»Ihre Anmerkung« — erwiederte er: — »ist richtig. Doch ihr Erstaunen wird schwinden, wenn sie bedenken: daß die Mitgehülfen bey meinen Betrügereyen zugleich Theilnehmer des Betruges wurden; und also nicht nur mich, sondern sich auch selbst durch Verrath ins Unglück brachten. Mehr als dies« — setzte er hinzu: — »verdient noch die Gewißheit bewundert zu werden, womit sich bey dergleichen Unthaten auf die Hülfe fremder Menschen rechnen läßt. Es ist beynahe unglaublich, wie willig jeder seine Hand darbeut, wenn es auf Täuschung seines Nächsten abgesehen ist. Hierzu scheint mir aber nicht der Grund in dem Verderbnisse des menschlichen Geschlechts, sondern blos in dem angebornen Hange zum Schauspiele und Spielwerke zu liegen.«

Ich stand, endlich auf, und machte Anstalt das Gefängniß zu verlassen. Volkert reichte mir seine Hand. Ich drückte sie sprachlos.

»Morgen um diese Zeit« — hub er an: — »bin ich nicht mehr. Morgen um diese Zeit hat der Richter gesprochen. Ich bange vor seinen Antlitze. Aber es bleibt mir noch ein Trost — ein Trost, der mich bis hieher gehalten hat, der mich halten wird, wenn der entscheidende Augenblick da ist, und wenn der dort oben sprechen wird. Dieser Trost, Freund! — erlauben sie mir diesen Namen — dieser Trost ist nicht meine Strafe; nein! ich müßte sie hundertfach leiden, sollte dadurch mein Frevel getilget werden: dieser Trost ist mein Beyspiel, das sie, das ihren Freund beseelen wird, laut der Welt zu verkünden: hütet euch vor Betrügern, die so und so gestaltet sind!« —

Ich stammelte ein Lebewohl, und gieng. Volkert rief mir noch nach:

»Harren sie morgen meiner an der Gerichtstätte! Ihr Anblick wird mich stärken.«

Ich entfernte mich von Volkert betäubt und tief erschüttert. Den ganzen Tag über war ich nicht fähig, mich zu sammeln, war ich nicht fähig, dem vielen interessanten Gehörten nachzudenken. Nur das morgige blutige Schauspiel beschäftigte mich, ängstigte mich. Die ganze Nacht hindurch kam kein Schlaf in meine Augen. Die Sonne stieg empor, und ich zitterte. Izt schallte dumpf die Todesklocke. Lermend strömten die Einwohner von A... durch die Straßen. Ich hüllte mich in meinen Mantel, und lief, der Menge nach zu der Gerichtsstätte. Furchtbar erhob sich der schreckliche Holzstoß, der den Retter meines Lebens vernichten sollte, umringet von dem gaffenden Haufen unbarmherziger Menschen, die mit wilder, grausamer Freude auf das jammervolle Lebensende ihrer Brüder harreten.

Fassungslos stand ich unter dem Getümmel. Auf einmal begann ein verwirrtes Getöse. Aller Anwesenden Gesichter wandten sich auf einen Punkt. Auch ich kehrte mein Auge dahin, und erblickte den Todtenzug langsam herankommen. Volkert schritt fest und standhaft voran; hinter ihm zitternd sein unglücklicher Gefährte. Izt war der Zug dicht vor dem Kreise. Volkerts Blicke späheten emsig umher. Endlich ersahe er mich, nickte mir freundlich zu, und trat in den Kreis hinein. Sein Unglückskamerad war das erste Opfer der Gerechtigkeit. Ich kehrte mich seitwärts, bis ich an dem Geräusche der mich umgebenden Menge vermerkte, daß seine Leiden vorüber wären. Nun blickte ich wieder nach dem fürchterlichen Schauplatze, und gewahrte Volkert, wie er sich auskleidete, selbst seine Augen verband, und sich stark und gefaßt dem mit dem Blute seines Freundes befleckten Stuhle näherte. Izt saß er — izt blinkte das Schwerdt — izt zuckte es: — meine Augen schlossen sich unwillkührlich.

Plötzlich entstand ein dumpfes Gemurmel, das Zeichen, daß Volkert überwunden hatte. Schauderhafte Gefühle durchbebten mich. Ohne nochmals nach der Stätte zu blicken, wo so eben Volkert seinen Geist aufgab, drängte ich mich durch den schauenden Haufen, und floh ausser mir von dannen. Erst am Stadtthore wandte ich mich. Eine dicke Rauchwolke wirbelte gräßlich gen Himmel, und verdämmerte die reine, heitere Luft. Ich vertrug den grausen Anblick nicht, eilte in mein Quartier, machte mich reisefertig, und verließ noch an demselben Tage einen Ort, wo der Retter meines Lebens vernichtet ward.


ENDE


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