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"Die Messingstadt," Union Deutsche Verlagsgesellschaft, 1924
(Aus dem Archiv von Walter Mayrhofer)
"Die Messingstadt," Union Deutsche Verlagsgesellschaft, 1924
(Aus dem Archiv von Walter Mayrhofer)
Seite 1.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die Kuppeln Kairos und die hochragenden Minarette seiner Moscheen in blutiges Rot, als drei Männer in hellen Bernussen* und mit turbanumwundenen Häuptern durch das Bab-el-Attabeg oder Tor des Atta-Bei die Stadt verließen und sich den Kalifengräbern zuwandten.
* Gewöhnlich wird dieses orientalische Kleidungsstück fälschlich »Burnuß« geschrieben.
Der eine dieser Männer war bartlos; er war ein Schergi, das heißt ein Schirg-Araber aus dem Lande östlich des Nils, und ein geborener Ägypter. Er nannte sich Hamed, und mit seinem vollen Titel: Sidi Hamed Ben Abd er Rahman esch Scherif, was nichts weiter bedeutet, als: Herr Hamed, Sohn des Abd er Rahman, der Scherif. Der Titel »Scherif«, der sein besonderer Stolz war, kommt den Nachkommen des Propheten Mohammed zu. Diese finden sich sehr zahlreich unter den Mohammedanern, da auch die weibliche Abstammung giltig ist, und überdies der angemaßte Stammbaum nicht nachgeprüft wird, was auch seine Schwierigkeiten hätte.
Hameds einer Gefährte trug einen langen rötlichen Bart, auf den er nicht wenig eitel zu sein schien; denn häufig strich seine Hand, wie liebkosend, an dieser Zierde hinab. Die rote Haarfarbe ist bei den Kindern des Ostens eine Seltenheit und gilt als der Ausbund aller Schönheit. Aus diesem Grunde begnügt sich manche orientalische Schöne nicht damit, bloß ihre Backen, Nägel, Hände und Füße mit dem Orangerot der Henna zu färben, sondern sie benutzt diese kostbare Pflanze, die der Botaniker Lawsonia inermis benennt, auch heimlich als Haarfärbemittel. Ja, so verliebt ist sie in die rote Farbe, daß sie wohl gar das Fell ihrer Lieblingskatze damit verschönert.
Auch unser Rotbart war vom Verdachte nicht frei, seinem Bart mittels Henna den erwünschten Glanz zu verleihen; denn einmal stand dieser merkwürdige Gesichtsschmuck in gar zu auffälligem Gegensatz zu seinem kohlschwarzen Haupthaar, und dann besaß der Bart die seltsame Eigenschaft, mit der Zeit immer dunkler zu werden, bis er dann eines Morgens wieder in frischestem Rot erstrahlte.
Hadschi Mohamed et Talib, nannte sich der würdige Bartbesitzer. Der Titel »Hadschi« verriet, daß er die Wallfahrt, die sogenannte »Hadsch«, nach Mekka ausgeführt hatte; denn jeder Mekkapilger hat Anspruch auf diesen Ehrennamen. Den Beinamen »et Talib«, das heißt »der Fuchs« hatte er sich selber beigelegt, mit Beziehung auf seinen fuchsroten Bart. Überhaupt lieben es die Orientalen, sich möglichst lange Namen beizulegen, zur Erhöhung ihrer Bedeutung in den Augen ihrer Mitmenschen. Sie gleichen hierin den Portugiesen und Spaniern. Fällt ihnen nichts besseres ein, so fügen sie ihrem eigenen Namen außer demjenigen ihres Vaters, wie es jeder tut, auch noch den des Großvaters und wohl gar Urgroßvaters hinzu.
Mohamed et Talib war ein Gharb-Araber, das heißt ein Araber des Westens, und stammte aus Algerien.
Der dritte im Bunde unterschied sich durch seine tiefdunkle, beinahe schwarze Gesichtsfarbe von seinen Begleitern. Er trug einen lang herabhängenden Schnurrbart bei sonst glattem Antlitz. Diese Glätte bezieht sich jedoch lediglich auf die Unbehaartheit: im übrigen war die lederne Haut derart gerunzelt und verschrumpft, daß der Mann ungleich älter aussah, als er wohl eigentlich war, und auffallend einer gedörrten Zwetschge glich, die man im Schwabenlande »Hutzel« nennt.
Dieser hagere hochgewachsene Greis war ein indischer Fakir, bekannte sich jedoch auch, vielleicht nur hierzulande und aus Zweckmäßigkeitsgründen, zu der Religion des Propheten. Er machte einen abstoßenden Eindruck, und geradezu unheimlich leuchtete das glänzende Schwarz seiner übergroßen Pupillen aus den blendend weißen Augäpfeln unter den struppigen Brauen hervor.
Sein Name war nicht so weitläufig, denn er lautete kurz: Abd ul Hagg. Das heißt zu Deutsch: Diener der Wahrheit. Vermutlich hätte er sich mit mehr Recht »Diener der Lüge« nennen dürfen, wenigstens machte er einen höchst verschlagenen und unehrlichen Eindruck.
Dieser Fakir war auf einer weiten, gefahrvollen Reise begriffen, um die Schätze der geheimnisvollen Messingstadt zu heben, von denen er im fernen Indien aus alten Schriften und den Berichten gelehrter Brahminen Kunde erhalten hatte.
Da ihm von Ägypten aus ein monatelanger Ritt durch die Wüste bevorstand, mußte er sich nach geeigneter Begleitung umsehen. Zu seiner unliebsamen Überraschung hatte er in Erfahrung gebracht, daß ein deutscher Kapitän in ägyptischen Diensten, hierzulande Hussein Pascha genannt, soeben im Begriffe war, eine Expedition in die Sahara zu unternehmen, deren Endziel ebenfalls die rätselhafte Messingstadt war.
Wie der Deutsche zur Kenntnis des Vorhandenseins dieser Fundgrube unermeßlicher Reichtümer gekommen war, die bisher für ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht galt, hinter dem nichts Tatsächliches zu finden sei, konnte der Inder nicht wissen; doch hatte er beschlossen, sich eben diesem Unternehmen anzuschließen, einmal, weil er so am bequemsten an sein Ziel gelangen konnte, sodann, weil er mit allen Mitteln verhindern wollte, daß der Pascha in den Besitz der erträumten Schätze gelange.
Die Wanderer verfolgten ihren Weg zwischen den Kalifengräbern hindurch bis zum Mausoleum oder Grabmal des Sultans Barkuk. Vor diesem hochragenden, kuppelgekrönten, und trotz seines Zerfalles immer noch prächtigen Bau hielten sie an und ließen sich am Fuße der Felsen nieder, die den Sockel dieses Wunders der Baukunst bilden.
Weithin schweift hier der Blick durch die Wüste nach Süden, bis zu den Pyramiden von Sakkara, wo früher die Ramseskolosse sich erhoben, nun aber langgestreckt auf dem Erdboden ruhen.
Die Moslem waren jedoch nicht gekommen, die schöne Aussicht zu bewundern: sie hatten nur einen Ort aufsuchen wollen, wo sie unbelauscht wichtige Angelegenheiten besprechen konnten.
Hier lag zu dieser Abendstunde alles einsam, wie ausgestorben, war es doch auch eine Stätte der Toten vergangener Jahrhunderte.
»Du mußt es ausführen, Abd ul Hagg!« begann der finsterblickende Hamed: »Wir haben dem Pascha einen heiligen Eid schwören müssen, sein Leben nicht anzutasten; denn er ist vorsichtig, dieser Rumih, und wenn wir auch sein Vertrauen besitzen, so hat er sich doch von allen, die ihn auf der Wüstenreise begleiten, schwören lassen, daß sie ihm und seinen weißen Begleitern keinen Schaden an Leib und Leben zufügen werden. Wer wollte es wagen, den Eid zu brechen?«
»Habe ich nicht ebenso schwören müssen, wie ihr, keine Hand an ihn zu legen?« erwiderte der Inder mit einem bösen Lächeln.
»Gewiß! Allein du sagtest doch, du habest Mittel, ihn zu verderben, ohne den Schwur zu verletzen,« wandte nun Mohamed et Talib ein.
»Das habe ich wohl,« bestätigte Abd ul Hagg; »aber warum soll er sterben?«
»Erstens ist er ein Kafir, ja noch schlimmer, er ist ein Rumih,« grollte Hamed.
Mit Kafir, Kafer, oder Giaur bezeichnet der Muselman die Ungläubigen, die der Prophet auszurotten geboten hat. Rumih bedeutet eigentlich »Römer« und ist daher ursprünglich der Ausdruck für römische, das heißt katholische Christen. Der Mohammedaner bezeichnet jedoch mit diesem Worte heutzutage alle Europäer, insbesondere alle Christen, auch die evangelischen: Europäer und Christ gilt ihm für ein und dasselbe, und für die Christen empfindet er noch mehr Haß und Verachtung als für die anderen Ungläubigen, die Juden und die Heiden.
»Sollen wir jeden ums Leben bringen, der ein Rumih ist?« fragte der Indier spöttisch.
»Wallahi! Bei Gott!« rief Mohamed: »Ja alle, — wenn wir könnten.«
»Da wir es nun aber nicht können, warum gerade diesen Nemza, diesen Deutschen?«
»Weil wir ihn hassen auf den Tod!« riefen nun beide Araber gleichzeitig.
»Ist er nicht euer Wohltäter? Hat er euch nicht lauter Gutes erwiesen und euch zu seinen vertrauten Begleitern erhoben?«
»Siehe!« ließ sich hierauf Hamed vernehmen: »Ist nicht der Kuhmist etwas Gemeines? Und doch wendet uns Allah durch ihn Wohltaten zu, da er ihn trocknen läßt, so daß wir daraus Feuerung gewinnen, uns zu wärmen und unser Mahl darüber zu kochen. So läßt uns der Allmächtige durch die Christen, die gemeiner sind als der Kuhmist, zuweilen Wohltaten zukommen. Wie unerforschlich sind seine Ratschläge!«
»Wohlgesprochen, Scherif!« sagte der Fakir, beifällig lächelnd: »auch ich hasse diese gemeinen Christenhunde, die mein Volk zugrunde richten. Allein ihr müßt doch ganz besondere Gründe haben, Hussein Pascha vor allen anderen aus der Welt schaffen zu wollen.«
»Die haben wir auch!« rief Mohamed et Talib zähneknirschend: »Ja, ganz besondere und äußerst triftige Gründe besitzen wir, ihn tödlich zu hassen. Siehe, dieser Nemza, dieser Deutsche, ist von Hause aus ein gewöhnlicher Schiffskapitän. Weiß Allah, wie er sich bei dem Herrn einzuschmeicheln wußte, bis er ihm geradezu unentbehrlich wurde! Der Khedive hat ihn beauftragt, eine Dampferlinie auf dem Nil einzurichten; das hat er getan und das ist gut. Nun hat ihn der Herrscher zum Pascha ernannt, ihn, einen Christenhund, und das ist nicht gut! Das Schlimme aber ist, er besitzt das Ohr des Khediven und gibt ihm allerlei verderbliche Ratschläge, die der Vizekönig befolgt. Gegen das Verbot des Propheten läßt Seine Hoheit sogar Standbilder und Denkmäler herstellen und auf öffentlichen Plätzen ausrichten, zum großen Ärgernis aller Gläubigen.«
»Daran tut Taufik sehr unrecht, und ich sehe, der Einfluß des Rumih auf den Herrn ist in der Tat schädlich. Ihr müßt mir jedoch gestatten, einige Zweifel daran zu hegen, daß es nur der Eifer um den wahren Glauben ist, der euch zu seinen Todfeinden macht.«
»O, Abd ul!« seufzte Hamed. »Hussein Pascha richtet das Land und uns zugrunde! Merke auf: wenn der Khedive uns bisher einen Auftrag erteilte und in seiner Großmut eine reiche Summe zu dessen Ausführung aushändigte, wie wir sie ihm als notwendig angaben, so fragte er nie, wo das viele Geld blieb. Aber dieser niederträchtige Hund von einem Christen redet ihm ein, er werde betrogen, da wir doch nur unser Bakschisch, unser wohlverdientes Trinkgeld, zurückbehalten. Und nun ist es schon mehrfach vorgekommen, daß Seine Hoheit genaue Rechnungsablage forderte, — wer hat vordem je so etwas erhört! — und dadurch ist mancher in Ungnade und schwere Strafe verfallen. Jetzt müssen wir in beständiger Angst leben und sehen uns in unserm Verdienst gehindert: und daran ist nur dieser verwünschte, gottlose Pascha schuld. Was mischt er sich in die inneren Angelegenheiten unseres Landes, statt daß er sich begnügt hätte, seinen Auftrag auszuführen und die Dampfschiffahrt einzurichten? Möge Allah ihn verderben, und kein Erbarmen haben mit seiner Seele!«
»So!« sagte der Indier befriedigt: »Nun sehe ich, daß ihr eure guten Gründe habt, den deutschen Pascha ins Jenseits zu wünschen, und ihm womöglich dazu zu verhelfen: ihr seht euch gehindert in euren Betrügereien.«
»Bakschisch!« verbesserte Mohamed: »Nur im Erwerb unsres rechtmäßigen Bakschischs.«
»Wie du meinst: kein Spitzbube wird seine Taten unehrlich nennen. Aber ihr werdet einsehen, daß mich die Sorge um euer redliches oder unredliches Trinkgeld nicht dazu bestimmen kann, den Pascha zu ermorden.«
»Aber der Eifer für unsere Religion!« warf Hamed ein. »Und dann der reiche Lohn, den wir und viele andere dir spenden werden, wenn wir von dem lästigen Aufpasser befreit sind, und wieder in die Lage kommen, die Mittel zu erwerben, uns unsern Freunden erkenntlich zu zeigen.«
»Das alles würde mir nicht genügen: aber seid zufrieden, ich selber habe meinen besonderen Grund, dem Pascha feind zu sein. Er will die fernen Oasen erforschen, freilich im Interesse des Khediven und des Landes. Aber seine Reise hat, wie ich von ihm selber erfuhr, noch ein anderes Ziel. Mitten in wasserlosen Wüsteneien, fern von allen Karawanenstraßen, liegt eine prächtige Stadt, aus Marmor und Kupfer erbaut. Schon die Märchen von Tausendundeiner Nacht erzählen von ihr, und damals schon war sie verlassen und ausgestorben. Seither hat keines Menschen Fuß sie mehr betreten. Unermeßliche Schätze von Gold, Silber und Edelsteinen bergen noch heute ihre Paläste. Ich habe sichere Kunde davon aus uralten Büchern. Ja, eine genaue Karte sogar habe ich entdeckt, die ihr letzter Besucher, Musa, vor Jahrhunderten aufnahm, und führe sie bei mir. Auf dieser Karte sind auch unbekannte Oasen verzeichnet, die von keinem Menschen bewohnt sind, sowie geheime Brunnen, die es dem Besitzer des unschätzbaren Pergaments ermöglichen, die verödete Stadt zu erreichen, ohne Gefahr zu laufen, unterwegs zu verdursten.
»Ich zog von Indien aus, um diese Messingstadt aufzusuchen, und hier in Kairo wollte ich noch einige zuverlässige Begleiter anwerben, mit denen ich mich in die fabelhaften Reichtümer teilen will, die ich dort zu holen gedenke. Euch habe ich dazu ausersehen.«
»Als ich erfuhr, daß der Pascha dem gleichen Ziele zustrebt, beschloß ich, mich seiner Karawane anzuschließen; denn der Gefahren in der Wüste sind so viele, wenn ich nur an räuberische Beduinenüberfälle denke, daß es nicht ratsam ist, ihnen ohne den Schutz einer zahlreichen Begleitung entgegenzugehen. Wäre der Pascha so vernünftig, sich mit uns in die aufzufindenden Schätze zu teilen, so könnten wir uns mit ihm verbünden ...«
Die beiden Araber hatten den Bericht des Fakirs mit zahlreichen Ausrufen des Erstaunens und gieriger Freude begleitet, nun rief Hamed entrüstet aus: »Verbünden, mit dem verhaßten Rumih, und ihm womöglich den Löwenanteil an den Reichtümern überlassen? Niemals, bei Allah und dem Propheten!«
»Nach den zuverlässigen Berichten, die ich besitze,« fuhr Abd ul Hagg unbeirrt fort, »ist die Fülle an edlen Metallen und Juwelen in der Riesenstadt so groß, daß sie mehr als ausreichend wären, jedes einzelne Mitglied der großen Karawane Hussein Paschas zum reichen Manne zu machen, ja, wir müßten wohl doppelt so viel Kamele mitführen, um nur die wertvollsten Kostbarkeiten alle mitnehmen zu können. Ich war daher nicht ohne weiteres abgeneigt, mit dem Deutschen gemeinsame Sache zu machen, und habe mit aller Vorsicht seine Gesinnung erforscht. Ich fand jedoch, daß er von einer solch dummen Ehrlichkeit und plumpen Gewissenhaftigkeit ist, daß er alles für den Khediven in Beschlag nehmen und gar nichts für sich und seine Begleiter beiseite schaffen würde: man findet ja oft bei den Christen und namentlich bei den Deutschen eine solch einfältige Redlichkeit. Nun muß ich alles daran setzen, dies zu verhindern, und er darf auch keine Nachricht von der rätselhaften Stadt und ihren märchenhaften Reichtümern dem Herrscher zurückbringen. Ich habe daher beschlossen, ihn und womöglich die ganze Karawane in der Wüste ins Verderben zu führen, damit wir drei allein die Herren der Schätze seien und uns das Wertvollste zueignen könnten, so viel wir immer auf den Kamelen fortzubringen vermögen. Darum seid ohne Sorge und vertrauet mir: Hussein Pascha wird von dieser Reise nicht wieder zurückkehren! Dafür werde ich sorgen. Ihr aber müßt mir schwören, daß ihr mir in allem unbedingten Gehorsam leisten werdet, was ich für nötig befinde, im Interesse unseres Planes anzuordnen.«
Willig leisteten die beiden Araber den geforderten Schwur, und so war Kapitän Münchhausens Tod in heimlicher Verschwörung zu einer beschlossenen Sache geworden.
Die Gier nach dem alleinigen Besitz der erhofften fabelhaften Schätze verblendete Hamed und Mohamed genau so, wie den Fakir, so daß sie so wenig wie er bedachten, welche kaum überwindliche Schwierigkeiten sich ihnen entgegensetzen müßten, wenn sie nach Vernichtung der ganzen Reisegesellschaft den beschwerlichen und gefahrvollen Rückweg zu dritt mit einer Menge beutebeladener Kamele unternehmen wollten. Bis dahin hatte es aber noch gute Zeit!
Ein kleines, zierliches Landhaus, umgeben von einem üppigen Garten, diente Kapitän Hugo von Münchhausen als Paschawohnung.
Der Park, der sich bis an die Ufer des Nils erstreckte, wies eine Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Gewächse auf, wie sie nur selten beieinander zu finden sind. Vor allem wuchsen darin die herrlichen Früchte des Südens: sind doch im Orient gerade die Obstbäume zugleich die schönsten Zierbäume.
Die schlanken Dattelpalmen ließen ihre üppigen Trauben zwischen den gefiederten Zweigen niederhängen; Orangen, Limonen und Zitronen, wie eigentlich die wilden Orangen benannt werden, während die Limone das ist, was der Deutsche irrtümlich als Zitrone bezeichnet, leuchteten rot und gelb aus dem glänzenden Grün der kugeligen Kronen, und gleichzeitig ließen ihre lieblichen Blüten einen durchdringenden Wohlgeruch ausströmen. Häufig konnte man an ein und demselben Zweige Knospen, Blüten, reife und unreife Früchte zugleich beobachten. Aprikosen, Pfirsiche, Mandeln, Granatäpfel, Maulbeeren, Pistazien, die goldgelbe, saftige und zuckersüße japanische Mispel, Nessel genannt, Feigen und Ölbäume, die duftenden Karuben oder Johannisbrotbäume und noch vieles andere war hier zu finden; aber auch an nordischem Obst, Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Kirschen und dergleichen mangelte es nicht.
Dazwischen grünten die Gesträuche und Büsche der Quitte, des Wacholders, des Rizinus. An den Mauern standen oder rankten empor die Opuntie oder Kaktusfeige, von den Arabern auch »Christenfeige« benannt, die prächtige Aloe, der süßriechende Oleander, traubenschwere Reben und die entzückenden Pfefferbäume mit ihren starren hellroten Fruchttrauben und den würzigen, feingefiederten Blättern, die trauerweidenartig in lachendem Hellgrün herniederhängen: das alles strömte seine berauschenden Düfte aus und bezauberte den schönheitstrunkenen Blick.
Natürlich fehlte es auch nicht an Blumen aller Art, namentlich an Rosen, die überall emporrankten und ihren reichen Flor in allen Farbenschattierungen von Weiß, Gelb und Rot prangen ließen. In der Nähe des Landhauses spendeten süße Kastanien und Nußbäume kühlenden Schatten, während reizende Fächerpalmen ihre gefransten Kronen in der Luft wiegten. Kurzum, es war ein kleines Paradies!
In der offenen, luftigen Säulenhalle, die einen freien Ausblick in den Garten gewährte und seinen frischen Wohlgerüchen ungehinderten Zutritt ließ, saß Kapitän Hugo von Münchhausen oder Hussein Pascha nach Türkenart mit untergeschlagenen Beinen auf einer kostbaren Matte. Dem Schlauche seiner edelsteinbesetzten Nargileh oder Wasserpfeife entlockte er bläuliche Rauchwolken.
Der Pascha war ein noch jugendlicher Mann, doch von stattlicher Leibesfülle. Er zählte neununddreißig Jahre, und das rundliche Gesicht in seiner frischen Röte strahlte Wohlwollen aus, verbunden mit einem heiteren, schalkhaften Gemüt. Seine Kleidung war durchaus arabisch: ein roter Fes bedeckte das Haupt, und den Leib umhüllte ein weiter Bernuß.
Ihm gegenüber hockte in gleicher Stellung, etwas unbeholfen, ein blondbärtiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, Professor Gerhard Rommel, ein deutscher Archäologe, das heißt Altertumsforscher. Auch er rauchte den duftigen blonden Türkentabak; doch zog er der Wasserpfeife den Tschibuk vor, das lange Pfeifenrohr mit dem Bernsteinmundstück und dem kelchartig sich öffnenden roten Tonkopf. Kunstvolle Ringe blies er bedächtig in die Luft; dann setzte er die Pfeife ab und wandte sich an den Pascha mit den Worten: »Daß ich mit Leib und Seele bei Ihrem Unternehmen bin, wissen Sie, Kapitän. Doch ein Bedenken treibt mich immer noch um: wir sind zu wenig Europäer! Nur drei Mann, Sie und ich und mein Diener Franz Billinger, allerdings eine treue Seele und ein anstelliger Mensch. Aber ist es nicht bedenklich, eine so weite Reise ins Ungewisse und Unbekannte zu unternehmen, ganz umgeben von Mohammedanern, die uns Christen doch tödlich hassen? In der Wüste befinden wir uns völlig in ihrer Gewalt.«
»Beruhigen Sie sich!« sagte der Kapitän oder Pascha lachend. »Wir reisen im gefürchteten und geachteten Schutz des Khediven; sodann sind unsere Leute in mancher Beziehung auf uns angewiesen und haben ein Interesse an unserm Wohlergehen. Was aber noch mehr besagen will, ich habe fast lauter erprobte und zuverlässige Leute, vor allem die beiden Araber Hamed Ben Abd er Rahman und Mohamed et Talib, die mir sehr viel verdanken und die ich zu Scheichs unserer eingeborenen Diener ernannt habe.«
»Ich weiß nicht,« entgegnete der Professor kopfschüttelnd, »gerade diese beiden gefallen mir wenig, sie haben etwas Ungutes in ihrem Blick.«
»Na, Sie kennen die Araber noch ungenügend; die dunkeln Augen dieser Orientalen erscheinen uns anfangs wenig vertrauenerweckend, und doch kann hinter dem klaren, unschuldigen Blau eines europäischen Auges ebensogut List und Verrat lauern. Ich kenne meine Leute nun seit zwei Jahren; ich sage Ihnen, sie sind harmlos und mir durch und durch ergeben.«
»Mag sein! Aber ganz und gar nicht traue ich jenem indischen Fakir, der sich neuerdings zur Teilnahme an unserm Zuge gemeldet hat.«
»Ach was, Professor! Der kann uns nichts anhaben. Was sollte er auch für Gründe dazu besitzen? Er ist ein einzelner und ganz in unserer Gewalt. Übrigens ist mir seine Begleitung äußerst wertvoll. Sie wissen ja, wenn wir auch in erster Linie die Oasen des Westens neuentdecken und erforschen wollen, um ihre Einverleibung durch Ägypten vorzubereiten, so habe ich es mir doch in den Kopf gesetzt, womöglich die sagenhafte kupferne Stadt aufzufinden, die ›Messingstadt‹, wie sie in den Märchen aus ›Tausendundeiner Nacht‹ genannt wird.«
»Nehmen Sie mir's nicht übel, Pascha,« unterbrach ihn Rommel mit einem etwas spöttischen Lächeln, »aber an die Märchenstadt kann ich nicht glauben. Tausendundeine Nacht ist doch wahrhaftig keine ernste Quelle, auf die man ein wissenschaftliches Unternehmen gründen kann. Da können wir gerade so gut ausziehen, den Magnetberg und Sindbads Diamantental zu suchen.«
»Verzeihen Sie, mein Lieber,« entgegnete der Pascha ebenfalls etwas sarkastisch, »auch Märchen sind selten freie Erfindung der Phantasie und ganz aus der Luft gegriffen; sie können einem wirklich schätzbare Winke geben. Ich bin ein vielgereister Mann und kenne das Vorhandensein von wirklichen Magnetbergen, nicht bloß von einem, aus persönlicher Erfahrung, und daß es Diamantentäler in Südafrika gibt, die an Reichtum demjenigen kaum nachstehen, das in Tausendundeiner Nacht geschildert wird, dürste Ihnen selber bekannt sein. Nun habe ich über die Messingstadt auch unter den Eingeborenen manches gehört, das den Eindruck uralter und durchaus nicht ganz märchenhafter Überlieferung macht.
»Plötzlich taucht nun dieser Indier Abd ul Hagg auf, behauptet, ziemlich genaue Kenntnis über die Lage der merkwürdigen Stadt zu besitzen und eigens die Reise hierher gemacht zu haben, um dorthin zu gelangen. Folglich muß mir dieser Mann als Führer willkommen sein. Übrigens habe ich zu aller Vorsicht sämtliche Eingeborenen meiner Karawane und auch den Fakir einen furchtbaren Eid der Treue ablegen lassen, den keiner zu brechen wagen wird.«
So wenig der Professor überzeugt war, wußte er doch im Augenblick keine weiteren schlagenden Einwendungen zu machen; darum trat vorerst wieder Schweigen ein, und nur die Rauchwölkchen und Rauchringe trieben ihr Spiel in der Halle.
Da trat nach gebührendem Anklopfen, auf des Paschas Hereinruf ein schwarzer Diener ein und überbrachte seinem Herren eine goldgeränderte Besuchskarte mit einem zierlichen Krönlein über dem Namen.
»Baron Erich von Steinberg,« las der Kapitän. »Er möge eintreten!« fügte er, zu dem Neger gewendet, auf Arabisch hinzu.
Der Eintretende war ein blutjunger Mensch von etwa zwanzig Jahren. Ein spärlicher, blonder Flaum umrahmte seine Lippen und sein Kinn, während aus den halbgeschlossenen Lidern ein paar wasserblaue, nicht besonders geistreiche Augen blickten. In das linke Auge hielt er ein Einglas geklemmt, dieses lächerliche Prunkstück des Gecken und Stutzers, das der gebildete Deutsche mit dem französischen Namen »Monocle« zu bezeichnen pflegt, weil er Französisch stets für gebildeter hält, als Deutsch.
Der Jüngling trat mit einer überlegenen Sicherheit auf, die beinahe als Anmaßung bezeichnet werden konnte, und ein nicht geringes Selbstbewußtsein sprach aus der Haltung des hochgetragenen, etwas nach hinten zurückgeworfenen Hauptes, das schon den Ansatz zu einer frühzeitigen Glatze zeigte.
Übrigens war diese Haltung des Kopfes schon durch den hohen Stutzerkragen bedingt, den der junge Baron trug.
Ein vornehmer Jagdanzug umschloß die hagere, hochaufgeschossene Gestalt, zu dem die durchaus nicht jägermäßigen feinen Lackstiefelchen an den Füßen einen sonderbaren Gegensatz bildeten. Edelsteinbesetzte Ringe blitzten an den wohlgepflegten Händen. Alles in allem erschien das feine Herrchen eher ein Salonlöwe und Kaffeehausheld zu sein, als ein kühner Nimrod. Münchhausen wußte nicht recht, was er aus ihm machen sollte, jedenfalls machte der erste Augenschein keinerlei günstigen Eindruck auf ihn.
»Was ist Ihr Begehr?« fragte er zunächst auf Arabisch, obwohl er wußte, daß er einen Deutschen vor sich hatte.
Der junge Mann erwiderte in einer Sprache, die Arabisch sein sollte, in Wirklichkeit aber ein schauderhaftes Gemisch von französischen und stark verunstalteten arabischen Brocken aufwies. Immerhin konnten sowohl der Kapitän, wie der Professor, etwa Folgendes daraus entnehmen:
»Ich habe gehört, daß Euer Durchlaucht eine Forschungsreise nach Westen zu unternehmen gedenken. Auch ich beabsichtige eine solche und mache Ihnen das Anerbieten, sich meiner Expedition anzuschließen, was Ihnen zweifellos angenehm sein dürfte.«
Der Pascha konnte sich bei diesem naiven Angebot eines Lächelns nicht enthalten. Doch gewann er rasch seine ernste Würde zurück, wie sie einem hohen königlichen Beamten geziemend war, und erwiderte:
»Reden wir vor allem einmal Deutsch, mein werter Herr Baron: ich vermute, es wird so besser gehen.«
»Wie?« rief der Geck erstaunt: »Sie sprechen Deutsch, Exzellenz?«
»Gewiß! Ich bin sogar ein Deutscher: Kapitän Hugo Münchhausen ist mein ehrlicher Christenname.« Geflissentlich ließ er sein adliges »von« weg, auf das er wenig Wert legte.
»Was? Ein simpler Kapitän?« rief der andere sichtlich enttäuscht. »Na! Das tut nichts. Sie dürfen sich mir trotzdem anschließen.«
Jetzt lachte Münchhausen hellauf, und auch der Professor stimmte in die Heiterkeit ein. — Dieser junge Fant zeigte sich ja äußerst gnädig!
»Ja, simpler Kapitän und Pascha seiner Hoheit des Khediven, wie Sie wissen,« lautete die Antwort.
»Na, so ein Pascha hat ja wohl nicht viel zu bedeuten,« meinte von Steinberg absprechend. »Ich bin Baron, geborener Baron.«
»Na, das tut nichts, junger Mann,« spöttelte nun seinerseits der Kapitän. »Wenn Sie Baron von Geburt sind, so können Sie ja nichts dafür, und wenn ich Pascha durch Verdienst wurde, so bin ich nicht so töricht, mir viel darauf einzubilden. Das ist ja alles Nebensache. Aber von einem Anschluß an Ihr Unternehmen kann natürlich bei mir keine Rede sein. Ich reise im Auftrag Seiner Hoheit des Khediven, der die Karawane selbst ausgerüstet hat. Sie haben also ebenfalls eine Expedition unternommen und sind wohl deren Leiter?«
»Selbstverständlich!« entgegnete der Baron hochmütig.
»Und wer sind Ihre Begleiter, wenn man fragen darf?«
»Begleiter? Bis jetzt habe ich mich noch nach keinen solchen umgesehen; deshalb eben machte ich Ihnen meinen Vorschlag.«
»Sie haben keine europäischen Begleiter? Ich muß sagen, Ihr Unternehmen ist kühn für einen Neuling in Afrika! Haben Sie wenigstens erprobte, zuverlässige Leute in Ihrer Karawane?«
»Karawane? Nein! Eine Karawane habe ich überhaupt nicht. Ich bin erst seit vierzehn Tagen in Kairo und habe mir alle Sehenswürdigkeiten angesehen, so viele im Reisehandbuch stehen.«
»Aha! jetzt verstehe ich,« rief Münchhausen lachend. »Sie haben sich offenbar verkehrt ausgedrückt, als Sie mich zum Anschluß an Ihre nicht vorhandene Expedition einluden. Sie wollten mich wohl um die Erlaubnis bitten, sich uns anschließen zu dürfen?«
»Bitten ...? Erlaubnis ...?« stotterte Erich von Steinberg. »Aber ich bitte Sie, ich bin Baron, und Sie sind ein Kapitän!«
»Was soll uns das? Ich habe die Erfahrung, und ich habe die Leitung einer großen Karawane. Wir brauchen Sie nicht, wohl aber könnten Sie uns brauchen, falls es Ihnen mit Ihren kühnen Forschungsplänen wirklich Ernst ist.«
Jetzt wurde der junge Mann doch etwas unsicher. Es dämmerte ihm, daß sein Titel bei solch einem Unternehmen keine Rolle spielte; darum schlug er einen anderen Weg ein und fragte: »Haben Sie einen Botaniker?«
»Nein! Nur einen Archäologen: hier, Herrn Professor Gerhard Rommel.«
»Angenehm!« schnarrte der junge Mann mit seiner näselnden Stimme und verbeugte sich gegen den Vorgestellten. Dann wandte er sich wieder dem Pascha zu: »Nun also! Einen Botaniker brauchen Sie doch notwendig, sonst fehlt Ihrer Expedition der wissenschaftliche Charakter.«
»Sie sind also Botaniker? Das wäre doch immerhin etwas!«
»Ja, Herr Kapitän, ich habe mich ziemlich mit Botanik beschäftigt. Man muß doch irgend ein Steckenpferd haben, um die viele Zeit totzuschlagen! Ich bin aber auch Jäger.«
»Ausgezeichnet! Doch fürchte ich nur, in der Wüste wird sich wenig Ausbeute für einen Botaniker finden und auch geringe Gelegenheit, dem Jagdsport zu frönen.«
»Wieso? Reisen Sie in die Wüste?« fragte der Baron, die Augen weit aufreißend.
Wieder lachte Münchhausen herzlich. »Na, junger Mann, was vermuten Sie denn sonst im Westen von Ägypten? Es dürfte Ihnen doch nicht unbekannt sein, daß die Sahara eine Wüste ist.«
»Die Sahara, selbstverständlich! Aber ich denke, die Sahara ist in Algerien, und hier befinden wir uns doch ein ganzes Ende davon entfernt.«
»Nein, so etwas!« rief jetzt Professor Rommel entsetzt. »Die Sahara umfaßt den Süden von Marokko, Algerien, Tunis, Tripolis und grenzt an Ägypten, wo sie allerdings auch ›Libysche Wüste‹ genannt wird. Hören Sie einmal, junger Herr: Sie wollen Afrika erforschen? Haben Sie nicht wenigstens zuvor einen Blick aus die Karte dieses Erdteils geworfen? Sie haben wohl gar am Ende nicht einmal eine Karte bei sich?«
Nun wurde der Baron denn doch kleinlaut. »O, ich habe Baedekers ›Ägypten‹ bei mir,« entgegnete er; »das ist ja doch wohl das bekannteste Reisehandbuch. Ich meinte, das genüge vollkommen.«
»Für den Vergnügungsreisenden; aber nicht für den Forscher. Ich sehe, mit Ihnen ist nicht viel los!« rief der Professor, ganz entrüstet über solche naive Keckheit.
»Na! Trösten Sie sich,« sagte nun Münchhausen gutmütig, da er sah, daß der arme Baron wirklich zerknirscht und beschämt dastand. »In den unbekannten Gegenden, die unser Ziel sind, nützen Landkarten wenig, vielmehr müssen wir erst selber solche entwerfen. Im übrigen habe ich nichts dagegen, wenn Sie sich uns anschließen wollen; nur müssen Sie sich selbstverständlich allen meinen Anordnungen fügen, denn ich bin der Herr der Expedition, somit auch der Ihrige, falls Sie mitziehen.«
Nun loderte wieder die Eitelkeit des Barons hoch empor. »Was?« rief er. »Ich bitte Sie, ich, ein Baron, sollte mich Ihnen, einem Kapitän, unterordnen?«
Damit fiel ihm vor Erstaunen und Entrüstung sein Einglas aus dem weitaufgerissenen Auge. Rasch zog er es an der Schnur empor und klemmte es wieder ein, da es ihm unentbehrlich schien, um einen recht vornehmen, überlegenen Eindruck zu erwecken.
Münchhausen aber erwiderte mit edler Ruhe: »Scheint Ihnen ein Kapitän zu gering, um sich ihm unterzuordnen, so betrachten Sie mich eben in meiner Eigenschaft als Pascha: so fällt es Ihnen vielleicht leichter. Falls Sie jedoch meine Oberhoheit nicht anerkennen wollen, wie jedes andere Mitglied meiner Karawane, so müßten wir bedauern, auf die hohe Ehre, den großen Vorteil und die außerordentliche Annehmlichkeit Ihrer geschätzten Begleitung verzichten zu müssen.«
Diese ironischen Worte, die der Baron für ernst nahm, klangen so schmeichelhaft, daß sich sein im Grunde gutmütiges Herz versöhnt fühlte. Er lenkte daher ein, indem er sprach:
»Nun ja denn! Der Form wegen will ich mich in diese Bedingungen fügen. Übrigens möchte ich noch erwähnen, daß ich natürlich meinen Diener mitnehme, den Peter Grill.«
»Auch dies sei Ihnen gestattet,« erwiderte Münchhausen: »Seine Begleitung wird uns sogar angenehm sein, da wir nur wenige Europäer sind, und unseres verehrten Professors Diener, Franz Billinger, ein biederer Bayer, wird sich besonders freuen, einen hoffentlich angenehmen Kameraden und Reisegefährten in Ihrem Peter zu finden.«
»Daß ich es nicht vergesse,« schnarrte Steinberg wieder: »Ich habe nämlich auch meine Schwester bei mir, Baronesse Hulda von Steinberg, die sich selbstverständlich der Entdeckungsreise anschließt.«
»Oho!« rief der Pascha: »Selbstverständlich, sagen Sie? Das ist im Gegenteil nichts weniger als selbstverständlich, das ist vielmehr völlig ausgeschlossen. Eine zarte Dame auf diese beschwerliche und nicht gefahrlose Wüstenfahrt mitzunehmen, wäre eine Verantwortung, die ich nicht übernehmen möchte. Professor Rommel hier nimmt zwar auch seine Schwester mit, das ist aber ein bewährtes, mutiges Frauenzimmer, und die Verantwortung für sie übernimmt er selber.«
»Nun wohl! So übernehme ich ebenfalls die Verantwortung für meine Schwester: so zart, wie Sie sich vorstellen, ist sie durchaus nicht. Sie ist zwei Jahre älter als ich und hat einen scharf ausgeprägten Willen. Unter keinen Umständen würde sie es dulden, daß sie von der Reise ausgeschlossen werden sollte: eher würde sie mir die Erlaubnis verweigern, mitzugehen.«
»Aha!« lachte Münchhausen. »Das scheint ja eine ganz entschlossene und selbständige Frauensperson zu sein, und Sie stehen sozusagen unter dem schwesterlichen Pantoffel. Da wird es sich am Ende noch fragen, ob Fräulein Hulda uns gütigst gestattet, sie zu begleiten?«
»O, was das betrifft, so wird sie keinerlei Schwierigkeiten machen: sie brennt auf Abenteuer und ist viel zu vernünftig, sie ohne sachkundige Führung aufsuchen zu wollen.«
»Also vernünftiger als Sie!« meinte der Kapitän beifällig: »Das wäre ja immerhin eine Empfehlung.«
»Gestatten Sie doch, daß sich die Baronesse uns anschließt,« bat jetzt Professor Rommel den Pascha: »So tüchtig und furchtlos meine Schwester auch ist, war es mir doch immer eine geheime Sorge, sie als einzige weibliche Person auf diese gefährliche Wüstenfahrt mitzunehmen. Auch für Monika selber wäre es äußerst angenehm, nicht die einzige Dame der Gesellschaft zu sein, und mir wäre es, wie gesagt, eine Beruhigung, wenn sie bei ihrem Wagnis eine ebenso kühne Gefährtin fände.«
»Gut also! Ich genehmige den Anschluß der Baronesse Hulda: der Baron übernimmt ja die Verantwortung für sie.«
»Es versteht sich wohl von selbst,« hub dieser wieder an, »daß meine Schwester auch ihre Zofe Isolde mitnimmt.«
Jetzt brach Rommel in ein schallendes Gelächter aus und Münchhausen lachte, daß es dröhnte: »Na, na! Herr Baron,« rief er, als er wieder einigermaßen zu Atem kam: »Das wird ja nett! Zuerst erklären Sie, überhaupt keine Begleiter zu haben, dann taucht Ihr Diener auf, hernach besinnen Sie sich auf Ihr Fräulein Schwester, hinterher fällt Ihnen noch deren Zofe ein: wenn das so fortgeht, so führen Sie uns zuletzt doch noch eine ganze Karawane zu, Männlein und Weiblein!«
»Nee, nee! Nu ist es fertig!« beeilte sich Steinberg zu versichern. Er mußte nun selber lachen, wodurch sein Einglas wieder den Halt verlor. Er ließ es jetzt baumeln: es mochte ihm die Einsicht gekommen sein, daß er hier Männern gegenüberstand, denen man mit solch läppischen Äußerlichkeiten nicht zu imponieren vermag.
»So, so! Nun ist es also zu Ende?« fragte der Kapitän: »Wirklich und wahrhaftig?«
»Wirklich und wahrhaftig!«
»Nun also, Herr Baron, auch die Zofe sei zugelassen. Und jetzt gehen Sie hin und treffen Sie Ihre Vorbereitungen zur Reise und zwar etwas rasch, denn übermorgen geht es unweigerlich ab, und auf Nachzügler wird nicht gewartet. Die Kamele für Sie und Ihre Begleitung will ich selber bereitstellen, denn Sie könnten uns bei Ihrer Unerfahrenheit unbrauchbare Tiere zuführen. Für Ihre übrige Ausrüstung müssen jedoch Sie selber Sorge tragen wie es sich von selbst versteht. Hoffentlich ist Ihr Fräulein Schwester so praktisch, daß sie Ihnen hierin gute Ratschläge geben kann.«
Etwas bescheidener und höflicher, als bei seinem Kommen, empfahl sich der Wichtigtuer beiden Herren, die noch lange über seine Unverfrorenheit lachten.
»Ich fürchte,« bemerkte Münchhausen zu Rommel, »wir haben uns mit dieser ungebetenen Verstärkung eine Last aufgeladen, die uns manche Unannehmlichkeit bringen dürfte. Oder versprechen Sie sich viele Vorteile für unsere Expedition von den botanischen Kenntnissen des jungen Mannes?«
»Das nun gerade nicht,« erwiderte der Professor: »Er scheint ein rechter Windhund, dessen wissenschaftliche Bildung nicht weit her sein dürfte. Dagegen vermute ich, daß er, wenn auch unfreiwillig, viel zur Erheiterung der Gesellschaft beitragen wird, und das ist bei einer Reise durch die sandigen Einöden von unschätzbarem Wert.«
»Ich weiß nicht,« meinte der Kapitän kopfschüttelnd: »Solche monokulierte Jünglinge sind mir von jeher zuwider gewesen. Hoffen wir, daß seine Schwester sich als gediegener erweist, obgleich mir das sehr unwahrscheinlich scheint.«
Diesmal zeigte sich der sonst mehr zu Zweifeln geneigte Professor als der hoffnungsvollere und milder urteilende. »Der junge Mann,« sagte er, »scheint zwar an maßloser Selbstgefälligkeit und Selbstüberschätzung zu leiden, im Grunde jedoch ein gutes Herz zu haben. Jedenfalls läßt er sich etwas sagen und nimmt es nicht gleich übel, selbst wenn es wie eine scharfe Zurechtweisung klingt. Am besten hat mir an ihm gefallen, daß er sich von uns auslachen ließ, ohne die Spur einer beleidigten Miene aufzusetzen.«
»Darin haben Sie allerdings nicht so unrecht,« gab der Pascha zu: »Da sich der adelsstolze Jüngling doch etwas sagen läßt, ist er zum mindesten nicht unbelehrbar, noch unverbesserlich. Vielleicht verdanken wir dies seiner Schwester, die offenbar ein recht energisches Frauenzimmer ist, und vor der er allen Respekt zu haben scheint. Ich will daher gutes Muts der Begleitung unserer ungebetenen Gäste entgegensetzen und mich bemühen, aus unserm neuen Botaniker ein brauchbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen.«
»Darin werde ich Sie lebhaft unterstützen,« sagte Rommel, »und wenn ich mich in Baronesse Hulda nicht täusche, so werden wir eine tüchtige Bundesgenossin an ihr haben. Schiller sagt: ›Der Mensch hofft immer aus Besserung‹. So wollen denn auch wir auf Besserung des Barons hoffen, der sie so nötig hat, und das Unserige dazu beitragen.«
Nach dieser Aussprache begaben sich die beiden an die Arbeit; denn sie hatten noch alle Hände voll zu tun mit den letzten Vorbereitungen und Anordnungen, die der bevorstehende Aufbruch erheischte.
Schon qualmten die Schlote des fürstlich eingerichteten Dampfers, der Hussein Pascha und seinen Begleitern zur Fahrt nilaufwärts durch den Khediven zur Verfügung gestellt worden war.
Der deutsche Pascha stand mit Professor Rommel am Ufer und leitete die Arbeiten, die sich noch in den letzten Augenblicken vor der Abfahrt zusammendrängten. Es galt noch vieles auf das Schiff zu verfrachten, und Münchhausen gab an, wo es zu verstauen sei.
Da erschien Monika Rommel, des Professors Schwester, in Begleitung von dessen Diener, des Bayern Franz Billinger, dessen gutmütiges Gesicht ein flotter schwarzer Schnurrbart zierte.
Fräulein Rommel machte für ihre zwanzig Jahre einen äußerst gesetzten Eindruck; doch spielte um ihre Mundwinkel ein Schalk, der verriet, daß sie bei allem Ernste im Grunde doch heiteren Gemütes und einem harmlosen Scherz durchaus nicht abgeneigt war. Sie hatte ein angenehmes Gesicht, vollwangig und rotbackig, so recht gesund und frisch; vor allem aber nahm es sofort ein durch die gewinnende Freundlichkeit, die daraus strahlte. Blondes Haar und blaue Augen verrieten die Deutsche.
»Ah! Da kommt ja unsere Harmonika!« rief Münchhausen erfreut, als er sie erblickte.
»Har—mo—ni—ka?!« fragte der Professor verwundert, und dehnte in feinem Erstaunen den Namen aus, gleich einer Ziehharmonika.
»Ach so!« sagte der Kapitän lachend: »Da habe ich mich verschnappt! Sie wissen ja wohl noch gar nicht, welch schönen, ungemein passenden Namen ich Ihrem Fräulein Schwester beilegte. Sie heißt ja freilich nur Monika: aber sagen Sie selber, paßt eigentlich dieser Name für ein so anmutiges Geschöpf?«
»Ich wüßte nicht, warum er nicht für mein Schwesterlein passen sollte,« meinte der Gelehrte.
»Natürlich, Sie, der trockene Mann der Wissenschaft, dem nichtssagende lateinische Namen geläufiger sind als ehrliches Deutsch, — Sie fragen nichts danach, ob der Klang eines Namens auch des Wesens würdig ist, das er bezeichnen soll! Ich bitte Sie, was ist ›Monika‹? Mich erinnert dieser Name immer an ›Monismus‹, die Religion der Unvernunft und Halbbildung. Und so sollte ich eine Dame nennen, die wie Ihr Fräulein Schwester hohen Verstand und tiefgründige Bildung besitzt? Nimmermehr! Sie hat ein so geklärtes, harmonisches Wesen, daß der Name ›Harmonika‹ wie für sie geschaffen erscheint. Wer diesen Namen vernimmt, weiß gleich, mit wem er es zu tun hat: Die Harmonie der Sphären klingt ihm daraus entgegen, wie aus der melodischen Stimme und den harmonischen Reden seiner Trägerin. Sie werden mir also gewiß gestatten, Professor, Ihre Schwester so zu nennen. Sollten Sie mir aber törichterweise die Erlaubnis hiezu verweigern, so mögen Sie wissen, daß ich mich den Kuckuck darum schere: denn ich bin Pascha und der Herr des Unternehmens!«
Während dieser Rede war Fräulein Monika hinzugetreten. Mit vergnügtem Lächeln begrüßte sie den schalkhaften Kapitän und sagte: »Ich erteile Ihnen hiemit in höchsteigener Person die Ermächtigung, mir diesen schmeichelhaften Namen beizulegen, und es soll mir eine Ehre sein, ihn zu tragen, wie ich mich auch stets bemühen will, seiner würdig zu sein.«
»Also ich und meine Meinung sind wieder einmal ausgeschaltet? Das ist das Los der Professoren!« Also brummte Rommel, eine Entrüstung heuchelnd, die ihm ferne lag; denn er besaß Sinn für Humor, und im Grunde gefiel ihm der Name »Harmonika« für seine Schwester gar nicht so übel.
Franz Billinger, Rommels bayrischer Diener, der meist kurz weg »Franzl« genannt wurde, nahm nun das Wort.
Doch ehe wir seine treffenden Bemerkungen wiedergeben, müssen wir einer besonderen Schwierigkeit gedenken, die uns diese Wiedergabe bereitet. Billinger redete meist in seiner bayrischen Mundart, obgleich er in langjährigem Dienste des Professors gelernt hatte, zuweilen auch einiges Schriftdeutsch darunter zu mengen, so daß seine Reden nicht durchweg als unverfälschtes Bayrisch erschienen. Wir möchten nun zu keinen Übersetzungskünsten greifen, sondern alles, was er jetzt und späterhin äußerte, möglichst genau so wiedergeben, wie es »dem Gehege seiner Zähne« entfloh. Aber eben darin liegt die Schwierigkeit, da einzelne bezeichnende Laute sich durchaus nicht völlig lautgetreu niederschreiben lassen. Das kommt vor allem für sein »a« in Betracht, das für gewöhnlich wie ein getrübtes »o« lautete, gleich dem englischen »aw« oder unserm deutschen »o« in »Sonne«, wenigstens wie es in Süddeutschland ausgesprochen wird. Zuweilen klang es mehr wie »a«, zuweilen mehr wie »o«. In letzterem Falle schreiben wir einfach »o«, wobei der Leser sich bewußt bleiben muß, daß es als getrübtes »o« mit einem Anklang an »a« auszusprechen ist und für das schriftdeutsche »a« steht. Im übrigen hoffen wir, das Verständnis der Reden unseres Franzls wird weiter keine besonderen Schwierigkeiten bieten. Immerhin müssen wir um Nachsicht bitten, wenn die Wiedergabe einem kundigen bayrischen Ohr nicht immer die zutreffendste erscheint.
Nach dieser notgedrungenen Erörterung wollen wir es wagen, des guten Dieners schlagende Bemerkung zu Gehör zu bringen, so gut es eben gelingt. Er sagte also, da er vernahm, daß seiner Herrin der schöne Spitzname beigelegt werden sollte: »Wos a Monika is, dös hob i moaner Lebtog nit g'wißt. Aba a Harmonika, dös loß i ma g'folln! Dös gibt a Musi, ganz oans, ob's a Mundharmonika is oda a Ziechharmonika. Dös hoamelt mi on, und i möcht glei an Schuhplotterl tonzen vur Vagnügen, wann i bloß an Nomen vun dösen Instrumenterl hör. Wann Sö's mir erlaaben, Fräulein Monika, nachher hoaß i Sö aa ›Fräulein Harmonika‹ oda moanen S', daß sö dös nit schicken tut vur an Diena?«
»Getrost darfst du mich so nennen,« lachte die wohlgestimmte Harmonika.
Nun sah man auch die Steinbergs daherkommen.
Des Barons Diener, Peter Grill, war ein etwas rötlich angehauchter, blonder Jüngling, schlank und beweglich. Die Zofe Isolde zeigte die Würde, die der Kammerjungfer einer Baronesse zukommt. Ihr rosiges Gesicht hatte sie weiß gepudert, weil die blasse Gesichtsfarbe ihrer Herrin sie viel vornehmer dünkte. Das Stumpfnäschen, das zuvor schon keck genug in die Luft ragte, trug sie so hoch, daß man glauben konnte, unmittelbar durch die Nasenlöcher in den Schädel blicken zu können, in dessen dunklem Hohlraum sich wohl nur ein bescheidenes Gehirn finden mochte. Kurzum, sie machte den Eindruck eines recht hochnäsigen Gänschens, was nicht verhinderte, daß man ihr von glänzend braunem, schön gewelltem Haar umrahmtes Gesichtchen recht hübsch finden mußte.
Baronesse Hulda hatte eine marmorweiße Haut, besser gesagt, eine lilienweiße: denn sie zeigte nichts von krankhafter Blässe, sondern einen blühenden Glanz, obgleich ihr das frische Rot der Wangen völlig fehlte. Umso frischer leuchteten die roten Lippen des feingeschnittenen Mundes hervor. Ihr Gesicht war schmal, ohne mager zu sein, die dunklen Augen waren von seltener Größe, die langen Wimpern und Brauen kohlschwarz, und ebenso das üppige, seidenschimmernde Haar, ganz im Gegensatz zu ihrem blonden Bruder. Alles in allem konnte das schlanke Mädchen wohl für eine eigenartige Schönheit gelten.
Stark beeinträchtigt wurde diese Schönheit freilich durch die zitronengelbe Färbung ihres Gewandes. Es bestand aus widerstandsfähiger, glatter Leinwand, luftig und kühl, und für eine Wüstenreise außerordentlich gut geeignet. Auch die Farbe war für diesen Zweck eigentlich die denkbar günstigste: der ganze Anzug machte daher dem Verstand und praktischen Sinn der Trägerin alle Ehre, verriet jedoch zugleich, daß sie, auch hierin ihrem Bruder unähnlich, von aller Eitelkeit auf ihre körperlichen Reize frei war, sonst hätte sie zweifellos Stoff, Schnitt und Farbe ganz anders gewählt.
»Die reinste Zitrone!« rief Münchhausen, als er sie von ferne erblickte; und mit diesem, auf ihr Äußeres so zutreffenden Namen bezeichnete er sie auch in der Folge, freilich nur, wenn weder sie noch ihr Bruder es hören konnten.
Die Arbeiten waren beendet, die Ladung verstaut, und die Teilnehmer an der Forschungsreise gingen an Bord, nachdem die Steinbergs herangekommen und begrüßt worden waren.
Der Anker wurde gelichtet, und der prächtige Dampfer trat alsbald seine Fahrt nilaufwärts nach Süden an.
In wahrhaft fürstlicher Weise hatte der Khedive für die Bequemlichkeit der Reisenden gesorgt, und vor allem eine großartige Reiseküche auf dem Fahrzeug einrichten lassen: Silberbestecke, Glas, Porzellan, Kristall, Nahrungsmittel, Getränke und Leckereien in üppigster Fülle sollten anscheinend die kühnen Forscher im voraus entschädigen für die Entbehrungen, die auf dem langwierigen Zug durch die Wüsten vorauszusehen waren. Große Käfige mit Hühnern, Tauben, Puten und Fasanen, eine Menge Schafe, Hunderte von Büchsen mit eingemachten Pasteten, Gemüsen, Fleisch- und Fischkonserven, auserlesene Genüsse aller Art, feine Weine, Sekt, Liköre, Bier, Tee, Schokolade, Zigarren und Zigaretten, — nichts mangelte! Und dazu der Befehl an die Behörden, alles sofort zu erneuern, wenn es verbraucht sein sollte, und jeden Wunsch der Reisenden zu befriedigen.
»Was meinen Sie wohl, was unsere Verpflegung den Vizekönig kostet?« fragte Münchhausen den Professor, mit dem er die Vorräte in Augenschein nahm.
»Mindestens fünfzig Mark täglich für den Mann,« erwiderte Rommel.
»Stimmt!« sagte der Kapitän: »Dafür aber zahlt er zweihundert Mark täglich für jeden von uns, und achtzig Mark für die Diener und Leute. Sie können sich ausrechnen, was da in die Taschen der Beamten fließt! Aber ich arbeite redlich daran, Taufik über die Betrügereien seiner Untergebenen die Augen zu öffnen, es geht jedoch nur langsam: die Unterschlagungen sind der ganzen Beamtenschaft so zur Gewohnheit geworden, daß sie dieselben geradezu als ihr Recht betrachten und sich eifrig darum wehren. Allein die Unsummen, die da verschleudert werden, kann man besser anlegen, zum Wohl und Emporblühen des Landes und zur Linderung der himmelschreienden Not unzähliger Armer. Das ist mein Bestreben, das mir aber, außer beim einsichtigen Vizekönig, wenig Dank und viel Feindschaft einträgt.«
Peter Grill und Franz Billinger machten es sich an Bord bequem und schlossen bald Freundschaft.
Franz machte sich auch an die feine Zofe mit dem kuriosen heidnischen Namen heran, und bemühte sich, ihre Gunst zu erwerben.
Er wurde jedoch schnippisch abgewiesen. Peter sah lachend zu, wie der Kamerad abblitzte und bemerkte:
»Du, da is nichs zu wollen: det is eene janz Vornehme, oder eine vornehme Jans, wenn dich det lieber is, — der sin wir viel zu jeringe. Nu is se ja von zu Hause ooch man bloß eene Schäferstochter vom Lande, un heeßt eejentlich Liese, woraus sie in ihren Hochmut Liselotte und hernach Isolde jemacht hat, dat et feiner klingt. Det allens habe ik schonst in Berlin herausjebracht. Sie leujnet et aber ab und wird spinnejiftig, wenn eener sie ihre standesamtliche Herkunft vorhält. Nu is jedoch jerade dieset Leujnen der jewisse Beweis von die Richtigkeet meener Entdeckunk: denn Leujnen is dich immer verdächtig. So erinnere ik mir aus meener Vaterstadt eenes bezeechnenden Beispiels. Da is nämlich eenes Nachts een blutiger Raubmord jeschehen, und die Polizei hat wie jewöhnlich den Täter nich entdecken können. Nu kommt eenes Tajes der Schutzmann vor den Bürjermeester mit eenen schäbigen Jesellen, un sacht: ›Herr Bürjermeester, hier habe ik endlick den Raubmörder!‹ Der Bürjermeester sieht sich det Individuum an, un det war een Pennbruder, der nich jerade wie een jroßer Verbrecher ausjesehen hat, weshalb er den Polizeidiener jefragt hat: ›Woher wissen Sie denn, det det der Raubmörder is? Hat er jestanden?‹ — ›Nee, nee!‹ sacht der Schutzmann: ›Int Jejenteel: er leujnet, un det is sehr verdächtig!‹ Und jenau so is et mit di Isolde: sie leujnet, det se eene Schäferstochter vom Lande is, un det is sehr verdächtig! Ik habe ja so in Anbejinn von unsere Bekanntschaft ooch den Versuch jemacht, mit sie anzubändeln; alleene sie behandelt mir so hochmütig, det ik et vorziehe, ihr loofen zu lassen. Sie bildet sik nämlichst in, sie is die Allerschönste auf die janze Herrjottswelt, un deswejen wartet sie jewiß uf eenen Prinzen von Jeblüt: da kann nu unsereener nich ankommen, un ik rate dich, laß ihr loofen, wie ik et mache.«
Billinger war vernünftig und selbstbewußt genug, diesen Rat zu befolgen und die stolze Isolde fortan als Luft zu behandeln. Dies brachte sie dann mit der Zeit doch auf andere Gedanken. Namentlich machte sie auch die endlose Reise durch die sandige Einöde späterhin zugänglicher, und sie war dann oft froh, sich mit den biederen Dienern unterhalten und belustigen zu können.
Auch die Zitrone und die Harmonika befreundeten sich rasch; denn Baronesse Hulda, wie sie nicht eitel war, zeigte sich auch nicht so hochmütig, wie ihre Zofe. Adelsstolz kannte sie schon gar nicht, dazu hatte sie viel zu viel gesunde Vernunft. Bei aller Energie war sie doch gutmütig und umgänglich, und schon ihr Verstand sagte ihr in diesem Fall, daß sie und Monika sehr aufeinander angewiesen seien, so daß es auch für sie selber von größtem Vorteil sein müsse, in herzlichem Einvernehmen mit der Gefährtin zu leben. Monika ihrerseits war ja so liebenswürdiger und offenherziger Natur, daß es leicht fiel, ihr Zutrauen und ihre Freundschaft zu gewinnen.
Als am zweiten Tage der Fahrt, nachdem sich alle nach ihren Neigungen eingerichtet hatten, Peter und Franzl plaudernd auf dem Verdeck saßen, fand es der Araber Mohamed, der auf seinen Hadschi-Titel so stolz war, geboten, sich den ungläubigen Sklaven vorzustellen, um ihnen klar zu machen, welch hohe, unverdiente Ehre sie genössen, in Gesellschaft einer solch hervorragenden Persönlichkeit reisen zu dürfen, und ihnen mit seiner hohen Würde die gebührende Ehrfurcht einzuflößen. Er trat daher in selbstbewußter Haltung auf die beiden Diener zu, und sprach, auf Arabisch natürlich:
»Wisset ihr wohl, mit wem Allahs Güte gegen euch Unwürdige euch begnadigt, die Reise nach dem Untergange der Sonne zu machen? Vor euch steht kein Geringerer, als Mohamed et Talib, — Hadschi!«
»Zur Genesung!« rief Franz Billinger alsbald höflich, auf Deutsch.
»Was is dich in die Knochen jefahren?« fragte Peter Grill verwundert: »Der Mann stellt sich uns mit seener werten Persönlichkeet vor, und du rufst: ›Zur Jenesunk!‹«
»Na!« meinte Franz: »Bei uns in Boaern samma fein höflich, und wann oana nießen tut, nachher sogen wir: ›Zur Genesung!‹ oder: ›Zur Gesundheit!‹ Und wann oaner ganz fein gebüldet soan will, hernach sogt er: ›Prosit!‹«
»Aber, Menschenskind! Der Araber hat doch nich jenossen? Is ihn nich eenjefallen.«
»Hast denn du nit g'hört, wie er ›Hatschi!‹ g'macht hot? Is doch deutlich g'nug g'wesen.«
Da brach Peter in ein helles Gelächter aus: er war über ein halbes Jahr lang mit Steinbergs im Orient umher gereist, und sprach schon ziemlich geläufig Arabisch; noch besser verstand er es. So gedachte er, den unwissenden Gefährten zu belehren, indem er ihm vorhielt:
»Nee, so wat! Weeßt du denn nich, det Hadschi een Mokkapiljer is, nämlich eener, der die Hadsch, wie die Muselmänner ihre Piljerfahrt nennen, nach die heiligen Stätten von Mokka jemacht hat?«
Das wußte Franz gar wohl, denn er befand sich noch viel länger in Professor Rommels Diensten in Ägypten, und Sprache und Sitten der Araber waren ihm noch bekannter, als dem neuen Freund. Er entgegnete daher:
»Moanst, dös taat i nit wissen? Is ma aba ganz oans: der Monn hot ›Hatschi‹ g'mocht, und an höflicha Bursch bin i moaner Lebtog g'west, hernach sog i: ›Zur G'sundheit!‹ und dös kann ma koan onständiga Kerl nit vaübeln. Und übahaapt, wann d's moanst, du konnst da Franzl belehren, nachher will i da sogen, dö hoalig Stodt vun dö Mahomedianer hoaßt Mekka und nit Mokka.«
»Nee! Det weeß ik nu bestimmt, det se Mokka heeßt, indem det der berühmte Mokkakaffee aus dieser Stadt kommt, det herrliche Jetränke.«
»Is ollweil nix mit doaner Wissenschaft: Mekka hoaßt's, dös is sicha! Und wann's durten an guten Kaffee gibt, hob i nix dogegen, nachher is dös eben a Mekkakaffee. Wann d's dös nit glaaben tust, alsdann konnst moanetholben selba nach Mekka pilgern und durten an Mekkakaffee saufen: hernach derfst aa ›Hatschi!‹ machen, wann d's di vurschtellst, und i wünsch da, als gebüldeter Boar ›Zur Genesung!‹«
Mit Erstaunen lauschte Mohamed den fremdartigen Lauten dieses deutsch geführten Gesprächs, von dem er natürlich kein Wort verstand. Er glaubte jedoch, nicht recht begriffen worden zu sein, und wiederholte daher mit Nachdruck und Würde:
»Habt ihr's gehört, ihr Ungläubigen? Euch wurde eine Ehre zuteil, deren ihr nicht wert seid; denn vor euch steht Mohamed et Talib, Hadschi!«
»Zur Gesundheit!« rief der höfliche Franzl abermals, diesmal jedoch auf Arabisch.
Der Araber war verblüfft.
»Allah erleuchte das Dunkel deines Verstandes!« rief er aus: »Die Gesundheit ist ein hohes Gut und eine köstliche Gabe des Allmächtigen. Aber ich erfreue mich ihrer und bedarf deines Wunsches nicht. Hat die Dürftigkeit deines Gehirnes nicht verstanden, daß ich mich herabließ, euch zu offenbaren, welchen hohen Vorzug euch die Gnade des Allgütigen gewährte, da sie euch würdigte, in der Gesellschaft eines frommen Mekkapilgers zu reisen, da ihr doch nichts weiter seid, als ungläubige Christenhunde?«
Das ging dem biedern Bayern doch über die Gemütlichkeit, und er grollte, wieder auf Arabisch:
»Bildest du dir ein, meinem Verstand Erleuchtung wünschen zu müssen? So sage ich dir, der Franzl Billinger aus Bayern: Allah und sein sauberer Prophet täten wohl daran, zuvor deinen stockfinstern Gehirnkasten zu erhellen. Weißt du nicht, daß man ›Hatschi!‹ macht, wenn die Dämpfe des abgekühlten Gehirns gewaltsam der Nase entfahren? Das nennt man ›nießen‹. Wir höflichen und gebildeten Söhne Germanistans wünschen Gesundheit jedem, den wir nießen hören, und wenn es ein schmutziger Araber wäre. So habe auch ich getan, und wenn du einen Funken von Anstand besäßest, hättest du dich geziemend bedankt. Aber du grober Flegel und eingebildeter Tropf nennst uns Hunde, während ein anständiger Hund sich schämen würde, dich als seinesgleichen anzuerkennen. Wisse, daß der Franzl Billinger sich deine Beleidigungen nicht gefallen läßt, und wenn du noch ein einziges Mal uns so beschimpfst, so kriegst du von dieser seiner Hand eine Watschen, daß du übers ganze Deck hinweg und über Bord fliegst, wie eine taumelige Fledermaus. Und da wird dir dein Allah und sein Prophet nicht helfen; aber der Scheitan, wie ihr den Teufel nennt, wird lachen und dich bei deinem Fuchsbart in die Dschehennah schleppen, eure Hölle; denn dorthin gehörst du und Deinesgleichen.«
Mohamed stand bei dieser langen donnernden Rede da, wie ein begossener Pudel. Was eine Watschen sei, die ihm der grimmige Bayer androhte, wußte er zwar nicht; Billinger machte jedoch eine so unmißverständliche Bewegung mit seiner kräftigen Hand, daß dem eingeschüchterten Hadschi auch hierüber das Verständnis aufging, und er es vorzog, sich stillschweigend und eiligst zu entfernen, wohl merkend, daß er hier vergeblich zu imponieren suchte.
Lachend rief ihm Franzl noch nach, diesmal wieder auf gut Bayrisch: »Nit wohr, do sponnst, und a Watschen vum Franzl soana Pratzen magst nit riskiern. Aba, ols doan guta Freund, will i di aufmirksam machen auf doan Fuchsbort, doan on'g'strichenen, auf den du Lackel a so stolz bist: vun gestan aus heut is a schun vül schwarza worrn. Is da wohl doan Henna ausgongen, womit an färben tust? Nachher derfst froh san, wann di da Scheitan in dö Dschehennah eini schmeißen tut, denn in da Dschehennah gibt's g'wiß Henna in Hüllen und Füllen, is jo durten olles glühig rot.«
»Den unverschämten Mokkapiljer hast du die Meenung jründlich jesacht!« bemerkte Peter anerkennend, und benutzte dabei die Gelegenheit, zu betonen, daß er auf seiner Ansicht beharrte, daß es Mokka heiße und nicht Mekka. Diese Meinungsverschiedenheit blieb zwischen den beiden Freunden dauernd bestehen, ohne im übrigen ihr Verhältnis zu stören. Nur redete der Preuße fortan bei jeder Gelegenheit mit herausfordernder Betonung von der heiligen Stadt Mokka und den Mokkapilgern, während der Bayer sich dadurch rächte, daß er mit ebensolcher Nachdrücklichkeit den vorzüglichen Mekkakaffee lobte, der zum Frühstück gereicht wurde.
Der Dampfer landete in El-Hamra, dem Hafenort von Siut. Diese Stadt von etwa dreißigtausend Seelen bot mit ihrem üppigen Grün, das sich von den zerklüfteten Felswänden im Hintergrund leuchtend abhob, einen prächtigen Anblick.
Hier wurden die notwendigsten Vorräte eingehandelt, soweit sie sich nicht an Bord befanden, namentlich das Futter für die Kamele zu der fünfzehntägigen Reise nach der Oase Dachel, nämlich fünfzig Zentner Bohnen, die allein fünfzehn Kamellasten bildeten.
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Dann setzte sich die Karawane mit mehr als hundert Kamelen in Bewegung, nach Südwesten zu.
Professor Rommel ritt auf einem Esel, da er den schwankenden Sitz auf dem Kamelrücken fürchtete.
So ging es zwischen Orangen- und Zitronenhainen, Dattelpalmen, Feigen-, Maulbeer- und Granatbäumen, zwischen Gemüsegärten mit Bohnen, Tomaten, Zwiebeln, Pfeffer, Auberginen, Durra-, Gerste- und Mohnfeldern hindurch in die Wüste, wo nur noch vereinzelte Dumpalmen die Öde belebten. Baron Erich von Steinberg ritt hoch zu Kamel neben des Professors Esel einher.
»Wann kommen wir denn in die berühmte Wüste?« fragte er.
»Wieso? Wir sind ja bereits mitten darin!« lautete die Antwort.
»Sie scherzen! Ich meine, die Wüste ist Sand, nichts als Sand, ein endloses Sandmeer. Hier aber sind Felsen, der Boden ist meist steinig, überall wuchern Kräuter und Büsche; das ist doch keine richtige Sandwüste?«
»Na, denn eine Steinwüste! Hören Sie, Herr Baron, die Wüste ist nicht überall gleich; sie hat ihre Berge und Täler, ihre Pflanzen und Gesträuche und trägt oft einen steppenähnlichen Charakter; doch werden Sie bald genug auch die sandige Öde kennen lernen und wahrscheinlich rasch satt bekommen.«
Der Baron wurde von seinem Wüstenschiff tüchtig hin und her geworfen und hatte Mühe, sich im Sattel zu halten. Bald überfiel ihn denn auch die Kamelkrankheit, die der Seekrankheit nichts nachgibt, und er wurde ganz still. Einige Tage hatte er dieses abscheuliche Leiden, und ganz genesen fühlte er sich erst, als die Oase Dachel erreicht wurde.
Obgleich die Reise durch die teilweise noch wenig wüstenartige Wüste erst vierzehn Tage gewährt hatte, war es doch für alle eine unbeschreibliche Freude, als von ferne das fruchtbare Land erschaut wurde, und als man ihm näher und näher kam. Auch die Reit- und Lasttiere schritten munterer aus.
Getreidefelder und grüne Palmengärten grüßten hier die freudig aufatmende Karawane. Stachelige Opuntienhecken oder Feigenkaktus hegten die Gärten ein; Sykomoren und andere Feigenbäume, Tamarinden und Tamarisken, Ssantakazien, Ulmen, Eschen, Kastanien, Korkeichen, andalusische Eichen, Pfefferbäume, Karuben oder Johannisbrotbäume, Ölbäume, Mandeln, Orangen, Zitronen, das heißt wilde, bittere Orangen, Limonen, die wir, wie schon erwähnt, fälschlich als Zitronen zu bezeichnen pflegen, während wir doch ihren mit Zucker und Wasser gemischten Saft ganz richtig Limonade und nicht etwa Zitronade heißen, Granatäpfel, Pfirsiche, Aprikosen, Pistazien, Äpfel, Maulbeeren und andere herrliche Bäume und Sträucher kündeten von der Fruchtbarkeit des gesegneten Landstrichs.
In den Gärten wurde eine Menge Küchengewächse, Heil- und Genußpflanzen gezogen, als da sind: Malven, Kürbisse, Gurken, Wassermelonen, Tabak, Tomaten, Zwiebel, Knoblauch, Rizinus, Bohnen und Saubohnen, Lubiabohnen, Erbsen, Linsen und Gulgasknollen oder Colocasia antiquorum. An den Felsen wucherten Aloe, Wacholder, Oleanderbüsche und andere duftreiche Pflanzen; auch Reben waren in üppiger Fülle zu schauen.
Der Mudir oder Statthalter von Dachel, der Scheich-el-Beled oder Oberbürgermeister, der Hakim oder Obermedizinalrat, einfacher als Doktor und noch besser als Kurpfuscher zu bezeichnen, sowie die andern hohen Beamten des Städtchens kamen in glänzendem Aufzug, meist auf Eseln reitend, der Karawane entgegen.
Nach feierlicher Begrüßung mit wortreichen Reden hin und her, geleiteten sie den Pascha und sein Gefolge in die Stadt und wiesen ihnen ihre Herbergen an.
In dieser prächtigen Oase hielt sich die Reisegesellschaft vierzehn Tage auf, um ihre Ausrüstung zu ergänzen und sich vollends mit Lebensmitteln und anderem Bedarf für die lange Wüstenreise zu versehen. Dies ging nur langsam von statten, da die gesamte Obrigkeit des Orts es für ihre Ehrenpflicht hielt, dem Pascha des Vizekönigs mindestens zwei Besuche täglich abzustatten, was natürlich wieder Gegenbesuche notwendig machte. Nichts geht über arabische Höflichkeit, außer der noch viel umständlicheren chinesischen; aber viel Zeit geht mit solchen Förmlichkeiten verloren.
Selbstverständlich war es das erste, was der Mudir tat, daß er die Geschenke der Gastfreundschaft sandte, nämlich zwei Hammel, Truthähne, Eier, Butter, Honig und einen großen Korb voll schmackhafter Brote. Auch der Scheich-el-Beled ließ sich nicht schlecht finden und schickte Töpfe voll Datteln und andre Lebensmittel, wofür ihm Hussein Pascha Silberdraht und silberne Uhren als Gegengeschenk übersandte.
In Erwiderung eines üppigen Gastmahls, lud der Pascha die Beamten auch zu einem Abendessen ein.
Hatten die Europäer sich bei den arabischen Mahlzeiten dazu bequemen müssen, mit den Fingern zuzulangen, so war es für sie nun eine heimlich erheiternde Genugtuung und ein köstliches Schauspiel, zuzusehen, wie ihre würdigen Gäste sich abmühten, mit Messer und Gabel umzugehen. Wenn sich aber einer unbeobachtet glaubte, fuhr er mit einem raschen Griff in die Schüssel und schob sich eine gute Handvoll in den Mund, denn mit den schwierig zu handhabenden Eßbestecken war es eine gar zu langwierige Arbeit, sich in allzudürftigen Mengen nach und nach so viel Nahrung einzuverleiben, um den Hunger einigermaßen zu stillen.
Der strenggläubige Mudir hütete sich gewissenhaft, den Wein und Kognak zu kosten; er begnügte sich mit Limonade. Anders der Hakim, der Arzt, der den Gastgebern höflich und mit sichtlichem Behagen Bescheid tat, während der Scheich-el-Beled sich um die Vorschriften seiner Religion ganz und gar nicht kümmerte, vielmehr ein Glas um das andere leerte. Der Dattelschnaps, der zuletzt aufgetischt wurde, gab ihm den Rest.
Als nun das Aufblitzen von Magnesiumlichtern und einige Revolverschüsse das Fest beendigten, taumelte das würdige Stadtoberhaupt, lustige Lieder singend, nach Hause, rechts und links gestützt von zwei arabischen Polizeisoldaten, die der vorsorgliche Mann wohlweislich mitgenommen hatte.
Die Beamten aus Kairo, die im Auftrag des Khediven die Karawane begleitet hatten, verabschiedeten sich am nächsten Tage, forderten jedoch ein solch unverschämtes Bakschisch oder Trinkgeld vom Pascha, daß dieser ein Telegramm an den Vizekönig aufsetzte, mit der Anfrage, ob die Herren zu so maßlosen Forderungen berechtigt seien.
Die Antwort konnte nicht zweifelhaft sein und wäre den unverfrorenen Erpressern höchst unangenehm geworden.
Der Telegraphenbeamte erklärte jedoch rundweg, das Telegramm nicht befördern zu können: er wisse nämlich bestimmt, daß den Beamten die Annahme eines Trinkgeldes überhaupt verboten sei, da sie mehr als genügend bezahlt würden. Die Anfrage würde daher dem Khedive ihren Ungehorsam verraten und ihnen eine schwere Bestrafung zuziehen, und zu solch einer Ungerechtigkeit könne er als ehrlicher und gewissenhafter Beamter die Hand nicht bieten, zumal er sich dadurch den Haß der Hereingefallenen zuzöge.
Immerhin konnte Münchhausen nun auf dem Verbot fußen und die Gauner mußten froh sein, daß er erklärte, er werde eine Anzeige an den Beherrscher, seinen Freund, unterlassen und ihnen aus Gnaden ein kleines Bakschisch gewähren.
Baron Steinberg hatte infolge seiner Unkenntnis arabischer Sitten und seiner selbstherrlichen Unvorsichtigkeit ein höchst unangenehmes Erlebnis in der gastlichen Oase.
Er spazierte viel in der Umgegend umher, aus Neugier. Er gab freilich vor, er tue es, um zu botanisieren, doch brachte er niemals eine Pflanze mit heim, die irgend welches wissenschaftliche Interesse hätte beanspruchen dürfen.
Eines Tages betrat sein rücksichtsloser Fuß mit den feinen Lackstiefelchen ein junges Saatfeld von Durragetreide oder Sorghum vulgare.
Da rief ihm ein Araber wütend und drohend zu: »Ziehe deine Schuhe aus! Es ist haram, anders als barfuß durch die Saat zu gehen.«
Des Barons arabische Kenntnisse reichten zwar nicht aus, um zu verstehen, daß haram so viel bedeute, als daß es religiös verboten sei, doch begriff er die Forderung des Mannes wohl und der wütende Ton und die drohende Haltung des Mohammedaners schüchterten ihn derart ein, daß er sich raschestens der Fußbekleidung entledigte und in seinem Schrecken ganz vergaß, daß er sie nach Verlassen des Ackers unbesorgt wieder anlegen durfte. So kam er barfuß zurück, Schuhe und Strümpfe in der Hand, und noch ganz bleich und zitternd vor Angst.
Große Heiterkeit der Genossen begrüßte ihn, als er in diesem Aufzuge erschien, und sie nahm noch zu, als er ganz kleinlaut die Ursache erzählte und schloß: »Das sind ja entsetzliche Fanatiker, diese Eingeborenen! Der Mann sah wahrhaftig so aus, als wolle er mich mit Haut und Haar verschlingen, wegen des Frevels, den ich unschuldigerweise begangen.«
»Oho! Unschuldigerweise?« wies ihn Münchhausen zurecht: »Auch in Deutschland würde Ihre Rücksichtslosigkeit mit Recht als Frevel angesehen werden; da dürften Sie nicht einmal barfuß ein Saatfeld betreten. Das ist ja überhaupt zwecklos und verderbt nur die mühsam gezogene Pflanzung, die uns zur Nahrung dienen soll. Was fiel Ihnen überhaupt ein, in junge Getreidesaat zu stapfen?«
»Konnte ich denn wissen, daß das Getreide war? Ich glaubte hier seltene Pflanzen zu entdecken.«
»O weh!« seufzte Professor Rommel bei diesem naiven Geständnis: »Und das ist nun ausgerechnet der Botaniker unserer Expedition! Ein Glück nur, daß es in der Wüste keine Pflanzen gibt, sonst würden wir mit unserer botanischen Ausbeute vor der ganzen europäischen Wissenschaft unsterblich blamiert!«
Endlich war alles bereit und die Kamele konnten bepackt werden zum Antritt der Reise nach dem Westen.
Die Saharin und die Rhafir, das sind die arabischen Kameltreiber und Wächter, erhoben den lebhaftesten Einspruch dagegen, daß der Pascha die Kamele mit Fellachensätteln versah, an Stelle der höchst unpraktischen, ja, tierquälerischen Sättel arabischer Art, die seit Jahrtausenden unverändert beibehalten werden. Der arabische Sattel wird nur unter dem Schwanz der Tiere festgebunden, und durch eine hölzerne Gabel vor dem Höcker zusammengehalten. Das ist eine sehr zweifelhafte Befestigungsweise, daher es nur zu oft vorkommt, zumal auf schwierigen Wegstrecken, daß die ganze Last nach hinten rutscht oder zur Seite herabfällt, was viel unnützen und ärgerlichen Aufenthalt verursacht.
Der weit zweckmäßigere Sattel der Fellahin dagegen berührt das Tier nur mit seinen vier Polstern und wird mit einem Leibgurt festgeschnallt. Er ist viel leichter, und da er festsitzt, statt hin und her zu rutschen wie sein arabischer Kamerad, reibt er die Tiere nicht wund. Die Araber zeigen aber für diesen vorzüglichen Fellachensattel die hochmütigste Verachtung, weil sie sich so unendlich hoch über die Fellachen erhaben fühlen und daher glauben, auch alles Arabische für ungleich besser und vollkommener halten zu müssen, als irgend etwas, das von den Fellachen stammt. Das gilt ihnen als so zweifellos, daß sie nicht daran denken, zu prüfen, oder auch nur ernstlich darüber nachzudenken, ob nicht doch vielleicht ein fellachisches Erzeugnis seine Vorzüge vor den ihrigen habe.
»Genau so,« bemerkte Münchhausen, als die Rede auf dieses schädliche Vorurteil kam, »verachten bei uns die Sachverständigen in ihrem Hochmut jedes Werk und jeden Vorschlag, die von einem Laien stammen, und lassen nur das gelten, was einer ihrer Zunft ausheckte, wenn es auch tausendmal minderwertiger und unpraktischer ist. Und weil in Deutschland das Urteil der Sachverständigen — leider — in allen Dingen ausschlaggebend ist, wird so mancher wertvolle Fortschritt und so manche hervorragende Erfindung gehindert und unmöglich gemacht, weil das maßgebende Gutachten dieser Alleswisser sie verurteilt. Und wenn ein Laie sich anmaßt, Kranke wirklich zu heilen, denen keine ärztliche Kunst zu helfen vermochte, so wird er von dem Fachmediziner verachtet und verhöhnt, wenn nicht gar als »Kurpfuscher« verschrien und verfolgt. Ja, so geht es sogar hervorragenden Fachmännern, wie Professor Schweninger, sobald sie vernünftigere und erfolgreichere Bahnen betreten, als diejenigen, die von der Wissenschaft zur Zeit als allein wissenschaftlich anerkannt vertreten werden. Hüten wir uns daher, die Araber ihres beschränkten Hochmuts wegen zu verurteilen.«
Unbeschadet dieses milden Urteils kümmerte sich der vernünftige Hussein Pascha wenig um die Einwände blinder Fanatiker, und er tat wohl daran, wie der Erfolg lehrte.
Überhaupt leitete er die ganze Ausrüstung der Karawane mit Umsicht und Geschick und mit jener echten Sachkenntnis, die sich von Vorurteilen und eitlem Sachverständigenwahn frei hält, weil sie selbständig zu denken und zu urteilen weiß, bei vollkommen unparteiischer Prüfung. Ja, er bewies sogar eigenen praktischen Erfindungsgeist, der manche vorteilhafte Neuerung einzuführen wußte, die sich zum Trotz der verknöcherten Weisheit der Fachmänner, die in diesem Falle arabische Kameltreiber waren, glänzend bewährte.
So hatte er auch die seit Jahrtausenden unverändert beibehaltenen Wasserschläuche abgetan, weil sie gar zu leicht austrocknen, namentlich wenn der Samum, der glühende Wüstensturm, sich erhebt. Auch sonst sind sie zu unsicher für die kostbaren Wasservorräte, weil sie rasch undicht werden. Was das heißen will bei einer Wüstenreise, bei der Wassermangel sicheres Verderben bedeutet, vermag nur der zu ermessen, dem bekannt ist, wie viele Tausende von Menschenleben in der sandigen Öde nur dem Umstand zum Opfer fielen, daß ihre Wasserschläuche eintrockneten oder nicht dicht hielten.
Unter dem Sande begraben liegen die gebleichten Knochen ganzer Karawanen, die umkamen, nur weil ihre Vorräte an Trinkwasser vorzeitig zur Neige gingen, tropfenweise sickernd oder unsichtbar verdunstend, infolge der mangelhaften Dichtigkeit der Behälter aus Ziegenfellen.
Das hatte der Kapitän bedacht und überlegt, wie dem abzuhelfen sei. Da kam ihm denn ein guter Gedanke von weitesttragender Bedeutung: er ließ nach eigenen Angaben Aluminiumgefäße herstellen, die sich in ihrer wohlausgedachten Form den Flanken der Kamele bequem anschmiegten. Diese praktischen Behälter wurden an beiden Seiten des Sattels befestigt und hingen derart an den Seiten des Tieres herab, daß es durch sie in keiner Weise belästigt wurde. Schon aus diesem Grunde konnte den Kamelen eine größere Wassermenge aufgeladen werden, als in den Schläuchen, vor allem aber auch deshalb, weil die Aluminiumgefäße wesentlich leichter waren. Ihr Hauptvorzug blieb jedoch der, daß sie keinen Tropfen Wasser versickern oder verdunsten ließen.
Einen langen Zug bildete die Karawane. Voran ritt der Indier Abd ul Hagg, gleichsam als Führer. Er saß auf einer Nagah oder Kamelstute, während der Pascha dicht hinter ihm ein Baër oder männliches Kamel ritt.
Selten nur gebrauchen die Araber den eigentlichen Kamelnamen »Dschemel«. Gewöhnlich wird das Tier nach seinem Alter benannt: ein junges Kamel heißt Lebenihoar, das einjährige El Aschar, das zweijährige Bilbun; mit drei Jahren bekommt es den Namen El Hegg, mit vier El Dschidda, mit fünf Teni, mit sechs Sedassi, und mit sieben endlich wird ihm der Ehrentitel El Hadsch beigelegt, das heißt »Der Pilger«: es ist, als hätte es die Pilgerfahrt nach Mekka zurückgelegt, und dieser letzte Name verbleibt ihm dann bis an sein Lebensende.
Mehrere Kamele werden Bill genannt; doch gibt es noch zahlreiche andere Bezeichnungen, so daß selbst das deutsche Pferd mit seinen vielen verschiedenen Benennungen mit dem Wüstenschiffe in keinen Wettbewerb zu treten vermag.
Der Professor auf seinem Esel ritt meist am Schluß der Karawane, da er sich oft mit allerlei wissenschaftlichen Beobachtungen aufhielt, und jeden Stein, der aus dem Sande ragte, herauswühlte, um festzustellen, daß er keinerlei Inschrift enthielt, die er hätte entziffern können, oder auch nicht. Dieses Stöbern im Sande, das den Arabern völlig unsinnig erschien, trug ihm bei ihnen den Spitznamen »Abu Ramleh«, Papa Sand oder Vater des Sandes, ein. Ramleh klang ja überdies so ziemlich wie Rommel.
Baron Steinberg weilte meist in seiner Nähe, und weil er in den Oasen als Botaniker allerlei wertlose Pflanzen sammelte, die er infolge seiner haarsträubenden Unkenntnis für wissenschaftlich wichtige Seltenheiten hielt, wurde ihm von den Muselmännern der Name »Abu Haschisch«, Vater des Krautes oder Papa Kraut beigelegt.
Franz Billinger ritt gewöhnlich eine Mauleselin, weshalb er auch gemeiniglich »Vater der Mauleselin«, Abu Barlah, benamst wurde, während Peter Grill, ebenfalls nach seinem bevorzugten Reittiere Abu Homrah, »Vater der Eselin«, hieß.
Selbst Hussein Pascha hatte seinen Spitznamen, und zwar war er der Papa Schnupftuch oder Vater des Taschentuchs, »Abu el Futha«, weil er gar häufig sein großes buntes Tuch hervorzog, sich den Schweiß zu wischen, der ihm, als dem dicksten der ganzen Gesellschaft, am reichlichsten von der Stirne perlte.
Die Araber Sidi Hamed Ben Abd er Rahman und Hadschi Mohamed et Talib, ritten meist zu Seiten des Zuges, bald vorn, bald hinten, um ihres Aufseheramtes zu walten.
Am ersten Tage ging es über viele Sanddünen weg nach dem Edmondstoneberg, der aus Sandstein und weißem Kalk mit eingesprengten Korallen besteht. Die Ruinenstadt Istabal bot hernach dem Professor ein weites Feld zum Forschen nach etwaigen wertvollen Altertümern. Doch fand er nichts von Belang, zumal man sich seinen Untersuchungen zuliebe, die keine großartigen Entdeckungen verhießen, nicht aushalten konnte.
Nach Übersteigung des darauffolgenden Passes gelangte man in eine völlig pflanzenlose Öde, die jedoch auf Schritt und Tritt Spuren früherer Anpflanzungen aufwies.
Abends wurde an einer Stelle gelagert, die durch zahlreiche Löcher die Wühlarbeit des Fenek oder Wüstenfuchses erkennen ließ. Man vernahm hier auch in der Ferne das Geheul der Schakale und Wolfshunde, die Professor Rommel, der auch einige Kenntnis der Tierkunde besaß, mit ihrem lateinischen Namen, Canis lupaster, zu bezeichnen wußte.
Kaum hatte er dies getan, so näherten sich diese Raubtiere auch schon mit lautem Gebell dem Lager, als wollten sie sich gleich persönlich vorstellen. Die Schüsse, durch die man sie verscheuchen wollte, hatten nur den Erfolg, daß sie umso wütender kläfften.
Steinberg hatte sich ja, als er sich dem Pascha erstmals vorstellte, auch seiner Jagdkunst gerühmt und sich erboten, als Jäger der Karawane Dienste zu leisten. Professor Rommel wandte sich daher an ihn und sagte:
»Ich meine, Sie sind ein gewaltiger Nimrod? Gehen Sie doch hin und erlegen Sie einige der Bestien, dann werden die andern bald die Flucht ergreifen, und wir sind die lästigen Kläffer los: bei solchem Höllenlärm kämen wir ja sonst ganz um unsere wohlverdiente und hochnötige Nachtruhe.«
»Aber ich bitte Sie! Es ist ja stockfinster!« wandte der Baron ein: »Da sieht man ja gar nicht, wo die Tiere eigentlich stecken, und Löcher in die nächtliche Finsternis zu schießen, hat ja wohl keinen Zweck.«
»Da scheint es auch mit Ihrer Jägerkunst recht windig bestellt zu sein,« lachte Abu Ramleh: »Ein richtiger Jäger muß auch im Dunkeln seine Beute treffen können: überhaupt wird doch die Jagd auf wilde Tiere meist in der Nacht ausgeübt: das Jägerauge muß scharf genug sein, das nächtliche Dunkel zu durchdringen.«
»Dazu reicht denn doch die Schärfe meines Monokels nicht aus.«
»Ja, wenn Sie sich auf Ihr Einglas verlassen wollen,« mischte sich der Pascha in die Verhandlungen, »dann geben Sie nur gleich die Hoffnung auf, bei nächtlicher Jagd einen Erfolg zu erzielen. Aber das Jägerauge, von dem Freund Rommel spricht, stammt nicht aus der Werkstatt des Optikers, sondern ist das vom Schöpfer uns verliehene Sehorgan, geschärft durch die Übung in freier Natur. Nun gebe ich zwar zu, daß bei undurchdringlicher Finsternis, von der übrigens hier keine Rede ist, auch der beste Schütze ein Tier nicht treffen kann, von dem er keine Spur sieht; es tonnte sich höchstens um einen sehr unwahrscheinlichen Zufallstreffer handeln, wenn in die Richtung geschossen wird, aus der man die Stimme vernimmt. Dem richtigen Weidmann jedoch muß es genügen, die Lichter der Tiere leuchten zu sehen, um einen sicheren Schuß abgeben zu können.«
»Das stimmt!« bestätigte Rommel.
»Kunststück!« sagte der Baron: »Das glaube ich wohl: wenn die Tiere Lichter mit sich führen, so daß sie hell beleuchtet sind, so sind sie wohl leicht zu treffen, und ich wollte mich auch anheischig machen, eines oder das andere zu erlegen, wenn es nahe genug ist. Aber Sie sehen selber, diese Wolfshunde oder Schakale schleichen sich ohne jegliche Beleuchtung an.«
Münchhausen und Rommel schüttelten sich vor Lachen, und der Professor rief: »Will dieser Unglücksmensch ein Jagdkundiger sein, und weiß nicht einmal, daß der Jäger die Augen eines Tieres ›Lichter‹ nennt!«
Und Abu el Futha fügte hinzu: »Sie famosester aller Jäger meinten wohl, die Raubtiere nehmen brennende Kerzen oder Stalllaternen mit auf ihre nächtlichen Jagdausflüge, um die Wildnis recht bequem bei heller Beleuchtung nach Beute abzusuchen?«
»Wenn Sie von Lichtern redeten,« erwiderte Steinberg gekränkt, »so mußte ich doch derartiges vermuten, obwohl es mir, offen gestanden, höchst unwahrscheinlich vorkam, und ich im Zweifel war, ob Sie sich nicht einen Scherz mit mir erlauben wollten. Jedenfalls ist es mir neu, daß man für Augen Lichter sagt, und ich begreife auch durchaus nicht, warum? Augen sind doch Augen, und Lichter sind Lichter: wozu da eine unnötige Begriffsverwirrung anrichten, auf die ein harmloser Mensch hereinfallen muß?«
»O Brüderchen!« seufzte die Zitrone: »Du hast dich wieder einmal unsterblich blamiert. Warum mußt du dich auch immer als gewiegter Jäger aufspielen wollen? Der schönste Jagdanzug verhilft dir doch nicht dazu, auch wirklich einer zu sein.«
Die gutmütige Harmonika fühlte sich gedrungen, dem geknickten Abu Haschisch beizuspringen, und erklärte:
»Das kann doch jedermann vorkommen, daß ihm ein bestimmter Fachausdruck unbekannt ist, und das ist noch lange keine Blamage.«
»Ja, gewiß!« beeilte sich der Baron einzustimmen. »Der Ausdruck ›Lichter‹ für Augen war mir unbekannt, und daher allein rührt mein verzeihliches Mißverständnis.«
»Verzeihlich?« rief Münchhausen: »Wer ein Jäger sein will, kann auf solche unmögliche Vorstellungen nicht verfallen, selbst wenn man ihm zugute halten wollte, daß ihm ein jedem Weidmann bekannter Ausdruck fremd ist.«
»Nein, junger Mann,« begann Professor Rommel wieder: »Ich bin zwar nur Altertumsforscher, habe aber immerhin nebenbei auch schon manches Stück Wild erlegt, freilich auch oft genug vorbei getroffen; aber ich glaube, ich kann es als Jäger mit Ihnen noch aufnehmen. Sogar als Botaniker kann ich vielleicht mit Ihnen in Wettbewerb treten, denn ich weiß immerhin einen Getreidehalm von einer Dattelpalme zu unterscheiden, was Ihnen schwer zu fallen scheint. Soviel kann ich Ihnen als angehender Jäger jedenfalls verraten: wenn Sie erwarten, daß die reißenden Tiere bei Kerzenbeleuchtung oder in einem Fackelzuge sich vor die Mündung Ihrer Büchse begeben werden, nur um Ihnen ein bequemes Schießen zu ermöglichen, so befinden Sie sich gewaltig aus dem Holzwege. Ich vermute fast, Sie haben überhaupt noch nie einen Schuß auf ein richtiges Wild abgegeben.«
»O doch!« beteuerte Steinberg.
»Nanu, was war denn das für ein gefährliches Raubtier?«
»Ein Eisvogel,« gestand der Baron etwas zögernd. »Der Raubvogel erschien alle Tage hart vor meinen Fenstern am Flußufer.«
»Bejammernswertes Geschöpf!« klagte der Gelehrte. »Mußte dieser herrliche, harmlose Vogel gerade vor Ihrem Jägerauge den Fischfang betreiben, um von Ihnen für einen gefährlichen Räuber von der Sippe der Geier gehalten zu werden. Und den haben Sie meuchlings erschossen? Schämen Sie sich!«
»O nein!« wehrte sich Steinberg: »Getötet habe ich ihn nicht, aber wohl ein dutzendmal auf ihn geschossen, dann blieb er weg; er hatte gelernt, meine Büchse zu fürchten. Er war der einzige in der ganzen Gegend gewesen.«
»Wohl ihm, daß er sich beizeiten aus dem Bereiche Ihrer schrecklichen Kugeln machte, von denen man nie wissen konnte, wohin sie trafen. Wäre ich dabei gewesen, ich hätte Ihre Jägertaten dichterisch verherrlicht, etwa so:
Eisvögel gibt es nimmermehr, Seit Steinberg kam, der Jäger, her! Durch manchen Schuß, Gott sei's geklagt! Hat er den einzigen — verjagt!
Und das sind also die Meisterschüsse, aus denen Sie das Recht ableiten, sich einen Jäger zu nennen? Seien Sie froh, daß es in der Wüste so wenig Wild wie Pflanzen gibt, denn als Jäger würden Sie uns genau so sehr in Verruf bringen, wie als Pflanzenkundiger.«
»Ich bitte aber doch sehr ...,« verteidigte sich der Held, wußte aber dann nicht, was er eigentlich zur Rettung seines Rufs als Botaniker oder als Jagdkundiger anführen sollte, weshalb er in seiner Verteidigungsrede jämmerlich stecken blieb.
Inzwischen hatten die Araber den unterwegs sorgfältig gesammelten Kamelmist, das einzige Feuerungsmaterial in der Wüste, das durch sein rasches Austrocknen in der Sonnenglut bald in brennbaren Zustand gerät, dazu benutzt, Feuer anzufachen, die denn auch die kläffenden Tiere veranlaßten, das Weite aufzusuchen, so daß man sich ungestört der Nachtruhe hingeben konnte.
Am andern Morgen stand der Kapitän mit dem Professor vor seinem Zelte und beobachtete die Vorbereitungen zum Aufbruch.
Der Baron stand auch in der Nähe; doch achteten die beiden seiner nicht, da sie nach der entgegengesetzten Richtung schauten.
In dieser Richtung stand aber auch das Zelt der Damen, aus dem soeben Baronesse Hulda in ihrem zitronengelben Gewände trat. Sie sah ihren Bruder hinter Münchhausen und Rommel stehen, und kam gemessenen Schrittes daher.
»Aha! Da kommt ja die Zitrone!« rief Abu el Futha.
Sie war noch zu entfernt, um das hören zu können; Steinberg jedoch vernahm den Ausruf zu seiner größten Überraschung. Er trat näher.
»Die Zitrone?« stammelte er ratlos.
Die beiden wandten sich um, und entdeckten jetzt erst seine Anwesenheit.
»Wahrhaftig! Da habe ich mich wieder verplappert!« gestand der Kapitän, sich verlegen hinter den Ohren kratzend. »Aber gestehen Sie selbst: gleicht Ihr Fräulein Schwester in ihrem zitronengelben Kleide nicht auffallend der herrlichen Frucht, die eigentlich Limone heißt, die wir jedoch Zitrone nennen?«
Der Baron war entrüstet: »Hör' einmal!« rief er der herzutretenden Schwester entgegen: »Dieser Kapitän, der Pascha sein will, nimmt sich heraus, dir einen Spottnamen zu geben.«
»So, so?« fragte Hulda lachend und neugierig: »Und wie lautet denn der?«
»Zitrone!« brüllte Erich wütend.
Glaubte er aber mit der Enthüllung dieser niederträchtigen Beleidigung und Verhöhnung niederschmetternd zu wirken und das adlige Fräulein in flammende Empörung zu versetzen, so täuschte er sich: dazu war seine Schwester viel zu vernünftig, auch konnte sie Spaß verstehen und vertragen.
»Zitrone?« wiederholte sie und sah an ihrem Gewand hinunter: »In der Tat, gar nicht übel ausgedrückt, womit ich aber nicht sagen will, daß ich nun auch gleich eine ausgedrückte Zitrone bin; vielmehr bin ich noch voll scharfen Safts. Ich freue mich so über den trefflichen Namen Harmonika, den unser Pascha für Fräulein Rommel aufbrachte, und ziehe sie gar zu gern damit auf, so daß sie zur reinsten Ziehharmonika wird. Sie läßt es sich aber gutmütig und lachend gefallen. Sollte ich mich dümmer zeigen als sie, und einen harmlosen Scherz quer nehmen? Nein, Brüderlein, da täuschst du dich! Vielmehr will ich der lieben Harmonika gleich berichten, daß sie eine Zitrone zur Freundin hat; denn es freut sie gewiß, dadurch in die Lage zu kommen, mir meine kleinen Neckereien zu vergelten.«
»Brava!« rief Rommel: »Fräulein Hulda, als freiwillige Zitrone steigen Sie noch bedeutend in meiner zuvor schon nicht geringen Achtung.«
Es wurde nun aufgebrochen, und der Marsch ging heute durch ein endloses, reich gewelltes, aber sonst eintöniges Sandmeer.
Obgleich die Wüste an Sand und Öde nichts zu wünschen übrig ließ, versetzte sie doch den jungen Baron wieder in maßloses Erstaunen; denn es ging gegen Abend ein heftiger Regen nieder, und dabei war es bitterkalt.
»Hören Sie!« sagte daher Erich von Steinberg zum Professor: »Das nennen Sie nun eine Wüste? Ich meine, da herrscht immer ein wolkenloser Himmel, eine barbarische Hitze, und Regen gibt es überhaupt nicht. Diese sogenannte Libysche Wüste ist wohl gar keine richtige Wüste?«
»Es soll allerdings Strecken geben, in denen es jahrelang nicht regnet,« erwiderte der Vater des Sandes, »im allgemeinen jedoch wird man in der Libyschen Wüste, wie überhaupt in der Sahara nicht selten gründlich eingeweicht, und das ist eine äußerst angenehme Abwechslung.«
»Das nennen Sie nun angenehm? Ich schlottere vor Kälte in meinen nassen Kleidern und empfinde das als eine höchst zweifelhafte Annehmlichkeit. Das ist ja eine furchtbar grimmige Kälte, die hier herrscht, und ich bedaure nur, daß ich meinen Überzieher zu Hause gelassen habe; denn daß in Afrika und vor allem in der Wüste eine beständige Gluthitze brütet, ist doch sozusagen eine allgemein bekannte und unbestrittene Tatsache.«
»Nein! Eine Tatsache ist dies gewiß nicht, sondern eine durchaus irrige Meinung: Sie müssen sich auf einen Frost bis zu mehreren Graden unter Null gefaßt machen, werter Baron. In dieser Jahreszeit sind bewölkte, empfindlich kühle Tage keine Seltenheit; die Nächte sind aber sogar im Sommer ordentlich kalt. Übrigens werden Sie auch unter ganz unerträglicher Hitze und Schwüle auf unserer Reise zu leiden haben: dafür leiste ich Ihnen Gewähr.«
»Das wären ja nette Aussichten!« meinte Abu Haschisch kopfschüttelnd: »Einmal braten, dann gleich darauf wieder erstarren vor Kälte! Nee, ich weiß wirklich nicht, — eine richtige Wüste kann das doch unmöglich sein. Frost und Schwüle kann man ja gerade so gut in einem deutschen Sommer abwechselnd genießen: dazu braucht man doch wahrhaftig nicht erst nach Afrika zu reisen. Ich glaube in der Tat, Sie täuschen sich: wir befinden uns hier in einer völlig anderen Gegend, als Sie vermuten, und die richtige Sahara liegt ganz wo anders. Schade nur, daß ich nicht daran dachte, mir einen Baedeker von der Sahara mitzunehmen! Das ist doch ein zuverlässiges Handbuch und sagt einem deutlich, wo man daran ist.«
Rommel lachte: »Leider hat der treffliche Baedeker noch kein Wüstenreisehandbuch herausgegeben, wegen mangelnden europäischen Vergnügungsreisendenverkehrs in der Sahara. Aber ich kann Sie versichern, daß die Wüste Ihnen nicht den Gefallen tun wird, sich nach Ihren hergebrachten, nichtsdestoweniger irrigen Vorstellungen zu richten, vielmehr werden Sie sich bequemen müssen, Ihre falschen Ansichten und Vorurteile nach der Wirklichkeit zu berichtigen, so unangenehm Ihnen diese erscheinen mag. Und das ist ja schließlich der Zweck einer Forschungsreise und der Vorteil, den man von ihr gewinnt.«
Steinberg schüttelte den Kopf. Seine Ansichten über Sonnenglut und Regenlosigkeit in der Sahara waren doch zu tief eingewurzelt, als daß er sie so rasch hätte aufgeben können; auch waren ihm schon so oft Bären aufgebunden worden, daß er stets mißtrauisch war, wenn ihm etwas eingeredet werden wollte, das ihm unglaublich erschien. So beharrte er vorerst bei seiner Überzeugung, daß dies keine echte und wahrhaftige Wüste sein könne, wo es in Strömen regnete und man vor Frost zitterte.
Auch die übrige Reisegesellschaft litt unter der Kälte, und so wurde frühzeitig das Nachtlager aufgeschlagen. Der unschätzbare Kamelmist diente wieder dazu, Feuer zu entzünden, an denen man sich einigermaßen wärmen und trocknen konnte, ehe man sich dem Schlafe hingab.
Kurz vor Sonnenaufgang kam wieder Leben ins Lager. Noch war es abscheulich kalt; allein der wolkenlose Himmel verhieß, daß ein sonniger heißer Tag bevorstehe, auf den man sich unter diesen Umständen freute.
Bald erhob sich denn auch die Sonne über den östlichen Wüstenrand, mit einer Pracht, wie sie so entzückend nur in der Wüste zu schauen ist: als ein rotgoldener Feuerball stieg sie empor, immer leuchtender, und vergoldete die schwarzen, drohend aussehenden Berge, die sich im Nordwesten erhoben.
Bald ertönte das jämmerliche Gebrüll, das die Kamele jedesmal erheben, wenn sie bepackt werden, und das sie auch abends ertönen lassen, wenn ihnen die Last abgenommen wird; man sollte meinen, es verursache ihnen die fürchterlichsten Schmerzen. Tagsüber, während des Marsches, geben sie meist keinen Laut von sich.
Die Karawane setzte sich wieder in Bewegung und folgte den Wegzeichen, das heißt den Steinhaufen, die an der Karawanenstraße errichtet waren.
Abd ul Hagg behauptete, es sei dies die Straße nach der berühmten Oase Kufra, die erst wenige Europäer gesehen haben. Von einer Straße oder auch nur einem Pfad war natürlich keine Rede. Fußspuren verwischt der wehende Sand meist sofort; doch zeigt eine begangene Karawanenstraße stets Merkmale, die wochen- und monatelang ihren Weg bezeichnen: die Losung der Kamele und allerlei zerbrochene, verlorene oder weggeworfene Gegenstände. Hier aber war auch von solchen Spuren nichts zu sehen; einzig und allein die Steinzeichen bewiesen, daß dies früher eine Karawanenstraße gewesen war.
Sehr beschwerlich gestaltete sich fortan der Marsch; mächtige Sanddünen, ganze Berge von hundert und mehr Meter Höhe bildend, waren zu überwinden, und die Kamele sanken oft bis zu den Knien im losen Sande ein.
Bisher waren hie und da noch bewachsene Landstreifen durchschritten worden, wo die Kamele nach rechts und links abschweiften, um zu weiden. Der Pascha hatte daher angeordnet, daß die Tiere nach Beduinenweise hintereinander angebunden wurden, so daß sie nicht aus der Reihe weichen konnten und keinen Zeitverlust verursachten.
Jetzt erschien diese Maßregel überflüssig, denn von Weide fand sich nirgends eine Spur. Dennoch befahl Münchhausen, die Lasttiere wieder anzureihen, da eines von ihnen entlaufen war und keine Zeit mit dem Wiederaufsuchen solcher Durchbrenner verloren werden durfte.
Die Lage der Karawane wurde von Tag zu Tag bedenklicher. Niemand kannte die Gegend oder wußte zu sagen, wann und wo eine Oase zu finden wäre.
Bisher hatten sich hie und da noch einige Talchbüsche gefunden, die der Professor durch Nachschlagen in seinem botanischen Handbuch als Acacia Seyal zu bezeichnen verstand, da er als deutscher Gelehrter sich nie mit dem unwissenschaftlichen deutschen oder einheimischen Namen zufrieden geben mochte, sondern den lateinischen verkünden mußte. Diese Büsche hatten neben dem Kamelmist noch einigen Brennstoff zum Kochen und zu wärmenden Feuern geliefert. Nun zeigte sich keine Spur mehr solchen spärlichen Pflanzenwuchses.
Das bedenklichste aber war, daß auch die mitgenommenen Wasservorräte bei aller Sparsamkeit rasch zur Neige gingen. Es wird zwar behauptet, daß die Kamele wochenlang aushalten, ohne getränkt zu werden. Unsere Freunde jedoch machten die Erfahrung, daß dies zum mindesten übertrieben sei. Jedenfalls kamen die Tiere nur noch mühsam vorwärts, wenn sie ein paar Tage kein Wasser erhalten hatten.
Allein auch die Futtersäcke leerten sich, und was die Menschen anbelangte, ganz abgesehen von des Professors Esel und der Eselin und Mauleselin der deutschen Diener, die eines täglichen Trunkes bedurften, so drohte allen der schreckliche Tod des Verschmachtens in der Wüste, wenn sich nicht bald ein Brunnen fand.
Der Fakir Abd ul Hagg vertröstete die Verzweifelnden von einem Tag zum andern, die Oase Kufra sei nun ganz nahe; aber sie wollte und wollte eben nicht erscheinen. Auf den vorhandenen Karten war ihre Lage sehr verschieden, aber durchweg falsch angegeben, denn sie fußten lediglich auf den höchst unzuverlässigen Angaben der wenigen Araber, die sie bisher aufgesucht hatten.
Der Indier, dem als Führer die Leitung überlassen wurde, und der behauptete, die zuverlässigsten Aufzeichnungen über diese weltverlorene Gegend zu besitzen, führte die Karawane mit voller Absicht irre, um ihren Untergang herbeizuführen: für sich und seine Mitverschworenen wußte er einen Ausweg, der ihnen ermöglichte, allein dem furchtbaren Geschicke der anderen zu entrinnen.
Das letzte Wasser mußte nun so knapp eingeteilt werden, daß die Kamele schon seit einigen Tagen überhaupt nichts mehr erhielten, die Grautiere kaum einen Becher voll, die Menschen etwa einen Eßlöffel täglich: das war schon der Anfang des Verdurstens.
Die Stegreifgesänge der arabischen Kameltreiber, in denen sie meist die hohen Vorzüge und Taten ihrer Herren besingen, waren längst verstummt; nur »Ramleh kebir!«, »Viel Sand!« hörte man zuweilen seufzen, oder: »Kullu ramleh, kullu hedschar, kullu mortu!« Das heißt: »Alles Sand, alles Steine, alle sterben!«
Vergebens riefen die Ärmsten des Abends ihre gewohnte Frage: »Fen el bir? Wo ist der Brunnen?« Kein Brunnen, kein Quell, keine Regenpfütze zeigte sich fern und nah.
Auch die Allemat hatten aufgehört, die aufgerichteten Steinhaufen, die den Weg bezeichnen.
In steinigem Gelände, zwischen einzelnen Gor oder »Zeugen«, die von einer ausgewaschenen oder verwitterten Kalksteinbildung stehen geblieben waren, wurde gelagert.
Zauberisch goß der Mond sein Licht über die Wüste, und wunderbar funkelten die Sterne am dunklen Nachthimmel. Aber wer mochte sich dieser unvergleichlichen Pracht freuen bei den Sorgen, die alle bedrückten, und bei der Kälte, gegen die sich niemand recht schützen konnte?
Abseits von den anderen hatten sich der Indier Abd ul Hagg und die Araber Hamed Ben Abd er Rahman und Hadschi Mohamed et Talib gelagert.
»Allah el ali el asim! Bei Gott, dem Höchsten, dem Erhabenen!« murmelte der Fakir. »Wie sagt der Koran von den Ungläubigen? Für euch halte ich bereit das Feuer der Hölle, das siedende Wasser, den brennenden Durst und eine Speise, die erwürgt. Euer Halsband sei eine eiserne Kette, eure Speise stinkende Fäulnis, euer Trank glühendes Pech! Eure Haut will ich im Höllenfeuer vernichten, und, so oft sie versengt ist, euch eine neue Haut geben, damit auch sie verbrenne und euere Leiden verdoppelt werden mögen!«
»Wallahi! Bei Gott!« rief Sidi Hamed: »Möge sich dieser Fluch an den Ungläubigen erfüllen! Aber der brennende Durst quält auch uns, und du führst uns mit ihnen ins Verderben!«
»Es geht alles, wie Gott will!« erwiderte der Indier; »doch ich habe sichere Aufzeichnungen über unseren Pfad. Morgen wird unser Lagerplatz nicht fern von einem Brunnen sein. Da laßt uns in der Nacht entweichen; der Pascha findet den Ort nie und muß verschmachten mit allen den Seinigen.«
»Aber,« warf Hadschi Mohamed ein, »sollen alle die Gläubigen seiner Karawane dem Tode verfallen?«
Abd ul Hagg zuckte die Achseln: »Was können wir tun, wenn es Allah so beschlossen hat? Sein Rat ist unerforschlich, und es ist kein Schutz und keine Macht als bei Gott, dem Erhabenen. Will er ihr Leben retten, so wird er es tun; uns aber wird das Paradies zuteil, weil wir die Ungläubigen vernichten.«
»Aber unser Eid?« warnte der zaghafte Hadschi Mohamed.
»Wir legen keine Hand an sie, wie wir es dem Pascha geschworen haben,« beruhigte ihn der Indier. »Wir überlassen sie der Gnade Allahs, des Allmächtigen, der kein Erbarmen haben möge mit ihren Seelen!«
Zu gleicher Zeit befanden sich im Lager drei verschiedene Gruppen noch in lebhafter Unterhaltung und bei allen dreien drehte sich diese um den gleichen Gegenstand. Wer dies etwa für einen merkwürdigen Zufall halten möchte, der hat gewiß noch keinen wirklich quälenden Durst erlitten, sonst wüßte er, daß ein solcher kaum einen anderen Gedanken oder einen anderen Gesprächsgegenstand aufkommen läßt, als eben die Pein, die er verursacht, und die Aussichten und Hoffnungen auf ein Ende der Qualen, oder die verzweifelte Befürchtung, dem Tode des Verschmachtens preisgegeben zu sein. Die erste dieser drei Gruppen bestand aus Fräulein Monika und Baronesse Hulda.
»Du!« sagte die letztere: »Ich habe mich immer mit Absicht in Entbehrungen geübt, einmal, um nicht von leiblichen Bedürfnissen oder gar Genüssen allzusehr abhängig zu werden, sodann, um auch etwas ertragen zu können, wenn wirklicher Mangel mich zum Hungern oder Dürsten zwänge. So habe ich oft einen ganzen Tag, ja auch zwei Tage gefastet, richtig gefastet, ohne einen Bissen zu mir zu nehmen, und habe auch den Versuch gemacht, wie lange ich es aushielte, ohne zu trinken. Ich habe dabei wirkliche Foltern ausgestanden und ziemlich lange ausgehalten. Aber ich sage dir, das ist etwas ganz anderes und viel leichteres, als was ich jetzt zu erdulden habe: bei solchem freiwilligen Fasten und Schmachten hält einen immer der Gedanke aufrecht: ich kann ihm jeden Augenblick ein Ende machen, sobald es anfängt, unerträglich zu werden. Wenn man aber entbehren muß und rein nicht weiß, ob man überhaupt noch aus der Notlage herauskommt, ob der Durst nicht zum Verdursten führt, dann wird einem die Sache wirklich unangenehm, höchst unangenehm!«
»Liebste Zitrone,« erwiderte die Harmonika, »ich kam nie auf einen so erhabenen Gedanken, wie du; bei mir hieß es stets ›Genieße froh, was dir beschieden, entbehre gern, was du nicht hast.‹ Ich kann sagen, daß ich auch letzteres redlich durchführte und in wirklichem Mangel fröhlich und zufrieden blieb. Wenn aber einmal solche Höllenqualen brennenden Durstes einen verzehren, so möchte ich den Menschen sehen, der noch gern den Trunk entbehrte, den er nicht hat. O Zitrone, auspressen möchte ich dich, um deinen Saft zu schlürfen. Aber ich tröste mich damit, daß Abd ul Hagg versichert, morgen würden wir einen Brunnen erreichen; aber ob wir es alle noch so lange aushalten?«
»Und wenn der Kerl schwindelt? Mir gefällt der unheimliche Fakir durchaus nicht und ich muß gestehen, daß ich ganz unmöglich Vertrauen zu ihm fassen kann.«
»Mir geht es nicht anders; aber der Indier befindet sich genau in der gleichen Lage wie wir. Es hat für ihn gar keinen Zweck, uns anzuschwindeln, wenn er nur selber dabei ebenso verschmachten muß, wie alle anderen.«
»Das ist freilich richtig und an diesem vernünftigen und tröstlichen Gedankengang erkenne ich meine kluge Harmonika. Also, wappnen wir uns mit Geduld und Zuversicht und harren wir aus: verloren ist nur, wer sich selbst verloren gibt!«
Die zweite Gruppe bestand, im Gegensatz zu der ersten, nur aus männlichen Personen: Münchhausen, Rommel und Steinberg.
»Kapitän,« sagte der Professor: »Ich habe Sie immer vor diesem Indier gewarnt: merken Sie es endlich? Der Schurke führt uns ins sichere Verderben!«
»Und sich selber auch dazu?« fragte der Pascha ungläubig.
»Möglich! Verzeihen Sie mir, trotz Ihrer langen Anwesenheit im Osten unterschätzen Sie in Ihrer Gutmütigkeit den leidenschaftlichen Haß dieser Mohammedaner gegen alle Ungläubigen und vor allem die Christen. Zweifellos gibt es auch unter den Arabern gutmütige Seelen, aufgeklärte und duldsame Geister, wie etwa den Khediven. Aber der echte Moslem ist imstande, sich selbst und seine Glaubensgenossen dem guten Werke zu opfern, etliche Christen ins Verderben zu führen. Er ist felsenfest überzeugt, daß die hochverdienstliche Tat, einige Ungläubige zu vernichten, ihm die Pforten des Paradieses öffne, und, da er in seinem Fatalismus glaubt, daß er keine Stunde früher oder später sterben wird, als ihm von Allah bestimmt ist, kann ihn der Gedanke nicht abschrecken, daß seine Tat ihn selber das Leben koste. Denn er sagt sich: ist mir bestimmt, noch länger zu leben, so findet der Allmächtige Mittel und Wege, mich auf wunderbare Weise zu retten, ist mir aber bestimmt, jetzt zu sterben, so könnte keine Vorsicht und kein anderer Weg, den ich einschlage, mich diesem Schicksal entreißen: es ist also besser, ich sichere mir das Paradies durch Vernichtung der Ungläubigen, als daß ich sie leben lasse in der eitlen Hoffnung, dadurch meiner Bestimmung entgehen zu können.«
»Nee!« rief Baron Erich entsetzt: »Sie glauben wirklich, die Schurken haben mörderische Absichten?«
»Beruhigen Sie sich!« tröstete ihn Münchhausen: »Unser verehrter Professor sieht Gespenster. Er scheint sich ja recht in die Gedankengänge so eines blindgläubigen Muselmanns hineinleben zu können. Aber da ist doch noch der angeborene Selbsterhaltungstrieb, der bei den Arabern ein starkes Gegengewicht gegen alle diese Überlegungen und Schlußfolgerungen bildet. Ich habe doch auch meine Erfahrungen und kann Ihnen sagen, ein verdurstender Araber sucht genau so eifrig und ängstlich nach Wasser, wie ein verschmachtender Christ, und sagt nicht etwa: wenn Allah bestimmt hat, daß ich nicht verdursten soll, so wird er mir Wasser schaffen, ob ich danach suche oder nicht; hat er mir aber den Tod des Verschmachtens bestimmt, so hilft mir alles Suchen nach einem Brunnen doch nichts, also lasse ich es bleiben. In Worten und Reden heißt es bei ihm immer ›Inschallah!‹ ›Wie Gott will!‹ Handelt es sich aber um Befriedigung seiner Begierden oder gar um Erhaltung seines Lebens, so weiß er meist sehr zweckbewußt zu handeln und ergibt sich durchaus nicht tatenlos in den gepriesenen unabänderlichen Willen Allahs.«
»Was da der Pascha sagt, leuchtet mir ein!« bemerkte Steinberg aufatmend.
»Gewiß haben Sie da richtig beobachtet,« gab Rommel zu. »Im allgemeinen zeigt der Mohammedaner seine untätige Ergebung nur, wo es ihm so paßt oder er wirklich überzeugt ist, nichts ausrichten zu können. Ganz wie bei unserm Volk die faule Redensart beliebt ist: ›Man kann eben nichts machen!‹ Geht es ihm jedoch wider die Schnur und hat er Hoffnung, etwas erreichen zu können, so regt sich auch der Anhänger des Propheten ganz gewaltig. Doch ist da ein großer persönlicher Unterschied; es gibt auch wirklich folgerichtige Fatalisten, die so denken, wie ich vorhin sagte, und dementsprechend handeln. Aber angenommen, Abd ul Hagg gehöre nicht zu den letzteren, so ist noch zu bedenken, daß die indischen Fakire sich jahrelang sorgfältig im Ertragen aller denkbaren Entbehrungen einüben. Sie verstehen es ja sogar, durch immer längeres Zurückhalten des Atmens es soweit zu bringen, daß sie es tage-, ja, wochenlang ohne Luft aushalten, so daß sie sich im Starrkrampf, den sie auf diese Weise künstlich hervorrufen, ruhig begraben lassen können und wieder gesund zum Leben erwachen, wenn man sie wieder ausgräbt. So dürfen Sie überzeugt sein, wenn wir alle nach drei wasserlosen Tagen liegen bleiben, unfähig, einen Schritt weiter zu gehen, so daß wir rettungslos dem Tode des Verdurstens verfallen sind, so wird der Fakir noch mehrere Tage ganz munter bleiben und den Brunnen mühelos erreichen, der ihm zweifellos bekannt ist, den er jedoch uns nicht erreichen lassen will, eben um uns dem schrecklichsten Tode preiszugeben.«
»Aber sein Eid?« wandte Münchhausen ein.
»Ja, ja, der Eid!« rief der Baron lebhaft, und ein neuer Hoffnungsstrahl leuchtete ihm auf, nachdem er ängstlich den Ausführungen des Professors gelauscht hatte: »Dieser furchtbare Eidschwur, der doch auch den Mohammedanern heilig sein wird, gewährt uns wohl völlige Sicherheit!«
Rommel jedoch war so grausam, ihm auch diesen Trost zu rauben oder doch gründlich zu erschüttern, indem er kopfschüttelnd fortfuhr:
»Verlassen Sie sich ja nicht auf solch einen Schwur; diese Fanatiker haben Mittel genug, ihr Gewissen zu beschwichtigen. Entweder sagen sie sich, ein Eid, den man einem Ungläubigen leistete, gilt nicht vor Allah, und ihn zu brechen ist keine Sünde, vielmehr Pflicht und Verdienst, eine Gott wohlgefällige Tat; alle Mittel und Wege sind erlaubt und recht, wenn es gilt, die Ungläubigen auszurotten, wie Allah es haben will und sein Prophet befahl. Oder sie sprechen bei sich: ich habe nur geschworen, diesen Christenhunden keinen Schaden zuzufügen. Lasse ich sie verschmachten, so ist dies eben ihr von Allah bestimmtes Schicksal, gegen das ich nichts machen kann. Ich habe keine Hand an sie gelegt, habe also meinen Schwur gehalten.«
»Das wäre eine Gemeinheit!« erklärte Steinberg entrüstet und wieder voller Besorgnis; der Kapitän jedoch ließ sich nicht irre machen und brachte einen neuen gewichtigen Einwand vor:
»Wollte der Fakir auch wirklich durch solche Spitzfindigkeiten sein Gewissen bezüglich des Eides beschwichtigen, so würde er ja seine sämtlichen Glaubensgenossen in unserer Karawane dem gleichen gräßlichen Schicksal preisgeben, und das ist doch einfach undenkbar.«
»In der Tat! Das ist einfach undenkbar!« wiederholte der Baron triumphierend, da ihm des Paschas Begründung alsbald wieder neue Zuversicht gab. Aber Rommel ließ sich auch durch den letzten Einwurf durchaus nicht überzeugen, sondern entgegnete:
»Kapitän, ich sage Ihnen, solch einem fanatischen Schurken kommt es gar nicht darauf an, auch einige Dutzend seiner Glaubensbrüder zu opfern, um seinen Christenhaß zu befriedigen und sich durch ein so verdienstliches Werk die Seligkeit zu sichern. Die Mohammedaner unserer Karawane müssen allerdings mit uns verschmachten, wenn Abd ul Hagg den Plan ausführt, den er meiner Überzeugung nach hegt. Aber er denkt nur: Ich habe ihnen zum Paradies verholfen; übrigens trifft mich keine Schuld an ihrem Untergang, denn Allah hat ihn so beschlossen, und was Allah in seiner unerforschlichen Weisheit beschloß, kann ich nicht ändern. Wollte er sie retten, so würde er es tun, und wer wollte es hindern? Hat er dagegen bestimmt, daß sie hier verdursten sollen, so wäre es Torheit, wenn ich den vergeblichen Versuch machen wollte, seinen allmächtigen Willen zu durchkreuzen.«
Baron Steinberg wurde wieder ganz kleinlaut, als er alle Einwände des Paschas so einleuchtend widerlegen hörte, und auch dieser schwieg eine Weile betroffen still, und schon hatte es den Anschein, als hätten des Professors Gründe auch ihn überzeugt; dann aber brach seine alte harmlose Zuversicht wieder siegreich durch und er rief lachend:
»Professor, beinahe wäre es Ihnen gelungen, mich anzustecken mit Ihrer Schwarzseherei. Aber, gottlob! ich bin anderer Natur und werde mich hüten, an all die Schlechtigkeit zu glauben, die Sie so scharfsinnig ausgetüftelt haben und uns nun als reinste Wirklichkeit vormalen, ganz nach Professorenart. Sie werden sehen, morgen erreichen wir den vom Fakir verheißenen Brunnen, und alle Not nebst den unnützen Zweifeln und Beängstigungen hat ein Ende. Abwarten gilt! Wer lange lebt, sieht viel, sagt der Araber. Darum wollen wir uns der törichten Selbstquälerei mit gespenstischen Schreckbildern entschlagen und in getroster Zuversicht uns niederlegen und ruhig schlafen. Schließlich lebt unser alter treuer Herrgott noch, der auch ein Wörtlein mitzureden hat, und zwar ein entscheidendes: sollen uns diese Mohammedaner mit ihrem Glauben beschämen?«
Daraufhin getraute sich selbst der Professor keiner weiteren Einrede, und die Drei legten sich zur Ruhe. Münchhausen schlief auch sofort ein, während Rommel durch seine Besorgnisse noch lange wach gehalten wurde. Der Baron aber schwankte zwischen Furcht und Hoffnung: einmal schien ihm der Pascha mit seiner Zuversicht recht zu haben, dann wieder schienen ihm Rommels Gründe doch die überzeugenderen. So kam er vor ängstlichem Grübeln auch erst recht spät zum Einschlafen.
Die dritte Gruppe, die gleichzeitig ihre Ansichten austauschte, unterschied sich wiederum von den beiden anderen dadurch, daß bei ihr sowohl die Männlichkeit, wie die Weiblichkeit vertreten war: sie bestand aus den beiden Dienern, Franz Billinger und Peter Grill, nebst der Zofe Isolde.
Es war das erstemal, daß die unnahbare Kammerjungfer sich herabließ, die Gesellschaft der Bedienten aufzusuchen; aber der Durst hatte sie mürbe gemacht, so daß sie des Trostes und der Aufmunterung oder wenigstens einer Aussprache mit ihresgleichen notwendig bedurfte.
»Haben Sie auch so gräßlichen Durst?« wandte sie sich an Franz Billinger, eine ziemlich überflüssige Frage, da sie sich hätte denken können, daß diese Qualen zur Zeit allgemein seien.
»Dös will i moanen! Noch an viel ärgern wie du!« behauptete der Bayer.
»Ärger als der meine kann er gar nicht sein,« widersprach die Jungfer. »Denn der ist geradezu unausstehlich, und ich liege bereits in den letzten Zügen. Aber ›du‹ dürfen Sie mich nicht nennen: dazu ist der Abstand zwischen uns doch zu groß.«
»Wos foselst du vun an Obstond? Wann d's an Obstond hoben willst, und koan Vastond host, nachher kannst grod wegbleiben, mir brauchen di nit, und hernach is da Obstond g'wohrt.«
»Ach! Ich meine ja nur, daß ich vornehmerer und höherer Herkunft bin, und daher das noblige ›Sie‹ beanspruchen darf.«
»Schwatz koan Blödsinn, Dirn! Moan Vata is a Schlossa g'wesen, a biedera Hondwerksmonn, und hot sö nit vül g'feit, er waar a Kunstschlossa g'west, a so künstliche Schlössa hot a herg'stellt. Und wann da doanig a Schäfa g'wesen is, wie i ma hob b'richten lossen, oda moanetholben a Säuhirt, — do drah i d' Hond nit rum, — nachher is dö Herkunft aus am Pförchkarrn nit nobla, wie dö vun da Essen. Wann d' aba fürnehm tun willst, hernach konnst di zu doana gnädigen Baroneß scheren: da Franzl laaft da nit noch!«
»Nun, seien Sie doch nicht gleich so schweinegrob!« flötete Isolde. »So schlimm habe ich es ja nicht gemeint.«
»Moanen konnst, wos da beliebt, aba schwotzen mußt onständig, wann d' mit mir redst. Und i sog ›du‹ zu dir, und wann da dös nit paßt, nachher loß ma moan königlich boarische Ruh!«
»Det meene ik ooch,« stimmte Grill bei: »Meen Vater war Hausmeester an eener höheren Töchterschule, un eene Höhere Tochter sin Sie noch lange nich.« Er wollte sich doch nicht das »Du« gestatten, da er es für gebildeter hielt, »Sie« zu sagen.
»O!« entgegnete Isolde: »Ich stehe auf einer höheren Bildungsstufe, als manche Höhere Tochter, durch meinen beständigen Umgang mit adligsten Kreisen; doch wenn man verdurstet, legt man nicht mehr so viel Wert auf die äußeren Formalitäten und auf die geistliche Überlegenheit. Wissen Sie nicht, ob wir bald Wasser finden werden? Ich halte es nicht mehr lange aus.«
»Ob ma an Brunnen finden, dös woaß i nit,« sagte Abu Barlah: »Dös aba woaß i: wann ma nit ball oan finden, nachher samma olle kaput und hin.«
»Ach! Zu schrecklich, dieser Gedanke, so jammervoll zugrunde gehn zu müssen in diesen öden Gefilden, bloß weil man kein Wasser hat, was einem doch sonst nur ein gemeines und unfeines Getränke war, das man überall umsonst haben konnte!«
»A Bier waar ma schun lieba: do is's Wossa schun herinnen, so vül, wie oaner saufen mog. Aba in dösen blödsinnigen Gefülden, wie du so schön g'sogt hast, gibt's koane Brauerein nit, und i waar mit an Brunnen schun z'frieden.«
»Nanu,« meinte Abu Homrah: »Wenn wir nich morjen eenen finden, schlachten wir eenfach een paar Kameler un trinken det Wasser aus ihren Majen: ik habe jelesen, det man sik so det Leben retten kann in unsern unanjenehmen Fall.«
»Is jo nix wie Schwündel! Moan Professa hot ma g'sogt, daß dös a Märchen is, und wos in so an Kamöl soan Mogen herinnen is, dös is a so a dreckete Stinkbrühen, daß koan Mensch sö net saufen konn.«
»O weh!« jammerte Isolde nun wieder. »Dann wäre also gar keine Hoffnung mehr, daß wir dem entsetzlichen Geschicke entrinnen? Ach! wenn das meine Mutter wüßte, wie elend ihre zarte Tochter in der unbarmherzigen Wildnis verschmachten muß!«
Hierauf tröstete sie der Preuße mit den schwungvollen Worten: »Es irrt der Mensch, so lang er strebt, sacht, wie ik mich bewußt bin, unser jrößter deutscher Dichter: ik meene sojar, et is Jöthe jewesn, wenn nich jar Schäkspier. Recht hat er uf jeden Fall: denn ooch wir irren in die Wüste umher, so lange wir nach Entdeckungen streben, die nirjens nich zu finden sin. Doch ik möchte ebenso richtik bemerken: ›Es hofft der Mensch, so lang er lebt.‹ Un deswejen wollen ooch wir die Hoffnunk nich ufjeben, Fräulein Isolde, denn die Hoffnunk is eene sejensreiche Himmelstochter, wie der nämliche jroße Dichter sacht, ich meene, in seenen berühmten Trauerspiele von der Emilie Jalotta.«
»Dös moan i aa!« pflichtete der Bayer bei: »Dö Hoffnung wollen ma nit aufgeben, so long as ma 's Leben hamm. Büld da recht lebhaft oan, Üsolde, wie dös schön is, wamma morgen an a Quellen kimmen und saufen können noch Herzenslust, so vül einigeht in unsan oang'schnurrten Mogen. Wann d' der a so vurschtellst, wie d' saufen tust in longe Zügen, nachher kimmst aus doane letzten Züg außi, in deane du jetzt liegen tust, du orms Schneckerl.«
»O! Hören Sie auf! Bringen Sie mir nur jetzt keine so lieblichen Vorstellungsgebilde vor die Seele, sonst empfinde ich den Durst mit doppelter Pein. Übrigens verbitte ich mir, daß Sie mich eine Schnecke heißen, pfui! solch ein ekliges Geschöpf! Und saufen tue ich schon gar nicht, sondern nippen.«
»Red nit doher! Wann doan Durst no duppelt so groß werrn konn, wie a schun is, nachher vadursts no lang nit. Aba wann d's an a Quellen kimmst, alsdann wurst nit nippeln, sundan saufen, wie jeda onständig Mensch. Und dös derfst fein glaaben, a Schneckerl is a saubers Viecherl, grod zum Abbusseln: wann da abba a so a schöns Nomerl nit g'follt, hernach hoaß i di ›Mehlwürmerl‹, is aa an herzigs Säugetiererl, und Mehl host jo eh auf doane Backen pudert, an ganzen Zentna. I leg mi jetz nieda, denn müd bin i, und dös nit schlecht. Und wenn oana schlofen tut, nachher spürt a koan Durst nit, und traamen tut a vun an Brunnen oda gor vun an Moaßerl Hofbräu oda Augustina, — is ma ganz oans, — derf aa an Salvator, Franziskana oda Spoten soan. So a Traamerl is allweil 's best, wos ma uns für d'Nocht wünschen können.«
Die andern spürten ebenfalls die durch das Dürsten gesteigerte Ermattung, und so zog sich auch diese Gruppe zur Nachtruhe zurück.
In der Morgenfrühe, als es ringsum noch dunkel war, erhob sich ein großer Lärm im Lager. Alles schreckte jäh aus dem Schlafe empor und es entstand eine unbeschreibliche Verwirrung.
Flintenschüsse knallten, und die Araber riefen: »Die Beduinen! Wir sind überfallen, wir sind verloren!«
Allerdings wäre bei der allgemeinen Kopflosigkeit die Karawane verloren gewesen, wenn es sich wirklich um einen Angriff von Wüstenräubern gehandelt hätte. Glücklicherweise zeigten sich jedoch keine Feinde, und als bald darauf der Osten sich purpurn färbte und der Himmel sich hellte, klärte sich die Sache auf: des Professors Esel hatte sich losgerissen und war unter die Kamele geraten. Diese waren brüllend aufgesprungen, und einige aus dem Schlafe geschreckte Treiber hatten, in der Meinung, das Lager sei überfallen worden, noch ganz schlaftrunken ihre Büchsen aufs Geratewohl in die nächtliche Wüste hinaus abgefeuert.
»Na! Ich bin begierig,« sagte Münchhausen zum Professor, »wie sich diese Angsthasen im Ernstfall beweisen werden.«
»Es gibt doch wohl keine Räuber in diesen Wüsten?« erkundigte sich der Baron ängstlich.
»O doch!« erklärte Abu Ramleh: »Vor zwei Jahren bin ich selber in der Sahara, südlich der Provinz Oran, von Tuareg überfallen und ausgeplündert worden.«
»Oran? Das ist ja wohl noch weit weg von hier? Tuareg gibt's doch hier herum nicht?«
»Tuareg allerdings nicht, dafür jedoch Beduinen genug, die von der Plünderung der Karawanen leben. Zweifellos werden Sie bald genug die Bekanntschaft dieser Wüstenräuber machen, denn es wäre ein Wunder, wenn eine verhältnismäßig so kleine Schar wie die unsrige nicht von ihnen überfallen würde.«
»Das ist ja geradezu unheimlich!« klagte Abu Haschisch: »Ist es nicht genug, daß uns hier der Tod des Verdurstens droht, müssen wir auch noch auf Mord und Totschlag gefaßt sein?«
Der Pascha suchte den erschreckten jungen Helden zu beruhigen, indem er versicherte: »Seien Sie nur getrost: falls uns solches Raubgesindel angreifen sollte, werden wir schon mit ihm fertig werden. Überhaupt ist es den Beduinen nicht darum zu tun, die hervorragenderen Mitglieder eines Reisezugs, namentlich wenn es Weiße sind, zu töten, sondern sie gefangen zu nehmen, um ein möglichst hohes Lösegeld aus ihnen zu erpressen.«
Dem Baron war jedoch nicht ganz wohl bei dem Gedanken an diese ihm neue Gefahr.
Jetzt erschien Franz Billinger auf der Bildfläche und meldete: »Herr Pascha, do is an batales Kamöl, dös kimmt nimma weita.«
Wie es den Europäern, zumal den fremdwörtergierigen Deutschen, die im Orient reisen, meistens geht, hatten sich Franz und Peter schon angewöhnt, arabische Ausdrücke in ihre Sprache zu mischen. Das »batale« Kamel bedeutet ein krankes, unbrauchbar gewordenes Lasttier.
»So schlachte man es, dann haben wir wenigstens frisches, saftiges Fleisch, wenn wir es auch roh verzehren müssen,« entschied der Vater des Schnupftuchs. »Aufhalten können wir uns nicht wegen des hinfälligen Tieres, und es in der Wüste verenden zu lassen, wäre roh und grausam.«
Als dieser Befehl ausgeführt und das Fleisch zerlegt und verteilt worden war, wurde aufgebrochen.
Es war ein furchtbar schwüler Tag, wie bisher noch keiner gewesen, und schon am frühen Morgen herrschte eine drückende Hitze. Die heiße Luft flimmerte über dem glühenden Boden, der hier eine ganz eigentümliche, dunkle und stahlblaue Farbe aufwies und einem erstarrten Strome geschmolzenen Eisens glich, dessen dunkler Glanz sich von dem Weiß der Dünen wundersam abhob. Der Professor erklärte diese Erscheinung als von dem Schwefelkies herrührend, der hier den Boden bedecke.
Auf einmal erscholl ein Jauchzen in der Karawane; denn ganz unvermittelt bot sich ein überraschendes und wundervolles Schauspiel allen Blicken: da leuchtete in der Ferne ein tiefblauer See, an dessen Ufern, gebettet in einem Wald von Palmen, Orangen- und Zitronenbäumen, eine herrliche Stadt schimmerte mit funkelnden Kuppeln, weißglänzenden Moscheen und ragenden Minaretten.
So deutlich erschien die ganze Pracht, daß selbst erfahrene Wüstenreisende, wie die Araber, sich im ersten Augenblick täuschen ließen, bis sie bald erkannten, daß es eine Fata Morgana, eine Luftspieglung war, die nach kurzer Zeit spurlos zerrinnen würde.
Nur der Baron und die ebenso unkundigen deutschen Diener glaubten an die nahe Wirklichkeit des Geschauten, bis es vor ihren Augen zerfloß und nur das weite Sandmeer in unabsehbarer Öde sich ihren enttäuschten Blicken noch zeigte. Dennoch fühlte die ganze Karawane sich von neuer Hoffnung belebt durch das genossene Schauspiel; denn der See und die Stadt mußten vorhanden sein, wenn auch in weiter Ferne. Die Fata Morgana zaubert ja keine Trugbilder hervor, sondern versteht es nur, weit Entferntes in greifbare Nähe zu rücken.
Die Araber sahen in der herrschenden Schwüle aber ein schlimmes Vorzeichen. Und in der Tat erhob sich plötzlich ein rasender Orkan, der den Sand so hoch und dicht emporwirbelte, daß die ganze Karawane in eine glühende Nebelwolke gehüllt schien, in der die Sonne verschwand.
Der heiße Sand brannte schmerzhaft auf der Haut, und es war unmöglich, die Augen offen zu halten.
Die Feueratmosphäre trocknete die Körper so rasch und gründlich aus, daß der Durst sich zu unerträglicher Qual steigerte; kommt es doch vor, daß bei einem solchen Samum Fußreisende innerhalb eines halben Tages dem Durst erliegen.
Es mußte natürlich sofort angehalten werden, und alle suchten sich hinter den Kamelen zu schützen und mit Decken und Zelttüchern so gut als möglich gegen die Gluthitze des Gebli, wie die Kinder der Wüste den Sandsturm heißen, zu wahren.
Der Sturm tobte den ganzen Tag fort, und erst mit Einbruch der Nacht erlahmte seine Wut. Ein Glück für die Karawane war es, daß er so rasch vorüberging; denn oft währt der Samum mehrere Tage lang, während deren ein Vorwärtskommen unmöglich ist. Wer da nicht reichlich mit Wasser versehen ist oder nicht gerade an einem Brunnen lagert, ist unrettbar verloren.
Der karge Wasserrest, der sich in den Aluminiumbehältern noch befand, konnte nicht länger gespart werden; denn alle waren am Verdursten. Auch die Kamele keuchten und blähten die Nüstern; doch war nicht daran zu denken, sie auch nur mäßig tränken zu können, waren doch die Rationen für die Menschen nur allzu spärlich bemessen.
»Wenn wir morgen kein Wasser finden,« sagte der Pascha, »dann sei Gott uns gnädig: dann sind wir alle verloren!«
Auch die drei heimlichen Verschwörer hatten ihren Trunk abbekommen, wie jeder andere; doch zur Stillung des brennenden Durstes konnte er ihnen so wenig genügen, wie irgend einem der Verschmachtenden.
»Fen el Bir?« fragte Sidi Hamed den Indier: »Wo ist der Brunnen?«
»Erst morgen können wir ihn erreichen,« lautete die Antwort, »da wir heute überhaupt nicht vorwärts kamen. Aber Geduld! Nach Allahs Willen ist uns die Rettung so gewiß, wie allen andern der Tod.«
Da der größte Teil des Tages in unfreiwilliger Ruhe zugebracht worden war, ordnete der Pascha den Aufbruch schon bald nach Mitternacht an, galt es doch heute einen Marsch auf Tod und Leben, und in der Kühle der Nacht war ein rascheres Vorwärtskommen möglich, als in der sengenden Tagesglut.
Zu seinem nicht geringen Schrecken mußte Münchhausen entdecken, daß sein Reitkamel sich während des Sturmes losgerissen hatte und entlaufen war. An ein Suchen war nicht zu denken: man hätte den Tagesanbruch abwarten müssen, und dann doch keinen Anhaltspunkt gehabt, nach welcher Richtung sich der Ausreißer gewendet hatte: von sichtbaren Spuren konnte ja nach solch einem Orkane keine Rede sein, der wehende Sand bedeckte sie augenblicklich.
Ein Aufenthalt wäre jedoch das unfehlbare Verderben der ganzen Gesellschaft gewesen, und so mußte der Kapitän das Tier seinem Schicksal überlassen und sich in den Verlust schicken, der ihm umso peinlicher war, als das Kamel seinen Handkoffer mit fortgeschleppt hatte. Zu spät wollte sich Abu el Futha seine spärlichen Haarüberreste ausraufen, weil er es versäumt hatte, dem treuen Tiere das leichte Kofferchen abzunehmen, denkend, es könne ihm während der Ruhe nicht lästig fallen. Nun waren die sämtlichen, unersetzlichen astronomischen und meteorologischen Instrumente weg, bis auf die Sonnenuhr, die Rommel in Verwahrung genommen hatte.
Zwar führten sowohl der Pascha, wie auch der Professor, jeder einen Kompaß bei sich; allein die furchtbare Hitze des Gebli hatte die Gläser gesprengt, so daß sie unbemerkt herausgefallen und die Nadeln verloren gegangen waren. Dazu waren sämtliche vorhandenen Uhren stehen geblieben und unbrauchbar geworden, da der feine Sandstaub in ihr Räderwerk gedrungen war, wie er durch die Kleider auf die Haut und durch die Umhüllungen der Ballen in die Speisevorräte drang. Alles erschien derart von Sand durchdrungen, als hätte man es absichtlich damit gemischt.
An Zeit- und Ortsbestimmungen war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken: nur die Gestirne und die Sonne konnten im allgemeinen die einzuhaltende Richtung anzeigen. Aber wer wußte überhaupt, in welcher Himmelsgegend die nächste Oase, der nächste Brunnen lag, wenn Abd ul Haggs Karte unzuverlässig war?
Doch da half alles Bedauern und Jammern nichts: man mußte sich mit den Tatsachen abfinden, so schmerzlich und verhängnisvoll sie waren.
So gab denn der Pascha schweren Herzens den Befehl zum Aufbruch.
Rüstig ging es voran bis Sonnenaufgang; dann aber verlangsamte sich bald der Schritt der Reit- und Lasttiere unter dem Einfluß der sich steigernden Hitze; waren sie doch überanstrengt und dem Verschmachten nahe.
Für die Bequemlichkeit der Damen der Gesellschaft war so gut wie möglich gesorgt: sie befanden sich während des Rittes in einem sogenannten »Tachtirwan«, dem Reisezelt der arabischen Frauen. Es ist dies eine Art viereckiger Sänfte, von Zelttüchern überdeckt und umgeben. Der Tachtirwan, der unsere Freundinnen beherbergte, war besonders geräumig und wurde von zwei Kamelen getragen. Der leichte Bretterboden des Zeltes ruhte auf Querstangen, die auf dem Rücken der beiden Lasttiere haltbar befestigt waren, und er war mit weichen Teppichen belegt. Die Mädchen konnten sich hier auf ihren Kissen bequem ausstrecken und schlafen. Daher diente ihnen der Tachtirwan auch beim Lagern als Wohn- und Schlafzelt, wobei er natürlich den Dromedaren abgenommen, auf dem Sandboden aufgerichtet und mit starken Leinen an eingerammten Eisenstangen befestigt wurde.
Während des Rittes waren die Insassen durch die Bedachung und die Seitenwände vor der unmittelbaren Bestrahlung durch die sengende Sonne geschützt, so daß die Gluthitze immerhin erträglich war. Nach Belieben konnten sie die Leinwand vorn oder hinten, rechts oder links zurückschieben und die freie Aussicht genießen, wenn man von einem Genuß reden kann, wo das Auge in abwechslungsloser Eintönigkeit nur flimmernden Sand zu sehen bekommt. Doch sah man wenigstens das bunte, bewegte Bild der Karawane, die Hügel und Täler der Sanddünen und den blauen Himmel. Dazu begehrte der neugierig sehnsüchtige Blick, frei in die unendlichen Fernen schweifen zu können, in der beständigen Hoffnung, einmal eine Abwechslung zu entdecken, ein fernes Gebirge oder grüne Palmenwipfel, die das Vorhandensein des heiß begehrten Wassers verhießen.
Die Mädchen ließen daher ihr Reisezelt stets, wenigstens nach vorn, geöffnet, außer wenn sie sich, von der drückenden Schwüle erschlafft, eine Weile der Ruhe hinzugeben wünschten.
Es läßt sich denken, wie begierig, ja ängstlich, sie heute Ausschau hielten: wann endlich würden sich am Horizonte die sicheren Anzeichen zeigen, daß der vom Fakir so bestimmt verheißene Brunnen nicht mehr ferne sei?
»Es ist ein abscheuliches Gefühl,« bemerkte Baronesse Hulda, »das dieser entsetzliche Sandsturm bei mir hinterlassen hat: es ist mir, als ob nicht nur alle Poren meiner Haut durch seinen Sandstaub verstopft seien, die Augen brennen mich und bei jedem Blinzeln der Lider habe ich das Gefühl, als gingen glühende Sandkörner kratzend über den Augapfel. Meine Nase scheint mir mit Sand angefüllt, der bei jedem Atemzug prickelnd und kitzelnd die Schleimhaut reizt. Mein ganzer Schlund, bis in den Magen hinunter ist rauh und dürr, wie mit einer heißen Sandschicht bedeckt, ja, ich glaube, statt des Blutes rieselt Glutsand durch meine Adern.«
»Mir ist es nicht viel anders,« bestätigte Monika, trotz ihrer Qualen lächelnd: »Es wird viel Wassers bedürfen, um uns äußerlich und vor allem innerlich von den Sandmassen rein zu spülen, mit denen uns der Sturm überschüttet, erfüllt und durchdrungen hat.«
»O wenn ich nur einen Fingerhut voll Wasser haben könnte,« seufzte Isolde. »Gnädigste Baronesse, jetzt erst verstehe ich recht den reichen Mann in der Hölle, der flehte: ›Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, daß er das äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge, denn ich leide Pein in dieser Flamme!‹ Kann es denn wirklich in der Hölle ärger sein als hier in dieser glühenden Wüste?«
In der Morgenfrühe war, in Anbetracht des langen Nachtmarsches, eine kurze Rast gehalten worden. Während dieser Ruhepause erlauschte Peter Grill etwas, das ihm äußerst unheimlich und hochwichtig vorkam.
Er besaß nämlich ein Gehör von so außerordentlicher Schärfe, daß er schon oftmals, ohne lauschen zu wollen, obgleich er auch dies gelegentlich nicht verschmähte, Dinge vernommen hatte, die keinesfalls für seine Ohren bestimmt waren, und die er nur deshalb zu hören bekam, weil die Redenden sich vollkommen versichert hielten, er könne auf solche Entfernung unmöglich ein Wort verstehen.
Dies war auch diesmal der Fall: Abd ul Hagg ruhte mit Hamed und Mohamed etwas abseits und besprach sich mit ihnen mit gedämpfter Stimme. Peter und Franz lagerten ihnen zunächst, doch so entfernt, daß die Araber mit keinem Gedanken daran dachten, sie könnten von ihnen verstanden werden.
Die Diener unterhielten sich miteinander, als der Preuße plötzlich sagte: »Du, Franz, schließe eenmal deene Speisekammer janz luftdicht: ik meene, die drei Halunken dort drüben verhandeln Jeheemnisse, die uns anjehen. Det möchte ik jerne unjestört mit anhören.«
Billinger lachte: »Dös glaab i, daß du deana ihre G'hoamnis derlauschen möchtst, wann s' würklich G'hoamnis mitoanand tuscheln. Aba doana Ohrwoscheln san z'kloan: dö moanigen sans a guts Toal größa, aba koan Wörterl versteh i vun ihr'm G'flüsta. Ma san z'weit weg und sö reden z'loas.«
»Still, still! Ik saje dich, ik besitze een Jehörorjan, det uf eene Meile det Jras wachsen hört. Ik verstehe beinahe jedet Wort von ihren Jelispel!«
Franz schwieg, wenn auch ungläubig, und Peter lauschte, während sich beide den Anschein gaben, emsig beschäftigt zu sein.
Unmöglich konnte der Horcher jedes Wort erfassen, doch erlauschte er immerhin so viel, daß er das Nötige ergänzen konnte.
Die drei Mohamedaner führten inzwischen folgendes Gespräch:
»Wenn sie aber den Brunnen entdecken?« fragte Mohamed et Talib.
»Unmöglich!« erwiderte der Fakir: »Das Tal liegt so zwischen den Felsen verborgen, daß es von außen gar nicht zu sehen ist, und kein grüner Grashalm sein Vorhandensein verrät: erst wer am Eingange selber steht, erschaut die saftigen Weiden, die ihm künden, daß hier ein Brunnen sprudelt. Zur Vorsicht aber werde ich die Karawane warnen, sich den Felsen zu nähern: man nennt sie ja ›Die Geisterburg‹, und ich werde ihnen von den Dschinns und Ghuls erzählen, die dort hausen und jeden Menschen töten, daß kein einziger es wagen wird, dem unheimlichen Gebirge nahe zu kommen. Wir aber schleichen uns im Dunkel mit unsern Kamelen hin, und ziehen dann mit gefüllten Wasserschläuchen weiter nach der Oasa Kufra, während die Christenhunde in der Wüste liegen bleiben und verschmachten.«
»Und so viele Gläubige mit ihnen?« fragte wieder Hamed bedenklich.
Abd ul Hagg zuckte die Achseln: »Wenn es Allah so beschlossen hat, was vermögen wir dawider zu tun? Übrigens, wenn wir hernach die Messingstadt erreichen, ist es nur vorteilhaft für uns, wenn wir uns allein in ihre Schätze teilen können. Darum nimmt auch jeder von uns zwei unbeladene Tiere mit, die seine Beute tragen sollen. Die Kamele tränken wir am geheimen Brunnen: für die anderen haben sie doch keinen Wert mehr, da alle ihre Tiere mit ihnen verdursten müssen.«
»Wenn es aber Allahs Wille ist, daß sie das Tal des Lebens entdecken?« wandte Mohamed hartnäckig ein, und Hamed fügte hinzu:
»Du weißt, die Dschemels wittern Wasser auf große Entfernung: schon oft haben sie hiedurch Wüstenreisende vom Dursttode errettet. Das könnte auch diesmal der Fall sein.«
»Wir nähern uns den Felsen gar nicht so sehr, daß es selbst dem feinnasigsten Dromedar möglich wäre, die Quelle zu wittern. Übrigens hoffe ich, daß wenigstens die Rumihs schon zuvor das Ende finden werden, das sie verdienen: ihr wißt, es gibt in diesen Wüsten verborgene Sandseen, von unermeßlicher Tiefe, die jedes lebende Wesen unfehlbar verschlingen und ersticken, das sich nur einige Schritte weit hineinwagt. Wer die Stelle nicht genau kennt, oder nicht zu merken weiß auf gewisse Anzeichen, die dem Unkundigen verborgen bleiben, ahnt nichts von der schrecklichen Gefahr: der Unwissende rennt ihr rettungslos in die Arme.
»Die Rumihs pflegen ja jetzt immer voranzureiten, da sie so begierig sind, die ersten Anzeichen einer Quelle von ferne zu entdecken. Ich, als der Führer, befinde mich bei ihnen an der Spitze. Sobald wir die verhängnisvolle Stelle erreichen, reite ich ein paar Schritte zurück: das ist für euch das Zeichen. Dann haltet an, und wenn ihr wollt, mögt ihr meinetwegen die andern warnen, doch nur mit leisen Worten. Sicherlich haben inzwischen die Europäer alle den trügerischen Grund beschritten, ohne zu merken, wie heimtückisch er ist. Das Einsinken erfolgt nämlich so langsam, daß es anfangs keinem auffällt, sinken doch die Kamele auch sonst im losen Sande oft etwas ein, manchmal fast bis an die Knie. Bis der Vorderste zu ahnen beginnt, welch entsetzliches Schicksal ihm droht, sind die Nachfolgenden sicher schon so weit vorgedrungen, daß es für sie keine Rettung mehr gibt.«
»Sollen die schönen Mädchen mit versinken?« fragte Hamed mit einigem Bedauern.
»Auch sie sind Christinnen, Töchter von Hunden. Doch ihr könnt sie zurückhalten, wenn sie euch leid tun. Sie reiten ja in der Mitte des Zuges, so daß es überhaupt Schwierigkeiten böte, sie ins Verderben zu locken. Wir werden sie dann als Sklavinnen verkaufen und eine hübsche Summe für sie erlösen: so trifft auch sie das Los, das sie als Ungläubige verdienen.«
Den Anfang dieses Gesprächs hatte Grill nicht belauscht. Er hatte daher nichts vernommen von dem geheimen Brunnen, den der Fakir kannte, und den er allein mit seinen beiden Spießgesellen aufsuchen wollte, um sich von dort aus heimlich aus dem Staube zu machen und die Karawane dem Verderben zu überlassen. Als Peter zu lauschen begann, war schon die Rede von dem mörderischen Sandsee: da hatte er aber so viel verstanden, daß er sich daraus den letzten schurkischen Plan wohl zusammenreimen konnte.
»Nun, wos host derlauscht?« fragte Franz etwas spöttisch; denn, so sehr er seine eigenen großen Ohren angestrengt hatte, war es ihm doch kaum gelungen, einige zusammenhangslose und ihm daher ganz unverständliche Worte aufzuschnappen.
»Jerade jenuch habe ik ausjekundschaftet!« erwiderte Peter zu des Bayern Erstaunen: »Der indische Tropf will uns sämtlik in eenen Sandsee verlocken. Ik weeß nich wat det vor een Jewässer is, aber et muß janz heimtückisch sin, det man et jar nich merkt, bis man darin versinkt un versäuft. Er will mit di Herren un uns voranreiten, un wenn er dann kehrt macht, is et so weit, un een Schritt weiter is unser Verderben. Aber nu wissen wir's, un werden uns wohl hüten. Die Damen wollen sie hernach in die Sklaverei verkoofen.«
»Wann du dös wirklich und wohrhoftig derlauscht host, nachher is dös dö größt Büberei, wo i moaner Lebtog g'hört hob. Allah soll dö Hallodrih in ihr'm vertrackten Sandsee dersaufen lossen! Aba kimm: dös müssa ma unsan Herrn derzählen!«
So ängstlicher Natur Steinberg auch war, so leichtsinnig und unbesonnen konnte er sich Gefahren gegenüber zeigen, die er nicht kannte, oder an die er nicht glaubte. Als ihm sein »Kammerdiener«, wie er ihn mit Vorliebe nannte, von dem schrecklichen Schicksal berichtete, das der Fakir ihnen zugedacht habe, brach er in ein helles Gelächter aus.
»Nee!« rief er aus: »Was faselst du da von einem Sandsee? Habe noch nie von so etwas gehört, und andere vernünftige Menschen auch nicht: entweder es ist Sand, dann versinkt man höchstens bis zu den Knöcheln darin, ist also ungefährlich. Oder es ist ein See, meinethalben ein Sumpf, dann sind wir nicht so töricht, uns hinein zu begeben.«
»Aber der Indier hat versichert, et sehe aus wie eene jewöhnliche Wüstensandfläche, und wenn man det schauerliche Jeheemnis nich kenne, merke man jar nichs von die Jefahr.«
»Ach was! Dieser Fakir und Faxenmacher hat gemerkt, daß du gelauscht hast und hat dir einen ordentlichen Bären aufbinden wollen, um uns in Angst zu jagen: er muß uns für Waisenknaben halten, die auf jeden Schwindel hereinfallen. Auslachen will er uns, wenn wir uns nicht weiter getrauen, wenn es ihm einfällt zurückzureiten, so daß wir denken, nu ist die fatale Stelle gekommen. Aber da ist er an die Unrechten geraten. Wenn ich auch glaube, daß der Kerl uns möglicherweise beiseite schaffen will, an solch kindischen Schwindel glaube ich nun doch nicht!«
Da mochte Peter einwenden, was er wollte, es gelang ihm nicht, seinen Herrn von der Gefahr zu überzeugen, vielmehr begann er selber daran zu zweifeln, daß die Sache so gefährlich sei, wie der Indier glaubte. Denn daß es diesem Ernst war mit dem geplanten Bubenstück, daran konnte er nicht zweifeln, denn er war gewiß, daß Abd ul Hagg keine Ahnung davon haben konnte, daß er seine Reden gehört habe, und seine eigenen Spießgesellen so plump anzuschwindeln, wäre für den Fakir doch völlig sinnlos gewesen.
Mehr Glück hatte Franz beim Professor: Rommel hatte von den heimtückischen Sandseen schon gehört, die zwar nur an ganz wenigen Stellen der unermeßlichen Sahara sich finden sollen, aber nach allen Berichten, die über sie verlauteten, genau die Eigenschaften besitzen mußten, die der Indier dem unsichtbaren Schlund zuschrieb, in den er heute noch die Europäer locken wollte, um sie spurlos darin verschwinden zu lassen.
Während des Aufbruchs versäumte er daher nicht, den Pascha vor dem Anschlag zu warnen; er hatte aber bei diesem genau den gleichen Mißerfolg, wie Grill beim Baron.
Münchhausen lachte in seiner herzlichen Weise, die sonst so ansteckend wirkte, diesmal jedoch den besorgten Gelehrten ernstlich ärgerte.
»Professor, Ihr unbegründeter Verdacht läßt Sie wirklich Gespenster sehen,« erklärte der Kapitän, und keine Vorstellungen vermochten ihn von dieser Meinung abzubringen.
Es sollte aber nicht lange dauern, bis sich die Richtigkeit der Enthüllungen Peter Grills in schauerlicher Weise bestätigte.
Noch stand die Sonne nicht gar hoch, als sich an Stelle des beständigen Wechsels von Dünentälern und Hügeln eine endlose Sandebene vor der Karawane ausbreitete. Nur durch das Fernglas entdeckte man in weiter Ferne wieder Höhenzüge; dem bloßen Auge dagegen erschien es, als dehne sich die wellenlose Ebene bis zum Horizonte aus, nur vom Himmel begrenzt, der sich dort mit der Erde vereinigte.
Steinberg ritt mit Münchhausen und Abd ul Hagg voran, gleich hinter ihnen folgte der Professor mit den beiden Dienern.
Kaum war die letzte Sanddüne überwunden und die Karawane entfaltete sich frei in der Ebene, als der Fakir sein Tier wendete und langsam zurückritt, als wolle er nach etwaigen Nachzüglern sehen.
»Keinen Schritt weiter!« rief Rommel, sobald er dies bemerkte, mit lauter Stimme: »Hier muß die gefährliche Stelle beginnen!«
»Mumpitz!« erwiderte Steinberg lachend, und trieb sein Kamel übermütig zu rascherer Gangart an: »Keine Spur von Sumpf oder See: Sand, trockener Sand, wie überall!« Freilich schien der Sand etwas lose zu sein, und Baron Erichs Dromedar sank schon beim ersten Schritt ein: allein dies war weder auffallend, noch ungewöhnlich.
Der Pascha war im Begriff, Abu Haschisch zu folgen, und auch Franz, der sich geschämt hätte, weniger Beherztheit zu zeigen, als seine Herren, wollte mit seinem fünfjährigen Teni das Wagnis unternehmen: es würde ja wohl nicht gleich so gefährlich werden, und wenn man begann, tiefer einzusinken, wäre es, wie er dachte, immer noch Zeit, zu wenden und zurückzureiten.
Aber ein verzweifelter Ausruf Rommels hielt die beiden im letzten Augenblick noch einmal zurück.
»Um Gotteswillen!« schrie Abu Ramleh: »Halten Sie an! Sie reiten in Ihr Verderben! Sehen Sie denn nicht, wie der unselige Baron bereits zu versinken beginnt? O weh! Sein Tier vermag sich nicht mehr herauszuarbeiten: er ist verloren!«
Nun wurde Münchhausen doch stutzig; er hielt sein Kamel zurück und blickte nach Steinberg, dem die Sache nun auch bedenklich zu werden begann. So schlimm, wie der Professor sie darstellte, schien sie freilich noch nicht; denn es gelang den verzweifelten Anstrengungen des bis an die Knie eingesunkenen Kamels herauszukommen. Es machte einen wilden Sprung, leider nach vorn, und jetzt ging es mit dem Sinken rascher voran: es war, als sei unter der sandigen Decke ein zäher Brei verborgen, aus dem das Reittier seine Beine nicht mehr befreien konnte.
Für den Unkundigen sah übrigens die Sachlage noch gar nicht so gefährlich aus: nun steckte das Kamel zwar schon bis über die Knie im unsichtbaren Morast, doch hätte man glauben sollen, es müsse ihm ein leichtes sein, wieder hoch zu kommen und mit einigen Sätzen den sicheren Boden zu erreichen, auf dem die Karawane hielt, und von dem der kühne Vorreiter nun etwa zwanzig Meter entfernt sein mochte. Das zappelnde Dromedar bot eigentlich einen erheiternden Anblick dar mit seinen krampfhaften Bemühungen, sich emporzuarbeiten.
Bald aber mußte auch dem Harmlosesten die schreckliche Erkenntnis aufdämmern, in welch entsetzlicher Lage sich Steinberg befand: umsonst riß er an den Zügeln, — er bekam das Tier nicht herum. Dazu hätte es zuvor die Beine freibekommen müssen, und jeder Versuch hiezu brachte es nur umso tiefer in den nachgiebigen Untergrund hinein. Zwar bot dieser so viel Widerstand, daß es mit dem Einsinken nur Zoll um Zoll voranging, beinahe unmerklich, aber eben auch unaufhaltsam.
Der Baron sah sich unrettbar verloren. Allein in dem Augenblick, da er die ganze Furchtbarkeit des Geschickes erkannte, das ihm bevorstand, zeigte es sich, daß er im Grunde doch nicht die Memme war, als die ihn seine sonst so übertriebene Ängstlichkeit erscheinen lassen konnte. Freilich wagte er es nicht, den Rücken des Kamels zu verlassen, um den Rückweg zu Fuß zu versuchen; hiezu bestimmte ihn jedoch die vernünftige Überlegung, daß er hier wenigstens noch eine Zeitlang in Sicherheit war. Es würde immerhin noch eine Weile dauern, bis das Dromedar bis zum Bauche versank; dann mußte sich der verderbliche Vorgang naturgemäß bedeutend verlangsamen, einmal, weil es die Beine nicht mehr regen konnte, durch deren verzweifeltes Strampeln das Unheil nur beschleunigt wurde, sodann fand es auf der Oberfläche einen besseren Halt, wenn es einmal mit dem ganzen umfangreichen Unterleibe auf derselben ausruhte. Erst wenn auch der Höcker verschwand, würde es mit dem Reiter hineingehen in die unheimliche Tiefe. Dann war es immer noch Zeit, den letzten, verzweifelten Versuch zu wagen, ob nicht einige Sprünge über die trügerische Fläche, dem rettenden Ufer zu, es ermöglichen würden, den Gefährten so nahe zu kommen, daß sie den Ärmsten erreichen und herausziehen könnten.
Das alles hatte Steinberg überlegt, als er zurückrief: »Da bin ich in eine eklige Klemme geraten! Muß in der Tat ein bodenloser Sumpf unter dieser heuchlerischen Sanddecke sich befinden. Da komme ich wohl kaum wieder heraus: tut aber nichts, wenn ich nur das einzige Opfer des tückischen Anschlags bleibe, der bestimmt war, uns alle zu verderben. Darum bitte ich, daß mir ja keiner folgt, um einen tollkühnen Versuch zu machen, mir beizuspringen: er würde es nur mit dem Leben bezahlen müssen, und mir wäre doch nicht geholfen.«
Die Deutschen waren jedoch selbstverständlich nicht gesonnen, ihren unglücklichen Gefährten im Stiche zu lassen: jeder war bereit, auch mit eigener Lebensgefahr, einen Rettungsversuch zu unternehmen. Wie wäre es ihnen möglich gewesen, untätig zuzusehen, wie der Unvorsichtige elend versinken und ersticken mußte. Doch galt es, wohl zu überlegen, was mit einiger Aussicht auf Erfolg unternommen werden konnte; denn einfach beizuspringen und selber hilflos stecken zu bleiben, wäre Wahnsinn gewesen.
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Monika war die erste, die einen brauchbaren Gedanken hatte, und auch sofort zu seiner Ausführung schritt. Sie war eine vorzügliche Turnerin und hoffte, mit einigen Stabsprüngen das sinkende Kamel erreichen zu können, vorausgesetzt, daß sie nicht unterwegs stecken bleiben würde, was eigentlich das wahrscheinlichste war.
Rasch befahl sie, den Tachtirwan auf den Boden zu setzen, und ergriff zwei der Stangen, auf welchen er ruhte. Zugleich ließ sie sich zwei lange Leinen bringen, deren eines Ende sie an den Sätteln zweier Kamele befestigte, während sie die andern Enden an ihren Schultern festband.
Verwundert sahen alle ihrem rätselhaften Treiben zu. Als jedoch klar wurde, was sie beabsichtigte, erschollen allgemeine Schreckens- und Warnungsrufe.
Das tapfere Mädchen ließ sich aber nicht irre machen: es setzte die Enden der Stangen so weit als möglich in den Sumpf vor und gab sich einen kühnen Schwung, der sie um etwa fünf Meter voran brachte. Behende zog sie die Stäbe an sich, und ehe sie noch merklich eingesunken war, schwebte sie schon wieder in der Luft, im zweiten Sprunge. Diesmal sanken die Stangen so tief ein, daß es die kühne Harmonika Mühe kostete, sie zu sich herzuziehen, und während des dadurch verursachten, wenn auch kurzen Aufenthaltes, versanken auch ihre Füße in bedrohlicher Weise.
Atemlos und mit angstvoll klopfendem Herzen sahen ihre weißen Gefährten dem beklemmenden Schauspiel zu, und auch mancher biedere arabische Kameltreiber rief, teils in der Stille, teils mit lauter Stimme, Allah um Hilfe für das edle Mädchen an. Eigentlich war es nur der herzlose Abd ul Hagg, der ihr das Mißlingen ihres Unternehmens und den Untergang wünschte; denn selbst Hamed und Mohamed konnten sich der Teilnahme für sie nicht erwehren.
Der dritte Satz war gelungen, und der vierte mußte Monika ans Ziel bringen, wenn er ihr glückte.
Das aber schien jetzt ausgeschlossen, denn die Stangen steckten so tief, daß es eine gute Weile dauerte, ehe der jungen Heldin fast übermenschliche Anstrengungen sie wieder losbrachten. Sie war niedergekniet, um langsamer einzusinken; hier aber war der Untergrund schon so dünnflüssig, daß sie gehörig feststeckte, als sie endlich ihre Sprungstäbe wieder bei sich hatte.
Nun folgte ein aufregender Kampf auf Leben und Tod: Monika legte die Stangen lang auf den Boden und suchte sich an ihnen herauszuheben. Sie boten genügenden Halt, da sie nicht versinken konnten: in der Mitte, wo des Mädchens ganze Last sie niederdrückte, bogen sie sich wohl nach unten und verschwanden zum Teil unter dem Sand der Oberfläche; dafür wurden aber ihre Enden nach aufwärts getrieben.
Die Dünnflüssigkeit des geheimnisvollen Morastes, der übrigens keinerlei Feuchtigkeit aufwies, war jedoch nicht derart, daß sie ein leichtes Entkommen ermöglicht hätte: die Bezeichnung als »dünnflüssig« ist überhaupt nur ein Notbehelf, um einen Zustand des Bodens zu versinnlichen, der, ohne wirklich irgendwie flüssig zu sein, doch die Eigenschaften einer breiigen Flüssigkeit aufwies.
Die Harmonika fühlte sich so fest umklammert und gleichsam wie mit tausend Geisterarmen in die Tiefe gezogen, daß sie beinahe an ihrer Rettung verzweifelte. Umso inbrünstiger stiegen ihre Gebete zum Himmel hinauf, nicht ihretwegen, aber um des unglücklichen Mannes willen, dem sie so gerne Rettung gebracht hätte.
Und siehe da! es tat einen Ruck, und allmählich hob sich ihr Körper empor. Sie konnte sich wieder aufrichten und Fuß fassen. Nun setzte sie unverzüglich zum letzten Sprunge an, der sie auch glücklich bis hart an Steinbergs Kamel brachte. Die tief eingesunkenen Stangen mußte sie diesmal im Stiche lassen: sie brauchte sie ja auch nicht mehr. Kniend befestigte sie die Enden ihrer Stricke an den beiden Hinterschenkeln des Dromedars. Sie arbeitete mit fieberhafter Behendigkeit, wohl wissend, wie kostbar jeder Augenblick war. In wenigen Sekunden war sie fertig, noch ehe sie so tief eingesunken war, daß sie sich nicht mehr am Kamel hätte herausziehen können. Sie schwang sich zu Steinberg in den Sattel und sah alsbald, daß sie es nicht nötig hatte, den jubelnden Freunden am Ufer Weisungen zu erteilen: denn schon trieben die Kameltreiber die Tiere, an denen die andern Enden der Leinen befestigt waren, die Sanddüne empor, und andere erfaßten die nun straff gespannten Stricke und halfen aus Leibeskräften ziehen.
Es ging langsam, denn das verunglückte Kamel steckte schon bis zum Bauche fest. Aber so vielen Kräften konnte sein Gewicht und die Zähigkeit des Sandsees keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen: Schritt für Schritt wurde es mit seinen Reitern herangezogen, bis es endlich auf dem festen Boden lag. Freilich waren ihm sämtliche Beine gebrochen, so daß es sofort erschossen werden mußte, um ihm unnötige Qualen zu ersparen, da es in diesem Zustande unmöglich mitgenommen werden konnte. Aber was wollte dieser Verlust besagen gegenüber der Freude, daß zwei schwer bedrohte Menschenleben glücklich gerettet worden waren.
Steinberg erging sich in den wärmsten Dankesbezeigungen gegen seine Lebensretterin, wie es ja selbstverständlich ist. Die andern überhäuften sie mit Glückwünschen und Lobsprüchen über ihren Mut und ihre Aufopferung. Sie hatte nur zu tun, die Flut abzuwehren und auf die göttliche Hilfe hinzuweisen, ohne die das schwierige Wagnis nicht hätte glücken können.
Es versteht sich von selbst, daß Hussein Pascha nunmehr den Fakir ernstlich zur Rede stellte.
Abd ul Hagg beteuerte und beschwor, er habe von dem Vorhandensein des mörderischen Sandsees an dieser Stelle keine Ahnung gehabt. Heute morgen habe er allerdings mit Hamed und Mohamed über derartige heimtückische Plätze in der Sahara geredet, aber nur ganz im allgemeinen, weil die beiden noch nichts davon gewußt hätten und durchaus nicht daran glauben wollten. Peter Grill habe auf die weite Entfernung höchstens einzelne Worte verstehen können, und habe sich daraus selber einen Bericht zusammengereimt, der den Tatsachen durchaus nicht entspreche.
Es fiel dem Schurken nicht schwer, den gutgläubigen Abu el Futha derart zu überzeugen, daß er jeden Verdacht gegen ihn und seine Mitverschworenen fallen ließ und froh war, sie so gerechtfertigt zu sehen, wie er sich einbildete. Bei reiflicher Überlegung hätte er sich freilich sagen müssen, daß die Umstände für die drei Kumpane äußerst belastend waren und daß es doch gar zu schwer sei, zu glauben, es handle sich bloß um ein zufälliges, höchst merkwürdiges Zusammentreffen, wenn die tatsächlichen Ereignisse so auffallend mit dem übereinstimmten, was der Kammerdiener erlauscht haben wollte und der unverfrorene Indier in Abrede stellte.
Des Kapitäns gutmütige Seele war jedoch allezeit so geneigt, das Beste von seinen Mitmenschen vorauszusetzen, daß er weitere Überlegungen gar nicht anstellte, sondern sich mit der vermeintlichen »Aufklärung« zufrieden gab, mit der ihn der tückische Fakir wiederum hinters Licht führte.
Auch Franz Billinger neigte sich vorerst der Ansicht des Paschas zu; doch sollte er bald etwas erleben, das ihm keinen Zweifel mehr an der Gesinnung der drei Verschwörer gestattete.
Was Rommel und Peter Grill anbelangte, so ließen sie sich schon jetzt nicht mehr durch des Fakirs heuchlerische Ausflüchte täuschen und beschlossen, auf der Hut zu sein. Aber schließlich waren nicht sie die Leiter des Unternehmens und konnten daher nicht viel ausrichten. Hussein Paschas Überzeugung war leider maßgebend, und das sollte noch verhängnisvolle Folgen haben, nicht zum wenigsten für den arglosen Kapitän selber.
Erich von Steinberg und seine scharfblickende Schwester Hulda hielten es nach dem heutigen Erlebnis, das so leicht einen tödlichen Ausgang für Abu Haschisch und auch die Harmonika hätte nehmen können, mit dem Professor. Monika Rommel im Gegenteil stand auf Münchhausens Seite, gemäß ihrem harmlos gutmütigen Charakter: so waren die Ansichten geteilt!
Gegen Mittag dieses ereignisreichen Tages gelangte die Karawane in eine Gegend, die mit merkwürdigen Felsbildungen übersät war: da vermeinte man, riesige Kriegsschiffe zu schauen, prächtige Dome, gotische Kirchtürme mit durchbrochenen Mauern, Pyramiden, Sphinxe und vollkommene Würfel. Es war ein Gewirr von schneeweißen »Zeugen«, Kreideblöcken, die im grellen Sonnenschein das Auge blendeten.
Stellenweise wähnte man sich in einem Gipsfigurenkabinett mit menschlichen Figuren, Riesenbüsten, Tiergestalten und dergleichen zu befinden. Dann entdeckte man wieder Moscheen mit schlanken Minaretten, Tore, Triumphbogen und Tafelaufsätze. In der klaren Luft der Wüste erschienen die sonderbaren Gebilde bis zu den höchsten Höhen scharf gezeichnet.
Es war schwierig, sich durch dieses Felslabyrinth zu winden und stets einen Durchgang zu finden, der breit genug war, die bepackten Kamele hindurch zu bringen. Endlich trat die Karawane durch ein großartiges Felsentor wieder hinaus in die Ebene.
Nun aber gebot die Erschöpfung von Menschen und Tieren gebieterisch halt.
Aber was war das für eine märchenhafte Erscheinung, die im Südwesten auftauchte? In einer Entfernung von einigen Stunden erhob sich ein düsteres, schwarzes Felsengebirge mit Festungsmauern und gewaltigen, zinnengekrönten Türmen. Burgen und Schlösser ragten dort anscheinend aneinandergereiht empor und bildeten zusammen eine Felsenstadt von unerhörter Ausdehnung.
Professor Rommel sah mit sehnsüchtigen Blicken nach diesen geheimnisvollen Gebilden hinüber, und trotz seiner Ermattung faßte er den Entschluß, sich dorthin zu begeben. Vielleicht entdeckte er die Ruinen einer alten großartigen Befestigung, die ihm die interessantesten archäologischen Funde verhieß.
Hussein Pascha befand sich in größter Sorge. Weit und breit sah man nichts als die wasserlose Wüste. Menschen und Tiere waren am Ende ihrer Kräfte, auch das Futter für die Kamele war ausgegangen; der kommende Tag mußte unter allen Umständen ein schreckliches Ende herbeiführen.
Er berief den Indier zu sich. »Du weißt, wie es um uns steht,« sagte er. »Ist keine Aussicht auf Rettung?«
»O Herr,« erwiderte Abd ul Hagg, »Licht meiner Augen, wir sind alle verloren, wenn Allah kein Wunder tut. Die Dschinns, die bösen Geister der Wüste, wollen unser Verderben, und Iblis, ihr Oberhaupt, der Vater alles Bösen, hat Gewalt über uns. El Gharrar, der Irreführer, der Dämon, der die Reisenden vom rechten Wege abbringt, hat uns getäuscht.«
»Ich will nichts von deinen Dschinns wissen; ist kein Wasser in der Nähe? Das ist die einzige Frage.«
»Herr, keines! Drei Tagereisen sind es bis zum nächsten Brunnen.«
»Das bedeutet unser aller Tod,« rief Münchhausen. »Aber hast du uns nicht heilig versprochen, daß wir noch heute einen Brunnen erreichen würden? Soll ich wirklich glauben, daß du ein Lügner und Verräter bist, wie viele der anderen es tun?«
»Sidi!« erwiderte der Indier, was soviel wie »Herr« bedeutet. »Bedenke, daß ich mit allen Gläubigen der Karawane euer Schicksal teilen muß; wie könnte ich so wahnsinnig sein, uns alle absichtlich einem entsetzlichen Tode preiszugeben? Ich befinde mich zum ersten Male in dieser schrecklichen Wüste. Wohl besitze ich so genaue Aufzeichnungen über den einzuschlagenden Weg und jeden daran befindlichen Brunnen, daß ich glaubte, nicht fehl gehen zu können. Aber ich erkenne jetzt, daß entweder meine Nachrichten nicht ganz zuverlässig sind oder daß ich es nicht vermochte, in dieser endlosen, gleichförmigen Sandwildnis ihnen so genau zu folgen, wie es unerläßlich ist. Schon daß wir heute morgen auf den schauerlichen Sandsee trafen, war für mich ein Beweis, daß ich leider von der rechten Richtung abgekommen sein mußte; denn er steht nicht auf meiner Karte verzeichnet. Wir sahen uns gezwungen, die gefährliche Stelle zu umgehen, und dadurch kam ich vollends aus der Richtung.«
»Es ist wahr, daß du selber mit allen deinen Kumpanen mit uns verdursten mußt, aber das ist für uns ein schlechter Trost. Ich will zwar glauben, daß du uns nicht absichtlich irre führtest, weil das dein eigenes Verderben bedeutete, aber woher willst du nun wissen, daß drei Tagereisen von hier ein Brunnen zu finden sei, wenn du dich so gründlich verirrt hast?«
»O Pascha, Allah erhalte dein kostbares Leben und das deiner Gefährten, wenn wir Gläubige auch hier den Tod finden müßten nach seinem unabänderlichen Ratschluß! Den Brunnen, den ich heute zu schauen hoffte, haben wir verfehlt; er muß jetzt weit südlich von uns liegen. Nun sind wir in eine Gegend geraten, die außerhalb des Gebietes liegt, das die Karte umfaßt, nach der ich mich bisher gerichtet habe, und so ist es mir unmöglich geworden, seine Lage wieder aufzufinden. Aber siehe, hier habe ich eine zweite Karte, die ebenfalls den Weg nach der Messingstadt weist, allerdings einen etwas weiteren, weshalb ich vorzog, der ersten zu folgen. Betrachte diese Karte genau: ich habe auf ihr die Stelle entdeckt, an der wir uns jetzt befinden; da siehst du die Felsenberge dort drüben deutlich eingetragen, sie sind die Burg der Geister, der sich kein Mensch nahen darf, weil er ein schreckliches Ende dort fände. Und nun siehe hier her: drei Tagereisen von diesem Gebirge findest du die Oase Kufra eingetragen, bis dorthin aber keinen einzigen Brunnen. Daher kommt meine Kenntnis, die ich dir vorhin mitteilte.«
Abu el Futha, der Vater des Schnupftuchs, wischte sich den perlenden Schweiß von der Stirne und studierte aufmerksam das Pergament, das Abd ul Hagg ihm vorhielt. Es war ein Kartenausschnitt in grober Zeichnung, aber doch sorgfältig ausgeführt und den Eindruck der Zuverlässigkeit machend. Auch die Lage der Messingstadt war genau darauf angegeben.
Münchhausen berechnete im stillen den bisher zurückgelegten Weg an Hand dieser Kartenskizze und fand, daß allerdings das auf derselben als »Geisterburg« bezeichnete Gebirge den Felsbergen entsprechen mußte, die hier in der Ferne zu sehen waren. Danach hatte der Fakir recht: die Oase Kufra war von hier noch stark zwei Tagereisen entfernt, und bis dorthin gab es weit und breit kein Wasser; wenigstens war kein Brunnen auf der Karte vermerkt, also auch keine Aussicht, einen solchen zu finden. Daß eine Stelle auf der Karte, gerade mitten in der Geisterburg, Spuren sorgfältig verwischter Radierung aufwies, entging dem arglosen Auge des Pascha.
»Nach dieser Karte wäre allerdings kein Zweifel mehr, daß wir dem Untergange verfallen sind. Hätten wir die Gewißheit, morgen an einen Brunnen zu gelangen, so möchte ich hoffen, daß diese Aussicht die Kräfte unserer Leute nochmals so aufrütteln würde, daß wenigstens einige von ihnen den rettenden Quell erreichen könnten. Aber über zwei Tage weiterwandern in dieser Verfassung, das ist völlig ausgeschlossen, sowohl für uns wie für die Tiere.«
»Allah ist groß! Er allein kann Wunder tun; vielleicht tut er auch an uns ein Wunder, um uns zu retten; denn sonst sind wir verloren!« sagte der heilige Mann in frommer Ergebung.
Jetzt trat Professor Rommel hinzu: »Kapitän,« sagte er, »es läßt mir keine Ruhe; ich muß noch einen Ausflug nach den Felsenbergen dort drüben unternehmen, die so geheimnisvoll herüberdrohen. Mir ist, als müßten sie irgend ein Geheimnis bergen, und als könnte ich dort wertvolle Altertumsfunde machen. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich in solcher Nähe daran vorübergezogen wäre, ohne wenigstens einen Versuch zu machen, sie zu erforschen.«
»Hm!« machte Münchhausen, indem er einen Blick nach dem Gebirge hinüber warf. »In schwach zwei Stunden mögen die Felsen zu erreichen sein, ohne daß man sich überanstrengt. Zeit dazu haben Sie, denn heute können wir unmöglich weiter, und morgen werden wir auch keine großen Sprünge mehr machen; unser Schicksal scheint besiegelt, nach dem, was ich jetzt weiß. Interessant dürften die Felsen auch sein, denn die Araber haben ihnen den unheimlichen Namen ›Geisterburg‹ gegeben und scheuen sich, wie der Fakir mir sagte, sich ihnen zu nähern. Jedenfalls soll es dort spuken. Mich selbst könnte das reizen, ihnen einen Erkundungsbesuch abzustatten, allein der rasende Durst hat mich bereits derart entkräftet, daß ich sie unmöglich erreichen könnte. Und aus diesem Grunde rate ich auch Ihnen dringend ab, Ihrer Neugier Folge zu leisten; denn Ihre Kräfte können unmöglich dazu ausreichen, den Weg hin und zurück zu bewältigen und gar noch in den Felsen herumzuforschen, in denen Sie überdies die Nacht überraschen würde. Sie bleiben erschöpft und hilflos irgendwo liegen. Das steht uns freilich allen bevor, aber derart unangenehme Ereignisse soll man sich stets hüten, unnötigerweise zu beschleunigen.«
Abd ul Hagg hatte zwar dieses deutsch geführte Gespräch nicht verstehen können, aber er sah, wie der Professor auf die Berge deutete, wie der Pascha seine Blicke dorthin wandte, und ihm offenbar ohne Erfolg abmahnte, kurz, des Indiers Scharfsinn erriet Rommels Absicht, sich nach der Geisterburg zu begeben. Eine ganz auffallende Aufregung bemächtigte sich seiner bei dieser Erkenntnis, und er schien die größte Sorge für den deutschen Gelehrten zu empfinden.
»Abu Ramleh!« rief er mit einer Heftigkeit, die in seltsamem Gegensatz zu seiner gewöhnlichen gemessenen Würde stand: »Ich weiß es wohl, die Europäer sammeln ganze Kamelladungen von Steinen, Unkraut, Mäusen und Eidechsen, lauter Dinge, die völlig wertlos sind, aber an denen sie eine kindische Freude haben. Wir lassen sie machen und lächeln im stillen: es handelt eben ein jeder nach dem Maß von Verstand und Einsicht, das ihm der Schöpfer verliehen hat. Vergebens aber würdest du dort drüben nach solchen Dingen suchen. Der Ort ist verflucht, und wer dorthin geht, kehrt nie wieder zurück: ein gräßliches Ende ist ihm in jenen Bergen gewiß, und seine Seele wird von Allah verdammt, ohne Gnade und Barmherzigkeit. Wisse, dieses unheimliche Gebirge ist die verrufene Geisterburg, die Behausung der Scheitane und Marids, der mächtigsten und schlimmsten aller Dschinns, und am Fuße der Burg treiben die abscheulichen Ghuls ihr mörderisches Wesen, die Vampyre, die den Menschen das Blut aussaugen und Leichenfleisch verzehren.«
Abd ul Hagg täuschte sich gewaltig, wenn er vermeinte, durch diese grauenhafte Schilderung dem deutschen Professor einen heilsamen Schrecken einzujagen und ihn bestimmen zu können, von seinem kühnen Vorhaben abzustehen.
Er lächelte nur, dieser Ungläubige, ja, er lächelte, wo jedem anderen die Haare zu Berge stehen mußten!
»Die armen Ghuls sind ja übel daran,« sagte er spöttisch, »wenn sie sich von Menschenfleisch nähren und an menschlichem Blute ihren Durst stillen, und sich doch niemals ein Menschenkind in ihre Nähe wagt: sie müssen gewiß schon längst verhungert und verdurstet sein!«
Der Fakir war sprachlos über solche Kaltblütigkeit oder Gleichgültigkeit den entsetzlichsten Schrecken orientalischer Phantasie gegenüber. Rommel aber unternahm alsbald den geplanten Ausflug und zwar zu Fuß, da er seinem entkräfteten Esel nicht zumuten konnte, seine Last zu tragen.
Freilich ging es langsam voran, und volle drei Stunden brauchte Abu Ramleh, um die zehn Kilometer bis zum Fuße des Gebirges zurückzulegen. Er erkannte bald, daß es sich um keine menschlichen Bauwerke handelte, sondern um seltsame Felsgebilde, die zum Teil auch noch in der Nähe zinnengekrönte Burgen, Mauern und Türme vortäuschen konnten.
Dennoch erklomm er die schroffen Wände und kletterte in den interessanten Gesteinen umher, bis die sinkende Sonne ihn zur Rückkehr mahnte.
Nun aber merkte er, daß er die Richtung verloren hatte: er fand sich verirrt, und es dunkelte schon. Zugleich überfiel ihn eine völlige Erschöpfung: er hatte sich zu viel zugemutet, als halb verdursteter Mann, und nur der wissenschaftliche Eifer hatte ihn so lange die leibliche Schwäche überwinden lassen. Er suchte daher nur noch den nächsten Abstieg, um aus den Felsen herauszukommen, ehe die völlige Dunkelheit das halsbrecherische Unternehmen unmöglich machte: vielleicht konnte er dann nach einiger Ruhe zum Lager zurückkehren.
Mit knapper Not gelang es ihm, herabzugelangen; doch wußte er durchaus nicht, auf welcher Seite des Höhenzuges er sich nun befand, also auch nicht, in welcher Richtung er das Lager zu suchen hatte. Dies war freilich belanglos, denn die Qualen des eine Weile fast vergessenen Durstes machten sich jetzt in so gesteigertem Maße bemerkbar, daß er vollständig entkräftet zu Boden sank.
Als der Professor bei Einbruch der Nacht noch nicht zurückgekehrt war, machte sich Franz Billinger, sein treuer Diener, daran, ihn aufzusuchen.
Der Vollmond glänzte jetzt über die Wüste, und das Gebirge war vom Lager aus sichtbar.
Als Franz am Fuße der »Geisterburg« angelangt war, beschloß er, zunächst an den Felsen entlang zu gehen, bis er eine Stelle fände, wo sich ein Aufstieg ermöglichen ließe. Denn im Mondlicht erschienen hier die Wände so jäh abfallend, daß sie den Eindruck der Unersteiglichkeit machten: jedenfalls wäre bei der ungewissen Beleuchtung ein Versuch, sie zu erklettern, lebensgefährlich gewesen.
Der Ort erschien dem guten Abu Barlah überhaupt gar nicht geheuer, und wäre er dabei gewesen, wie Abd ul Hagg von den Teufeln, Geistern und Gespenstern redete, die hier ihr Unwesen treiben sollten, gewiß wäre ihm schwül zumute geworden; denn wirklich gespenstisch nahm sich die unheimliche Geisterburg in der Mitternachtsstunde aus.
Der Bayer war ja gewiß kein Hasenfuß, das hatte er schon des öfteren bewiesen und sollte noch manche Gelegenheit finden, es zu zeigen; aber, wer von Aberglauben nicht frei ist, muß ein Gruseln spüren, wenn er glaubt, in den Machtbereich böser Geister und höllischer Mächte geraten zu sein, gegen die das stärkste und tapferste Menschenkind nicht aufzukommen vermag.
Indessen wanderte Billinger rüstig voran. Plötzlich jedoch hielt er den Schritt an: er glaubte, zu träumen!
Bei einer Biegung um die Felsen war er in einen Taleinschnitt gelangt, aus dem ihm üppiges, saftiges Gras entgegenlachte, die herrlichste Kamelweide! Dort, weiter taleinwärts, stand sogar dichtes Buschwerk, überragt von zierlichen Palmwipfeln!
Franz hätte aufjubeln mögen: was war das für eine überraschende und unschätzbare Entdeckung! Das bedeutete ja nichts weniger, als die Errettung der ganzen Karawane aus der drohenden Todesnot! Dort lagen sie verschmachtend und verzweifelnd in der trostlosen Wüste und ahnten nicht, welch herrliche Oase sich hier in ihrer nächsten Nähe befand!
Ja, morgen wären sie mühsam weitergezogen durch die schreckliche Sandöde, und bald hätten ihnen die Kräfte versagt, den Menschen und den Tieren. Dann wären sie hilflos liegen geblieben, dem unabwendbaren Tode des Verdurstens verfallen. Und wenn je einmal wieder Menschen dieses Weges zogen, hätten gebleichte Gerippe und zerstreute Gebeine ihnen Kunde davon gegeben, welch gräßliches Schicksal einst hier so viele ihrer Mitmenschen dahinraffte.
Vielleicht auch würde ein Wüstensturm die Leichen in Sandmassen begraben und jede Spur der Karawane verwischen, die in dieser Abgelegenheit verschmachtete, bis späterhin wieder ein Sturm daherbrauste und die Gebeine bloßlegte. Und diesem jammervollen Geschick wäre die Karawane nur verfallen, weil sie nicht wußte, wie nahe ihr der rettende Quell war!
Solche Gedanken jagten Franz durch den Kopf beim Anblick des frischen Grüns, das so zweifellos die Nähe des Wassers verriet. Und welch köstliche frische Luft, gesättigt mit erquickender Feuchtigkeit, wehte dem Schmachtenden aus diesem paradiesischen Talgrund entgegen! Wahrhaftig, er fühlte schon die Qualen seines brennenden Durstes gelindert!
Wer in einer solchen unvermuteten, durch einige scheinbar zufällig zusammentreffende Umstände herbeigeführten Entdeckung im Augenblicke höchster Not und Gefahr nichts anderes erblickt hätte als einen blinden Zufall, für dessen geistigen Tiefstand hätte der gescheite Bayer nur ein mitleidiges Kopfschütteln haben können. Er selber erkannte es klar, daß es sich hier um Hilfe von oben handelte, um eine Fügung des allwissenden und barmherzigen Gottes, der die Geschicke der Menschen lenkt, auch derer, die wie das unvernünftige Vieh ihn nicht erkennen, oder in kindischem Trotz und bemitleidenswerter Torheit ihn leugnen, im Wahne, sie könnten sich selber und andern weismachen, sie glaubten an keinen vernünftigen Schöpfer der Welt.
Es läßt sich denken, welches Glück Billingers Herz durchflutete, kündete ihm doch das frische Grün, daß er im nächsten Augenblick seine rasende Gier nach einem belebenden, kühlenden Trunke stillen könne. Mehr noch als diese herrliche Aussicht beglückte ihn der Gedanke, welchen Jubel die unverhoffte Kunde, die er bringen würde, bei den verzweifelnden Gefährten, Deutschen wie Arabern, erregen werde.
Schon wollte er seinen Gefühlen freien Lauf lassen und einen hellen Jauchzer hinaussenden in die monddurchflimmerte Nachtluft, als er plötzlich den Ton in der Kehle zurückhielt, noch ehe er hatte laut werden können. Was sollte denn das bedeuten? Deutlich klangen Stimmen an sein Ohr, und sie kamen aus dem nahen Gebüsch: sollte er dort seinen vermißten Herrn finden? Aber mit wem unterhielt er sich dann?
Das Gespräch, von dem der Diener vorerst nur wenige Worte verstehen konnte, da die Entfernung zu groß war und das dichte Buschwerk die Stimmen dämpfte, wurde auf Arabisch geführt, und das erschien dem klugen Franzl verdächtig.
Wie? Wenn der Professor von räuberischen Beduinen überfallen und ausgeplündert, vielleicht gar totgeschlagen worden wäre?
Da galt es, vorsichtig zu sein, scharf aufzupassen und sich zunächst verborgen zu halten, bis die Sache geklärt war.
Es war freilich eine fast übermenschliche Zumutung für einen Verdurstenden, der einen Quell in nächster Nähe wußte, nicht alle andern Rücksichten beiseite zu schieben und sich nur auf den Lebenstrank zu stürzen. Allein Billinger bedachte, daß ihn eine Übereilung das Leben kosten und vor allem die Rettung seines Herrn unmöglich machen könnte, wenn sich dieser in Gefahr befinden sollte, vielleicht in Gefangenschaft. Die Quelle würde ja nicht davonlaufen; es galt nur, sich noch eine Weile zu gedulden und in der Selbstbeherrschung zu üben.
So schlich sich Billinger vorsichtig und unhörbar bis zum Gebüsch, durch dessen Lücken er, am Boden liegend, bequem blicken konnte, während er für die auf der andern Seite befindlichen Personen völlig unsichtbar blieb, zumal er im Schatten der Hecke lag, der Platz aber, auf den er hinausspähte, vom hellsten Vollmondlicht überflutet war.
Was Franz hier zunächst erschaute, war das Entzückendste, was sich einem Dürstenden darbieten kann: eine klare, munter plätschernde Quelle, sauber in Stein gefaßt und von hohem Mauerwerk überwölbt, zum Schutze gegen den Flugsand der Wüste.
Am Rande des Brunnens lagerten drei Männer, die der Lauscher sofort erkannte: es waren Abd ul Hagg, der indische Fakir, und die beiden Araber Hamed und Mohamed.
Das waren ja alte Bekannte, und Billinger fühlte sich bei ihrem Anblick ganz beruhigt. Er erklärte sich auch in Gedanken sofort ihre Anwesenheit. Gewiß hatten auch sie eine Entdeckungsreise unternommen, wahrscheinlich um zu untersuchen, ob das Gebirge keinen Wasserlauf enthalte. Oder hatten sie sich auch um das Ausbleiben des Professors gesorgt und waren ausgezogen, um nach ihm zu suchen. Dabei hatten sie das Glück gehabt, diesen köstlichen Quell aufzufinden, genau wie es ihm selber gegangen war.
Von den Dschinns und Ghuls, mit denen der Fakir Rommel hatte schrecken wollen, wußte Franzl ja nichts, sonst wäre es ihm doch höchst auffallend und verdächtig erschienen, daß die Mohammedaner sich an diesen verrufenen Ort gewagt hatten, von dem sie behaupteten, daß keiner lebend von ihm zurückkehre.
Eben wollte sich Abu Barlah, der Vater der Mauleselin, wie er von diesen Leuten geheißen wurde, erheben, um die drei erfreut zu begrüßen und nicht länger zu zögern, seinen rasenden Durst zu löschen, — da schlugen Worte an sein Ohr, die ihn jäh zurückhielten. So viel Arabisch hatte er ja inne, um alles zu verstehen.
»Tod den Kafirs!« rief Hamed Ben Abd er Rahman. »Sie sind alle der Hölle verfallen! Ha! wenn sie ahnten, wie nahe ihnen die Rettung wäre; aber sie wissen nichts davon.«
»El hamd li'llah!« ließ sich Mohamed et Talib vernehmen. »Allah sei Dank! Ich war am Verschmachten. Gottlob, daß wir gerettet sind! Mögen die anderen verderben! Wann sagtest du, daß wir die Oase Kufra erreichen können, Abd ul Hagg?«
»In weniger als zwei Tagen. Lassen wir unsere Kamele noch einige Stunden werden und ausruhen; dann füllen wir die Behälter mit Wasser und brechen vor Tagesanbruch auf. Der Pascha wird meinen, wir liegen irgendwo verschmachtend in der Wüste; ein Schicksal, das ihn und die ganze Karawane morgen treffen wird. Wahjat e'Näbbi! Beim Leben des Propheten! Ich fürchtete schon, Abu Ramleh, dieser Kelb ibn Kelb, dieser Hund und Sohn eines Hundes, möchte die Quelle entdecken und so unsern Anschlag zunichte machen.«
»Dieser Tor!« rief Hamed lachend. »Er sucht nur nach Steinen, statt nach Wasser. Läge er nicht hilflos verschmachtend auf der anderen Seite des Berges, ich hätte ihn getötet, damit er uns das Spiel nicht noch verderbe. Aber ich habe mich mit eigenen Augen überzeugt, daß es mit ihm zu Ende geht.«
»Du hättest ihn dennoch erstechen sollen,« sagte der Fakir mißbilligend: »Sicher ist sicher!«
»Ich sah doch, daß er in den letzten Zügen lag, und da dachte ich an meinen Eid, den ich doch nicht brechen mochte, da es völlig überflüssig erschien.«
»O, ihr Söhne einer Hyäne!« rief der Indier: »Daß euch ein Schwur so feige macht, der doch nur aus leeren Worten besteht! Glaubet ihr, Allah höre auf alle menschlichen Eide und kümmere sich darum? Wenn er Meineide strafte, müßte Abd ul Hagg längst in der Hölle schmachten. Nun aber seht ihr, wie mir der Allmächtige beisteht und mir alles gelingen läßt. Übermorgen sind wir in der fruchtbaren Oase Kufra, während von der ganzen übrigen Karawane keine Seele mehr lebt. Dann sind wir aus aller Not und Gefahr heraus, und der Weg zu den Schätzen der Messingstadt steht uns offen.«
»Wenn aber Hussein Pascha die Oase erreicht?« fragte der bedenkliche Hadschi. »Du sagst, sie sei weniger als zwei Tage entfernt: wer kann wissen, ob nicht wenigstens einer oder der andere der Rumih nach Allahs unerforschlichem Willen so lange aushält? Sie sind oft zäher, als man glauben sollte.«
Der Indier zuckte die Achseln mit einem bösen, hämischen Lächeln: »Allahs Ratschluß liegt hier offen zutage,« erwiderte er: »Sie sind alle am Ende ihrer Kräfte. Ich sagte dem Pascha, Kufra sei noch drei Tagereisen entfernt, um ihm alle Hoffnung zu nehmen. Aber der Giaur versteht es, die Entfernungen auf der Karte zu lesen, darum glaubt er, in zwei Tagereisen hingelangen zu können. Er weiß jedoch genau, daß diese Berechnung nur für den Fall stimmen würde, daß die Kamele und die Leute zuvor genügend zu trinken bekämen, und hiezu hat er keinerlei Aussicht. Der Pascha ist daher mit Recht überzeugt, daß er die rettende Oase überhaupt nicht mehr zu erreichen vermag. Das hat er selber gesagt, und es ist so: eine verschmachtende Karawane, wie die seinige, wird nicht in drei Tagen die Strecke zurücklegen, auch nicht in drei Wochen, sondern überhaupt nicht. Denn sie mag sich wohl noch einige Stunden mühsam dahinschleppen; doch lange, ehe die Sonne des kommenden Tages zum Wüstenrande sich neigt, wird keines der Dschemels mehr imstande sein, ein Glied zu rühren, — die Menschen noch viel weniger. Sie bleiben hilflos liegen und werden verdorren wie welkende Blätter, aber in viel kürzerer Zeit.
»Ihr sehet also: Allah hat das Verderben dieser Leute beschlossen, das ist gewiß: sein ewiger Ratschluß sei gepriesen! Wir dagegen, mit frischen Kräften und wohlgetränkten und sattgeweideten Tieren, mit gefüllten Wasserschläuchen und Futtersäcken, vermögen Kufra in einem und einem halben Tage zu erreichen. Doch unsere Zeit ist jetzt kurz bemessen, denn in aller Frühe, solange es noch dunkel ist, müssen wir aufbrechen: beim Aufgange der Sonne müssen wir soweit entfernt sein, daß sie uns mit ihren Fernrohren nicht mehr gewahren können. Darum wollen wir uns gleich zur Ruhe legen, um des Schlafes zu genießen in den wenigen Stunden, die uns für ihn noch bleiben; denn er ist uns unentbehrlich zur Erneuerung unserer Kräfte für den morgigen anstrengenden Ritt.«
Es war keine geringe Geduldsprobe für den Bayern, angesichts der rinnenden Quelle, mit verschmachtenden Gebeinen und ausgedörrter Kehle auszuharren, bis es den Schurken gefiel, sich zu entfernen. Mehrmals drohte ihn die Gier nach dem frischen Trunke derart zu überwältigen, daß er alle andern Rücksichten beiseite werfen wollte, um durch die Hecke zu brechen und sich auf den Brunnen zu stürzen. Doch gewann er immer wieder die nötige Selbstbeherrschung, um auf die Stimme der Klugheit und Vorsicht zu hören.
Jetzt endlich sollte seine Zurückhaltung, die ihm eine Ewigkeit zu währen schien, ihren Lohn finden: die drei zogen sich hinter die hohe, langgestreckte Schutzmauer des Brunnens zurück und begaben sich durch das Gebüsch auf den einige hundert Schritte entfernten Weideplatz ihrer Kamele, um sich dort zur Ruhe niederzulegen.
Als ihre Schritte verhallten und das Krachen und Rauschen der Zweige verscholl, konnte sich Franz ungefährdet zum Wasser schleichen und in langen Zügen das schmerzlich entbehrte, erquickende Naß schlürfen.
O, welch himmlischer Genuß, so langgestreckt am Boden liegend, die kühlenden Fluten durch die lechzende Kehle in den ausgetrockneten Magen hinabströmen zu lassen! Sofort schien das eingedickte Blut wieder flüssig zu werden, und Billinger spürte ordentlich, wie neues Leben durch seine Adern sich ergoß. Nie hätte er es zuvor für möglich gehalten, daß ein Mensch in so kurzer Zeit solch fabelhafte Wassermassen vertilgen könne: im Magen konnten sie unmöglich Platz finden, das stand fest! Sowie sie hineingelangten, saugte sie offenbar der Leib wie ein trockener Schwamm auf, so daß immer neue Mengen des köstlichen Nasses dort unten Raum fanden.
Endlich empfand Billinger eine vorläufige, wirkliche Stillung seines Durstes; rasch füllte er seine Feldflasche und ging wieder auf die Suche nach seinem Herrn. Hamed hatte gesagt, er liege auf der andern Seite des Berges, und hatte dabei durch eine unwillkürliche Handbewegung die Richtung angegeben: das war nun ein schätzenswerter Wink für den Diener: er suchte jetzt doch nicht mehr so ganz ins Blaue hinein. In der bezeichneten Richtung bog er um die Felsmassen nach Westen und hielt scharf Ausschau. Zu rufen wagte er vorerst noch nicht, um nicht etwa von den Verrätern gehört zu werden. Die mondbeschienenen Wände stiegen hier auch so jäh empor, daß Rommel jedenfalls nicht hier in der Nähe herabgeklettert sein konnte.
Nach einer halben Stunde hatte Abu Barlah das Ende der Nordseite des Gebirges erreicht und bog zur Linken ein, wo es einen südwestlichen Verlauf nahm. Hier erschien es auch weniger steil und stark zerklüftet.
Der Bayer befand sich jetzt von den Mohammedanern soweit entfernt, daß er getrost die Stimme erheben konnte, und so begann er aus Leibeskräften zu rufen: denn alle die Täler und Schluchten abzusuchen, die es hier gab, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Zwischen die Rufe hinein machte er längere Pausen, um angestrengt auf eine etwaige Antwort zu lauschen. So stand er auch horchend am Eingange einer tiefeingeschnittenen Klinge still, nachdem er hineingebrüllt hatte, als wolle er das Echo der zwei Kilometer entfernten Felswand wecken, die das Tal abschloß, und die er gar nicht sehen konnte.
Da war es ihm, als vernehme er menschliche Laute aus der Kluft an sein Ohr dringen. Sofort bog er ein und rannte über Geröll und Blöcke hinweg in das Dunkel, das kein Mondstrahl erreichte.
Nach kurzer Zeit schon hörte er den schwachen, ersterbenden Ruf: »Aman, aman! Wasser, Wasser!«
Noch einige Schritte, und er gewahrte eine dunkle Gestalt am Boden. Jetzt erkannte er auch die Stimme seines Herrn, der ganz entkräftet dalag.
Der Professor hatte wohl anfangs seinen Kräften zuviel zugetraut und sich zu tief in die Felsenwildnis vorgewagt. Als er dann seine Energie erlahmen fühlte, die sein Forschungseifer übermäßig gesteigert hatte, kam der Rückschlag so plötzlich und gründlich, daß er sich nur noch kurze Zeit mühsam dahinschleppen konnte, und dann zusammenbrach. Er hatte um Hilfe gerufen, obgleich er sich sagen mußte, daß weit und breit keine Menschenseele sei, die ihn hören konnte. Aber was tut man nicht in der Verzweiflung?
Es war aber dennoch einer in der Nähe, der seine zurzeit noch kräftige und weitschallende Stimme vernahm. Das war jedoch kein Helfer, sondern Hamed, der nach dem Vater des Sandes im Auftrage des Fakirs suchte, um zu verhindern, daß er durch einen Zufall die Quelle entdecke.
Der Scherif folgte der Richtung, aus der die Hilferufe erschollen, und hatte Rommel auch bald aufgefunden.
Abd ul Hagg hatte dem Araber eingeschärft, den Deutschen niederzustechen und sich ja nicht durch seinen Schwur hievon abhalten zu lassen: einem Ungläubigen brauche man keinen Eid zu halten, und die Entdeckung des Brunnens und ihrer Verräterei müsse unter allen Umständen verhindert werden, da sonst auch ihre Hoffnung auf die Reichtümer der Messingstadt leicht zu schanden werden könnte.
Hamed hatte auch schon sein Messer gezückt; allein sein Schwur machte ihm doch noch Bedenken, und da er sah, daß es mit dem Professor sowieso zu Ende ging, glaubte er, ihn ohne Sorge seinem Schicksal überlassen zu können.
Die lange Rast und die Frische der Nacht hatten Rommel noch einmal soweit gestärkt, daß er sich, wenn auch nur kriechend, ein gutes Stück dem Ausgange der Schlucht zu fortbewegen konnte; dann aber war es aus, und er mußte endgültig liegen bleiben.
So fand ihn nun Franz, der ihm gleich zurief: »I bin's, Herr Professa, der Franzl! Und horchen S', wos i hob: Wossa hob i, a gonze Feldfloschen vull; is freilich weng g'nug, aba dö Not hot an End, und verdursten tun S' nit, dös geb i Eahna schriftlich: saufen S' vordahand dös Bisserl, dös wurd Eahna wohl tun!«
Solchen Zuspruchs bedurfte es übrigens nicht; denn ehe der gute Diener noch mit seiner wohlgemeinten Rede zu Ende war, hatte der Verschmachtende die ihm an die ausgedörrten Lippen gehaltene Flasche schon leer getrunken
Bedauernd merkte Billinger, daß das Glucksen aufhörte: »Dös is a G'lump!« sagte er: »Gar is's, rattekahl aus! Faßt holt bloß a Moaßerl, moan Feldfloschen. Wann i nur a Stücka zehn so Fingerhüterl hätt'! Wann i denk, was i g'suffen hob an da Quellen, grod oamerweis, und da Herr Professa muß mitten drin aufhörn im Durstlöschen, vun wegen, daß's gar is! Moan ganzen Schnauzbort kunnt i ma außiraafen vur Ärger!«
»Laß gut sein!« seufzte Rommel befriedigt: »Ah! das hat wohlgetan, das hat geschmeckt, wie noch nichts in meinem Leben! Franz, treue Seele, ohne dich wäre es bald mit mir zu Ende gewesen. Ich fühle mich wirklich ganz neu belebt, obwohl ich noch viel trinken könnte, sehr viel! Aber schwach bin ich noch: ich muß schlafen: vorher bin ich unfähig, ins Lager zurückzugehen.«
»Is aa gor nit vun Nöten, Herr Professa! Do hoben S' a poar Dotteln, wo i vun der Oasen mitg'nummen hob zu Eahna ihra Stärkung, und alsdann tun S' an guten Schlaf. Auf da andan Seiten vum Berg is a Brunnen, koan so miserabels Loch, wo glei ausg'suffen is, sundern a richtige Quellen, woher i dös Wossa g'holt hob. Aba do derfen S' fein nit hin, vun wegen, daß a poar schurkische Tropfen durt san. In da Nocht aba vazieht sö dös G'sindel, wann's da Pascha nit vahoften tut. Dann können S' trinken noch Belieben, und zum Laga brauchen S' gor nimma z'ruck. Denn dös is klar wie Wurstbrühen, daß dö ganz Karawanen zu da Quellen rennt, so wie i dö Botschaft vun moaner Entdeckung ins Laga bring. Aba hier derfen S' nit so muttaseelenalloan liegen bleiben, vun wegen, daß dö Schurken wissen, wo Sö sich b'finden. Und deana trau i's zu, daß sö, bevur sö sich aus am Staub mochen, nochschaun noch Eahna, und wann s' mirken, daß Sö noch am Leben san, nachher taaten s' Eahna am End abmurksen, und dös müssa ma vahindern. Denn Mordbuben san s': dös hob i derlauscht. Koan hundert Schritt vun hier is a Klingen, wo Sö koan Mensch nit finden tut: durt trog i Eahna hin, mit Verlaab.«
Der edle Diener richtete seinen Herrn auf und schickte sich an, ihn auf den Rücken zu nehmen; der Professor wehrte jedoch lächelnd ab, indem er sagte: »So weit werde ich jetzt schon gehen können!« und, gestützt auf den kräftigen Bayern, erreichte er auch bald das Versteck, wo er sich auf den harten Grund bettete und alsbald einschlief.
Franz eilte nun, so rasch er konnte, zum Lager zurück: er hatte es an sich selbst erfahren, wie ein einziger Tag ohne Wasser und hinreichende Nahrung genügt, um den Europäer in der Wüste völlig zu entkräften; aber auch, wie dann ein ausgiebiger Trunk die Kräfte überraschend schnell wieder herstellt. Nun sollte all den Verschmachtenden die köstliche Wohltat zuteil werden, sich satt zu trinken; und auch die seit vielen Tagen hungernden und dürstenden Kamele sollten sich gründlich laben und sättigen in dem kleinen Paradies, das die verrufenen Felshügel bargen.
Im Lager angelangt, teilte er dem überraschten Pascha seine Beobachtungen mit. Auch diesmal wollte Münchhausen an die Verräterei der drei Schurken nicht glauben: er war der Meinung, sie hätten den Quell zufällig entdeckt, und wären gewiß noch gekommen, ihm Mitteilung von dem rettenden Funde zu machen. Die ganze Karawane unbedenklich verschmachten zu lassen, wenn sie in der Lage waren, sie vor diesem entsetzlichen Schicksal zu bewahren, dazu konnten sie doch nicht fähig sein! Er konnte sich auch rein keinen vernünftigen Grund denken, der sie zu solch gräßlichem Massenmord hätte bewegen können. So weit konnte doch ihr Christenhaß unmöglich gehen, daß sie einige Dutzend Glaubensgenossen verdursten ließen, nur um einer Handvoll »Ungläubiger« das gleiche Schicksal zu bereiten! Er dachte deshalb bei sich, die mangelhafte Kenntnis des Arabischen hätte Franz zu einem Mißverständnis geführt, nachdem er den Dreien zuvor schon das Schlimmste zutraute, ganz so, wie auch Peter heute morgen zu falschen Schlüssen gelangt sei.
Blitzschnell verbreitete sich die Kunde von der entdeckten Oase im Lager: Jubelrufe erschollen ringsum, alle Erschöpfung war mit einem Schlage vergessen, und noch nie waren die Kamele so rasch gesattelt und bepackt worden, so daß der nächtliche Aufbruch sofort erfolgen konnte. Auch die Dromedare merkten anscheinend, um was es sich handelte: sie zeigten sich willig, und schienen neue Kräfte gewonnen zu haben. Als sie dann vollends nach kurzem Marsche das Wasser zu wittern begannen, war kein Halten mehr: sie rannten dem Felstale zu mit einer Geschwindigkeit, als hätten sie weder Anstrengungen noch Entbehrungen hinter sich. Franz brauchte die Richtung gar nicht mehr anzugeben: sie fanden sie von selber.
Es war noch dunkle Nacht; der Mond war untergegangen und der klare Sternhimmel vermochte die Finsternis nur wenig zu erhellen.
Abd ul Hagg war im Begriff, mit seinen Gefährten aufzubrechen. Die sechs Kamele, die sie bei sich hatten, waren gesattelt, bepackt und mit Wasserschläuchen beladen.
»Zur Vorsicht laßt uns im Vorbeireiten nach dem ungläubigen Gelehrten sehen,« sagte der Fakir: »Er liegt ja nicht so weit von unserem Wege ab, und wenn er noch am Leben sein sollte, so gebietet uns die Klugheit, ihm vollends in die Hölle zu verhelfen.«
»O! Der ist gewiß tot!« erklärte Hamed: »Aber mir ist es einerlei; schaden kann es nichts, wenn wir uns davon überzeugen.«
Als sie nun an den Ausgang der Schlucht gelangten, hörten sie Kamelgetrappel und hielten erschrocken an.
Da kam auch schon die Karawane dahergesprengt, voran der Pascha.
»Allah sei gepriesen!« rief der Indier, rasch besonnen: »Pascha, die Sorge um den verehrten Professor, der nicht wiederkehrte, ließ uns keine Ruhe, und wir zogen aus, ihn zu suchen. Nun denke dir, was Allahs Güte uns beschied: bei unseren Nachforschungen entdeckten wir hier ein verborgenes Tal des Lebens mit einer lebendigen Wasserquelle. Wir haben unsere Kräfte erneuert und unsere Kamele getränkt, und waren eben im Begriff, euch die frohe Kunde zu bringen; wir haben auch gleich unsere Wasserschläuche gefüllt, um euch keinen Augenblick länger dürsten zu lassen. Nun hat der Allgütige ein neues Wunder getan und euch selber den Weg zum rettenden Brunnen gewiesen. Er gebe, daß auch der Professor noch am Leben gefunden werde.«
So heuchelte er die größte Freude über das unerwartete Erscheinen der Karawane, während er und seine Kumpane doch innerlich vor Wut knirschten, und umso wütender waren, als sie sich nichts davon merken lassen durften.
Münchhausen ließ sich völlig täuschen und empfand eine große Genugtuung, daß er, wie er meinte, das Verhalten der drei so richtig beurteilt hatte.
»Ich danke euch,« sagte der Pascha: »Ich habe euch stets als treu und eifrig in meinen Diensten erkannt, und ihr habt es diesmal wieder bewiesen, wie sehr euch unser aller Wohl am Herzen liegt. Der Lohn dafür wird nicht ausbleiben.«
Inzwischen war der Zug bei der Quelle angelangt, und der Kapitän hatte Mühe, die Leute abzuhalten, daß sie sich nicht alle zugleich auf das Rinnsal stürzten. Doch konnte er, wenn es darauf ankam, auch energisch dreinfahren, und erreichte es auch jetzt, daß die Araber sich geduldeten, bis die Europäer sich gründlich gelabt hatten. Er hielt streng darauf, daß die richtige Reihenfolge eingehalten wurde, um das Ansehen der Europäer und der Führer aufrecht zu erhalten. Zuerst kamen die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft daran, dann der Baron und die Diener, hernach die arabischen Scheichs, endlich die Kameltreiber, und zuletzt er selber. Diese edle Zurückhaltung übte er ebenfalls grundsätzlich, obgleich er, als das Oberhaupt, den Vortritt hätte beanspruchen dürfen. Wenn die Araber sahen, daß er an sich selber zuletzt dachte, und sogar sie vor sich versorgte, bekamen sie erst den bewundernden Respekt vor ihrem Herrn, der sie veranlaßte, sich unweigerlich seinen Anordnungen zu fügen; sie hätten sich vor diesem Christen geschämt, zu murren über eine Zurücksetzung, die er freiwillig sich selber in noch höherem Grade auferlegte.
Baronesse Hulda und Monika Rommel waren somit zuerst an die Quelle gekommen und hatten die herrlichste aller irdischen Wohltaten genossen, einen verzehrenden Durst zu löschen, der schon ans Verschmachten grenzte. Dann sahen sie mit Vergnügen zu, wie auch die anderen mit sichtlicher und oft in Ausrufen des Entzückens lautwerdender Wonne den Trank schlürften.
»Ich bewundere den Kapitän,« sagte die Zitrone, »daß er sich bei den Qualen, die er ganz besonders ausstehen muß, derart zu beherrschen vermag, daß er auf ein Vorrecht freiwillig verzichtet, das ihm niemand streitig machen und dessen Ausnützung ihm niemand verübeln würde. Er muß lange warten, bis er daran kommt, denn es dauert jedesmal eine geraume Weile, bis die drei oder vier, die gleichzeitig trinken, sich entschließen, aufzuhören. Jetzt erst kann ich so ganz ermessen, welches Opfer Alexander der Große brachte, als er bei seinem Zuge durch die Wüste, als alle am Verdursten waren, den Helm voll Wasser, den ihm seine Soldaten brachten, ausschüttete, weil er es verschmähte, sich zu erquicken, solange seine Krieger dürsten mußten.«
Die Harmonika erwiderte: »Vergiß nicht das ebenso große und edle Opfer, das die einfachen Soldaten brachten, die das spärliche Wasser, das sie in einer Felshöhlung fanden, nicht selber tranken, was ihnen keinen Vorwurf hätte eintragen können, da niemand von ihrer Entdeckung wußte, sondern lieber die Folter des Durstes ertrugen, nur um ihren geliebten Feldherrn davon zu befreien, übrigens scheint man ganz vergessen zu haben, daß ein anderer großer König, lange vor dem großen Alexander, genau das gleiche Beispiel edelmütiger Entsagung gab.«
»Davon weiß ich in der Tat nichts,« sagte Hulda überrascht: »Ich glaubte immer, in der Weltgeschichte ganz besonders gut beschlagen zu sein, jetzt sehe ich aber, daß du mir offenbar hierin noch über bist! Wer war denn dieser König, von dem du redest?«
»O!« lachte Monika: »Ich bin überzeugt, daß du in der Geschichte, wie in allen Wissenschaften unendlich mehr weißt, als ich unwissendes Geschöpf; aber zuweilen kann selbst der Fachgelehrte vom Laien noch etwas lernen, wenn ihn kein dummer Hochmut daran hindert.«
»Ohne mich zu den Gelehrten oder gar Fachgelehrten zu rechnen, liegt mir doch jede törichte Überhebung fern; du siehst mich bereit, deine Überlegenheit anzuerkennen und von ihr eine wertvolle Erweiterung meiner Kenntnisse bescheiden und dankbar anzunehmen. Also heraus mit der Sprache! Um welchen berühmten Herrscher handelt es sich?«
»O, du hast die Geschichte sicher schon oft selber gelesen und ihr nur nicht so große Beachtung geschenkt, wie sie wohl verdiente, um sie zu behalten: ich meine den König David. Er hielt sich damals als ein Geächteter in der Felsenhöhle Adullam verborgen und äußerte den Wunsch nach einem Trunk Wasser aus dem Brunnen unter dem Tor zu Bethlehem. Es wird nicht gesagt, was diesen Wunsch veranlaßte, doch ist wohl anzunehmen, daß er mit den Seinen an Wassermangel litt und heftigen Durst auszustehen hatte. Nun war aber Bethlehem in den Händen der Philister, und der Gang zum Brunnen war mit Lebensgefahr verknüpft. Da machten sich drei Helden auf, brachen in das Lager der Philister ein, schöpften einen Krug voll Wasser aus dem Brunnen und brachten ihn ihrem König. Er aber wollte es nicht trinken, sondern goß es aus, Gott zum Opfer, indem er sprach ... Aber halt!« unterbrach sich die Harmonika: »Das muß ich dir mit seinen eigenen Worten vorlesen.«
Dabei zog sie eine Taschenbibel hervor, die sie stets bei sich trug, und schlug das erste Buch der Chronika aus, aus dessen elftem Kapitel sie den Vers las: »›Das lasse mein Gott fern von mir sein, daß ich solches tue, und trinke das Blut dieser Männer in ihres Lebens Fahr! Denn sie haben's mit ihres Lebens Fahr hergebracht.‹ Darum wollte er's nicht trinken.«
»Schau!« sagte die Zitrone: »Welche Übereinstimmung zwischen dem größten Helden des Volkes Israel und dem des Griechenvolkes!«
Inzwischen hatten Franz Billinger und Peter Grill den Professor geholt, den sie nach erquickendem Schlaf gesund und munter antrafen, wenn auch von Durst gepeinigt, denn der nächtliche Trunk war doch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein gewesen, so belebend er auch für den Augenblick gewirkt hatte. Die Diener brachten ihm aber vorsorglich einen Aluminiumbehälter mit einigen Litern Wasser, so daß er seinen Durst gründlich stillen konnte und neugestärkt die paar Kilometer bis zur Quelle rüstig zurücklegte.
Hier war noch alles beschäftigt, teils das eigene, immer neue Verlangen nach Wasser zu befriedigen, teils die Kamele, Esel und Maultiere zu tränken. Da Esel und Maultiere nicht so lange den Wassermangel zu ertragen vermögen, wie die Kamele, hatte man, als die Vorräte zur Neige gingen, die Dromedare dürsten lassen, ihnen aber einen bescheidenen Trunk morgens und abends gewährt. Nun hatten sie aber zwei Tage nichts mehr bekommen können, und wären sicher heute noch eingegangen, wenn der Brunnen nicht gefunden worden wäre. Ihre Herren hätten freilich das Todeslos mit ihnen geteilt.
Mit großer Besorgnis sahen die Verschwörer den Professor gesund ins Lager kommen. Sie hatten sich darauf verlassen, daß man gewiß nur seine Leiche finden würde. Jetzt mußten sie befürchten, daß er Hameds Mordanschlag auf ihn berichte, und dann sahen sie sich endgültig entlarvt, wenigstens mußten sie den Scherif preisgeben und nur versichern, daß sie von seinem schändlichen Vorhaben nichts gewußt hätten und es ebenso verabscheuten wie die andern.
Doch sie hatten Glück: Rommel war bei dem Vorgang zwischen zwei Ohnmächten so wenig bei klarem Bewußtsein gewesen, daß er ihm völlig aus dem Gedächtnis ausgelöscht war und er an den Verrätern unmöglich zum Verräter werden konnte.
Der schlaue Fakir hatte dies zu seiner Beruhigung bald herausgebracht. Er war einer der ersten, die dem Geretteten Glück wünschten, und sagte dabei lauernd: »Wir drei, Hadschi Mohamed, Scherif Hamed und ich waren so besorgt über dein Ausbleiben, daß es uns keine Ruhe im Lager ließ. Trotz unserer Erschöpfung und unserer großen Scheu vor der Burg der Geister zogen wir aus, nach dir zu suchen, wobei uns Allahs Gnade diese Quelle entdecken ließ. Hast du unser Rufen nicht vernommen?«
»Gar nichts habe ich vernommen; da ich jedoch längere Zeit in Ohnmacht gelegen sein muß, ist es wohl möglich, daß ich aus diesem Grunde eure Stimmen nicht hören konnte. Jedenfalls danke ich euch herzlich für eure großherzigen Bemühungen.« Er sagte dies etwas spöttisch, denn er war nach wie vor von ihrer schurkischen Gesinnung überzeugt, nur daß er eben von dem Mordanschlag nichts mehr wußte, durch dessen Erwähnung er wohl auch den Pascha zur Einsicht hätte bringen können.
Der Indier hörte wohl den Hohn heraus, der ihm kund tat, daß seine Heuchelei von diesem Deutschen durchschaut wurde, darum forschte er mit umso größerer Besorgnis weiter: »Aber Hamed muß ganz in deine Nähe gelangt sein.«
»Möglich: aber davon konnte ich nichts wissen. Mein treuer Diener fand mich auf, und vor ihm sah ich keinen Menschen in dieser Felsenöde.«
Jetzt war Abd ul Hagg beruhigt, denn der Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, verriet deutlich, daß sie aus innerster Überzeugung kamen.
Einen ganzen Tag wurde in dem kleinen Paradiese gerastet, um sich von den erlittenen Entbehrungen und Leiden gründlich zu erholen und auch die Tiere sich durch ausgiebige Weide stärken zu lassen. Dann wurden die Wasserbehälter gefüllt, ein reicher Vorrat an Futterkräutern zusammengepackt und den Lastkamelen aufgeladen, und der Weitermarsch angetreten.
Nach zwei Tagen wurden die Zelte in der ausgedehnten Oase Kufra aufgeschlagen.
Dieses fruchtbare Land besteht eigentlich aus mehreren Oasen, die durch mehr oder weniger breite Wüstenstreifen voneinander getrennt sind.
Der Pascha beschloß, hier eine längere Rast zu halten; denn einmal hatten es alle, Tiere wie Menschen, nötig, sich von den bisherigen Reisestrapazen und Leiden zu erholen durch ausgiebige Ruhe und reichliche Nahrung; sodann waren die Vorräte an Lebensmitteln und Futter zu erneuern, ehe man die Weiterreise durch die Wüste antreten konnte. Auch mußten mehrere weitere Kamele angeschafft werden, weil noch einige infolge der Anstrengungen und Entbehrungen eingegangen waren.
Da nur noch vierzehn Tage bis Jahresschluß waren, sollte die Festzeit, einschließlich Neujahr, hier zugebracht werden; denn ohne Not wollte Münchhausen an den Festtagen nicht reisen, und eine würdige Weihnachtsfeier wollte er nicht versäumen.
Am vierundzwanzigsten Dezember waren die Einkäufe schon so weit gediehen, daß nicht mehr viel zu tun übrig blieb und man sich ausgiebig der wohltätigen Rast hingeben konnte.
Die Deutschen saßen gemütlich rauchend in dem großen Zelt, das dem Pascha und dem Professor gemeinschaftlich diente. Nachts wurde durch eine Zwischenleinwand eine zweite Abteilung für Franz und Peter hergestellt, während Steinberg es vorzog, sein kleines Zelt allein zu bewohnen.
Auch die Harmonika und die Zitrone waren heute, wie öfters, zu Gast im Männerzelt; denn keine von ihnen war so zimperlich und abgeschmackt, sich aus dem dichten Tabaksqualm etwas zu machen, der wie ein Nebel den Raum erfüllte und sich langsam einen Ausgang durch die Türöffnung suchte, die zu diesem Zweck etwas offen gelassen wurde. Die Damen rauchten allerdings selber nicht, obgleich die Herren nichts dagegen gehabt hätten: sie fanden es höchst unnötig, sich diese immerhin etwas unweibliche Unterhaltung anzugewöhnen.
Nur die Kammerzofe Isolde glaubte, ihre zartbesaitete Weiblichkeit und vornehme Feinfühligkeit durch einige Seufzer und Klagen bekunden zu müssen.
»Ach!« meinte sie: »Es ist doch entsetzlich, die vorher schon so stickige Luft durch solche Dampfwolken zu malträtieren: ich glaube, ich bekomme eine Rauchvergiftung!«
Die Zofe, die in Gesellschaft ihrer Herrinnen auch zu dem gemütlichen Plauderstündchen zugelassen wurde, liebte, wie die meisten Deutschen, die Fremdwörter, durch die man in der Lage ist, seine hohe Bildung jedermann unter die Nase zu reiben. Sie hatte begriffen, daß »mal« soviel wie »schlecht« bedeute, folglich glaubte sie, »malträtieren« müsse »verschlechtern« heißen.
»Ach so!« sagte der qualmende Kapitän, der die ziemlich laute Bemerkung aufgeschnappt hatte: »Ich vergaß, wie es die Höflichkeit erfordert, die Damen erst zu fragen, ob sie uns das Rauchen gütigst gestatten?«
»Machen Sie keine schlechten Witze,« erwiderte die Zitrone: »Erstens haben Sie nie gefragt, was überhaupt unter Ihrer Würde als Pascha wäre; zweitens haben wir uns nie beklagt; drittens verbessert der angenehme Duft des türkischen Tabaks bloß die Luft, nach meiner Ansicht; viertens, wenn wir so empfindlich wären, taugten wir schlecht zu einer Reise durch die Sahara.«
»Ganz meine Meinung!« bestätigte die Harmonika lachend.
»Vernünftig, edel und schön!« lobte Münchhausen: »Dennoch vermeinte ich auch eine gegenteilige Ansicht erlauscht zu haben: Sie, Fräulein Isolde, vertragen wohl den Rauch nicht?«
»Ach, leider ganz und gar nicht. Ich war immer ganz feine Kreise gewöhnt, woher die vornehme Empfindlichkeit meiner Riechorgane stammt.«
»Dann kann ich Ihnen nur raten, sich schleunigst aus dieser unfeinen Gesellschaft zu entfernen,« sagte der Vater des Schnupftuchs boshaft. »Denn es wird immer schlimmer: soeben zünde ich mir eine frische Pfeife an, und ich würde es lebhaft bedauern, wenn Sie Ihre zartbesaitete Seele infolge von Rauchvergiftung in diese Stickluft aushauchen müßten.«
»O, es ist nicht so schlimm, ich gewöhne mich bereits daran, und was meine gnädigste Baronesse vertragen, vertrage ich selbstverständlich auch,« rief die Kammerjungfer nun eifrig: es wäre ihr doch das ärgste gewesen, aus dieser unterhaltenden Gesellschaft sich ausschließen zu müssen.
»Ich finde, das Rauchen erleichtert das Ertragen der großen Hitze ungemein,« ließ sich nun der Professor vernehmen: »Außerdem ist es eine angenehme Unterhaltung, die keine Langeweile aufkommen läßt, vielmehr gute Gedanken anregt.«
Dann kam das Gespräch auf die bevorstehende Reise, die durch eine noch ausgedehntere und gefährlichere Sandöde führen würde, als die bisherige, die doch schon schlimm genug war.
»Ließen sich denn diese schrecklichen Wüsten nicht in fruchtbares Land umwandeln?« Diese kühne Frage warf Baron Steinberg auf. »Die Oasen sind ja überaus reich an Getreide und üppigem Pflanzenwuchs.«
»Wenn Sie Regen machen können!« erwiderte Professor Rommel lachend. »Übrigens hat man auch schon durch das Graben artesischer Brunnen manche Oase hervorgezaubert; denn überall befindet sich in der Tiefe unter dem Sandboden Wasser; freilich ist es meist stark salzhaltiges, brackiges Wasser. In grauer Vorzeit hat hier ein Meer gewogt. Das vernehmen wir auch aus alten Arabersagen; die Sahara, sagen sie, war früher ein Meer voll blühender, fruchtbarer Inseln. Die drei Könige dieser Inselreiche ließen sich jedoch durch einen Dschinn verleiten, an Stelle des wahren mohammedanischen Glaubens den Götzendienst, die Anbetung der Dschinns, einzuführen, worauf zur Strafe das Meer im Sande versickerte.«
»Übrigens wäre es leicht,« fuhr Rommel fort, »wenigstens einen Teil der Wüste in ein Meer zu verwandeln. Man brauchte nur durch einige Kanäle die schmalen Landstreifen zwischen den Seen, dem Schott Melghir und Aschischina in Algerien, dem Schott Gharsa und Ed Dscherid in Tunis zu durchstechen und letzteren mit dem Golf von Gabes zu verbinden, so würde wenigstens der Teil der nordwestlichen Sahara, der tiefer liegt, als der Meeresspiegel, überflutet.«
»Gehen Sie mir weg!« rief Münchhausen lachend. »Die Sache ist viel einfacher. Nehmen wir eine große Menge Badeschwämme, mit denen wir die Pontinischen Sümpfe und all die anderen so ungesunden Moräste, namentlich auch in Nordafrika, austrocknen. So oft die Schwämme vollgesogen sind, werden sie in die Sahara befördert und dort ausgedrückt, bis alle Sümpfe trocken gelegt sind. So fangen wir zwei Mücken auf einen Schlag: die Fiebergegenden bekommen ein gesundes Klima, und die angefeuchtete Wüste wird ein fruchtbares Land, was weit vorteilhafter ist als ein ödes Meer.«
Der Professor lachte; der Baron aber und die beiden Diener lauschten andächtig auf Kapitän Münchhausens genialen Vorschlag.
»Gehe einmal hinaus und schau, wieviel Uhr es ist,« sagte nun Rommel zu seinem Diener. Da nämlich sämtliche Taschenuhren seit dem Wüstensturm stillstanden, war man auf des Professors handliche Sonnenuhr angewiesen, die er vor dem Zelt in der Sonne aufgestellt hatte.
Nach einer Weile kam Franz herein und brachte die Sonnenuhr mit. »Do schaun's selba noch, Herr Professa,« sagte er. »Bei dösen Instrument kenn' i mi nit aus.«
»Dummkopf! Stell' sie erst wieder in die Sonne, hier im Zeltschatten kann kein Professor die Zeit von einer Sonnenuhr ablesen,« rief Rommel lachend.
Franz schüttelte den Kopf. »Is dös Ding nit lang g'nug in der Sunnen g'standen?« brummte er. »Steht jo schun sechs Stunden im hoaßen Sunnenschoan. Wann's do no nit geht, nachher geht's übahaapt nimma!« Damit stellte er das sonderbare Instrument, das seine Begriffe überstieg, wieder hinaus.
Als die Europäer abends Weihnachtslieder anstimmten, glaubten die Araber, die Herren hätten den Verstand verloren und sie müßten sie fortan als Heilige hoch verehren. Denn der Irrsinnige gilt dem Orientalen als ein Heiliger, dessen Geist von Allah selber dem Irdischen entrückt worden ist, so daß sie solchen armen Menschen die höchste Ehrfurcht erweisen und es als schweres Verbrechen ansehen würden, ihnen etwas zuleide zu tun.
Nach den frommen Gesängen wurden Gaben verteilt, und der Professor öffnete ein Paket, das ihm seine Gattin mit auf die Reise gegeben hatte, mit der Weisung, es erst am Heiligen Abend aufzumachen.
Es enthielt ein paar kunstvoll gestickte Pantoffeln, die seine Ehehälfte ihm zur Freude eigenhändig angefertigt hatte. Der Undankbare aber rief in komischem Entsetzen: »Maschallah! Was Gott will, geschieht! Niemand kann seinem Schicksal entrinnen: bis in die tiefsten Wüsten Afrikas verfolgt mich der Pantoffel meiner Frau!«
»Ach, Sie sind verheiratet?« fragte Steinberg verwundert: »Das habe ich ja noch gar nicht gewußt!«
»Das verrät wenig Scharfblick,« sagte Rommel und wies ihm seine rechte Hand: »Ich trage doch wahrhaftig meinen Ehering nicht in der Westentasche.«
»I wo! Auf solch einen Ring kann man doch nicht gehen,« erwiderte der Baron: »Wenn es darauf ankäme, so müßte ich ja einen ganzen Harem besitzen!« Und er zeigte seinerseits dem Vater des Sandes seine Rechte, an der nicht weniger als fünf Ringe blinkten.
» Ein Ring beweist mehr als ein halbes Dutzend,« sagte seine Schwester: »Ich habe gleich am ersten Tage festgestellt, daß der Herr Professor Ehemann ist. Aber warum reden Sie nie von Ihrer Frau Gemahlin?«
»Sein bestes Kleinod hält man, wenn man klug ist, möglichst geheim und spricht nicht von ihm: übrigens, wissen Sie nicht, daß die besten Frauen eben diejenigen sind, von denen man am wenigsten redet?«
»Nun erlauben Sie mir aber noch eine Frage,« begann Abu Haschisch, der Vater des Krautes, wieder: »Warum ließen Sie Ihre Frau Gemahlin zu Hause, während doch Ihr Fräulein Schwester Sie begleitet?«
»O, meine Frau war fast ein Jahr mit mir in Ägypten. Sie vertrug aber das Klima nicht recht, und als sie zuletzt ernstlich erkrankte, geboten ihr die Ärzte die Heimkehr. Ich habe sie in die Heimat begleitet, mußte dann aber nach Ägypten zurück, weil ich mich zu dieser Reise verpflichtet hatte und auch nicht gerne darauf verzichtete, zumal es meiner lieben Frau in Deutschland wieder ganz gut geht, und sie in bester Pflege bei den Ihrigen sich befindet, so daß ich mich um sie nicht zu sorgen brauche. Sie selber wollte auch von meinem Verzicht auf die interessante Expedition nichts wissen und wäre untröstlich gewesen, wenn ich mich davon hätte abhalten lassen.«
Alle fanden sich an diesem schönen Festabend reich beschenkt: teils waren es Pakete aus der Heimat, die der Pascha, ihrer Bestimmung gemäß, bis zum heutigen Abend uneröffnet in Verwahrung genommen hatte, teils gegenseitige Geschenke, meist Kleinigkeiten, doch sinnig und brauchbar.
Jedenfalls waren alle erfreut und befriedigt, und kamen in die rechte Feststimmung hinein, wenn auch der Christbaum vermißt wurde.
Auch die Araber wurden beschenkt, und ließen sich dies gerne gefallen. Die Harmonika legte aber auch Wert darauf, daß sie über die Bedeutung dieses christlichen Festes aufgeklärt würden. Nachdem sie daher das Weihnachtsevangelium verlesen hatte, dem die Deutschen mit Andacht lauschten, übersetzte sie es ins Arabische und erklärte den Mohammedanern die Geschichte vom menschgewordenen Gottessohn, der später für unsere Sünden gestorben sei, und von dem selbst Mohammed bekenne, er sei ein größerer Prophet gewesen als er selber.
Besonders diese Bemerkung, die den hochaufhorchenden Arabern eigentlich nichts Neues sagte, machte großen Eindruck auf sie. Sie wußten, daß ihr Prophet sich ausdrücklich für geringer erklärt hatte als Isa, wie er Jesus nannte. Bisher hatten sie sich darüber keine weiteren Gedanken gemacht. Als ihnen jedoch das Christenfräulein diese Tatsache ordentlich zu Gemüte führte, sagten sie sich, die Religion der Christen könne unmöglich so schlecht sein, wie sie bisher in ihrer Unwissenheit glaubten, da die verpönten Rumih einem Propheten folgten, der höher stand, als ihr allein verehrter Mohammed.
Auch das, was sie heute von dieser Religion hörten, und was sie bisher von den Deutschen gesehen hatten, bestärkte sie in dieser neuen Meinung. Nur Hamed und Mohamed verdrängten gewaltsam solche Gedanken aus ihrem Herzen, und Abd ul Haggs tückische Seele war vollends dagegen gefeit: ihm war es überhaupt gleichgültig, welche Religion die richtige sei, ihm galt nur das eigene Ich.
Mit einer wohlzubereiteten Punschbowle wurde die Feier beschlossen, einem köstlichen, aber harmlosen Getränk: denn es bestand größtenteils aus heißem Zuckerwasser mit Orangensaft, dem nur des kräftigen Geschmackes wegen ein Schuß Arrak zugesetzt wurde: man konnte getrost so viel davon genießen, als man wollte, ohne befürchten zu müssen, es könnte einem zu Kopfe steigen.
Etliche Tage darauf zog Abu Haschisch, der Baron, Pflanzenkundige und Jäger, auf die Jagd aus; denn er hatte gehört, es gebe hier gute Jagdgelegenheit auf wilde Hühner, Erdschweine und vor allem auf den Fenek, den Wüstenfuchs. Wer besonderes Glück oder Pech habe, könne gar einem Löwen begegnen.
Schon im voraus prahlte der kühne junge Mann mit seiner großen Jagdbeute, ohne die er nicht heimkehren werde. Außer seinem Diener Peter nahm er zwei Eingeborene der Oase als Wegweiser und Treiber mit.
Nun waren aber die Eingeborenen auf den Baron nicht gut zu sprechen; denn er behandelte sie mit überlegenem Hochmut und grenzenloser Verachtung. Darum beschlossen seine Begleiter heimlich, sich an dem Prahlhans zu rächen.
Unterwegs schürte Steinberg noch ihren Groll, da er in seinem mangelhaften Arabisch gewaltig über die Beduinen schimpfte. Sein Arabisch hielt er übrigens für vollkommen, und wenn ihn die Araber oft nicht verstanden, schrieb er dies der mangelhaften Kenntnis ihrer eigenen Sprache zu.
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Die Eingeborenen kannten eine Stelle, deren Tücken dem Unkundigen ebenso verborgen bleiben mußten, wie diejenigen des verhängnisvollen Sandsees, bis er aus eigener unliebsamer Erfahrung ihre schlimme Bekanntschaft machte. Dorthin führten sie voll tadelnswerter Arglist den Rumih, der es wagte, sie so schwer zu beleidigen.
Niemals hätte Steinberg geglaubt, nachdem er einmal in so gefährlicher Weise mit dem Sandmorast hintergangen worden war, daß er ein zweites Mal sich ganz arglos in eine ähnliche Falle verlocken lassen könnte. Er hielt sich für gewitzigt und hütete sich fortan, in der Wüste voran zu reiten und einen Sandboden zu betreten, ehe er gesehen, daß andere sich darauf wagten, ohne einzusinken.
Aber hier war keine Wüste, es war fruchtbares grünes Land, und er dachte an keine Gefahr.
Der Sumpf, an den er geführt wurde, zeigte auch keines der Merkmale, die in Europa gewöhnlich jedem, dem ein Moorboden nichts durchaus Unbekanntes ist, sofort die Beschaffenheit des Grundes verraten. Wuchs da Schilf? Nein! Zeigte sich eine verdächtige Moosdecke? Mitnichten! Hörte man Unken oder Frösche quaken? Keineswegs! Stieg da ein fauliger Modergeruch aus? Keine Rede davon.
Üppiges frisches Gras, dem es freilich an Feuchtigkeit nicht zu fehlen schien, verbarg so vollkommen den schwammigen Brei, daß selbst Peter keinerlei Verdacht schöpfte. Übrigens handelte es sich nur um einen schmalen, höchstens fünf Meter breiten Wiesenstreifen, der sich allerdings nach Osten zu stark verbreiterte, hier jedoch im Süden durch dichtes Buschwerk begrenzt wurde, das mit wenigen Schritten erreichbar schien.
Die Führer wiesen auf dieses Gebüsch und sagten: »Dort drinnen hausen die Erdschweine!«
Sofort eilte Steinberg dem Gebüsche zu, aber schon beim zweiten Schritt versank er bis an die Knie im Schlamm. Hier ging es nicht so langsam wie dort im Sandsee!
Abu Haschisch stieß einen Schreckensruf aus: was war doch er für ein Unglücksmensch, ein Verfolgter des Schicksals, daß ihm binnen so kurzer Zeit zweimal das gleiche schreckliche Ende drohte!
Sein Schrei scheuchte eine Schar wilder Hühner auf, die mit knatterndem Flügelschlag sich aus dem Röhricht erhoben, das zur Linken an Stelle des Buschwerks das andere Ufer der vermeintlichen Wiese säumte und Steinbergs Verdacht hätte erwecken können, wenn er es früher bemerkt hätte und dabei nicht so völlig ahnungslos gewesen wäre.
Über dem plötzlichen Geräusch, das durch das Auffliegen des Geflügels verursacht wurde, verlor der Baron vollends die Fassung und ließ sein Gewehr fallen, das sofort im Schlamme verschwand.
Weg war es, und er konnte es nicht wieder erobern, wenn er auch gewagt hätte, danach zu greifen. Aber auch die heimtückischen Führer waren weg: sie nahmen schleunigst Reißaus, da sie die Rache des Betrogenen fürchteten.
Glücklicherweise konnte Peter die ausgestreckten Hände seines Herrn erfassen, nachdem es diesem gelungen war, sich umzudrehen. Er war schon bis an den Bauch eingesunken, doch Grill besaß Kraft genug, ihn herauszuziehen.
Das war ein Schrecken! Abu Haschisch war froh, wieder auf festem Boden zu stehen, wenn auch mit Verlust zweier Stiefel und eines Strumpfes, wie weiland der römische Feldherr Quinctilius Varus im Teutoburger Walde, ganz ungerechnet das Gewehr!
Zerknirscht sah der beschämte Jäger an sich hinab: wie sah er aus! Eine schwarze, triefende Schlammbrühe überzog ihn bis zum Bauch. Rechts war er strümpfig, links barfüßig, ein Mißverhältnis, das seinem trauernden Auge ganz besonders wehe tat.
Er ließ sich auf den Boden niederplumpen und riß den geretteten Strumpf mit edler Wut vom Fuße, schleuderte ihn in den Morast und rief: »Fahre hin zu deinem verräterischen Kameraden, der seinen Herrn zusamt den feinen Lackstiefeln schnöde im Stiche ließ! Was fange ich an mit der armseligen Hälfte eines Strümpfepaars? Ich brauche euch nicht, ich habe der Paare noch genug. Aber Lackstiefel besitze ich kein zweites Paar! Ich muß verzichten auf diese äußeren Zeichen meines Adels und fortan grobe Schaftstiefel tragen, gleich den andern Sterblichen deutschen Geblüts, die diese Länder der Bosheit durchziehen.«
Peter Grill riß Mund und Augen auf bei diesem Helden- und Schwanengesang, den sein Herr seiner Fußbekleidung nachsandte: derartige schwungvolle Worte war er von ihm nicht gewöhnt; aber die tiefe Empörung über einen so blamierenden Hereinfall hatte den Baron in eine Stimmung versetzt, die ihn vorübergehend zum tragischen Dichter machte. An sein Gewehr aber dachte er nicht bei diesem Nachruf: und das wollte ein Jäger sein!
Der Diener schritt voran, der Herr folgte, kleinlaut und niedergeschlagen in seiner überaus traurigen Verfassung: ohne die verheißene ruhmvolle Jagdbeute, ja, ohne Gewehr, ohne Stiefel und Strümpfe, mit Kot überzogen.
Münchhausen erblickte den also heim Wankenden zuerst: »Oho!« rief er: »Was ist mit Ihnen, Baron? Haben Sie wieder in einem Getreidefeld nach seltenen Pflanzen botanisiert, daß Sie barfuß zurückkehren, wie damals in der Oase Dachel? Aber diesmal scheinen Sie ja Ihre Fußbekleidung gar nicht mehr bei sich zu führen: haben die Wüstenfüchse, die Sie erlegen wollten, Ihnen aus Rache Stiefel und Strümpfe ausgezogen und geraubt? Aber einen ganz prächtigen Anstrich haben Sie dafür Ihren Stelzen gegeben, schwarz, lehmig und dauerhaft! Sollten Sie gar wieder die Tragfähigkeit eines Moorbodens geprüft haben? Ich meine, Sie sollten vom letztenmal her genug haben.«
Auch die andern empfingen den Zerknirschten mit großem Hallo und Gelächter. Peter jedoch, die treue Dienerseele, sorgte für eine Wanne voll frischen Wassers und säuberte den so schnöde Verunstalteten, während die Zitrone schwesterlich frische Wäsche und Kleidungsstücke aus dem Gepäck hervorsuchte, damit ihr Bruder sich wieder in einen menschenwürdigen Zustand versetzen könne.
Am andern Morgen in aller Frühe weckte Steinberg seinen Diener. Er hatte die zweite Büchse geschultert, die er als Jäger vorsorglich mit auf die Reise genommen hatte.
»Ich muß meine Ehre als Jagdkundiger wiederherstellen,« sagte er stolz. »Peter, folge mir. Wir werden jagen, was es nur in dieser Oase zu jagen gibt, diesmal ohne arabische Führer, die doch sämtlich Schurken, Verräter und Spitzbuben sind, und denen ich allein alles Pech zu verdanken habe, das mich bisher verfolgte. Diesmal kehren wir nicht ohne Beute zurück: man soll staunen! Nimm deine beiden Gewehre mit, für den Fall, daß wieder eines verloren gehen sollte.«
Abu Homrah folgte diesem Befehl, obgleich er es nicht für ein gutes Zeichen jägerlichen Selbstvertrauens ansehen konnte, daß sein Herr von vornherein mit der Möglichkeit des nochmaligen Verlustes einer Flinte rechnete. So wanderten sie hinaus in das Dunkel, das sich eben zu lichten begann.
Selbstverständlich hütete sich Steinberg, den gestrigen Weg einzuschlagen, er ging vielmehr in entgegengesetzter Richtung.
Auch ermahnte er seinen Diener ernstlich: »Gehe lieber du voran und achte sorgfältig auf die Bodenbeschaffenheit. Prüfe den Grund behutsam, ehe du fest daraus trittst: die Sümpfe der Sahara und ihrer Oasen verhüllen sich in ganz niederträchtiger Weise in einen heuchlerischen Schein solider Tragfähigkeit. Ich bin nicht gesonnen, ein drittes Mal auf den Leim zu krabbeln.«
Sie waren nicht weit gewandert, als Steinberg plötzlich anhielt und fragte:
»Höre einmal, Peter, hast du schon einmal einen Wüstenfuchs gesehen?«
»Det will ik meenen!« lautete die Antwort.
»Aber einen echten, richtigen Wüstenfuchs?«
»Un wat vor eenen!« prahlte der Vater der Eselin.
»Wo denn?«
»Nu, det war in Schwanebeck, nich weit von Berlin. Da bin ik vierzehn Taje in die Sommerfrische jewesen. Nu hat sich dort so een Fuchs herumjetrieben un is jede Nacht in det Dorf jeschlichen un hat sich Hühnerbraten jeholt. Det is den Bauern unanjenehm jeworden, un sie haben ihm aufjelauert in eener dunkeln, rejnerischen Nacht. Sie haben ihn ooch erwischt un totjeprügelt. Am Morjen habe ik det Biest jesehen. Nee! wie hat det ausjeschaut! Mir hat ordentlich jejruselt: det Fell janz zerzaust un mit Lehm un Blut überzojen: so eenen wüsten Fuchs habe ik meen Lebtach nich wieder erblickt.«
»Nun, so sage einmal, ob das Tier dort drüben nicht ein Wüstenfuchs ist?«
Grill schaute nach der Richtung, die der Baron ihm wies und gewahrte ein zottiges rotfelliges Tier, das allerdings wüst genug aussah, auch einem Fuchs nicht unähnlich schien. Es hatte nun auch die Anschleichenden erspäht und sprang ihnen mit wütendem Gekläff entgegen.
»Det is, wenn ik mir nich irre, een leibhaftiger Fuchs!« rief Peter: »Un wüst is er ooch. Ik halte ihn daher aus juten Jründen for eenen echten wüsten Fuchs.«
Inzwischen war das verdächtige Geschöpf ganz nahe gekommen und drohte, nach dem Baron zu schnappen. Dieser streckte ihm den Flintenlauf entgegen, und das Tier biß danach. Steinberg drückte los: ein Fehlschuß war in dieser Lage unmöglich. Die Kugel fuhr in den Rachen und zerschmetterte die Wirbelsäule der unvorsichtigen Bestie, die tot zusammenbrach.
»Mausetot!« rief der glückliche Jäger, nachdem er sich mit aller Vorsicht überzeugt hatte, daß sein Opfer kein Lebenszeichen mehr von sich gab: »Das war ein Meisterschuß! Da werden meine Gefährten staunen!«
Abu Homrah schleppte die Beute ins Lager, wo ihm Münchhausen und Rommel entgegentraten, die der Schuß ermuntert hatte.
»Wie? Schon so frühe auf die Jagd gegangen?« fragte der Pascha: »Was bringen Sie denn da für ein Wild?«
Inzwischen traten auch die Zitrone und die Harmonika heran.
»Einen Wüstenfuchs!« berichtete der Baron stolz: »Das Tier war ganz rabiat und fiel mich an, doch habe ich es durch einen Meisterschuß auf die erste Kugel erlegt.«
»Das sieht ja aus, wie ein Hund!« sagte Hulda, das erlegte Geschöpf betrachtend.
»In der Tat, ein Beduinenhund!« rief der Professor lachend aus: »Hören Sie, Baron, aus diese Jagdbeute dürfen Sie sich nichts einbilden.«
»Wenn det keen wüster Fuchs is,« widersprach der Diener, »so habe ik noch nie eenen wüsten Fuchs jesehen.«
»Nun, ja,« nahm nun Münchhausen, ebenfalls lachend, das Wort: »Man könnte ja diesen rothaarigen Hund beinahe für einen Fuchs halten, und wüst genug sieht er auch aus; aber ein Wüstenfuchs ist er deshalb noch lange nicht.«
Jetzt kam ein alter Araber angerannt und klagte in Heller Wut, der Herr habe ihm seinen Hund, seinen treuen Hauswächter, gemordet. Vergebens verteidigte sich Steinberg, das Tier habe ihn angefallen, und wenn es tatsächlich kein reißendes Tier sei, so hätte es doch an die Kette gelegt werden sollen, und man hätte es nur an der Leine führen dürfen. Er mußte schließlich eine erkleckliche Summe als Schadenersatz erlegen und brauchte zu dem Schaden für den Spott nicht zu sorgen.
Hulda von Steinberg war ja im allgemeinen nicht eitel, noch stolz. Dennoch war es ihr nicht gleichgültig, daß ihr Bruder mit seinem meist selbstverschuldeten Pech und seiner oft haarsträubenden Einfalt, die beschönigend »Naivität« genannt zu werden pflegt, so häufig Anlaß zum heitersten Gelächter gab, das von Spott nicht frei sein konnte. Denn ein wenig Spott forderten seine Leistungen immerhin heraus, und zwar deshalb, weil sie in gar zu grellem Gegensatz zu seiner Großsprecherei standen.
Hätte er bescheidene Selbsterkenntnis gezeigt, so hätte man sein Mißgeschick bedauert, auch wenn man ein Lächeln darüber nicht hätte zurückhalten können. Weil er aber den Mund immer so voll nahm und mit seinen nicht vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten zu prahlen liebte, lösten seine häufigen Hereinfälle auch bei den gutmütigsten Menschen einige Schadenfreude aus.
Dies hatte er sich also selbst zuzuschreiben, und eben weil die Zitrone es einsah und den Lachern ihre Heiterkeit nicht übel nehmen konnte, vielmehr selber mit einstimmte, war es ihr im stillen peinlich, den Bruder sich immer wieder so bloßstellen zu sehen; als Schwester fühlte sie sich jedesmal mit betroffen.
Auf seine heutige Leistung hin war ein Entschluß in ihr gereift, den sie an diesem Abend der Harmonika mitteilte, indem sie sprach: »Höre, jetzt gehen einmal wir beide auf Jagdabenteuer aus, um den Beduinen wenigstens zu zeigen, daß wir Deutsche auch als Jäger etwas leisten können. Mein Bruder hat uns wieder fürchterlich blamiert: das dürfen wir unmöglich auf uns sitzen lassen. Es war auch töricht von ihm, gestern den lichten Tag, und heute den anbrechenden Morgen für seine Jagdversuche zu wählen: wir benutzen die ersten Nachtstunden, — das ist die allein richtige Zeit!«
Die tapfere und unternehmungslustige Monika war mit dem Vorschlag gleich einverstanden, und so schulterten die beiden Mädchen ihre Gewehre und schlichen sich bei einbrechender Dunkelheit unbemerkt aus dem Lager.
Sie schritten auf einen dichten Busch zu, der etwa zwei Kilometer von der Ansiedlung entfernt war, und der ihnen mit Recht als der geeignetste Aufenthalt von allerlei Wild erschien.
»Wenn man Glück hat, kann man hier auch auf einen Löwen treffen, sagen die Eingeborenen,« bemerkte die Baronesse.
»Glück?« fragte Monika: »Ich gehe gern auf die Jagd, habe auch schon manchen guten Schuß getan, ohne mich rühmen zu wollen, aber auf das Glück, einem Löwen zu begegnen, verzichte ich lieber. Das wäre mir doch ein zu unheimliches Zusammentreffen. Ich gedenke nicht gerade wegen des Jagdvergnügens mein kostbares Leben zu wagen. Die Araber ziehen auf die Löwenjagd nur im äußersten Notfall und dann gleich mit einem ganzen Heer von Jägern, wobei jedesmal einige unter den Pranken des Raubtiers ihr Leben aushauchen, ehe es gelingt, ihm den Garaus zu machen. Und nun denke, wir zwei schwache Mädchen!«
»Ach was! Schwach?« erwiderte die Zitrone: »Mich würde es freuen, dem König der Tiere Auge in Auge gegenüber zu stehen, und als Löwenbesiegerin in das Lager zurückzukehren; denke, wie wir dann erst diesen hasenfüßigen Gelben imponieren würden!«
»Ja, ja!« meinte die Harmonika: »Löwenbesiegerin klingt ja höchst ehrenvoll; aber der Sieg ist eben doch zu zweifelhaft. Allein das sind Possen; ein Löwe ist gewiß nicht hier herum zu finden.«
»O doch! Es haust gerade zur Zeit einer in der Oase, und zwar einer der gefürchteten Menschenfresser. Ich habe mir das berichten lassen. Die Löwen, die einmal Menschenfleisch gekostet haben, sind die gefährlichsten. Sie begnügen sich nur noch im Notfall mit Tierfleisch, sie lauern den Menschen auf und machen förmlich Jagd auf sie. Der Löwe, der seit einigen Wochen diese Gegend unsicher macht, soll schon ein halbes Dutzend Männer und Weiber gemordet haben, und die Beduinen bereiten sich bereits zu einer Löwenjagd, da sie diese gefährliche Nähe nicht länger dulden können.«
»Dann kehren wir aber doch lieber um,« meinte Monika bedenklich.
»Hast du Augst?« fragte Hulda lachend: »Sei nur ohne Sorge: uns wird er ja nicht gerade in die Hände laufen.«
»Angst?« rief die Harmonika entrüstet: »Ich — und Angst? Du beleidigst mich! Aber Tollkühnheit soll auch der Tapferste vermeiden. Allein du hast recht, wir werden nicht gerade dem Untier begegnen, und ohne Jagdbeute möchte ich nun doch nicht wieder umkehren.«
In diesem Augenblick hörten sie eilige Schritte hinter sich und hielten an.
»Ach! gnädigste Baronesse!« rief eine atemlose Stimme: »Ich sah Sie fortgehen mit dem Gewehr, da habe ich schnell auch eine Flinte geholt und bin Ihnen nachgerannt, denn ich meine, Sie gehen auf die Jagd, und so etwas möchte ich fürs Leben gern mitmachen, auch muß ich Sie doch beschützen. Aber Sie schritten so rasch aus, daß ich Sie kaum einholen konnte.«
»Ums Leben gern möchtest du an der Jagd teilnehmen?« fragte ihre Herrin: »Weißt du auch, daß es dich wirklich das Leben kosten kann?«
»I wo? Es wird doch nicht so gefährlich sein?
»Wir könnten von einem Löwen angefallen werden.«
»Nein! das wäre ja entsetzlich! Aber dann müßte ich Ihnen doch umso mehr Beistand leisten.«
»Schön von dir, aber kannst du überhaupt schießen?«
»O, ich habe schon einigemal eine Flinte abgedrückt, aber ich tue es nicht gern, denn es knallt so schrecklich in die Ohren und gibt einem einen so schmerzlichen Schlag gegen die Schulter: ich bekomme jedesmal davon ein blaues Mal.«
»Das tut nichts,« tröstete sie die Baronesse. »Aber es handelt sich darum, ob du auch treffen kannst: schießen kann schließlich jedes Kind, aber das Treffen ist auf der Jagd die Hauptsache, besonders wenn es sich um ein gefährliches Tier handelt.«
»Ob ich treffen kann, habe ich noch nicht probiert, oder vielmehr habe ich bisher jedesmal an der Scheibe vorbei geschossen.«
»Dann wirst du uns schwerlich schützen können. Da du nun aber einmal da bist, magst du uns immerhin begleiten.«
Die drei Mädchen näherten sich dem Gebüsch, und ihr Schicksal wollte, daß sie gerade auf die Stelle zugingen, in der sich der Löwe verborgen hielt. Er schickte sich in der inzwischen eingetretenen völligen Dunkelheit an, einen Raubzug anzutreten.
Ein Mark und Bein erschütterndes Brüllen drang plötzlich aus dem Dickicht, das sich nun wie eine schwarze Mauer vor ihnen erhob.
Isolde stieß einen gellenden Schrei aus, Monika wandte sich zur Flucht und selbst Hulda erbebte und zitterte an allen Gliedern. Dennoch bewahrte sie ihre Besonnenheit und rief der Freundin zu: »Bleibe stehen! Eine Flucht wäre jetzt unser sicheres Verderben. Es ist unmöglich, einem nachsetzenden Löwen zu entkommen: selbst auf einem guten Pferde ist die Aussicht hiezu gering. Wir müssen sein Hervorbrechen abwarten und dann schießen: das ist die einzige Möglichkeit, uns zu retten. Aber ruhiges Blut und sicher zielen!«
Das war nun freilich leicht gesagt. Die Baronesse selber spürte, daß es mit ihrem ruhigen Blut und ihrer sicheren Hand nicht weit her sei, zumal das fürchterliche Gebrüll nun zum zweitenmal erscholl, und zwar aus nächster Nähe.
Die Harmonika war einsichtig genug, sofort stille zu stehen und sich der Stelle zuzuwenden, von der die Gefahr drohte. Die Zofe bedurfte einer Mahnung nicht; sie war vor Schreck in die Knie gesunken und einer Ohnmacht nahe: die zitternden Glieder versagten ihr den Dienst.
Nun trat der Wüstenkönig aus dem Gebüsch und setzte zum Sprung an. Man sah sein falbes Fell sich deutlich vom dunkeln Hintergrund abheben und gewahrte das unheimliche Funkeln seiner Lichter.
Trotz ihrer Angst oder vielmehr wegen derselben, war es Isolde, die zuerst mit bebender Hand die Büchse anlegte und einen Schuß abgab. Von irgendwelchem bewußten Zielen war bei ihr keine Rede; aber der Zufall wollte es, wenn man von einem Zufall reden will, daß die Kugel des Löwen linke Pranke traf und zerschmetterte.
Aufbrüllend vor Schmerz und Wut schnellte das Tier mit einem Satz auf die unglückliche Zofe und traf sie mit der rechten Pranke auf die linke Schulter, so daß ihr Haupt auf dem Erdboden aufschlug und ihr Leib von dem schweren Körper des Angreifers auf den Grund gepreßt wurde.
Isoldes vorzeitiger, unvorsichtiger Schuß verschuldete es, daß Huldas wohlgezielte Kugel fehl ging; denn durch seinen raschen Sprung entging der Löwe dem Geschoß.
Die Harmonika, die ganz nahe bei der Zofe stand, zögerte keinen Augenblick, als sie dieselbe in solcher Lebensgefahr sah. Um ja keinen Fehlschuß zu tun, sprang sie mit einer Tollkühnheit, die sie sich zuvor selbst nicht zugetraut hätte, drei Schritte vor, so daß die Mündung ihres Gewehrs beinahe das Haupt des Löwen berührte. Sie wollte ihn ins Auge schießen, aber, da das Untier das Haupt empor hob und den Rachen weit aufriß, um ihren Arm zu packen, fuhr die Kugel ihm in den Schlund und traf die Wirbelsäule.
Das war ein tödlicher Schuß.
Dennoch wäre es um die tapfere Schützin geschehen gewesen, der sich der Löwe mit seiner letzten Kraft zuwandte, und ihr rascher Seitensprung hätte sie nicht gerettet, wenn nicht Hulda auch sofort herzugesprungen wäre, so daß sie fast unmittelbar nach Monikas Schuß dem Tier ihre zweite Kugel ins linke Auge sandte. Auch sie hatte sich so genähert, daß ihr Flintenlauf beinahe das Auge berührte, so daß ein Fehlen ausgeschlossen war.
Der verendende Menschenräuber hob die linke Pranke gegen die neue Angreiferin, doch sie war zerschmettert und kraftlos und konnte kaum noch ihren Rock mit den Krallen aufschlitzen. Die Baronesse beeilte sich, ebenfalls bei Seite zu springen, denn sie sah den Feind zu einem Sprung gegen sie ansetzen. Sie stolperte und fiel zu Boden. Vielleicht war aber eben das ihre Rettung, denn nun sprang der Löwe mit dem kurzen Satz, der ihm noch gelang, über sie hinweg.
Monika beeilte sich, Isolde, die nun von der Last befreit war, fortzuziehen. Es war ein Glück für die Zofe, daß Huldas Schuß das wütende Tier von ihr fortgelockt hatte, da es sie sonst in seinem Todeskampf zweifellos zerfleischt haben würde.
Die Zitrone sprang herbei und half, die bewußtlose Isolde fortschleppen, während sich das Raubtier nochmals wendete und den Versuch machte, seine Mörderinnen dennoch zu ereilen und sich an ihnen zu rächen. Allein der Tod schüttelte es, und sein letzter Satz hatte nicht mehr die Kraft, die Fliehenden zu erreichen. Schwer fiel der zuckende Körper ins Gras, und ein donnerndes Schmerz- und Wutgeheul war alles, was der sterbende Riese den Mädchen noch nachsenden konnte.
Zwischen diese immer noch schrecklichen Töne hinein vernahmen die Flüchtigen nun lautes Rufen menschlicher Stimmen. Sowohl das ferne Brüllen des Löwen, wie die Schüsse waren im Lager vernommen worden, und Münchhausen, Rommel, Steinberg und die Diener, gefolgt von den Arabern, eilten herbei. Von den letzteren hatten einige sich mit brennenden Fackeln versehen.
Bald trafen sie auf die Jägerinnen. Die Zofe war inzwischen wieder zum Bewußtsein zurückgekehrt. Ihre zerfleischte Schulter blutete stark, doch war das Mädchen noch so betäubt vom Todesschrecken, daß es gar nichts von Schmerzen empfand.
»Hollah! Was ist mit Ihnen los?« rief der Pascha keuchend, als er die drei erreichte: »Was fällt Ihnen ein, ohne männlichen Schutz auf die nächtliche Jagd zu gehen?«
»Es ist nur gut, daß ihr bei Zeiten umgekehrt seid,« fügte der Professor hinzu: »Euer unvorsichtiges Abenteuer war lebensgefährlich; denn es treibt sich ein gewaltiger Löwe, ein Menschenfresser, in der Gegend umher. Ihr habt ja wohl seine furchtbare Stimme vernommen. Gott sei Dank, daß es euch noch gelang, ihm zu entkommen. Aber schießen hörten wir auch: seid ihr auf sonst ein Wild getroffen?«
»Nein! Nur auf den Löwen,« sagte seine Schwester, nunmehr mit völlig ruhiger Stimme.
»Wieso auf den Löwen?« rief der Kapitän ungläubig.
»Mach keine schlechten Witze!« verwies sie der Professor ärgerlich: »Mit solchen Gefahren ist nicht zu spassen!«
»Spassen?« entgegnete die Harmonika entrüstet: »Wenn du meinst, es sei ein Spaß, mit einem Löwen anzubinden, so sieh dir das Tier erst einmal an.«
»Sie wollen doch nicht etwa sagen,« nahm nun Steinberg das Wort, »daß Sie mit dem entsetzlichen Menschenfresser zusammengetroffen sind?«
»Eben das wollen wir sagen,« antwortete für sie die Baronesse: »Deine Jägererfolge ließen uns keine Ruhe, und es blieb uns nichts übrig als eine Löwenjagd, um sie in Schatten zu stellen, oder, ehrlich gesprochen, um den Ruf der Deutschen als Jäger, den du in den Augen der Araber stark beeinträchtigt hast, wieder herzustellen.«
»Unglaublich!« brummte Münchhausen.
Unterdessen waren auch die Fackelträger herbeigekommen.
»Unglaublich?« rief Hulda entrüstet und entriß einem Araber seine Fackel, mit der sie Isoldes Schulter beleuchtete: »Hussein Pascha, da sehen Sie sich einmal mein Kammermädchen an, das unter den Pranken des Raubtiers lag, und dann halten Sie uns noch für Schwindlerinnen und Aufschneiderinnen!«
»So war es nicht gemeint!« stammelte der Kapitän, sich entschuldigend, und starrte, gleich allen andern, die bluttriefende Bluse des verwundeten Mädchens an. Peter Grill aber rief erstaunt:
»Nee! da schau eener det zarte Frauenzimmer an! Wer hätte det jejloobt? Det is een Heldenmädchen, wie et int Buch steht. Kämpft persönlich un leibhaftig mit den König der Raubtiere un erträgt die Schmerzen ohne eenen Laut von Jejammer und Jewinsel! Da muß ik mir ja schämen vor solch eener Jungfrau von Orleanx!«
Während Professor Rommel mit seiner Schwester die Verletzte ins Lager führte, um ihre Wunden auszuwaschen und zu verbinden, konnten es sich die andern nicht versagen, sich von Hulda zur Stätte des Heldenkampfes führen zu lassen.
Die Araber waren außer sich vor Staunen und Bewunderung, als sie vor Augen sahen, daß drei deutsche Mädchen den gefürchteten Menschenräuber bekämpft und besiegt hatten. Waren sie infolge von Steinbergs Jagdabenteuern der Meinung gewesen, diese Deutschen seien an Mut und Geschicklichkeit ihnen von fern nicht gewachsen, so kamen sie jetzt zur Überzeugung, daß es keine größeren Helden und gewaltigeren Jäger geben könne, als die Deutschen, wenn selbst deren Frauen so Unerhörtes leisteten! Der Baron freilich konnte den andern nicht als ebenbürtig gelten, aber Ausnahmen gibt es ja überall.
Auch der gute Franz Billinger gab seiner Verwunderung unverhohlenen Ausdruck, indem er ausrief: »Do schau her! I hob bereits an monchen Löwen in oaner Menascherie g'sehn, am Oktobafest auf der Theresienwiesen: Mordsviecha san 's g'west, dös derfst fein glaaben: aba a so an Riesen hob i moana Lebtag nit derschaut! Koan Hosenfuß is da Franzl Billinger nit: dös woaß gonz Minken und Schwobing. A so an Ungeheua aba wann ma lebendig vakimmen taat, hernach waar ma's schon lieba, i taat z'Minka hocken im Hofbräu, und in koana so ungemütlichen Oasen! Jetzt soll aba oana koan Stolz hamm, daß er a Deitscha is, wann drei deitsche Diarndeln mit a so an Wüstenkuning raafen und an kaput mochen! Wann uns wieda a Löw' vakimmt, nachher will i dobei soan, und wurd ma nit oanfolln, mi z'fürchten. Grod recht waar ma's, wann no a so an Untier um den Weg waar, daß i mit am onbändeln kunnt. Herr Professa, was moanen S'? Wann mir zwoa selband auf dö Löwenjogd ausziehn taaten? Aba ma sans Monnsleut: dös waar uns schun z'gring, wann dös a Wild vur d'Madeln is. Mir müssen uns schun an Elefonterl aussuchen, oda a Noshörndl!
»Ja, ja!« sagte Rommel lachend: »Wir müssen bei nächster Gelegenheit unsre Mannesehre retten: hat meine Schwester einen Löwen erlegt, so dürfen wir es unter einem Elefanten nicht tun: da hast du ganz recht. Also, vielleicht in der nächsten Oase!«
»Jawoi, in da nächsten Oasen!« stimmte der wackere Diener begeistert zu: »Geben S' fein Obacht, Herr Pascha: in der nächsten Oasen derlegen wir zwoa, da Herr Professa und da Franzl Billinger, no gonz andre Viecha wie a so an lumpeten Löwen, wo nix is wie a Weibawild!«
Er sollte dies Versprechen halten, wenn auch nicht gerade in der nächsten Oase, und nicht in Gemeinschaft mit dem Professor, dessen großer Jagdtag übrigens auch noch kommen sollte.
Der Pascha hatte immer noch mit dem Abschluß der Verträge zu tun, durch welche die Oase Kufra unter die Oberhoheit des ägyptischen Vizekönigs gebracht werden sollte. Die Leute waren einsichtig, und Münchhausen wußte ihnen die Vorteile eines mächtigen Schutzes so einleuchtend zu machen, daß sie sich gerne zum Anschluß an Ägypten bereit finden ließen. Eine Belebung des Handels, vorteilhafterer Absatz ihrer Erzeugnisse, wirksamer Schutz gegen räuberische Überfälle, — das schien ihnen wohl wert, eine mäßige Abgabe zu entrichten und eine Besatzung des Khediven zu dulden und zu unterhalten.
Da die Oase jedoch von vielen selbständigen, weit zerstreuten Stämmen bewohnt wurde, brauchte es Zeit, bis die Abgesandten überall hin gelangten und die Bevollmächtigten im Lager Hussein Paschas eintrafen, um den Vertrag zu unterschreiben.
Professor Rommel benutzte die Zeit, um seinen Altertumsforschungen nachzugehen, die selbst in diesen abgelegenen Gegenden inmitten der Wüste nicht umsonst waren, vielmehr recht befriedigende Ergebnisse für Abu Ramleh zeitigten. Besonders interessant erschienen dem Professor die zahlreichen alten Topfbauten der Oase, aus denen er schloß, daß Kufra schon im Altertum unter ägyptischer Herrschaft gestanden habe. Die Wände dieser Bauten waren aus gewöhnlichen Wasserkrügen und Topfscherben aufgeführt, deren Zwischenräume mit Ton verstrichen waren.
Aber eine noch ganz andere Tätigkeit entwickelte der Gelehrte, die ihn lebhaft in Anspruch nahm. Als vorsichtiger Mann hatte er sich für etwaige Krankheitsfälle mit allerlei Arzneimitteln vorgesehen, die er in einer Reiseapotheke mit sich führte.
Die Eingeborenen leben der Überzeugung, daß jeder Europäer, namentlich aber die Gelehrten, die geborenen Hakims, das heißt Ärzte oder Heilkundigen, seien, und so konnte es nicht wundernehmen, daß hier, wie schon anderwärts, die Araber ins Lager kamen, die mit irgend einem Leiden behaftet waren, das nicht von selbst besser werden wollte und ihrer hergebrachten Hausmittel, sowie der Kunst ihrer einheimischen Ärzte oder vielmehr Kurpfuscher spottete. Diese Heilung Begehrenden wurden stets zu Abu Ramleh gewiesen, da jedermann in der Karawane wußte, daß er allein Arzneien besaß, und sich, wie alle glaubten, auf die Heilkunde verstand.
Da kam ein junges Mädchen, das sich über beständige Kopfschmerzen beklagte. »Heute ist Montag,« sagte Rommel und gab ihr Chinin. Als sie am Freitag wieder kam und sagte, das Mittel habe gewirkt und die Schmerzen hätten wesentlich nachgelassen, seien jedoch noch nicht ganz geschwunden, er möge ihr das gute Mittel nochmals verabreichen, sagte der Professor: »Halt! Das geht nicht: da mußt du in drei Tagen wiederkommen. Heute ist Freitag: mache kalte, nasse Umschläge um den Kopf und um den Bauch, das wird dir helfen!«
Am nächsten Montag kam die Patientin wieder und erklärte, die Umschläge hätten Wunder gewirkt, sie habe sie diese drei Tage lang fortgesetzt, triefend naß, und der Kopfschmerz sei völlig gewichen, doch möchte sie zur Vorsicht, und damit die Wirkung anhalte, nochmals das erste Mittel nehmen.
»Wohl!« sagte der Wunderdoktor: »Du sollst es haben, denn heute ist wieder Montag.« Und er gab ihr das gewünschte Chinin.
Am Donnerstag kam ein alter Araber und beschwerte sich über ein Magenleiden. Rommel gab ihm ein starkes Brechmittel, das sofort derart wirkte, daß der Greis vermeinte, der Magen sei ihm umgestülpt worden. Ganz glücklich über eine so hervorragende Arznei, verkündete er alsbald im ganzen Dorf, er sei ein langwieriges Leiden mit einem Schlage los geworden: der Rumih sei wahrhaftig der geschickteste und gelehrteste Arzt der Welt und verfüge über wahre Zaubermittel.
Kein Wunder, daß sich des Professors Ruf bald über die ganze Oase verbreitete und die Kranken von weit her kamen, um sich seinen Wunderkuren zu unterziehen.
An einem Dienstag erschien ein Scheich, der sich seit Wochen krank fühlte, ohne sagen zu können, wo es ihm eigentlich fehle. Er bekam ein Abführmittel, das eine ganz gewaltige Wirkung ausübte. Sehr erleichtert verließ er das Lager und fühlte sich in der Tat seither geheilt.
Am Samstag kamen zwei Frauen. Die eine klagte über Gliederschmerzen, die andere über einen bösen Geist, der sie innerlich peinige, und zwar in der Brust. Beiden verabreichte der Professor eine Salbe.
Heute waren Münchhausen, die Harmonika und die Zitrone gerade in der Sprechstunde, die vor Rommels Zelt stattfand, zugegen.
Als sich die beiden Leidenden mit ihrer Salbe entfernt hatten, sagte Baronesse Hulda: »Herr Professor, ich bewundere Ihren ärztlichen Scharfblick, der sofort, ohne Untersuchung erkennt, was den Kranken fehlt, und Ihre hervorragenden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen, die es Ihnen ermöglichen, in der Wahl Ihrer Mittel nie fehl zu greifen und ohne langes Nachdenken stets das richtige und wirksamste zu treffen. Umso mehr überrascht es mich, daß Sie zwei Leidenden, die doch offenbar wesentlich verschiedene Krankheiten haben, das gleiche Mittel gaben. Verstehen Sie mich recht: nichts liegt mir ferner, als Ihre ärztliche Weisheit in Zweifel zu ziehen; Sie haben selbstverständlich Ihre wohlerwogenen und maßgebenden Gründe hiezu; aber es würde mich gar zu sehr interessieren, diese Gründe kennen zu lernen und mich von Ihnen belehren zu lassen. Wollen Sie nicht meine Neugier befriedigen?«
Die Harmonika brach bei diesen Worten in ein lustiges Gelächter aus, das ihr einen verweisenden Blick ihres Bruders und einen verwunderten Blick der Zitrone eintrug.
Münchhausen aber wandte sich ebenfalls an den Professor: »Fräulein Hulda hat recht. Man sollte ja meinen. Sie hätten Medizin studiert, und gewiß haben Sie sich mit dieser Wissenschaft eingehend beschäftigt. Ihre großartigen Erfolge sind über jeden Zweifel erhaben und beweisen unwiderleglich Ihr ärztliches Können. Aber ich hatte schon öfter Gelegenheit, Ihren Sprechstunden anzuwohnen, und da schien es mir, als ob Ihre Verordnungen etwas Eigentümliches an sich hätten, ich möchte sagen, etwas Regelmäßiges. Es ist mir aufgefallen, daß Sie für die verschiedenartigsten Leiden das gleiche Mittel anwandten und wiederum für die gleichen Krankheiten die verschiedensten Arzneien. Geholfen hat es ja meist, aber ein Rätsel bleibt es mir immerhin.«
Der Professor entgegnete mit Würde: »Sie haben ganz richtig beobachtet, werter Abu el Futha! Es liegt System in meiner Behandlungsweise, dazu bin ich ein Mann der Wissenschaft. Nur in Einem irren Sie alle beide, wenn Sie nämlich voraussetzen, ich hätte mich jemals mit der edlen Heilkunde beschäftigt. Es ist wahr, ich habe eine Hausapotheke bei mir; denn fern von jedem Arzte, muß man doch für etwaige Krankheitsfälle vorgesehen sein, das werden Sie zugeben. Leider jedoch ist mir die Arzneimittellehre ein böhmisches Dorf: ich habe keine blasse Ahnung von dem Wesen und der Wirkungsweise irgend einer meiner Arzneien, und ahne daher überhaupt nicht, gegen welche Krankheiten sie anzuwenden sind. Doch tröste ich mich damit, daß diese Kenntnis für mich durchaus wertlos wäre, denn ich verstehe auch von den Krankheiten rein gar nichts, und bin nicht in der Lage, zu beurteilen, was den Hilfesuchenden eigentlich fehlt.«
Der Pascha schüttelte verwundert den Kopf, die Zitrone aber rief: »Nein! so was! Und das sollen wir nun glauben? Aber so sagen Sie uns doch, nach welchen Gesichtspunkten Sie Ihre Mittel verordnen, und wieso ihre Wirkung eine so verblüffend heilsame ist?«
»Gesichtspunkte brauche ich selbstverständlich,« erwiderte der Gelehrte. »Das sagte ich mir gleich, als die Eingeborenen begannen, meine Apotheke in Anspruch zu nehmen. Da ich nun, wie gesagt, weder von den Krankheiten noch von den Arzneien das geringste verstehe, habe ich mir ein eigenes System erfunden, das äußerst einfach und praktisch ist und jeden Mißgriff ausschließt. Statt für jedes Leiden ein besonderes Mittel zu geben, was schon deshalb seine Schwierigkeiten hätte, weil ich ja eben die Leiden nicht zu erkennen und zu beurteilen vermag, viel weniger ahne, welches Mittel bei ihnen anzuwenden ist, behandle ich meine Patienten nach dem Kalender: ich habe für jeden Wochentag ein bestimmtes Mittel angesetzt: wer am Montag kommt, erhält Chinin; wer am Dienstag meine ärztliche Tätigkeit in Anspruch nimmt, ein Abführmittel. Mittwochs verabreiche ich ausschließlich Pepsin, Donnerstags ein Brechmittel, Freitags verordne ich kalte Umschläge und Samstags bekommen meine Patienten eine Salbe zum Einreiben. Ich habe deren verschiedene, da ich jedoch ihre Eigenschaften nicht kenne, gebe ich sie wahllos her. Für den Sonntag habe ich kein Mittel; allein das schadet nichts, denn, da der Sonntag Feiertag und Ruhetag ist, halte ich an diesem Tage keine Sprechstunde.«
Münchhausen lachte, daß sein wohlgerundeter Leib wackelte: »Ausgezeichnet!« rief er. »Das ist eine ärztliche Behandlungsweise, die Doktor Eisenbarth Ehre machen würde, und wert wäre, von mir erfunden worden zu sein! Und dabei haben wir immer die medizinische Sachkenntnis und Sicherheit des Professors bewundert und den ehrfürchtigsten Respekt vor seinen hervorragenden ärztlichen Kenntnissen gehegt! Na! Sie haben uns schön hinters Licht geführt!«
»Aber die Erfolge!« rief Hulda immer noch zweifelnd: »Die großartigen Erfolge Ihrer Kuren, wie sind die zu erklären, wenn Sie wirklich Ihre Mittel nur so aufs Geratewohl abgaben.«
»Ja, ja!« brummte Rommel nachdenklich: »Die oft verblüffend heilsame Wirkung meiner Verordnungen ist mir stets selber ein Rätsel geblieben. Aber wer sagt Ihnen denn, daß nicht die ganze ärztliche Wissenschaft bisher auf einem Holzwege wandelte? Ihre Mißerfolge sind so zahlreich, daß dieser Gedanke durchaus nicht von der Hand zu weisen ist. Dann hätte eben mein Scharfsinn ohne Vorkenntnisse das einzig Richtige getroffen, nämlich, daß die einzelnen Heilmittel nicht gegen bestimmte Leiden, die man ja doch meist nicht mit Sicherheit erkennt, sondern nur an bestimmten Wochentagen wirksam sind. Und der Zufall oder mein genialer Instinkt hätte mich gleich für jeden Tag das richtige Mittel finden lassen.«
»Nein, nein!« lachte der Kapitän: »Ihr Genie in allen Ehren; als Altertumsforscher stellen Sie Ihren Mann. Allein, daß Sie nun durch Ihr Doktor-Eisenbarthsches Kalenderheilsystem eine Umwälzung der medizinischen Wissenschaft herbeiführen werden und den Stein der Weisen gefunden haben, wie ein blindes Huhn ein Korn finden kann, das werden Sie uns doch nicht aufbinden. Eher will ich glauben, daß die gewaltige Macht der Einbildung Ihnen zu Hilfe kommt. Es ist allgemein bekannt, daß das Vertrauen, das man zu einem Arzte hegt, eine ganz wesentliche Heilkraft ausübt. Nun, Sie genossen als Europäer von Anfang an das Vertrauen dieser Araber, als müßten Sie sich auf das Heilen von Krankheiten vortrefflich verstehen. Dieser Glaube tat Wunder, und infolge dieser Wunderkuren wurde das Vertrauen zu Ihrer unfehlbaren Kunst und Ihren zauberhaft wirkenden Mitteln ins Ungemessene gesteigert, so daß die Gläubigen, die sich in Ihre Behandlung begeben, schon so gut wie geheilt sind.«
»Ich neige auch zu Ihrer Ansicht,« mischte sich nun die Harmonika ins Gespräch. »Daß mein Bruder von der Heilkunde nichts versteht, war mir genau bekannt. Sein merkwürdiges System hat er mir ja nicht verraten, ich habe ihn auch nie darum befragt, doch brachte ich durch Beobachtung bald heraus, nach welchen Grundsätzen er seine spärlichen Mittel verabreichte. Ich selber habe übrigens schon mehrere Fälle miterlebt, wo die Einbildung, oder, wenn Sie das vorziehen, das Vertrauen, wahre Heilungswunder zeitigte. Ein Fall war mir besonders merkwürdig und wenn er nicht unzweifelhaft feststünde, wäre ich versucht, ihn für eine unglaubliche Fabel zu halten.«
»Laß hören!« bat die Zitrone.
»Gerne! Aber ich schicke nochmals voraus, er klingt so wunderbar, daß er leicht Zweifel erregt. Ich verbürge mich jedoch für seine Richtigkeit, denn ich kenne die Personen und könnte sie alle nennen, auch war ich zugegen, als sich das Wunder zutrug. Also: es war in einem Dorfe des württembergischen Oberamts Öhringen, im Frankenlande, da litt ein Bauer, den ich kenne, an Magenkrebs. Der Arzt mahnte ihn öfters, sich operieren zu lassen, sonst sei er verloren. Der Mann scheute jedoch die Operation. Zuletzt bekam er aber so unerträgliche Schmerzen, daß er sich dennoch entschloß, nach Tübingen zu reisen, um sich operieren zu lassen.
»Dort wurde er in der chirurgischen Klinik chloroformiert und sein Magen geöffnet. Als der Professor jedoch einen Blick hinein getan hatte, schüttelte er den Kopf. Er zeigte den Fall den anwesenden Assistenzärzten und Studenten, und erklärte, es wäre Wahnsinn, hier noch irgend einen Eingriff versuchen zu wollen: die Erkrankung sei derart fortgeschritten, daß lediglich nichts mehr zu machen sei. Der Mann sei unrettbar verloren und habe im günstigsten Fall noch einige Wochen unter gräßlichen Qualen zu leben. Wenn das erlaubt wäre, so würde die Menschlichkeit gebieten, ihn nicht mehr aus der Narkose, aus der Betäubung, erwachen zu lassen.
»Auf die Operation wurde also verzichtet; doch, um dem Mann seine letzten Lebenstage nicht durch Hoffnungslosigkeit zu erschweren, wurde ihm nach seinem Erwachen mitgeteilt, sie sei vollzogen worden und vorzüglich gelungen. Mit diesem Trost wurde der Todeskandidat heimgeschickt, sobald er reisefähig erschien.
»Etwa zwei Jahre später kam einer der Assistenzärzte, die damals bei der unterbliebenen Operation zugegen waren, in das Heimatdorf jenes Krebskranken. Da erblickte er einen Bauern, der ihm merkwürdig bekannt vorkam: war das nicht der Krebskranke, der seit zwei Jahren tot sein mußte? Er redete ihn an: ›Hören Sie einmal! Sie haben eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit einem Manne, der an Magenkrebs litt, und vor zwei Jahren nach Tübingen kam, um sich operieren zu lassen. Sollte das ein Bruder von Ihnen gewesen sein?‹
»Der Mann lachte, und sagte: ›Nein! Das war ich selbst: die Operation ist ausgezeichnet gelungen; ich spüre seither nicht die geringsten Schmerzen mehr und bin wieder völlig gesund. Ich kann nur jedermann, der an Krebs leidet, raten, sich unverzüglich operieren zu lassen.‹
»Nun,« schloß Fräulein Rommel: »Dieser Bauer war geheilt, und blieb andauernd gesund. Kein Arzt, kein berühmter Professor der Medizin konnte ihm helfen. Aber was keine ärztliche Kunst vermochte, das brachte die Einbildung zuwege. Ich denke, sie ist es, die auch meinem Bruder seine wunderbaren Erfolge verschafft. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, daß zuweilen auch die verordneten Mittel die heilsame Wirkung hervorbringen, ganz ohne sein Verdienst.«
Mochte dem sein, wie ihm wollte, jedenfalls hinterließ Professor Rommel bei den Eingeborenen der Oase Kufra den Ruf eines ganz hervorragenden Arztes, ja eines wahren Wunderdoktors.
Es wurde Mitte Januar, bis endlich alle Geschäfte des Paschas abgewickelt waren und an den Aufbruch gedacht werden konnte.
Am Vorabend der Abreise saß der Pascha mit seinen Gefährten vor dem Zelte, im Schatten einer großen Sykomore, und alle rauchten aus ihren Tschibuks.
Abd ul Hagg, Sidi Hamed und Hadschi Mohamed hockten in nächster Nähe mit untergeschlagenen Beinen, und rauchten ebenfalls.
Münchhausen hatte keine Ahnung, daß diese drei, statt des harmlosen Tabaks, Hanf rauchten, »Haschisch« genannt, was eigentlich nur Gras oder Kraut bedeutet, womit aber besonders der zum Rauchen verwendete Hanf bezeichnet zu werden pflegt.
Dieses Haschischkraut übt auf den Raucher eine betäubende Wirkung aus, ähnlich derjenigen des Opiums. Es verursacht einen starken Rausch, in welchem man sich in einem beseligenden Zustande wähnt und die ganze Welt und die eigene Person in einem erwünschten rosigen Lichte sieht, all diese schönen Wahngebilde für lebende Wirklichkeit haltend. Diesen Zustand nennt der Araber »Kif«.
Hätte Münchhausen gewußt, daß das, was er für Tabaksblätter hielt, Hanf war, so hätte er den Rauchern diesen Genuß untersagt; denn er wollte am anderen Morgen in aller Frühe aufbrechen.
So aber sah er arglos zu, wie den anscheinend so harmlosen Gesellen das anscheinend so harmlose Kraut schmeckte, bis es zu spät war und er an der Wirkung das Haschisch erkannte.
Hamed Ben Abd er Rahman wurde zuerst von dem holden Wahnsinn ergriffen und hub an: »Willst du mir deine Tochter zum Weibe geben, o Baba el Hadschi?«
Wäre Hadschi Mohamed nüchtern gewesen, so hätte er eine solche Frage als tödliche Beleidigung aufgefaßt, und es hätte zweifellos eine blutige Szene gegeben. Denn es gilt bei den Arabern als der Gipfel der Anstandslosigkeit, wenn ein Mann um ein Mädchen anhält, noch dazu bei deren Vater. Heiratsanträge dürfen nur durch die weiblichen Anverwandten des Werbers gemacht werden, und diese müssen sie an die weiblichen Angehörigen der Begehrten richten, die allein berufen sind, dem Vater den Antrag zu übermitteln.
So aber begnügte sich Mohamed mit einem spöttischen Auslachen und der Antwort: »Dir soll ich meine Tochter geben, Kelb ibn Kelb, Hund, Sohn eines Hundes? Weißt du nicht, wer ich bin?«
»Ein armer Schlucker bist du, ich aber ein Scherif, ein Verwandter des erhabenen Propheten.«
Hadschi Mohamed brach in ein schallendes Gelächter aus: »Wärest du nicht so unverschämt gewesen, ich hätte dir ein reichliches Bakschisch gegeben, denn ich habe Mitleid mit deiner Bettelarmut, ich, der reiche Baschaga der Beni el Kramfer.«
Abd ul Hagg, der nun auch im Seligkeitsstadium war, verlor bei diesen Worten seinen würdigen Ernst gleichwie Sidi Hamed, und beide riefen, sich die Seiten haltend vor Lachen: »Saah Ja Sidi el Baschaga, Heil dir, o Herr Baschaga!«
Aber Baba el Hadschi nahm bei dieser höhnischen Huldigung eine finstere Miene an, winkte einem unsichtbaren Sklaven und schrie: »Omar, packe mir diese Hunde und wirf sie in eines meiner Silos, meiner unterirdischen Gefängnisse, damit sie ihr unverschämtes Gelächter büßen.«
»Der Kif spricht aus dir!« schrie nun Hamed Ben Abd er Rahman. »Du verträgst den Haschisch nicht wie ich, der ich stets nüchtern bleibe. Wisse, du Ausbund aller Laster, daß ich der Sohn eines wundertätigen Marabuts, eines Heiligen, bin, und dich augenblicklich in ein widerliches Schwein zu verwandeln vermag.«
Aber für Hadschi Mohamed schmachtete der Sprecher bereits im Silo; er hörte daher seine Stimme nicht und behandelte ihn als Luft. Hamed rächte sich dadurch, daß er eine gräßliche Zauberformel aussprach, durch die in seinen Augen Baba el Hadschi in ein abscheuliches Schwein verwandelt wurde. Und fortan redete er auch nicht weiter mit ihm: denn wer redet mit einem unverständigen Vierfüßler, vollends mit dem von den Mohammedanern so verabscheuten Schwein?
Abd ul Hagg aber war in seinem Rausche wie umgewandelt: dahin war die heilige Würde, mit der er sich sonst jederzeit umgab, verklärt war der finstere Ernst seiner Züge, und eine Heiterkeit ergriff ihn, die ihm in nüchternem Zustand völlig fremd war. Er gewann dadurch entschieden, so daß Franzl ihm zurief:
»Wann d's nur ollweil stockb'suffen umilaafen taatst, Fakir, nachher waarst gor koan so z'widrer Schlankl, und an ehrlicha Christenmensch kunnt a vanünftigs Wörtel mit da reden.«
Abd ul Hagg achtete dieser schmeichelhaften Worte nicht, schon aus dem Grunde, weil er sie nicht verstand, da sie auf gut Bayrisch ausgerufen wurden. Er hatte überhaupt nur Augen und Ohren für seine beiden Gefährten: für ihn waren der im Silo schmachtende Hamed und der in ein Schwein verwandelte Mohamed ein köstlicher Spaß. Vermutlich hielt er in seiner Umnebelung sogar die Einkerkerung und die Verzauberung für Tatsachen: jedenfalls tat er so, als ob er daran glaube. So rief er den Scherif an:
»Allah helfe dir, du bemitleidenswerter Gefangener! Wie behagt es dir im Schoße der Erde, tief unten in dem dunkeln, feuchten Loch? Aber wer hieß dich auch, deine unwürdigen Augen erheben zu des reichen Baschaga unvergleichlicher Tochter? Das war frevelnder Übermut, und Übermut ist der Vater des Verderbens. Gehe in dich, du Sünder, vielleicht verhelfe ich dir dann wieder an das Tageslicht, o Elendester aller Elenden! Hochzeit gedachtest du zu feiern mit der Schönsten aller Schönen, und nun schmachtest du in der widerlichen Gesellschaft ekelhafter Ratten und abscheulicher Schlangen!«
Hamed erwiderte entrüstet: »Bist auch du von Sinnen, du altes indisches Knochengerüst, das Allahs Barmherzigkeit nur dürftig mit einer ledernen Haut überkleidete, die eingeschrumpft ist, gleich einer Dattel in der Wüstenglut? Du bist wahrhaftig ein Heiliger, denn der Allmächtige hat deinen geringen Verstand entrückt in das Paradies der Huris. Sonst würdest du erkennen, daß ich mich meiner vollsten Freiheit erfreue, der freche Baschaga dagegen, der mir mit Einkerkerung drohte, durch meine Zauberkraft in ein unsauberes Schwein verwandelt wurde. Nun mag der hochmütige Narr seine Tochter behalten, zumal er gar keine hat!«
Gleichgültig gegen die Beleidigungen, die in dieser Rede enthalten waren, wandte sich Abd ul Hagg jetzt an den Hadschi: »O weh! Was muß ich sehen? Der reiche und vornehme Baschaga der Beni el Kramfer ist ein Schwein geworden, ein Tier, das jedem Gläubigen ein Greuel ist, das von Allah verfluchte und von seinem Propheten geächtete Borstentier! Was hilft dich nun dein unermeßlicher Reichtum, o Sidi? Aber du trägst selber die Schuld an deinem grausamen Schicksal: wer hieß dich auch, dem edlen Scherif, dem Abkömmling des hochgepriesenen Propheten, deine armselige Tochter zu verweigern? Was hätte es dir ausgemacht, ihm seine bescheidene Bitte zu gewähren, umsomehr, als du gar keine Tochter besitzest? War das nicht sündiger Stolz und eitle Hoffart, durch die du dich verführen ließest, wider Allahs Willen zu handeln? Siehe, Allah liebt die Demut und stürzt den Hochmut in die tiefsten Tiefen hinab. Erkennst du es nun, wie recht dir geschehen ist und wie dein Frevel es verdient, wenn jetzt die ungläubigen Hunde Schinken und Würste aus dir machen, die eklen Speisen, die kein Gläubiger anrühren mag? Wehe dir, du unreines Tier, das nur von Unreinen verzehrt wird!«
Die letzten Worte gingen dem biederen Bayern doch über den Spaß, und er begehrte gewaltig auf: »Wos sogst, du Tropf, du elendiga? An unroans Viech nennst a fette Sau? Wann nur du so sauba waarst, du drecketa Fakir! Vur so an Kerl, an elenden, is freili a Sau nit g'schoffen vun unsan Herrgott: dös brav Viecherl is vül z'gut vur an Hallodri, wi du oaner bist. Wann d's aba in doan Leben amol a G'selchts g'fressen hättst oda a Minkena Weißwürstel und a saftige Speckschworten, nachher taatst koan so olberns G'wäsch nimma vaführn: schlochten taatst den siedigen Mohamed oda Bakascha, wo in a Sau vawondelt is — zu soam großen Vurtoal —, und uns taatst zur Metzelsuppen oanloden. Wos glotzst denn mi so on mit doane Glotzaagen? Freili, an ehrliche boarische Reden kapierst nit, du Oanfaltspinserl, und noch Minka kimmst doana Lebtog nit: a so an Lumpen, an braunen, taaten d'Minkena olsbold zum Sendlinga Tor wieda außischmeißen!«
»Nee!« meinte Peter Grill: »Ihr Bayern seid doch eene jrobe Jesellschaft! An der Spree is die Höflichkeet zu Hause. He! du braune Zaunlatte, Abd ul Hagg, wie du dir nennst: ik lade dir hiemit nach Berlin in. Dort wirst du mit allen Entjejenkommen und Wohljefallen ufjenommen un wirst in eener Indischen Völkerschau dem Publikum vorjezeicht mit andere Menascherietiere. Da nimmst du eenen janzen Haufen Trinkjelder in, un die Mächens werfen dich Blicke zu, — ik saje nichts, wie — Blicke!«
»Jawoi!« nahm Billinger wieder das Wort: »Zum Onglotzen in oaner Tierbuden auf da Theresienwiesen san dö drei schun recht: do hob i nix dowida. Am Oktobafest sans kuriose Viecha grod g'nug z'schaun, zwoaboanige und vierboanige: a dreiboanigs Kolbl hob i sogar schun g'sehn, ma sollt's nit glaaben. Wanns ös do paradiern wollt, ös drei Spitzbuam, nachher los i ma dös schun g'folln. Aba, daß ös fein nit ausbrechen tut aus euren Käfig, dös taat an ondre Hatz geben, bis ma enk wieda oang'fongen hätt. Is schun amol a so a wilda Off ausbrochen, a Gurilla oda a Povion, dös is oan Hondel, — dös hot an Schrecken geben, und a moncha hot soan Moaßerl in Stich g'lossen und is dovung'rennt. Und dös Viecherl is üba Tisch und Bänk g'hupft und hot's schön Bier umg'schütt, is nur schod dovur g'west! A so taatet 's ös aa mochen, wo koan Bier nit trinken kunnt, ös blödsinnige Hoaden und Mahommediana!«
Die drei Haschischraucher hörten jedoch längst nichts mehr, ganz abgesehen davon, daß sie diese deutschen Hänseleien auch nicht verstanden hätten: alle drei waren jetzt in den Zustand des Haschischrausches verfallen, der den Trunkenen aller Wirklichkeit entrückt, und ihn fern in die paradiesischen Gefilde versetzt.
Der Hadschi und der Scherif hatten schon von der letzten Rede des Fakirs nichts mehr erfaßt; nun war auch dieser seit einer Weile verstummt und man sah seine Augen in wonniger Verzückung ins Leere starren.
Alle drei schwelgten in seligen Einbildungen und schauten Bilder himmlischer Lust, wie sich eben der Mohammedaner die Lust des Paradieses vorstellt. Von dem, was um sie her vorging, vermochte nichts mehr zu ihrem Bewußtsein zu dringen.
So hockten sie steif im Sande, bis ihre Oberkörper niedersanken und sie in einen Halbschlaf verfielen, aus dem sie nicht zu erwecken waren.
Der Kapitän und der Professor hatten sich über die närrischen Reden der Benebelten halb krank gelacht, und mehr denn je war Münchhausen überzeugt, daß die von Franz als Verräter Bezeichneten und auch von Rommel so stark Verdächtigten die harmlosesten Seelen der Welt seien.
»Wir wollen sehen, wie wir sie heute nacht auf die Beine bringen!« meinte er, als sich alle zur Ruhe begaben. »Wenn ich ja geahnt hätte, daß die Schelme den von mir strengstens verbotenen Hanf rauchten, ich hätte ihnen sofort die Pfeifen leeren lassen.
Als sich die Karawane kurz nach Mitternacht zum Aufbruch rüstete, waren die Haschischtrunkenen in der Tat durch kein Rufen noch Rütteln auf die Beine zu bringen. Sie murmelten nur: »Wenn es Tag ist!« oder »Es ist noch nicht an der Zeit!« und dergleichen.
»Jetzt passen Sie auf, wie ich die Burschen nüchtern mache,« sagte der Kapitän lachend zum Professor, holte eine Flasche Wein, die er seltsamerweise in der Oase hatte auftreiben können, und goß jedem einen Schuck über das Gesicht, indem er rief: »Trinket Wein, echten Christenwein, ihr Muselmänner, da euch der Rausch solche Lust ist.«
Wie von der Tarantel gestochen, sprangen alle drei aus.
»Ja Salam! O Himmel!« rief der Indier entsetzt: »Wir sind mit Wein befleckt! Nur eine gründliche Waschung kann uns wieder rein machen!«
Und nun eilten die so schmählich Verunreinigten, um sich aufs sorgfältigste von allen Spuren des verbotenen Tranks zu reinigen, worauf sie denn auch ganz munter wurden und den Marsch mit antraten.
Hätte der Pascha geahnt, was diese drei Scheinheiligen mit ihm vorhatten, er hätte sich gewiß keine Mühe gegeben, sie zu wecken, sondern wäre ohne sie abgezogen, goldfroh, die Schurken auf gute Art los zu sein.
Die Reise ging nun abermals durch öde Wüstenei; doch Abd ul Hagg, der die Führung wieder übernommen hatte, versicherte, man werde in keine Gefahr mehr geraten, denn es lägen noch mehrere Oasen aus dem Wege zur Messingstadt, und sie seien nicht so weit voneinander entfernt, daß von der einen zur andern ernstlicher Wassermangel zu befürchten wäre.
Freilich hatten die meisten alles Vertrauen auf des Indiers Beteuerungen verloren; selbst Franz und Monika waren nicht sehr zuversichtlich gestimmt: nur Hussein Pascha zeigte sich geneigt, ihm wieder vollen Glauben zu schenken.
Die nächste der erhofften Oasen schien jedoch weit nicht so nahe, wie es nach den Angaben des Fakirs hätte sein sollen: es trat schon wieder ein bedenkliches Schwinden des Wasservorrats ein, und der sehnsüchtige Ruf, die bange Frage: »Fen el Bir?« »Wo ist der Brunnen?« erscholl immer häufiger von den ausgedörrten, durstigen Lippen der Araber.
»Dö hamm recht!« seufzte Billinger: »Fen el Bir? Ja, wo is a Bier? Wann i jetz a Moaßerl Hofbräu oda Aagustina hoben kunnt, nachher taat i mit unsan Prinzregenten nit tauschen.«
»Aber Franz!« warf Peter ein: »Bir heeßt dich doch uf arabisch Brunnen: det weeßte doch! Von Bier is da keene Rede nich, und die Mahommedianer haben jar keene Ahnunk nich von eener bayrischen Maß oder eener echten Berliner Weeßen, die mich jetzt ooch munden täte, wenn ik ihr man nur kriejen könnte.«
»Laß ma moan Ruh, Preiß!« brummte Abu Barlah unwirsch: »A Bier is a Bier, und wann dö Orober, dö talketen, a lopprigs Wossa a Bier hoaßen, nachher san s' eben nit recht bei Trost. Für mi hoaßt: »Fen el Bir?« — »Wo is a Bier?« Und do konn i eahna nur beistimmen, denn dös is aa moan Herzenswunsch: wann i nur wieda a Bier hätt!«
»Ja, ja, ihr Bayern!« meinte Abu Homrah: »Bier is euch ›Daitschland, Daitschland, über alles!‹ Is dich die Jeschichte bekannt, die bei uns erzählt wird, von den Bayern, der drei Wünsche frei jehabt hat?«
»Loß dös G'schichterl nur los: i hob's no nit g'hört. Aba i wüßt schun, wos i ma wünschen taat, ha!«
»Vermutlich ooch nichs andres, wie deen biedrer Landsmann!« lachte der Vater der Eselin: »Also, spitze jefälligst deen Jehörorjan un vernimm det wahrhaftige Bejebnis. Een braver Bayer, just solch een patenter Kerl, wie du eener bist, hatte sich durch eene wackere Tat die Jnade des Königs verdient, un et wurde ihn eröffnet, det Seene Majestät ihn erloobe drei Wünsche auszusprechen, un sie ihn ooch erfüllen werde, wenn det möjlich sein sollte. Der jute Bayer war natürlich überjlücklich: der erste von die Wünsche machte ihn jar keen Kopfzerbrechen nich: er besann sich jar nich, sondern rief: ›Fürs erste wünsch ik mich Bier jenuch!‹ Ooch der zweete Wunsch jing ihn jlatt von die Zunge: ›Zum zweeten,‹ rief er: ›Würstel jenuch!‹ Dann aber jeriet er in die jrößte Verlejenheet von wejen den dritten Wunsch: er besann sich, kratzte sich hinter die Ohren un et wollte ihn nichs infallen. Uf eenmal, da kommt et ihn, wie eene Erleuchtunk, un er ruft mit verklärten Anjesichte: ›Un zum dritten: noch mehr Bier!‹«
»Bravo!« rief Franz lachend: »Hot's brav g'mocht, und recht hot a g'hobt! Hätt's nit ondas g'mocht an soana Stellen: z'ersten, Bier g'nug, und hernach — noch mehr Bier! Dös is da richtig Boaer g'wesen, der hot g'wißt, wos 's best ist. Jo, jo: Fen el Bir, sog i: wo is a Bier?«
Bald sollte jedoch auch für den bierdurstigen Bayern die Zeit kommen, wo ihm ein Trunk »lopprigs Wossa« genügt hätte, um alle seine Wünsche zu befriedigen; denn der Durst begann, ihm so unerträglich zu werden, wie den andern. Und da half es ihm nichts, daß er diesen Zustand schon einmal durchgemacht hatte: an das Dürsten gewöhnt man sich nie recht, und noch viel weniger an's Verdursten.
Abd ul Hagg hatte seinen teuflischen Plan nicht ausgegeben. Einmal war er mißglückt, aber glücklicherweise nicht durchschaut worden, wenigstens nicht vom Pascha, auf den schließlich alles ankam.
Der Indier beschloß daher, sein Ziel auf die schon einmal versuchte Weise zu erreichen: ein so merkwürdiger Zufall, der im letzten Augenblick einen Fehlschlag herbeiführte, war doch nicht zweimal hintereinander zu befürchten. Er führte daher die Karawane wieder absichtlich irre, was ihm durch Münchhausens Vertrauensseligkeit ermöglicht wurde.
Die Zeit der Ausführung des Planes war gekommen. Das Wasser war bereits gestern ausgegangen, die Kamele hatten schon über eine Woche keines mehr erhalten können: der Zustand von Menschen und Tieren glich genau demjenigen vor der Geisterburg. Diesmal sollte aber der Anschlag besser gelingen.
Der Fakir hatte eine streng westliche Richtung eingeschlagen und erklärt, daß man so am bäldesten die nächste Oase erreiche, die in dieser Richtung liege. In Wirklichkeit lag sie etwa zwei Tagereisen nordwestlich, und auf dem Wege zu ihr, vier Reitstunden von der Stelle entfernt, an der heute nacht gelagert werden sollte, befand sich einer jener zahlreichen geheimen Brunnen, die nur den Eingeweihten bekannt sind. Solche unbekannte Trinkgelegenheiten, von denen die gebräuchlichen Karten nichts wissen, werden von den Kundigen sorgfältig geheim gehalten, und, wenn sie nicht von Natur schon genügend versteckt liegen, mit allen Mitteln verborgen. Dies geschieht aus verschiedenen Gründen: einmal handelt es sich oft um unterirdische Brunnen, in denen sich das Wasser nur langsam und spärlich ansammelt, so daß die wenigen, denen ihre Lage bekannt ist, das größte Interesse daran haben, daß nicht auch andere sie entdecken und sie ihnen womöglich vor der Nase leer schöpfen. Sodann gestattet die Kenntnis solcher Geheimquellen den räuberischen Beduinen weite Züge durch die Wüste zu unternehmen, ohne Gefahr zu laufen, an Wassermangel zu leiden.
Wenn die überfallene Karawane ihrerseits vom Durst geschwächt ist, eben weil ihr die verborgenen Brunnen unbekannt waren, ist sie umso leichter zu überwältigen.
Nun besaß ja Abd ul Hagg Geheimkarten, auf denen die Lage solcher unterirdischer Wasserbehälter genau eingetragen war; freilich durchaus nicht aller, weil jeder Stamm, der versteckte Quellen kennt, sein Geheimnis ängstlich für sich behält, und keinem Fremden einen Einblick in seine Geheimkarten gewährt.
Nachdem nun die Quelle bei der Geisterburg der Karawane bekannt geworden war und ihr das Leben gerettet hatte, strebte der Fakir dem nächsten dieser Brunnen zu, der in seinen Karten eingetragen stand. Genau wie damals wollte er nun heute nacht mit seinen Spießgesellen aus dem Lager entweichen, an der Quelle sich stärken und Wasser fassen, um dann die Oase zu erreichen, an deren Weg sie lag. Da es sich diesmal um einen unterirdischen Wasserlauf handelte, dessen Vorhandensein durch keinerlei äußeres Anzeichen im trockenen Sande verraten wurde, so war eine Entdeckung durch Unberufene so gut wie ausgeschlossen.
Gelang die heimliche Entfernung, und das bot keinerlei Schwierigkeiten, da die Spitzbuben nicht überwacht wurden, wie es die Vorsicht geboten hätte, so konnte auch der Anschlag für gelungen gelten: Vor Tag konnten die Spuren der Entwichenen nicht erkannt werden, wenn je ihre Flucht bemerkt wurde. Ihnen aber genügten zwei Stunden, um den Brunnen bloßzulegen, sich und ihre Kamele zu tränken, und das mit Steinplatten überdachte Loch wieder derart zu verschütten und die Oberfläche einzuebnen, daß niemand hier ein Anzeichen des Quells oder ihres Aufenthaltes daselbst vermuten konnte.
Allerdings vermochten die Kamele, das Wasser zu wittern; allein der Indier hatte sich überzeugt, daß in der Karawane, auch unter den arabischen Kameltreibern niemand war, der von dieser Eigenschaft genauere Kenntnis besaß oder es verstanden hätte, das Verhalten der Tiere bei solcher Gelegenheit richtig zu deuten. Handelte es sich doch nur um Treiber, die stets auf den gewöhnlichen Karawanenstraßen hin und her gezogen waren, welche ihre bekannten, unverhüllten Wasserstellen besaßen.
Abd ul Hagg glaubte also diesmal seinen mörderischen Zweck sicher zu erreichen.
Es war ein ganz böser Marsch heute, und der rasende Durst schien unerträglicher als er jemals gewesen. Dumpfe Verzweiflung brütete über der Karawane.
Schwerfällig und träge schleppten sich die erschöpften Kamele durch den glühenden Sand, und mehr als eines war am Zusammenbrechen. Menschen und Tiere ließen den Kopf hangen, und kein Laut war vernehmbar in der drückenden Hitze, als das mühsame Stapfen der Dromedare.
Nur zwei dieser ausdauernden Tiere zeigten eine ganz außergewöhnliche Fähigkeit im Ertragen aller Strapazen und Entbehrungen: es waren diejenigen Abu Haschischs und Abu Barlahs, des Bayern, dessen Mauleselin gestern verendet war, und der daher ein Dschemel hatte besteigen müssen: der Name »Vater der Mauleselin« blieb ihm nichtsdestoweniger.
Es war ein Zufall, daß Baron Steinberg das beste Reittier besaß, jedenfalls das ausdauerndste. Er ritt jetzt an der Spitze des Zuges, nicht etwa freiwillig, sondern weil sein Sedassi, wie es als sechsjähriges Kamel genannt wurde, immer wieder die andern hinter sich ließ. Das war dem Baron äußerst unsympathisch, weil er sich gar zu lebhaft an seine Todesnot im Sandsee erinnerte, und durchaus keine Lust hatte, vielleicht wieder als Erster in einen solchen unsichtbaren Sumpf zu geraten. Er bat daher Franz Billinger, dessen Tier nächst dem seinen das munterste und schnellfüßigste war, ihm voran zu reiten, was dieser gerne tat und was ihm mit einiger Mühe auch gelang. Freilich mußte er sein fünfjähriges Teni immer wieder antreiben, während Steinberg sein Sedassi krampfhaft zurückzuhalten suchte.
Die beiden waren der schleichenden Karawane beinahe einen Kilometer vorangekommen, als Abu Haschischs Kamel plötzlich den Kopf hob, nach links drehte und lebhaft zu schnuppern begann. Dann wendete es sich halb links und setzte sich in Trab. Vergeblich suchte der Reiter, es zu zügeln: es schien von keiner Ermattung mehr etwas zu spüren und sich um die Lenkversuche seines Herrn überhaupt nicht zu kümmern: immer schneller wurde sein Gang, und nun flog es dahin wie eine Windsbraut, so daß der Baron nur noch zusehen mußte, sich im Sattel zu halten.
Münchhausen bildete mit Rommel, Grill und den drei Mädchen die Vorhut der Hauptkarawane. Als er just nach den beiden Voranreitenden Ausschau hielt, gewahrte er nach einigem Umherblicken den Ausreißer und rief verwundert: »Was ficht unsern Botaniker an: er jagt ja davon, als habe er ein Getreidefeld entdeckt, das ihm die reichste Ausbeute an seltenen Pflanzen verspricht! Dazu hält er eine ganz falsche Richtung ein.«
»Der Mann muß einen Sonnenstich erlitten haben, der seine klare Überlegung verwirrt,« meinte der Professor bedenklich: »Wir müssen ihm zu Hilfe eilen. Er reitet sein armes Tier zu schanden; es ist nur ein Wunder, daß es sich trotz seiner Erschöpfung zu solcher Eile antreiben läßt. Übrigens hätte ich dem Baron ein derartiges Reiten nie zugetraut: das geht ja wie der Wind!«
»Da ist irgend etwas nicht in Ordnung,« behauptete die Zitrone: »Mein Bruder ist nichts weniger als ein tollkühner Reiter, und ich wette, ihm ist himmelangst und bange bei diesem tollen Ritt. Das Kamel muß scheu geworden sein und geht mit ihm durch. Lassen Sie ihm doch sofort Hilfe bringen.«
»Ausgeschlossen!« entgegnete der Pascha: »Er verschwindet bereits am Horizont und von unsern Tieren ist kein einziges imstande, sich zu einem solchen Trab aufzuraffen. Scheu kann das Kamel nicht geworden sein: sagen Sie selbst, vor was sollte es scheuen in dieser öden und ausgestorbenen, eintönigen Fläche?«
»Aber er ist verloren, wenn ihm niemand Hilfe bringt,« sagte nun die Harmonika ängstlich. »Können wir nicht wenigstens die gleiche Richtung einschlagen, wie er? Sein Tier muß doch schließlich ermatten, und dann erreichen wir ihn doch noch, wenn auch erst nach Stunden.«
»Beruhige dich!« tröstete sie ihr Bruder: »Franz Billinger, die treue Seele, läßt ihn nicht im Stich: er ist ihm gleich gefolgt, und es scheint, als ob sein Kamel bereits eine ähnliche Geschwindigkeit entwickelt, wie dasjenige des Barons. Er dürfte schon in der nächsten Minute unsern Blicken entschwinden. Gewiß holt er ihn ein. Übrigens, wenn auch wir ihm zu Hilfe eilen, bedeutet dies für ihn keine Rettung: es kann sich nur darum handeln, ob er einsam verdurstet oder in unserer Gesellschaft; denn daß dieses traurige Schicksal uns allen bevorsteht, wird mir immer mehr zur Gewißheit. Abd ul Hagg ist ein Schurke, das lasse ich mir nicht ausreden.«
»Ach was!« brummte der Kapitän ärgerlich: »Immer dieselbe unbewiesene Behauptung: freiwillig verdurstet der Fakir nicht, bloß um uns zugleich dem Untergang zu weihen. Das ist meine Überzeugung!«
»Immer die gleiche unbewiesene und haltlose Überzeugung!« äffte der Professor den Pascha nach.
»Weder die eine noch die andere Überzeugung rettet uns und meinen Bruder,« bemerkte Baronesse Hulda sehr richtig. »Wenn uns übrigens das gleiche Geschick hier wie dort droht, verschlägt es uns gar nichts, die Richtung zu ändern und meinem Bruder nachzuziehen.«
»Was mir betrifft,« ließ sich Grill jetzt vernehmen, »so werde ik unbedingt den Herrn Baron nachreiten, indem daß ik seen Kammerdiener bin und mir verpflichtet fühle, ihn nich im Stiche zu lassen.«
»Brav!« lobte die Zitrone: »Und ich schlage die gleiche Richtung ein; denn als seine Schwester bin ich die Nächste dazu.«
»Woraus sich ergibt,« flötete Isolde, »daß auch ich meinen pflichtgetreuen Anschluß an die abzweigende Gruppe vollziehe.«
»Ich schließe mich an, unbedingt!« versicherte die Harmonika bestimmt.
»Dann bleibt natürlich mir, als deinem Bruder, nichts andres übrig, als auch mitzugehen,« äußerte Rommel.
Der Pascha lachte: »Der Herr der Karawane wird scheint's gar nicht befragt: Meine gesamte europäische Begleitung ist zu selbständigem Handeln entschlossen. Das ist sozusagen Gehorsamsverweigerung und Meuterei! Glücklicherweise habe ich meine Meinung noch gar nicht ausgesprochen, nach der niemand sich bewogen fühlte, zu fragen. Ich kann also der fatalen Sache ein ganz anderes Gesicht geben, indem ich hiemit den Befehl erteile: Die Karawane reitet dem Baron nach! Damit zwinge ich die Empörer zum Gehorsam, den sie mir schuldig sind.«
Als des Paschas Entschluß den Leuten bekannt gegeben wurde, erhob der Fakir einen so heftigen Einspruch, daß sein Eifer selbst Münchhausen auffiel. Der Indier erklärte:
»Erhabener Pascha, Allah erhalte dein Leben und deine Gesundheit! Dir ist die Macht über uns gegeben durch den Willen Seiner Königlichen Hoheit des Khediven, den der Spender aller Wohltaten segnen möge zum Heile seiner Untertanen. Ich aber bin der Führer der Karawane, der Wegekundige, der die Verantwortung trägt für euer aller Leben. Ich darf es nicht dulden, daß ihr zugrunde geht, durch Abweichen von dem einzigen Wege, der uns in kürzester Frist zur Oase führt, die uns Rettung bringt. Zur Linken grinst der Tod, vor uns ist das Leben: ich darf euch nicht den Weg des Todes ziehen lassen, ich muß euch den Weg des Lebens führen, daß ich vor Allah Rechenschaft geben kann über die mir anvertrauten Seelen.«
Münchhausen wurde auf diese Rede hin wieder schwankend. Der Professor aber erklärte: »Genau wie das letztemal, da wir alle verdurstet wären, wenn nicht Billinger die Quelle in den Geisterbergen entdeckt hätte, hält dieser braune Schuft uns wieder von Tag zu Tag hin mit der Verheißung der nahen Oase. Ich meinesteils beharre bei meinem Entschluß!«
»Ich auch! Ich auch!« scholl es aus dem Munde der übrigen Deutschen.
Abu el Futha sah sich dieser Entschiedenheit gegenüber machtlos und zog es daher vor, seinen Befehl aufrecht zu erhalten, so daß Abd ul Hagg sich zähneknirschend fügen mußte.
»Warum sträubst du dich so sehr gegen die Änderung der Richtung?« fragte Mohamed den Fakir, als dieser zu ihm trat. »Ist dort etwa die Oase?«
»Das nicht! Aber ich besorge, daß Abu Haschischs verwünschtes Kamel uns einen Streich spielen könnte. Einem guten Kamel ist so etwas zuzutrauen. Doch hoffe ich, daß ich mich täusche. Meine Karte ist sehr ausführlich und zuverlässig, und sie gibt glücklicherweise keinerlei Anhaltspunkt für meine Befürchtung. Schlimmer wäre es, wenn der Pascha mehr zur Rechten, nach Nordwesten ausböge; denn dort liegt der verborgene Brunnen, den wir heute Nacht aufsuchen wollen. Das Unangenehme aber für uns ist, daß wir uns nun von ihm entfernen, und unsere Nachtwanderung um mehrere Stunden verlängert wird, was uns Halbverdursteten sauer ankommen dürfte.«
»Wenn es weiter nichts ist,« beruhigte ihn der Hadschi, »so darf uns dies keine Sorge machen: die Kühle der Nacht erquickt unsre Dschemels und uns, und die Gewißheit, frisches Wasser zu finden, wird uns aufrecht erhalten. Ich sage dir, die Aussicht auf den Quell stärkt mich schon jetzt so wunderbar, daß mich die Mattigkeit und die Qualen des Durstes weniger unerträglich dünken.«
Als Steinbergs Kamel durchging, hatte Franz das seinige sofort gewendet, um ihm zu folgen. Anfangs hatte er gegen die Unlust seines Tieres zu kämpfen, das sich durchaus zu keiner rascheren Gangart antreiben lassen wollte; nach einem Ritt von zwei Kilometer jedoch wurde dies plötzlich anders: das Teni streckte den Hals vor und sog schnuppernd die Luft ein, die ihm auf der eingeschlagenen südwestlichen Richtung entgegenwehte. Und bald schlug es einen Galopp an, der dem des Sedassis Steinbergs nichts nachgab.
Franz begriff nichts von diesem Gebaren: »Dö Viecha sans verhext!« bruddelte er vor sich hin: »Z'ersten sans dö roanen Schneckenposten und hernach werdens Automobüller. He! du Automobüllskamelviech, daß d' di fein onstrengst! Woast, jetzt gilt's an Wettlaaf, ob am Baron soan Viech schnella laaft oda du: geh her, laß di nit lumpen!«
Lumpen lassen wollte sich das Teni offenbar nicht; denn es schoß nur so dahin, daß der starke Luftzug ordentlich kühlend wirkte, so glühend er im Grunde war.
Bald erschien am Horizont eine Erhebung, kaum merklich, gleich den Randsteinen eines Bürgersteigs oder Randwegs, den der Deutsche »Trottoir« zu nennen pflegt, und den man am treffendsten »Trittweg« heißen könnte. Allmählich erkannte Billinger, daß es sich um eine niedrige Felskette handelte, die sich auf etwa zwei Kilometer in der Breite durch den Sand zog. Sie bestand aus ziemlich regelmäßigen Blöcken von fünfzehn bis zwanzig Meter Höhe, war also nur haushoch und durfte kaum den Namen Hügel beanspruchen. Mehr oder weniger breite Taleinschnitte zogen sich in die Felsmauer hinein, die durch ihre Länge ersetzen zu wollen schienen, was ihnen an Höhe und Breite abging; denn sie bildeten Sackgassen von drei bis vier Kilometer Ausdehnung, so daß offenbar war, daß sich die Felsen in südlicher Richtung viel länger hinzogen, als in der west-östlichen, deren Stirnrand sie Abu Barlah zukehrten.
In eine dieser Gassen rannte das Dromedar, und nach einigen Biegungen erblickte Franz den Baron hoch auf seinem Sedassi, das eifrig mit den Hufen den Sand aufscharrte. Auch Billingers Tier hielt nun an und begann die gleiche Tätigkeit.
»Das war ein Ritt!« rief Steinberg des Professors Diener zu: »Den werde ich meiner Lebtage nicht vergessen! Mich wundert nur, daß ich nicht herabgeflogen bin: ich bin doch ein viel gewandterer Reiter, als ich dachte! Aber froh bin ich, daß du mir nachgekommen bist, Franzl: es war ein höchst unangenehmer Gedanke, so mir nichts, dir nichts, aus aller menschlichen Gesellschaft entführt zu werden in eine Einöde, wo kein lebendes Wesen zu treffen ist. Ich weiß wahrhaftig nicht, was meinem Sedassi einfiel, so Knall und Fall mit mir durchzubrennen, und was es mit dem wütenden Gescharre hier will: es scheint übergeschnappt zu sein!«
»Herr Baron!« sagte der Vater der Mauleselin: »Dö Kamöler sans begabte Viecha: i moan grod, sö hondeln mit menschlicha Übalegung oda aus übamenschlichem Instinkt, — stinken tun s' jo so wie so. Und wann s' ollboad hierher g'rennt san, nachher muß dös an bestimmten Grund und Ursachen hobn. Und mit dem vatrackten G'scharr wollen s' uns sogen: mirkts auf! Hier is was los! I moan, do herinnen muß a Schotz vagroben liegen, sunst taaten s' nit a so narrisch im Sond ummi kratzen.«
»Ein Schatz?« meinte Abu Haschisch zweifelnd: »Ich glaube kaum, daß in dieser Wüstenei große Schätze verborgen sind, und ein Kamel dürfte sich auch wohl um edle Steine und Metalle blutwenig kümmern.«
»Vazeihen S', Herr Baron,« wandte der Bayer wichtig und belehrend ein: »Wann Oana an kostboren Schotz vergroben tut, nachher vaschorrt er an nit do, wo an a jeda finden kunnt, sundan an oan recht vaborgenen, gehoamen Ort, wo koan Mensch nit hinkimmt. Und wos is do für a bessera Platz z'finden, wie dö oansam, menschenleer Wüsten? Und wos dös Intaresse vun dö Kamöla an oam Schotz betreffen tut, so woaß i nit, ob S' schun vun da Wünschelruten g'hört hamm?«
»I, selbstverständlich!« beeilte sich Steinberg, zu versichern: »Die Wünschelrute ist ja heutzutage jedem Gebildeten bekannt. Ich selber wohnte schon äußerst gelungenen Versuchen mit ihr bei, die überraschende Erfolge erzielten. Aber was hat die Wünschelrute mit den Kamelen zu tun?«
»Sehr vül hot s' mit deana Viecherl z'tun! Mirken S' auf: wann S' schun a so an Rutengänga g'sehn hobn, nachher wissen S' aa, wie soan Ruten ausschlogt, ball oan vaborgena Schotz oda a Wossa im Erdboden steckt. Jetz: glaaben S' aa, daß dö Wünschelruten sö um edle Stoana und Metolla kimmert?«
»Unsinn!« lachte der Baron: »Sie ist ein lebloses Ding, ohne Gedanken, Gefühle und Empfindungen: es handelt sich da um rein natürliche Vorgänge, bei denen zweifellos die Elektrizität eine entscheidende Rolle spielt.«
»Moanatholben soll's dö Elektrizitöt san, i hob nix dogegen. Aba wann d'Wünschelruten sö um koan Schotz nit kimmert, und doch a so gewaltig ausschlogt, wo s' an Schotz wittat, nachher seh i nit oan, worum a Kamöl, wo doch lebendiga und g'scheita is, wie a Wünschelruten, nit aa ausschlogen soll, balls an Schotz außispürt.«
»Schön! Aber wie soll es den Schatz wittern?«
»Moanetholben durch d'Elektrizitöt! I hob vurhin denken müssen, in so an Kamöl muß an elektrische Kroft stecken, sunst kunnts nit oanhersausen wie an elektrische Stroßenbahnwogen. Und sogen S' selba: warum soll a Kamölsfuß nit akkurat so ausschlogen, wie an gabelta Hoselstecken, ball a Schotz oda a Wossa in Boden steckt?«
»Höre, Franz, dein Vergleich will mir zwar nicht recht einleuchten, und ein vergrabener Schatz wäre mir im Augenblick auch nicht des Nachgrabens wert. Da aber die Wünschelrute vor allem das Vorhandensein von Wasser anzeigt, so meine ich in der Tat, wir sollten doch für alle Fälle hier nachgraben: denn, falls die Kamele wirklich etwas von den Eigenschaften der Wünschelrute besäßen, wie du vermutest, so könnte ihr Scharren bedeuten, daß hier unter dem Sande Wasser verborgen ist. Und, so unwahrscheinlich mir die Sache vorkommt, so ist für uns das Wasser zur Zeit doch so viel kostbarer als alle Schätze von Gold und Edelstein, daß die bloße Möglichkeit seiner Auffindung uns verpflichtet, einen Versuch zu machen: ein Ertrinkender klammert sich schließlich an einen Strohhalm.«
»Ha! Dersaufen wann i jetzt kunnt, stott z'vadusten, nachher hätt' i doch Wossa g'nug!« rief Billinger: »I glaab zwor ollweil, hier is a Schotz vagroben; aba wann i aa grod jetz auf koan Silba und Gold an Wert leg, nochgroben müssa ma, dorin samma oanig.«
Jetzt erst dachten beide daran, abzusteigen.
Inzwischen hatten die Kamele schon eine tiefe Höhlung in den Sand gescharrt und ließen in ihrer Tätigkeit nicht nach.
»Wir müssen die Tiere wegführen und anbinden,« meinte der Vater des Krautes, »daß wir genau an der Stelle weitergraben können, die sie uns anzeigten.«
»Mit Verlaab, Herr Baron,« widersprach Franz: »Mir hamm koan Spoten nit und koan Schaufeln: ma müßten grod mit dö Händ schaffen. Aba schauen S', dö Viecha wuhlen mit ihra Boana vül flinka, wie ma's mit unsre Händ kunnten. Lassa ma s' dö Arboat b'surgen, nachher schaun ma zu und strengen uns nit an, und kummen eahnder zum Ziel.«
»Da hast du wirklich recht,« stimmte Abu Haschisch zu, und beide setzten sich im Sande nieder, lehnten sich an einen Felsen, und sahen den angestrengt wühlenden Dromedaren zu.
Es läßt sich denken, daß die Grube, an deren Aushebung zwei Kamele mit je vier Beinen arbeiteten, einen stattlichen Umfang aufwies, der den Tieren ermöglichte, ziemlich tief zu graben: in der Mitte war sie bald einen halben Meter tief. Dann aber trafen die Hufe auf eine Steinplatte und mühten sich vergeblich ab, tiefer einzudringen.
»Du scheinst doch recht zu haben,« sagte der Baron zum Diener: »Die Platte, die hier zutage tritt, weist auf Menschenwerk hin, und ich glaube jetzt selber an die Möglichkeit, daß hier ein Schatz vergraben liegt. Freilich wäre das eine bittere Enttäuschung: Wasser wäre mir lieber! Immerhin wollen wir den Stein heben.«
Die Kamele hatten die Köpfe in die Grube hinabgesenkt und schnupperten mit geblähten Nüstern. Billinger und Steinberg hatten die größte Mühe, die Widerstrebenden mit aller Gewalt abseits zu führen, eins nach dem andern. Sie mußten sie an einer schmalen Felsnadel festbinden, da sie immer wieder zur Grube hindrängten.
Dann wurde die Felsplatte vollends vom Sande befreit, und es fand sich, daß sie aus zwei Teilen bestand, einem kleineren, kaum einen halben Meter im Quadrat messenden, und, einen Schritt weiter unten, einem zwei Meter langen und einen Meter breiten Stück, die nun beide bloßgelegt waren.
Mit geringer Mühe wurde die kleinere Platte gehoben, und ein Ausruf des Entzückens erscholl gleichzeitig aus der beiden Schmachtenden Munde: nicht elendes Gold und Silber lag hier verscharrt, keine erbärmlichen Edelsteine funkelten ihnen entgegen —: Wasser, klares, durchsichtiges Wasser war es, das einen steinernen Trog bis zum Rande füllte! Spärlich und unhörbar rann es durch eine obere Öffnung und lief durch eine an der westlichen Wandung eingebuchtete Rinne ab, jedenfalls in einen zweiten Behälter, den die andere Platte deckte, und der wohl zum Tränken der Kamele bestimmt war.
Die Verdurstenden, die schon der Anblick des heißersehnten Nasses neu belebte, dachten nicht daran, Trinkgefäße aus den Satteltaschen zu holen; allein es konnte nur einer auf einmal zu dem Wasserspiegel gelangen.
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»Koste du zuerst, Franz!« rief der Baron: »Dir verdanken wir diese Entdeckung.«
»Moanen S', da Franzl is a so a Tropf, an abärmlicha, daß er am gnädigen Herrn Baron 's Best wegsaufen taat? Dös kunnt so a brauna Halunk tun, aba koan ehrlicha Boaer. Und wann's auf dö Entdeckung onkimmt, hernach müßta ma dö Viecha z'ersten saufen lossen. Machen S' koane Kumpelmenta, sunst vadursten S' aus lauta Edelmut: saufen S', Herr Baron, saufen S'! Mir pressiert's nit a so!«
Steinberg verzichtete auf eine weitere Ausdehnung des edlen Wettstreits: er legte sich platt nieder und trank, was er trinken konnte. Endlich richtete er sich auf, mit einem tiefen Atemzuge höchster Befriedigung und sagte: »Franz, das ist wunderbar, das ist köstlich, das ist paradiesisch! So schmeckt kein Sekt!«
Billinger lag bereits am Quell und schlürfte in noch ausgiebigeren Zügen, als es Abu Haschisch vermocht hatte. Endlich war auch er vollgesogen und rief, indem er sich erhob: »Dö Orober hamm doch recht, wann s' frogen: ›Fen el Bir?‹ Dös is wohrhofti a Bier! I woaß zwoar nimma, wie so a Minkena Bier schmeckt, aba bessa auf koan Foll.«
Die Kamele, die wild an ihren Stricken zerrten, sollten nun auch ihren wohlverdienten Lohn finden, waren doch sie es, deren feiner Witterung die Auffindung der verborgenen Wasserstelle zu verdanken war. Die große Platte ließ sich jedoch nicht so leicht aus ihrer Lage bringen.
Zwei Zeltstangen wurden herbeigeholt, und nun gelang es den vereinten Kräften, mittels der Hebelwirkung den Trog aufzudecken.
Alsbald wurden die schmachtenden Tiere losgebunden. Mit drei Sätzen waren sie am Rande des Behälters und soffen, als wollten sie nicht wieder aufhören.
Mit wachsendem Staunen sah der Bayer zu, welche Unmengen der Flüssigkeit von den breiten Mäulern eingeschlürft wurden, und wie die Dromedare keine Miene machten, endlich einzuhalten. Schließlich schüttelte er bedenklich das Haupt und sprach:
»Herr Baron, schauen S' doch a Bißl hinten noch, ob dö Viecha no ganz beioanand san!«
»Waas — soll ich?« fragte Steinberg verwundert.
»Nochschaun sollen S' gnädigst, ob dö Kamöla no ganz san oda bloß no holben. Dös is doch nit menschenmögli, daß a Kamelsmogen so vül Wossa fost, wie dö saufen! Do is ma grod oang'follen, wie am Baron Minkhausen selig soan Gaul akrat a so unersättlich g'suffen hot, und wie da Baron hinten nochschaut, is da Kleppa richtig bloß no holben g'west, und 's ganz Hintatoal hot am g'fehlt: dös is am vun am Festungsgatta abg'schlogen worrn. Drum is dös ganz Wossa, wo er vurn g'suffen hot, hinten wieda außi g'laafen: mir schoant, dös is hier aa der Foll.«
Steinberg begab sich pflichtschuldigst auf die Rückseite der Dromedare, um die Sache zu untersuchen; doch konnte er alsbald dem biedern Bayern den Trost geben: »Nee! Die sind alle beide noch ganz beieinander: aber zusehends dicker werden sie, das unterliegt keinem Zweifel!«
Hierüber beruhigt, holten die beiden etwas Speise hervor, um den sich nun meldenden Hunger zu stillen. Auch die Kamele erhielten eine Handvoll Futter, nachdem sie endlich ihren Durst gelöscht hatten.
Während Baron Erich mit Rommels Diener im Schatten eines Felsens sein bescheidenes Mahl verzehrte, tauchten zwei Beduinen auf den Felsen auf, die das Tal im Süden abschlossen. Als sie die Kamele erblickten, verbargen sie sich rasch hinter einem überragenden Block und erkundeten die Lage, ohne selber gesehen werden zu können.
»Allah bewahre uns!« flüsterte der eine: »Der Scheitan, der Teufel, hat unser Geheimnis verraten. Keiner Seele außer unserm Stamm, war der Brunnen bekannt, den wir hier anlegten und so gut verbargen, nachdem uns die Witterung unseres feinnasigsten Kamels die Quelle verraten, die kein Mensch hier unter dem Sande vermuten konnte. Wenn dieser Brunnen bekannt, und gar auf den fluchwürdigen Karten verzeichnet wird, die den Karawanen so gute Dienste leisten, so ist das der größte Schaden für uns; denn verschmachtende Leute sind leichter zu überwältigen, als solche, die keinen Mangel leiden. Wir müssen es sofort dem Scheich melden. Schau! dort kommen die Besitzer der beiden Kamele hinter dem Felsen vor: es soll ihnen übel bekommen, daß sie unser Geheimnis enthüllten!«
»Es sind Rumih!« erwiderte der andere: »Allah möge sie verdammen, die Ungläubigen! Gewiß gehören sie zu der Karawane, die wir von ferne erblickten, und die gerade hieherzieht. Wahrscheinlich wurden sie als Kundschafter vorausgesandt, und wenn die andern von der Quelle noch nichts wissen, wird sie ihnen von den beiden verraten.«
»Wie aber die Kundschafter oder der Herr der Karawane auf den Gedanken kamen, sich gerade hieher zu wenden, abseits von allen Karawanenstraßen?« begann der erste wieder: »Der Scheitan muß seine Hand im Spiele haben. Wenn die Späher erst einmal hier waren, wurde ihnen das Wasser natürlich durch ihre Tiere verraten. Komm zurück zum Scheich: jedenfalls übernachten die Leute hier, denn die Sonne steht schon tief. Und ich zweifle nicht, daß der Scheich beschließt, sie heute nacht zu überfallen und unschädlich zu machen, schon um des entdeckten Geheimnisses willen, aber auch wegen der Beute.«
Damit entfernten sich die Beduinen über die Felsen nach Süden, während Steinberg und Billinger, die inzwischen die Kamele wieder bestiegen hatten, nordwärts, dem Ausgange des Tales zu ritten. Sie wollten, was sie als ihre dringendste Pflicht ansahen, den Gefährten Kunde von ihrer Entdeckung bringen, die allen das Leben retten konnte.
Sobald die freie Wüste sich wieder vor ihren Blicken dehnte, sahen sie zu ihrer Freude, daß sie nicht weit zu reiten haben würden, denn in der Ferne erblickten sie die ihnen entgegenziehende Karawane, die allerdings nur langsam und mehr schleichend sich vorwärts bewegte.
Nach einem dreiviertelstündigen Ritt erreichten sie die Kameraden und verkündigten ihnen die freudige Botschaft, die wie ein Lauffeuer die Reihen durcheilte und allgemeinen lauten Jubel hervorrief. Nur die drei Verschworenen, wenn sie auch scheinbar mit einstimmten, waren nichts weniger als erfreut über die Kunde, die ihren tückischen Anschlag wieder zuschanden machte.
»Iblis, der oberste der Scheitans, hilft diesen Ungläubigen,« knirschte Abd ul Hagg: »Meine Ahnung täuschte mich nicht, als mir das Abweichen von der Richtung, die ich einhalten wollte, bedenklich erschien! Aber Allah, der Erhabene, ist die Quelle der Allmacht und kein Scheitan kann ihm auf die Dauer widerstehen: er wird zuletzt die Christenhunde in unsere Hände liefern: der Abend aller Tage ist noch nicht gekommen, und der beste und entscheidende Sieg ist immer der letzte.«
Mit neuem Mut und neuer Spannkraft ging es jetzt dem rettenden Tale zu. Es war, als ob nun auch die Kamele das nahe Wasser witterten, und das war jedenfalls auch der Fall. Wenn auch kein anderes die außerordentlich scharfe Witterung besaß, die Steinbergs Sedassi und nächst ihm Billingers Teni bewiesen hatten und welcher die Entdeckung der Quelle zu verdanken war, so merkt doch jedes Kamel auf ziemlich große Entfernungen an einem geringen Feuchtigkeitsgehalt der Luft das Vorhandensein eines Brunnens, mag er noch so gut verborgen sein. Die beschleunigte Gangart, in welche die erschöpften Tiere verfielen, bewies zur Genüge, daß dies auch jetzt zutraf, und wenn sie auch nicht mit den frischen Kräften der beiden getränkten Kameraden auszuschreiten vermochten, so konnten sie doch in einer starken Stunde zur Stelle sein.
Die beiden Beduinen, die, wie wir wissen, die Entdeckung des verheimlichten Brunnens und das Nahen der Hauptkarawane erkundet hatten, waren inzwischen schon längst mit ihrem auf einem Raubzug begriffenen Stamme zusammengetroffen.
Das Brunnental war von einem Einschnitt, der sich auf der Südseite in die Felsen zog, nur durch einen schmalen, kaum zweihundert Meter breiten Felsrücken getrennt. In diesen Einschnitt war der Scheich Habibi mit seinen Kriegern bereits eingedrungen, als seine Späher zurückkehrten und ihm von ihrer unliebsamen Beobachtung Nachricht brachten.
Sofort traf der erboste Scheich seine Anordnungen. Er verbarg seine Leute auf dem mit Blöcken übersäten Zwischenwall und auf den Felsenmauern, die sich zu beiden Seiten des Tales hinzogen, und die ebenfalls sichere Deckung zur Genüge boten. Die äußersten Vorposten schob er auf den niedrigen Wällen bis an den Eingang der Schlucht vor, so daß sie die Wüste gegen Norden bis zum Horizont überblicken konnten.
Auf diese Weise war das Tal von drei Seiten umzingelt, und der Ausgang nach der Wüste konnte jederzeit besetzt und abgesperrt werden.
Alle befanden sich schon eine Weile auf ihrem Posten, unsichtbar für jeden Ankömmling, als die Karawane anlangte.
Bald war der Brunnen von durstigen Seelen belagert, die sich des bevorstehenden Genusses freuten und es kaum erwarten konnten, bis sie an die Reihe kamen. Doch herrschte die vom Pascha streng aufrecht erhaltene Zucht, und keiner drängte sich ungebührlich vor, wußte doch jeder, daß er bald seine Gier nach dem lebenspendenden Trunke befriedigen dürfe.
Wie immer, kamen die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft zuerst daran, dann die übrigen Europäer, hernach die Araber nach Rang und Würde, der Pascha jedoch zuletzt. Gleichzeitig wurden die Kamele getränkt, die weniger Zurückhaltung beobachteten und kaum abzuhalten waren, sich regellos auf den Trog zu stürzen. Doch mußte keines gar zu lange warten, da auf jeder Seite des Behälters drei nebeneinander Platz fanden, so daß immer sechs zugleich getränkt werden konnten.
Die Nacht brach herein, als der Durst von Menschen und Tieren endlich seine völlige Befriedigung gefunden hatte, und nun sehnten sich, nach einem kargen Imbiß, alle nur noch nach Ruhe. Die Zelte wurden aufgeschlagen und jeder lagerte sich, so gut es ging.
Feuer konnten keine unterhalten werden, das war man in der Wüste schon gewohnt: denn es mangelte völlig an irgendwelchem Brennmaterial. Zwar wurde der rasch trocknende Kamelmist sorgfältig gesammelt; allein er reichte zur Unterhaltung nächtlicher Feuer bei weitem nicht aus und wurde nur benutzt, um sich zwischenhinein eine warme Mahlzeit bereiten zu können.
Übrigens schienen Wachtfeuer hier auch ziemlich überflüssig: reißende Tiere gab es keine, und das einzige, das zu besorgen war, konnte ein räuberischer Überfall durch Beduinen sein. Ein Feuer, das doch nur einen äußerst beschränkten Umkreis schwach zu erleuchten vermochte, konnte gegen einen solchen wenig nützen, im Gegenteil, die Anwesenheit der Karawane auf weite Entfernung verraten. Ohne ein blendendes Feuer konnten die Wächter bei den nicht sehr dunklen Nächten weiter sehen, ohne selber so leicht gesehen zu werden.
Münchhausen begnügte sich damit, drei Wachtposten am Eingang des Tales aufzustellen; denn daß von einer anderen Seite Gefahr drohen könne, daran dachte niemand.
Bei der geringen Breite der Talmündung konnten die drei Posten einander bequem sehen und lagerten sich sorglos an den bestimmten Plätzen zu beiden Seiten und in der Mitte. Weniger der Vorsicht, als der Abwechslung halber, schritt zuweilen der eine oder der andere auf und ab, oder kamen sie zusammen, um sich ein wenig miteinander zu unterhalten: dadurch konnten sie sich auch am leichtesten des Schlafes erwehren, bis die Ablösung kam. Die Erschöpfung machte sich auch bei ihnen geltend.
Wenn die zwei Stunden abgelaufen waren, die jede Wächtergruppe zu wachen hatte, begab sich einer der drei ins Lager, um die Kameraden zu wecken, denen die nächste Wache zukam: denn bei der Tiefe des Schlafes, in den alle versunken waren, war nicht darauf zu rechnen, daß sie von selber erwachen und zur Ablösung kommen würden.
Der Brunnen und somit das Lager lag einen starken Kilometer weit in der Felsschlucht drinnen, auch machte diese bis dahin mehrere Biegungen, so daß die Posten weder sehen noch hören konnten, was im Lager vorging. Dies sollte sich als verhängnisvolle Unvorsichtigkeit erweisen.
Morgens gegen zwei Uhr gab der Beduinenscheich Habibi das Zeichen zum Überfall. Dieser wurde in aller Stille ausgeführt: die Angreifer kletterten lautlos ins Tal hinab und warfen sich auf die Schläfer, um sie zu entwaffnen und zu fesseln.
Da sie an Zahl den Überfallenen nur wenig nachstanden, gelang der Anschlag beinahe kampflos und fast ohne Blutvergießen.
Die Wachen am Talausgang wurden alsdann durch eine solche Übermacht überrascht, daß sie an eine Gegenwehr gar nicht dachten. Sie hielten auch die Gestalten, die sich absichtlich mit aller Gemächlichkeit ihnen näherten, bis zum letzten Augenblick für Kameraden. Zwar konnten sie sich nicht denken, warum sie schon auf seien und was sie wollten? Noch weniger jedoch konnten sie auf den Gedanken kommen, daß Feinde von dieser Seite anrücken könnten.
Durch eine merkwürdige Fügung waren Franz Billinger und Peter Grill dem Überfall und der Gefangennahme entgangen. Das ging so zu:
Als die andern sich zur Ruhe gelegt hatten, ging der Bayer noch eine Weile vor den Zelten auf und ab, um seine Pfeife auszurauchen; denn es wäre ihm unmöglich gewesen, sie halbgeraucht auszuklopfen oder gar ausgehen zu lassen. Da kam Peter auf ihn zu, der auch noch wach war.
»Du, Franzl,« redete Abu Homrah den Freund an: »Ik habe eene famose Entdeckunk jemacht! Die Nächte sin hier eklig frostik, so schauderhaft heeß die Taje sin. Nu habe ik eene Höhle aufjefunden, een herrliches, janz verborjenes Schlafjemach. Eng is se, aberst tief: ik habe keen Ende abjesehen, vonwejen die Finsternis. Ik saje dich aber, in diese Höhle is et so mollig warm, det ik den wohlüberlechten Beschluß jefaßt habe, ihr zu meenem Nachtquartier zu erheben. Ik lade dir hiemit in, meene Behausung zu teelen, aus Jroßmut und Freundschaft, un weil ik mir gemütlicher fühle, wenn ik det finstre Loch nich alleene bewohne.«
»Is ma glei recht!« schmunzelte der Bayer erfreut: »Is ma ollweil z'wida, dös Geschlotta in da Nocht: wann d's am Tog g'sutten wurst, wie a Kesselfloasch, nachher wurst auf d' Nocht an amerikanischs G'frierfloasch, wo i eh nit schmecken kann. Also, auf zu doaner warmen Kemenaten!«
Die beiden begaben sich zu der hinter Felsen wohl verborgenen Öffnung, durch die man anfangs nur kriechend gelangen konnte. Eine behagliche Wärme strömte ihnen aus den erhitzten Felsen entgegen, während es draußen schon empfindlich kühl war. Sie hüllten sich in ihre Mäntel, legten sich nieder, und schliefen bald ein. Gegen zwei Uhr erwachte Billinger: das wilde Geschrei, das aus dem Lager scholl, sowohl die Schreckensrufe der so unvermutet aus dem Schlaf Geschreckten, als das Siegesgebrüll der Beduinen verursachte ein so großes Getöse, daß es bis in die entfernte Höhle vernehmbar wurde.
Franzl lauschte eine Weile, dann weckte er Peter und sagte: »Preiß, do heraußen is wos los: horch a bißl!«
»In die Tat! Da scheent nich allens in Richtikkeet,« bestätigte Grill, nachdem er eine Weile gelauscht hatte: »Komm, Bayer, wir wollen mal nachschauen, was sich zujetrajen hat. Oder sollte et schonst der Aufbruch sin? Hier innen is et ja wohl ooch bei Taje dunkel.«
»I moan, ma san no mitten in da Nocht. Ausg'schlofen hob i no long nit. I will vuran, geh du hintaher, aber fein vursichtig!«
So schlichen sie aus der Höhle und drangen behutsam so weit vor, bis sie aus dem, was sie sahen und hörten, sich den Sachverhalt zusammenzureimen vermochten.
»Z'ruck in dö Höhlen!« flüsterte Abu Barlah: »Dös is nix ondas, wie an Übafoll vun Beduwinen, und dö Unsan san bereits g'fesselt, und zum Toal vülleicht schun abg'murkst: dös hör i aus ihrm G'schroa. Jetz müssa ma uns salviern, daß sö uns nit aa no derwischen. Hernach können ma übalegen, wos do z'mochen is.«
»Aber wir haben ja keene Waffen nich,« bemerkte Grill sehr richtig.
»Is dumm g'nug, daß ma unsre G'wehra z'ruckg'lossen hamm! Aba moan Messa hob i bei mir: dös is koan schlechte Woffen!«
»Eeen Messer besitze ik ooch: was helfen aber zwee Messer jejen eene so jroße Bande?«
»Dös wurd sö weisen. Nur koa Ongst nit, solong ma no frei san! Ma holten uns in unsra Höhlen versteckt, und spähn imma wieda außi, wie dö Sochen stehn: kimmt Zeit, kimmt Rot!«
Den Tag über mußten sich die zwei schon gedulden: da war nichts anzufangen; das erkannten sie jedesmal, wenn sie vorsichtig Ausschau hielten.
Viel schneller als sie gedacht hatten, war den Wüstenräubern eine reiche Beute in die Hände gefallen.
Vorerst hatte es keinen Zweck und war auch untunlich, den Raubzug fortzusetzen; vor allem mußte die Beute mitsamt den Gefangenen in die Oase verbracht werden, wo der Stamm zurzeit sein Lager hatte, und wo die Frauen, Greise und Kinder zurückgeblieben waren. Dann würde der Gewinn an Gütern und Kamelen verteilt. Für die Gefangenen sollte aber ein möglichst hohes Lösegeld erpreßt werden. Doch das hatte noch Zeit.
Der Pascha glaubte, den Scheich zur Rücksicht zu stimmen, indem er ihm erklärte, er reise im Auftrag des Khediven. Allein er sollte bald einsehen, daß dies auf den Beduinen nicht den geringsten Eindruck machte: was ging ihn der Vizekönig von Ägypten an? Er war ein freier Räuber, der keinen Oberherrn anerkannte und die zweifelhafte Macht des entfernten Herrschers verlachte, die keinesfalls bis in diese Einöde reichte. Ganz im Gegenteil erschien ihm nun der Fang noch viel aussichtsreicher, denn der Khedive war doch eine Persönlichkeit, die ein hohes Lösegeld zu zahlen vermochte und dies gewiß auch tun würde, um seine Leute aus der Gefangenschaft zu befreien, zumal sich eine so gewichtige Persönlichkeit unter ihnen befand.
Auf andere Art hatte Abd ul Hagg gehofft und versucht, die Freiheit für sich und seine beiden Gefährten zu erlangen. Aber auch er sah sich in seinen Erwartungen betrogen.
»Großmächtiger Scheich!« hatte er begonnen, als ihm der Anführer der Räuber die nachgesuchte Unterredung gewährte, in der er ihm wichtige Geheimnisse zu eröffnen versprach: »Allah erhalte dir Gesundheit und schenke dir langes Leben und Sieg über alle deine Feinde. Gepriesen sei er, daß er diese ungläubigen Hunde in deine Gewalt gab, die auch unsre Feinde sind, meiner und meiner Getreuen. Denn wir dienen ihnen nur zum Schein und sannen immer auf ihr Verderben, weil der Prophet befohlen hat, die Verächter unseres allein wahren Glaubens auszurotten.
»Aber nicht nur um ihres Unglaubens willen, sondern auch wegen ihrer abscheulichen und für uns schädlichen Absichten müssen sie vernichtet werden und solltest du sie ohne Gnade töten lassen. Denn wisse, daß dieser ungläubige Pascha ausgezogen ist, um die Messingstadt zu entdecken.«
»Die Messingstadt?« fragte Habibi gespannt: »Ich habe von ihr gehört: es gehen Sagen und Märchen unter uns um von dieser wunderbaren Stadt mit ihren unermeßlichen Schätzen, die in der tiefsten Wüste verborgen liegt, so daß kein Mensch ihr beikommen kann. Ich dachte, das seien alte Fabeln, wie so viele andere, und in Wirklichkeit sei die Wunderstadt gar nicht vorhanden. Glaubst du an sie?«
»Ich glaube nicht nur an sie, ich weiß gewiß, daß sie besteht, ja, ich kenne den Weg, der zu ihr führt und besitze genaue Aufzeichnungen über ihre Lage,« eiferte der Fakir unvorsichtig.
»Allah sei gepriesen!« rief der Scheich: »Da habe ich ja an dir und deinen Gefährten noch einen besseren Fang gemacht, als an dem Pascha und den Seinen! Euch hätte ich vielleicht als gläubige Moslem und arme Schlucker, von denen doch kein Lösegeld zu erwarten ist, frei gelassen. Nun ich aber weiß, daß ihr mir den Weg zu den unermeßlichen Reichtümern der Kupfernen Stadt weisen könnt, lasse ich euch um keinen Preis mehr los, auch gegen kein noch so hohes Lösegeld: ihr müßt mir zu den Schätzen verhelfen.«
»Das werden wir nicht tun!« knirschte der Indier.
»O, ich werde euch schon zu zwingen wissen!« höhnte Habibi.
Abd ul Hagg sah zu spät ein, daß er diesmal, in der Meinung, besonders schlau zu Werke zu gehen, die größte Torheit begangen hatte: vielleicht hätte ihn der Beduine tatsächlich ohne weiteres frei gegeben mit Hamed und Mohamed, da er in der Tat nicht viel von ihnen erwarten durfte. Und wenn das auch nicht der Fall gewesen wäre, so war Hussein Pascha doch ein so edler Mann, daß er gewiß dafür gesorgt hätte, daß auch für sie das verlangte Lösegeld gezahlt würde. Nun aber hatte der Indier durch den Verrat eines Geheimnisses, durch das er die Freiheit zu erlangen hoffte, gerade das Gegenteil erreicht, nämlich den Verlust jeder Aussicht auf Freilassung und dazu den Verlust der erhofften Beute aus der geheimnisvollen Stadt.
Die Beduinen wollten den Tag über hier rasten und erst morgen die Heimreise antreten, denn ihre Oase war drei Tagereisen entfernt, und sowohl sie, wie die meisten Kamele, konnten einen Ruhetag wohl brauchen, ehe sie den immerhin anstrengenden Ritt unternahmen.
Der Scheich beschloß jedoch, mit einigen Begleitern schon heute den Heimritt anzutreten, um einige Vorbereitungen zu treffen für die unerwartet frühe, beutereiche Rückkehr. Er hatte beabsichtigt, Münchhausen, Rommel und Steinberg, als die wichtigsten seiner Gefangenen, gleich mitzunehmen, da er mit zehn Mann die drei sicherer bewachen konnte, als dies im Lager der Fall war, wo die Gefangenen seine Leute an Zahl übertrafen, obgleich ihnen auch hier, gefesselt und gut bewacht, wie sie waren, keine Aussicht auf Entkommen winkte. Da er nun aber die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Fakir, der Scherif und der Hadschi noch viel wertvoller für ihn seien, zog er es vor, diese mitzunehmen, ein neuer Nachteil, den Abd ul Haggs Torheit für ihn selber und seine Spießgesellen zeitigte. Mehr als drei Gefangene wollte Habibi vorsichtshalber nicht mitschleppen, schon um nicht unnötig aufgehalten zu werden.
Erst als dieser Vortrupp abgeritten war, bemerkte der Pascha das Fehlen von Grill und Billinger.
Die Gefangenen lagen alle eng beieinander, um leichter bewacht werden zu können, so daß es auffallen mußte, die beiden in ihren Reihen zu vermissen.
»Wo sind denn Ihre Diener geblieben?« fragte der Kapitän den Baron und den Professor, die zu seinen Seiten lagen.
Beide mußten gestehen, daß sie über deren Verbleib nichts wußten, sie auch heute noch nicht gesehen hätten. Sie hatten bisher angenommen, es sei den treuen Seelen eben nicht anders gegangen, als ihnen selbst, und sie lägen wohl etwas abseits unter den Arabern. Nun mußten sie sich durch Umschau überzeugen, daß sie weit und breit nicht zu sehen waren. Auch hätten sie gewiß, wenn sie unter den Gefangenen sich befunden hätten, schon längst ein Lebenszeichen von sich gegeben mit ihren weithintragenden Stimmen.
»Sie werden doch nicht ihr Leben verloren haben bei dem Überfall?« meinte Rommel besorgt: »Sie wären die einzigen Opfer, und es wäre jammerschade gerade um diese biedern und tapfern Genossen.«
»Eben ihre Biederkeit und Tapferkeit läßt mich das Schlimmste befürchten,« begann Münchhausen wieder: »Es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß sie sich zur Wehr setzten und erschlagen wurden. Jedenfalls ist es höchst bedenklich, daß sie allein nirgends zu schauen sind.«
»Wir müssen die Beduinen nach ihrem Verbleib fragen,« schlug Steinberg vor, der nun auch um das Geschick seines treuen Kammerdieners in ernstliche Sorge kam.
»Unter keinen Umständen!« widersprach der Pascha: »Es ist immerhin möglich, daß sie Mittel und Wege fanden, der Gefangennehmung zu entgehen, und dann dürfen unsere Feinde nicht ahnen, daß zwei von uns fehlen und entkommen sind, sonst würden sie ihre Spuren aufsuchen und sie vermutlich entdecken; denn es ist kaum anzunehmen, daß sie sich weit entfernten, wenn ihnen wirklich ein Entweichen glückte. Wir würden also durch unsere Nachfrage nach ihnen nur zu ihren Verrätern und Verderbern.«
»Aber wie sollten sie dem Überfall entgangen sein?« fragte der Professor zweifelnd.
»Wie?« entgegnete Münchhausen. »Ja, das ist mir freilich ebenfalls unklar. Trotzdem müssen wir auch mit dieser unwahrscheinlichen Möglichkeit rechnen und uns demgemäß vorsichtig verhalten. Übrigens hoffe ich, auf unverfängliche Weise möglichst sichere Auskunft zu erhalten.«
Abu el Futha rief bei diesen Worten einen der Wächter herbei und fragte ihn: »Allah sei mit dir um deiner Güte willen! Da deine Güte leuchtet wie der Morgenstern, so gestatte mir eine Frage und beantworte sie mir als ein Gläubiger, der jede Lüge verabscheut, als eine Sünde wider den Höchsten und seinen Propheten. Sage denn, wie viele der Unseren sind in dem Kampfe heute Nacht gefallen oder verwundet worden?«
Der Beduine lachte: »Gefallen ist keiner,« erwiderte er: »Einen Kampf hat es ja gar nicht gegeben. Unsere Tapferkeit hat euch so verzagt gemacht, daß ihr euch nicht zu wehren vermochtet. Nur drei Kamelführer haben schwachen Widerstand versucht und trugen einige leichte Wunden davon, zur Strafe ihrer Frechheit. Ihre Verletzungen sind aber nicht der Rede wert: wir haben sie verbunden, und alle drei liegen bei den andern.«
»Keine Toten und keine Schwerverwundeten?« rief der Professor: »Das ist ja unglaublich!«
»Dennoch ist es so,« entgegnete der Wächter stolz: »Wer unsern Heldenmut und unsere Unüberwindlichkeit kennt, findet es nicht unglaublich. Ihr könnt es von jedem andern erfahren, daß ich die Wahrheit rede.«
Er rief einige Stammesgenossen herbei, die sämtlich seine Aussage bestätigten. Dadurch wurde es unsern Freunden fast zur Gewißheit, daß Grill und Billinger in der Tat sich noch in Freiheit befanden und irgendwo verborgen hielten. Freilich, was würde das helfen? Sie konnten ja unmöglich gegen eine solche Übermacht etwas zu der Freunde Rettung unternehmen. Und dann, wie wollten sie ohne Lebensmittel und ohne Kamele aus diesen Wüsten herauskommen? Wenn sie vernünftig waren, und das würden sie ja wohl sein, blieb ihnen schließlich nichts übrig, als sich freiwillig zu stellen und gefangen nehmen zu lassen, um dem sonst sicheren Tode des Verhungerns in der unermeßlichen Einöde zu entgehen.
Für die vorläufige Freiheit der beiden Diener war es übrigens ein Glück, daß die beiden gestrigen Kundschafter der Beduinen Franz nur von Ferne beobachtet hatten und weder seine Gesichtszüge noch seine Kleidung genauer hatten erkennen können. So waren die Späher nicht in der Lage, festzustellen, daß er in der Zahl der Gefangenen fehlte, vielmehr waren sie überzeugt, daß Rommel und Steinberg es gewesen seien, die zuerst an der Quelle waren; denn daß es sich um Europäer handelte, soviel hatten sie feststellen können, und daß Münchhausen nicht in Betracht kam, sagte ihnen dessen stattliche Leibesfülle, die ihnen gewiß aufgefallen wäre.
Etwas beruhigt über das Schicksal der beiden Diener, plauderten unsere Freunde miteinander, während die Vermißten fleißig, doch mit aller gebotenen Vorsicht, Ausschau nach ihnen hielten, um womöglich eine Gelegenheit zu erspähen, Rettung zu bringen. Eine solche wollte sich jedoch nicht zeigen, schien eigentlich auch undenkbar, bei der Lage der an Händen und Füßen sorgsam Gefesselten, und bei der Zahl der Wächter, die sie nicht aus den Augen ließen.
Wenn Franz und Peter dann wieder in ihrer Höhle saßen, die ihnen nun einen angenehm kühlen, vor der Glut der sengenden Sonne geschützten, dämmerhellen Aufenthalt bot, entwarfen sie die kühnsten und abenteuerlichsten Pläne, wie sie die Gefährten befreien könnten. Aber sie mußten immer wieder deren Unausführbarkeit einsehen und sich schließlich auf die Nacht vertrösten, die ihnen vielleicht irgend eine Möglichkeit bot, mit Aussicht auf Erfolg einen Anschlag zu wagen, obgleich sie sich nicht denken konnten, welche Möglichkeit das sein sollte und welche günstigen, ungeahnten Umstände eintreten könnten, um ihren Absichten zu Hilfe zu kommen.
Durst hatten sie keinen zu leiden, dank der Frische ihrer Zuflucht. An den Hunger aber dachten sie gar nicht, so ausschließlich waren sie mit ihren Rettungsplänen und Entwürfen beschäftigt.
Hulda, Monika und Isolde waren in einem Zelte untergebracht. Weniger eine ritterliche Rücksicht auf ihr Geschlecht, als vielmehr die Verachtung, welche die Beduinen für diese ungläubigen Frauenzimmer zeigten, die sich nach ihrer Meinung in nichts mit einer freien, tapfern Beduinentochter vergleichen ließen, war der Grund, daß man davon abgesehen hatte, ihre zarten Glieder zu fesseln, und sich damit begnügte, einen Wächter vor das Zelt zu stellen.
Was waren das doch für schmächtige, schwache Geschöpfe im Vergleich mit den muskelstarken, kräftigen und energischen, schwarz gebräunten Beduinenmädchen und -frauen!
Bei den Beduinen lebt das weibliche Geschlecht nicht in der strengen Abgeschlossenheit und Verborgenheit, die sonst das Leben der mohammedanischen Frauen zu einem so öden, eintönigen, langweiligen und trostlosen gestaltet. Sie gehen vielmehr unverschleiert und genießen alle mögliche Freiheit. Sie sind daher nicht bloße Spielzeuge des Mannes, auch nicht bloße Lasttiere und Arbeitssklavinnen, wie vielfach bei den Negern, sondern sie gelten etwas und haben etwas dreinzureden.
Allein diese Europäerinnen waren offenbar aus ganz anderm Holz geschnitzt, Wesen ohne Kraft und Energie. Es war fast eine Schande, sie auch nur zu bewachen!
Es war noch früh am Morgen; dennoch brannte die Sonne schon heiß auf das Zelt hernieder. Drinnen berieten sich die Zitrone und die Harmonika, wie sie etwa ihre verhältnismäßige Freiheit ausnützen könnten, um die Gefangenen zu befreien.
Die ängstliche Isolde war von diesen Plänen durchaus nicht erbaut und warnte immer wieder vor dem tollkühnen Unternehmen.
»Gnädigste Baronesse!« sagte sie: »Es ist sozusagen eine Wahnvorstellung, so etwas wagen zu wollen, indem wir nur drei schwache weibliche Wesen sind und die Beduinen fast hundert wohlbewaffnete Männer, und dann sind die Wächter da. Wenn wir etwas unternehmen, werden sie uns erschießen oder wenigstens auch binden wie die andern, was haben wir dann gewonnen?«
»Daß sie auf uns schießen, glaube ich kaum,« entgegnete Hulda. »Ausgeschlossen ist es freilich nicht, da wir nur in der Nacht etwas beginnen können und in der Dunkelheit kaum als weibliche Wesen erkannt werden dürften. Wir müssen eben mit größter Vorsicht handeln. Daß wir dabei unser Leben wagen, darf uns nicht abhalten. Übrigens brauchst du keine Sorge zu haben; dich lassen wir aus dem Spiel, da du Angst hast.«
»Angst?« sagte Isolde gekränkt: »Ich, die ich mit dem Wüstenkönig gekämpft habe und mein junges Blut vergoß, ohne mit einer Wimper zu zucken? Nee, in meinem Busen wohnt keine Angst, nur die wohlbedachte Sorge für das Wohlergehen meiner hochverehrten Herrin und ihrer Freundin; darum muß ich meine warnende Stimme erheben.«
»Schön! Wir haben sie gehört und du hast deine Pflicht erfüllt. Uns aber soll keine bedenkliche Warnung abhalten, auch unsere Pflicht zu erfüllen, darum bemühe dich nicht weiter vergeblich, die Kassandra oder die Unke zu spielen.«
»Unke ist gut!« lachte die Harmonika: »Isolde, nimm dich in acht; wenn du noch einmal mit deinen Bedenklichkeiten unsre Beratungen unterbrichst, so nennen wir dich fortan ›die Unke‹. Wenn ich Harmonika geheißen werde, und Hulda gar Zitrone, so sehe ich nicht ein, warum nicht auch du einen treffenden Spitznamen führen sollst; sind wir denn nicht viel mehr als du?«
Die Zofe schwieg, denn es wäre ihr gräßlich gewesen, statt ihres hochtönenden Namens, auf den sie so stolz war, mit dem Namen einer widerlichen schwarzen Kröte bezeichnet zu werden. Doch sie sollte ihrem Schicksal nicht entgehen, denn auf die Dauer vermochte sie weder ihr Plappermäulchen im Zaum zu halten, noch ihr im Grunde ängstliches Gemüt zu verbergen.
Allein, alle Beratungen führten zu keinem Ziel; den Mädchen wollte nichts einfallen, was irgend Aussicht auf Erfolg versprach.
»So geht es nicht!« nahm endlich die Baronesse wieder das Wort: »Wir müssen vor allem einmal die Lage in Augenschein nehmen und danach unsere Entschlüsse fassen.«
Das leuchtete ein und die drei traten vor das Zelt.
Die Gefangenen ruhten in ziemlicher Entfernung an der Ostseite des Tales in vier Reihen zu je etwa dreißig Mann, an Händen und Füßen gefesselt, und zwar so sorgfältig und gründlich, daß es ausgeschlossen war, daß auch nur einer sich von den Stricken hätte befreien können.
Sie lagen so dicht beieinander, daß ihre Körper sich berührten, und die ganze Gruppe kaum einen Raum von fünfzehn Meter Breite und acht Meter Länge einnahm. Mit dem Kopf lagen sie dem Ausgang des Tales zugewendet, mit den Füßen dem südlichen Abschluß der Schlucht. Die Wächter saßen ihnen im Rücken, nur drei Mann. Bei der geringen Ausdehnung der Reihen genügte jedoch diese Zahl, um auch bei Nacht die Liegenden derart im Auge zu behalten, daß kein einziger sich hätte unbemerkt aufrichten oder an ihnen vorüberschleichen können, hatte doch jeder der Wächter nur etwa eine Strecke von zwei Metern zu seiner Rechten und zu seiner Linken im Auge zu behalten. Im übrigen bot die Fesselung der Männer Sicherheit genug, daß keiner einen wahnwitzigen Fluchtversuch unternehmen werde: denn was konnte es ihm nützen, wenn es ihm auch gelungen wäre, aus dem Tal hinaus zu kriechen, ohne sich von seinen Banden befreien zu können? Übrigens wäre ein solcher törichter Flüchtling bald auf ein zweites Hindernis gestoßen; denn in einer Entfernung von einem halben Kilometer, an der nächsten Talbiegung, dem Ausgang zu, lagerten die Kamele, sowohl diejenigen der Beduinen, als die der Karawane geraubten. Sie nahmen die ganze Breite des Tales ein und wurden von zehn Mann bewacht. Wäre es aber einem Tollkühnen gelungen, sich auch hier unbemerkt hindurchzuschleichen, was undenkbar war, so wäre er am Ausgang des Tales noch auf fünf Wächter gestoßen, deren scharfen Augen er keinesfalls entgangen wäre.
Zu dem allem kam die wohlerwogene Lagerung der Gefangenen, die für die Bewachung besonders vorteilhaft, für einen Fluchtversuch jedoch so ungünstig als nur möglich angeordnet war; da sie die Wächter und den Talausgang im Rücken hatten, hätten sie sich aufrichten und umwenden müssen, was, enggedrängt wie sie lagen, die größten Schwierigkeiten bieten mußte, keinesfalls aber unbemerkt hätte bewerkstelligt werden können.
Trotz alledem verlor die Zitrone den Mut nicht: im Gegenteil dämmerte ihr gerade bei gründlicher Prüfung aller dieser Umstände ein Gedanke, den sie für nicht unausführbar hielt.
Die Gefesselten lagerten, wie gesagt, an der östlichen Talwand, deren Felsmauer ihnen in diesen Morgenstunden noch erfreulichen Schatten gewährte. Die Weißen befanden sich alle beieinander in der vordersten Reihe, zunächst dem Steinsockel, hatten also auch die Wohltat des Schattens am längsten zu genießen. Das war freilich nicht etwa Rücksicht, die man ihnen zu allerletzt gewährt hätte, sondern reiner Zufall. Mit der vordersten Reihe war die südlichste gemeint, gegen den Talgrund zu; sie waren also von den Wächtern am weitesten entfernt.
Die Harmonika begnügte sich mit einem Kopfschütteln, als sie die Lage rasch, doch alle Möglichkeiten überlegend, übersehen hatte.
Isolde jedoch verlieh ihren Gedanken, die mit denen der Professorsschwester übereinstimmten, Ausdruck, indem sie bemerkte: »Da ist rein gar nichts zu machen und zu wollen: es ist die augenscheinlichste Unmöglichkeit, einen Befreiungsversuch zu unternehmen.«
»Schweig, Unke!« verwies ihr ihre Herrin solche entmutigende Rede: »Im Gegenteil liegt alles so günstig wie nur möglich für ein schlaues Unternehmen.«
»Oho! Da bin ich doch begierig!« rief Monika überrascht: »Was planst du angesichts dieser Lage, die auch mir hoffnungslos erscheint?«
»Großartiges plane ich,« erwiderte Hulda: »Überlisten wollen wir die erbärmlichen Schurken. Doch zügle deine Neugierde: es gilt, gleich zu handeln. Wir müssen vor allem in die Nähe unserer Freunde gelangen: bei dem jetzigen Standort unseres Zeltes wäre allerdings jede Möglichkeit eines Erfolgs ausgeschlossen.«
Mit befehlender Stimme wandte sie sich an den Zeltwächter, den sie in arabischer Sprache anherrschte: »Laß sofort unser Zelt dort hinüber schaffen, hart an die Felswand, wo Schatten ist: die Sonne brennt hier zu heiß, das können wir nicht ertragen!«
Der Beduine hätte erwidern können, daß in einer Stunde die Sonne dort drüben ebenso heiß brennen werde wie hier; allein der gebieterische Ton überraschte ihn derart und imponierte ihm so sehr, daß er alsbald einige Kameraden herbeirief, um die Anordnung ausführen zu lassen. Irgend eine List hinter dem Begehr zu wittern, lag ihm fern; es war doch völlig einerlei, wo das Zelt stand, und daß die zarten weißen Damen nach Schatten verlangten, schien ihm die natürlichste Sache der Welt.
Als das Zelt zu den Felsen hinübergetragen wurde, folgten die drei Mädchen, und die Zitrone wies die Leute an, die Pflöcke hart neben der Felswand einzurammen, dort, wo die Mauer sich am höchsten erhob, also noch am längsten Schatten gewährte. Auch dies war eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Hier befand sich das Zelt zwei Schritte vor den europäischen Gefangenen. Die Beduinen gebrauchten immerhin die Vorsicht, es so aufzuschlagen, daß der Eingang von diesen abgewendet, nach Süden schaute. Hulda wandte nichts dagegen ein, nicht nur, weil ein Einspruch hätte auffallen und Verdacht erregen müssen, sondern auch deshalb, weil eben diese Lage des Zeltes ihren Absichten vollkommen entsprach.
Während das Zelt aufgerichtet und angepflockt wurde, traten die Mädchen zu den Gefangenen hin, ohne daß jemand daran dachte, sie zu hindern; denn keinem der Beduinen wäre der Gedanke gekommen, daß hier Anschläge geschmiedet und Befreiungspläne verabredet werden könnten.
Die Baronesse wandte sich an den Pascha: »Heute nacht,« sagte sie, »wenn es stockfinster ist, werde ich mich auf der Rückseite des Zeltes herausschleichen, natürlich mit aller Vorsicht am Boden hinkriechend, und Ihre Fesseln lösen. Ich werde dies auch bei Ihrem Hintermann und dem ersten Manne der dritten Reihe besorgen. Bis zur vierten Reihe darf ich mich freilich nicht wagen, da sonst die Gefahr zu groß wäre, daß die dicht dahinter befindlichen Wächter Unrat witterten. Die Befreiten müssen dann ihre Nebenmänner entfesseln und so fort, bis alle Mann der drei vordern Reihen frei sind. Da sie so dicht beieinander liegen, kann dies bei einiger Vorsicht unbemerkt geschehen, nur muß jedem eingeschärft werden, daß er, wenn er seinen Nachbar losgebunden hat, regungslos liegen bleibt, bis auch der Letzte seiner Stricke ledig ist. Die vierte Reihe muß vorderhand gebunden bleiben, das erheischt die Vorsicht, tut aber nichts zur Sache. Waffen haben Sie nicht; das ist unangenehm; doch meine ich, wenn alles mit der nötigen Umsicht ausgeführt wird, kann mein Plan trotzdem gelingen. Jeder hat sich mit den Stricken zu versehen, mit denen er gefesselt war. Ist das Werk vollbracht, so muß dies allen durch ein Zeichen kundgetan werden; es genügt ja, daß jeder seinen Nebenmann stupft. Dann freilich kommt das Schwierigste: die drei Wächter und der Wächter an unserm Zelt müssen mit einer Plötzlichkeit überrumpelt und geknebelt werden, daß sie keinen Warnungslaut auszustoßen vermögen. Gelingt dies, so ist das Übrige ein Kinderspiel, vorausgesetzt, daß sich alle der nötigen Vorsicht und Lautlosigkeit befleißigen. Nachdem der Scheich sich mit zehn Mann entfernte, sind außer den Wächtern bei den Kamelen und am Talausgang, die von den Vorgängen im Lager nichts vernehmen können, noch etwa siebzig Beduinen da. Nach Überwindung der vier Wächter befreien Sie die Leute der vierten Reihe; wir haben dann hundertundzwanzig Mann, also beinahe zwei auf jeden Feind. Diese müssen sich an die Schlafenden anschleichen; für die in der Mitte liegenden genügt je ein Mann, bei den andern stellen sich zwei auf. Steht jeder an seinem Posten, so werden auf ein gegebenes Zeichen alle gleichzeitig überfallen und gefesselt. Ich meine, das sollte gehen. Sorgen Sie nun dafür, daß im Laufe des Tages der Plan von Mann zu Mann weitergegeben wird und die Verhaltungsmaßregeln aufs klarste und strengste eingeschärft werden.«
»Ausgezeichnet!« rief Professor Rommel.
»In der Tat!« bestätigte Baron Erich: »Solche Verschlagenheit und List hätte ich dir gar nicht zugetraut, Schwesterchen.«
Münchhausen erhob sich jedoch halb und sah sich nach den Wächtern um. Dann schüttelte er bedenklich den Kopf und meinte: »Ich kann Ihnen meine Bewunderung über den fein ausgedachten Plan auch nicht versagen; Gefahr ist ja bei jedem einzelnen seiner Punkte und die kleinste Unvorsichtigkeit oder ein unvorhergesehener hinderlicher Umstand kann ihn in jedem Augenblicke der Ausführung zum Scheitern bringen. Doch das teilt er mit allen derartigen kühnen Überlistungsversuchen, und man muß es in Kauf nehmen. Allein der Hauptpunkt, die Überwältigung der Wächter, ehe sie einen Laut ausstoßen können, erscheint mir völlig ausgeschlossen. Da muß entweder überraschend mit einem Satz über die noch gebundenen Kameraden der letzten Reihe weggesetzt werden, oder man muß sich anschleichen. Beides aber muß von der Seite aus geschehen, der sie das Gesicht und ihre ganze Aufmerksamkeit zuwenden. Ein Umschleichen scheint mir angesichts der Lagerung der übrigen Beduinen ausgeschlossen, da sie zum Teil zwischen uns und der westlichen Felswand lagern. Ich glaube, Sie muten uns hier eine Aufgabe zu, der selbst ein Indianer nicht gewachsen wäre. Doch muß ich zugeben, daß Ihr Plan nach menschlichem Ermessen die einzige Möglichkeit zu unserer Befreiung bietet, und deshalb allen Bedenken zum Trotz ausgeführt werden muß. Dabei dürfen wir uns ja darauf verlassen, daß unser Herrgott im Himmel auch noch da ist und dem scheinbar Unmöglichen Gelingen verleihen kann.«
»Ja!« sagte die Harmonika: »Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht; siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht!«
Isolde aber wandte zaghaft ein: »Ach! das alles ist gar zu gefährlich und ein Gelingen ganz ausgeschlossen. Denn wenn nur einer der Wächter einen einzigen Schrei ausstößt, so erwacht die gesamte Bande. Ihre Gewehre haben sie ja bei sich liegen, und dann schießen sie auf uns, und wir haben keine Waffen und sind alle miteinander verloren.«
»Schweig, Unke!« sagte diesmal die Harmonika.
»Unke?« rief der Pascha lachend: »In der Tat ein passender Name für Isolde, die Bange, die Angsthäsin und Unglücksprophetin! Man könnte auch ›Nachteule‹ sagen. Ich werde sie hinfort nur noch die Unke oder Nachteule heißen.«
»Aber ich bitte doch, Herr Pascha!« rief die Zofe, halb beschämt, halb entrüstet: »Bedenken Sie, ich, die ich mit dem Wüstenkönig gekämpft habe, ohne zu mucksen, ich, die Peter Grill so treffend mit der Jungfrau von Orleans verglichen hat ...«
»Schön,« unterbrach sie der Kapitän: »Wenn du dich mutig zeigst, werde ich dich stets Johanna von Arc oder die Jungfrau von Orleans nennen; wie du aber dich ängstlich zeigst, bist du die Unke oder die Nachteule. Wir haben dann eine prächtige Auswahl treffender Namen für dich.«
Inzwischen war das Zelt aufgeschlagen und der Wächter ersuchte die Damen, sich hineinzubegeben, da sie ja eigentlich doch Gefangene seien und er mit ihrer Überwachung betraut sei, die ihm leichter falle, wenn er sein Augenmerk nur auf den Zelteingang zu richten habe.
Die drei fügten sich so rasch und widerspruchslos seinem Wunsche, daß diese Fügsamkeit ihre Harmlosigkeit und Ungefährlichkeit aufs glänzendste bewiesen hätte, wenn die Beduinen je an diesen Eigenschaften der europäischen Mädchen gezweifelt haben würden.
Der Tag verging langsam. Die Gefangenen hatten viel unter der Sonnenglut zu leiden, der sie schutzlos preisgegeben waren, sobald das höher steigende Tagesgestirn sie des Felsenschattens beraubte. Sie wälzten sich an einem fort hin und her, legten sich einmal aufs Gesicht, dann wieder auf den Rücken; einmal auf die rechte, dann auf die linke Seite, sobald sie sich auf einer Seite bis zur Unerträglichkeit gebraten fühlten. Glücklicherweise ließ man sie an Speise und Trank keinen Mangel leiden.
Während der Mahlzeiten entfesselte man ihre Hände und bewachte sie in verstärktem Maße. Das Wasser wurde ihnen aus Schläuchen eingeflößt, wenn sie danach riefen.
Endlich sank die Sonne, und dann brach die dunkle Nacht mit der Plötzlichkeit herein, die ihren Eintritt in diesen dämmerungslosen Gegenden kennzeichnet.
Während des Vormittags hatten Peter und Franz einigemal aus ihrer Höhle vorsichtig Ausschau gehalten. Vor dem Eingang der Höhle lagerten mehrere Felsblöcke, die ihn vollständig verbargen. Zwischen zweien dieser Blöcke, die sich in ihrem unteren Teile bis zu einer Höhe von anderthalb Meter berührten, befand sich oben ein schmaler Spalt, durch den sich das Tal in seiner ganzen Breite überblicken ließ, ohne daß der dahinter Stehende von außen her bemerkt werden konnte. Es hätte einer schon dicht an die Ritze herantreten müssen, um durch sie den Kopf des Spähers entdecken zu können.
Etwa zweihundert Schritte links, talaufwärts, erblickte man von hier aus die Gefangenen und ihre drei Wächter. Selbst das Zelt war zu sehen, da der Spalt sich südwärts öffnete und die Felsen einen Vorsprung ins Tal hinein bildeten. Eine zweite, ganz ähnliche Öffnung, nach der andern Seite, gestattete, das Lager der Kamele, etwa dreihundert Schritte talabwärs, zu überblicken.
Die beiden Diener kannten bald die Lage auswendig, und es hatte keinen Zweck immer wieder hinauszuspähen. Sie waren auch müde von der halb durchwachten Nacht und die Langeweile plagte sie. Daher zogen sie sich in das Innere der Höhle zurück. Zunächst lüstete es sie, zu schauen, ob die Höhle sich weiter in den Berg hineinziehe. Sie drangen also, vorsichtig tastend, in der Finsternis vor. Nach etwa zehn Minuten dämmerte ihnen ein Lichtschimmer entgegen und bald wurde es taghell. Sie traten in einen Spalt hinaus, der mit wild aufeinandergetürmten Felsblöcken angefüllt war. Hier ließ es sich mühelos emporklettern, und man befand sich auf dem Felsrücken, der das Tal im Osten säumte. Vom Tale aus konnte man hier nicht gesehen werden, da die Hochfläche tiefer lag als der fast einen Kilometer entfernte Talrand. Allein die Sonne brannte so heiß auf die Felsen, daß die Freunde sich bald wieder in die Kühle ihrer schattigen Höhle zurückzogen. Sehr lieb war es ihnen, daß sie nun ihre Pfeifen in Brand setzen konnten, ohne befürchten zu müssen, daß der Rauch sie verrate, da er hier an einer vom Lager aus unsichtbaren Stelle ans Licht stieg und sich in der Luft rasch verflüchtigte.
So brachten sie den Nachmittag rauchend und schlummernd zu, und erst kurz vor Sonnenuntergang begaben sie sich wieder an den Talausgang der Höhle, um sich durch nochmaliges Ausspähen zu überzeugen, daß die Anordnung des Lagers noch die gleiche war, wie am Vormittage.
Nun brach die Nacht bald herein, und die beiden besprachen ihren Plan zur Befreiung der Kameraden, den sie ausführen wollten, sobald sie mit Sicherheit annehmen durften, daß alles, bis auf die Wächter, in tiefem Schlafe liege.
Daß die Ablösung der Wachen alle zwei Stunden erfolgte, hatten sie wohl beobachtet: dies war ja auch das Übliche. Sie wollten daher um halb elf Uhr aufbrechen, eine halbe Stunde nach einer Ablösung. Es war ihr Plan, die drei Wächter der Gefangenen zu überrumpeln. Den Wächter vor dem Zelt hatten sie nicht sehen können, weil er ihnen durch das Zelt verborgen wurde. Sie zogen ihn daher nicht in ihre Berechnung, was ihnen leicht zum Verhängnis geraten konnte. Eigentlich hätten sie sich bei einigem Nachdenken sagen müssen, daß das Zelt nicht unbewacht sein könne. Denn, daß es die Behausung der drei Damen war, wußten sie, und daß diese ungefesselt waren, hatten sie gesehen, da sie gerade auf ihrem Beobachtungsposten standen, als es versetzt wurde und die Fräulein sich mit den Gefangenen unterhielten.
Was ihnen große Sorge machte, war der Umstand, daß es sich um drei Wächter handelte und es doch äußerst unwahrscheinlich war, daß sie zwei von ihnen überwältigen könnten, ohne daß der dritte, ganz in der Nähe befindliche, es merken und Lärm schlagen würde.
Doch der Versuch mußte gewagt werden, und sie getrösteten sich der Dunkelheit, die das Gelingen begünstigen würde. In Wirklichkeit jedoch war der Glücksfall, auf den sie sich verlassen mußten, so gut wie ausgeschlossen: auch wenn die Überwältigung der beiden ersten Wachen ohne das leiseste Geräusch gelang, was äußerst zweifelhaft erscheinen mußte, hätte doch der dritte Wächter den Vorgang bemerken müssen: denn so undurchdringlich war die Finsternis denn doch nicht, daß er nicht auf sechs Schritt Entfernung die schattenhaften Umrisse seines nächsten Genossen gesehen hätte.
Franzi wollte sich noch einmal versichern, ob sein Kamerad seiner Aufgabe auch gewachsen sei.
»Du, Preiß!« fragte er: »Hast koane Indionag'schichterln g'lesen?«
»Det will ik meenen! Als Knabe habe ik eene janze Menge solcher Schmöker verschlungen: det war jeradezu meene Leidenschaft.«
»Dös is recht! Nachher wurst schun wissen, wie sö oaner an den Feind onschleichen muß: aus am Bauch müssa ma kraxeln, daß uns koaner derschaut, und fein langsam vuran, wia da Krähwinkla Londsturm, daß koan Laut nit z'hören is!«
»Nur keene Sorje nich: werde ik schon bewerkstelligen! Ik leje mir bereits platt mit meenem Leibesjewölbe uf den Sandboden — un nu voran!«
»Aba, daß d' fein Obacht gibst, Preiß! Is jo finsta g'nug: aba stad mußt soan, mäuserlstad! Nur ollweil mir noch! I kraxl vuran, weil i schun an Übung hob im Onschleichen, aus em Korl May, wo i g'lesen hob. Mit oana Hand hebst di an moana Haxen, daß ma uns nit valiern bei dö Kuhdunkelhoat. Hinta am ersten vun deana Hallodri bleibst liegen, und ball mi siehst aufspringen, nachher mit oan Sotz auf, und mit boade Händ soan Hols umklommat! Und daß d' fei glei fest zupockst und soan Gurgel würgst, daß a koan Luft nit kriegt zum Stöhnen: oan Laut, und ma san hin! Dös kannst da oanbülden. Dös is fein koan Kirtatanz nit und koan Raafen, wie unta ehrliche Burschen, wo's an Mordsspektakel gibt. Hier hoaßt's: stad, stad, und nomol stad! Wann d's nachher mirkst, daß da Kerl schlapp werrn tut und z'sommenknackst, alsdann loßt an mit oana Hond los und stopfst am doan Fazinetterl ins Maul: aufsperrn tut a 's eh, dös geb i da schriftlich. Daweilen bin i mit am moanen längst ferti und moch an dritten stumm. Alsdann aba topfa! Dö G'fongnen dö Strick durchschnitten, ritsch, ratsch! und mit dö Soala dö Wächta binden, bevur s' wieda zu eahna kimmen: dös muß gehn, wie mit an Automobüll! Und noch oans! daß d' fein nit vergißt, dö G'fongne zuzuflüstern, daß sö eahna ihr werts Maulwerk holten, bei Todesstrof. Aba dös sogst an fein auf Orobisch, indem daß koana doan Berlinerisch Gewelsch kapiert, wurd jo ollweil mir schwer g'nug, z'kapieren, was d' so schnurrig doherredst.«
»Nanu!« sagte Peter gekränkt: »Ik rede jebildetes Daitsch. Jlaubst denn du, det die Beduinen deen bayrisch Jetratsche besser verstehn? Aber ik werde unsre Kamelstreiber schon in feinsten Arabisch anreden: ›Bei Allah un seenen Propheten, seid man so jut un haltet jefälligst eure Schnute, indem det ihr sonst Kinder des leibhaftigen Todes seid, un euer famoser Iblis mit allen seenen Scheitans euch stückweise in seene eklige Dschehennah befördern wird!‹«
»A so a lange Reden derfst fein nit holten! A Schwatzbasen bist, dös woaß i eh aus Erfohrung. Aba dösmal nimm die fein z'sommen mit doana Mauldiarrhöe, wann d's nit olles vaderben willst. I sog da bloß zwoa Wörterln: stad und flink! Und jetz mir noch, Preiß!«
Damit begann Abu Barlah seine mühsame Kriechwanderung auf dem Bauch. Abu Homrah hielt sich vorschriftsmäßig an seinem Stiefelabsatz und folgte ihm: so ging es langsam und lautlos durch die Nacht in den Rücken der Wächter.
Schon um halb neun Uhr hatte die Zitrone das Zelt verlassen, natürlich auf der Rückseite, sich unter dem Zelttuch durchzwängend. Die beiden andern folgten ihr. Anfangs hatte sie das nicht zugeben wollen, wenigstens nicht der Kammerzofe; aber sie hatten so lange gebeten und versichert, wie leise und behutsam sie zu Werke gehen würden, daß sie schließlich nachgab, zumal sie sich sagte, daß viel Zeit gespart würde, wenn sie gleichzeitig zu dritt handelten.
Isolde, die Unke, hatte in der ersten Reihe Münchhausens Bande zu lösen; die Harmonika entfesselte den ersten Mann der zweiten, die Zitrone den ersten der dritten Reihe. Da kein Messer zur Hand war, die Stricke also aufgeknüpft werden mußten, ging die Arbeit nicht so rasch vonstatten, zumal man sich bei der Dunkelheit ganz auf das Tastgefühl verlassen mußte. Es war aber auch besser, wenn die Stricke unversehrt blieben, da sie dazu dienen sollten, die Beduinen zu fesseln: freilich brauchte man zu diesem Zweck nicht viel mehr als die Hälfte.
Als die drei Mädchen mit der Befreiung der drei Männer zustande gekommen waren, zogen sie sich wieder bis zum Zelt zurück, blieben jedoch im Freien. Unterdessen ging das weitere Befreiungswerk planmäßig vonstatten: sobald einer die Hände frei hatte, machte er sich an die Arbeit bei seinem Nebenmann zur Rechten, während sein Nachbar zur Linken ihm die Füße entfesselte.
Die Araber entwickelten eine solche Gewandtheit im Aufknüpfen der Bande, daß schon um zehn Uhr das Werk beinahe vollendet war. Da nun die Ablösung der Wächter erfolgte, mußte eine Pause eintreten, und die Pause wurde so lange ausgedehnt, bis die frischen Wächter ihren Posten bezogen und die abgelösten sich an ihrer Ruhestätte niedergelegt hatten. Über diese Zeit lagen alle so regungslos, daß man sie im tiefsten Schlafe wähnen mußte.
Dann aber währte es kaum mehr eine Viertelstunde, bis die drei Reihen ihrer Fesseln ledig waren und nun unbeweglich harrten, bis das Zeichen zum Beginn ihrer Tätigkeit gegeben wurde.
Münchhausen hatte es übernommen, den Zeltwächter von hinten zu umschleichen und unschädlich zu machen. Rommel fiel die schwierigere Aufgabe zu, den Wächter zu überrumpeln, der westlich am Ende der vierten Reihe der Gefangenen aufgestellt war, da wo sich das Lager der schlummernden Beduinen fast unmittelbar an die Lagerstätte seiner Leidensgenossen anschloß.
Den Arabern wurde ein Anschleichen in den Rücken der Wächter mit Recht nicht zugetraut, ebensowenig dem Baron. Es waren daher zwei besonders behende junge Kameltreiber ausersehen, die beiden andern Wächter von vorn anzufallen, und es kam alles darauf an, ob ihnen dieses so überraschend und blitzschnell gelang, daß den Überrumpelten keine Zeit zu einem Aufschrei blieb, der ihre schlafenden Gefährten geweckt hätte: es war dies eine höchst unwahrscheinliche, verzweifelte Sache.
Die beiden, auf die so gut wie alles ankam, lagen in der dritten Reihe auf dem Bauch und spähten scharf aus, ob des Professors Gestalt hinter dem dritten Wächter auftauche: sie mußten dann seinen Kopf vom hellen Sternhimmel sich abheben sehen. Im gleichen Augenblick galt es für sie, aufzuspringen und über ihre noch gefesselten Kameraden der vierten Reihe wegzusetzen. Ein zweiter Sprung mußte sie dann unverzüglich an die Kehlen ihrer Opfer bringen.
Diese zwei Sätze waren das Gefährliche und Bedenkliche: was mit einem hätte gelingen können, schien bei zweien kaum in der erforderlichen Sekundenfrist möglich. Es war fast als sicher anzunehmen, daß die Überfallenen, sobald sie die Anspringenden sahen, Lärm schlugen, und dann stand ein blutiger Kampf der zwar an Zahl überlegenen, aber waffenlosen Schar gegen die bewaffneten Beduinen bevor. Dabei konnte man die Aussicht auf Gelingen nur noch darauf setzen, daß die aus dem Schlummer Geschreckten so schlaftrunken und verwirrt sein würden, daß ihnen zum Teil die Waffen entrissen werden konnten, ehe sie sich ernstlich zur Wehr zu setzen vermochten. Zu hoffen, daß die Wächter beim Überfall durch die Araber vor Überraschung derart erstarren würden, daß sie keinen Laut hervorbrächten, wäre doch gar zu kühn gewesen!
Als die Mädchen vor der Rückwand ihres Zeltes im Dunkeln klopfenden Herzens die weitere Entwicklung der Dinge abwarteten, und es kaum aushielten, vorerst zur Untätigkeit verdammt zu sein, überlegte die Harmonika nochmals diese bedenklichen Umstände, und es kam ihr ein Gedanke, der ihr so naheliegend und selbstverständlich schien, daß es ihr unbegreiflich war, daß weder sie noch ein anderer bisher darauf gekommen waren. Sie teilte ihn flüsternd der Zitrone mit, die gleich Feuer und Flamme dafür war, und sagte: »Nein! Daß ich auch daran nicht dachte! Das erst gibt meinem ganzen Anschlag Aussicht auf Gelingen!«
Mit der Ausführung mußte jedoch noch abgewartet werden, bis der Pascha seine Aufgabe vollendet hatte.
Münchhausen hatte Glück: er gelangte unbemerkt in den Rücken des Postens vor dem Mädchenzelt, der in tiefe Träumerei versunken schien. Ohne sich vom Boden zu erheben, was bei seiner Körperfülle nicht so einfach gewesen wäre und leicht ein verräterisches Geräusch hätte verursachen können, umklammerte er mit einem raschen Griff beider Hände den Hals des Ahnungslosen von hinten her. Ein dumpfes Aufstöhnen war alles: der Unglückliche fuchtelte wie wahnsinnig mit den Armen in der Luft, verlor aber augenblicklich alle Kraft, wie es jedem geht, der sich die Luft völlig abgeschnitten fühlt. Die Kinnladen schnappten krampfhaft, doch nur kurze Zeit: dann hörte jede Bewegung auf, und der Mann verlor die Sinne, was an dem schlaffen Herabsinken des Kopfes und der Arme erkenntlich war.
Schnell stopfte der Pascha ein Tuch in den weit offenstehenden Mund und band es mit einem Zeugstreifen fest, den er straff anzog und am Hinterkopf zusammenknotete. Dann fesselte er dem Ohnmächtigen kunstgerecht Arme und Füße, und ließ ihn liegen. Er würde nun, da er wieder atmen konnte, nach kurzer Zeit aus der Ohnmacht erwachen, aber weder ein Glied regen, noch einen Laut von sich geben können.
Der Kapitän, zufrieden mit seinem Werk, kroch wieder zurück, um so viel als möglich den weiteren Verlauf der Dinge zu beobachten. Gerne wäre er noch Rommel nachgeschlichen: vielleicht hätte es ihnen gelingen können, auch noch die beiden andern Wächter auf die gleiche Weise unschädlich zu machen. Aber das war jetzt unmöglich, da die Rollen schon verteilt waren und die beiden Kameltreiber losbrechen würden, sobald sie den Professor hinter dem ersten Wächter auftauchen sahen. So mußte Münchhausen auf diesen Gedanken verzichten. Schade! nachdem er nun seine Gewandtheit in solcher Überrumpelung erprobt hatte!
Die Harmonika war, sobald sie mit der Zitrone über die Ausführung ihres neuen Planes einig geworden war, lautlos ins Zelt zurückgekrochen und hatte von dort aus Abu el Futhas erfolgreichen Überfall feststellen können. Rasch glitt sie zurück, und nun ging es ans Werk.
Isolde mußte, trotz ihrer Bitten zurückbleiben: die Sache erforderte eine Umsicht und Vorsicht, die ihr doch nicht zugetraut wurde.
An den befreiten, noch immer regungslos harrenden Gefangenen vorbei, wanden sich die Mädchen in das Lager der Schläfer, und nun sammelten sie alle Waffen, vor allem die Flinten, die zu fassen waren, ohne Gefahr, einen Beduinen zu wecken. Das ging bei den meisten: denn nur selten hielt einer sein Gewehr oder seine Lanze selbst im Schlummer fest im Arm; gewöhnlich hatte er sie neben sich niedergelegt, und die Hauptschwierigkeit bestand darin, sich zwischen den oft eng gelagerten Reihen hindurchzuschlängeln, ohne einen der Schläfer zu streifen.
Mehrmals kroch die Harmonika die wenigen Schritte zurück, um die von der Zitrone gesammelten Waffen ihren eigenen Leuten zu überbringen, die sie staunend und erfreut in Empfang nahmen, und zum Teil weitergaben. Da die Baronesse bedeutend schlanker war, als Monika, konnte sie sich eher zwischen die Ruhenden wagen, und besorgte daher die Entwaffnung.
Unterdessen hatte auch der Professor seine Aufgabe erfüllt: aber da ging es durchaus nicht so glatt!
Eine gute Weile, ehe die Zitrone und die Harmonika sich zwischen die Schlafenden gewagt hatten, war er durch ihre Reihen gekrochen. Als er sah, wie fest hier alles in Schlummer lag, kam auch ihm der Gedanke, wie leicht die Beduinen zu entwaffnen, ja, zu knebeln und zu binden wären. Aber allein hätte er das nicht fertig bringen können, und wenn ein einziger vorzeitig erwachte, so wäre das ganze Rettungswerk gefährdet worden. Es war jetzt zu spät für ihn, andere Pläne zu entwerfen: der Pascha war bereits an der Arbeit und die Kameltreiber lagen auf der Lauer, — er mußte also unverzüglich das Werk vollenden, das er übernommen hatte.
So schob er sich sachte und vorsichtig immer weiter vor, bis er das Lager hinter sich hatte, und nun etwas rascher im weiten Bogen in den Rücken des ihm zugeteilten Wächters kommen konnte.
Niemand hatte seine Annäherung bemerkt, und er erhob sich jetzt in seiner ganzen Größe. Im gleichen Augenblick schnellten auch die beiden Araber auf, die auf dies Zeichen gewartet hatten, und setzten über ihre Kameraden weg, um die ihnen zugewiesenen Opfer stumm zu machen.
Abu Ramleh hatte schon den Hals seines Gegners umklammert, und war des Erfolges sicher, als er den ihm zunächst hockenden mittleren Wächter mit einem Satze aufspringen sah. Unseligerweise hatte der Kerl gerade herüberschauen müssen, als der Professor sich emporreckte. Im gleichen Augenblick gewahrte der dritte Wächter die heranfliegenden Gestalten der Kameltreiber und öffnete den Mund zum Schrei.
Jenen Mann konnte Rommel der Dunkelheit und Entfernung wegen zwar nicht sehen, aber es genügte ihm, von dem zweiten entdeckt worden zu sein, um zu erkennen, daß alles verloren sei; die Sekunde, um die es sich handelte, bis die Araber die Beduinen an der Gurgel packen konnten, mußte diesen genügen, durch ihr Geschrei ihre Kameraden aufzuschrecken.
Beinahe hätte der Vater des Sandes im Schrecken und in der Verzweiflung über das Mißlingen des Anschlags die Hände sinken lassen. Blitzschnell war ihm der Gedanke gekommen, er könnte sich an die ein paar hundert Schritt hinter ihm lagernden Kamele machen, eines erhaschen und sich hinaufschwingen, ehe die Wache ihn hindern könne, und dann, durch alle Posten hindurchjagend, die freie Wüste gewinnen. Aber das war ein gewagtes, eigentlich aussichtsloses Unterfangen, — und dann, was konnte er, als einzelner, unbewaffneter Mann zur Rettung der andern unternehmen? Ja, was nützte ihm selber die Freiheit, wenn er keine andere Aussicht hatte, als in der Wüste zu verhungern oder zu verdursten?
Während dieser aufblitzenden Gedanken hielt er glücklicherweise die umklammerte Kehle noch krampfhaft fest, und wunderte sich unsäglich, daß der erwartete Aufschrei nicht erfolgte, vielmehr alles totenstill blieb.
Er starrte nach dem Manne hinüber, der soeben aufgesprungen war: was sollte denn das bedeuten? Da waren ja zwei Männer, einer hinter dem andern, und der Hintere würgte den vorderen, so daß sein Hilferuf erstickt war!
Der Kameltreiber war inzwischen mit seinem zweiten Sprung auch herbeigekommen und der überrumpelte Wächter befand sich nun zwischen zwei Feinden. Der zweite tat aber nichts mehr zur Sache: wäre nicht gerade im rechten Augenblick der rätselhafte Angreifer im Rücken des Beduinen aufgetaucht, so wäre schon jetzt der ganze schöne Überraschungsplan gescheitert.
Jetzt brach der Gewürgte zusammen und die beiden andern Gestalten beugten sich über ihn. Die eine stopfte ihm ein Tuch in den Mund, die andere fesselte ihn an Armen und Beinen.
Das war ja ausgezeichnet, — aber wer war der unbekannte und unerwartete Helfer, der sich von hinten angeschlichen hatte und so gerade zur rechten Zeit die Lage rettete? Sollte es Steinberg sein? Kaum glaublich! Und was war dann mit dem dritten Wächter? Warum ließ auch er keinen Laut vernehmen? War es dem Kameltreiber, der ihn zu überfallen hatte, wirklich gelungen, ihn zum Schweigen zu bringen, ehe er einen Schrei hervorstoßen konnte?
Die ganze Sache erschien dem Professor höchst rätselhaft und wunderbar. Die Lösung des Rätsels sollte ihm erst werden, nachdem das ganze Werk vollbracht war.
Vollständig mit der Beobachtung der seltsamen Vorgänge zu seiner Linken beschäftigt, und sich vergeblich den Kopf darüber zerbrechend, wie er sie sich erklären sollte, hielt der Altertumsforscher noch immer die Gurgel seines Mannes krampfhaft umschlossen, als ihm plötzlich zum Bewußtsein kam, daß er ja den Ärmsten erwürge, der schlaff und schwer in seinen Händen hing.
Das war nicht seine Absicht! Unverzüglich ließ er los, und das Opfer seiner Zerstreutheit sank leblos zu Boden.
Verzweifelt beugte sich Rommel über den Mann und stellte fieberhafte Wiederbelebungsversuche an: denn es wäre ihm ein geradezu entsetzlicher Gedanke gewesen, einen Mord auf sein Gewissen geladen zu haben. Da hätte er ja sein Leben lang keine Ruhe mehr gehabt. Die Entschuldigung, daß es sich um einen Feind handelte und daß er doch sozusagen in der Notwehr gewesen sei, hätte sein zartes Gewissen nicht gelten lassen, noch weniger den Einwand, er habe den Mord durchaus nicht beabsichtigt, sondern lediglich aus Gedankenlosigkeit verübt: so leichtfertig springt doch ein ehrlicher Christenmensch nicht mit dem Leben seiner Mitmenschen um!
Über eine Viertelstunde lang bemühte er sich um den Bewußtlosen, immer in der Angst, er sei schon tot.
Da endlich hörte er ihn, zu seiner unaussprechlichen Erleichterung, wieder Atem holen, und sah ihn zugleich die Augen aufschlagen. Hätte der Professor seinen besten Freund vom Tode zum Leben zurückkehren sehen, so hätte seine Freude nicht größer sein können: um den Hals hätte er ihm fallen mögen, aus Dankbarkeit, daß der edle Mensch ihm die Wohltat erwies, wieder lebendig zu werden, und so sein Gewissen vom Fluche befreite, zum Mörder geworden zu sein!
Allein, während Wonne und Erkenntlichkeit ihn durchfluteten, fiel es dem Vater des Sandes plötzlich ein, daß er ja den guten Mann knebeln und fesseln mußte, wenn er nicht das ganze Befreiungswerk aufs Spiel setzen wollte. Das war ihm furchtbar peinlich, doch mußte es eben sein. Unsäglich schämte er sich, als er diesem braven Menschen, diesem großmütigen Freund das Tuch in die Mundhöhle zwängte und festband: ach! welch schnöder Undank, den Biedern so zu quälen! Und doch durfte er nicht seinen sanften Regungen folgen, um nicht die anderen Freunde in Lebensgefahr zu bringen.
Er versäumte es jedoch nicht, dem Manne tausend Entschuldigungen in das Ohr zu flüstern: »Guter Freund!« sagte er: »Ich flehe dich an, mich nicht für herzlos und undankbar zu halten. Ich bin mir wohl bewußt, wie viel Dank ich dir schulde, und werde es mein Leben lang nicht vergessen. Allah schenke mir Gelegenheit, dir deine Wohltat zu vergelten, und dir zu beweisen, daß mein Gemüt nicht verhärtet und ungerecht ist, wie es jetzt den Anschein haben könnte. Der Allwissende weiß, wie herzlich leid es mir tut, so barbarisch mit dir verfahren zu müssen. Das hast du wirklich nicht um mich verdient! Allein es geschieht nach Allahs unabänderlichem Ratschluß und ist ein Kismet, ein unabwendbares Schicksal. Füge dich darein in christlicher Geduld, oder vielmehr in muselmännischer Ergebenheit: es ist nur von kurzer Dauer. Ich flehe dich aber an, mir diese Notwendigkeit nicht zu verübeln, noch nachzutragen, sintemal ich aufrichtige Freundschaft für dich empfinde!«
Der Beduine war inzwischen wieder zum vollen Bewußtsein zurückgekehrt. Sprechen konnte er nicht, vonwegen des Knebels; doch schossen seine Augen Blitze. Er mußte ja diese sonderbaren Reden für die herzloseste und niederträchtigste Verhöhnung eines wehrlosen Feindes halten: anders konnte sie sich sein Beduinenverstand unmöglich deuten. Daß er diesem Christenhund eine Wohltat erwiesen habe, für die der Giaur Dankbarkeit empfinde, war ja Wahnsinn, und Knebelung und Fesselung waren gewiß keine Beweise aufrichtiger Erkenntlichkeit und Freundschaft! Wie sollte ein Wüstensohn und Räuber Verständnis haben für die feinfühligen Gewissensregungen Professor Gerhard Rommels?
Inzwischen war viel geschehen; doch wollen wir zunächst zu Peter Grill und Franz Billinger zurückkehren.
Den beiden war es ohne große Schwierigkeit gelungen, in den Rücken des ersten Wächters zu gelangen, das heißt, desjenigen, der im Osten, der Felswand zunächst aufgestellt war, in der sich ihre Höhle befand. Hier blieb der Preuße lautlos und regungslos liegen, während der Bayer sich weiter schlich, hinter den zweiten, mittleren Posten, den er auch bald erreichte.
In diesem Augenblick erhob sich eine Gestalt in den Reihen der Gefangenen und stürzte heran. Der Wächter war aufgesprungen und drohte, Lärm zu schlagen; aber schon erstickten Billingers Riesenfäuste den Schrei, der sich aus seiner Kehle ringen wollte, so daß nur noch ein schwaches Pfeifen vernehmbar wurde.
Franz war allerdings verblüfft gewesen, als er so unerwartet die Gestalt von drüben durch das Dunkel herbeisetzen sah: doch ließ er sich nicht irre machen, denn es war keine Sekunde zu verlieren, und er wollte nun auch ausführen, was er sich vorgenommen hatte, auf jede Gefahr hin: mehr als mißlingen konnte der Plan nicht, und ihn jetzt noch ändern zu wollen, wäre zwecklos gewesen.
Ähnlich war es Grill gegangen: auch er sah von drüben eine Gestalt auf sich zuspringen, als er sich eben erhoben hatte, um seine Aufgabe zu erfüllen. Glücklicherweise blieb ihm keine Zeit zu Überlegungen: er sah, daß Billinger seinen Mann würgte, und er hatte dies gleichzeitig bei dem seinigen zu besorgen, tat dies also auch, der Verabredung gemäß. Schon preßte er die Hände um den Hals des Wächters, als die schon erblickte Gestalt mit einem zweiten gewaltigen Satz vor ihm landete.
Nun wollte er sich diesem neuen vermeintlichen Feinde entgegenwerfen, wobei er freilich hätte loslassen müssen, ehe sein Opfer betäubt war, so daß der Lärm, der vermieden werden sollte, unzweifelhaft laut geworden wäre. Da zischte ihm der Kameltreiber, der ihn sofort erkannt hatte, zu: »Still, still! Und halte fest, Vater der Eselin: Allah hat dich mir zu Hilfe gesandt, sonst wäre ich trotz aller Eile zu spät gekommen, um den Schrei des Hundesohnes zu verhindern.«
Der Araber band den nun zu Boden sinkenden Beduinen, während Peter ihn knebelte.
Der Kameltreiber, der sich Billinger gegenüber befand, war dessen besonderer Freund, Mahmud. Die beiden steckten viel beieinander, und da Franz es liebte, die Araber zwischenhinein mit gut bayrischen Kraftworten anzureden, und dieser Mahmud sehr lernbegierig war und sich die ihm gefallende Sprache fleißig erklären ließ, hatte er schon ziemlich Deutsch inne, freilich, weniger »jebildetes Daitsch«, als kräftiges Bayrisch.
Auch der Vater der Mauleselin wurde sofort von dem herbeieilenden Freunde erkannt, und das Erkennen war gegenseitig. Franz flüsterte denn dem braven Mahmud zu: »Dös loß da gut soan, daß d' oana vun dö Unsrigen bist, sunst hättst doan letzts Schnauferl tun: da Franzl loßt fein nit mit sö spossen! Geh her und helf ma: so is recht! Mordsföst mußt dön Kerl einischnürn, hast jo Spagat g'nug. — Holt! dös Wörtl host no nit g'lernt: mir Boaern sogen ›Spagat‹; dö, wo koan so guts Deutsch reden, sogen: Bindfoden, Schnur, Strick, Soal, Tau oda Leinen. Gute Varichtung! I geh, um dö ondan zu befrein.«
Als sich jedoch Abu Barlah dieser Aufgabe zuwandte, fand er wenig mehr zu helfen, und so ging es auch Peter, der gleich darauf zur Stelle war.
Noch herrschte die tiefste Stille, — kaum ein leises Geflüster war da und dort zu vernehmen; denn noch blieb eine Arbeit zu tun, die größte Behutsamkeit erforderte, wenn Handgemenge und Blutvergießen vermieden werden wollten. Immerhin war das Schwierigste über Erwarten geglückt und die Feinde waren fast alle waffenlos.
Mit unhörbaren Tritten begaben sich die Befreiten zu den schlummernden Beduinen. Bei jedem pflanzten sich zwei auf, mit Stricken wohl versehen; bei etlichen wenigen auch bloß einer, weil die Überzahl nicht ganz das Doppelte betrug.
Als alles bereit stand, gab der Pascha das verabredete Zeichen durch einen schrillen Pfiff, da jetzt das Stillverhalten nicht mehr notwendig war, und nur durch einen allgemein hörbaren Ton das rasche, gleichzeitige Handeln ermöglicht werden konnte, auf das es jetzt besonders ankam.
Im Augenblick stürzten sich alle auf die aufschreckenden Feinde, die sich überwältigt und gefesselt fanden, ehe sie nur recht zum wachen Bewußtsein gelangten.
Jetzt erst kam auch Rommel herbei, dem der Pascha mit seiner ungedämpften Bärenstimme freudig zurief: »Das hat geklappt! Großartig! Ein Hurra auf die Zitrone, der wir den prächtig gelungenen Befreiungsplan verdanken!«
»Die Harmonika verdient es weit eher, als ich,« wehrte Baroneß Hulda die laut erschallenden Huldigungsrufe ab: »Sie kam auf den Gedanken, unsere Leute mit den Waffen der Schlafenden zu versehen, sonst wäre es wohl doch noch zum blutigen Kampfe gekommen, wenn der Sieg auch nicht mehr zweifelhaft sein konnte.«
»Wunder über Wunder!« rief der Kapitän: »Und Sie beide haben das gefährliche Wagnis unternommen und glücklich durchgeführt? Also, ein nochmaliges und dreifaches Hurra auf unsere beiden Retterinnen und Heldinnen!«
Brausend erschollen drei Hurras in die Nachtluft, so daß Beduinen und Araber Augen und Ohren aufrissen über dieses donnernde Siegesgeheul.
Jetzt nahm Abu Ramleh das Wort: »Da handelt es sich auch noch um einen unbekannten, rätselhaften Helfer, wenn es nicht mehrere sein sollten, ohne dessen zielbewußtes Eingreifen im entscheidenden Augenblick, die ganze Sache schief gegangen wäre. Ich glaubte schon alles verloren, da der mittlere Wächter und wahrscheinlich auch sein Genosse zur Linken Lunte rochen, als ich mich eben anschickte, meine Aufgabe zu erfüllen. Es ist mir noch jetzt ein Rätsel, wer sie in der Sekunde äußerster Gefahr zum Schweigen brachte.«
»Dös san mir g'west, mit Verlaab, Herr Professa!« sagte Billinger vortretend: »Da Peta und i: Mir zwoa hamm an Befreiungsplon außitüftelt, an gonz feinen: jo, do sponnen S'! Auf am Bauch samma doherkraxelt, wie zwoa indianische Rothäut, daß ma dö schurkischen Wächta stumm mochen und dö G'fongenen los binden. Aba i hob schun g'mirkt, dös waar schief gonga, ball nit da Herr Professa an dritten akkurat zur richtigen Zeit derwürgt hätt'.«
»Ja, erwürgt hätte ich ihn beinahe!« gestand Rommel zerknirscht und kleinlaut: »Aber, Gott sei Dank! Es gelang meinen ärztlichen Bemühungen, den Ärmsten wieder ins Leben zurückzurufen.«
»Aha!« lachte der Pascha: »Sie edelster Jünger Äskulaps haben sich um das Leben unserer Feinde bemüht, während wir trachteten, sie unschädlich zu machen? Darum erscheinen Sie so spät auf dem Schauplatz unserer Tätigkeit! Nun, das macht Ihrem guten Herzen alle Ehre und Sie brauchen sich dessen nicht zu schämen: wir sind auch Christen, die ein solches Verhalten zu würdigen wissen.«
»Fällt mir doch nicht ein, mich meiner Wiederbelebungsbemühungen zu schämen!« eiferte der Professor: »Vielmehr schäme ich mich meines sträflichen Leichtsinns, durch den ich beinahe ein Menschenleben ausgelöscht hätte, was mich zeitlebens die Ruhe meines Gewissens gekostet hätte.«
»Nun, so ist es ja noch glücklich für Sie abgelaufen,« meinte Abu el Futha; »aber ich sehe schon, daß unser aller Bemühungen vergeblich gewesen wären, wenn nicht beide Teile zur gleichen Sekunde zusammengewirkt hätten: wir auf der einen Seite, Franz und Peter auf der andern. Diesem ganz merkwürdigen Zufall verdanken wir unsere Befreiung, ohne jeden Kampf und ohne einen Tropfen Blutvergießen.«
»Zufall?« rief die Harmonika ernstlich empört: »Eine göttliche Fügung war das! Oder glauben Sie im Ernst, der blinde Zufall regiere die Welt und helfe den Bedrängten gnädigst aus der Not?«
»Nein, nein! Sie haben recht, Fräulein Harmonika!« bekannte Münchhausen ehrlich: »Ich bin im Grunde völlig Ihrer Überzeugung, und es tut mir leid, daß mir eine törichte Redensart entschlüpfte, die gut ist für die Dummen und Blinden, oder auch für die verstockten Schurken. Wir wollen Gott die Ehre geben; denn dieses rettende Zusammentreffen ist zweifellos das Werk seiner Gnade!«
Das war nun allen aus dem Herzen gesprochen.
Es blieb noch übrig, die Kamelwächter und die Posten am Ausgange der Schlucht aufzuheben, die von den Vorgängen im Hintergrunde des Tales jedenfalls nichts gemerkt hatten, infolge ihrer Entfernung und den Windungen der Schlucht, die sie daran hinderten, zu sehen und zu hören, was im Lager vorging.
Franz und Peter machten den Vorschlag, sie einzuschließen, damit sie nicht etwa beim Erkennen der nahenden Gefahr ihre Kamele besteigen und die Flucht ergreifen könnten. Ein Umschleichen schien zu umständlich, auch handelte es sich um fünfzehn Mann, und überdies nahte die Stunde der Ablösung, deren Ausbleiben die Wächter hätte stutzig machen müssen.
So führten die beiden Diener eine Schar durch die Höhle auf die Felsen, und auf diesen hin bis zum Talausgang. Sie gingen noch eine Strecke in der Wüste vor und wandten sich dann im Bogen nach der Schluchtmündung zurück.
Die fünf Posten, die hier aufgestellt waren, zeigten sich völlig überrascht, da sie an das Nahen einer Gefahr von der offenen Wüste her nie gedacht hätten.
Als sie erkannten, daß es sich um einen feindlichen Angriff handelte, und ihnen eine vierfache Übermacht gegenüberstand, wandten sie sich zur Flucht nach dem Talinnern, um die Kamelhüter zu warnen und das Lager auf die Beine zu bringen. Sie zweifelten gar nicht daran, daß dann die merkwürdigerweise zu Fuß und ohne Kamele aus der Wüste kommenden Angreifer rasch überwältigt sein würden.
Allein Billinger hatte vorsorglich einen Teil seiner Mannschaften kurz vor der Mündung ins Tal hinabgesandt: so fanden die Flüchtlinge schon nach wenigen Schritten den Weg abgeschnitten.
Derart eingeschlossen, hielten sie eine Gegenwehr mit Recht für Wahnsinn und ergaben sich mit mohammedanischer Gelassenheit in ihr unabwendbares Schicksal.
Sie dachten bei sich, die rätselhaften Feinde hätten, als sie die Leute am Taleingang lagern sahen, einige Mann über die Felsen in ihren Rücken gesandt, wüßten aber noch nichts von der großen Beduinenkarawane, die im Hintergrunde der Schlucht lagerte. Nun freuten sie sich im stillen, wie die Angreifer die Augen aufreißen würden, wenn sie dieser Übermacht in die Hände liefen! Die Kamelwächter würden ja, sobald sie die Schar erblickten, die Kamele ins Lager zurücktreiben und die Schläfer wecken. Dann würden die Dschemels bestiegen und es gab für die etwa dreißig Mann zählenden Fußgänger kein Entrinnen. Sie selber würden natürlich nach kurzer Gefangenschaft befreit.
Daß die von Norden her aus der Wüste kommenden Leute zu der Karawane gehörten, die sie wohl gefesselt und bewacht in der Schlucht wähnten, konnte ihnen selbstverständlich gar nicht in den Sinn kommen. Es war auch nicht möglich, daß sie einzelne ihrer Besieger an den Gesichtern erkannten. Denn, selbst wenn sie sich alle Mühe gegeben hätten, sich in der kurzen Zeit die Züge der hundertundzwanzig Gefangenen einzuprägen, hätte es ihnen doch nicht gelingen können, dies so genau zu tun, daß sie jetzt einen oder den andern in der Dunkelheit erkannt hätten. Aber es war ihnen gar nicht eingefallen, die Leute so eingehend zu betrachten. Die Europäer freilich hatten sie neugierig in Augenschein genommen, und hätte sich einer von ihnen unter den Angreifern befunden, so wäre es ihnen, so unglaublich es schien, doch sofort zur Gewißheit geworden, daß die Gefangenen sich befreit und die Beduinen überwältigt haben mußten. Franz und Peter, die sich nicht bei den Überfallenen befunden hatten, erblickten sie jetzt zum erstenmal. So waren sie also völlig ahnungslos.
Fünfhundert Schritt talaufwärts lagerten die Kamele mit ihren zehn Wächtern. Als sie nach der zweiten Talbiegung sichtbar wurden, riefen ihnen ihre gebundenen Kameraden laut zu, die Kamele ins Lager zurückzutreiben, da Feinde nahten. Sie trieben auch sofort die Tiere auf, und wenn Franz auch jetzt mit seiner Schar unter lautem Gebrüll auf sie losstürmte, so konnten sie sich doch beritten machen und hatten noch über hundert Schritt Vorsprung, so daß die gefangenen Wächter schon frohlockten, daß alles nach Wunsch gehe.
Aber Franzls und seiner Leute Kriegsgeschrei war das Zeichen für den bereitstehenden Pascha, der nun seine Truppen von Süden her mit ohrenbetäubendem, echt indianischem Geheul hervorbrechen ließ. Die Kamelhüter sahen sich nun zwischen zwei Heeren von so erdrückender Überzahl, daß auch ihnen nichts anderes übrig blieb, als sich kampflos zu ergeben.
So wurde auch hier der Sieg ohne jegliches Blutvergießen errungen.
Die fünf jedoch, die einen so ganz anderen Ausgang erwartet hatten, machten auffallend lange, und nichts weniger als geistreiche Gesichter, als sie nun gar zu ihren bereits in Fesseln liegenden Gefährten geführt wurden.
»Nit wohr, do schaugts!« rief Franzl vor Vergnügen strahlend: »A gonze Karawanen hobts ös g'fongen g'nummen: aba da Boaern und da Preißen hobt ös nit derwischt! Dös is a Fehla g'west ös Lackel, ös elendige: denn jetz hob i an Stiel umdraht und nehm enk in moane G'fongenschoft. Dös hobts enk fein nit traamen lossen, ös Schlofhauben, in euan Unvastond! Jo, da Franzl, wann's drauf onkimmt, nimmt's mit an hundat Beduwinen auf, a so talketen!«
Nun wurden Wachen aufgestellt, und die Sieger pflegten im übrigen noch einige Stunden der Ruhe.
Der ganze Kampf, wenn man den unblutigen Sieg überhaupt als solchen bezeichnen durfte, hatte nicht viel mehr als zwei Stunden in Anspruch genommen, und es war jetzt kaum Mitternacht, so daß immer noch Zeit genug übrig blieb, sich bis Sonnenaufgang einem erquickenden Schlafe hinzugeben.
Peter und Franz zogen sich wieder in ihre warme Höhle zurück, diesmal aber wohlbewaffnet, und Billinger rief dem Pascha noch zu:
»Schlofen S' nur unb'surgt mitoanand. Wann dö Beduwinen sö in da Nocht wieda befrein, und enk wieda binden, nachher is ma dös schun recht und mocht gor nix aus. Mir zwoa, da Preiß und da Franzl, hamm an g'hoamen Schlupfwinkel, do kimmen s' nit eini, dö Spitzbuam. Und da Franzl befreit enk aa a zwoats mol, wann's soan muß: is am a Vergnügen und kimmt am nit drauf on! Ös derfts fein glaaben, daß i dö Wüstenraaba wieda übalisten und wehrlos machen tu. Und do feit sö nix: denn dös indianisch Onschleichen hob i fein g'lernt aus am Korl May!«
Der Morgen brach an, und der Sieg wurde mit einem Festmahl gefeiert, zu dem die Quelle den auserlesenen Trank spendete. Auch die Gefangenen erhielten ihr Teil. Dann versammelte der Pascha die Deutschen zum Kriegsrat.
»Unsere erste Aufgabe,« sagte er, »ist nun, den Fakir und die beiden Araber zu befreien.«
»Daran werden Sie doch nicht denken!« eiferte Rommel: »Seien Sie doch froh, die Schurken auf gute Art los zu sein!«
»Schurken oder nicht,« beharrte Münchhausen: »Ich fühle mich verpflichtet, ihnen Hilfe zu bringen: sie sind einmal unsere Reisegefährten und stehen unter meinem Schutz. Nie könnte ich es mir verzeihen, sie mitten in dieser unwirtlichen Wüste einem ungewissen Schicksal überlassen zu haben, vielleicht gar schuld zu sein, wenn sie umkommen.«
»Allawertesta Herr Pascha!« gestattete sich nun Billinger einzuwenden: »Ausgemochte Halunken san s', dö gelben Spitzbuam: dös hamm s' bewiesen. I moan, Gleich und Gleich gesöllt sö gern: lassen S' dö Kerls bei dö Beduwinen, nachher san dö richtigen Schelmen beioanond. Wann ma s' aba wieda befrein und uns auf an Hols loden, hernach kunnt's uns an Krogen gehn und mir waarn dö Dummen. Dös san Schlongen, wo Sö an Ihr'm umfangreichen Busen g'wärmt hamm, giftige Reptülier, dös sogt da Franzl!«
»Und ich sage,« erwiderte der Kapitän unwirsch: »Das Kleeblatt wird gerettet, und wenn ich es allein besorgen müßte! Was meinen Sie, Fräulein Hulda?«
»Ein sauberes Kleeblatt in der Tat!« lachte die Baronesse: »Ich habe mich für die finsterblickenden Kameraden niemals erwärmen können, und gestehe, daß ich gar kein Bedauern empfände, wenn ich ihre Galgengesichter nicht mehr sehen müßte.«
»Natürlich, die Zitrone! Sauer, wie immer! Aber Sie, Fräulein Monika?«
»Ich stimme immer für Milde: die armen Tropfen täten mir leid, wenn wir sie in der Not schnöde im Stiche ließen.«
»Brav! So redet die Harmonika: habe ich nicht anders von ihr erwartet. Ich glaube nun einmal nicht an die Gefährlichkeit dieser Burschen; und wenn sie Unheil spännen, wir brauchen sie nicht zu fürchten: wir sind ihnen gewachsen. Andrerseits habe ich es mir in den Kopf gesetzt, die rätselhafte Messingstadt zu entdecken, und dorthin ist Abd ul Hagg der einzige Führer.«
»Ein vortrefflicher Führer!« spöttelte Abu Ramleh: »Bis jetzt hat er uns nur in die Irre und öfters beinahe ins Verderben geführt. Allein Sie sind das Haupt der Karawane, der unumschränkte Herr und Gebieter: wenn Sie's nicht anders tun, so müssen wir uns eben fügen; ich aber wasche meine Hände in Unschuld!«
»Wann S' Eahna Ihre Händ woschen wölln, Herr Professa,« bemerkte der Bayer, »nachher is jo hier Wossa g'nug: i hob ma's aa g'woschen in da Quellen, blitzsauba san s' worrn: do schaun S' her! Aba im Sauftrog vun dö Kamöla hob i s' g'woschen: dös vasteht sö am Rond.«
Alle lachten, ohne recht zu wissen, ob der Schalk einen Spaß machte, oder tatsächlich meinte, der Vater des Sandes fühle das Bedürfnis, seine Hände zu waschen. Der Pascha aber fuhr fort: »Die Befreiung der Gefangenen bietet ja keinerlei Schwierigkeit, da der Scheich nur etwa zehn streitbare Männer bei sich hat. Den Weg zu seiner Oase muß uns einer der Beduinen weisen; übrigens finden wir ja auch seine Spuren. Es fragt sich nur, was wir mit unseren Gefangenen anfangen? Sie mitzunehmen halte ich für zu umständlich und auch gefährlich. Lassen wir sie aber frei, so könnten sie uns nachsetzen und uns wieder überfallen, wenn sie dies waffenlos wagen. Jedenfalls dürfen sie frühestens drei Tage nach uns in ihrem Dorfe eintreffen.«
»Dann schlage ich vor,« sagte die Zitrone: »Wir lassen sie gefesselt hier liegen und nehmen zwei oder drei von ihnen mit, die wir später zurücksenden, sie zu befreien.«
»Da müßten sie ja so lange Hunger und Durst leiden!« meinte Monika mitleidig.
»Was ihnen gar nichts schadet!« entgegnete die Zitrone hart: »Sie haben es verdient.«
»Deine Weisheit in Ehren,« wandte sich der Professor an seine Schwester: »Aber diesmal erscheint mir dein Vorschlag zu gefährlich: zweifellos würden sich einige zu entfesseln wissen, und dann wären bald alle auf unseren Fersen.«
»Das stimmt!« sagte der Pascha: »Also einen anderen Vorschlag!«
Diesmal hatte Baron Erich einen klugen Gedanken, was ihm selten genug begegnete: »Wir nehmen ihre Kamele mit,« schlug er vor, »und selbstverständlich auch ihre Waffen.«
»Das läßt sich hören,« pflichtete ihm der Kapitän bei. »Wenn alles zum Aufbruch bereit ist, binden wir einen los. Bis dann die übrigen von ihren Banden befreit sind, haben wir einen genügenden Vorsprung, so daß sie uns zu Fuß unmöglich mehr einzuholen vermögen. Ihre Kamele und Waffen lassen wir dann irgendwo am Wege zurück, so daß sie dieselben in zwei bis drei Tagereisen erreichen können. Die Fußwanderung in der Sonnenglut soll ihre gerechte Strafe sein für ihre Unfreundlichkeit, friedliche Reisende zu überfallen, auszuplündern und gefangen zu nehmen. Ihren Bedarf an Lebensmitteln und Wasser müssen sie natürlich selber tragen.«
»Eine höchst gelinde Strafe!« ließ sich die Zitrone vernehmen, die sich offenbar heute von ihrer sauersten Seite zu zeigen beliebte, aber gar nicht so unrecht hatte. »Dagegen aber,« fügte sie hinzu, »müssen wir energischsten Einspruch erheben, daß Sie den Schurken sogar ihre Waffen zurückerstatten wollen: bedenken Sie doch, daß ihnen diese nur zur Ausführung ihrer Räubereien und Mordtaten dienen.«
»Das ist allerdings wahr,« gab Abu el Futha zu: »Lasse ich ihnen ihre Waffen, so mache ich mich eigentlich zum Mitschuldigen ihrer ferneren Untaten. Also, behalten wir sie! Übrigens werden sie in ihrer Oase gewiß Ersatz genug im Vorrat haben und den Abmangel baldmöglichst durch Neuanschaffung oder Erbeutung ergänzen.«
Der Aufbruch wurde sofort vorbereitet, alle Behälter mit Wasser gefüllt und die Kamele beladen. Den Beduinen wurde von ihren reichlichen Lebensmittelvorräten so viel belassen, daß sie bei gesunder und heilsamer Einschränkung sechs Tage zu leben hatten: in dieser Frist konnten sie ihr Dorf erreichen. Die übrigen ansehnlichen Vorräte an Eßwaren beschlagnahmte der Pascha mit gutem Gewissen.
Dann wurde den Gefangenen der Beschluß mitgeteilt. Sie waren sichtlich erfreut, so leichten Kaufes davonzukommen, obgleich sie an die Rückgabe ihrer Kamele nicht glaubten: angesichts ihrer eigenen Gewohnheiten, erschien es ihnen selbstverständlich, daß die Sieger die Tiere, wie die Waffen, als gute Beute behalten würden, und es wäre ihnen nicht entfernt eingefallen, darin ein Unrecht zu erblicken, so empfindlich sie der Verlust schmerzen mußte. Umso freudiger waren sie später überrascht, als sie tatsächlich ihre Kamele am Wege kurzgefesselt wiederfanden, und sie gewannen die Überzeugung, die Giaurs seien im Grunde doch unglaubliche Dummköpfe.
Zwei Mann nahm Münchhausen als Führer mit, und einen der Zurückgelassenen ließ er losbinden, um die Kameraden zu entfesseln.
Dann ging es im Galopp weiter, der Räuberoase zu.
Am Abend des folgenden Tages wurden die erbeuteten Kamele mit gebundenen Füßen am Wege zurückgelassen, und gegen Mittag des dritten Tages war das Beduinendorf erreicht.
Scheich Habibi war hoch erstaunt und in hellster Wut über den unerwarteten Besuch. Da er jedoch nur Weiber, Greise und Kinder bei sich hatte, außer den zehn Mann, in deren Begleitung er zurückgekehrt war, so war er völlig machtlos, und sah sich gezwungen, die drei Gefangenen auszuliefern.
Diese dankten dem Pascha mit vielen hochtönenden Worten und versicherten ihn ihrer lebenslänglichen Dankbarkeit mit Beteuerungen, die den guten Kapitän vollkommen überzeugten, daß er fortan auf ihre Anhänglichkeit und Treue zuversichtlich rechnen dürfe, auch wenn sie je zuvor andere Gesinnungen gehegt hätten.
Noch am gleichen Nachmittage wurde eine gute Strecke nach Nordwesten weitergeritten, da Münchhausen doch nicht in der Nähe des Räuberdorfes lagern wollte, wenn auch ein Angriff kaum zu befürchten war, ehe die Mannschaft die Oase wieder erreicht hatte. Die Wasserbehälter wurden selbstverständlich vor dem Abzug wieder frisch aufgefüllt.
Als die Sonne sank, wurde das Lager in der Wüste aufgeschlagen. Hätte Hussein Pascha die drei so großmütig Befreiten belauschen können, als sie abseits von den andern ihre Gedanken austauschten, so hätte ihn seine Tat vermutlich gereut; jedenfalls hätte er dafür gesorgt, die Heuchler unschädlich zu machen.
»Ich hätte es mir nie träumen lassen,« sagte der Scherif Sidi Hamed ben Abd er Rahman, »daß wir so bald aus der unangenehmen Gefangenschaft erlöst würden! Allahs Wege sind in der Tat wunderbar, und der Prophet, der Hochgelobte, hat seiner getreuen Anhänger nicht vergessen.«
»In den Träumen zeigen einem die Dschinns, die Geister, oft die seltsamsten Dinge, die man im Wachen nie für möglich halten würde. Aber daß der Pascha, den Allah verdammen möge, sich aus der Gefangenschaft der Beduinen befreien werde und dann gar noch uns, seine Todfeinde, aufsuchen und erretten würde, das wäre selbst für einen Traum zu unglaubwürdig gewesen!« Also lautete der Ausspruch des Hadschi Mohamed et Talib, der wohlgefällig seinen Bart strich, welcher freilich bedeutend von seiner strahlenden Röte verloren hatte, da dem würdigen »Fuchs« in der Wüste sein kostbarer Hennahvorrat ausgegangen war, so daß er die Zierde seines Antlitzes, auf deren rote Farbe er so eitel war, nicht frisch auffärben konnte.
Der Fakir Abd ul Hagg ließ ebenfalls seine Weisheit zum Worte kommen: »Sehet ihr nun,« sagte er mit der ihm eigenen Würde, »wie einfältig diese Rumihs sind? Allah hat ihnen keinen Verstand gegeben, zur Strafe ihres Unglaubens, damit sie umso sicherer in ihr Verderben rennen und die Gläubigen sie ungefährdet vernichten können. Er gibt sich selbst immer wieder in unsere Hand, dieser Pascha, dem der Esel an Geist und Scharfsinn hundertmal überlegen ist. Ich werde bald einen neuen Plan ausgesonnen haben, ihn und seine Begleiter zu verderben, und wenn auch dieser nicht gelingt, so finden die Giaurs ihr Ende in der Messingstadt.«
Um keinen vorzeitigen Verdacht zu erregen, fand es der Fakir an der Zeit, die Karawane diesmal in die nächste Oase zu führen, die auf seiner Karte verzeichnet war.
»In fünf Tagen,« verhieß er, »werden wir eine herrliche, ausgedehnte und gutbevölkerte Oase erreichen, wo wir lange rasten und alle Vorräte ergänzen können.«
»Dann hat es keine Not,« meinte der Pascha, »denn bis dahin sind wir mit Lebensmitteln und Futter für die Kamele reichlich, mit Wasser zum mindesten genügend versehen.«
»Sie unverbesserlicher Sohn der Vertrauensseligkeit!« tadelte der Professor den Kapitän, sobald der Indier sich zurückgezogen hatte: »Gehen Ihnen denn niemals die Augen auf? Immer wieder haben sich die Versprechungen dieses Spitzbuben als Täuschungen erwiesen, und zwar nach meiner festen Überzeugung als absichtliche, heimtückische Irreführungen, und immer wieder bringen Sie ihm den gleichen kindlichen Glauben entgegen! Ich sage es Ihnen mit Bestimmtheit voraus, daß der Kerl uns auch diesmal wieder ganz niederträchtig aufs Eis führt!«
»Aufs Eis?« lachte Abul el Futha, sich die perlende Stirne trocknend: »Welch ein herrlicher, erfrischender Gedanke bei dieser Gluthitze! Doch Sie sind Ihrerseits ein unverbesserlicher Unglücksprophet, trotzdem bis jetzt immer alles gut ablief.«
»Gott sei Dank! Ja, alles lief mit knapper Not noch gut ab, aber gewiß nicht durch das Verdienst dieser indischen Giftschlange, und ebenso gewiß nicht nach ihren Absichten und zu ihrer Befriedigung.«
»Sie verdienten den Namen Unke oder Nachteule eigentlich noch viel eher, als die ängstliche Isolde,« brummte der alte Seebär. »Warten wir ab! Auf die Prophezeiungen eines deutschen Professors gebe ich nichts. Überhaupt sind Sie Altertumsforscher und können nur auf dem Gebiete der Vergangenheit als Sachverständiger gelten. Wenn Sie sich anmaßen, auch auf dem Gebiete des Zukünftigen zu orakeln, so überschreiten Sie die Grenzen Ihres Wissensgebiets.«
»Ja, ja! Warten wir's ab!« grollte Rommel: »Ich weiß ja genau, daß ich recht behalte, Sie aber werden trotzdem an Ihrem blinden Vertrauen festhalten!«
So wurde denn beiderseits abgewartet. Diesmal aber triumphierte Münchhausen, denn tatsächlich wurde am fünften Tage die verheißene Oase erreicht.
»Nun, wer hat jetzt recht behalten?« fragte der Kapitän den Professor, als in dem herrlichen Grün das willkommene Lager aufgeschlagen wurde. »Sie sind der Schwarzseher, aber ich der Hellseher.«
Rommel hätte lieber Hunger und Durst gelitten, als mit seiner schlimmen Prophezeiung derart zuschanden zu werden.
»Dieser eine Fall beweist nichts,« verteidigte er sich: »Man hat schon oft Beispiele gehabt, daß auch der ausgemachteste Lügner zwischenhinein einmal die Wahrheit gesagt hat. Abd ul Hagg ist ein gerissener Gauner, und es ist höchst wahrscheinlich, daß er die Wahrheit diesmal aus schlauer Berechnung sagte, um uns desto sicherer zu machen.«
»Ich sage es ja!« lachte Münchhausen: »Es gibt nichts Unbelehrbareres, als einen Professor! Und wenn ihm zehnmal der Beweis erbracht wird, daß er sich geirrt hat, so weiß seine Spitzfindigkeit es so zu drehen, als sei gerade dieser Gegenbeweis die trefflichste Stütze seiner Behauptung. Streite einer mit einem Professor! Er mag noch so offensichtlich recht haben, er wird dennoch den kürzeren ziehen gegenüber der professorlichen Überlegenheit, und jeder Hereinfall bestärkt den Besserwisser bloß in seiner vorgefaßten Meinung.«
Abu Ramleh sah ein, daß dies nicht die richtige Gelegenheit sei, weitere Versuche zur Bekehrung des Paschas zu machen, und bewies seine wahre Weisheit durch vorläufiges Schweigen. Daß seine Stunde noch kommen werde, stand ihm fest, und er freute sich nach Gelehrtenart auf das schlimme Ereignis, das über kurz oder lang die Richtigkeit seines Verdachtes bestätigen müßte. Hätte er freilich geahnt, wie furchtbar dieses Ereignis sein würde, solche eitle Vorfreude wäre ihm vergangen, und er hätte es vorgezogen, selber bekennen zu müssen, daß er sich glücklicherweise gründlich getäuscht habe.
Auch in dieser Oase knüpfte der Pascha, trotz ihrer Entfernung von Ägypten, gewiegte und erfolgreiche Unterhandlungen an behufs Unterwerfung der Einwohner unter die Oberhoheit des Khediven.
Im übrigen genoß man die angenehme Rast ausgiebig und ließ es sich wohl sein bei der Fülle an Nahrungsmitteln und köstlichem Quellwasser.
Nachmittags pflegten die Deutschen im Schatten der Palmen zu lagern, plaudernd und rauchend. Letzteres übten wenigstens die männlichen Mitglieder der Gesellschaft mit Vorliebe.
Der alte Seebär wußte auch hier, so fern von der See, allerhand interessante Erlebnisse zu berichten, die ganz den Charakter des Jägerlateins trugen, das ja auch bei den Seeleuten so üppig blüht.
Heute gab er auch einige solche Geschichten preis, und zwar keine Seeabenteuer, sondern angebliche Erlebnisse in der Wüste, wie sie ja hierher am besten paßten.
»Also!« hub er an, als er gebeten worden war, seine Wüstenabenteuer zu erzählen, auf die er die Gesellschaft durch einige geheimnisvolle Andeutungen begierig gemacht hatte. »Also! Vor etlichen Jahren schon habe ich eine Forschungsreise durch die Sahara unternommen, als mir das Meer zu naß wurde. Ich bin ja mit Leib und Seele Seefahrer. Aber Sie haben wohl schon gehört, daß berühmte Musiker Zeiten hatten, wo ihnen jeder Ton zuwider war, und sie einen, allerdings vorübergehenden Abscheu empfanden vor dem, das sonst ihr Leben und ihre höchste Wonne zu sein pflegte. Genau so geht es dem Dichter, der zeitenweise vor jedem Vers ein Grauen verspürt, oder der Blaujacke, vor allem dem Kapitän, den man wohl Seekünstler oder Meergenie heißen dürfte, wenn er vor der gar zu nassen Feuchtigkeit der Wellen einen Widerwillen faßt.
»Nun hatte ich in Erfahrung gebracht, es gebe in der Welt nichts Trockeneres, als die Wüste Sahara. Das war in meiner damaligen Stimmung ganz mein Fall, und so zögerte ich keinen Augenblick, zu landen und mich in diese erwünschte Gegend zu begeben. Anfangs zwar hätte ich meinen Plan beinahe aufgegeben, als ich von einem erfahrenen Wüstenreisenden, bei dem ich mich nach Weg und Steg erkundigte, erfuhr, daß es in der Sahara eigentlich weder Wege noch Stege gebe, und er dabei äußerte:
›Die Wüste ist ein unermeßliches Sandmeer.‹
»›So?‹ sagte ich enttäuscht: ›Dann hat man mich falsch berichtet, und ich werde mich hüten, sie zu betreten: ich habe ja eben das Meer für eine Weile gründlich satt, und gedachte, mich in eine völlig trockene Landschaft zu verfügen.‹
»Als der Mann mich jedoch versicherte, man habe mir in dieser Beziehung durchaus keinen Bären aufgebunden, und die Trockenheit dieses Meeres sei geradezu sprichwörtlich, entschloß ich mich doch zu einer näheren Besichtigung dieser eigentümlichen Natur.
»Noch einmal wurde ich wankend, als ich hörte, man müsse die Reise zu Kamel machen, denn das Kamel sei das Wüstenschiff.
»›Oho!‹ sagte ich, ›von einer Schiffsreise will ich durchaus nichts wissen, das wäre ganz gegen den Zweck meiner Landung. Und überhaupt, wenn die Sahara zu Schiff befahren wird, ist ihrer angeblichen Trockenheit doch nicht recht zu trauen. Ich wenigstens kann mir nicht vorstellen, wie man auf trockenem Grunde Schiff fahren könnte.‹
»Der Afrikareisende belehrte mich aber, das sogenannte Wüstenschiff sei nicht für Wasserfahrten gebaut, sondern eigentlich ein vierfüßiges Tier, das man nur ›Wüstenschiff‹ benannt habe, nachdem die Wüste einmal als Sandmeer bezeichnet worden sei.
»Ich traute zwar der Sache nicht recht, denn die Landbewohner halten uns ehrliche Seefahrer gar zu gern zum Narren. Und was sollte das für eine Läppischkeit und Anmaßung sein, unsere Fachausdrücke auf Dinge anzuwenden, die mit der See rein gar nichts zu tun haben? Ehrlich ist das nicht, sondern Schwindel, zum mindesten rechtswidriger Raub.
»Immerhin sah ich mir die Sache an, und fand, daß es stimmte. Mein Kamel schaukelte zwar wie ein wurmstichiger Nachen; doch war mir das nur angenehm, denn wir Wasserratten fühlen uns einmal nicht wohl auf dem unbeweglichen Erdboden; diese Starrheit ist gar zu unnatürlich.
»Und wie trocken war die Sandebene! Einfach herrlich für mein feuchtigkeitsmüdes Empfinden. Ich drang daher tief in die Sahara ein, begleitet von zwei arabischen Kameltreibern, die etwas Englisch verstanden; denn damals sprach ich noch kein Wort Arabisch. Aber bei meiner Gewandtheit in der Erlernung fremder Sprachen konnte ich mich schon nach kurzer Zeit in ihrer Muttersprache mit ihnen unterhalten.
»Eines Tages rasteten wir in der Mittagsglut. Mir war schon lange das Sitzen oder Liegen auf dem heißen Sande zuwider, daher kam ich auf den Gedanken, mir einen Feldstuhl zu zimmern. Eine Planke besaß ich, nämlich einen Kistendeckel, da unser Mundvorrat teilweise in Kisten verpackt war.
»Mit meinem Messer bohrte ich mühsam vier Löcher hinein, da ich keinen Bohrer bei mir hatte. Dann zerschnitt ich eine übrige Zeltstange in vier Stücke, die ich oben und unten scharf zuspitzte. Oben, um sie in die sich verjüngenden Löcher recht fest einbohren zu können, unten, um ihnen im losen Sande einen sicheren Halt zu geben.
»Ich war so vertieft in meine Arbeit, daß ich nichts hörte und sah. Es war ja hier auch nichts zu hören und zu sehen. Plötzlich aber war es mir, als sei da etwas Ungewöhnliches um den Weg. Und wie ich unwillkürlich aufblicke, was sehe ich? Keine zwei Schritte von mir stapft ein ungeheures Nilpferd auf mich zu und sperrt schon den entsetzlichen Rachen auf, um mich zu verschlingen!
»Das war aber noch gar nichts! Fünf Schritte hinter dem Untier watschelt ein riesiges Krokodil mit dem infamen höhnischen Lächeln, das diesen widerlichen Geschöpfen eigen ist.«
»Hören Sie, Kapitän!« unterbrach hier der Professor den Erzähler: »Ein Flußpferd und ein Kaiman, diese ausgesprochenen Wasserbewohner, in der wasserlosen Sandwüste? Das ist doch beinahe unglaublich!«
»Nicht wahr? Ganz denselben Gedanken hatte auch ich,« fuhr Münchhausen mit unerschütterlicher Ruhe fort. »Aber es war eine nur zu unleugbare Tatsache. Was weiß ich, hatten die beiden, offenbar eng befreundeten Tiere einen gemeinsamen Spaziergang unternommen und sich dabei verirrt, oder hatten sie, genau wie ich, eine Anwandlung, in der ihnen die ewige Feuchtigkeit zum Ekel geworden war und sie sich nach einer grundtrockenen Gegend sehnten? Kurz, sie waren da!
»Ich konnte mir keine langen Gedanken darüber machen; denn die Scheusale hatten offenbar die unliebsame Erfahrung gemacht, daß es in der Wüste an jeder Gelegenheit mangelt, Durst und Hunger zu stillen, ein Umstand, den sie in ihrer Unerfahrenheit beim Antritt ihrer Expedition nicht in Rechnung gezogen hatten. Nun waren sie goldfroh, mir begegnet zu sein, und gedachten, ihren quälenden Hunger und rasenden Durst auf meine Kosten zu stillen.
»Das war mir höchst unsympathisch, aber was konnte ich dagegen tun, da ich keinerlei Waffe bei mir hatte, als mein armseliges Taschenmesser?
»Da, im Augenblicke höchster Gefahr, als das Nilpferd schon nach mir schnappen will, kommt mir ein rettender Gedanke: ich fasse eines meiner gespitzten Hölzer in der Mitte, halte es senkrecht, und stoße es in den gähnenden Rachen. Das Flußpferd schnappt krampfhaft, aber die Spitzen bohren sich oben und unten in die Kinnladen, die Zunge durchbohrend, und da steht es mit dem Sperrholz und kann den Rachen nicht mehr schließen.
»Inzwischen war auch das Krokodil herbeigekommen. Sein fürchterliches Gebiß drohte noch gräßlicher in dem weitgeöffneten Maul; denn es war auch schon im Begriff, mich anzupacken. Ich aber langte nach dem zweiten Stuhlfuß und fuhr ihm damit ebenso zwischen die Kinnladen, wie dem Hippopotamus. Das Amphibium machte ein urkomisches, erschrockenes Gesicht, als es sein Mundwerk nicht mehr zuklappen konnte und seine wütenden Anstrengungen die Spitzen des Sperrholzes nur immer tiefer in sein Fleisch bohrten. Ich mußte lachen über die völlige Hilflosigkeit dieser schrecklichen Ungetüme, die sich einen Augenblick zuvor noch eingebildet hatten, Kapitän Hugo von Münchhausen sei ihre sichere Beute und werde ihnen ein angenehmes Frühstück gewähren. Auf solche Geistesgegenwart und Hilfsmittel eines waffenlosen Mannes waren sie doch nicht gefaßt gewesen!
»Ich sage Ihnen, die beiden Araber, die, vor Schrecken starr, in einiger Entfernung stehen geblieben waren, als sie nun merkten, wie völlig machtlos die Scheusäler mit ihren gähnenden Rachen waren, brachen in ein Gelächter aus, wie ich es noch nie von einem menschlichen Wesen vernommen hatte. Dann trauten sie sich heran, und als sie sich überzeugten, daß die Tiere in der Tat zu keinerlei Angriff mehr fähig waren, führten sie einen Freudentanz rings um die Geprellten aus, wie er sonst nur bei Indianern oder Negern üblich ist.
»Das brachte die bedauernswerten Geschöpfe vollends aus der Fassung, so daß sie beschämt und schmerzvoll die Köpfe hängen ließen, ja, das Krokodil fing gar an zu weinen vor Wut und Enttäuschung. Ich sah da zum erstenmal die berühmten Krokodilstränen; diesmal waren sie jedoch echt und wohlbegründet, also eigentlich nichts weniger als Krokodilstränen.
»Sie können sich denken, daß mich die Tiere dauerten, als ich sie so niedergeschlagen sah. Sie hatten mich freilich rücksichtslos verspeisen wollen; aber durfte ich ihnen dies als vernünftiger Mensch übelnehmen? Es entsprach ihrer Natur.«
»Hören Sie, Kapitän,« konnte der Professor jetzt nicht unterlassen, den Erzähler zu unterbrechen: »Es entspricht keineswegs der Natur eines Nilpferds, einen Menschen zu verschlingen. Diese allerdings gewaltigen und gefährlichen Dickhäuter sind sämtlich Pflanzenfresser, wie der Elefant und das Nashorn.«
»Na, na! Sie urteilen nach ihrer Schulweisheit wie jeder Professor, und was Sie aus Ihren Lehrbüchern gelernt haben, halten Sie für unabänderliche Naturgesetze. Aber ich sage Ihnen, ein Flußpferd kümmert sich den Kuckuck um das, was ein deutscher Professor ihm vorschreiben will. Wenn es am Verhungern ist, pfeift es auf die nicht vorhandene Pflanzenkost und ist an einem fetten Bissen, wie ich schon damals einer war, goldfroh. In der Not frißt der Teufel Fliegen, und ich wollte einen hungernden Vegetarianer sehen, wenn man ein saftiges Beefsteak vor ihn stellt, ob er es um seiner edlen Grundsätze willen vorzöge, zu verhungern. Nein! Er wird aus der Not eine Tugend machen und gierig hineinbeißen. Wie wollen Sie nun von einem unvernünftigen Vieh eine Zurückhaltung erwarten, die ein denkender Mensch nicht üben könnte? Mir fiel es nicht ein, derartige müßige Betrachtungen anzustellen, sondern ich sagte mir, die beiden hatten recht, als sie beabsichtigten, mich zu verzehren, um dem bitteren Hungertode zu entgehen. Ich, als Mensch und sittliches Wesen, hätte es nicht anders gemacht und in der Hungersnot weder einen Nilpferdbraten, noch ein Krokodilsgulasch verschmäht. Somit durfte ich den Raubtieren, denn als solches mußte unter diesen Verhältnissen auch der Hippopotamus gelten, billigerweise nicht zürnen und überlegte, wie ich sie aus ihrer peinlichen Lage befreien könne, ohne Gefahr zu laufen, ihr Opfer zu werden.
»Wie ich darüber nachsann, sehe ich einen gewaltigen Eisbären herantraben.«
Baron von Steinberg, der bisher andächtig und staunend gelauscht hatte, stutzte nun doch bei dieser fabelhaften Behauptung.
Er lächelte verständnisvoll, schüttelte sein blondes Haupt und warf ein:
»Verehrter Kapitän, dieser Eisbär dürfte nun doch ein Bär sein, den Sie uns aufbinden wollen. Soviel ich weiß, leben diese Tiere im ewigen Eise, also in den Polargegenden. Ob sie auch auf den Schweizer Gletschern vorkommen, weiß ich nun nicht, aber halte es nicht für ausgeschlossen, da ja dort auch ewiges Eis herrscht. Aber hier in der glühenden Sandwüste ist ihr Vorkommen doch wohl undenkbar. Sollten Sie am Ende mit dem bekannten Baron von Münchhausen verwandt sein und in Ihren Erzählungen ihm nacheifern?«
»Allerdings war der bekannte Baron mein Urgroßvater,« gestand der Pascha, ohne eine Miene zu verziehen: »Ich heiße eigentlich Baron Hugo von Münchhausen, verzichte aber grundsätzlich auf Hervorhebung meines Adelstitels, den ich ohne persönliches Verdienst, nur von Geburt habe, und bin viel stolzer auf meinen selbsterworbenen Paschatitel.«
Der junge Baron fühlte sich beschämt: wie eitel war er auf seinen Stand gewesen, wie stolz hatte er sich bei Münchhausen als Baron Erich von Steinberg eingeführt, hatte sich auf seine Adelskrone berufen und geglaubt, auf den Pascha herabsehen zu dürfen, weil er ihn für nichts als einen »simplen Kapitän« hielt. Nun mußte er hören, daß er ebenfalls Baron von Geburt war, es jedoch verschmäht hatte, ihm dies jemals entgegenzuhalten, weil er über Standesvorurteile erhaben war. Abu Haschisch kam sich plötzlich ganz klein und bedeutungslos vor und war geneigt, diesem Manne selbst den Eisbären in der Sahara zu glauben.
Münchhausen jedoch fuhr seelenruhig fort: »Mein Urgroßvater war ein vielgereister, heldenmütiger Mann, der ganz Außerordentliches erlebte. Er teilte das Schicksal aller hervorragenden Reisenden, daß ihm von der Stubengelehrsamkeit mit ihrem beschränkten Horizont blöde Zweifel entgegengesetzt wurden. Das ärgerte ihn derart, daß er, um die Spötter zu verhöhnen, fabelhafte Abenteuer erfand. Phantasie hiezu besaß er genügend. Nun erlebte er die Genugtuung, daß die gleichen Zweifler, die seine wahrheitsgetreuen Erlebnisse für Schwindel und Aufschneidereien gehalten und erklärt hatten, nicht selten auf seine erfundenen Geschichten hereinfielen und ihnen Glauben schenkten. Dies reizte ihn, immer unmöglichere Fabeln auszudenken, und durch diese hat er sich dann den Ruhm und Weltruf erworben, den eigentlich seine Entdeckungen und wirklichen Abenteuer ihm hätten verschaffen sollen.
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»Ich bin der echte Sprosse dieses Mannes, und, geben Sie acht: wenn Sie meine zwar außerordentlichen, aber doch wahrheitsgetreuen Berichte so schnöde anzweifeln, werde ich, wie er, Ihnen haarsträubende Geschichten auftischen, und ich wette, daß mancher von Ihnen darauf hereinfallen wird. Ich aber werde Sie auslachen und mich meiner gelungenen Rache freuen.«
Durch diese im Tone des Ernstes vorgetragenen Behauptungen ließ sich Steinberg tatsächlich überzeugen und glaubte nun an den Eisbären. Auch Isolde und Peter Grill vermochten nicht den Schalk zu durchschauen. Die andern Mitglieder der Gesellschaft freilich, Franz Billinger nicht ausgenommen, ließen sich nicht täuschen. Doch fiel es ihnen nicht ein, dem Kapitän seine harmlosen Scherze zu verübeln, dienten sie doch vorzüglich zu ihrer Unterhaltung und Erheiterung, umso mehr, wenn sie zu ihrem stillen Vergnügen sahen, wie der Baron, sein Diener und die Zofe mit offenem Munde und weitaufgerissenen Augen den wunderbaren Abenteuern gläubig lauschten.
Der Pascha begann also wieder: »Wie gesagt, ich sah einen großmächtigen Eisbären auf mich zukommen. Die Anwesenheit eines solchen Bewohners der Nordpolarzonen ist zwar eine Seltenheit in diesen heißen Gegenden, und ich bin meines Wissens der erste und bis jetzt einzige, der sie feststellen konnte, unerklärlich aber ist sie durchaus nicht. Es kommt vor, daß Walfische bis ins Mittelmeer verschlagen werden, so eng auch die Meerenge von Gibraltar für dieses gewaltigste Seeungeheuer ist. Selbst die Seeschlange, die doch bedeutend schlanker ist, pflegt die Meerenge nicht zu passieren, wenigstens habe ich nie gehört, daß sie im Mittelmeer beobachtet wurde. Dagegen war ich selber einmal zugegen, als ein Wal an der Küste der Riviera bei Cannes strandete. Die ganze Stadt erzitterte von seinem Gebrüll und kein Einwohner konnte die Nacht über ein Auge schließen vor Entsetzen über diese nie gehörten, unerklärlichen Töne. Erst am Morgen wagten sich beherzte Leute an den Strand und fanden den Riesen hilflos auf den Uferkieseln liegen. Für die Fischer war das nun eine reiche Beute. Wenn so etwas unleugbare Tatsache ist, so wird jeder Gebildete zugeben, daß die Anwesenheit eines Eisbären in der Sahara durchaus nicht wunderbarer erscheint, im Gegenteil!
»Bekanntlich reißen sich im Norden oft Eisschollen von ungeheurer Ausdehnung los, und es ist nichts Seltenes, daß ein Eisbär oder gar mehrere auf einem Eisberg südwärts treiben. Zwar schmilzen diese Schollen rasch in den wärmeren Gewässern, doch kann immerhin in einem besonders kalten Winter der Rest eines Eisbrockens bis an die spanische Küste getrieben werden. Nehmen Sie an, auf solch einem Reste befindet sich ein Eisbär. Froh, daß er festen Grund gewinnen kann, ehe sein gebrechliches Floß sich vollends auflöst und er in der unendlichen See elend ersaufen muß, wird er unverzüglich an Land gehen. Vielleicht besitzt er Instinkt genug, sich nach Norden zu wenden. Da aber versperrt ihm die gewaltige Mauer der Pyrenäen den Weitermarsch. Er erschrickt vor den Felswänden, die ihm unersteiglich erscheinen, und was bleibt ihm anderes übrig, als nach Süden auszubiegen? Hier gelangt er schließlich an die Meerenge von Gibraltar. Er sieht drüben die afrikanische Küste in geringer Entfernung, und, da er ein ausgezeichneter Schwimmer ist, bedenkt er sich nicht lange, sondern stürzt sich in die Fluten und schwimmt hinüber. Höchstwahrscheinlich werden ihm auch menschliche Verfolger auf den Fersen sein, so daß er gar keine andere Wahl hat. Ist er aber einmal in Afrika, so gerät er notgedrungen auf seiner Weiterwanderung in die Sahara. Es ist anzunehmen, daß er beabsichtigt, den Südpol zu erreichen, nachdem ihm das Pyrenäengebirge die Rückkehr nach dem Norden abschnitt. Der Gedanke mag für ihn etwas Verlockendes haben, wenn er überlegt, wie reich die Südpolargegenden an Robben und Pinguinen sind und daß ihm da keinerlei Wettbewerb von Artgenossen die Beute streitig macht. Das wäre ja ein wahres Dorado für ihn.
»Ich vermute also, daß mein Eisbär den Südpolargegenden zuwanderte; daß er am Kap der Guten Hoffnung ein unüberwindliches Hindernis für seine Weiterreise finden werde, konnte er sicherlich nicht ahnen; denn solche geographische Kenntnisse scheinen mir für einen Eisbären völlig ausgeschlossen. Vielleicht ist der verehrte Professor wieder anderer Ansicht ...«
»O nein!« beeilte sich Rommel lachend zu erklären: »Hierin stimme ich völlig mit Ihnen überein!«
»Desto besser!« nahm der Kapitän seinen Bericht wieder auf. »Sie werden sich lebhaft vorstellen können, daß ich damals, als ich das Tier erblickte, weit entfernt war, solche Überlegungen anzustellen und mir den Kopf über das Wieso? und Warum? zu zerbrechen, obgleich ich über den Anblick aufs höchste verblüfft war. Zu langem Nachgrübeln hatte ich wahrhaftig keine Zeit und auch keinerlei Lust; denn da war nicht zu spaßen. Ich traute allerdings meinen Falkenaugen kaum, allein das Tier war ein richtiger Bär, mit weißem Pelz und spitzer Schnauze, also unleugbar ein Eisbär. Und ich ohne Waffen!
»Die Kameltreiber ließen mich wieder schnöde im Stich und verkrochen sich hinter die ängstlich schnaubenden Dromedare. Weder die Araber noch die Tiere hatten jemals ein derartiges Raubtier gesehen, da es in ihrer Heimat keine Menagerien, geschweige denn Tiergärten gab: sie sahen sich daher vor etwas Unbekanntem, Furchtbarem, das sie mit höchstem Grauen und Entsetzen erfüllte. Für mich war es ein schlechter Trost, daß ich wußte, mit wem ich es zu tun hatte: es brachte mir die Gefahr nur umso deutlicher zum Bewußtsein.
»Nun meinen Sie wohl, ich hätte zum dritten Stuhlfuß greifen sollen, und das Ungetüm mundtot machen, wie das Krokodil und Flußpferd? Aber der Bär, der sich nun aufrichtete und mit aufgesperrtem Rachen auf mich zukam, besaß ja nicht die umfangreiche Mundhöhle, die es erlaubte, ein solches Sperrholz hineinzutreiben. Ich hätte das Stuhlbein erst bedeutend verkürzen müssen, und dazu mangelte es an Zeit.
»In meiner Ratlosigkeit flüchtete ich in das Zelt, obgleich mir dieses keinerlei Schutz gewähren konnte. Da erblickte ich die Zeltstange: das war doch immerhin eine Schutzwaffe! Ich riß sie also aus und trat so bewaffnet meinem unheimlichen Feinde entgegen.
»Ich versetzte ihm einen gewaltigen Stoß vor die Brust, brachte ihn aber dadurch nicht einmal zum Wanken, vielmehr drängte er mich mitsamt der Stange Schritt für Schritt zurück. Allein das half ihm nichts: wo er sich auch hinwendete, immer hielt ich ihm die Stange entgegen, und diese verhinderte seine Annäherung. Mochte er vordrängen mit aller Kraft: die Stange blieb stets zwischen uns beiden und sorgte dafür, daß der Abstand gewahrt wurde.
»Da erfaßte das Tier eine namenlose Wut: mit beiden Pranken ergriff es das Ende der Zeltstange, schnappte danach und biß ein Stück davon ab.
»Kein übler Plan! Hätte er die Stange so Stück für Stück zerbissen, so mußte er mir immer näher kommen, bis er mich schließlich mit den mörderischen Tatzen erreichte. Doch, geistesgegenwärtig, wie ich gottlob in den Augenblicken höchster Gefahr immer bin, machte ich ihm einen gewaltigen Strich durch seine pfiffige Rechnung: kaum hatte er das Ende, ein Stück von etwa fünfzehn Zentimeter Länge, abgebissen und im Maule stecken, so schob ich die Stange aus allen Kräften nach und drängte damit den Holzbrocken in seinen Schlund, so daß ihm nichts übrig blieb, als ihn zu schlucken.
»Wütend biß er nun auch das nachgeschobene Ende ab, so weit es ihm im Maule steckte. Blitzschnell zwang ich ihn durch einen zweiten kräftigen Stoß, auch dieses hinunterzuwürgen. Wieder steckte ihm die Stange im Rachen, so weit sie hineinging, und wieder trennte sein scharfes Gebiß das Ende ab. Und so ging es fort: mein jedesmaliges ruckweises Nachstoßen versetzte ihn in die Notwendigkeit, die abgebissenen Teile eines ums andere hinabzuschlucken. Weil die Holzstücke jedoch zu lang waren, um sofort im Magen Platz zu finden, blieben sie in der Speiseröhre stecken und füllten diese nach kurzer Zeit bis oben aus. Nun war es mit dem Würgen zu Ende: die ganze Schlundröhre, vom Magen bis zur Gaumenwölbung, war mit Holzbrocken angefüllt und verstopft. Das oberste dieser Stangenbruchteile verschloß überdies die Luftröhre so gründlich, daß dem Bären das Atmen unmöglich wurde. Dumpf röchelnd fiel er um und verendete nach kurzer Zeit.
»Jetzt wagten sich meine Kameltreiber wieder hervor. Mit stummem Staunen und zitternder Angst hatten sie über den Rücken der Kamele hinweg meinem Heldenkampfe zugeschaut. Nun stimmten sie ein Siegesgeheul an, als hätten sie selber den unerhörten Sieg erfochten. Ich hieß sie das Tier abhäuten und zerlegen. Die Eingeweide und alles für uns Menschen Ungenießbare warf ich dem Nilpferd und dem Krokodil vor, die stets noch mit klaffendem Rachen dastanden, als rissen sie den Mund vor Erstaunen auf über meine fabelhafte Leistung, deren Zeugen sie gewesen waren.
»Ich wagte es jetzt, die Scheusäler eines ums andere von den Sperrhölzern zu befreien: das war eine schwere Arbeit, denn sie steckten so fest, daß mir nichts übrig blieb, als sie mit meinem Messer in der Mitte einzukerben und abzubrechen, worauf ich sie aus den Wunden ziehen konnte. Die Tiere hatten beide durch die so lange währende gewaltsame, übertriebene Aufsperrung ihrer Kinnladen den Kinnbackenkrampf bekommen. Das hatte ich vorausgesehen und nicht befürchtet, daß sie noch während meiner Samariterdienste zuschnappen könnten. Sie standen noch eine geraume Weile mit gähnendem Rachen da, bis die Muskeln wieder ihre Bewegungsfähigkeit erlangten: es war ein Anblick zum Totlachen!
»Ich hielt die beiden andern Stuhlfüße bereit, für den Fall, daß die gefährlichen Geschöpfe undankbar genug sein würden, einen neuen Angriff auf mich zu unternehmen. Doch hiezu war ihnen die Lust offenbar gründlich vergangen. Sie hatten es am eigenen Leibe qualvoll verspürt, was für ein furchtbarer Gegner Kapitän Hugo von Münchhausen war, mit dem nicht gut Kirschen essen sei; sie hatten zum Überfluß mit angesehen, wie ich ein Ungeheuer gleichsam spielend überwand, das ihnen selber Furcht einflößen mußte. Vielleicht mischte sich damit ein Gefühl der Dankbarkeit, daß ich sie so edelmütig von ihrer Marter befreit hatte, da sie sich doch ehrlich eingestehen mußten, keinerlei Rücksicht von meiner Seite verdient zu haben, — kurz, sie hielten sich in bescheidener Entfernung, ohne den geringsten Versuch, ihren Angriff zu erneuern.
»Dagegen hätten Sie sehen sollen, mit welchem Heißhunger sie sich auf die Reste des Eisbären warfen, die meine Großmut ihnen überlassen hatte! Selbst das Flußpferd schlang sie so gierig hinab, daß Professor Rommel, wenn er es hätte mit ansehen können, gründlich von seinem Wahne geheilt worden wäre, als könne ein Pflanzenfresser nicht auch Fleischspeise genießen, wenn ihm der gräßliche Tod des Verhungerns droht.
»Nachdem sie sich satt gegessen hatten, kehrten sie uns den Rücken, ohne ein Wort zu sagen, und schlichen beschämt von dannen. Ich aber ließ die Treiber ein Feuer aus Kamelmist entzünden, um die Bärenschinken zu braten; denn ich hatte einen Bärenhunger nach all den Aufregungen und Anstrengungen, und ich kann Ihnen sagen, selten habe ich so eingehauen und hat es mir besser geschmeckt, als an jenem Abend in der Wüste, und das will bei mir viel heißen!«
»Jawohl!« sagte die Zitrone lachend: »Wir alle kennen Ihren gesegneten Appetit!«
»Und haben ihn oft neidvoll bewundert,« fügte Rommel hinzu. »Doch meine Hochachtung: Sie stehen als kühner und Wunder vollbringender Jäger Ihrem seligen Herrn Urgroßpapa keinesfalls nach. Sie machen ihm Ehre und verdienten es, so berühmt zu werden, wie er.«
»Das hoffe ich auch!« sagte Münchhausen trocken.
»Wahrhaftig! Fabelhafte Leistungen,« bemerkte Steinberg: »Hätte so etwas nie für möglich gehalten.«
Und Isolde flötete: »Da braucht einem ja vor keiner Gefahr bange zu sein, wenn der Herr Pascha bei einem ist, solch ein Jäger und Held!«
»Herr Professa,« mahnte jedoch Franz Billinger! »Denkt's Eahna noch, wo dö Fräulein den Löwen derschlogen hobn, hamm ma g'schworen, daß ma in da nächsten Oasen no ganz ondre Viecha derlegen. Dös muß a Wurt san! Mi leidts nimma, und 's loßt ma koan Ruh, wann i hörn und sehn muß, wie dö ondern a solche Heldentoten veriben, und da Franzl und soan Herr, wo doch nit weniga Mut und Kurasch hamm, sans no ollweil im Rückstond. Wann soll's losgehn mit unsra Jogd? I konn's nit derwarten!«
»Du hast recht,« sagte Rommel: »Ich werde mich noch heute abend bei den Eingeborenen erkundigen, was für Ungeheuer die Büsche dieser Oase bergen, und dann kommen wir zwei dran. Paß auf! Wir werden Taten vollbringen, daß die andern nur so staunen und die Araber vor Verwunderung aus der Haut fahren, was ihnen gar nichts schaden kann.«
»Dös is a Wurt!« frohlockte der Bayer: »Wann's da Herr Kapitän in da Wüsten an Eisbären mit oaner olten Zeltstongen derlegt hot, und a Kokodril und a Nilpferderl mit Sperrhölzerln, nachher wurd da Franzl an Seelöwen mit soane Protzen derwürgen, oda da Seeschlongen mit soana Finganägel den werten Bauch aufschlitzen. Denn worum sollen nit aa solche Mordsviecha sö in dö Wüsten vairrt hamm? Is olles mögli, wo da Herr Pascha ummikraxelt. Und wann's nit möglich is, hernach vullbringa ma 's unmöglich. Denn, ball da Herr Kapitän sö nit fürchten tut vurm Unmöglichen, nachher fürcht sö da Franzl erst recht nit, und dös derfen S' fein glaaben. Und wann's bloß a Mistkäferl is, kimmt ma's nit drauf an, an Bison draus z' mochen, daß sö's Derzählen verlohnt.«
»Schämen Sie sich, Franz!« tadelte Isolde: »Wollen Sie durch Schwindel und Aufschneiderei zu Heldentaten kommen, die Sie nicht verübt haben? Ich, die ich mit dem Wüstenkönig gekämpft habe, ohne mit der Wimper zu zucken, habe es freilich nicht nötig, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.«
»Du, Peter!« sagte an diesem Abend der Baron zu seinem Diener: »Du entsinnst dich wohl noch unserer letzten Jagd in der Oase Kufra?«
»Gnädigster Herr Baron,« erwiderte Peter: »Diese Jachd werde ik meener Lebtaje nich verjessen, und wenn ik so alt werden sollte, wie der selige Methusalah. Wir vermeenten eenen Wüstenfuchs zu besiejen, und et war bloß een wüster Hund. Wir haben uns unsterblich blamiert, det is meene unmaßjebliche Meenung.«
»In der Tat, es war eine betrübende Blamage, und wir sind ganz abscheulich ausgelacht worden. Wenn ich nun bedenke, daß ich schon öfters solches Jagdpech erlitten habe, während meine Schwester einen richtigen Löwen bekämpft hat und Fräulein Harmonika und sogar Isolde an der Heldentat beteiligt waren, wenn ich ferner überlege, daß der Pascha in diesen Wüsten ein Nilpferd, ein Krokodil und gar einen Eisbären an einem Tage überwältigte, so läßt es mir keine Ruhe: ich muß ein gewaltiges Raubtier erlegen, um ein für allemal meine Jägerehre zu retten. Sie sollen alle erkennen, daß meine bisherigen Mißerfolge nur unverschuldetes Mißgeschick waren, und ich im Grunde ein unerschrockener und erfolgreicher Jäger bin, wie irgend ein anderer.«
»Janz meene Ansicht!« stimmte Abu Homrah bei: »Wir sin uns eene Ehrenrettunk oder Reabtiliation schuldig.«
»Also,« begann Steinberg wieder: »Morgen früh gehen wir ganz heimlich auf die Jagd; aber dann soll's was geben! Sie sollen staunen, wenn wir zurückkehren und sie unsere Heldentaten vernehmen. Ich kehre einfach nicht um, ehe ich zum mindesten einen Löwen erlegt habe.«
»Een Löwe,« rief Grill begeistert: »Ja det soll det mindeste sin.«
»Und sollte ich eine Woche lang ausbleiben müssen, ich lasse nicht nach,« versicherte Abu Haschisch. »Nun habe ich von den Eingeborenen erkundet, daß es in dieser armseligen Oase kein Raubwild gibt. Wir ziehen daher in die Wüste hinaus: da wird es gewiß Löwen geben, man muß sie eben nur aufsuchen; denn daß sie einem nicht in die Hände laufen, wissen wir von unserer bisherigen Reise her, wo uns keiner begegnete: sie scheinen im Grunde doch feige Geschöpfe zu sein.«
»Jawoll, feije Jeschöpfe,« bestätigte Peter: »Desto besser für uns. Un det in die Wüste Löwen zu finden sein müssen, jloobe ik ooch, denn zu wat hieße et sonst: Wüstenkönig is der Löwe?«
»Ich habe mir auch einige Sperrhölzer gespitzt,« fuhr Steinberg fort: »Münchhausens Jagdmethode hat mir fabelhaft eingeleuchtet: wenn unsere Schüsse das Untier nicht zur Strecke bringen und es stürzt brüllend auf uns los, so wird ihm einfach ein Sperrholz in den weitaufgerissenen Rachen gestoßen, und es ist unsere hilflose Beute.«
»Jlooben Sie wirklich, dat det allens richtik un wahrhaftik is, was uns der Herr Kapitän berichtet hat?«
»Nee! Geflunkert hat er jedenfalls wie sein seliger Großahne. Aber daß er einfach alles erfunden hat, glaube ich nun doch nicht. Und gerade das mit den Sperrhölzern macht den Eindruck der Wahrheit, und sollte es auch Schwindel sein, so ist es doch eine großartige Idee, die im Ernstfalle nicht von der Hand zu weisen ist.«
»Det machen wir, Herr Baron! Jawoll, det machen wir! Und wenn der Pascha jeflunkert hat, so soll er die Oojen aufreißen, wenn wir seenen Schwindel in die wahrhaftige Wirklichkeet übersetzen.«
»Also, abgemacht!« schloß der Baron: »Morgen früh bei Tagesanbruch schleichen wir uns unbemerkt aus dem Lager, und dann beginnt eine großartige Jagdpartie.«
Der Entschluß kam am nächsten Morgen ganz nach Verabredung zur Ausführung, und die beiden begaben sich, sobald es hell wurde, unbemerkt auf die abenteuerliche Fahrt. Sie verließen die Oase in südwestlicher Richtung, versehen mit Gewehren, Schießbedarf in Hülle und Fülle und Lebensmitteln auf mehrere Tage, da Steinberg wirklich entschlossen war, im Notfall eine ganze Woche die Umgegend nach Raubtieren zu durchstreifen.
Um nicht zu verirren, hatte Abu Haschisch einen Kompaß mitgenommen und hielt strengstens die eingeschlagene Richtung ein. Er hatte nämlich einen kleinen Taschenkompaß in seinem eigenen Gepäck entdeckt.
Selbstverständlich mußte ein Kamel mitgenommen werden, um die Menge der Vorräte zu schleppen, unter denen zwei umfangreiche Wasserbehälter die Hauptrolle spielten.
Steinberg war jeder überflüssigen Anstrengung abhold, wenn er auch etwas ertragen und leisten konnte, wenn es sein mußte. Er ritt meist auf dem Lasttier und gestattete als gutmütiger Herr auch seinem Diener, hinter ihn zu sitzen, wenn er sich ermüdet fühlte.
So ging es ohne Übereilung gemächlich voran.
Der Baron war aber auch ein Genießer, wenn er es haben konnte. War nichts da, nun, so ertrug er auch Hunger und Durst mit männlicher Würde; so lange er jedoch aus dem Vollen schöpfen konnte, ließ er sich nicht gerne etwas abgehen. Und, wie der Herr, so der Diener. Es wurde daher fleißig gerastet, zumal über die drückendste Mittagshitze, und dann wurde getafelt und vor allem das Wasser nicht gespart, sondern der Durst ergiebigst gelöscht. Die Lebensmittel waren so reichlich bemessen, daß sie auch bei solcher Verschwendung wohl acht Tage reichen konnten. Daß aber die Wasserbehälter schon am zweiten Tage leer sein würden, da doch auch das Kamel seinen Trunk bekommen mußte, das berechnete Steinberg nicht, wie er überhaupt ein schlechter Rechner war.
Der erste Tag verging ohne irgend ein Abenteuer, geschweige daß sich ein Tier hätte blicken lassen: Sand, nichts als Sand, das war das altbekannte Einerlei!
»Höre!« sagte Steinberg bei der Abendrast zu Peter: »Ich habe wohl gesagt, wir müssen die Löwen suchen, um sie zu finden; doch dabei habe ich ganz übersehen, daß ich rein nicht weiß, wo sie zu suchen sind, und wir schließlich doch darauf angewiesen bleiben, daß uns einer in die Hände läuft. Oder weißt du Rat?«
»Nee! Det weeß ik freilich nich: doch niederträchtig wäre et von die Biester, wenn sich keenet blicken ließe, indem wir doch ausdrücklich und ausjesprochenermaßen auf die Löwenjachd ausjezojen sind.«
Aber die Löwen waren auch am folgenden Tage tatsächlich so niederträchtig, sich den kühnen Löwenjägern nicht vorzustellen, und als am zweiten Abend das Nachtlager im Sande bezogen wurde, entdeckte der Baron zu seinem Schrecken, daß der Wasservorrat zur Neige ging.
»Das ist eine ganz schlimme Geschichte!« rief er aus: »Eine tatsächliche Gemeinheit! Nun müssen wir trotz aller guten Vorsätze unverrichteter Dinge umkehren und noch dazu zwei Tage Durst leiden! Wenn wir nur die Oase noch lebend erreichen!«
»Det Schicksal meent et nich jut mit uns!« klagte Grill zerknirscht: »Ik jloobe, wir werden wieder ausjelacht, wenn wir ohne die jeringste Jachdbeute von unsern jroß anjelechten Unternehmen zurückkehren!«
Allein das Schicksal hatte eine ganz unerhörte Überraschung für die beiden bereit. Als sie sich am anderen Morgen kleinmütig und nicht ohne bange Sorge auf den Rückweg machen wollten, überzog sich der Himmel plötzlich mit schwarzem Gewölk und ein Wolkenbruch ging nieder, wie sie ihn selbst in Europa nie erlebt hatten: das schüttete wahrhaftig wie mit Kübeln, und das Wasser durchschlug selbst die Zeltwände in feinem Sprühregen und durchnäßte die Insaßen bis auf die Haut.
Weit entfernt, dieses unfreiwillige Bad als Unannehmlichkeit zu empfinden, schwelgten die Durchtränkten vielmehr in einem wahren Wonnegefühl.
»Ik meene, det is een wahrhaftiger und richtiger Rejen!« bemerkte der Vater der Eselin, als er nach den ersten Minuten schweigenden Staunens an seinen triefenden Kleidern herniedersah. »Ik halte det für een eijentliches Wunder und Märchen, indem det ik überhaupt nich mehr jewußt habe, wie so een Rejen aussieht und wie er sik zu benehmen pflecht. Hätten der Herr Baron so etwas für menschenmöjlich und denkbar jehalten in der rejenlosen Saharawüste?«
»Nee!« gestand Steinberg: »Das ist auch mir ein traumhaftes Erlebnis und ich weiß es mir nicht zu erklären; aber pudelwohl fühle ich mich in meinen nassen Kleidern!« Und er legte sich hin, um das sprühende Sturzbad behaglich zu genießen.
Peter folgte seinem Beispiel, und so lagen sie an die zwei Stunden in wortlosem Entzücken.
Endlich erhob sich der Baron und sagte: »Ich verspüre Appetit, Peter, sorge für ein ausgiebiges Frühstück!«
Schnell sprang der Diener auf und öffnete den Zelteingang, um Lebensmittel hereinzuholen, da die Ballen neben dem abgesattelten Kamel im Freien lagen.
Ein Ausruf namenlosen Staunens erscholl aus Grills Munde, sobald er einen Blick hinausgeworfen hatte.
»Herr Baron, Herr Baron! Det is een Meerwunder, die reenste Hexerei un Zauberei! Ik saje Sie, die Wüste is verschwunden, total wech! Da is keen Sand nich mehr, nur eene jrüne Wiese, so weit det Ooje schaut. Ik sehe det Jras un die Pflanzen wachsen: det is een Paradies, een Feenjarten, un et is nich anders möjlich, wir sind in det Zauberreich von eene Fee jeraten.«
Während dieses Redeschwalls war Abu Haschisch längst vor das Zelt hinausgestürzt und machte vor Verblüffung ein Gesicht, das nichts weniger als geistreich aussah.
Anfangs glaubte er zu träumen; aber als er sich überzeugte, daß er tatsächlich wache, geriet er völlig außer Fassung. Ein Traum hätte ja alles erklärt: aber ein solches Wunder für Wirklichkeit halten zu müssen, war doch eine starke Zumutung für einen vernünftigen und gebildeten Menschen. Sollte es in der Sahara tatsächlich Zauberer und Feen geben? Er war versucht es zu glauben.
Vergebens spähte er aus nach den öden gelben Sandflächen, die noch gestern die einzige Aussicht bildeten: keine Spur war mehr von ihnen zu entdecken. Bis zum Horizont dehnte sich nach allen Seiten ein frischer grüner Garten, und es war keine Einbildung Peters: alles wuchs zusehends!
Der Platz, auf dem das Zelt stand wurde auf zwei Seiten von einem reißenden Strom eingefaßt, der sich in mächtigen Schleifen, Bogen und Schlangenwindungen durch die Gefilde hinzog; gestern war das ein ausgetrocknetes Flußbett gewesen, ein breiter Graben in der Sandwüste, den sie überquert hatten, ohne daran zu denken, daß er das Bett eines Stromes darstelle, der nur alle paar Jahre einmal für einige Stunden Wasser führte, dann aber reichlich.
Drei bis fünf Jahre dauert es nämlich in diesen Gegenden der Sahara, bis einmal ein Regen niedergeht, der die im Sande schlummernden Samenkörner wie mit einem Zauberschlage zum Leben weckt. Als ob sie wüßten, wie wenig Zeit ihnen vergönnt sei, keimen, grünen und blühen sie auf binnen weniger Stunden und verwandeln unvermittelt die trostlose Ebene in einen Gottesgarten. Die Samen reifen noch am gleichen Tage unter der Glut der Sonne und fallen nieder, um im Sande verborgen jahrelang zu harren, bis ein neues Regenwunder auch sie zum Leben erweckt.
Weder Grill noch Steinberg hatten je etwas von diesen erstaunlichen Vorgängen gehört: kein Wunder also, daß sie sich in eine richtige Märchenwelt versetzt fühlten.
Das Kamel brachte sie erst wieder zu vernünftiger Besinnung: da stand es am Rande des Stromes und soff sich so voll, daß man es nun getrost acht Tage ohne Wasser lassen konnte. Aber unsere Freunde dachten mit keinem Gedanken an eine solche Notwendigkeit: sie ahnten nicht, daß der Zauber ebenso rasch verschwinden würde, wie er gekommen, sondern glaubten sich aus aller Not auf unabsehbare Zeit befreit. Ein solch üppiges Grün, meinten sie, müsse wochenlang vorhalten, und ein so reißendes Gewässer ebensolang dahinfließen, ehe die Glut der Wüstensonne es wieder zum Versiegen bringen könne.
Trotzdem war es ihr erstes, nachdem sie sich einigermaßen gefaßt hatten, daß sie ihre Wasserbehälter aus dem Flusse füllten und sich in den Fluten satt tranken.
»Zurück können wir vorerst nicht,« sagte der Baron: »Der Strom versperrt uns den Weg; denn da ist keine Möglichkeit hindurchzukommen: er würde uns mitsamt dem Kamel unwiderstehlich mit fortreißen und ersäufen. Aber das tut nichts: wir haben jetzt Wasser genug und können uns getrost so lange hier aufhalten, bis sich das Gewässer so weit verlaufen hat, daß es uns einen gefahrlosen Übergang gestattet, oder bis wir irgendwo eine Stelle entdecken, wo die Strömung nicht so reißend ist.«
Voll freudigen Muts wurde das Lasttier wieder bepackt und der Weitermarsch angetreten. Es war eine solche Wonne, durch das herrliche Grün zu schreiten, daß keiner daran dachte, zu reiten.
So ging es zwei Stunden dahin, obgleich der Regen noch fortströmte. Nun aber sollten unsere Freunde ein neues Wunder erleben.
Der Wolkenbruch ließ nach und rasch klärte sich der Himmel. Die Sonne erschien in ihrer alten Glut und war den Wanderern diesmal willkommen; denn sie hatten angefangen, empfindlich zu frieren, waren sie doch buchstäblich bis auf die Haut durchnäßt, und die beständige Verdunstung der Feuchtigkeit ihrer Kleider an der Luft bedeutete eine ganz gewaltige Wärmeentziehung.
Nach kurzer Zeit hatte die Sonne sie wenigstens äußerlich getrocknet und ein behagliches Gefühl der Wärme durchflutete sie, als sie plötzlich hoch aufhorchten.
Bisher war alles totenstill gewesen, wie gewöhnlich. Nun aber vernahmen sie auf einmal flüchtige Huftritte, und da jagte auch schon ein Rudel Gazellen heran. Mitten im höchsten und saftigsten Grase hielt die Herde an und begann gemächlich zu weiden.
»Woher det Jetier nur kommen mach?« fragte Peter erstaunt: »Det sin doch keene Wüstenbewohner nich!«
»Woher Sie kommen, ist mir schnuppe,« sagte der Vater des Krauts, indem er die Flinte anlegte: »Jedenfalls werde ich uns einen Braten schießen: die Antilopen sind ja so furchtlos oder hochmütig, daß sie von unserer Anwesenheit keinerlei Notiz nehmen. Dafür müssen sie gestraft werden.«
Steinberg zielte auf einen nicht entfernt stehenden kapitalen Bock mit prächtigen Hörnern. Genau auf's Blatt wollte er ihn treffen. Er drückte los, allein die Kugel pfiff der Gazelle an der Nase vorbei, kaum um Handbreite, aber eben doch vorbei. Und was hätte es schließlich den Jäger genützt, wenn er nicht so gründlich gefehlt, sondern die Schnauze getroffen hätte? Das Tier wäre grausam verwundet worden und doch entflohen.
Aber nicht umsonst war heute ein Tag des Märchenzaubers, der Feenwunder oder des Koboldspuks: die vorbeisausende Kugel fand in bedeutend weiterer Entfernung dennoch ein Ziel. Dort weidete ein Bock, der noch ungleich stattlicher war, als das glücklich seinem Schicksal entgangene Opfer. Der Baron, so stolz er auf seine vermeintliche Schießkunst war, hätte nie daran gedacht, auf ein so entferntes Ziel zu schießen. Nun wollte es jedoch sein märchenhaftes Weidmannsglück, daß dieses Prachtexemplar einer Antilope von der verirrten Kugel so tödlich getroffen wurde, daß es nur noch einen Luftsprung machte und verendend zusammenbrach.
Peter, der auch angelegt hatte, ließ vor Erstaunen die Flinte sinken: »Det is een Meesterschuß, een wirklicher Meesterschuß, Herr Baron!« rief er mit weit aufgerissenen Augen: bei aller Hochachtung vor seinem Herrn, hätte er ihm etwas Derartiges niemals zugetraut, denn er hatte ihn oft genug vorbeischießen sehen, oder doch recht schlecht treffen, selbst da, wo das Fehlen beinahe eine Kunst war.
Abu Haschisch hatte nur Augen für seinen Bock gehabt und die Wirkung seines Schusses an weit abgelegener Stelle war ihm völlig entgangen. Als er nun das aufs Korn genommene Tier, anscheinend unverletzt, davonjagen sah, und mit ihm die ganze aufgeschreckte Herde, mußte er seines Dieners Ausruf für höchst unziemlichen Spott halten und er sagte unwirsch, wenn auch ziemlich kleinlaut:
»Dummkopf! Halte deine vorlaute Schnute! Hättest du lieber auch geschossen und es besser gemacht, wenn du dir einbildest, ein tüchtigerer Schütze zu sein.«
»Nee!« entgegnete Grill: »Det bilde ik mich jewiß nich in, anjesichts dieses Meesterschusses, und wat meen eejenes Schießen betrifft, so is mich die Kujel vor Bewunderunk in Lauf stecken jeblieben. Ooch wäre et jrausam jewesen noch een Tier zu erlejen; denn nu haben wir Fleesch in Überfluß. Ik will nur jleich die Jaselle ausweiden.« Und damit eilte er nach der Stelle, wo die Antilope zusammengebrochen war.
Jetzt erst erkannte der Baron, welch unverdientes Glück er gehabt hatte, hütete sich jedoch, seinen Diener aufzuklären. Vielmehr begab er sich auch an Ort und Stelle und trennte die ungeheuren Hörner los, wobei er heuchlerisch bemerkte: »Ja, das war entschieden die schönste von allen, und wir bringen doch wenigstens eine Jagdtrophäe zurück, die glänzend genug ist, um uns vor jedem Spott über unseren Ausflug sicher zu stellen. Überhaupt werden sich die Kameraden wundern, daß wir in der Wüste Antilopen aufgestöbert haben.«
Die Beute lieferte zunächst einen vorzüglichen Braten zum Mittagsmahl, der über einem Feuer von trockenem Kamelmist zubereitet wurde; denn dieses kostbare Brennmaterial zu sammeln und mitzunehmen, hatten unsere Freunde von den Arabern gelernt.
Der Nachmittag wurde damit zugebracht, nach einer Furt durch den Fluß zu suchen. Allein, soweit man auch seinen Windungen folgte, es war keine zu finden. Die Jäger härmten sich übrigens nicht weiter über diesen kleinen Mißerfolg; denn mit der Heimkehr eilte es ja jetzt umso weniger, als auch die Lebensmittelvorräte infolge des erbeuteten Fleisches länger ausreichten.
Abends gab es schon so viel dürres Gras, daß der Braten zum Nachtimbiß an einem Grasfeuer bereitet werden konnte. Dann streckten sich die ermüdeten, wohlgesättigten Jäger zur Ruhe nieder.
Doch so gemütlich sollte dieser abenteuerreiche Tag nicht zu Ende gehen. Noch einmal sollte etwas völlig Unerwartetes kommen.
Wie oft im Leben ereignet es sich, daß man lange etwas ganz vergeblich erwartet. Hat man dann endlich das Warten darauf aufgegeben und denkt gar nicht mehr daran, so kommt es plötzlich, vielleicht recht zur Unzeit.
So ging es auch den beiden, die soeben gedachten, sich einem sorglosen Schlummer hinzugeben. Auf die Löwenjagd waren sie eigentlich ausgezogen und Löwen hatten sie umsonst gesucht. Schließlich waren sie zu der Überzeugung gelangt, daß sie keinem solchen Raubtier begegnen würden und hatten sich drein ergeben. Der prächtige Bock mit seinem außerordentlichen Gehörn mußte sie für diese Enttäuschung entschädigen.
Sie dachten nicht mehr entfernt an den König der Wüste, der überall zu herrschen schien, nur eben nicht in der Wüste, als sie ein fernes Gebrüll aufschreckte, in dem Augenblick, da ihre entschlummernden Gedanken sich schon zu verwirren begannen.
Das Brüllen des Löwen ist etwas so Gewaltiges und keiner anderen Stimme Vergleichbares, es sei denn dem Schrei des Straußes, daß es nicht zu verkennen ist. Da der Vogel Strauß sich nur des Tages vernehmen läßt, der Löwe jedoch nur des Nachts, so ist eine Verwechslung der sonst so ähnlichen Töne ausgeschlossen.
Unsere Helden kannten nun diese Stimme, nicht mehr nur aus Tierbuden und Tiergärten, sondern auch von der Oase Kufra her. Als sie sich daher nun jäh aufrichteten, ist es nicht verwunderlich, daß Peter sofort bemerkte:
»Wenn ik mir nich irre, so is dies der Jachdruf des Wüstenkönigs. Woher mach sich seene Majestät in diese öden Jefilde verirrt haben?«
»Du bist ein seltsamer Kauz, Peter,« meinte sein Herr: »Immer fragst du, woher die Tiere wohl kommen mögen. Bei den Gazellen mochte ja die Frage angebracht sein; aber gestern wundertest du dich selber, daß wir in der Wüste den Wüstenkönig nicht trafen, jetzt versetzt es dich schon in Staunen, daß wir ihn in seinem eigensten Reiche die Stimme erheben hören! Übrigens vergißt du, daß es sich nun gar nicht mehr um eine öde Gegend handelt, sondern um saftige Weiden. Sind die Antilopen hierher gelangt, was ist begreiflicher, als daß ihr grimmiger Feind und Herrscher ihrer Fährte folgte und nun auf sie Jagd macht? Ich vermute, daß wir auf unserer weiten Wanderung von heute nachmittag wieder in die Nähe der Gazellen gekommen sind, die wir durch meinen Schuß verjagten. Unter ihnen sucht sich der königliche Räuber ein Opfer. Da ist nichts Auffallendes dabei.«
»Det stimmt auffallend, un also ist doch etwas Auffallendes dabei. Aber ik meene, die Anjelejenheet is ooch jefährlik für unser irdisches Dasein, un ik will wachen un een jroßes Feuer unterhalten, indem daß die Bestie sich sonst an uns heranschleichen un eenen unliebsamen Anjriff auf uns machen könnte.«
»Unsinn! Du scheinst zu vergessen, daß wir auf die Löwenjagd ausgezogen sind: es wäre also die größte Torheit, das Tier von uns abhalten zu wollen. Im Gegenteil werden wir uns anschleichen und den Gewaltigen erlegen.«
»Det is ooch een Jedanke, der unserer Tapferkeet alle Ehre macht! Ik bin dabei, jnädigster Herr Baron, un eenen Meesterschützen, wie Sie, kann det jar nich fehlen.«
Dem kühnen Abu Haschisch wurde es etwas schwül beim Gedanken an seinen Meisterschuß von heute morgen. Wenn Peter wüßte, welche Bewandtnis es damit hatte! Allein der Baron hatte sich die Löwenjagd in den Kopf gesetzt, und somit machten sich die beiden an das Anschleichen, der Richtung folgend, aus der in Pausen das Gebrüll immer wieder erscholl.
Es ging der Windrichtung entgegen, so daß sie nicht befürchten mußten, dem Gegner vorzeitig durch die Witterung verraten zu werden. Es war mondhell, und man konnte ziemlich weit sehen.
Vorsichtig durch das Gras am Boden hinkriechend, gelangten die zwei nach einer halben Stunde in die Nähe einer weitausbiegenden Schleife des Flusses. Hier vernahmen sie das Brüllen aus unmittelbarer Nähe, und ein kalter Schauder durchrieselte ihnen die Gebeine, was aber keiner dem anderen gestanden hätte.
Jetzt sahen sie auch die leuchtende Gestalt majestätisch dem Ufer zuschreiten. Der Löwe hatte in der Tat eine Gazelle erbeutet, und begab sich nun gesättigt zur Tränke.
Wenn der Löwe satt ist, so ist er ungefährlich, vorausgesetzt, daß man ihn nicht angreift. Das wußten freilich weder der Baron, noch sein Diener; trotzdem zauderte Steinberg mit dem Schießen, so günstig das Ziel sich einem guten Schützen bot: der Anblick des furchtbaren Tieres flößte ihm begreifliche Furcht ein. Doch er schämte sich dieser Anwandlung und nahm sich zusammen, scharf zielend.
»Ziele gut und schieße gleich nach mir!« flüsterte er Peter zu: »Für alle Fälle habe ich zwei Sperrhölzer mitgenommen: da hast du eines davon.«
Noch eine halbe Minute: der Löwe neigte sich zum Wasserspiegel und begann zu trinken. Jetzt krachte Steinbergs Schuß. Er lag nicht schlecht, vielleicht mußte seine Wirkung eine tödliche sein; allein auch ein tödlich getroffener Löwe vermag unter Umständen noch mehrere Gegner ums Leben zu bringen.
Das furchtbare Gebrüll der Wut, das aus dem Rachen des Schwerverletzten hervorbrach, ließ den Tollkühnen das Blut in den Adern erstarren. Das Tier wandte ihnen das mähnenumwogte Haupt zu, und Grill, eingedenk der Weisung seines Herrn, drückte nun ebenfalls ab. Seine Kugel fuhr in den weit geöffneten Rachen. Auch sie mochte tödlich sein, aber der Löwe hatte seine Feinde erspäht und flog bereits durch die Luft daher.
Der Baron, dem der Angriff galt, hatte irgendwo gelesen, daß der Löwe seinen Sprung haarscharf abzumessen versteht und daß es in solchem Augenblick das Geratenste sei, sich ihm entgegen zu werfen, da er dann über sein Opfer hinausspringe und es für einen Augenblick aus den Augen verliere. Ein Sprung zurück, würde wenig helfen.
Blitzschnell war dem Gefährdeten diese Erinnerung gekommen, und ohne weiteres Besinnen schnellte er auch schon federnd voran. Richtig, der schwere Körper flog über ihn weg: ein entsetzlicher Augenblick.
Das Raubtier landete an eben der Stelle, wo Steinberg noch eine Sekunde zuvor gelegen hatte, dicht neben Peter.
Diesem wandte sich jetzt das Haupt des enttäuschten Ungetüms zu, und Grill fand den Augenblick für den Angriff mit dem Sperrholz, nach Münchhausens Methode, gekommen.
Seine mit dem zugespitzten Holze bewaffnete Faust fuhr in den geöffneten Rachen. Der Löwe schloß die Kinnladen und das Holz zersplitterte. Immerhin drangen das obere und das untere scharfe Ende ihm in den Gaumen und die Zunge ein und hinderten das völlige Zuklappen des Gebisses, so daß Grills Arm unverletzt blieb und nun mit aller Gewalt den Unterkiefer hinabpreßte, das beste und in solcher Lage einzige Mittel, jeden Versuch eines Bisses zu vereiteln. Dagegen traf die rechte Pranke des Raubtiers mit ihren scharfen Krallen Peters linke Schulter und brachte ihr einige tiefe Wunden bei.
Steinberg blieb inzwischen nicht untätig: rasch sprang er auf und zur Seite, eine Kugel um die andere aus seinem Repetiergewehr in Hals und Kopf des Löwen sendend.
Dieser ließ nun von seinem Opfer ab, zu dessen großem Glück, und setzte zum Sprung gegen den Angreifer an.
Abu Haschisch hatte dies nicht anders erwartet und eben das bezweckt. Er war daher auf diese Bewegung gefaßt und sprang mit einem Satz wieder in den Rücken des Tieres, das sich nun so langsam und schwerfällig wendete, daß man wohl merkte, wie die Kräfte es verließen. Immerhin mochte der sterbende Löwe noch ein lebensgefährlicher Feind sein und Steinberg rannte in langen Sätzen davon, während das Raubtier mit einem letzten Sprung ihm nachsetzte.
Des Barons Behendigkeit war seine Rettung gewesen; denn der entkräftete Springer vermochte es nicht, ihn zu erreichen, sondern fiel dicht hinter ihm schwer zu Boden mit einem heiseren, dumpfen Schrei, der noch entsetzenerregend genug klang.
Der Flüchtling hielt im Laufe um sein Leben nicht ein, bis ihm Abu Homrah, der sich inzwischen aufgerafft hatte, nachrief: »Siech, Siech, Herr Baron! Die Bestie ist tot, mausetot, janz kaput un verendet.«
Nun wagte sich Abu Haschisch heran und fand den Zuruf bestätigt.
Besorgt untersuchte er zunächst Peters Schulterwunden, die sich als reine Fleischwunden erwiesen, freilich tiefgehend und schmerzhaft, aber doch ungefährlich. Er wusch sie aus und verband sie. Dann löste er eigenhändig die an Hals und Kopf etwas durchlöcherte, sonst aber unbeschädigte Löwenhaut und schritt, mit ihr beladen, in des Verwundeten Begleitung zu der Stelle zurück, wo das Kamel noch lagerte.
Der Baron entzündete nun ein Feuer. Grill wollte Nachtwache halten, sein Herr jedoch ging nicht darauf ein: »Davon ist keine Rede,« sagte er: »du bist verwundet und vom Blutverlust ermattet, ich bin frisch und gesund, auch in sehr gehobener Stimmung von wegen der erbeuteten Löwenhaut. Du mußt schlafen, um morgen munter zu sein; ich werde wachen, da immerhin noch mehr gefährliche Tiere um den Weg sein könnten, und dabei bleibt es!«
Dabei blieb es denn auch: Der Vater der Eselin war in der Tat so erschöpft, daß er sich nicht lange wehren konnte, obgleich es ihm gar nicht hinunter wollte, daß der Diener schlafen und der Herr wachen sollte. Unwillkürlich entschlummerte er, während er noch halb im Schlaf Verwahrung einlegte.
Die Nacht verlief ruhig, und der Verwundete erwachte erquickt und ohne Wundfieber noch vor Morgen. Da legte sich auch Abu Haschisch noch etwas zur Ruhe; denn er war nun ordentlich müde. Er schlief noch drei Stunden, und als er die Augen wieder aufschlug, hatte sein Diener bereits einen leckeren Antilopenbraten zu kräftigendem Frühstück bereit, den beide mit Hochgenuß verzehrten.
Das Fleisch konnte sich heute noch halten, weshalb ein Vorrat der besten Bissen mitgenommen wurde, als kurz darauf der Aufbruch erfolgte.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel und das frische Grün, das noch gestern Auge und Herz erfreut hatte, war vollständig verschwunden: nur das dürre, zerbröckelnde Gras, das den Sand bedeckte, bewies, daß die ganze herrliche Erscheinung kein Traum gewesen war.
» Sic transit gloria mundi!« sprach der Baron wehmütig, als die dünne Schicht unter den Tritten des Kamels sich in Staub auflöste: »So schwindet die Pracht der Welt! Peter, wohin ist der gestrige Märchentraum? Wie mit einem Zauberschlage verwandelte der Regen die Wüste in die herrlichste Oase, und wie mit einem Zauberschlage ist heute die Oase in eine öde Wüste zurückverwandelt worden! Gibt es wirklich eine Fee in diesen Öden, so ist es nur die böse Fee Fata Morgana, die den armen Reisenden entzückende Trugbilder vorzaubert, um sie hernach umso grausamer zu enttäuschen. Und ich Tor dachte, diese verzauberte grünende Landschaft werde uns noch tagelang erfreuen!«
»Ja!« sagte Grill: »Wie jewonnen, so zerronnen, heeßt et mit Recht. Aber eene fatale Morjane is et doch nich jewesen zu unsern Glücke: wir haben doch frisches Fleesch erbeutet un Wasser jenuch: det is eene sejensreiche Wirklichkeet.«
»Allerdings! Und einen Löwen haben wir besiegt, das freut mich noch am meisten! Sieh, da liegt noch der abgehäutete Geselle unversehrt: offenbar ist kein Schakal und keine Hyäne in diese Gegend geraten, sonst wäre nur noch sein Knochengerüst übrig.«
Sie waren an den Schauplatz des gestrigen Kampfes gelangt und erreichten nun wieder das Flußbett.
»O weh!« rief Abu Homrah: »Ooch det Wasser hat sik verloofen: det Strombette is wieder so trocken, wie eene alte Semmel!«
»Wahrhaftig! Wo ist nun das viele Wasser hingekommen? Das ist Pech! Aber, halt! Hier, hart am Ufer schlängelt sich noch ein dünnes Wasserrinnsal hin. Da wollen wir noch auf Vorrat trinken und unsere Behälter frisch auffüllen; auch das Kamel soll sich noch einmal satt saufen. Dann können wir, ohne Durst zu leiden, die Oase wieder gewinnen.«
»Wenn se nich man ooch durch eenen Zauberschlach in eene Wüste verwandelt is,« warf Peter bedenklich ein.
»Das ist nicht zu befürchten,« beruhigte ihn sein Herr: »Sie wird von unversieglichen Quellen getränkt.«
Sie stiegen ab, tranken sich satt und füllten die Wasserbehälter, während auch das Lasttier seinen geräumigen Magen nochmals mit dem köstlichen Nasse vollsog.
Dann ging es über den Fluß, dessen trockenes Bett jetzt kein Hindernis mehr bildete, und an Hand des Kompasses wurde die nordöstliche Richtung eingeschlagen, in welcher nach Steinbergs Überzeugung die Oase liegen mußte.
Dabei zog er unglücklicherweise nicht in Rechnung, daß sie gestern ganz aus der Richtung gekommen waren, indem sie kreuz und quer die neuentstandene Oase durchstreift hatten und dann einen halben Tag lang den unzähligen Schleifen und Windungen des Stromes gefolgt waren, die nach allen Himmelsrichtungen ausbogen. Die Oase lag, von der Stelle des Flußüberganges aus, viel nördlicher, als sie glaubten, und beim Einhalten einer streng nordöstlichen Richtung mußte sie unbedingt verfehlt werden. Doch daran dachten sie mit keinem Gedanken, sondern ritten getrost durch die Ebene, die bald wieder den Charakter der echten Sandwüste annahm, so rasch zerstäubte die verdorrte Grasschicht unter dem Einfluß der glühenden Sonnenstrahlen.
Unterdessen waren die Gefährten in der Oase in nicht geringer Sorge um die verschwundenen Kameraden.
Ihre Abwesenheit war gleich entdeckt worden, erregte aber zunächst keine Beunruhigung.
»Wenn der Baron mit seinem Diener in der Morgenfrühe sich davongemacht hat,« bemerkte Münchhausen sehr richtig, »so hat ihn zweifellos seine bekannte Jagdleidenschaft zu diesem Schritt verleitet. Die Spuren führen in die Wüste: das sieht ihm wieder gleich! Er zweifelt nicht daran, daß einem gewaltigen Jäger, wie ihm, das Wild überall nur so in die Hände laufen müsse. Irgend etwas erlebt er ja immer, und wir dürfen überzeugt sein, daß es wieder etwas zu lachen gibt, wenn er heimkehrt: wer weiß, was für eine merkwürdige Beute er diesmal mitbringt!«
Als die beiden auch am folgenden Tag nicht heimkehrten, meinte Rommel beruhigend: »Sie haben ein Kamel mitgenommen, beabsichtigten also von vornherein einen längeren Ausflug: morgen sind sie gewiß zurück, dazu muß sie schon der Wassermangel zwingen.«
»Wenn sie sich aber verirrt haben?« warf die Harmonika besorgt ein.
»Ach was!« erwiderte die Zitrone sorglos: »Hierin ist mein Bruder ängstlich und daher vorsichtig: er hat einen Kompaß bei sich.«
»Wenn er ihn nur auch zu gebrauchen versteht!« sagte der Pascha kopfschüttelnd.
Die Zitrone lachte: »Na! mit einem Kompaß wollte auch ich mich zurechtfinden: die Sache ist ja kinderleicht!«
»Das ist durchaus nicht immer der Fall,« widersprach der Professor: »Gerade, wer die Sache für zu einfach hält, ist in Gefahr, sich gewaltig enttäuscht zu sehen. Für den Unkundigen bietet sie ihre Schwierigkeiten. Wenn man natürlich unentwegt die gleiche Richtung einhält, genügt das Instrument vollkommen, um jedes Verirren auszuschließen. Sobald man jedoch auf eine längere Strecke die Richtung ändert, ohne sich genau darüber Rechenschaft zu geben, gerät man in ernstliche Gefahr, trotz des Kompasses den Ausgangspunkt bei der Rückkehr zu verfehlen.«
Der Niederschlag, der die beiden Jäger in ein Märchenreich versetzt hatte, ging auch in der Oase nieder, allerdings nicht als Wolkenbruch, aber doch als ergiebiger Regen. Er wirkte auch hier erfrischend und beförderte ungemein das Wachstum der Pflanzen. Da jedoch zuvor schon saftiges Gras und üppiges Grün den Boden allhier bedeckt hatte, gab es keine so plötzliche und gewaltige Veränderung, daß diese irgendwie den Eindruck des Wunderbaren und Zauberhaften gemacht hätte. Von der feenhaften Umwandlung, die sich draußen in der Wüste vollzog, hatte man hier keine Ahnung.
Der Vermißten wegen erweckte dagegen das seltene Naturereignis schwere Sorge. Bei Windstille, die in der Sahara das Gewöhnliche ist, erhalten sich sonst in der Wüste auch die leichtesten Spuren monatelang, so daß die Suche nach den Gefährten keine Schwierigkeit geboten hätte. Nun aber war nichts gewisser, als daß der niedergegangene Regen die Fährte so gründlich verwischt haben wußte, daß ihr Wiederauffinden ein Ding der Unmöglichkeit war. Und doch mußten am vierten Tage die Nachforschungen mit allem Ernst begonnen werden; denn jetzt erschien das Ausbleiben der Jäger wirklich bedenklich. Entweder hatten sie sich tatsächlich verirrt, oder sie waren von Beduinen überfallen worden: das war nun die vorherrschende Meinung. Und wenn man auch immer noch auf ihre Rückkehr hoffte, so wäre es doch unverantwortlich gewesen, gar nichts zu ihrer Auffindung zu unternehmen, da zum mindesten die Gefahr bestand, daß sie bei aufgebrauchten Vorräten an Wasser und Lebensmitteln irgendwo am Verschmachten lagen. Konnte man doch nicht einmal wissen, wie weit sich der Niederschlag erstreckt hatte und ob er ihnen die Möglichkeit bot, ihren Wasservorrat zu erneuern.
Nach ihnen suchen mußte man also; das gebot die natürlichste Pflicht. Ja, suchen, — aber wo? Das war die verhängnisvolle Frage!
Es wurde Rat gehalten.
»Es hilft nichts,« sagte der Pascha nach längerer fruchtloser Beratung: »Wir müssen Streifen, oder mit dem militärischen Fremdwort ausgedrückt, Patrouillen, nach allen Richtungen aussenden. Einen Anhaltspunkt haben wir ja: wir sahen am ersten Morgen die Spur in die Wüste führen, in westlicher oder südwestlicher Richtung. Von diesem Ausgangspunkt lassen wir also unsere Abteilungen ausstrahlen. Die Hauptrichtungen müssen der Westen, der Nordwesten und Südwesten sein, und, da letztere Richtung die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat, bin ich dafür, daß auch noch südsüdwestlich gesucht wird. Es müßte schon besonderes Pech sein, wenn keine dieser Abteilungen schließlich auf die Spuren stoßen würde, die von den Vermißten auf ihrer Weiterwanderung nach dem Regen hinterlassen wurden, die also unverwischt sind.
»Jede Streife besteht aus zum mindesten einem Deutschen und einem Araber und nimmt drei Kamele mit, um die nötigen Lebensmittel und vor allem reiche Wasservorräte bei sich zu führen, so daß sie nötigenfalls acht bis zehn Tage unterwegs sein kann, wobei das Wasser zu sparen ist. Keine Abteilung darf von der eingeschlagenen Richtung um ein Haar breit abweichen, es sei denn, daß sie auf die Spur der Verlorenen trifft. In diesem Falle folgt sie selbstverständlich dieser Fährte und muß genau darauf achten, wie weit und in welcher Richtung sie von dem ursprünglichen Wege ablenkt, um die Lage der Oase jeden Augenblick feststellen zu können. Wer einer solchen Berechnung nicht fähig ist, wird gut daran tun, wenn er das Glück hat, die Vermißten aufzufinden, einfach auf seinen eigenen Spuren wieder zurückzukehren, falls es ihm seine noch übrigen Lebensmittel- und Wasservorräte irgend erlauben. Dann kann er die Oase unmöglich verfehlen, wenn er auch etwas länger zur Heimkehr benötigt; und, da er bloß seiner eigenen Fährte zu folgen braucht, hat er es nicht einmal nötig, sich nach der Sonne zu richten, wie er es auf dem Hinweg, in Ermangelung eines Kompasses, tun muß.«
»Ich werde mich nach Nordwesten wenden,« schlug Rommel vor: »Dies ist zwar der Weg, der am wenigsten Aussicht bietet, allein ich rechne, daß wer sich verirrt, gerade da zu finden sein kann, wo man ihn am wenigsten vermutet.«
»Echte Professorenweisheit!« lachte der Kapitän. »Ich meinesteils wende mich nach Westen. Billinger mag nach Südwesten ziehen, und da die Damen sich die Beteiligung nicht verwehren lassen, sollen sie beisammen bleiben und die südsüdwestliche Richtung verfolgen. Sie bekommen dann, entsprechend der größeren Personenzahl, fünf Kamele mit, statt deren drei, wie wir andern.«
Diese Anordnungen des Hauptes der Karawane wurden widerspruchslos befolgt.
Franz Billinger war besonders froh über die ihm zugeteilte Strecke; denn sie entsprach ja gerade dem Weg, den die Jäger vermutlich eingeschlagen hatten, und so hoffte er am ehesten Erfolg: an ihm sollte es nicht fehlen. Als Begleiter wurde ihm der Kamelführer Mahmud mitgegeben, ein junger Mann, mit dem er besondere Freundschaft geschlossen hatte, weil er zutraulich, offenherzig, gutmütig und heiteren Sinnes war. Mahmud ben Abdullah war überdies ein sehr begabter Jüngling, dem das Erlernen fremder Sprachen ein Kinderspiel schien. Er hatte öfters deutschen Reisenden als Führer gedient und verstand das Deutsche gut, sprach es auch ganz geläufig, und, wenn man sich an seine eigentümliche Aussprache gewöhnt hatte, recht verständlich. Im vertrauten Umgang mit Franz, an dem auch er eine besondere Freude hatte, erlernte er rasch auch die bayrische Mundart, die ihm ausnehmend gefiel: »Das is das schänste Daitsch!« pflegte er zu sagen, worin ihm der Bayer selbstverständlich beistimmte.
Die beiden ritten je auf einem Kamele, das dritte an der Leine führend, und da sie die Tiere zu höchster Eile antrieben, legten sie in einem Tage die Strecke zurück, zu der Steinberg und Peter bei ihrem überaus gemächlichen Ritt deren zwei gebraucht hatten.
Bis dahin war der Baron strengstens dem Kompaß nach Südwesten gefolgt, und da Billinger dies, seiner Weisung gemäß, gleichfalls tat, schlug er das Nachtlager gar nicht fern von der Stelle auf, wo die Jäger übernachtet hatten. Er hatte dabei ganz besonderes Glück; doch das sollte er erst am andern Morgen erfahren, denn heute war es schon stockfinster als das Zelt aufgerichtet wurde.
Als das Tageslicht die Schläfer weckte, spähte Franz zum Zelt hinaus.
»Hallo! Wos is dann dös?« rief er: »Do bloacht a leibhoftigs Gerippen in da Sunnen!«
Er eilte auf die Stelle zu, wo die Gebeine zwischen verwesenden Eingeweiden blinkten, und Mahmud war ihm bald zur Seite.
»Däs is oan Gasellen!« sagte dieser: »Und durt liegen ihrer ihr Fell und faulen allberoats, aba erst seiter gersten.«
»Dös is amol a Mordsg'stonk!« bruddelte der Bayer und schüttelte sich: »Puh! — Aba dö Hürna hamm s' obg'sägt. Da Herr Baron hat jo a Sägen an soam Toschenmessa. Also, dös is a richtige Antilopenjogd g'wesen. Aba woher dö Gasellen mitten in dö Wüsten herin kummen is, dös is ma a Rätsel.«
»Däs is vunwegen das Regen,« belehrte ihn der gewiegte Araber: »Wanns in dö Wüste tut regern, all poar Johr oanenmal, wachsen der Gras ganz hoch und kummen Antilopen, woaß koan Mensch woher, bloß sö selber wissen, und hernach wieder verschwinden mit der Gras.«
»Also hier san s' g'west, dös steht fest! Nachher gilt 's aufmirken. Denn wann dös Oas erst seit gestan fault, wi du moanst, — stinken tut 's aba schun mordsmäßig, ols ob's a ganze Wochen doliegen taat, — alsdann hamm s' dös Viecherl vurgestan noch am Regen hing'mocht und san hernach vun hier aufbrochen, und ma müssen eahna ihre Spuren auffinden.«
So rasch war die Fährte freilich nicht entdeckt; denn das verdorrte und zu Staub zerfallene Gras hatte sie hier größtenteils zugedeckt. Immerhin ließen sich stellenweise noch einige Eindrücke feststellen, die nach Süden wiesen.
Eifrig wurde nun die Spur verfolgt, als Mahmud plötzlich ausrief: »Oan Löwe, oan leibhaftiges Löwe! Oan Löwen hamm sö derlegt, die gewaltsamen Jäger: hier liegen das tote Leib, nackigt und der Fell hoben s' ihr abzugen.«
»An Löwen hamm s' g'schossen?« wiederholte Franz und betrachtete das abgehäutete Tier: »Dös fuchst mi schun g'walti, daß da Preiß a so an Jogdglück g'hobt hot und i ollweil Pech hob und koan so Viecherl derwisch. Aba nur stad! Oanes schönen Tags, do werdet ös schun mirken, wos da Franzl vur a Jaga is. A so a Löb is ma schun z'gring: dös is Weibawild. Aba loß an Elefanten kimmen oder gor a Mammut, und da Billinger schiest an üba'n Haufen.«
»Was sagst?« fragte der Araber vorwurfsvoll: »Mir, der Mahmud, du wöllen derschießen, wo doan Freund san?«
»Wos redst daher, Freunderl?« beruhigte ihn der Vater der Mauleselin: »Di moan i nit: a Mammut, dös is a Mordsvieh, größa wie an Elefonterl. Da Professa sogt, sö san ausg'storben; aba dös hob i schun long g'mirkt: moan Professa woaß aa nit alles, und in da Wüsten, wo a no nit hinkummen is, konn a so a Mammut no z'finden soan: dös derfst fein glaaben. Und mir waar's recht, wann ma oans vakimmen taat, daß i dö ondern zoagn kunnt, wos da Franzl vur a Kerl is. Jetz aba vuran! daß ma dö Löwenjaga ball finden.«
Die Spuren wiesen durchs Flußbett und nordöstlich weiter. Bald wurden sie im Sande so deutlich, daß sie nicht mehr zu verkennen waren.
Von Zeit zu Zeit zog Franz das Fernglas hervor, mit dem er sich vorsorglich bewaffnet hatte, und suchte den Horizont ab, jedoch ohne jemals etwas zu erspähen.
Gegen Abend endlich entdeckte er in der Ferne ein Kamel, auf dem ein Mann ritt, während ein zweiter nebenher ging.
»Hurra!« rief er: »Dös san dö Herrn Vamißten! Jo, da Franzl entdeckt alles. I sog da, Freunderl, da Klumbumbus wann i g'wesen waar, nachher hätt' i nit bloß Amerika entdeckt, sundan no an Welttoal dozu: dös derfst fein glaaben.«
Mahmud gewahrte die Gruppe gleichzeitig, ohne Glas, mit seinen scharfen Augen.
»Wohr is, dö sans!« bestätigte er: »Drei Persunen sans: an Kamel und zwoa Nemsi; jo, Mahmud Ben Abdullah, wenn die Klumbumbus g'wesen soan, drei Welttoal würden hoben entdeckt mit soaner scharfen Aagen, ohne die Horn von oaner Schneck!«
Der Araber sah nämlich das Fernrohr für ein künstliches Riesenschneckenhorn an und meinte, an seiner Spitze sei, wie bei einer Schnecke, ein Aug' befestigt, durch das die Europäer ihr eigenes Auge verlängerten, um in die Ferne sehen zu können: er bedurfte solcher Hilfsmittel nicht, denn er sah weiter, als die größte Schnecke.
Nun wurde Galopp geritten, da auf keine Fährte mehr zu achten war. Nach einer Weile sah Franz die Erspähten anhalten. Sie kamen überhaupt langsam vorwärts, da Grill zu Fuß wanderte und auch ermüdet sein mochte. Außerdem schienen sie im Zweifel, ob sie den richtigen Weg verfolgten, denn der Baron hielt mit seinem Glas nach Norden und Nordosten Ausschau.
»Er sucht dö Oasen,« bemerkte Billinger: »Jo dö konnst fein nit derschauen, Barönderl! Do bist gor z'weit dovun obkimmen.«
Jetzt hörte Steinberg die Kamele nahen und erblickte, sich nach der Richtung wendend, die Ankömmlinge. Der Bayer rief ihm schon von ferne zu:
»Sö san aba a saubas Enderl vun Eahna Ihrn Weg obkimmen: dös is nit nur a so in da Wüsten, wo 's koan Wegzoaga nit gibt. Do hoaßt 's fein aufmirken und nit da Nosen noch gehn, sunst kimmst ball nimma außi aus da G'legenhoat.«
»Habe mir's in der Tat gedacht, daß wir vom Weg abgekommen sind,« erwiderte der Baron: »Das Eklige aber war, daß wir überhaupt keinen Weg hatten, nicht einmal einen Fußweg, geschweige denn eine richtige Landstraße.«
»Do hamm S' recht!« pflichtete Billinger bei: »Dös stimmt! In dösa Wüsten Sara sans übahaapt koane Weg nit: dös is bei uns dohoam in Boaern anders, denn mir sans an gebüldets Volk und koane so unzieferisierten Orober. In Boaern san Weg in dö wildesten Felsen herinnen, und Wegzoaga aa: do konnst di fein nit vairren. Und an jeda Stroßen hockt a Stoanklopfa, daß sö in Stond g'holten wurd. Aba in dösa ganzen Sara hob i no koan Stoanklopfa g'sehn. Dö san hier no ganz z'ruck in da Koltur. Übrigens nimmt mi's ollweil Wunda, worum sö dö Wüsten grod noch am Abraham soaner Sara tauft hamm: dö Sara muß doch a saubas Weibsbüld g'west soan noch am büblischen B'richt, und koan wüsts Frauenzimma. Aba freili, olt is s' worrn, stoanolt, und do loßt sö's denken, daß sö auf d'letzten a richtige wüste Sara worrn is.«
Peter Grill fühlte sich gedrungen, sein Licht leuchten zu lassen, und bemerkte in belehrendem Ton: »Ik meene, diese Wüstenjejend hat mit die Patriarchin nichts zu schaffen, indem det diese bloß Sara jeheeßen hat, die Wüste aber Sahara.
»Jetz schauts den g'scheiten Preißen on!« spöttelte Abu Barlah: »Woast denn du nit, daß der Sara ihr Monn z'ersten Abram g'hoaßn hot, hernach aba hat er sö Abraham g'schrieben. Wann aus Abram Abraham worrn is, nachher is klor, daß aus Sara Sahara worrn is: dös is oan Hondel, und Sara und Sahara is dös nämlich Weibsbüld, dös is so klor wie a Wurstbrühen.«
Dagegen ließ sich freilich nichts einwenden, und Abu Haschisch entschied die Streitfrage, indem er erklärte: »Ich glaube, Billinger hat recht: denn von wem sollte die Wüste sonst ihren Namen herleiten? Mir ist keine andere Sara oder Sahara bekannt, als die Stammutter des Volkes Israel. Und da ihre Nachkommen lange Zeit in Ägypten lebten und die Pyramiden in der Wüste erbauten, liegt nichts näher, als daß sie dieser jenen Namen beilegten, zu Ehren ihrer Ahnfrau.«
»A saubere Ehren!« brummte Franzl: »I moanestoals taat mi schön bedonken, wann 's oanen oanfollen taat, a so a Wüsten, a so a lumpete, Franzl Billinger z'hoaßen, mir z' Ehren!«
»Ik ließe mich det schonst jefallen,« meinte der Preuße dagegen: »Meen Name würde dadurch doch weltbekannt und weltberühmt. Denke dich, wenn et heeßen täte: den janzen Norden det afrikanischen Weltteels nimmt die unjeheure Wüste Jrill in!«
»Jawoll, Preiß, du host holta doane Grillen.«
Da die Sonne bereits sank, wurden die Zelte an Ort und Stelle aufgeschlagen, und nach einem bescheidenen Nachtmahl begab sich die kleine Gesellschaft zur Ruhe.
Sie sollte sie jedoch nicht lange genießen.
Kaum eine Stunde mochten sie geschlafen haben, als sie unsanft geweckt wurden: weiße Gestalten beugten sich über sie und legten ihnen Fesseln an, so daß sie keinen Augenblick über ihr Schicksal im Zweifel sein konnten.
Offenbar waren es wieder einmal räuberische Beduinen, in deren Gewalt sie geraten waren.
Bald erkannten sie auch, daß es die nämlichen seien, in deren Gefangenschaft sie sich erst vor kurzem befunden hatten; denn sie vernahmen die triumphierende Stimme des Scheichs, der ihnen höhnend zurief: »Allah ist groß! Sein Name sei gepriesen! Er hat eure Listen zuschanden gemacht und seinen Gläubigen den Sieg verliehen über die Hunde, die uns beraubt und betrogen haben. Und sind es auch nicht alle, die wir hier fanden, so wird er uns doch auch bald ihre Kameraden in die Hände liefern, — sie sind gewiß nicht weit!«
Franz Billinger wehrte sich mit Bärenkraft, während die andern zu überrascht waren, um an ernstlichen Widerstand zu denken. Doch auch der Bayer richtete nichts aus gegen die Übermacht der muskelstarken Wüstensöhne.
»Dös is jo da saubre Räuberhauptmonn!« rief er aus, als er den Scheich an der Stimme erkannte: »Dös glaab i woi, daß d' a Freud host, du schurkischa Schlankl, daß du an Franzl Billinger derwischt host. Aba is dös aa christlich, oan im Schlof z'übarumpeln?«
»Det sin ja jar keene Christen nich,« belehrte ihn Peter: »Det sin Jötzendiener von Allah un Mohammed, von die du keene christliche Aufführunk erwarten darfst.«
»Is ma ganz oans! Onständig hat so jeda onständige Mensch aufz'führen, und dös is amol koan Onstand, und koan Büldung. In Boaern, wamma wärn, nachher taaten s' dingfest g'mocht werrn, und ins Zuchthäuserl müßten s' morschiern, dö ganz Pakasch. Aba hier herunten in da Wüsten Sara sans koane ehrlichen Schutzmänna nit, und a Zuchthaus hob i aa no nit derschaut: dös san ganz miserablige Zuständ. Und da Franzl lost sö dös nit g'folln: i aheb Oanspruch, und i sog da, du Spitzbüberl vun an Beduwinenscheich, bei da nächsten G'legenhoat derwischt di da Billinger bei doam Bernuß, doam drecketen, und schüttelt di, daß d' vur Schrecken zu doam Propheten und zu Allah und olle soane Hoal'gen schreist, aba helfen werden s' da fein nit, weil d' a so a Tropf bis, an erbärmlicha!«
Vorderhand mußte sich jedoch auch der tapfere Bayer in sein klägliches Schicksal ergeben.
Übrigens war seine Entrüstung übel angebracht; denn er hätte sich erinnern sollen, daß er vor kurzem selber mitgeholfen hatte, eben diese Beduinen im Schlafe zu überrumpeln, ohne dies unchristlich, unanständig und ungebildet zu finden.
Die Zitrone und die Harmonika samt der Zofe Isolde waren mit einem arabischen Kameltreiber und fünf Kamelen auf die Suche nach den Vermißten ausgezogen.
Der Pascha hatte ihnen die südsüdwestliche Richtung vorgeschrieben und ihnen ans Herz gelegt, sich nicht zu weit vorzuwagen, sondern bald wieder umzukehren, da doch nicht anzunehmen sei, daß sie in dieser Richtung auf die Verirrten stoßen könnten.
Das wurmte die Zitrone, und als sie den Ritt antraten, sprach sie: »Es ist eine Beleidigung, die in unserer Person dem ganzen weiblichen Geschlecht von diesem Pascha angetan wird, daß er uns eine Aufgabe erteilt, von der er selber ganz unverfroren erklärt, daß sie aussichtslos sei. Ich bin nicht gesonnen, mir dies gefallen zu lassen: der Mann soll sein Wunder erleben und sehen, was wir Mädchen vermögen.«
»Herrlich!« stimmte Isolde zu: »Haben wir nicht den König der Wüste erlegt, wessen keiner der Männer sich berühmen kann? Wo bleibt die Hochachtung, die solcher Heldentat schuldig und gebührlich ist? Wir wollen's ihm zeigen! Sorgen Sie dafür, gnädigste Baronesse, daß wir die Verlorenen auffinden, wir allein.«
»Das will ich!« versicherte Hulda: »Aber um dies zu erreichen, dürfen wir nicht die Richtung einschlagen, die uns angewiesen wurde. Mein Bruder wird eine gute Strecke südwestlich gewandert sein. Dann kehrte er zweifellos um, in der Absicht, die Oase wieder zu erreichen. Dabei hat er offenbar die Richtung verfehlt, und zwar wird er zu weit südlich geraten sein; denn wenn er zu weit nördlich geraten wäre, hätte er immer noch auf die Oase stoßen müssen, da sie sich über einen Tagemarsch nach Norden erstreckt. Ausgeschlossen ist dies ja nicht. In diesem Falle jedoch kann höchstens der Professor auf ihn treffen. Das Wahrscheinlichste aber wäre, daß er sich bereits im nördlichen Teil der Oase befand, als wir aufbrachen, und dann findet er ohne unsere Hilfe zum Lager zurück und trifft dort in unserer Abwesenheit ein.«
»Das geht uns jetzt nichts an. Wir haben anzunehmen, er sei in der Wüste verirrt, und das kann nur im Süden sein. In diesem Fall, den ich für den wahrscheinlichsten halte, findet Billinger seine Spur und folgt ihr. Er befindet sich dann im Rücken der Vermißten und wird sie nicht so bald erreichen.
»Ziehen wir nun südsüdwestlich, so sind zwei Möglichkeiten ins Auge zu fassen: entweder wir schneiden die Linie, die mein Bruder verfolgt, an einer Stelle, die er noch gar nicht erreicht hat; dann stoßen wir überhaupt nicht auf seine Spur und geraten zu weit nach Süden. Er aber trifft hernach auf unsere Spur und wird möglicherweise durch sie irregeführt. Finden wir dagegen seine Fährte, so müssen wir ihr folgen, und dann wird Franz, der sie auch gekreuzt haben muß, uns wohl nachkommen, ehe wir ihn fanden, da er jedenfalls weit schneller reitet, als wir. Wir müßten also im besten Fall die Ehre der Wiederauffindung mit dem Diener teilen, und das paßt mir nicht.
»Meine Absicht ist es daher, direkt nach Süden zu ziehen. Sollten wir hier auf die gesuchte Spur treffen, dann sind wir den Vermißten so viel näher als Billinger, daß wir sie unbedingt finden, ehe er uns einholt. Das Wahrscheinlichere aber ist, daß Erich noch nicht so weit vordrang. Wir werden uns daher äußerster Langsamkeit befleißen und von Zeit zu Zeit Stangen in den Sand stecken, an denen ein Zettel befestigt ist, der meinem Bruder ankündigt, daß er den Stangen links, das heißt nach Norden folgen muß, um die Oase zu erreichen. Diese Wegweiser befestigen wir in solchen Abständen, daß von dem einen aus stets der nächste zu beiden Seiten mit bloßem Auge zu erkennen ist, so daß er nicht etwa zwischen zweien durchmarschiert. Die Malzeichen sind ja etwas so Ungewöhnliches und Auffallendes in dieser Öde, daß er unbedingt auf die erste Stange zuhalten wird, die er gewahrt, und somit den Weg zur Oase finden muß, sobald er unsern Weg kreuzt. Mit einem Dutzend Stangen und Zetteln habe ich mich wohlweislich versehen.«
»Ausgezeichnet!« lobte die Harmonika: »So kann es nicht fehlen. Wenn nicht eine der andern Abteilungen zuvor mit ihm zusammentrifft, dann finden wir ihn unbedingt oder retten ihn durch unsere Wegbezeichnung.«
So wandten sich die Damen nach Süden, was freilich eine Unbotmäßigkeit war: es fiel ihnen jedoch nicht ein, sich hieraus ein Gewissen zu machen.
Weiter westlich war die Wüste nur sanft gewellt, so daß sie weithin zu übersehen war.
In der Richtung dagegen, die unsere Freundinnen verfolgten, war der Dünencharakter des Sandmeeres weit ausgesprochener: langgestreckte Hügel und Täler zogen sich von Norden nach Süden.
Die kleine Karawane folgte in gemächlichem Schritt einer solchen Dünenschlucht, die stellenweise so tief eingeschnitten war, daß auch vom Rücken des Kameles aus ein Ausblick nach Westen nicht möglich wurde. Daher wurde von Zeit zu Zeit abgestiegen und der Sandrücken zur Rechten erklettert, um mit dem Fernrohr Umschau zu halten.
Entsprechend dem Plane der Zitrone, wurde äußerst langsam geritten und oft und ausgiebig gerastet. Das Ausschauen und das Stecken der Pfähle hielt auch auf, so daß am Abend des zweiten Tages kaum eine mäßige Tagereise von der Oase aus zurückgelegt war.
Die Zelte wurden in der Niederung wohl geschützt und verborgen aufgeschlagen, eine Mahlzeit gehalten, und dann erstiegen die drei Gefährtinnen den Dünenrücken, um in üblicher Weise umherzuspähen.
Die Zitrone, die sich mit Recht als die Herrin und Führerin der Gesellschaft betrachtete, legte zuerst das Fernrohr ans Auge.
»Heil und Sieg!« rief sie nach kurzer Zeit: »Dort sind sie ja schon!« und sie wies nach Nordwesten.
Jetzt nahm die Harmonika das Glas zur Hand: »In der Tat,« bestätigte sie: »Wir können sie in einer halben Stunde erreichen. Sie sind gerade daran, ihr Zelt aufzuschlagen. Aber, halt! Was ist das? Sie richten ja zwei Zelte auf und es sind vier Männer. Franz und Mahmud sind bereits mit ihnen zusammengestoßen.«
»Heillos!« rief die Zitrone und ließ sich das Perspektiv geben: »Du hast recht! Wir kommen zu spät! Wie mich das wurmt!«
»Nun,« meinte die weniger ehrgeizige Harmonika: »Die Hauptsache ist, daß sie gerettet sind. Wer ihnen zuerst Hilfe brachte, ist schließlich belanglos.«
»Durchaus nicht!« zürnte Hulda: »Mein ganzer schöner und so schlau angelegter Plan ist nun vergeblich: wir sind die Blamierten und unsre großartigen Wegweiser sind jetzt für die Katze. Ich könnte diesen vorwitzigen Bayern erwürgen mit meinen weißen Händen: der muß ja unsinnig geritten sein, um die beiden schon heute einzuholen.«
»Liebe Zitrone,« mahnte die sanfte Harmonika: »Sei nicht ungerecht und grausam! Billingers Eifer ist lobenswert, und dein unbilliges Zürnen verblendet dich.«
»Verblendet mich?« grollte die Zitrone: »Nur zu klar sehe ich.«
»Ich kann dir das Gegenteil beweisen: deine Hände, die du in Erinnerung an bessere Zeiten ›weiß‹ nennst, sind tatsächlich kaffeebraun.«
Hulda warf einen Blick auf ihre zarten Hände und mußte zugeben, daß die Freundin recht hatte: »In der Tat, daran dachte ich nicht in der Erregung,« gestand sie.
»Ja, in der Erregung denkt man an manches nicht, das man bedenken sollte; doch ist mir deine Einsicht ein Trost; denn, da du Franz mit deinen weißen Händen erwürgen willst, droht ihm in absehbarer Zeit keine Gefahr.«
Inzwischen hatte sich die Unke des Fernrohrs bemächtigt und machte ihrem schlimmen Beinamen alsbald Ehre. Neugierig, wie sie war, hatte sie sich nicht damit begnügt, die Lagernden zu beobachten, sondern hatte den Horizont nach allen Seiten abgesucht. Dabei war sie in südwestlicher Richtung einer großen Karawane gewahr geworden, in der sie bald eine Schar Beduinen erkannte.
»Wir sind verloren!« rief sie tödlich erschrocken aus: »Räuber, Mörder, Beduwiner!«
Die Zitrone entriß ihr das Glas und schaute in der gewiesenen Richtung.
»Das sind allerdings Beduinen,« sagte sie: »Und es ist nur zu wahrscheinlich, daß es eben dieselben sind, denen wir erst mit knapper Not entrannen; denn sie kommen aus der Richtung, in der die Niederlassung jener Horde liegt. Es ist auch begreiflich, daß sie nach ihrem mißglückten Raubzug einen neuen unternehmen, und zweifellos haben sie es diesmal auf die Oase abgesehen, in der wir lagern, ohne freilich zu wissen, daß wir uns dort befinden. Uns selber droht jedoch keine Gefahr. Denn da wir am Boden hingestreckt liegen und nur mit den Augen den Hügel übersehen, kann auch das schärfste Araberauge uns unmöglich entdecken. Auch ist ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Zelte dort drüben gerichtet. Meinem Bruder und seinen Begleitern freilich droht die schlimmste Gefahr. Und sie ahnen nichts davon! Mit dem bloßen Auge können sie die Nahenden noch nicht gewahren, zumal es schon stark dunkelt, und an eine Ausschau mit dem Fernrohr scheinen sie nicht zu denken. Mahmuds Augen wären wohl scharf genug, um die Reiter zu erkennen, aber der Araber ist ahnungslos. Und jetzt begeben sie sich schon in die Zelte.
»Wir müssen sie warnen!« rief Monika.
Die Zitrone überlegte, scharf ausblickend: »Das ist unmöglich!« entschied sie endlich: »Wir sind ungefähr in der Mitte zwischen ihnen und den Beduinen, aber ziemlich weit östlich von beiden Teilen. Zwar haben wir näher zu den Bedrohten, allein die Araber reiten schneller und würden uns bald erblicken, wenn wir unser Versteck verlassen; denn so dunkel wird es nicht, daß uns die Nacht verbergen könnte. Ehe die Unsrigen ihre Kamele gesattelt und bestiegen hätten, wären sie überdies schon zur Stelle.«
»So müssen wir in der Oase Lärm schlagen!«
»Das geht schon eher, falls nämlich die Räuber nicht in der Nacht weiterreiten und ihren Überfall in der Morgenfrühe ausführen, was zweifellos ihre Absicht sein dürfte.«
»Dann reitet ihr so schnell als möglich zurück. Da wir kaum einen Tagemarsch entfernt sind und unsre Kamele geschont haben, könnet ihr im stärksten Galopp bis zum Morgen hingelangen.«
»Und du?«
»Ich suche inzwischen die Bande aufzuhalten.«
»Nee!« widersprach die Zitrone: »Das ist meine Sache! Reite du mit Isolde und Achmed in die Oase zurück.«
»Nein!« erklärte die Harmonika energisch: »Diesmal bleibt es bei meiner Anordnung: erstens habe ich schon meinen Plan; zweitens bin ich wie ein Beduinenmädchen gekleidet, du aber wie eine Zitrone. Ich kann mich eher unbemerkt nähern und meine Absichten zu gutem Ende bringen.«
»Nun denn, wenn du einen Plan hast, so will ich nachgeben: ich habe nämlich noch keinen. Aber greife es vorsichtig und schlau an: möge es dir gelingen!«
Hulda brach sofort mit der Zofe und dem Kameltreiber nebst vier Kamelen auf, während Monika noch ihre Zeit abwartete.
Als die Beduinen den Zelten ziemlich nahe gekommen waren, brach die Harmonika aus ihrem Verstecke hervor und jagte nach Südwesten, in den Rücken der Räuber. Diese richteten ihre Aufmerksamkeit so sehr auf ihr Ziel, daß sie die durch das Dunkel stürmende Reiterin, die ebensogut für einen Mann gehalten werden konnte, nicht gewahrten.
Als Monika daher einige hundert Schritt von ihnen entfernt war, trieb sie ihr Tier mit hellem Jauchzen an.
Nun wandten sich die Räuber nach ihr um, und sobald sie sich bemerkt sah, wandte sie sich zu rascher Flucht nach Süden.
Wie sie vorausgesehen und beabsichtigt hatte, lockte sie dadurch eine stattliche Anzahl der Beduinen zu ihrer Verfolgung auf sich. Sie konnten nicht wissen, mit wem sie es zu tun hatten; aber daß der Reiter floh, mußte ihnen verdächtig genug erscheinen, um sich seiner Person versichern zu wollen.
Die Harmonika war eine tüchtige Reiterin und ihr Tier bei guten Kräften: so konnte sie die Jagd eine starke Stunde hinziehen, ehe sie erreicht und gefangen genommen wurde. Die Beduinen zeigten sich sehr enttäuscht und unwillig, als sie erkannten, daß es bloß ein europäisches Mädchen war, das sie so viel kostbare Zeit hatte verlieren lassen. Sie brauchten eine weitere Stunde, um zu den Zelten zurückzugelangen, wo ihre Kameraden auf sie warteten.
Wie ein Sack wurde das tapfere Mädchen im Unmut zu den anderen Gefangenen geworfen. Man überzeugte sich noch, ob Aller Fesseln gut hielten, und ließ sie dann ziemlich unbeachtet liegen, um zu beraten, ob man den Angriff auf die Oase sogleich unternehmen solle, obgleich es jetzt hoher Vormittag würde, bis man sie erreichen konnte, oder ob er infolge der unliebsamen Verspätung bis zur nächsten Nacht verschoben werden müßte.
Die kluge Harmonika ahnte den Zweck der Beratung. Es lag ihr viel daran, daß ein Aufschub beschlossen werde, da ein zeitiger Überfall immer noch die besten Aussichten für die Beduinen bot. Denn, wenn auch die Oasenbewohner bis dahin durch Hulda gewarnt worden wären, so brauchten sie doch mehrere Stunden Zeit, um sich in Verteidigungszustand zu setzen und die nötigsten Hilfskräfte aus den entfernteren Ortschaften herbeizuziehen.
Die Räuber wußten freilich nichts davon, daß ihre Annäherung beobachtet wurde und im Begriffe war, verraten zu werden. Dennoch neigten sie alle der Ansicht zu, das Unternehmen nicht länger hinauszuzögern. Freilich war die Nacht für einen Überfall günstiger und brachte die Angreifer weniger in Gefahr, viele Opfer an Menschenleben bringen zu müssen. Andrerseits glaubte man sich versichert, jetzt noch völlig unvermutet zu kommen und dadurch des leichten Sieges gewiß sein zu dürfen, während man nicht wissen konnte, ob der Anschlag nicht im Laufe des Tages entdeckt werde, wenn man in der Nähe der Oase lagerte, um die Nacht abzuwarten.
Die Gefangenen lagen soweit abseits, daß sie von der Beratung nichts zu vernehmen vermochten. Allein die Harmonika wollte die Entscheidung in dem Sinne, den sie befürchtete, auf alle Fälle vereiteln.
Als sie unsanft zur Erde flog, just neben Franz Billinger, wußte keiner der Gefangenen, was für einen neuen Leidensgefährten sie bekommen hatten. Billinger richtete sich zwar halb auf, doch Monika trug das Gesicht verschleiert, wie ein echtes Arabermädchen. Darum brummte der Bayer:
»I woaß nit, was sö uns do für an G'sölln an dö Rippen g'schmissen hamm. Is dös a vakappta Hallodrih oda an orobischs Weibsbüld, a so a drecketes?«
»Ganz einerlei!« erwiderte der Baron: »Unser Freund ist der neue Gefangene auf alle Fälle, da die Halunken ihn gefesselt haben, wie uns.«
Die Harmonika kicherte inwendig, doch verhielt sie sich still, bis die Beduinen, die ihre und ihrer Gefährten Bande untersuchten, sich befriedigt entfernt hatten.
Dann aber begann sie halblaut:
»Der Hallodrih ist in der Tat ein Weibsbild, aber kein ›a so drecketes‹. Es nennt sich Harmonika, und naht mit den besten Absichten.«
»Ach, vazeihen S', gnädigs Fräulein!« entschuldigte sich Franzl ganz zerknirscht: »Dös wann i ma hätt' traamen lossen, daß Sö's san, hernach hätt' i g'wiß vun koan Hallodrih oda an drecketen orobischen Weibsbüld doherg'redt! Aba wie kimmen denn Sö in dö abärmlich G'fongenschoft?«
»Ja, wie kommen Sie daher?« fragte nun auch Steinberg: »Ihre besten Absichten in allen Ehren, aber ausführen dürften Sie dieselben kaum können.«
»Ich kam freiwillig daher, um die Schurken so lange aufzuhalten, bis Hulda die Oasenbewohner gewarnt hat und diese sich in Verteidigungszustand setzen können. Wir waren nämlich auch ausgezogen, um nach Ihnen zu suchen, und entdeckten Sie heute Abend von ferne, zugleich aber auch die herannahenden Beduinen. Was übrigens meine Absichten betrifft, so habe ich sie zum Teil schon erreicht, zum Teil gedenke ich, sie noch zu erreichen.«
»Det is een juter Mut, den ik mich lobe!« sagte Peter: »Alleene, wat det jnädige Fräulein zu tun jedenken, is mich völlik unklar un unwahrscheenlik. Oder sollten Sie nich jefesselt sin, wie unsereener?«
»Gefesselt allerdings; doch nur solange es mir paßt. Dann werde ich Sie alle befreien. Sie, Franz, müssen sich dann an den Kamelwächter dort hinten anschleichen und ihn möglichst geräuschlos knebeln: das haben Sie ja so famos gelernt aus dem Karl May. Sobald Ihnen dies gelungen ist, koppeln wir die Tiere in aller Stille los und besteigen die nächsten besten, ohne Sattel, denn damit dürfen wir uns nicht aufhalten. Wir jagen davon, — aber nach Süden, versteht sich!«
»Den Kamölwächter will i schun stumm machen,« versicherte der Bayer, »ball Sö ma dö Strick durchschneiden. Aba wie S' dös ferti bringen wölln, is ma a G'hoamnis und a Rätsel.«
»Gesetzt, Sie brächten das fertig,« warf der Baron ein, »so müssen wir nach Norden fliehen, und nicht nach Süden: dann erreichen wir vielleicht glücklich die Oase, ehe die Kerls uns wieder einfangen, sonst aber erwischen sie uns gewiß wieder, über kurz oder lang.«
»Ich sage Ihnen, nach Süden muß die Losung heißen!« eiferte die Harmonika: »Sie dürfen mir glauben, daß ich wohl weiß, was ich verlange. Was hülfe es uns, wenn wir die Oase erreichten und die Verfolger wären uns auf den Fersen und würden uns dort wieder gefangen nehmen? Sie würden ihren Zweck erreichen und die Leute dort überrumpeln, ehe sie genügende Verteidigungsmaßregeln treffen konnten. Es heißt jetzt: Zeit gewonnen, Alles gewonnen! Wir werden allerdings wieder in die Hände der Räuber fallen, aber sie durch unsere Verfolgung so lange hinhalten, daß sie in der Oase einen warmen Empfang finden werden.«
»Wenn Sie freilich so rechnen, so muß ich Ihnen zustimmen; aber wie wollen Sie Ihre und unsere Bande lösen?«
»Das will ich Ihnen gleich zeigen,« sagte die Harmonika fröhlich, und begann Billingers Stricke zu durchschneiden; denn es erwies sich nun, daß sie ihre Hände inzwischen schon frei gemacht hatte.
Wie ihr dies gelingen konnte, erklärte sie den Freunden erst später.
Monika Rommel besaß nämlich äußerst schmale Händchen, dagegen verhältnismäßig breite Handgelenke. Den Vorteil dieser besonderen Naturgabe hatte sie schon als kleines Mädchen erkannt und sich zunutze gemacht. Sie hatte nämlich mit Vorliebe an den Räuberspielen ihres Bruders mit seinen Kameraden teilgenommen.
Dabei war es üblich gewesen, die Gefangenen hart zu fesseln. Monika gelang es jedoch immer, sich ihrer Bande zu entledigen.
Wie sie das machte, blieb den andern ein Rätsel, und sie wahrte ihr Geheimnis. Immer wieder versuchten die Knaben, ihre Hände so fest zu binden, daß sie eine Befreiung für unmöglich hielten. Aber kaum hatten sie eine Weile den Rücken gewandt, so war das junge Fräulein wieder los. Auf die neugierigen Fragen, mit denen sie unablässig bestürmt wurde, antwortete sie stets lachend, sie stehe eben mit Feen im Bunde, die ihr unsichtbar zu Hilfe kämen. Mehr war nicht aus ihr herauszubringen. Selbst ihr Bruder kannte bis heute die Lösung des Rätsels nicht.
In Wirklichkeit war die Sache höchst einfach: während der Fesselung ballte sie krampfhaft die kleinen Fäustchen, wodurch die Muskeln des Handgelenks weit und hart hervortraten. Die zusammengepreßte Faust erschien viel breiter als das Handgelenk. Sowie sie jedoch die Finger ausstreckte und den Daumen unter den Mittelfinger legte, wurden Hand und Handgelenk äußerst schmal und bildeten beinahe eine Linie. Sie vermochte es dann, mit der größten Leichtigkeit aus der Schleife zu schlupfen, die nunmehr ihr Gelenk nur noch ganz lose umschloß.
Diesen Kunstgriff hatte sie auch diesmal, im Ernstfall, angewendet, mit dem üblichen Erfolg. Da die Räuber vorerst nicht daran gedacht hatten, ihre Kleider zu durchsuchen und ihr etwas abzunehmen, zog sie ihr Taschenmesser hervor und durchsägte Billingers Hand- und Fußfesseln. Während dieser sich gleich daran machte, den abgewandt sitzenden, ahnungslosen Kamelwächter zu beschleichen, machte Monika zunächst ihre eigenen Füße frei, und durchschnitt dann die Stricke, mit denen Steinberg, Grill und Mahmud gefesselt waren.
Ein dumpfer Laut verkündete den Befreiten, daß Franzls Fäuste dem Wächter an der Kehle saßen. Lautlos eilten sie hinzu, um bei dessen Knebelung und Fesselung behilflich zu sein. Dann wurden sämtliche Kamele losgekoppelt und jeder bestieg eines davon.
Jetzt hieben sie rechts und links mit Stricken auf die ledigen Tiere ein und brüllten dazu, was die Lungen vermochten, so daß die erschreckten Tiere nach allen Seiten auseinanderstoben.
Die Beduinen sprangen bei diesem Lärm entsetzt auf. Sie waren soeben mit ihrer Beratung zu Ende und gedachten an die Ausführung ihrer schwarzen Pläne zu gehen.
Jetzt wurde ihnen ein unerwarteter Strich durch die Rechnung gemacht: da suchten ihre Reit- und Lasttiere das Weite und die Gefangenen, die der Teufel befreit haben mußte, nicht minder.
Es begann eine wilde Jagd auf die Kamele, doch dauerte es eine geraume Weile, bis einzelne von ihnen eingefangen und bestiegen worden waren, so daß mit der Verfolgung der Flüchtlinge begonnen werden konnte.
Inzwischen waren diese im Dunkel verschwunden, denn der Mond hatte das Einsehen gehabt, gerade jetzt unterzugehen.
»Trennen wir uns!« gab die weise Harmonika die Losung aus, nachdem die Befreiten eine Weile nebeneinander geritten waren.
Alle sahen sofort ein, wie vernünftig der Vorschlag war, da die Verfolger dadurch wesentlich behindert werden mußten.
Mahmud und Grill wandten sich nach rechts, Steinberg behielt die gerade Richtung bei, während Billinger der Harmonika folgte, die sich nach links gewendet hatte.
Peter und der Araber wurden zuerst von den Beduinen entdeckt und zogen die ganze Schar auf sich, da von den andern nichts zu sehen war, und die Nachjagenden meinten, sie seien nur diesen beiden voraus; zum Teil meinten sie wohl auch überhaupt nichts, sondern schlossen sich blindlings ihren Kameraden an.
Die Sonne war schon aufgegangen, als Mahmud und Abu Homrah endlich ergriffen wurden. Nach den drei anderen weiter zu fahnden, schien nun aussichtslos, und da man jetzt doch vor Abend die Oase nicht mehr erreichen konnte, wurde den Kamelen noch einige Ruhe vergönnt und eine Mahlzeit gehalten. Dann ging es mit den beiden Gefangenen nach Norden.
Am Spätnachmittage kam die Oase in Sicht, und da es nun doch schon so weit war, beschloß Scheich Habibi, den Angriff auf die günstigere Zeit nach Mitternacht zu verschieben, und zog sich mit seiner Schar zwischen die beiden nächsten Sanddünen zurück, um dort wohlverborgen die Zeit des Überfalls abzuwarten.
Er konnte nicht ahnen, daß die Bewohner der nächsten Ansiedelung durch die Zitrone längst von seinem Vorhaben unterrichtet waren und daß aus einigen der Hütten, die man von hier aus kaum mit dem bloßen Auge erkennen konnte, einige Fernrohre unablässig nach ihm ausgespäht hatten. Die Ankunft der Bande war daher nicht unbemerkt geblieben, so wenig wie ihr Rückzug in das Dünental, und die Oasenbewohner wußten nun mit ziemlicher Genauigkeit, wo ihre Feinde lagerten.
Doch kehren wir zunächst zu den entkommenen Flüchtlingen zurück.
Als heute morgen die Sonne aufgegangen war, sah sich Steinberg nach allen Seiten um. Weit und breit konnte er keine Spur von Verfolgern entdecken; dagegen erkannte er im Osten einen Zug von Sanddünen, die ihm treffliche Deckung zu bieten versprachen. Er wandte sich daher dorthin und gelangte in das vorderste Dünental, in dessen Grunde er noch einigen Schatten fand.
Von der schlaflosen Nacht und der aufregenden Flucht ermüdet, beschloß er, hier etwas zu ruhen, und gab sich einige Stunden dem Schlummer hin. Dann ritt er gemächlich den Einschnitt entlang gegen Norden, wo er jetzt mit Recht die Oase vermutete.
Zu seinem höchsten Erstaunen erblickte er eine Stange auf dem Dünenrücken zur Linken. Selbstverständlich stieg er ab, da sein Dromedar nur mühsam den steilen, lockeren Abhang hätte ersteigen können, und begab sich hinauf, um das Wunder näher in Augenschein zu nehmen.
Wahrhaftig! Da fand sich ein Zettel an der Stange befestigt mit der deutschen Inschrift: »Nach der Oase!« und ein Pfeil gab die Richtung an.
Das war ja unerhört, was für Überraschungen diese sonst so eintönige Wüste barg! Einmal über das andere schüttelte Baron Erich sein blondes Haupt; aber so sehr dies die aufgerüttelte Gehirnmasse zum Denken anregen mochte, eine Erklärung des Rätsels wollte ihm nicht aufdämmern. Immerhin hatte er jetzt die trostreiche Gewißheit, daß er sich auf dem rechten Wege befinde, und über kurz oder lang die Stätte erreichen werde, wo er seinen rasenden Hunger und Durst würde stillen können.
Er beeilte sich daher, sein Sedassi wieder zu besteigen und es zur schnellsten Gangart anzutreiben.
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Aber, was bedeutete das? Da steckte ja schon wieder eine Stange dort oben! Nochmals stieg er ab, um nachzusehen, und fand, daß es ein zweiter Wegweiser war, genau wie der erste. Nun folgten diese Merkzeichen einander in regelmäßigen Abständen, und Abu Haschisch schenkte es sich, den Ritt jedesmal zu unterbrechen, um die Inschrift zu lesen. Nur einmal machte er zur Vorsicht nach längerer Zeit noch eine Stichprobe, die seine Überzeugung bestätigte, daß überall die gleichen Worte wiederkehrten und es sich um eine planmäßige und ausgiebige Wegbezeichnung handle.
So ritt er rüstig weiter bis zum Abend.
Die Harmonika hatte sich, wie wir wissen, bei ihrer nächtlichen Flucht gleich den Dünen zugewandt, und Billinger war ihr in einigem Abstand gefolgt, verlor sie jedoch in der Dunkelheit aus den Augen.
Monika Rommel erreichte nach kurzem, scharfem Ritt das erste Dünental und hoffte, hier von den Verfolgern nicht mehr entdeckt zu werden, auch wenn es tagte: in der Dunkelheit konnten sie ihre Spur unmöglich erkennen, um ihr zu folgen, und so gewann sie auf alle Fälle einen mehrstündigen Vorsprung, den die Beduinen ihr nicht mehr abgewinnen konnten.
Als es hell wurde, vernahm sie jedoch den Hufschlag eines Kameles hinter sich: es mußte ihr schon ganz nahe sein, da im weichen Sande das Getrappel nicht weit zu hören sein konnte.
Überzeugt, daß es sich nur um einen der Beduinen handeln könne, der durch einen Zufall auf ihre Fährte geraten sei, und dem vielleicht noch andere folgten, wandte sie sich gar nicht um, sondern setzte ihr Dromedar wieder in Galopp und gedachte, zur Linken über die Düne wieder in die Sandebene zu entweichen und dort nach Westen zu halten, um die vermuteten Verfolger von der Oase abzulenken.
Da erscholl jedoch des Bayern Stimme hinter ihr: »I bin's, Fräulein Harmonika! Ich, der Franzl! Do brauchen S' fein nit Reißaus z'nehmen, als ob i a Beduwiner waar, a so a lumpeter. I tu Eahna g'wiß nix: im Gegentoal kumm i als Eahna Ihr Beschütza vur dö Halunken, dö spitzbübischen. In moana Begleitigung san S' sicha, dös derfen S' fein glaaben. Und wann so an Mohamediana, so an schuftiga, Eahna z'noh kimmen taat, nachher taat a vum Franzl a Watschen dawischen, aba a pfefferte, daß er vun soam buckleten Kamöl flügt, üba zwoa Sonddünen weg, wie mit oam Luftschüff. Alsdann kunnt a soana Glieda oanzeln z'sommenlesen und zuschaun, ob a's wieda z'sommensetzen konn. Aba ferti bringen tut a dös nit, ball a koan g'lernta Montähr is.«
»Gut, gut!« lachte die Harmonika, die sich auf ihrem Tier gewendet hatte, ihm entgegen: »Unter deinem gewaltigen Schutz fühle ich mich geborgen vor allen Gefahren: dös derfst fein glaaben!«
Auf einmal erblickte Abu Barlah eine der von der Zitrone gesteckten Stangen. Erstaunt hielt er an. Mit seinen scharfen Augen vermochte er aus der geringen Entfernung die Inschrift zu entziffern, die in deutscher Sprache nach der Oase wies.
»Jetz, do schau oana her!« rief er in höchster Verblüffung aus: »Dös is a richtigs Mörwunda, a Sondmörwunda! Ollweil hamma mit Recht g'schimpft, vunwegen, daß in dösa wüsten Sara koane Wegzoaga nit san, und jetz is a richtiga Wegweisa do, und gor a deutscha! A so hoallos ungebüldet, wie i ma vurg'stellt hob, sans dö Orober doch nit, wie's schoant.«
Seine Verwunderung wuchs, als er späterhin noch mehrere solcher Stangen sah. Die lachende Harmonika ließ ihn in dem Glauben, dies sei eine arabische Kultureinrichtung.
Kurz nach Mittag, also lange ehe die Beduinen ihr Lager im Dünental aufschlugen, erreichten die beiden die Oase, wo schon die lebhaftesten Anstalten zur Abwehr des drohenden feindlichen Angriffes getroffen wurden, da Hulda, die Warnerin, seit mehreren Stunden angelangt war, in Begleitung der Unke und des Kamelführers.
Die waffenfähigen Männer der nächsten Dörfer waren schon versammelt, und im Laufe des Nachmittages trafen auch diejenigen der entfernteren Ortschaften ein, mit ihnen Professor Rommel, der seine Nachforschungen nach dem Baron als aussichtslos aufgegeben hatte, nachdem er keine Spur von ihm hatte auffinden können. Mit Recht vermutete er, daß eine der anderen Streifen glücklicher gewesen sein werde.
Äußerst erfreut war er, zu vernehmen, daß er sich in dieser Voraussetzung nicht getäuscht hatte und der Vermißte tatsächlich gefunden worden war.
Betrüblich war allerdings, daß die Harmonika die Vermutung hinzufügen mußte, Abu Haschisch werde wahrscheinlich schon wieder in die Gefangenschaft der Beduinen geraten sein, zugleich mit Peter und Mahmud. Doch war ja zu hoffen, daß diese Gefangenschaft von nur kurzer Dauer sein werde.
Nun war ja die Vermutung der Harmonika, wie wir wissen, eine irrige, da Steinberg den Verfolgern entronnen war und sich auf dem Weg zur Oase befand. Leider jedoch war dieser Irrtum nur ein vorläufiger; denn der Pechvogel geriet an diesem Abend richtig wieder in die Hände seiner Feinde.
Die Sonne neigte sich zum Untergange, als der Vater des Krauts in schärfstem Galopp, ohne an eine Gefahr entfernt zu denken, um eine leichte Windung des Tales bog, das er nun seit dem Vormittag entlang ritt, ohne ein lebendes Wesen erblickt zu haben. Jetzt platzte er aber mitten in das Räuberlager hinein, das sich unmittelbar hinter jener Biegung befand.
Zu spät zügelte er sein Sedassi: noch ehe er es hatte wenden können, wurde er unter triumphierenden Hohnrufen heruntergerissen, und konnte nun seinem Diener und Mahmud Gesellschaft leisten, die er bereits gebunden vorfand.
Die drei freuten sich selbstlos, daß doch offenbar wenigstens Franz und die Harmonika entkommen waren, und sie hofften auf baldige Befreiung.
In der Oase herrschte indessen reges Leben. Der oberste Scheich der dort wohnenden Sippen, Ibrahim, leitete die Vorbereitungen und erwies sich als ein ganz vorzüglicher Feldherr. Durch Rommel, die Zitrone und die Harmonika, die den Feind durch die Fernrohre beobachtet hatten, erfuhr er dessen Lagerplatz, der etwa zwei Stunden entfernt war. Als genauer Kenner der beduinischen Gewohnheiten nahm er an, daß der Angriff erst nach Mitternacht erfolgen werde, wenn die Räuber glauben konnten, alle Oasenbewohner befänden sich im tiefsten Schlafe.
Ibrahim aber beschloß klugerweise, den Überfall gar nicht abzuwarten, sondern ihm zuvorzukommen. Gewiß wären die Beduinen mit Leichtigkeit zurückgewiesen worden und hätten die Flucht ergriffen, sobald sie merkten, daß die Krieger der Oase in großer Zahl versammelt und auf den Kampf wohl vorbereitet seien. Dann wären sie aber ohne bedeutende Verluste entronnen und hätten zu gelegenerer Zeit ihren Plan ausgeführt, wenn sie nicht erwartet wurden: war es doch ein Ding der Unmöglichkeit, sich durch Wochen und vielleicht Monate hindurch in beständiger Bereitschaft zu halten.
Wurde dagegen jetzt ihr Lager umzingelt, so war es möglich, ihnen eine so vernichtende Niederlage beizubringen, daß man fortan nichts mehr von ihnen zu befürchten hätte.
Dies überlegte der scharfsinnige Scheich und sandte gleich nach Dunkelwerden und vor Mondaufgang eine Abteilung in die Wüste, die weiter südlich, im Rücken der Feinde den Taleinschnitt besetzen sollte. Bei umsichtiger Erkundung merkten diese Leute alsbald, daß die Biegung der Schlucht, hinter welcher die Beduinen unmittelbar lagerten, ihnen eine Annäherung bis auf zweihundert Schritt ermöglichte, was äußerst vorteilhaft für sie war. Die Räuber hatten nämlich gar nicht daran gedacht, Wachen aufzustellen: gegen wen denn? Sie waren ja die Angreifer, vor denen man hätte auf der Hut sein sollen. Sie lagen da, in tiefster Verborgenheit, und, wie sie glaubten, hatte niemand eine Ahnung von ihrer Anwesenheit, außer etwa den Flüchtlingen, die jedoch gegen Süden geflohen waren.
Wenn auch der Scheich Habibi ein hellerer Kopf gewesen wäre, als er tatsächlich war, und die Möglichkeit in Rechnung gezogen hätte, daß die Oasenbewohner gewarnt sein könnten, so wäre es ihm doch nie in den Sinn gekommen, diese könnten den Stiel umdrehen und einen nächtlichen Angriff auf sein Lager unternehmen: so etwas war ja überhaupt noch nie erhört! Das Angreifen war Sache der Räuber und niemals derer, die von ihnen bedroht wurden: wußten letztere, was ihnen bevorstand, so setzten sie sich eben in Verteidigungszustand, und damit fertig.
Vom Standpunkt der Wüstenbewohner, die eben nicht mit dem noch nie Dagewesenen zu rechnen verstanden, war es also nicht einmal eine leichtsinnige Unvorsichtigkeit, daß unter den obwaltenden Umständen keine Wachen aufgestellt wurden, sondern eine Selbstverständlichkeit, mit der auch der Scheich der Oase ohne weiteres gerechnet hatte.
Wenn übrigens die Räuber überhaupt noch besonderer Gründe für ihre Sorglosigkeit bedurft hätten, so fehlte es auch nicht an solchen. Sie hatten, so lange es Tag war, fleißig Ausschau gehalten. Von dem Treiben im nächstgelegenen Dorf hatten sie der Entfernung wegen nichts bemerkt; dagegen hatten sie feststellen können, daß keine Menschenseele weit und breit in der Wüste sich zeigte, vor allem, daß aus der Oase niemand in die Wüste hinaus gegangen war. Und endlich, da der Aufbruch eine Stunde vor Mitternacht erfolgen sollte, wachten sie ja alle, nachdem sie sich vor dem Abmarsch noch die nötige Ruhe gegönnt hatten: wozu also Wachen aufstellen, was vielleicht einen Sinn gehabt hätte, wenn das Lager sich dem Schlafe ergeben hätte.
Außer der Abteilung, die im Rücken der Feinde lauerte, hatte der Scheich der Oase noch zwei andere vorausgesandt, die in aller Stille die Sandhügel zur Rechten und Linken des Lagers besetzten, wohl bedacht, daß sie sich vor den unten Lagernden nicht blicken ließen, was nur möglich gewesen wäre, wenn einer sich aufrecht auf dem Hügelkamm gezeigt hätte, so daß seine Gestalt sich gegen den Nachthimmel abhob.
Von drei Seiten war also der Feind eng umzingelt, als der Scheich der Oase mit dem Rest seiner Leute ihn von vorn angriff, kurz ehe der Aufbruch erfolgen sollte.
Sobald die ersten Flintenschüsse knallten, griffen auch die drei andern Abteilungen ein, begünstigt durch den inzwischen aufgestiegenen Mond.
Von allen Seiten schlugen die Kugeln ins Lager, und die Räuber erlitten schon die empfindlichsten Verluste, ehe sie nur dazu kamen, sich ernstlich zur Wehre zu setzen.
Da sie sich völlig eingeschlossen sahen, konnten sie von Anfang an nicht hoffen, erfolgreichen Widerstand leisten zu können. Dennoch dachten sie nicht daran, sich zu ergeben. Daß ihre Angreifer die Oasenbewohner waren, lag außer allem Zweifel, da es eine andere Möglichkeit gar nicht gab. Nun hatten die Beduinen diese ihnen zunächst liegende Oase zu verschiedenen Zeiten überfallen und ausgeplündert, wobei sie alles niedermachten was sich zur Wehr setzte.
Sie wußten also, daß sie es mit erbitterten Gegnern zu tun hatten, von denen sie so wenig Schonung erwarten durften, als sie selber jemals gegen sie bewiesen hatten. Es blieb ihnen also nichts übrig, als ein Durchbruchsversuch, oder der Trost, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen.
Sie wehrten sich daher mit der größten Tapferkeit; doch war die Übermacht zu stark und ihre eigene Zahl schon gleich zu Beginn des Kampfes zu sehr zusammengeschmolzen, als daß es auch nur einem gelungen wäre, sich durch den mehrfachen Ring der Angreifer durchzuschlagen.
Nach einer Viertelstunde lag schon mehr als die Hälfte der Beduinen tot, von den Überlebenden waren die meisten mehr oder weniger schwer verwundet. Nun kam es zum Handgemenge, und in Bälde war der gesamte Rest gefangen genommen und gefesselt.
Für den Baron, Peter und Mahmud war es bei der tollen Schießerei ein Glück gewesen, daß sie am Boden lagen, und zwar etwas abseits, zwischen zwei Wächtern. So konnten sie schon zu Anfang durch die vorrückenden Truppen des Oberscheichs Ibrahim befreit werden, bei denen sich der Professor und Franz befanden, die besonders besorgt waren, daß dies möglichst rasch geschah. Sonst wären sie wohl kaum dem Schicksal entgangen eine oder mehrere Kugeln zu erhalten. Mahmud hatte bereits einen Streifschuß weg.
Die gefangenen Räuber wurden in der Oase zurückgehalten, bis ihre verwundeten Kameraden teils ihren Wunden erlegen, teils mehr oder weniger notdürftig wieder hergestellt waren. Dann mußten alle bei Allah und dem Propheten schwören, nie mehr eine feindliche Handlung gegen die Oase zu unternehmen. Dieser Eid konnte ihnen nicht schwer fallen, da ihnen nach solch blutiger Niederlage alle Lust zu einem derartigen Wagnis gründlich vergangen sein mußte und sie bei ihrer stark zusammengeschmolzenen Zahl in absehbarer Zeit überhaupt nicht mehr dazu imstande gewesen wären.
Hierauf wurden die Gedemütigten frei gelassen und durften zu Fuß heimkehren; denn ihre Kamele, sowie ihre Waffen, und überhaupt alles, was sie bei sich hatten, behielten die Sieger selbstverständlich als rechtmäßige Beute zurück und verteilten es redlich unter sich: das war ja lange noch kein Ersatz dessen, was ihnen im Lauf der Zeiten durch diese Schurken geraubt worden war!
Der Zitrone und der Harmonika verehrte der dankbare Ibrahim je ein Kamel, weil sie es vor allem waren, die den Anschlag der Beduinen verhindert und den glänzenden Sieg ermöglicht hatten.
Zwei Tage nach der Schlacht kehrte auch der Pascha in die Oase zurück: er hatte seine Streife recht gründlich genommen und weit ausgedehnt. Nun freute er sich herzlich, Steinberg und Grill wohlauf anzutreffen; denn des letzteren leichte Verwundung durch die Löwenpranke heilte rasch.
Billinger bedauerte den Kapitän herzlich, daß er den ruhmvollen Kampf versäumt hatte:
»Dös derfen S' fein glauben, Herr Pascha,« sagte er: »Wos mir g'loastet hamm in Eahna Ihra werten Abwesenhoat, dös is nit an d' Wond z'molen! Übalistet hamma dö stinketen Beduwinen, daß sö Maul und Aagen aufig'rissen hamm vur Vawunderung und hoallosa Wut. Fuchstuifiswild san s' g'west. Aba ma hamm s' in d' Pfannen g'hauen, daß koana hoal bliebn is. Auf d' letzten, do is's zum Hondg'meng kummen. Do hot ma da Scheich, da hoamtückisch, soan Dollich ins Herz oanistoßen wölln. Aba da Franzl, nit faul, hot dösan mahommedianischen Schlankerl an echte boarische Watschen vasetzt, so a pfefferte, daß er, wuppdich! üba zwoa Sonddünen wegg'flogen is, wie da fliegend Robert im Struwwelpeta, aba fein ohne Regenschirm. I woaß nit, hot a soane drecketen Glieda wieda z'sammeng'funden oda nit, aba z'letzten is a rattemausetot g'west, dös derfen S' fein glaaben. Mit soane Räuberein und Moritoten hot er's nit ondas vadeant, und wos is am aa oang'folln, da Franzl Billinger derstechen z'wöllen? Dös hätt a sö denken kunnen, daß der sö dös nit g'follen loßt, und dö Sachen hot schief gehn müssen für ihn. Denn, ball's amol hoaßt: er oda i, — nachher is's holta er, wo dran glaaben muß. Denn da Franzl hot ondre Protzen, wie a so an Beduwinenscheicherl, und a boarische Watschen gibt an Auftrieb, wie so a Patent-Daimla-Motor vun an Flugzeugerl: dös gibt a Lustroasen, ob oana Lust hot oda nit!«
Das mit der Ohrfeige war schon richtig: der Vater der Mauleselin hatte sie dem Beduinenscheich verabfolgt, als dieser mit gezücktem Messer auf ihn eindrang. Den Flug über die Dünen hatte freilich niemand beobachtet, was aber in der Hitze des Gefechts nicht zu verwundern war. Immerhin war Habibi von dem wuchtigen Schlag zu Boden geflogen, wo ihn die wohlgezielte Kugel eines erbitterten Oasenbewohners am Wiederaufstehen hinderte, ehe er wieder zur Besinnung kam.
Eines war sicher: mit Franzls derben Bayernpratzen ernstliche Bekanntschaft zu machen, war nicht ratsam.
Einen großen Triumph feierte Steinberg, als er seine Jagdtrophäen vorweisen konnte: die Löwenhaut und das prachtvolle Gazellengehörn. Und es fehlte nicht an aufrichtigen Glückwünschen, als Peter von den Heldentaten, und namentlich von dem unglaublichen »Meesterschuß« auf die Antilope berichtete.
Alle gestanden, sie müßten Abu Haschisch nun Abbitte leisten, daß sie ihn als Jäger bisher ganz gewaltig unterschätzt hätten.
Zwei Tage darauf ordnete der Pascha den Aufbruch aus der Oase an: mit Wasser und Lebensmitteln reichlich versehen, setzte sich die Karawane in Bewegung, zur Weiterreise nach der rätselhaften Messingstadt.
Die Wüste bot das gleiche einförmige und trostlose Bild, das man schon gewohnt war, und das wenig ermunternd wirkte, wenn man der Gefahren und Leiden gedachte, die man bisher durchgemacht hatte. Immerhin waren alle wohl ausgeruht und bei frischen Kräften, und angesichts der hochbepackten Kamele und prallen Wasserschläuche war für die nächsten Tage kein Mangel zu befürchten. Schließlich mußte doch auch das Ziel erreicht werden, wenn es überhaupt vorhanden war, oder die Wüste mußte ein Ende nehmen; denn endlos war die Sahara doch auch nicht. So wurde denn die beschwerliche Reise gutes Muts fortgesetzt.
Am zweiten Tage sollte eine Abwechslung die Einförmigkeit der Landschaft beleben. Abu Ramleh, der Vater des Sandes, sichtete durch sein Fernrohr einen Vogel Strauß am Horizonte: das war nun freilich bloß ein Pünktlein in der unermeßlichen Ebene. Aber man war bescheiden geworden, und die Kunde von des Professors Entdeckung genügte, um Leben in die erschlaffende Gesellschaft zu bringen.
Allgemein wurde eine Straußenjagd beschlossen, obgleich keiner recht wußte, wie man dem flüchtigen Vogel beikommen sollte.
»Der Strauß ist mit dem schnellsten Pferde nicht einzuholen,« sagte Münchhausen: »Das kann uns natürlich völlig einerlei sein, weil wir überhaupt keine Pferde besitzen. Aber auch mit dem vorzüglichsten Kamel ist ihm nur schwer beizukommen: man muß ihn überlisten, indem man ihm den Weg abschneidet oder ihn umstellt. Sieht er dann keinen Ausweg mehr, so steckt er bekanntlich den Kopf in den Sand und kann in dieser hilflosen Lage sogar lebendig leicht gefangen werden. Es ist merkwürdig! Der einfältige Vogel sollte doch aus jahrhundertelanger Erfahrung wissen, wie nutzlos, ja gefährlich sein lächerlicher Versuch ist, sich auf diese unzweckmäßige Weise den Augen der Verfolger entziehen zu wollen, allein, er bleibt unentwegt dabei. Offenbar weiß er nichts von der Darwinschen Entwicklungslehre.«
»Überlisten wir ihn also!« rief Abu Haschisch eifrig.
»Ja, wir wollen einen Kreis um ihn schließen,« meinte der Pascha: »Sie werden sehen, wie leicht uns auf diese Weise der schnellfüßigste aller Läufer zur Beute fällt.«
Der Herr der Karawane traf seine Anordnungen, und der Vogel wurde in weitem Bogen von den Deutschen und einigen Arabern umritten. Dann schloß man den Kreis immer enger um ihn. Bald hatte er auch die von drei Seiten nahende Gefahr entdeckt und wandte sich, um nach der vierten hin zu flüchten: allein auch dort erblickte er herangaloppierende Feinde. Baron von Steinberg und seine Schwester kamen ihm hier hoch zu Kamel entgegen.
»Aha! Jetzt wird er den Kopf in den Sand stecken!« rief Abu Haschisch in gespannter Erwartung der Zitrone zu.
Aber dem Strauß fiel es nicht ein, ihm den Gefallen zu tun und ihm dies interessante Schauspiel zu bieten: er stürmte herbei und brach zwischen den Jägern durch. Der Vater des Krauts war platt und riß die Augen weit auf: was fiel diesem Geschöpf ein, so ganz gegen jedes Herkommen zu handeln? Hulda ihrerseits behielt soviel Geistesgegenwart, ihm einen Schuß nachzusenden, der jedoch fehl ging, was nicht zu verwundern war: denn von dem stark schwankenden Rücken eines in vollem Galopp dahinjagenden Kamels kann selbst ein Meisterschütze keinen sicheren Schuß abgeben.
»Der ist uns durchgebrannt!« erklärte Abu el Futha heranreitend: »Es wäre zwecklos, ihn zu verfolgen; einholen würden wir ihn doch nicht mehr.«
Der Baron aber polterte ärgerlich: »Es ist also doch nichts mit dem Schwindel, daß der Strauß den Kopf in den Sand steckt, oder sollte dieses Exemplar die Darwinsche Entwicklungstheorie studiert haben?«
»Letzteres bezweifle ich,« entgegnete der Kapitän seelenruhig: »Es fehlt noch durchaus an wissenschaftlichen Büchereien in diesen Breiten. Dagegen wird der Wüstenvogel in Ihnen den bekannten Fenekjäger erkannt haben, dessen Ruf sich zweifellos schon über die ganze Sahara verbreitet hat. Da wird er sich denn gesagt haben: ›Aha! Vor dem braucht mir nicht bange zu sein!‹ Wenn der Vogel Strauß aber keine Angst hat, steckt er auch den Kopf nicht in den Sand: das ist klar!«
»Aber ich habe doch einen Löwen erlegt!« verteidigte sich Abu Haschisch kleinlaut: den Meisterschuß auf die Gazelle erlaubte ihm sein schlechtes Gewissen doch nicht, zu erwähnen.
»Allerdings,« sagte Münchhausen: »Wenn dem Vogel diese Heldentat bekannt worden wäre, so hätte er Sie sicherlich bedeutend gefürchtet und sein edles Haupt im tiefsten Sande verborgen. Allein Ihr Löwensieg ist ihm offenbar noch nicht zu Ohren gekommen: das ist Pech!«
Da der Abend nahte, wurde gleich nach der mißlungenen Jagd das Lager aufgeschlagen.
Als nach der Abendmahlzeit die Tabakspfeifen gemütlich dampften, drehte sich die Unterhaltung begreiflicherweise um die Gewohnheiten des Vogels Strauß und die verschiedenen Arten, ihn erfolgreich zu jagen.
Kapitän Münchhausen gab hiebei eines seiner merkwürdigen Jagdabenteuer zum besten. »Auf besonders schlaue Weise,« hub er an, »habe ich einmal einen dieser Riesenvögel lebendig gefangen. Auf einem Ritt in die Wüste hatte ich meinen Lieblingshund mitgenommen, von dem ich mich nicht gerne trennte.
»Da das Tier leidenschaftlich jagte und, wenn es ein Wild erblickte, durch keinen Zuruf seines Herrn zurückzuhalten war, hatte ich es mit einer langen, dünnen, doch äußerst festen Hundekette an mein Kamel gefesselt.
»Da kommt mir plötzlich ein prächtiger Strauß in Sicht.
»Wie fängst du es an, um den Kerl lebendig zu fangen?« dachte ich: »Denn Hagenbeck hatte mir kurz zuvor geschrieben, ich möchte ihm doch, wenn irgend möglich, einen lebenden Strauß besorgen, da ihm sein einziges Exemplar leider eingegangen sei. Nun wissen Sie ja wohl, wie gierig diese sonderbaren Geschöpfe altes Eisen, namentlich Schuhnägel, verzehren: darauf gründete ich meinen rasch gefaßten Plan.
»Ich trieb einen starken Pfahl in den Sand und befestigte meine lange Hundekette daran, während ich meinen Hund mit einem Ledergurt an den Sattelknopf festband. In das letzte Glied der Kette steckte ich einen Schuhnagel, den ich aus meinen genagelten Stiefeln löste. Oben an den Pfosten band ich mein buntes Taschentuch, und zog mich dann unauffällig in angemessene Entfernung zurück.
»Eine besondere Eigenschaft des Vogels Strauß ist seine unbezähmbare Neugierde. Bald hatte der meinige die wehende Fahne an der genialen Falle entdeckt, und eilte darauf zu, begierig, festzustellen, was dieses in der Wüste unbekannte Zeichen wohl bedeuten möge? Als er es erreichte, pickte er danach und riß es los: es bereitete ihm sichtliche Genugtuung, daß ihm dies so spielend gelang. Jetzt gewahrte er den Nagel und fiel alsbald über den seltenen Leckerbissen her. Wie er ihn verschluckte, folgte natürlich die Kette nach, in der er fest steckte: dies schien dem Eisenfresser jedoch durchaus nicht unangenehm: Im Gegenteil, er würgte auch die Kette vergnügt hinunter.
»Je mehr er von der Kette verschlang, desto näher kam sein Schnabel dem Pfahl, an dem sie befestigt war, bis er schließlich an den Pfosten stieß und nicht weiter schlingen konnte: da hing er mit zu Boden geneigtem Kopfe fest, — er war hilflos gefangen!
»Nun eilte ich herbei, löste die Kette von der Stange, und band sie hinten an meinem Kamele fest. Der Riesenvogel war infolgedessen gezwungen, mir auf dem Heimritt zu folgen, genau wie mein Hund, und da half ihm alles Sträuben so wenig wie seine vergeblichen Anstrengungen, sich zu befreien.
»Als ich ihn glücklich im Stall hatte, gab ich die Kette frei und er schluckte sie vollends hinunter: mein Gefangener aber war und blieb er, bis ich ihn mit dem nächsten Dampfer zu Hagenbeck schickte, der mir nach seiner Ankunft hocherfreut schrieb, ein solches Prachtexemplar von einem Straußen habe er noch nie erblickt, geschweige denn besessen: es sei eine Zierde seines Tierparks.«
»Na, Kapitän,« sagte Rommel lachend: »Da Sie so unerschöpflich an Jägerlisten sind, daß Sie Krokodile und Nilpferde mit Sperrhölzern, Eisbären mittels Zeltstangen und Strauße mit Hundeketten zu bändigen und zu erbeuten vermögen, so hätten Sie auch heute Ihre geniale Erfindungsgabe leuchten lassen sollen, statt uns die schöne Beute so schmählich entkommen zu lassen.«
»Ja, wenn ich geahnt hätte, daß unser heutiger Strauß schon von den Jägerstücken unseres verehrten Botanikers unterrichtet war und deshalb furchtlos an ihm vorbeieilen würde, hätte ich mich gewiß auf eine neue List besonnen; allein das ist nun leider zwecklos. Wissen Sie aber auch, welch herrlicher Leckerbissen ein Straußenei ist, besonders am Spieße gebraten?«
»Am — — Spieße — — gebraten?« fragte Steinberg, diesmal wirklich ungläubig.
»Jawohl: das ist auch eine von meinen Erfindungen. Ich fand einmal in der Wüste ein prächtiges Straußenei und wollte mir diese herrliche Abwechslung in der eintönigen Wüstenkost keineswegs entgehen lassen. Nun sind aber rohe Eier nichts weniger als nach meinem Geschmack. Allein, wie sollte ich den Fund zubereiten. Kochen? Eine solche Wasserverschwendung war ausgeschlossen, da meine Vorräte schon bedenklich knapp waren. Backen? Vorzüglich, wenn ich nur Fett gehabt hätte! Aber einen Bratspieß hatte ich für alle Fälle bei mir. Ja, warum sollte man ein Ei nicht ebensogut am Spieße braten können, wie einen Löwenschinken, wenn man die Sache nur vorsichtig angriff?
»Erfreut über meinen guten Gedanken, steckte ich meine Pfeife an einer Brennessel an ...«
»An einer Brennessel?« rief Abu Haschisch: »Nee, Kapitän, das ist nun doch wohl geflunkert!«
»Geflunkert?« verwahrte sich Abu el Futha: »Wo denken Sie hin, Baron? Münchhausen und flunkern — das darf man nicht in einem Atem nennen! Ich vergaß nur, zu erwähnen, daß dies Vorkommnis sich in einer nicht völlig pflanzenlosen Gegend der Sahara abspielte, wo eben einige Brennesseln wuchsen.«
»Das meine ich ja nicht,« entgegnete Steinberg: »Vielmehr bezweifle ich nur, daß man an einer Brennessel seine Pfeife anstecken kann.«
»Aber ich bitte Sie! Natürlich, wenn Sie an unsere deutschen Nesseln denken! Allein Sie müssen bedenken, daß die afrikanische Brennessel ungleich heftiger brennt als die europäische, an der Sie freilich nicht einmal eine Zigarette entzünden könnten.«
Mit diesem Bescheid gab sich der leichtgläubige Vater des Krauts zufrieden, und der Pascha fuhr fort: »Dürre Stauden und Kamelmist waren vorhanden, so daß ich, ebenfalls mit Brennnesseln, ein Feuer entzünden konnte. Jetzt stieß ich mit einem scharfen Stoß den Bratspieß durch das Ei, von der Breitseite zur Spitze. Es gelang ausgezeichnet: die beiden Löcher waren so glatt und genau, wie durch die Kugel eines Gewehres mit größter Durchschlagskraft geschossen. Der Spieß füllte sie so völlig aus, daß auch nicht ein Tröpflein verloren ging. Auf einen solchen herzhaften, scharfen Stoß kommt natürlich alles an; denn wenn die Schale splittern würde, wäre das Braten am Spieße selbstverständlich ausgeschlossen. So jedoch glückte es über Erwarten, und das Ei schmeckte weit besser, als ein in Schmalz oder Butter gebackenes.«
Steinberg beschloß, das nächste Ei, das ihm in die Hände fiele, ebenfalls auf diese neumodische Art zuzubereiten.
Der Pascha nahm aber alsbald wieder das Wort: »Da wir gerade an den Eiern sind, möchte ich Ihnen noch ein merkwürdiges Erlebnis mitteilen: Obgleich ich kein Gelehrter bin, leide ich doch nicht selten an einer geradezu fabelhaften Zerstreutheit. Nun hatte ich in Kairo eine kleine Hühnerzucht begonnen. Da sandte mir eines Tages ein Freund aus Amerika ein Dutzend Kartoffeln einer neuen Sorte, mit der ich einen Anpflanzungsversuch in Ägypten machen wollte.
»Eines meiner Hühner war brütlustig, und ich nahm gleichzeitig mit den Kartoffeln, die ich stecken wollte, ein Dutzend Bruteier mit, um sie der Henne unterzulegen. Nun denken Sie sich meine Zerstreutheit: stecke ich nicht richtig die Eier, und lege die Kartoffeln der Glucke unter!
»Anfangs hatte ich keine Ahnung von meinem Versehen und war nur aufs äußerste befremdet über die seltsamen Triebe, die den vermeintlich gesteckten Kartoffeln entsproßten. Als ich jedoch nach drei Wochen nach den ausschlupfenden Küchlein sehen wollte, fand ich die Bescherung: die Henne hatte mir fünf Dutzend junge Kartoffeln ausgebrütet, von jeder der untergelegten vier bis sechs neue! Sie schmeckten übrigens ganz vorzüglich. Die gesteckten Eier hatten ihrerseits prächtige Eierstöcke getrieben. Leider war die Jahreszeit schon zu vorgeschritten, als daß die Früchte noch hätten ausreifen können: sie wurden nicht mehr viel größer als Taubeneier. Dafür war der Fruchtansatz äußerst reichlich, über hundert Stück. Trotz ihrer Kleinheit ließen sie sich recht gut in der Küche verwenden und lieferten die schmackhaftesten Eierkuchen, die ich je genossen habe.«
Münchhausens launige Berichte, denen nur Baron Steinberg und die Zofe Isolde andächtig lauschenden Glauben schenkten, erregten allgemeine Heiterkeit.
Franz Billinger bemerkte zum Schluß: »A ganz famose Afindung hoben S' do g'mocht, Herr Pascha, mit deane ausbrutete Kartoffeln: dös geht jo onders topfa! Noch drei Wuchen schun neue Erdäpfel, — dös loß i ma g'folln! Wann i hoam kimm, nachher loß i moana Mutta ihre Hennen an Zentna Erdäpfel ausbruten. Hallo! wurd do moan Olte schaugen, wanns ihre Bruthendeln sechs oda sieben Zentna draus mochen! Und unsa ganz Dörferl wurd d'Aagen aufireißen sperrangelweit. Und hernach erst, wenn i Oaer stecken tu, und dö Oaerstöckl hangen vulla junga Oaer: dös wurd an Spektakul obsetzen! Aba tüchtig düngen werd' i s', mit an kräftigen Pferdsmist, daß sö fein groß werrn, wie Gonsoaer, und auf d'letzten wie Straußenoaer. Nachher wurd i a reicha Monn durch moan Erdäpfelbrut und Oaerpflanzung, und dös vadonk i alloan Eahna Ihra Afindung, Herr Pascha. Jo, Sö san an Monn, a so oan gibt's fein koan zwoaten nit in da Herrgottswelt: dös sogt da Franzl Billinger, und wos der sogt, dös is wohr, da beißt koan Mäuserl an Foden ob!«
Wiederum zwei Tage anstrengender Reise durch Wüstenglut waren überwunden; doch diesmal befanden sich alle in bester Stimmung, denn der edle Fakir Abd ul Hagg hatte hoch und heilig geschworen, in längstens fünf weiteren Tagen müsse das Ziel, die Messingstadt, erreicht werden, und der Pascha bestätigte, daß die Karte, die bisher keinen Anlaß zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit gegeben habe, mit dieser Angabe übereinstimme.
Wie begreiflich, drehte sich bei der abendlichen Lagerrast das Gespräch um die geheimnisvolle Stadt, deren Vorhandensein etliche Mitglieder der Karawane, insbesondere Professor Rommel, immer noch stark bezweifelten.
»Was haben Sie denn für urkundliche Nachrichten über dieses Rätsel der Sahara?« fragte Abu Ramleh daher etwas spöttisch.
»Wie bereits früher erwähnt,« antwortete Abu el Futha, der Vater des Schnupftuchs, würdevoll, »fuße ich namentlich auf den Berichten aus Tausendundeiner Nacht.«
»Berichten — ist gut!« lachte Rommel: »Sie, der Sie selber so viel Märchenhaftes zu berichten wissen, sollten am besten beurteilen können, daß Märchen und Wahrheit unvereinbare Gegensätze sind.«
»Sie irren, wie immer, Professor,« sagte Münchhausen von oben herab: »Gerade weil törichte Zweifler so oft glauben, meine wahrheitsgetreuen Erzählungen aus meinem vielbewegten Leben für Erdichtung halten zu dürfen, hüte ich mich, in den gleichen Fehler zu verfallen, und erkenne den Wahrheitsgehalt der sogenannten Märchen an. Selbstverständlich ist nicht alles, was die Märchen erzählen, für bare Münze zu nehmen: das beanspruchen sie ja selber nicht. Sie sind Schöpfungen der Phantasie und geben sich als solche. Sie enthalten jedoch stets einen Kern der Wahrheit, den es unwissenschaftlich ist, blindlings zu übersehen.«
»Wollen Sie uns nicht mitteilen, was Ihr Märchen aus Tausendundeiner Nacht über die Messingstadt berichtet,« bat die Zitrone: »Hoffentlich sind wir bald in der Lage, seine Angaben durch den Augenschein nachzuprüfen.«
»Gerne werde ich Ihren Wunsch erfüllen, und zwar sollen Sie die vollständige Erzählung zu hören bekommen, obgleich sie vieles enthält, was nicht eigentlich zur Sache gehört; denn selbstverständlich habe ich den Band von Tausendundeiner Nacht, der die Erzählung enthält, mit auf die Reise genommen.«
Der Pascha holte das Buch aus seinem Zelte, und seine deutschen Gefährten lagerten sich alle dichter um ihn, begierig, Näheres über das Ziel ihrer mühevollen Reise zu vernehmen, das sie vielleicht bald mit eigenen Augen schauen sollten.
Es war eine deutsche Übersetzung der Märchen, die der Kapitän in Händen hielt, und aus der er folgendes vorlas:
Der Beherrscher der Gläubigen Abd ul Melik, Merwans Sohn, pflegte an bestimmten Abenden die Großen und Gelehrten seines Reiches um sich zu versammeln, um sich mit ihnen über verschiedene interessante Gegenstände zu unterhalten und zu belehren. Eines Abends kam so die Rede auf die Geschichte alter Völker und ihrer mächtigen Kaiser.
»Da ließ sich ein berühmter Geschichtsforscher also vernehmen: ›Salomo, Davids Sohn, war Allahs besonderer Liebling: ihm hat er mehr verliehen, als irgend einem Sterblichen vor und nach ihm. Er hatte Gewalt über Menschen, Vögel und Tiere, ja, selbst die Geister mußten seinem Willen gehorchen. Gott ließ ihm einen Teppich zuteil werden, auf dem er durch die Luft reisen konnte, und verlieh ihm einen Siegelring von wunderbarer Macht. Zürnte er einem Geiste, so bannte er ihn in eine kupferne Flasche, goß sie mit Blei zu, versiegelte sie mit seinem Ringe, und warf sie ins Meer.‹«
»Da haben wir's!« lachte der Professor: »Das echte Märchen! Oder wollen Sie uns zumuten, an den fliegenden Teppich und an den Zauberring zu glauben?«
»Ich gestatte Ihnen, daran zu zweifeln,« erwiderte der Vater des Schnupftuchs, »obgleich es viel wunderbarere Dinge in der Welt gibt, die unleugbare Tatsachen sind.«
Abu Homrah jedoch sprach den Wunsch aus: »Solch eenen fliejenden Teppich ließe ik mich ooch jefallen: den möchte ik haben! Da jinge et jlatt über den Sand wech und een herrlicher kühlender Luftzuch würde eenen umstreicheln.«
»Lieba waar ma schun da Siegulring,« erklärte Abu Barlah: »Dön, wann i hätt', nachher taat i dön schurkischen Fakir in a kupfana Floschen einibonnen. Is jo schun dürr wie a Birnhutzeln; aba no vül ärga müßt a z'sammenschnurrn durch moan Zaubasprüchl, daß a durch an Floschenhols eini kunnt. Alsdann Blei und Siegul drauf, und a Meilen tief in Sond eini groben: hernach kunnt a uns nimma an da Nosen ummiführn und i müßt soane Glotzaagen nimma schaugn, soane giftigen!«
Münchhausen griff nun seine unterbrochene Erzählung wieder auf.
»Es befand sich unter den anwesenden Gelehrten auch Taleb, der berühmte Schwarzkünstler. Dieser erfahrene Mann besaß Bücher, die ihn lehrten, die Schätze zu finden und zu heben, die im Innersten der Erde verborgen sind. Der erhub sich und sprach: »O Fürst der Gläubigen! Allah erhalte dein Reich und erhebe deine Ehre über beide Welten! Mir hat mein Vater erzählt, mein Großvater habe einst eine Seereise unternommen und nach der Insel Sizilien fahren wollen. Da gefiel es Allah, dessen heiliger Wille auch im Unglück gelobt sei, einen gewaltigen Sturmwind herbeizuführen, der das Schiff von seinem Wege abtrieb und einen ganzen Monat lang auf dem Meere umherjagte, bis es an einem hohen Berge landete, den niemand kannte.
»Die Schiffsleute hatten keine Ahnung, wo sie sich befanden, und staunten über die seltsame Gestalt der Leute, die sich am Ufer zeigten. Ihre Sprache verstand keiner, und das Arabische war den Eingeborenen unbekannt.
»Die Gelandeten wurden von ihnen zum König geführt, der allein unserer Sprache mächtig war und zu meinem Großvater sagte: ›Ihr habt euch gewiß verirrt; denn hier landet nur selten ein Schiff, und niemals eines aus so fernen Landen. Fürchtet jedoch nichts: ihr werdet wieder glücklich in eure Heimat zurückgeführt werden.‹ Hierauf lud er sie zu Gaste und bewirtete sie drei Tage lang mit Vögeln und Fischen.«
»Nix Bessas hot a nit g'hobt, der orm Kuning?« fragte der Bayer mitleidig: »A softiga Radi oda a Kesselfloasch und Weißwürstel waaren ma schun lieba g'west. Aba wann a eahna nur a guts boarisch Bier dozu auftischt hot, nachher hamm s' schun können z'frieden soan. Denn a Bier is un bleibt dö Haaptsochen, und i frag ollweil mit dö Oroba: Fen el Bir? Wo is a Bier?«
»Oder eene Berliner Weeße!« meinte Peter, mit der Zunge schnalzend.
»Bleib ma weg mit doaner Weißen, Preiß! I hob ollweil 's Maul g'holten, wann d' vun dön G'suff g'redt hast, denn i hob di nit mögen beloadigen. Aba jetz wurd ma's z'vül, wann d' imma mit doan weißen Bier daherkimmst: dös konn i nimma mit anhörn. A Mili, dös loß i ma g'folln, so a frische kolte Mili auf da Sennhütten heroben, dö derf weiß soan, wie an frischg'follena Schnee. Aba a weiß Bier, dös kann bloß a Nordkaffa brau'n und saufen, wo vun an richtigen Bier nix vasteht. A Bier muß fein braun soan, recht dunkelbraun, wie a Mistbrühen, nachher is's a richtigs Bier.«
Nach dieser Auseinandersetzung zwischen Nord- und Süddeutschland konnte der Pascha weiter lesen:
»Am vierten Tage gingen sie am Meeresstrande lustwandeln und kamen gerade dazu, wie ein Fischer in seinem Netze eine kupferne Flasche heraufbrachte, die mit Salomos Siegel verschlossen war. Der Mann erbrach das Siegel: da fuhr der bleierne Stöpsel mit einem furchtbaren Donnerschlage heraus, und ein grünlicher Rauch entquoll dem Behälter. Dieser dicke Qualm aber verdichtete sich in der Luft zu der abscheulichsten Gestalt, die mein Großvater je gesehen hatte.
»Das riesenhafte Scheusal, das in der Luft schwebte, rief mit lauter Stimme: ›Gnade, Gnade, o Prophet Gottes, mächtigster Suleiman: ich will dergleichen nicht wieder tun!‹ Mein Großvater begab sich voll Schauderns zum König, erzählte ihm den Vorfall und fragte, was das zu bedeuten habe?
»Der König sagte, es sei ein aufrührerischer Geist, den Salomo wegen seines Ungehorsams eingesperrt und ins Meer versenkt habe. Als er jetzt befreit wurde, glaubte er, Salomo lebe noch und wolle ihm verzeihen: darum rief er seine Gnade an. Ihr müßt nämlich wissen,« fügte Abu el Futha erklärend hinzu, »daß Suleiman der arabische Name für Salomo ist.«
»Gebt's Obacht!« rief Billinger: »Selbiga widaspenstige Goast, dös is koan ondra g'west, wie da Molefizhalunk, da Fakir Abd ul Hagg! Scheußlich g'nug schaut a aus, und wie a G'spenst kimmt a ma ollweil vur mit soane dürren G'stolt und soane unhoamliche Aagen. Was hot der saudumm Esel vun an Fischa am Salomo soan hoaligs Siegul aufbrechen müssen? Dös is a Nosenweißhoat g'wesen, und a Frechhoat obendrein: g'wiß is's a Preiß g'west: dö san so Tölpel und vurlaute G'sölln! Dös Siegul wann a fein zug'lossen hätt', wie sö's vur an anständigen Menschen g'hört, nachher kunnt uns der India nit in da Wüsten umoanand hetzen und koane Spitzbubarein nit treiben. O dös Siegul, wann da Franzl hätt'! Hernach, a kupfana Floschen her und — einispoziert, Herr Fakir! Alsdann kämst nimma außi bis zum Jüngsten G'richt: do wurd da doan saubas Handwerk schun g'legt werrn vun unsan Herrgott auf ewige Zeiten!«
Der Pascha ließ Franzls Entrüstung freien Lauf, so sehr er selber an ihrer Berechtigung zweifelte; dann aber griff er den Faden seines Vortrags wieder auf:
»Der Sultan Abdulmelik verwunderte sich höchlich über diesen Bericht und äußerte: ›Es gibt keinen Gott außer dem einzigen Gott! Allah hat dem Salomo eine große Macht gegeben. Wenn ich nur einmal eine solche Flasche mit eigenen Augen sehen und besitzen könnte! Sie würde jedermann zur Belehrung und zur Warnung dienen.‹ Taleb aber sagte: ›Solche Flaschen befinden sich in der Messingnen Stadt: wenn du eine haben willst, so schreibe an Musa, deinen Statthalter über den Westen und Andalusien, er möge dorthin reisen und dir einige davon verschaffen; doch soll er sich auf die Reise wohl mit Lebensmitteln, vor allem mit Wasser versehen; denn die Stadt liegt tief in der Wüste und ist infolge des Wassermangels längst ausgestorben.‹
»Der Kalif ließ sofort einen Schreiber rufen und hieß ihn an den Emir Musa schreiben. Den Brief übergab er dem Taleb und sprach: ›Ich wünschte, daß du selber den Brief überbrächtest.‹
»Taleb erwiderte: ›Ich gehorche Gott und dem Fürsten der Gläubigen!‹ Er ließ sich Geld, Lebensmittel und ein Reittier geben und reiste unverzüglich von Damaskus nach der Hauptstadt von Ägypten, Kairo, und nach einigen Rasttagen von dort nach Oberägypten, wo der Statthalter Musa zurzeit weilte.
»Als dem Emir Talebs Ankunft gemeldet wurde, ging er zu ihm, bewillkommnete ihn und ließ ihn mit Auszeichnung bewirten. Hierauf übergab ihm Taleb den Brief des Kalifen. Musa las ihn und sprach: ›Ich gehorche Allah und dem Fürsten der Gläubigen!‹ Sogleich ließ er einige weitgereiste Männer zu sich bescheiden, die er fragte: ›Der Kalif schreibt mir, ich solle ihm Salomonische Flaschen verschaffen: wie fange ich dies am besten an?‹ Die Reisenden rieten ihm: ›Wende dich an Abdul Kadus, der wird dir ihren Fundort angeben können, denn er ist viel gereist, zu Wasser und zu Land, und schon mancher Gefahr glücklich entronnen.‹ Musa schickte nach dem Manne, und es erschien ein Greis, dem die Jahre schon hart zugesetzt hatten und dem man wohl ansah, daß er schon die wunderbarsten Dinge erlebt haben mußte.
»Der Emir teilte ihm Abdulmeliks Begehr mit und fügte hinzu: ›Ich kenne dieses Land noch wenig, habe jedoch gehört, niemand sei so weit gereist, wie du, auch seist du der beste Führer und Ratgeber und kennest alle Meere, sowie alle Wüsten und ihre Bewohner. Darum ersuche ich dich, mit uns zu ziehen, um uns zu helfen, den Willen des Kalifen zu erfüllen. Du sollst dich, so Gott will, nicht umsonst bemühen.‹
»Abdul Kadus erwiderte: ›Ich gehorche Gott und dem Fürsten der Gläubigen! Doch, mein Herr, wisse, daß die Messingstadt weit von hier liegt: wir haben einen langen Weg zurückzulegen und laufen viel Gefahr auf der beschwerlichen Reise.‹
»Da fragte der Statthalter: ›Wie lange werden wir ausbleiben müssen?‹
»›Wir brauchen zwei Jahre hin, und ebensoviel zurück,‹ erwiderte der Alte. ›Nun bist du aber ein Mann, der für Gott gegen die Ungläubigen kämpft: du darfst also nicht durch eine so lange Abwesenheit das Land dem Feinde preisgeben. Darum ernenne einen Stellvertreter, der während deiner Abwesenheit die Feinde bekämpfe und das Land verwalte. Übrigens steht unser Leben, wie du weißt, nicht in unserer Gewalt, und du kannst nicht wissen, wie bald du dem Tode anheimfällst: schon deshalb mußt du die nötige Vorsorge treffen.‹«
Peter Grill konnte, da der Pascha hier einhielt, eine Bemerkung nicht unterdrücken: »Det sin ja schöne Aussichten! Vier Jahre in dieser wüsten Sarah herumreesen, bloß um eene Messinkstadt zu entdecken, die möjlicherweise jar nich vorhanden is, det is doch die reenste Unmöglichkeet, und ik jloobe, bevor wir dahinkommen, sin wir alle längst verhungert oder verdurstet, wahrscheenlich alles beedes.«
Franz Billinger jedoch beruhigte ihn: »Dös mit dö zwoa Johrerln hin und z'ruck, is a Schwündel: dös derfst fein glaaben. So vül wurst in doane Schulen aa g'lernt hamm vun da Geokrafie, daß dö ganz wüste Sara koane zwoa Johrerl long is. In so oaner Zeit taat da Franzl um dö ganz Erdkugel ummimorschiern, vun Minka noch Pasing üba Neuyork und Peking. So an olta Weltroasenda, wie dösa Abd ul Kakadus is a geborena Aufschneida, un in so an Märchen kimmt's aa nit drauf an, daß olles auf da Tupfen stimmt.«
»Darin wirst du schon recht haben,« pflichtete ihm Münchhausen bei: »Aber wir wollen nun weiter hören, wie es unsern Vorgängern auf der Reise zur Messingstadt ergangen ist. Also: ›Musa ließ sogleich seinen Sohn Harun rufen, der ein tüchtiger, guter, und in der Regierungskunst wohlerfahrener Mann war, und übertrug ihm die Statthalterschaft Ägyptens über die Zeit seiner Abwesenheit. Dann versammelte er die Truppen, und nahm ihnen einen Eid ab, daß sie seinem Sohne in allen Dingen Gehorsam leisten wollten, wie ihm selbst. Diesen Treuschwur legten die Krieger mit Freuden ab, denn der neue Herr war allgemein beliebt und hochgeachtet.
»Hierauf sagte Abdul Kadus zu Musa: ›Laß tausend Kamele mit Wasser beladen, tausend mit Lebensmitteln und ebensoviele mit irdenen Krügen.‹ — ›Wozu diese?‹ fragte der Emir erstaunt. Der Alte aber erklärte: ›Wir haben zwei Monate durch die große Wüste von Kairawan zu ziehen, wo es kein Wasser und keine Menschen gibt: dort weht beständig ein heftiger Samum, der das Wasser in den Schläuchen austrocknet, weshalb man es dort nur in Krügen mitnehmen kann.‹«
»Aha!« rief Professor Rommel: »Daher also haben Sie den vorzüglichen Gedanken Ihrer Wasserbehälter geschöpft! Jetzt sehe ich allerdings ein und gebe es zu, daß man auch aus den Märchen von Tausendundeiner Nacht wertvolle Winke für das praktische Leben entnehmen kann.«
»So vernünftig diese Ihre Einsicht auch ist, so irren Sie doch, wie gewöhnlich, mit Ihrer Vermutung, verehrtester der Professoren,« widersprach der Kapitän: »Auf die genialen Gefäße kam ich ganz von selber, ohne mich dieser Stelle im Märchen zu entsinnen, die mir nie aufgefallen war. Als denkender Mensch und scharfsinniger Erfinder besann ich mich, wie die mangelhaften Schläuche durch etwas Besseres zu ersetzen seien, und verfiel alsbald auf die Aluminiumbehälter, die uns nunmehr so vortreffliche Dienste leisten. Doch lassen Sie uns fortfahren:
»Musa schickte nach Alexandrien, von wo er die nötigen Krüge holen ließ. Dann machte er sich auf den Weg mit zweitausend Panzerreitern, die neben den Kamelen herritten, während der Alte, als Führer, sich an der Spitze des Zuges hielt.
»Es war eine äußerst beschwerliche Reise, die bald durch bewohntes, bald durch menschenleeres Land führte. Häufig ging es durch wilde, wasserlose Wüsten oder über hohe Berge, und Gefahren aller Art waren zu überstehen.
»So zogen sie ein Jahr lang fort, bis sie eines Tages vom rechten Wege abkamen, und der Führer, der nicht mehr wußte, wo er war, ausrief: ›Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei Gott, dem erhabenen! Bei dem Herrn der Kaaba; ich habe mich in der Nacht verirrt, und sehe mich in einem Lande, das ich noch nie betrat.‹ Musa sagte: ›So führe uns zurück zu der Stelle, wo wir vom rechten Wege abkamen.‹ — ›Die kann ich nicht mehr finden,‹ gestand Abdul Kadus kleinlaut. ›So laß uns nur weiterziehen,‹ riet der Statthalter: ›Vielleicht wird uns Allah durch seine Macht leiten.‹
»Bis zur Zeit des Mittagsgebets wandelten sie durch die Einöde, dann gelangten sie in ein schönes ebenes Land, so flach, wie der Meeresspiegel, wenn kein Lüftchen ihn kräuselt. In der Ferne jedoch erblickten sie etwas Schwarzes, sehr hohes. Darauf hielten sie zu, und als sie näher kamen, erwies es sich als ein Gebäude, so hoch und so fest, wie ein Berg, ganz aus schwarzen Steinen erbaut, mit ungeheuren Altanen und einem chinesischen Tore aus Eisen, das einen blendenden Glanz ausstrahlte. Niemand wußte wofür er dieses Riesenbauwerk halten sollte, das tausend Schritt im Umfang maß, und dessen hundert Ellen hohe bleierne Kuppel sich aus der Ferne wie eine Rauchsäule angesehen hatte.«
»Nit wohr, do schaust, Preiß!« wandte sich Franzl an Peter: »A so a Bauwerkerl hobts ös nit zu Berlin. Mir Boaern hamm z'Minka auf da Theresienwiesen dö Bavaria: dö is schun wie a Raachsäulen vun an Fabrikschlot, und in ihren Leib herinnen is a Stiegen, daß ma aufikraxeln konn bis in Kopf. Und zu dö Aagen konnst außischaugn üba ganz Minken weg bis in dö Olpen. Aba da Herr Pascha kunnt nit aufi, vun wegen, daß a z'fett is, und im Hols taat a stecken bleiben, der is z'eng für eahn: und alsdann kunnt unsa schöne Bavaria nimma schnaufen und müßt elendig vasticken. Derholben, Herr Kapitän, wann S' noch Minken kimmen, bleiben S' fein herunten vun dö Bavaria!«
»Da kannst du getrost sein, Franzl! Vor mir ist die bronzene Jungfrau sicher: ich hüte mich vor engen Durchgängen. Nun aber weiter: ›Der Führer sagte: ›Wir wollen diesem Gebäude näher treten: vielleicht gibt es uns irgend einen Aufschluß.‹ Als er aber näher kam, erkannte er es und rief: ›Es gibt keinen Gott, außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!‹ Da sprach Musa: ›Ich höre, du lobst Gott: hast du eine frohe Kunde für uns?‹ — ›So ist es,‹ antwortete der Alte: ›Freue dich: Der erhabene Gott hat uns aus den schrecklichen Wüsten befreit. Wisse, mein Vater erzählte mir einmal von seinem Großvater, er sei in diesem Lande gewesen, und habe nach langen Irrfahrten dieses Schloß erreicht. Von hier aus sei er dann in die Messingne Stadt gelangt. Nur noch zwei Monate haben wir jetzt bis an unser Ziel. Wenn wir immer am Rande der Wüste hinziehen, werden wir es erreichen und viele Brunnen und Bäche unterwegs finden. Alexander der Zweihörnige hat dies Land erobert, als er sich nach Westen wandte; die meisten Brunnen an unserm Wege ließ er graben.‹ Musa dankte für diese frohe Botschaft und sagte: ›Komm, laß uns jetzt sehen, was für Wunder dieses Schloß birgt.‹ Sie traten an das Tor und fanden darauf eine Inschrift in goldenen Buchstaben, die also lautete:
›Wo sind sie, die in Stolz und Stärke
Die Wunderbauten aufgerichtet?
Noch stehen ihre großen Werke,
Sie aber hat der Tod vernichtet!
Schaust du, was schufen ferne Ahnen,
O Wanderer, sei dir bewußt,
Wie diese Reste dich gemahnen,
Daß du auch ihnen folgen mußt.
Und willst du die Geschichte kennen
Von einem Volk, das sich schon lang
Von seinen Schätzen mußte trennen,
So wende in das Schloß den Gang.
Dort wirst du das Geschick erfahren
Von Helden, die gar hoch gestiegen,
Die einst so reich und glücklich waren
Und nun im Staub beisammen liegen.‹
Als Musa diese Verse las, weinte er vor Rührung über sie und sprach: ›Es gibt keinen Gott außer Allah, der ewig fortdauert!‹ Dann schritt er auf ein anderes Tor zu, an welchem folgende Inschrift prangte:
›Wie manches Volk hat hier gelebt
Und ist für alle Zeit verschwunden!
O Mensch, der nach der Weisheit strebt,
Verständig würdest du erfunden,
Wenn du erkenntest, daß mit dir
Die Zeit verfährt, wie mit den andern,
Und daß du zu den Toten hier
Nach kurzer Pilgerschaft mußt wandern
Wie haben sie sich abgemüht
Im Schätzesammeln hier auf Erden,
Und nun ist ihre Lust verblüht,
Sie mußten selbst zu Staube werden.
Sie ließen andern all ihr Gut,
Um in das enge Grab zu steigen:
Einst jauchzten sie im Übermut, —
Jetzt bannet sie das ew'ge Schweigen!‹
»Diese Inschrift machte auf den Statthalter einen tiefen Eindruck: die ganze Welt erschien ihm nichtig und das irdische Leben kaum lebenswert. ›Ich bin in Gottes Hand,‹ rief er aus, ›und zu ihm kehren wir alle zurück: es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei Allah, dem Erhabenen! Er hat uns zu Großem erschaffen in der ewigen Zukunft: diese Welt aber hat für mich nicht mehr Wert als ein Mückenflügel. Alle Könige müssen zuletzt sterben, und die Armen haben nach dem Tode mehr zu erwarten, als sie. Gepriesen sei Gott, der allein ewig Dauernde!‹ Sie begaben sich nun in das Schloß selber und bewunderten seinen prächtigen Bau und die ungeheuren Räume, in denen alles ausgestorben war. Als sie in den Hof kamen, aus dem die Kuppel sich erhob, erblickten sie vierhundert Gräber. Ein großer Grabstein aus weißem Marmor lenkte zunächst ihre Aufmerksamkeit auf sich: sie näherten sich ihm und fanden darauf folgende Inschrift eingegraben:
›Wie oft blieb ich einst stehn, wie du,
Auf Gräbern eine Schrift zu lesen;
Den Sängerinnen hört' ich zu
Und bin bei Festen froh gewesen.
Wie viele Schlösser hochgezinnt
Hab' ich erobert, reich an Beute,
Und sann dem Schicksal nach: ›Wo sind,
Die gestern groß gewesen, heute?‹
Nun sprichst du: ›Er ist tot!‹ O Wandrer,
Drum sorge für dein Seelenheil,
Denn dir auch wird das Schicksal andrer,
So bald, ach gar so bald! zu teil.‹
»Musa weinte und war so gerührt, daß ihm fast der Atem ausging.«
Hier konnte sich Peter nicht enthalten, zu bemerken: »Nee! wat sin doch die Araber für rührselige Naturen! Det sieht man die braunen, ernsten Jesellen jar nich so an. Dieser Musa flennt ja, wie eene olle Schachtel, wenn er eenen Vers liest! Den wollte ick unser Jesankbuch nich in die Hände jeben, denn wenn er an die Sterbelieder käme: ›Ich bin ein Gast auf Erden‹ oder jar ›Wer weiß, wie nahe mir mein Ende‹, er täte ja in Tränen zerfließen, wie een Stück Marjarine an die Mittachssonne im Aujust.«
Münchhausen las jedoch weiter:
»Der Statthalter näherte sich dann der Kuppel und fand darin acht hölzerne Pforten, mit goldenen und silbernen Nägeln beschlagen. Über der Hauptpforte waren folgende Verse angeschrieben ...«
Hier unterbrach der Vater des Sandes den Kapitän: »Nein!« sagte er: »Das wimmelt ja nur so von Inschriften! Hoffentlich entdecken wir auch noch dieses Riesenschloß: das muß ja eine wahre Fundgrube für einen Altertumsforscher sein!«
»Wenn wir nur die Messingstadt entdecken,« meinte der Vater des Schnupftuchs: »Ich habe keine Lust, dann noch zwei Monate oder mehr in der Wüste umherzuirren, nur weil Sie auf alte Inschriften Jagd machen wollen. Übrigens hätte es auch keinen Zweck, denn der gute Musa hat sie ja schon alle abgeschrieben: Sie werden noch eine ganze Anzahl zu hören bekommen. Auf der Hauptpforte der Kuppel also standen folgende Verse:
›Andern ließ ich meine Habe,
Nicht weil ich freigebig war,
Sondern weil auch mich zu Grabe
Trug der Hinterbliebnen Schar.
Lange freut' ich mich der Güter,
Die der Höchste mir beschert,
Habe mich als grimmer Hüter,
Wie ein Leu um sie gewehrt.
Immer war ich voller Sorgen,
Gab aus Geiz kein Senfkorn her —
Da erschien mein letzter Morgen
Und kein Trotzen half mir mehr.
Ja, der Tod war mein Besieger,
Der der Stolzen Macht zerbricht,
Meine Freunde, meine Krieger
Retteten vor ihm mich nicht.
Täuschung war mein ganzes Leben,
Bald in Wohlstand, bald in Not:
Bleibendes hat mir gegeben
Nicht das Leben, nur der Tod!
Magst du deinen Beutel füllen,
Nimmt ein andrer ihn zum Raub.
Und die Totengräber hüllen
Dich ins Sterbekleid im Staub.
Und mit Sünden schwer beladen
Du vor Allahs Richtstuhl stehst:
Denke drum auf allen Pfaden,
Wanderer, wohin du gehst.
Laß dich nicht vom Glanz verblenden,
Den die Welt betrügend strahlt:
Alles muß im Staube enden,
Jede Schuld wird einst bezahlt!«
»Musa war so ergriffen, daß er in Ohnmacht fiel.«
»Jetz is's Weibsbüld ferti!« rief Billinger: »Fallt der Kerl gor in an Ohnmacht, vun wegen oam Verserl, wo a g'lesen hot! Hot koaner an Salmoniak in da Taschen, so an stinketen, wo ma dem Lakel unta soan Riechzinken heben kunnt? Dös is ma a saubera Stottholta, wo sö selbsten nit aufrecht holten kann, wann a aus am Sprücherl hört, daß dös Leben an End nimmt: dös woaß unsaoana eh, und braucht koan Inschrüft an oana holzanen Kuppelpforten, um dö Neuigkoat z'erfohrn. Aba lesen S' nur furt, Herr Pascha: i bin neugieri, wos dös vur an End nimmt mit döm Musa: Possen S' auf, wann der no mehr so Onschrüften findt, nachher trifft an auf d'letzten da Schlog!«
Abu el Futha las weiter: »Als Musa wieder zu sich kam, ging er in die Kuppel und sah ein großes Grabmal mit einem eisernen chinesischen Grabstein, auf dem folgendes zu lesen war.«
Aber bereits wieder unterbrach ihn der Bayer: »An eisana Stoan! Jetz, so wos hob i moan Lebtag nit g'hört! Dös konn freili nur in Chinesien vurkimmen! Bei uns in Boarn san olle Stoana stoanan. Dös muß schun grod a Motorstoan g'wesen soan, wie sö vun Himmel abifolln: selbige san vun Motoreisen, hot unsa Herr Lehra g'sogt, und dös is a kosmetischs Eisen aus am Weltall.«
»Sie meinen wohl, ein ›komisches‹ Eisen,« verbesserte die Nachteule: »Kosmetisch ist mehr, was zur Schönheitspflege des Täng gehört.«
»Ganz richtig!« bestätigte der Professor: »Nur daß das Meteoreisen ›kosmisch‹ genannt wird. ›Komisch‹ paßt eher auf die trefflichen Zwischenbemerkungen, die Franz, Peter und Fräulein Isolde machen.«
Der Kapitän brachte nun aber die Inschrift auf dem eisernen Grabstein zu Gehör:
»›Im Namen Gottes, des einzigen Herrn,
Der ewig bleibet, wenn nah und fern
All seine Knechte müssen vergehen, —
Pilger, hier bleibe sinnend stehen.
Laß dich belehren: die Lüste sind Schaum
Und alle Herrlichkeit ist nur ein Traum.
Ich auch vertraute der Welt, mir zum Schaden:
Denn auch mich hat sie verhöhnt und verraten.
Reichtümer häufte ich an, ohne Zahl,
Scheuchte die Sorgen beim üppigen Mahl:
Aber da lud sich der Tod mir zu Gaste,
Und alle Wächter vor meinem Palaste
Konnten dem Starken den Eintritt nicht wehren,
Der sich nicht fürchtete vor meinen Heeren.
Aus meiner Herrlichkeit sollt' ich hinab
In die armseligste Wohnung, das Grab!
All mein Vermögen wollt' gerne ich geben,
All meine Königspracht gern — für mein Leben!
Aber den Tausch nahm der Höchste nicht an:
Merke, o Wandrer, das Ird'sche ist Wahn!‹
»Musa ward von diesen Versen so bewegt, daß ihm das Leben zur Last wurde. Hierauf kamen sie an einen gelben Stein mit Füßen aus Zypressenholz, auf dem geschrieben stand:
›An dieser Tafel einst Könige schmausten,
Lieblich umweht von den köstlichsten Düften:
Die in den goldenen Hallen hier hausten,
Wohnen im Dunkel jetzt, modernd in Grüften.‹
»Der Statthalter nahm eine Abschrift von allem, was er gelesen hatte, und reiste dann weiter. Nach drei Tagen kam die Karawane an einen hohen Hügel, den ein kupferner Reiter auf kupfernem Pferde krönte. Er trug in der Hand eine lange strahlende Lanze, an deren Spitze folgende Worte mit römischen Buchstaben geschrieben waren: ›O Wanderer, der du hierherkommst, wenn du den Weg nach der Messingnen Stadt nicht weißt, so reibe den Reiter: er wird sich herumdrehen, und du brauchst dann nur die Richtung einzuschlagen, nach der die Spitze seiner Lanze weist.‹
»Musa rieb den Reiter, der sich wendete. Sie schlugen den Weg ein, den er mit der Lanzenspitze wies, und befanden sich bald auf gebahntem Pfade. Nach drei Tagen gelangten sie auf einen hohen Berg, auf dem eine mächtige hohe Säule ragte. Sie fanden darauf, beim Herannahen, ein Standbild aus schwarzem Stein, das einen Menschen darstellte, der bis zu den Schultern in der Säule steckte. Er hatte zwei große Flügel, Hände wie Löwentatzen mit eisernen Krallen, mitten auf dem Kopf einen Haarschopf, gleich einem Roßschweif, zwei in die Länge gespaltene Augen, die wie Feuer sprühten, und ein drittes, häßliches, dunkelrotes Auge, das mitten auf der Stirn glühte, wie das Auge eines Luchses.«
»Ha! Sauba hot der Tropf ausg'schaut: do is da Fakir a Woisenknob dogegen! Der wann drei Augen hätt', nachher kunnt ma sö vur am fürchten: soane zwoa Aagen san schun unhoamlich g'nug!« Also ließ sich Billinger vernehmen, der Kapitän aber las weiter:
»Diese Gestalt rief an einem fort: ›Gepriesen sei der, welcher diese lange, harte Pein über mich verhängt hat!‹ Musa bat den Führer, das Scheusal zu fragen, wer es sei und warum es sich in diesem Zustand befinde? Der Alte entgegnete: ›Ich fürchte mich vor diesem Unhold!‹ — ›Ach was!‹ — erwiderte der Statthalter: ›Der hat genug, sich mit seiner eigenen Qual zu befassen, um daran zu denken, dir etwas anzuhaben!‹ Da faßte sich der Führer ein Herz, trat näher, und fragte die Gestalt: ›Wer bist du, wie heißt du, und wer hat dich hierher gebannt?‹ Da antwortete sie: ›Ich bin der böse Geist Dasmusch und werde gepeinigt und bleibe hier festgebannt durch die höchste Gewalt Gottes bis zum Tage der Auferstehung. Willst du aber wissen, aus welcher wunderbaren Ursache ich in diese Säule gebannt wurde, so höre: Iblis, der Satan, den Allah verdammen möge, besaß einen Götzen aus rotem Korall, in den er mich einfahren hieß. Diesen Götzen verehrte einer der Könige des Meeres, der über zehnhunderttausend bewaffnete Menschen und ebensoviel Geister gebot. Aus dem Leibe des Götzen heraus verführte ich den König und sein Volk, daß sie die Herrschaft Suleimans oder Salomos, des Propheten Gottes, nicht anerkannten. Nun besaß der König eine Tochter, die Tag und Nacht den mir anvertrauten Götzen anbetete und von solch außerordentlicher Schönheit war, daß man selbst den König Salomo auf sie aufmerksam machte. Dieser sandte zu ihrem Vater, ließ um sie anhalten und befahl ihm zugleich, seinen Abgott zu vernichten und sich zum einzig wahren Gott und seinem Propheten Suleiman zu bekehren. Wenn er dies tue, so werde es ihm gut gehen in Zeit und Ewigkeit; folge er aber nicht, so möge er sich nur gleich auf den Tod vorbereiten; denn dann werde ihn Salomo mit seiner ganzen ungeheuren Macht überfallen, und er werde gleich dem gestrigen Tage werden, der nie wiederkehrt. Als der König dieses Schreiben gelesen hatte, ward er zornig, zerriß es und sprach zu seinen Vezieren: ›Was soll ich Salomo, dem Sohne Davids, für Antwort geben, da er einen Boten schickt, meine Tochter zur Gattin begehrt und mir befiehlt, meinen Gott zu zertrümmern und seinen Glauben anzunehmen?‹ Die Wesire erwiderten: ›Großer König, allmächtiger Herr! Was vermag Salomo gegen dich, der du eben so groß und noch mächtiger bist, als er? Hast du nicht über eine Million Krieger und wohnst auf diesem großen Meere, wo er gar nicht zu dir gelangen kann, und Menschen und Geister für dich streiten? Befrage aber deinen Gott, und was er dir gebietet, das tue.‹
»Der König brachte dem Götzen ein Opfer, fiel vor ihm nieder und sprach: ›O Herr! Tue uns kund deinen Willen: was du befiehlst, werden wir tun; denn wir kennen deine Macht.‹ Ich unterschätzte Salomos Macht und antwortete daher durch den Mund des Bildes: ›Ich fürchte Salomo nicht! Hat er Lust, so möge er mich nur bekriegen: mit Schwert und Lanze werde ich ihm sein Leben nehmen!‹
»Diese Antwort gab dem Könige Kühnheit genug, um Salomo den Krieg zu erklären: er spie seinem Gesandten ins Gesicht und gab ihm folgenden beleidigenden Bescheid: ›Sage deinem Herrn, daß sein Herz ihn betrügt. Er ist ein Großsprecher und ein Narr; denn er vermag nichts wider mich, der ich größer und mächtiger bin als er. Er mag seine ganze Macht aufbieten und wider mich ziehen. Fürchtet er sich aber, dies zu tun, so werde ich ihn angreifen.‹
»Als der Bote dem König Salomo diese Antwort überbrachte, erglühte dieser vor Zorn und sammelte unverzüglich Menschen und Geister, Vögel und wilde Tiere und befahl dem Löwen, dem König der Vierfüßler, alle reißenden Tiere aus den Wüsten und Einöden zu sammeln; dem Adler aber gebot er, alle Raubvögel herbeifliegen zu lassen. Seinem Wesir Damuriat erteilte er die Weisung, alle Genien und Teufel und widerspenstigen Geister zu rufen, und Assaph, den Sohn Berajas, beauftragte er, alle menschlichen Truppen zu versammeln, über die er verfügte. Als alles in unzählbaren Mengen sich eingefunden hatte, setzte sich Salomo mit seinen Heerscharen auf seinen fliegenden Teppich. Die Vögel flogen über ihm und die Geister und Raubtiere stürmten vor ihm her.«
»Hören Sie, Kapitän,« unterbrach Professor Rommel den Fluß der Vorlesung: »Das ist ja ein großartiger Schwindel, aber so weitschweifig, daß ich ernstlich befürchte, wir kommen auf diesem Wege niemals zur Messingstadt: was soll uns der Kampf zwischen Salomo und dem heidnischen König? Das könnten Sie getrost überspringen!«
»Ne!« legte Peter Grill Verwahrung ein: »Det interessiert mir nu jerade: det jibt eene Jeisterschlacht, die jroßartig zu werden verspricht.«
Auch die Zofe Isolde wollte auf den Kampf nicht verzichten, denn sie bat: »O bitte, Herr Pascha, lesen Sie nur alles: wir haben so schön Zeit, und das wird gruselich; und ich liebe nichts mehr, als recht gruselige Geschichten, wo einem die zarte Haut schaudert und es einen kalt überrieselt und einem prickelig wird!«
Auch Franz Billinger schloß sich dieser Meinung an, indem er sagte: »Dös gibt fein a Raaferei, wie da Franzl selba sö no nit derlebt hot auf am boarischen Kirta; do raafen s' in da Luft, wie auf am Erdboden. Dös will i hören! Hob i nit am Beduwinenscheicherl, am drecketen, a Watschen gebn, daß er a Luftroasen g'mocht hot, üba drei Sanddünen weg? Da Franzl vasteht sö auf Luftkämpf, und braucht koan Luftballönerl dozu. Aba vun dem Salomo soane Goasta konn a vülleicht wos lernen. Hernach, wann's am Abd ul Hagg an soan sauban Krogen geht, wurd a soane neue Kenntnis fein zoagen, daß da Fakir in dö Luft flügt, so mordshoch, daß a nimma abikimmt ohne am Jokob soan Himmelsloatern.«
»Gut also!« sagte Münchhausen: »Ihr sollt nicht um die Beschreibung der Schlacht kommen, weil der Professor kein Verständnis für so großartige Schilderungen besitzt. Die Messingne Stadt kommt dann auch bald, darauf dürft ihr euch verlassen. Ich fahre also fort: ›Als der ganze Zug das Meeresufer erreicht hatte, stieg Salomo von seinem Teppich herunter und sandte einen Boten zu dem König der Insel, der ihm sagen sollte: ›Hier ist nun Salomo, der Prophet Allahs, gehorche ihm und zerschlage deinen Götzen, gib ihm deine Tochter zur Frau und rufe mit allen Bewohnern deines Landes aus: Es gibt keinen Gott, außer dem einzigen Gott, und Salomo ist sein Prophet! Wo nicht, so verteidige dich gegen seinen Angriff. Vertraue aber nicht darauf, daß dich das Meer vor ihm schützen könne; denn er wird dem Wind befehlen, daß er ihn zu dir trage, und er wird mitten auf deiner Insel erscheinen, dich zu verderben.‹
»Als der Bote dem Heidenkönig diese Botschaft überbrachte, erwiderte dieser: ›Sage deinem Herrn, morgen werde ich ihm entgegenziehen, und ich hoffe sehr, ihn zu treffen, denn ich fürchte seine lächerliche Macht nicht.‹ Dies hinterbrachte der Gesandte dem Salomo, der sich hierauf zur Schlacht rüstete.
»Der König der Insel aber flehte seinen Götzen an, seine ganze Macht wider den Feind zu sammeln, und ich gehorchte gerne. Zehnhunderttausend Krieger und ebenso viele Geister brachte ich zusammen, während auch der König alle seine Leute aufbot, und es kam eine Zahl heraus, die nur Gott kennt.
»Salomo aber stellte die wilden Tiere zur Rechten und Linken seines Heeres auf, und gebot den Vögeln, sobald der Feind zum Angriff schreite, mit den Flügeln seinen Kriegern ins Gesicht zu schlagen, und ihnen mit den Schnäbeln die Augen auszuhacken. Er selber schwebte auf seinem Zauberteppich, vom Winde getragen, in der Luft. Seinem Wesir Damuriat übertrug er den Befehl über den rechten Flügel der Menschen, dem Wesir Assaph die Führung des linken Flügels. Die Raubtiere und giftigen Schlangen schickte er voraus. Wir warfen uns den Feinden entgegen und kämpften zwei Tage lang mit ihnen, ohne daß der Sieg sich einer Seite zugeneigt hätte. Allein am dritten Tage sollte nach Allahs Bestimmung das Verderben über uns hereinbrechen. Ich stellte mich an die Spitze unserer Truppen und ließ eine Aufforderung zum Zweikampf ergehen. Da trat mir Damuriat entgegen, wie ein großer feuerspeiender Berg ...«
»Hu, hu!« rief Abu Barlah: »Jetz kimmts! Dös is fein gruselig: a Kerl, wie a fuiaspeienda Berg oda Wolkan, wie unsa Lehra g'sogt hot. Ollberoats seh' i, wie Fräulein Üsolde, dö Nochteulen, a Gänshaut kriegt.«
»Eine Gänsehaut!« rief die Unke empört: »Das verbitte ich mir von Ihnen! Sagen Sie wenigstens ›Schwanenhaut‹.«
»Wie dö Haut vun an Schwonen ausschaut, hob i no nit g'sehn; aba a g'rupfte Gons hob i schun a monchsmol derschaut: und akkrat so schaun S' aus, vaehrte Nochteulen, vulla Hoppela im sunst so glotten Fell.«
Isolde war sprachlos vor Entrüstung; dann aber sagte sie: »Der Franz sollte ein Jahr lang in einen Kalanteriewarenladen eintreten, als Lehrling, damit er Kalanterie lernt gegen das weibliche Geschlecht: denn das ist eine Grobheit und mangelnde Bildung, wie er das schwache Geschlecht mißhandelt mit unfeinen Redensarten.«
»Red nit doher, vaehrte Unken: bist du a schwochs G'schlecht, wann d' di ollweil berühmst a Löwenbändigerin z' soan?«
Peter Grill hatte inzwischen auch etwas auf dem Herzen: »Franzl,« begann er: »Ik muß dir in alle Freundschaft uf eenen jeographischen Irrtum aufmerksam machen: du hast behauptet, een feuerspeiender Berch is een Wolkan; et muß aberst ›Balkan‹ heeßen: det is eene Halbinsel in die Türkei, wo viele feuerjefährliche Berje sin.«
»Do bist sein auf am Holzwegerl, Preiß! Wolkan is dös oanzig richtig Wurt. Aus so am Bergerl steigen nämli Wolken aufi, schworze Raachwolken, und innen herinnen im Bäucherl vum Berg is am Fuiagott Wolkan soan Schmüden, der wo dö Raachwolken aufisteigen loßt: dös woaß i aus da Myrtologie: dös is nämli an altertümliche Wüssenschoft, vun der ös in Preißen nix wißt.«
Es läßt sich begreifen, daß der Pascha, die Zitrone und die Harmonika, und vor allem der Professor diesem wissenschaftlichen Streit mit größter Heiterkeit lauschten. Dann aber las Münchhausen weiter:
»Damuriat schleuderte einen feurigen Pfeil gegen mich, dem ich jedoch auszuweichen vermochte. Ich sandte ihm hierauf ebenfalls ein flammendes Geschoß, das ihn traf. Allein durch seine Zauberkunst machte er die tödliche Flamme unschädlich. Dabei schrie er so überlaut, daß ich vermeinte, die Berge wankten und der Himmel stürze über mir ein. Der Wesir Salomos befahl seinen Truppen, uns anzugreifen, und es kam zum allgemeinen Handgemenge unter furchtbarem Getöse: die Erde zitterte und bebte, Flammen sprühten, Rauch stieg gen Himmel, Köpfe fielen, Leiber wurden aufgeschlitzt, Blut spritzte wie Springbrunnen. Die wilden Tiere hausten mörderisch und zerrissen unsere Leute in Fetzen; fliegende Genien kämpften in der Luft mit schrecklichen Zauberwaffen, die Vögel schlugen unsern Kämpfern mit den Flügeln ins Gesicht und pickten ihnen die Augen aus. Ich selber kämpfte immer noch mit Damuriat, der mir so scharf zusetzte und mich dermaßen in die Enge trieb, daß ich mein Heil in der Flucht suchen mußte.
»Als meine Truppen mich fliehen sahen, verloren sie den letzten Mut und lösten sich auf. Da rief Salomo den Seinigen zu: ›Frisch drauf! Sehet, der Sieg ist unser durch Gottes Gnade! Nehmt sie mit ihrem ruchlosen König gefangen!‹ Da stürzten sich die Menschen, die reißenden Tiere und die Geister von allen Seiten auf uns, daß kein einziger entkam. Zwar floh ich noch eine Strecke von drei Monaten vor Damuriat; aber zuletzt sank ich erschöpft zu Boden und wurde von ihm eingeholt.«
»Dös is a Loastung!« rief Franz: »Drei Monat weit fliehen, dös bringt nur a so an G'schpenst ferti! Auf d'letzt is dös g'wiß in Amörüka g'west, wo an da Dammriat oang'holt hot, und nachher hätt's koan Klumbumbus braucht, um dö selbig Weltgegend z'entd ecken.«
Der Pascha fuhr fort: »Als Salomos Wesir mich gefangen nahm, sagte ich ihm: ›Bei dem, der dich erhoben und mich erniedrigt hat, lasse mir mein armes Leben und führe mich zu deinem König, — Friede sei mit ihm!‹ So tat er denn auch. Allein Salomo nahm mich sehr schlecht auf, weil er wohl wußte, daß ich das Volk der Insel zur Abgötterei verführt hatte und den König gegen ihn aufhetzte. Er ließ sich diese Säule bringen, höhlte sie im oberen Teile aus, bannte mich hinein und drückte sein Siegel darauf. Damuriat trug die Säule dann hierher und setzte einen mächtigen Geisterkönig über mich, um mich zu bewachen, und so muß ich hier in schwerer Pein bis zum jüngsten Tage gefangen bleiben.‹
»Höchst erstaunt über die scheußliche Gestalt und ihr merkwürdiges Schicksal, rief Musa aus: ›Es gibt keinen Gott, außer dem einzigen Gott, der Salomo ein so großes, herrliches Reich schenkte! Erlaubst du mir, dich etwas zu fragen?‹ Der Geist antwortete: ›Frage, was du willst.‹ Da fragte der Statthalter: ›Gibt es hier auch Geister von Salomos Zeit her, die der gewaltige Herrscher in kupferne Flaschen verschloß, und wo sind solche zu haben?‹ ›Jawohl!‹ erwiderte der Geist: ›Es gibt noch derartige Flaschen, und du findest deren im Meere Karkax. An diesem Meere wohnen Leute, die noch von Noah abstammen, — Friede sei mit ihm! Dorthin kam die Sintflut nicht; denn jene Gegend ist von der ganzen übrigen Erde abgeschieden.‹
»Musa ließ sich noch den Weg nach der Messingnen Stadt und dem Orte, wo die kupfernen Flaschen liegen, genau beschreiben und schlug dann mit seinen Begleitern die angegebene Richtung ein.«
Hier unterbrach Münchhausen für heute die Vorlesung, da es inzwischen spät geworden war.
»Morgen,« sagte er, »können Sie den Schluß vernehmen: wir sind jetzt so weit, daß wir nun gleich hören werden, wie Musa zu der Märchenstadt gelangt und sie uns beschreibt.«
»Zeit waar's!« brummte Abu Barlah, der Vater der verstorbenen Mauleselin! »Dös dauert bereits a gonze Weilen, daß selbiga wehloadig Musa dö Stodt sucht und nit finden konn, akkrat wie mir.«
»Weil es eben eine Märchenstadt ist,« bemerkte der eigensinnige Professor: »Der Pascha hat sie ja soeben selber als solche bezeichnet.«
»Was nicht verhindert,« entgegnete der Vater des Schnupftuchs, »daß Musa sie auffand, und wir sie, so Gott will, ebenfalls auffinden werden.«
»Ja,« sagte Peter Grill: »Det jlobe ik nu ooch. Eene Märchenstadt is et: alleene wir befinden uns ooch in eener märchenhaften Jejend, wo man nach eenen Rejen det Jras wachsen sieht, so dat et an eenen Taje hervorsprießt, groß wird, blüht, Samen trächt und wieder verdorrt. Nachdem ik det mit eejenen Oojen unläuchbar jesehen habe, jloobe ik ooch an die Märchenstadt.«
»Ich auch!« versicherte die Harmonika.
»Und Sie?« fragte der Kapitän die schweigende Zitrone.
»Abwarten!« erklärte die weise Hulda: »Ich bin fürs Abwarten: es wird sich ja schon Herausstellen, was an der Sage ist, und voreilige Prophezeiungen haben keinen Wert.«
»Aber!« erlaubte sich Isolde einzuwenden: »Wenn man so gebildet und aufgeklärt ist, wie wir, glaubt man doch nicht an solche Märchen! Ich sage es kühn voraus: niemals werden wir diese Stadt auffinden, die nur ein Gebilde der Phantasie ist!«
»Unke, Nachteule!« rief Hussein Pascha kurz, und damit schloß die Auseinandersetzung, und alle zogen sich zur Ruhe zurück.
Als am nächsten Abend das Lager aufgeschlagen wurde, während es schon stark dunkelte, vernahm man aus der Ferne das Geheul von Schakalen.
»Das ist ein gutes Zeichen,« meinte Münchhausen erfreut: »Wenn diese Tiere hier auftreten, kann angebautes oder wenigstens bewachsenes Land unmöglich sehr fern sein: ich schließe daraus, daß wir schon morgen bei guter Zeit unser Ziel, die Messingstadt, erreichen, und daß sie sich inmitten einer ausgedehnten Oase befindet.«
»Herrlich!« spöttelte Rommel: »Ich meinerseits hege starke Zweifel, daß eine ausgedehnte Oase, die noch dazu eine Stadt mit unermeßlichen Reichtümern umschließt, völlig unbewohnt, ja, vergessen und unbekannt in der Wüste grünt. Aber manche glauben eben das, was sie wünschen, ganz einerlei, ob es vernünftig ist oder ganz unsinnig.«
»Sind Schakale Raubtiere?« fragte Baron Erich begierig, und gab damit dem bissig werdenden Gespräch eine andere Wendung.
»Gewiß!« belehrte ihn der Professor: »So ein Mittelding zwischen Fuchs und Wolf.«
»Sind es starke und gefährliche Raubtiere?« erkundigte sich der große Jäger weiter: »Etwa wie der Löwe und der Elefant?«
Abu el Futha lachte: »Erstens ist der Elefant gar kein Raubtier, wohl aber eines der stärksten und gefährlichsten Tiere. Zweitens können sich weder Fuchs noch Wolf mit ihm oder dem Löwen vergleichen, also auch der Schakal nicht, der zwar den Fuchs an Gefährlichkeit übertrifft, aber dem Wolfe hierin nachstehen dürfte. Er scheint überhaupt nicht viel Mut zu besitzen.«
»Schade!« bedauerte Steinberg: »Dennoch möchte ich auf die Tiere Jagd machen.«
»Tun Sie das!« ermunterte ihn Abu Ramleh: »Es handelt sich jedenfalls um ein starkes Rudel, und ich möchte nicht behaupten, daß die Jagd auf diese Wüstenräuber so gefahrlos ist, wenn sie in Massen auftreten: also ein würdiger Gegenstand für Ihre bewährte Büchse sind sie immerhin, und wenn Sie auch schon den Löwen mit Erfolg gejagt haben, braucht Ihnen die Schakalsjagd noch lange nicht als unter Ihrer Würde zu erscheinen. Ich habe sogar schon berühmte Elefanten-, Nashorn- und Büffeljäger auf Spatzen schießen sehen.«
»Nun denn!« sagte Abu Haschisch beruhigt.
»Ich muß Sie jedoch daraus aufmerksam machen,« erklärte Münchhausen mit wichtiger Miene, »daß diese Tiere nicht mit Sperrhölzern zu überwältigen sind; dagegen dürfen Sie versichert sein, daß sie sämtlich ihre Lichter mitbringen, so daß Sie auch in der Dunkelheit bequem auf sie zielen können.«
Der Vater des Krautes merkte den Spott kaum, wenigstens nahm er ihn nicht weiter übel, und hieß Peter Grill, ihm seine Flinte bringen, und sich selber für die Jagd bewaffnen.
Franz brannte darauf, an dem nächtlichen Ausflug teilnehmen zu dürfen, und erlaubte sich daher die Frage: »Herr Baron, taaten S' nit mir gestotten, an der Jagerei toalz'nehmen? Wann's a ganz Rudel solcher Viecha is, nachher raamen drei Büchsen schun ehnda unta eahna auf, wie zwoa.«
»Da habe ich nichts dagegen: komm nur mit!«
So zogen die drei hinaus in die Nacht, die jetzt bereits völlig hereingebrochen war.
Die Richtung wies ihnen das nunmehr aus größter Nähe erschallende Geheul.
Bald wurden auch die »Lichter« der Tiere sichtbar, mattfunkelnde Punkte, die in beständiger Unruhe ihren Platz wechselten.
»Das mit den Lichtern hat ja schon seine Richtigkeit,« sagte Abu Haschisch, als er das flimmernde Spiel eine Weile beobachtet hatte; »aber dummerweise hat jedes Tier zwei Augen, zwischen die man zielen müßte, um es mit Sicherheit zu treffen. Wie aber soll man bei dieser Dunkelheit feststellen, welche zwei Lichter ein und demselben Schakal gehören? Man kann gerade zwischen zweien hindurchschießen, weil das, was man für die Augen eines Tieres hielt, das rechte des einen und das linke eines andern ist.«
»Pfeffern ma holt eini in den Haufen!« meinte Abu Barlah: »Dös is oan Hondel: sö stehn jo so dicht beioanond und oana hintam ondan. Trifft ma an vurdan nit, nachher trifft ma um so eahnda an hintan.«
»Ganz wie bei der Gazelle mit dem prächtigen Gehörn!« mußte der Baron denken, hütete sich aber wohl, etwas hievon verlauten zu lassen.
»Ik meene, die Beester sin uns überhaupt so nahe,« bemerkte Peter, »daß een Fehlschuß nich wohl möjlich wäre: nächstens werden sie uns nach den Flintenläufen schnappen, wie der Beduinenhund, den wir für eenen Wüstenfuchs anjesprochen haben.«
»Es werden doch nicht wieder Beduinenhunde sein?« fragte der Vater des Krauts besorgt.
»Dö kimmen nit in ganze Rudeln,« beruhigte ihn der Vater der Mauleselin: »Und nachher is ja koan Oasen in da Nähen, wo dö Hund herkimmen kunnten.«
»Also, schieß du zuerst, Franzl,« mahnte der Baron, »bevor sie uns angreifen und nach den Büchsen oder Waden schnappen.«
»Wann s' dös taaten, dö Viecha, alsdann waar freili da Franzl om übelsten dron mit soane Mordswoden: da kunnten Stücka sechs auf oanmol in oane beißen, beim Preiß höchstens zwoa, und bei Eahna, Herr Baron, bloß oana, und der waar erst recht ong'führt, weil a nur an Knochen in oana Ledagamaschen im Maul hätt': do kunnt a nit durchbeißen, und Sö waaren fein heraus.«
Das war kein Spott, sondern eine harmlose Bemerkung, und so faßte sie der wadenlose Abu Haschisch auch auf, und lachte, statt sie übelzunehmen.
»Wenn der Franzl mit dem Schuß so lange zurückhält, so schieß du zuerst!« wandte er sich an seinen Diener.
»Nee!« widersprach Abu Homrah: »Der erste Schuß jehört den Herrn Baron von rechtswejen un weil er een erwiesener Meesterschütze is. Hernach kommen wir, wenn er et jestattet.«
Die Schakale trauten sich immer näher heran, und es drohte tatsächlich ein Massenangriff, der bedenkliche Folgen für die zaudernden Schützen hätte haben können.
Aber nun drückte Steinberg los.
Es war, wie Peter gesagt hatte: die Schakale drängten sich so dicht, daß die Kugel unfehlbar einen oder den andern hätte treffen müssen, bei ihrer starken Durchschlagskraft wohl gar mehrere hintereinander, — wenn der Meisterschütze nicht viel zu hoch gehalten hätte, so daß sie über das ganze Rudel hinwegflog.
»Det war sicher wieder een Meesterschuß!« rief Grill überzeugt; denn bei der Finsternis war nicht zu sehen, welche Wirkung der Schuß erzielt, oder vielmehr nicht erzielt hatte.
Billinger jedoch war ein kundigerer Jäger und warf kopfschüttelnd ein: »Dö Kugel in ollen Ehren, und daß da Herr Baron vur gewöhnlich an Moastaschütz is, hot a bewiesen auf da Löwen- und Antilopenjogd: dösmol aba is am soan G'schoßerl an Ellen z'hoch außig'flogen, sunst hätt's nit so pfiffen bis in d' Fernen. Und wann oans vun dö Viecha truffen waar, taaten ma's schun hören an soan Wehg'schroa.«
Nun drückte er gleichzeitig mit dem Vater der Eselin ab. Dieser hielt tief genug, auf des Bayern Bemerkung hin, Franzl tat dies als geübter Schütze schon von selber.
Diesmal gab es nur ein kurzes Pfeifen, und man glaubte den Aufschlag der Kugeln zu hören. Gleich daraus erscholl ein so vielstimmiges, rasendes Wut- und Schmerzgeheul, daß kein Zweifel blieb, daß eine ganze Anzahl der Tiere durch die beiden Kugeln verwundet worden war.
Sofort gab Abu Haschisch mehrere Schüsse hintereinander ab, wobei er sich's angelegen sein ließ, so tief zu zielen, daß die Kugeln vorzeitig in den Sand fuhren oder nur einige Beinwunden verursachten. Doch war ja von den Wirkungen nichts zu sehen.
Aber ein anderes Ergebnis hatte die tolle Schießerei, an der sich nun auch die beiden Diener beteiligten, und zwar ein ganz unerwartetes und peinlichst bemerkbares. Entweder die Schakale waren nicht so feige, wie Münchhausen meinte, oder ihre Wut über das Geknalle und die Verwundungen ließ sie aller Furchtsamkeit vergessen, — kurz, die ganze Bande stürzte sich heulend auf die Jäger.
Der Baron und sein Diener wurden zu Boden geworfen, als ein paar Tiere mit wuchtigem Anprall an ihnen hinaufsprangen. Der Bayer hielt besser stand auf seinen breiten Haxen. Da ein Schießen in dieser Lage zwecklos gewesen wäre, auch die gestürzten Kameraden bedroht hätte, die er nicht sehen konnte, schmetterte er mit dem Kolben drein und zertrümmerte seinen Angreifern teils den Schädel, teils das Rückgrat. Die Angriffe auf seine strammen Waden, die er vorhergesehen hatte, blieben glücklicherweise unschädlich, da er vorzüglich starke Ledergamaschen trug.
Inzwischen befanden sich Grill und sein Herr in einer höchst bedenklichen Lage unter den Füßen des bissigen Rudels. Der einzig günstige Umstand für sie war jetzt der, daß die Schakale in solcher Menge anstürmten, daß sie einander selber im Wege standen und unaufhörlich zur Seite drängten, auch gar zu wenig Raum zum Zuschnappen fanden.
Immerhin mußten sich die beiden mit Händen und Füßen gegen die drohenden Bisse wehren und strampelten wie wahnsinnig mit den Gliedern.
Jetzt bekam eines der Tiere freien Raum, um nach Peters Kehle zu schnappen. Abu Homrah sah die funkelnden Augen dicht über sich, und kam dem Scheusal zuvor, indem er seinen Hals umklammerte. Es war ihm beinahe unmöglich, das verzweifelt zappelnde Geschöpf festzuhalten; doch die Todesnot vervielfachte seine Kräfte, und es gelang ihm dabei sogar, wieder auf die Beine zu kommen.
Er schwang den Schakal wütend in der Luft und hieb mit ihm auf die nachdrängenden so wuchtig ein, als sei es ein Streitkolben, den er schwinge.
Das konnte das mißhandelte Tier mit zugeschnürter Luftröhre nicht lange ertragen, und es wurde so schlaff, daß der Held merkte, daß ihm der Rest seines Lebens entflohen war. Zugleich fand er sich für einen Augenblick von allen Angreifern befreit. Er warf daher den toten Streitkolben von sich und hob sein Gewehr auf, um sich, gleich Franz, fortan mit dem wuchtigeren Schafte zu wehren.
Zunächst sah er sich jedoch nach seinem Herrn um, für den er als treuer Diener besorgter war, als um das eigene Leben.
Wahrhaftig! Wenn der Baron überhaupt noch lebte, so schwebte er jetzt in der dringendsten Gefahr, denn eine der abscheulichen Bestien biß ihn gerade in den Hals.
Mit einem sausenden Kolbenhieb, schräg geführt, um den Herrn nicht zu treffen, schleuderte Grill das Raubtier zur Seite und richtete den Baron dann halb empor. Auf die Beine konnte er ihn nicht bringen, da es sich zeigte, daß er die Besinnung verloren hatte.
Es war ein Glück, daß des Bayern und hernach auch des Preußen Heldenkampf die Schakale nun doch bewogen hatte, das Weite zu suchen. Abu Barlah sandte ihnen noch einige Schüsse nach, die weiter unter ihnen aufräumten und sie bewegen mochten, ihre Flucht noch zu beschleunigen.
Jetzt kam Franz herbei und half Steinbergs Hals verbinden und ihn dann ins Lager zurückbringen, wo er bald wieder zu sich kam.
Die Zähne seines letzten Angreifers waren glücklicherweise nicht tief gegangen, weil Peter das Tier noch rechtzeitig gestört und weggefegt hatte, als es eben erst im Zubeißen war. Einige Wunden in den Armen und Schenkeln erwiesen sich als tiefer, doch nicht als gefährlich.
Auch der Vater der Eselin hatte einige Arm- und Beinwunden davongetragen, die aber ebenfalls unbedenklich erschienen. Der Vater der Mauleselin hingegen war unverletzt geblieben.
Selbstverständlich wurden die Verwundeten sachgemäß behandelt und verbunden. Die Weiterreise konnte ihrethalben nicht verschoben werden, weil doch nicht gewiß war, wie lange es noch dauern würde, bis man die nächste Oase erreiche. Es durfte daher nichts gewagt werden, was ein vorzeitiges Ausgehen der Wasser- und Lebensmittelvorräte hätte veranlassen können.
Die Damen räumten also den Verwundeten am nächsten Morgen ihren Tachtirwan ein, damit sie während der Weiterreise bequem liegen konnten. Das Wundfieber blieb nicht aus, doch hielt es sich in mäßigen Grenzen. Und als der Kapitän diesen Abend den Schluß der Geschichte der Messingnen Stadt vortrug, fühlten sich die beiden Patienten so munter, daß sie durchaus verlangten, dabei zu sein. Man lagerte sie daher ins Freie, mitten in den Kreis der übrigen Europäer.
Dann begann Münchhausen mit der Fortsetzung seines vorgestern abgebrochenen Vortrags.
Nach einer kurzen Strecke sahen sie in der Ferne etwas Schwarzes, von zwei lodernden Flammen eingefaßt. Als Musa den Führer fragte, was das sei, antwortete der Alte: ›Freue dich, Fürst! Das ist die Messingne Stadt; denn so ist sie mir in meinem Schatzbuche beschrieben. Sie ist aus schwarzen Steinen erbaut und hat zwei Schlösser aus spanischem Messing, die wie zwei Feuer in der Sonne leuchten, und von denen sie ihren Namen hat.‹
»Sie näherten sich nun der Stadt, die gewaltige Bauten besaß und sehr schön angelegt war. Äußerst feste und hohe Mauern umgaben sie, durch welche fünfundzwanzig Tore führten, die sich aber sämtlich als geschlossen erwiesen und nur von innen geöffnet werden konnten. Musa befand sich daher in der größten Verlegenheit, da er sich keinen Rat wußte, auf welche Weise er in die Stadt eindringen könne, um ihre Wunder zu schauen. Der Alte sagte ihm aber: ›Genau so ist es in meinem Schatzbuche beschrieben.‹ ›Was hilft uns das?‹ rief der Statthalter ärgerlich: ›Steht in deinem geheimnisvollen Buche nicht auch beschrieben, wie man in die Stadt gelangen kann?‹ Dies mußte der Führer zu seinem Bedauern verneinen.
»Nach einigem Besinnen sandte Musa einen Offizier aus, der die Mauer umreiten sollte, um zu sehen, ob sich nicht irgendwo ein Zugang finde, der ein Eindringen ermögliche. Der Beauftragte bestieg sein Kamel, versah sich mit Wasser und Lebensmitteln und trat den Ritt an. Nach zwei Tagen hatte er den Kreis um die Stadt vollendet und gelangte an seinen Ausgangspunkt zurück, wo die Karawane lagerte. Er berichtete, die Mauer sei wie aus einem Stücke gegossen, und außer den fünfundzwanzig verschlossenen Toren habe er nirgends eine Öffnung entdecken können, durch die man hineingelangen könnte.
»Musa fragte ihn, ob er gar nichts von dem Innern der Stadt gesehen habe? Der Offizier erwiderte: ›Tapferer Fürst! Es müssen Wunderwerke hinter den Mauern, vor welchen wir hier stehen, verborgen sein: ich bin ganz hingerissen von der Festigkeit der Stadt, ihren schönen Gebäuden und hohen Türmen, so viel man davon über die Mauern ragen sieht.‹ Der Statthalter erstieg nun mit dem Alten einen hohen Berg, der vor der Stadt lag, und von seinem Gipfel blickten sie in die prächtigste Stadt, welche man sich denken kann: hohe, herrliche Häuser, feste Schlösser, fließende Bäche und schön angelegte Straßen. Doch konnte ihr Auge weder einen Menschen, noch irgend ein Haustier entdecken: Nachteulen hausten darin nebst anderen Vögeln und waren sicher vor jedem Wechsel der Zeit. Die ausgestorbenen Wohnungen schienen die Bevölkerung zu beklagen, die sie einst beherbergten, und die Schlösser beweinten ihre Erbauer. Der Statthalter wunderte sich über den traurigen Zustand der Stadt und rief: ›Gepriesen sei Allah, der die Launen des Schicksals nicht zu befürchten hat und den die Zeit nicht ändert!‹ Unter solchen Betrachtungen entdeckte er am Fuße des Berges sieben marmorne Tafeln. Sie stiegen hinab, um die Inschriften zu lesen.«
»Gebts Obacht!« rief der Bayer: »Jetz kimmen wieda so Verserl, daß da buttawoachherzig Musa heulen wurd wie a Schloßhund, und in Ohnmochten sollen tut. Z'letzten wurd an gor no da Schlog treffen vur Rührung, wann dö Schrüften an wieda belehren, daß a Mensch nit ewig leben konn auf am Erdboden.«
Der Pascha setzte die also unterbrochene Vorlesung alsbald wieder fort: »Sie näherten sich der ersten Tafel und lasen folgende Inschrift:
›O Mensch, bedenk', was vor dir war:
Es mußte Alles längst versinken.
Auch du bist stündlich in Gefahr,
Den bittern Todeskelch zu trinken:
Drum tue Fleiß und siehe zu.
Daß du erlangst die ew'ge Ruh'!‹
»Musa war tief ergriffen und Tränen flossen über seine Wangen herab.«
»Hob i's nit g'sogt?« triumphierte Franzl: »Ollbereits flennt's wieda, dös olt Weiberl.«
»Der Statthalter ließ sich dann Tinte geben und schrieb die Inschrift ab, worauf er sich zu der zweiten Tafel begab und dort las:
›O Mensch, den eitle Hoffnung treibt,
Weißt du denn und erkennst es nicht,
Daß niemand hier auf Erden bleibt.
Und daß erlöschen muß dein Licht?
Wo sind die, die Irak einst bewohnt
Und die im Sonnenglanz gethront?
Wo ist der Herrscher Chorasans
Und der Erbauer Ispahans?
Der Todesbote rief sie ab:
Ihr Schloß sie tauschten mit dem Grab.‹
»Musa weinte heftig ...«
Diesmal mußten alle so heftig lachen über den rührseligen Emir aus Tausend und einer Nacht, daß Münchhausen nicht gleich weiter lesen konnte. Peter Grill rief: »So een Menschenskind is mich noch nich vorjekommen, wo zu heftigen Jeheule jerührt wird, wejen den natürlichen Todesfall von wildfremden Menschen, die vor uralter Zeit jestorben sin, und von denen er nie nichs jehört hat und nich eenmal den werten Namen weeß!«
Die Nachteule aber ließ sich folgendermaßen vernehmen: »Dieser Statthalter und Emir Musa ist ein richtiger Waschlappen: den hätte ich nur sehen mögen, wenn er von einem Löwen angegriffen worden wäre, wie wir. Der hätte vor Angst ärger gebrüllt als der Wüstenkönig und wäre vor Schrecken in Ohnmacht gefallen, statt das Raubtier mutig zu bekämpfen und heldenmütig zu besiegen, wie wir vom sogenannten schwachen Geschlecht.«
»Dös Löwerl bringst holt ollweil aufs Topet!« tadelte Franz Billinger: »Bist oanmal zufällig dobei g'west, wo dö Fräulein Hulda und Monika an Löwen derschossen hamm, und host vun soan Prozerl an Hieb kriegt, und hernach berühmst di bei jeda G'legenhoat, ols hättst dö schaudahoftst Heldentot veribt, olte Nochteulen. Da Franzl wann am dös boarisch Woppenviecherl vakummen waar, denn dös wurst wissen, daß mir Boaern an Löwen im Woppen führen und nit fürchten, nachher hätt' a döm Raabg'sölln an woschechte boarische Watschen geben, daß a üba vier Sonddüna weg g'flogen waar, wie da Beduwinenscheich, da dreckete: dös derfst fein glaaben!«
Isolde aber erwiderte schnippisch: »So? Wer ist denn nun der Prahlhans und Aufschneider? Erst sind es zwei Sanddünen gewesen, über die der Scheich geflogen sein soll, dann wurden drei daraus, und jetzt sollen es bereits viere sein!«
»Vier sans g'west! behauptete der Bayer bestimmt: »I hob s' richtig zählt, und aufschneiden tut da Franzl schun gor nit, so weng, ols wie unsa vaehrta Herr Pascha, da Herr Kopitän Minkhausen und soan Großvata selig.«
Abu Homrah nahm nun wieder das Wort, indem er mit Würde erklärte: »Det is dich een Streit um det Kaisers Bart. Aber ik un der Herr Baron, die wir eenen jroßmächtigen Löwen mit Sperrhölzer besiecht haben, det hat seene nachjewiesene Richtikkeet, un det war eene tatsächliche Heldentat.«
Nun endlich konnte der Pascha fortfahren:
»Also: Musa weinte heftig und rief: ›Bei Gott! Wir sind zu etwas Großem geschaffen!‹ Er schrieb auch diesen Spruch ab, und ging zur dritten Tafel, auf der geschrieben stand:
›O Erdensohn, du suchst die Luft,
Und bist dir nicht des Ziels bewußt:
Du folgst nicht und du hältst dich fern
Von den Geboten deines Herrn.
Ein Tag vergehet um den andern, —
Du aber kehrst dich nicht daran;
Du mußt durch eine Wüste wandern,
Und suchest nicht die rechte Bahn.
Bedenke, alles muß vergehn!
Drum suche, was dir frommen mag.
Aus daß du mögest Rede stehn
Dem Herrn am Auferstehungstag!‹
»Musa war so entzückt über diese Inschrift, daß er sie ebenfalls abschrieb.«
»Dös loß i ma g'folln,« meinte Franzl: »Dösmol is a bloß vazückt: mog soan, da Heulpeta hot soan Tränensockerl derschöpft, vun wegen daß a gor z'vül plärrt hot. I moan aba, 's wurd ball wieda flüßen, und dös nit schlecht.«
»Der Emir,« las der Kapitän weiter, »begab sich hierauf zur vierten Tafel, deren Inschrift folgendermaßen lautete:
›O Mensch, wie lange wähnest du,
Daß dir dein Herr noch sehe zu,
Wenn immer tiefer du versinkst
Im Meer der Leidenschaften hier,
Und Gift aus gold'nen Bechern trinkst?
Bringt jeder neue Tag nicht dir
Der Güte Gottes frischen Trank?
Wo bleibt in Wort und Tat dein Dank?
Statt dessen suchst du eitlen Tand,
Und bleibst der Sünde zugewandt.
O schäme dich, erröte heiß
Vor dem, der alles sieht und weiß!
Erfüll' des Teufels Willen nicht,
Daß man nicht bald von dir auch spricht:
Zu spät bereute er im Tod,
Daß er vergaß des Herrn Gebot!‹
Musa fiel vor großem Staunen in Ohnmacht ...«
»Jetz is's recht!« rief der Bayer lachend: »Do hamma's wieda, dös olt Weiberl! I moan ollweil, Musa, dös is nit soan richtiga Nom': Medusa muß a hoaßen.«
»Det is een juter Jedanke,« stimmte Peter Grill bei: »Medusa is, wenn ik mir nich irre, den ollen Medusalem seene Jemahlin jewesen, un ihr Jatte is tausend Jahre alt jeworden, weswejen sie man ooch een hübsches Alter erreicht haben mach.«
»Do bist wieda amol auf am richtigen Holzwegerl, Preiß!« lachte der Vater der Mauleselin: »Dö Medusa is a fürchtigs Weibsbüld g'wesen, wo onstott dö Hoor lauta blünde Schleichen vun ihr'n Kopf runtahongen g'hobt hot. Und wamma s' ong'schaut hot, hernach is ma vur lauta Schröcken in an Stoan vastoanat worrn, wie dö Lotte, am Lot soan Weib, vastoanat worrn is, wo sö noch Sudom sö ummig'schaut hot. Dös is aba wieda wos aus da grüchischen oda latoanischen Myrtologie, wo enk Preißen unbekonnt is, vun wegen, daß ös koan höhere Volksschulbüldung nit hoben tut.«
»Nee! Da bist jetzt du in Irrtum, Bayer: unsre Bildung is jrößer wie die eurige, un det weeß ik zum Beispiel besser. Den Lot seene Jattin is keen Steen nich jeworden, sondern een Salzjebilde. Ik jloobe et war eene Salzjurke, weswejen noch heutzutaje eene richtige Jurke aussieht, wie een jekrümmtes, runzeliges olles Frauenzimmer.«
»Do will i da aus Höflichkoat nit widareden,« meinte Billinger: »Dös mit am Solz hot schun soane Richtigkoat, so vül i mi derinnern tu. Aba vun oana Gurken is do koan Red nit, sundan vun oam Solzsäule: in a Säule oda a Ferkel is dö Lotte vawondelt worrn, wie da Pakascha, aba glei in an oang'solzens, in a so a softigs Pöckelfloasch.«
Das fröhliche Lachen, das diese »myrtologische« Auseinandersetzung begleitete, wollte lange nicht verstummen; endlich aber legte es sich soweit, daß Abu el Futha fortfahren konnte:
»Also: Musa oder Medusa, wie ihr wollt, fiel vor großem Staunen in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, schrieb er auch die Inschrift der vierten Tafel ab, und näherte sich der fünften, auf der geschrieben stand:
›O Menschensohn, was lenket
Dich vom Gehorsam ab?
Wie lange noch, so senket
Man dich auch in das Grab!
Gott hat, als Kind, geheget
Dich väterlich und treu,
Erzogen und gepfleget
Mit Gnaden immer neu:
Willst du die Huld vergessen,
Die er dir zugewandt?
Da du in Not gesessen,
Da hielt dich seine Hand.
Einst schlägt die bittre Stunde, —
Und du entgehst ihr nicht, —
Einst kommt die letzte Wunde,
An der das Herz dir bricht.
Dann wirst du zagend stehen
Am düstern Todestor: —
Hierauf im Weitergehen
Bereite stets dich vor!‹
Am Rande der Tafel waren noch folgende Verse eingegraben ...«
»Zwoa Verserln auf oana Tofel?« rief Franz: »Dös is z'vül fur dös Monderl! Dös vatrogt's nit!«
Münchhausen las inzwischen die zweite Inschrift:
»›Wo sind die großen Kaiser und ihre ganze Macht,
Die Könige auf Erden mit ihrer Reiche Pracht,
Die Länder einst besessen und Völker unterjocht,
Die trotzig auf Vermögen und Heeresmacht gepocht?
Wo sind sie, die gegründet der festen Burgen Mauern,
Als sollte ihre Wohnung aus Erden ewig dauern?
Verwesung war ihr Ende! Sie ruhen, bis zum Tag,
Der alle Rätsel lösen und Schleier lüften mag.
So geht dahin das Eit'le, so schwindet aller Schein:
Denn unvergänglich Wesen besitzet Gott allein!‹
»Nachdem der Statthalter auch diese Inschrift abgeschrieben hatte, näherte er sich der sechsten Tafel ...«
»Wos?« fragte Abu Barlah: »Dösmol is a nit in Ohnmocht g'follen, und nit amol g'heult hot a? Is dös zum glaaben?«
Und Grill fügte hinzu: »Det is mich wie een Meerwunder: der Mann besitzt ja uf eenmal eene janz merkwürdige Fassunk: sollte er sich allmählik an den Jedanken jewöhnt haben, det die Menschenskinder sterblich sin?«
»Dös is bloß a Pausen,« meinte der Bayer: »Gebt's Obacht: wann dö Inschrüften so furtgehn, wurd a ball wieda in Tränen zaflüßen und in Ohnmochten folln.«
Vorerst jedoch schien Musa seine mühsam gewonnene Fassung zu bewahren, wie die Fortsetzung der Geschichte bewies: »Auf der sechsten Tafel fanden sich folgende Verse:
›Wo sind die stolzen Indier,
Die Mohren und die Sindier,
Und die zu Bagdad wohnten,
Und die zu Tanger thronten?
Wo sind die Könige der Franken?
Nur ihre Werke und Gedanken
Sind ewiglich geblieben,
In Allahs Buch geschrieben,
Als unauslöschliche Beweise
Der Früchte ihrer Lebensreise.‹
»Als Musa diese Verse gelesen und abgeschrieben hatte, rief er: ›Es gibt keinen Gott, außer Allah! Wie groß war der Tod dieser Leute!‹ Dann las er auf der siebenten Tafel folgende Worte:
›Gepriesen sei der, der die Welten lenkt
Und der über seine Geschöpfe auf Erden,
So viel ihrer leben, den Tod verhängt,
Der selbst aber ewig lebt, schaffend das Werden!
O Menschenkind, laß dich nicht irre leiten
Durch deine vergnügten Augenblicke,
Die, wie ein Schatten, vorübergleiten,
Und wisse: schon hast du den Tod im Genicke!
Bereit ist er jederzeit, dich zu verderben:
Schon ist mir, als säh' ich dich wanken und sterben!
Drum horche auf meine Lehre: dein Stern
Sei nur das Vertrauen zum höchsten der Herrn!
Ja wisse, kein Bleiben ist in dieser Welt:
Ein Spinnengeweb ist ihr irdisches Zelt
Und Alles darinnen verblüht und vergeht:
Erkenne, daß nichts in der Welt besteht!
Wo ist der Gründer der Stadt Amid
Und wo der Erbauer von Farikein?
Sie lebten in Herrlichkeit, bis daß sie schied
Der Tod, und sie stiegen ins Grab hinein.
So werden auch wir bald vergehn; denn es treibt
Der Strom uns dahin ohne Wiederkehr,
Und nur der Erhab'ne, Barmherzige bleibt
In Ewigkeit unverändert und hehr!‹
»Der Emir Musa bewunderte diese Inschrift, schrieb sie ab, und sprach dann zu seinen Begleitern: ›Wie fangen wir es an, um in diese merkwürdige Stadt zu gelangen, ihre Wunder zu schauen und ihre Schätze zu heben?‹ Der Führer Abdul Kadus antwortete: ›O Fürst, wenn du in die Stadt willst, müssen wir eine hohe Leiter anfertigen, um die Mauer übersteigen zu können: vielleicht können wir dann, so Gott will, die Tore von innen öffnen.‹
»Musa fand diesen Rat gut und befahl sogleich seinen Leuten, Holz zu fällen. Fünf Tage lang arbeiteten sie hierauf an einer langen Leiter, die bis zu den Zinnen der Mauer hinauf reichte. Da sagte der Statthalter: ›Allahs Segen sei mit euch! Wer von euch will über die Mauer steigen und versuchen, die Tore für uns zu öffnen?‹
»Ein mutiger Krieger antwortete: ›Ich will hinübersteigen und euch aufmachen!‹ Er erkletterte auch alsbald die Leiter und langte glücklich oben an. Als er aber von der Höhe der Mauer einen Blick in die Stadt warf, schlug er die Hände zusammen und schrie mit lauter Stimme: ›Bei Gott, — schön!‹ Zugleich sprang er hinab, brach den Hals und starb aus der Stelle.
»Musa rief erschrocken: ›Bei Allah! Der Mann ist tot!‹ Hierauf erhob sich ein anderer und sprach: ›O Fürst! Der Mann war gewiß nicht bei Sinnen; darum hat er den Halt verloren und ist umgekommen. Lasse mich die Mauer übersteigen, so will ich euch die Tore öffnen.‹ Musa erwiderte: ›Gott segne dich! Tue also; doch hüte dich, hinabzufliegen, wie dein Gefährte.‹ Der Mann erstieg hierauf die Leiter; allein kaum hatte er die Zinne erreicht, so lachte er laut, schlug die Hände zusammen und rief: ›Schön, schön!‹ Dann sprang er von der Mauer herab und fiel tot nieder.
»Da rief der Emir: ›Es gibt keinen Schutz und keine Macht, außer bei Allah, dem Erhabenen! Also auch der Verständige und Einsichtvolle hat es dem Rasenden nachgetan: fahren wir so fort, so werden wir alle zugrunde gehen, ohne daß der Wunsch des Beherrschers der Gläubigen erfüllt wird. Was mag es sein, das diese Männer erblickten und das sie so verzückte, daß sie sich in die Tiefe stürzten?‹
»Es meinte aber ein jeder von Musas Leuten, er werde nicht so töricht handeln, und ihm werde ein solcher Unfall nicht begegnen; darum erstiegen noch mehrere die Mauer; es ereilte sie jedoch alle das gleiche Schicksal: sie sprangen ebenfalls hinab und blieben tot liegen.
»Da sprach der alte Abdul Kadus: ›Hier vermag niemand anders zu helfen als ich; der Erfahrene handelt nicht wie der Unerfahrene.‹
»›Ja, bei Allah!‹ rief Musa: ›Du allein darfst noch hinaufsteigen; und fliegst auch du hinunter, so ziehen wir davon und wollen nichts mehr von dieser verhexten Stadt wissen.‹ Der Führer erstieg nun die Leiter mit den Worten: ›Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen!‹ Als er droben war, lachte auch er und rief: ›Schön! Bei Gott, schön!‹ Dann aber setzte er sich ein wenig nieder, und als er bald darauf wieder aufstand, sagte er: ›O Fürst, fürchte nichts! Durch seinen barmherzigen Namen hat Allah die List der Teufel von dir abgewandt.‹ Der Emir fragte: ›Was siehst du?‹ Der Alte antwortete: ›Ich sehe zehn Jungfrauen, schön, wie der Mond: sie haben Haare, Mund und Hals wie paradiesische Huris, so daß sie wohl dem Besonnensten den Verstand zu rauben vermögen: wer sie ansieht, dem winken sie, zu ihnen hinab zu kommen. Durch ein Blendwerk der Hölle sieht der Obenstehende ein Wasser am Fuße der Mauer, so daß er vermeint, gefahrlos abspringen zu können. Mir ging es nicht anders, und ich war schon im Begriff, den Sprung zu wagen: da besann ich mich zur rechten Zeit, und bannte den Zauber durch Allahs Namen. Alsbald verschwand das Trugbild des Sees, und ich erschaue nun das harte Pflaster, auf dem unsre Gefährten tot vor mir liegen.‹«
Hier unterbrach Peter Grill neuerdings den Fluß der Erzählung, indem er fragte: »Werden wir wohl ooch die schönen Mächens zu Jesichte bekommen?«
»Dös taat dir fein possen, Preiß!« gab ihm Franzl zur Antwort: »Wann d's mit da Nochteulen beroats schön tust, hernach taatst g'wiß ganz aus am Häuserl kimmen, ball du a so porodüsische Diarndeln derschaugen taatst! Aba host nit g'hört, daß dös nix wie a höllischs Blendwerk und a tuiflische Spuk is? Wann mir an dö Maua kimmen, nachher lossa ma dön schurkischen Fakir z'ersten dö Loata aufsteigen: ball er abi hupft, alsdann samma an los und ledig.«
Nun konnte der Pascha weiter lesen: »Hierauf rief Abdul Kadus noch einmal: ›Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen!‹ Dann schritt er auf der breiten Zinne der Mauer weiter, bis zu zwei kupfernen Türmen, die von der Höhe der Mauer aufragten, und von denen jeder mit einem kunstvollen goldenen Tore versehen war, an denen sich jedoch weder Schloß noch Riegel zeigten. Zwischen den Türmen aber stand ein kupferner Reiter mit ausgereckter Hand, in deren Mitte die Schrift stand: ›O Wanderer, der du hierher gelangst, begehrst du diese Tore zu öffnen, so reibe zwölfmal den Nagel an meiner Brust, und mit der Erlaubnis des erhabenen Gottes werden sich alsbald die Pforten auftun.‹ Der Führer rieb den Nagel ein Dutzendmal, da drehte sich der Reiter wie der Blitz herum, und die Tore flogen auf. Der Alte stieg eine Treppe hinab, die sich im Innern der Türme zeigte, und gelangte durch einen unterirdischen Gang zum Stadttore, das er mit Ketten, Schlössern und Riegeln versperrt fand.
»Viele Leichen lagen da umher, auch allerlei Fahnen und Kriegsgeräte. Da dachte Abdul Kadus: ›Sicher hat einer dieser Männer die Schlüssel zum Tore bei sich!‹ Er näherte sich daher den Leichnamen und untersuchte sie, bis er den steinalten Torwächter entdeckte, der den Schlüsselbund am Gürtel trug. Er nahm ihm die Schlüssel ab, räumte das Kriegsgerät zur Seite, öffnete die Ketten und schob die Riegel zurück. Dann schloß er das Tor auf, das er trotz seiner Höhe und Größe ganz allein zu öffnen vermochte. Dabei vernahmen die Leute draußen ein Getöse, wie Donnergrollen. Hocherfreut, priesen sie Allah, sprangen dem Alten entgegen, und wollten mit ihm in die Stadt gehen. Er aber hielt sie zurück, und sagte: ›Nur ein Teil von euch komme mit mir: die übrigen sollen draußen bleiben.‹
»Musa und die Hälfte seiner Leute folgten nun Abdul Kadus in die Messingne Stadt und durchzogen die Straßen und Märkte, wobei sie von einem Staunen ins andere fielen: sie bewunderten die herrlichen Häuser und prächtigen Schlösser, sie waren entzückt über die kristallklaren Bäche, die an den Straßen entlang flossen, sie staunten und entsetzten sich über die vielen Leichen, die überall umherlagen.
»Auf dem Markte der Geldwechsler fanden sie alle Gerätschaften in vollkommener Ordnung: aufgehängte Wagen, Haufen von Gold und Juwelen, die niemand bewachte und niemand wegnahm. Nur Tote lagen dabei, die zum Teil eingetrocknet waren, zum Teil, von den Ratten abgenagt, nur noch das Knochengerippe übrig hatten, zur Warnung für den Verständigen.
»Sie kamen dann auf den Markt der Spezereihändler, und sahen die Läden voll von feinstem Moschus, Ambra, Aloë und Kampfer, in Gefäßen von Elfenbein, Ebenholz, spanischem Messing und anderen Stoffen, die so kostbar wie Gold waren: die Eigentümer aber lagen als Leichen umher.
»Von hier aus gelangten sie vor das königliche Schloß, das ebenfalls ganz unbewacht war. Mit Gold verzierte Schwerter hingen da an den Mauern, und daneben lagen tote Männer und Jünglinge, Schloßhüter und Krieger, deren Haut gedörrt war, die man aber sonst für Schlafende hätte halten können. Musa blieb erstaunt vor ihnen stehen, und pries Allah.«
»Ha! Dös is a Kamöl, der Musa!« rief Abu Barlah: »Wann dösa Lapp a Verserl liest vun da menschlichen Sterblichkoat, alsdann follt a in a richtige Ohnmocht; ball er aba leibhoftige Leichnom derschaut, Gerippe und vahutzelte Leiba, wo oanem schlecht werrn kunnt mit vullem Recht vur Obscheu und Schröcken, nachher preist a soan Allah! Is dös nit hirnvaruckt?«
Diesmal konnte Hussein Pascha kaum den nächsten Satz lesen: »Aus dem offenen Tore des Schlosses war mit Gold- und Azurbuchstaben geschrieben ...« als ihm Billinger schon wieder in die Rede fiel: »Jetz wurd's Tog!« lachte er: »Mit Gold- und Azorbuchstoberln: gebt's Obacht, dös vatragt da Musa nit! Goldbuchstoberln is wos schön's, wos aba Azorbuchstoberln san, dös waaß i selbsten nit. An Hunderl hob i kennt, wo sö Azorl g'schrieben hot: aba wos dös Azorl vur Buchstoben kritzelt hot, hob i nit g'sehn, ball's übahaapt hot schreiben kunnen, und dös bezweifl' i: bei uns in Boaern wenigstens is vur Hunderln koan Schulzwong nit.«
»Siehste,« warf Abu Homrah ein: »Da berühmst du dir immer mit deene bayrische Bildung und deene Kenntnis von die Myrtologie; aber det weeßt de man nich, die Weltjeschichte von die altertümliche Völkerschaften. Et heeßt nämlich nich Azorbuchstaben, wie du irrigerweise det Wort verdrehst, sondern Assurbuchstaben, und det weeß nu ik jenau: Assur is det babylonische Volk jewesen, und die haben janz eejentümliche Buchstaben in Pfeilschrift jehabt, die wie lauter Pfeile aussehen. In Berlin is nämlich een Museum, da sin so babylonische Ziejelsteene mit Pfeilinschriften sichtbar, un det habe ik ooch eenmal besucht, indem det zu die höhere Bildunk nötik is, die ik mir schmeechle zu besitzen.«
»Diesmal täuscht ihr euch alle beide,« belehrte die Nachteule: »Es handelt sich weder um eine Hundeschrift noch um Keilschrift, denn so muß es richtig heißen, sondern vielmehr um eine Wasserfarbe, denn vom Wasser, vom Meer oder einem See sagt man, sie leuchten im reinsten Azur.«
»Wir könnten auch sagen: eine himmlische Farbe,« sagte die Zitrone lachend: »Himmelblau würde ein Ausländer sie nennen, wenn er Deutsch spräche; der Deutsche sagt aber lieber ›Azur‹, auch wenn er es nicht versteht, weil eben das Fremdwort, wie er glaubt, vornehmer und gebildeter klingt.«
»Hören wir nun aber die goldene und himmelblaue Inschrift,« mahnte Münchhausen, »damit wir endlich zum Schluß gelangen. Die Verse lauteten nämlich folgendermaßen:
›Merk auf, was du hier siehest,
Und denke an dein Ende,
Eh' du von hinnen ziehest
An deines Lebens Wende.
Betrachte diese Leute,
Die plötzlich alle starben:
Sie sind des Staubes Beute,
Ein Grab nur sie erwarben
Für alles ihr Bemühen:
So welket alles Blühen!
Wir müssen ja die Gassen
Der Welt so bald verlassen
Und ziehn ins dunkle Land;
Drum, bist du wohlberaten,
So sende gute Taten
Voraus: das hat Bestand!
Die diese Häuser bauten
Und auf ihr Gut vertrauten,
Sie stürzten doch hinab:
Wo sind nun ihre Throne,
Ihr Schmuck und ihre Krone?
Verschlungen von dem Grab!
Wo sind der Schönheit Lichter,
Verschleierte Gesichter,
Die einst das Aug' erfreut?
Die Rosen auf den Wangen
Verblichen, und ihr Prangen
Verzehren ekle Würmer heut.‹
»Musa weinte und fiel in Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam, schrieb er die Verse ab.«
Hier machte der Kapitän wieder eine Pause, weil die erneute Ohnmacht des schwächlichen Statthalters allgemeine Heiterkeit erregte.
Isolde erklärte: »Nun nenne uns Einer noch das schwache Geschlecht! So viele Ohnmächten habe ich in meinem Leben nicht gehabt, wie dieser arabische Fürst und kriegerische Held, ich, die ich dem König der Raubtiere in den offenen Rachen geblickt habe, ohne zu erbeben!«
»Det Ohnmächtikwerden,« meinte Grill, »is bei den Männeken offenbar eene üble Anjewöhnunk jewesen, eene sojenannte Idiotensündkrasie, dat et keene Verse nich hat vertrajen können.«
»Dös is ma ganz oans!« brummte Franzl: »Ball der Lackel koan Vers nit hot vakroften kunnen, worum hat a hernach olle lesen müssen, wo am vakummen san, und hot sö gor noch obg'schrieben? Alsdann, wann a s' dahoam wieda nochg'lesen hot, is am olsbold wieda schwündlig worrn und a hot soan bissel B'sünnung valorn! A jeda Mensch, vurob a richtigs Monnsbüld, muß wissen, wie vül a vakroften kann, und wos üba soane Kräften geht, dovun soll a d'Hond lassen. Vatrogt oana koan Radi oda koan sauas Kraut, — und a solche schwächliche Kirls gibt's würklich und wohrhoftig, — hernach soll a koans fressen, alsdann wurd am nit übel. Aba dösa Musa is grob draus aus, dös z' tun, wovun am schwach und schlecht wurd: und dös muß i an am tadeln. Mog a sunsten aa an wackera und rechtschoffena Mensch g'wesen soan, dorin is a koan Held g'west, sundan a Woschloppen. Aba da orm Kirl dauat mi in da Söölen: do san doch mir Boaern ondre Kroftmenschen! Kimmen no mehra so Onschrüften in da Azählung, Herr Pascha?«
»Nur noch eine einzige,« erwiderte Münchhausen.
»Dös is ma a großa Trost! Soan Allah soll am Kroft gebn, daß a dö letzt no hoal und glückli übasteht, ohne Schoden on Leib und Leben. Denn a taat ma doch load, ball an auf d'letzt da Schlog treffen taat, bloß vun wegen a so an Verserl, a lumpeten, vun den soan buttawoach Sööl zaschmülzen taat.«
Abu el Futha las nun weiter: »Der Emir begab sich mit seinen Begleitern ins Innere des Schlosses. Hier fand er vierzig einander gegenüberliegende Säle, voll mit Gold, Silber und Edelsteinen, auch Perlen und anderen Kostbarkeiten.
»Im letzten dieser Säle stand ein Thron aus Gold und Elfenbein, mit Rubinen besetzt. Daneben erhob sich eine goldene Säule, auf deren Krone ein Vogel ruhte, mit einer Perle im Schnabel, die gleich einem Sterne leuchtete.
»Auf dem Throne aber saß eine Jungfrau, so schön, wie die strahlende Sonne.
»Sie war in ein Kleid gehüllt, das ganz aus Edelsteinen zusammengesetzt war, und eine Perlenschnur umwand ihren Hals, die allein ein Kaiserreich wert sein mochte. Ambra und Moschus umdufteten sie. Dieses Mädchen sah den Statthalter mit Gazellenaugen an, und sowohl ihr strahlender Blick, als der Glanz ihres Angesichts und die leuchtende Schwärze ihrer Haare machten auf Musa den tiefsten Eindruck. Er grüßte sie voll Ehrerbietung. Da sie jedoch seinen Gruß nicht erwiderte, sprach der Alte: ›Dies Mädchen ist tot. Ihre Augen sind herausgenommen und Quecksilber an ihre Stelle gegossen worden, so daß es scheint, als bewegten sie sich, so oft ein Lüftlein sie anweht.‹
»Der Emir erblickte nun zwei Standbilder, die vor dem Mädchen standen: das eine war weiß und hatte ein Schwert in der Hand, das andere war schwarz und trug eine Lanze. Zwischen den beiden lag auf den Stufen des Thrones eine goldene Tafel mit einer silbernen Inschrift. Musa las diese; sie lautete:
›Im Namen Gottes, des Ewigwährenden,
Des Einzigen, Mächtigen, hoch zu Verehrenden,
Der unter Allen allein bleibt bestehn,
Während all' seine Diener im Fluge vergehn,
Welcher den Tag und die Nacht weise lenket, —
Wanderer, die ihr hierherkommt, bedenket,
Was ihr hier schauet vom Wechsel der Zeit:
Die einst hier herrschten, wie sind sie so weit!
Laßt von der Welt euch nicht blenden, die lüget,
Und, die ihr folgen, verrät und betrüget.
Ich hab auf sie mich verlassen im Leben
Und ihrem Scheine mich ganz hingegeben, —
Und sie verriet mich, wie alle die Andern,
Die durch Jahrhunderte wechselvoll wandern.
Kennst du mich nicht, so vernimm, wer ich bin:
Ich war Tadmora, die Königin,
Tochter von Königen, welche so viele
Länder beherrschten und höhere Ziele
Doch sich gesteckt und zu finden vermocht,
Da sie die Völker umher unterjocht.
Hier bin auf goldenem Thron ich gesessen,
Habe das größte der Reiche besessen;
Milde regiert' ich die Untertanen,
Wandelte in der Gerechtigkeit Bahnen;
Aber des Tods unbesiegliche Kraft,
Mich und mein Volk hat sie hingerafft.
Jahrelang hielt Gott den Himmel verschlossen,
Daß nicht ein Tropfen des Regens geflossen:
Rings ist das Land uns verdorret zur Wüste,
Draus nicht ein grünendes Hälmlein uns grüßte.
Als unsre Vorräte schmolzen und schwanden,
Suchten wir Nahrung aus anderen Landen;
Leer aber kamen zurück meine Leute:
»Alles ist ringsum der Hungersnot Beute:
Wenn wir mit Perlen und goldenen Ketten
Lebensmittel auch ausgewägt hätten,
Hätten wir dennoch keine bekommen!«
Da wir die trostlose Botschaft vernommen,
Fügten wir uns des Allmächtigen Rat,
Und wir verschlossen die Tore der Stadt.
Wer nun hierherkommt, nachdem wir verschieden,
Nehme der Güter, so viel er nur mag;
Mich aber lasse er thronen in Frieden,
Nehme nicht fort, was am Leibe ich trag':
Fürchtet des Höchsten gerechtes Gericht,
Laßt mir den Schmuck und entkleidet mich nicht,
So wird euch Allah dafür belohnen,
Und euch mit Teurung und Hunger verschonen.‹
»Musa weinte heftig ...«
»Da hamma's wieda!« brummte der Bayer: »A Glück, daß dö Verserl an End hamm, denn wann da Emir an weitere Ohnmacht kriegen taat, hernach waars z'End mit eahm: dös is klor.«
»Oh!« meinte Münchhausen: »Der ist gewiß die Ohnmachten, in die er so federleicht fiel, so gewohnt gewesen, daß sie ihm nichts ausmachten. Nun, diesmal weinte er, bloß heftig, schrieb alles ab und sagte seinen Freunden: ›Schafft Kamele herbei und beladet sie mit allen diesen Schätzen!‹
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»Da is er ja wahrhaftik bei voller Besinnunk jewesen,« sagte Peter: »Seene Erjriffenheet hat ihn nich jehindert, ans Praktische zu denken. Wenn aber dieser Musa alle Kostbarkeeten aus der Messinkstadt wechjeführt hat, befürchte ik nich ohne Jrund und Ursache, daß für unsereenen nichs nich übrig jeblieben is und wir für alle unsere Mühe nur eenen leeren Steenhaufen vorfinden!«
»Nur keine Sorge!« sagte der Vater des Schnupftuchs: »Der Schätze in der wunderbaren Stadt sind so viele, daß es einer Karawane ganz unmöglich war, sie alle mit fortzuschleppen. Es wird noch übergenug für uns übrig geblieben sein.«
»Vorausgesetzt, daß überhaupt etwas Wahres an dem ganzen Märchen ist!« warf der zweifelnde Professor Rommel ein.
»Geduld, verehrter Thomas,« mahnte der Kapitän: »Ich hoffe, daß es nicht mehr lange anstehen wird, bis der Augenschein Ihre ewigen Zweifel gründlich beschämt. Doch meine ich, wir sollten nun den Schluß unserer Geschichte noch hören. Also: Der Vezier aber sprach zu Musa: ›Sollten wir wirklich das Schönste und Kostbarste zurücklassen, das, was dieses Mädchen am Leibe trägt?‹ Musa antwortete: ›Hast du nicht vernommen, was die Verse der goldenen Tafel uns ans Herz legten?‹ — ›Und darum sollten wir diese kostbaren Perlen und Edelsteine hier lassen?‹ erwiderte der Vezier hartnäckig: ›Dieses Mädchen ist doch tot: was soll ihr noch irdischer Schmuck? Ein baumwollenes Kleid genügt ihr, und das will ich ihr von einer der Leichen gerne verschaffen, da sie noch im Tode nicht unbekleidet sein möchte. Nimmst du die Kostbarkeiten nicht, so nehme ich sie, um sie dem Fürsten der Gläubigen zu überbringen, als sein treuer Diener.‹
»So sprach der Vezier jedoch bloß, um mit schönen Reden und der Vortäuschung uneigennütziger Absichten seine elende Habgier zu bemänteln; denn er gedachte durchaus nicht, den Schmuck dem Sultan zu bringen, sondern ihn mit List beiseite zu schaffen und für sich zu behalten. Er stieg die Stufen des Thrones empor und legte die Hand an die Edelsteine des Gewandes. Da er aber zwischen den beiden Standbildern stand, regten sich plötzlich beide, und das mit dem Schwerte hieb ihm den Kopf ab, während das mit der Lanze ihm den Rücken spaltete. Als er nun entseelt zu Boden stürzte, sagte Musa: ›Allah habe kein Mitleid mit deiner Seele: warum warst du so habsüchtig?‹
»Es waren noch genug der unermeßlichsten Schätze in der Stadt, die der Statthalter, gemäß der Inschrift, mitnehmen durfte: so ließ er die Lastkamele mit Gold, Silber und Edelsteinen beladen und verließ mit seinen Leuten die geheimnisvolle Stadt. Sie reisten am Ufer des Meeres einen ganzen Monat lang, bis sie an einen hohen Berg kamen, in den zahlreiche Höhlen gegraben waren. Auf dem Berge standen viele schwarze Menschen, mit Häuten bekleidet. Als sie die Nahenden erblickten, flüchteten sie mit ihren Frauen und Kindern in ihre Höhlen. Die Männer aber blieben am Eingang stehen, um die Ihrigen gegen einen etwaigen Angriff zu verteidigen. Stumm und ängstlich blickten sie den Kriegern entgegen.
»Der Emir fragte Abdul Kadus: ›Was sind das für Leute?‹ Der Alte erwiderte: ›Es sind solche, die das besitzen, was du suchst.‹ Da stieg Musa ab und ließ das Lager am Fuße des Berges aufrichten. Kaum hatte er sein Zelt betreten, so kam der König der Neger, der allein unserer Sprache mächtig war, grüßte ihn und seine Leute und fragte: ›Wer seid ihr, was begehrt ihr von uns und was hat euch hierher geführt?‹ Musa antwortete: ›Wir kommen auf Befehl des Fürsten der Gläubigen, Abdul Melik, des Sohnes Merwans. Er hat von unserm Herrn Salomo, Davids Sohn — Friede sei mit ihm! —, gehört, und von dem großen Reiche, das ihm der erhabene Gott geschenkt hat; auch hat er vernommen, wie der königliche Prophet Gottes Macht besaß über die Tiere und Vögel, sowie über die Geister, und wie er die Widerspenstigen in kupferne Flaschen einsperrte, die er versiegelte und in den Abgrund des Meeres warf, dessen Wellen die Ufer eures Landes bespülen. Der Sultan hat uns daher hierher gesandt, um solche Flaschen zu suchen, und nun bitten wir dich, o König, sei uns behilflich, daß wir den Befehl des Fürsten der Gläubigen vollziehen können.‹ Bereitwilligst sagte ihm der König seinen Beistand zu und ließ sie in die für Gäste bestimmte Wohnung führen. Er befahl auch, alles Nötige dahin zu bringen und erwies ihnen überhaupt viel Ehre.
»Musa fragte dann den König: ›Welchen Glauben habt ihr, und was betet ihr an?‹ Der Negerfürst antwortete: ›Wir beten Allah, den Gott des Himmels an, und glauben an Mohammed — Gottes Friede sei mit ihm! —, der am Ende der Zeit wieder erscheinen wird.‹ — ›Wie?‹ fragte der Statthalter erstaunt: ›Wer hat euch dies gelehrt? Ich sehe doch keinen Lehrer des wahren Glaubens bei euch!‹ Der König berichtete: ›An jedem Donnerstag steigt eine Feuersäule zum Himmel auf, und wir sehen einen Mann auf dem Wasser gehen, welcher ruft: »O ihr Söhne der Tiefe, bekennet, daß es keinen Gott gibt, als den einzigen Gott, welcher keinen Gefährten hat, und daß Mohammed sein Diener und Gesandter ist.« Wir haben ihn gleich das erste Mal, als er uns erschien, beschworen, er möge uns sagen, wer Mohammed sei, und er antwortete, Mohammed sei ein Prophet Allahs, der die göttliche Wahrheit verkündigt habe. Am Ende der Zeiten werde er wieder erscheinen und alle falschen Glaubenslehren vernichten und dafür die des göttlichen Richters herstellen.‹
»Musa fragte weiter: ›Wer ist Gott, von dem du so redest?‹ Der König sagte: ›Sein Thron ist im Himmel und seine Herrschaft auf Erden: er ist einzig und allmächtig; und der auf dem Meere wandelnde Mann lehrte uns die Grundpfeiler des Islams und das Gebet und die Fasten.‹ Der Emir freute sich herzlich, da er vernahm, daß diese schwarzen Bergbewohner Muselmänner waren.«
»In Ohnmocht hätt' a sollen follen, da Schlankl!« brummte der Bayer.
»Oder zum mindesten heulen wie een sojenannter Schloßhund,« fügte der Preuße lachend hinzu.
»Wir kommen zum Schluß der Erzählung,« sagte Münchhausen: »Musa verweilte drei Tage in der ihm angewiesenen Wohnung, dann ließ er mit des Königs Erlaubnis Taucher kommen, denen er sagte, er wünsche einige der Salomonischen Flaschen zu haben. Alsbald tauchten die Männer ins Meer und brachten drei kupferne Flaschen herauf, die sie ihm mit vielen anderen kostbaren Geschenken überreichten.
»Musa trat nun mit seinen Leuten den Rückweg nach Bagdad an, und als sie in der Nähe der Hauptstadt anlangten, kamen ihnen die vornehmsten Bewohner derselben entgegen.«
»Halt!« unterbrach hier Professor Rommel: »Erstens stand Bagdad zur Zeit des Kalifen Abd Almelik überhaupt noch nicht: die Hauptstadt war dazumal Damaskus; zweitens, und das brennt mir schon lange auf der Zunge, lebte Musa viel später als Abd Almelik und hat Spanien erobert.«
»Kleinigkeiten!« entgegnete der Pascha: »Sie werden doch von einem Märchen wahrhaftig nicht verlangen, daß es in den geringsten Einzelheiten mit den Tatsachen übereinstimmt? Daß es einen Kern der Wahrheit enthält, und darauf allein kommt es hier an, geben Sie ja schon selber zu, da Sie den Kalifen Abdul Melik oder Abd Almelik, sowie den Statthalter Musa als geschichtliche Persönlichkeiten anerkennen.«
»Das waren sie allerdings; aber sonst gebe ich gar nichts zu: es kommen noch unzählige Irrtümer, Schwindeleien und Unglaublichkeiten in diesem Märchen vor, wie es ja auch nicht anders zu erwarten ist: Märchen bleibt eben Märchen, und die ganze Messingstadt ist und bleibt ein Märchenwahn, ein Hirngespinst der erfinderischen orientalischen Phantasie, das wir niemals in der Wirklichkeit entdecken werden.«
»Prophezeien Sie nicht!« warnte der Kapitän: »Ein Professor ist nun eben glücklicherweise nichts weniger als ein Prophet, und maßt er sich das Vorhersagen trotzdem an, so kann er sicher sein, daß er sich nur blamiert. Doch nun endlich den Schluß! Also: Musa berichtete dem Fürsten der Gläubigen von all den Wundern, die er unterwegs gesehen hatte und von seinen seltsamen Erlebnissen, sowie auch von dem traurigen Ende des Veziers, der wegen seiner Gier nach dem kostbaren Gewande des königlichen Mädchens getötet worden war.
»Dann überreichte er ihm die kupfernen Flaschen und die Geschenke des Negerkönigs, worüber sich der Fürst der Gläubigen höchlichst verwunderte.
»Als er eine der Flaschen öffnete, stieg daraus ein schwarzer Qualm empor, der sich zu einem Geiste von ungemeiner Häßlichkeit verdichtete. Dieser schrie mit entsetzlicher Stimme: ›Gnade, o Prophet Gottes! Ich will gewiß nicht mehr so sein!‹ Der Kalif sagte: ›Kehre wieder zurück an deinen Platz.‹ Der Geist wand sich wieder in die Flasche und Abdul Melik versiegelte sie. Er ließ sie dann in seine Schatzkammer bringen und rief: ›Wahrlich, dem Suleiman hatte Allah eine große Macht verliehen.‹
»Das ist es, was von der Geschichte der Messingnen Stadt auf uns gekommen ist: aber nur Gott ist allwissend!«
»Dieser Schluß ist noch das Vernünftigste an der ganzen Geschichte,« lachte Abu Ramleh, der Vater des Sandes: »Er deutet in seiner Weise an, daß die ganze Erzählung keinen Glauben verdient noch beansprucht. Wir wären Narren, wollten wir uns leichtgläubiger zeigen als der Berichterstatter selber.«
»Abwarten!« erwiderte Hussein Pascha. »Seien Sie doch nicht so hartnäckig darauf aus, sich blamieren zu wollen, wenngleich jeder Deutsche das Recht hat, sich zu blamieren, vorab jeder deutsche Professor.«
»Nun denn,« schloß Rommel spöttisch: »Es wird sich ja in Bälde weisen, wer der Blamierte ist, der märchengläubige Seebär oder der ernste Mann der Wissenschaft!«
Am andern Morgen hatte sich sowohl Steinbergs wie Grills Wundfieber bedenklich gesteigert. Rommel erklärte, unter diesen Umständen könne er die Weiterreise der Patienten nicht verantworten, und es sei dringend geboten, einen Rasttag zu halten, den auch die Kamele wohl brauchen könnten.
Zwar wollten die beiden Verwundeten von solcher Rücksicht nichts wissen und meinten, im bequemen Tachtirwan mache ihnen die Reise keinerlei Beschwerden; doch wurden sie überstimmt, und der Ruhetag war beschlossene Sache.
Angesichts dieser Tatsache, sagte Franzi zu seinem Herrn: »Herr Professa, mir hamm sozusagen an hoaligen Eid tun, in da nächsten Oasen no ganz ondre Viecha zu derlegen, wie an lumpeten Löwen, was dö Frauenzümma schun b'surgt hamm. Dö nächste Oasen is hernach dö Oase Kufra g'west, und mir hamm unsan Schwur nit g'holten, daweil da Herr Baron und da Peta a Mordsantilopen und no an Prochtslöwen dazu derschossen ham.«
»Ja, lieber Freund!« erwiderte der Vater des Sandes: »In der Oase Kufra gab es eben leider keine gefährlichen Raubtiere, und so konnten wir rein nichts machen: es trifft uns keinerlei Schuld, denn der gute Wille war da. Wir sind also unseres Eides ledig, der übrigens gar kein Eid, sondern nur ein löblicher Vorsatz war.«
»Wos sö oana vurg'nummen hot, dös soll a aa holten. Drum moan i, ma sollten heut auf dö Jagd außi reiten, wir zwoa boad.«
»Ich glaube nicht, daß wir etwas andres treffen würden, als den ewigen Sand. Jedenfalls kann ich heute unmöglich fort, denn ich habe die beiden Fiebernden zu pflegen und darf sie vorerst nicht aus den Augen lassen. Willst du durchaus auf die Jagd, so mußt du eben allein gehen. Übrigens hast du so tapfer mit den Schakalen gekämpft, daß dein Jägerruhm unanfechtbar feststeht: von den einunddreißig Tieren, die wir am andern Morgen staunend zählten, hast du mindestens zwei Dutzend zur Strecke gebracht.«
»Is nix, Herr Professa: Schakala san nit mehr, wie Hunderln. Ganz ondre Viecha müssen's san, und dobei bleibt's!«
»Gut! So magst du dein Heil versuchen, und ich wünsche dir viel Glück zur Jagd, obgleich man das nicht soll. Ich bin jedoch der Überzeugung, daß du dich umsonst der Wüstensonnenglut aussetzen wirst, statt vergnüglich im Schatten zu rasten, wie wir es tun; kein lebendes Wesen wird dir begegnen.«
»Oh, da Franzl hot Glück, wann a koan Pech hot!« versicherte der Bayer, und das konnte ihm selbst ein Professor nicht bestreiten.
Allein mochte der Vater der Mauleselin nicht gehen: das war ihm zu langweilig. Der Baron und Peter, die Hauptjäger der Karawane, lagen im Fieber, die Weibsleut zur Teilnahme aufzufordern, hatte ihm sein männlicher Stolz nicht erlaubt, — blieb also nur sein Freund Mahmud übrig, und der paßte ihm vorzüglich: da hatte er einen treuen und zuverlässigen, unterhaltenden und oft erheiternden Kameraden, und dann war er der unbestrittene Herr des Unternehmens, was ihm auch zusagte.
Mahmud war mit Freuden bereit, wie es Franz im voraus gewußt hatte, ja, es war ihm eine Ehre, zur Begleitung eingeladen zu werden.
Da Abu Barlahs Mauleselin, von der er seinen arabischen Spitznamen hatte, wie Peters Eselin, infolge der letzten Entbehrungen, wie wir wissen, nachträglich eingegangen war, — zu seinem höchsten Bedauern, — so bestieg er sein schnellfüßiges Teni, das ausdauerndste Dromedar der Karawane, das die Rast füglich nicht nötig hatte. Mahmud erhielt zu seiner großen Freude die Erlaubnis, das nicht minder ausdauernde und noch schnellere Sedassi des Barons zu reiten, damit die beiden auch bei gesteigerten Leistungen Schritt halten könnten.
So ritten sie vergnügt in die Wüste hinaus, in südwestlicher Richtung.
Billinger wählte diesen Weg mit Absicht: der Fakir hatte nämlich von seinem Vorhaben gehört, und ihn eindringlichst gewarnt, sich nur ja nicht südwestwärts zu wenden, da er sonst in eine furchtbar gefährliche Gegend geraten werde.
»Dös is grod, wie bei deane G'spenstaberg,« sagte Franzl zu Mahmud: »Do hot uns dös spitzbübisch Fakirl aa 's Gruseln oanreden wolln, wie i vun moam Professa hernach erfohrn hob: do taaten Scheitans, Dschinns und Guhls Hausen, hot a g'schwündelt, dö selbigen, wo dö Menschen 's Blut aussaugen taaten und Leichenfloasch fressen. Und nachher hob i durten dö herrschst Quellen entdeckt, wo uns olle 's Leben g'rettet hot, und er selbsten hot sö mit soane sauban Spießg'sölln hoamlich durthin g'schlichen. Geb Obacht, ob nit aa dösmal a so a Spitzbüberei, a hoamtückische, hinta soane valogene Wornungen stecken tut. Wann a aba oanmol in soam Sündaleben nit g'logen hot, und es is richti a g'fährliche Umgegend, alsdann is ma dös grod recht, vun wegen, daß i heut a g'fohrvulls Obenteua b'stehn möcht'!«
Der tapfere Mahmud, der sich am lichten Tage, wo keine Geister umzugehen pflegen, vor nichts fürchtete, war ganz mit seinem Freunde einverstanden, dem er sich sowieso in allem unterordnete.
Beinahe drei Stunden waren sie in mäßigem Trabe geritten, und es mochte etwa zehn Uhr morgens sein, als Mahmuds scharfes Auge einen grünen Streifen am Horizont entdeckte.
»Oan Oasen!« rief er aus: »Richtig hast du verraten, daß die indische Halunk uns will verirren führen, wie Mahmud schon lange merken.«
Jetzt schlugen sie einen Galopp an, der sie in einer halben Stunde zu der prächtigen, unabsehbaren Oase brachte, die sie jubelnd betraten.
Münchhausen hatte ganz richtig geschlossen, als er aus der Anwesenheit von Schakalen die Nähe pflanzenbewachsenen Landes folgerte. Abd ul Hagg kannte diese unbewohnte und unbekannte Oase wohl aus seiner Karte.
Hätte er die gerade Richtung nach ihr eingeschlagen, die gleichzeitig der nächste Weg zur Messingstadt gewesen wäre, so hätten diese saftigen Fluren schon gestern um die Mittagszeit erreicht werden können, da sie nur einen halben Tagesritt von der Stelle entfernt waren, wo der Kampf mit den Schakalen stattgefunden hatte.
Aber er wollte den nochmaligen Versuch machen, die Karawane in der wasserlosen Wüste verdursten zu lassen, und zog deshalb absichtlich weit nördlich daran vorbei. So sollte auch an der Messingstadt vorübergezogen werden, in deren Nähe dann die wiederum aller Vorräte Entblößten nach seiner Berechnung ihr Schicksal ereilen mußte, während er mit seinen Gefährten auf ihrer hoffentlich endlich gelingenden nächtlichen Flucht noch rechtzeitig die wasserreiche Märchenstadt erreichen würde.
Er hielt also noch immer hartnäckig an seinem ersten Plane fest; denn vorerst sah er keinen andern Weg, um die unbequemen Mitbewerber um die Schätze der Messingstadt zu beseitigen.
Franz Billinger zweifelte nun nicht mehr daran, daß der Fakir ihn eben hatte verhindern wollen, die Oase zu entdecken, als er ihn so lebhaft vor der südwestlichen Richtung warnte. Welche Gründe ihn treiben mochten, die Karawane absichtlich vom rechten Wege abzulenken, darüber zerbrach sich der Bayer nicht weiter den Kopf; doch freute er sich seiner Entdeckung, die jedenfalls eine dringende Gefahr beseitigte, die den Wüstenreisenden wiederum gedroht hätte.
Zunächst wollte er das Gelände so weit als möglich erforschen, da er ja noch übrige Zeit vor sich hatte, und es völlig genügte, wenn der Pascha heute abend die frohe Nachricht erhielt.
Zugleich hoffte er in diesem Paradiese das ersehnte Wild aufzustöbern, nämlich noch ganz andere Viecher, als »an lumpeten Löwen«. Auch hierin sollte er Glück haben.
Nicht lange waren Franz und Mahmud zwischen den lichten Dattelpalmen auf dem grünen Grasteppich dahingeritten, als sie an ein plätscherndes Bächlein gelangten. Das war bei der Hitze und dem Durst, den sie empfanden, zu verlockend, als daß sie nicht sofort abgestiegen wären, um sich aus der kühlen Flut recht satt zu trinken.
Selbstverständlich durften auch die Dromedare ihren Durst nach Herzenslust löschen. Dann wurde für alle Fälle das laue Wasser aus den Aluminiumbehältern ausgegossen und durch frisches ersetzt.
Die Jäger stiegen nicht wieder auf, sondern banden ihre Tiere an zwei Palmbäumen fest; denn vor ihnen zeigte sich ein so dichter Pflanzenwuchs, daß die Kamele schwerlich hätten durchdringen können.
Zu Fuß ließ sich schon durchkommen, wenn auch manchmal einige Messerhiebe Bahn schaffen mußten, wenn das Gewirr gar zu dicht wurde.
»A Schlangen!« rief Abu Barlah plötzlich aus.
»Dös san oan gehörnte Viper,« erklärte Mahmud und beeilte sich, das giftige Reptil mit dem Flintenkolben totzuschlagen: »Der wann dir beißen hätte, Franzl tot san: dös derfst fein glaaben. Dös san der böse Schlangen von der wüsten Sara, und koan giftigeres geben es nit.«
»I hob schun g'moant 's waar a Noshörndl,« scherzte der Bayer, »weil s' a Hörndl auf da Nosen hot: also a Hurnviperl is dös? Is aa recht, wanns s' nur tot is.«
Bald lichtete sich das Unterholz und die Landschaft nahm den Charakter eines richtigen Urwalds an.
Hätten Billinger oder der Araber mehr geographische Kenntnisse besessen, so wäre ihnen der Schluß nahe gelegen, daß hier die südliche Grenze der Wüste erreicht sei, und der Wald mit Bornu zusammenhänge, vielleicht bis gegen den Tsadsee sich ausdehne. Freilich hätte er in diesem Falle einen ungeheuren Raum einnehmen müssen, was aber durchaus nicht ausgeschlossen war.
Es gab jedoch auch noch eine andere Möglichkeit: der Urwald konnte gleichsam eine Insel mitten in der Wüste sein, eine Oase von einer Ausdehnung, wie es sonst keine mehr in der Sahara gab; denn die andern, so umfangreich sie auch sein mochten, brachten es doch nirgends zu einem nennenswerten Waldwuchs.
Ein zweiter Beweis dafür, daß der Wüsten- oder der gewöhnliche Oasencharakter hier aufhörte, war der Umstand, daß sich einzelne Kokospalmen zwischen den Baumriesen fanden, während sonst in der Sahara nur die Dattelpalme und höchstens noch einige Fächerpalmenarten vorkommen.
Franzl und Mahmud ließen sich die reichlich am Boden verstreuten Kokosnüsse mit ihrem erfrischenden Milchsaft trefflich munden, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Schlüsse aus dem Vorkommen dieser herrlichen Bäume zu ziehen seien.
Plötzlich hörten sie ein fernes Stampfen und Krachen, aus dem sie nun doch ihre Schlüsse zogen: da mußte ein ganz außerordentliches Wild daherkommen; denn die Laute näherten sich, und bald war dazwischen ein dumpfes Schnauben zu vernehmen.
»Hob i 's nit g'sogt?« rief der Vater der Mauleselin erfreut: »Ganz ondre Viecha san hier, und jetz is unsa Zeit und Stunden kimmen zu unsere Heldentoten! Geb Obacht, Mahmud: dös is nix g'ringas, wie a Bison, a so a mordsmächtiga Bullen: dös hör i an soam schweren Tritt und an soam fürchtigen Schnaufen.«
Daß Büffel nicht so mitten drin im Urwald zu hausen pflegen, sondern in den Prärien und höchstens am Waldrand, konnte der Bayer nicht wissen, und daß insbesondere der Bison in Afrika nicht zu suchen ist, überstieg ebenfalls seine Kenntnisse. Der Araber vollends wußte überhaupt nichts von solchen Geschöpfen.
In freudiger Erwartung einer außerordentlichen Jagd stürmten die beiden ohne jede Vorsicht vorwärts, so schnell es das Unterholz gestattete.
Jetzt erreichten sie eine Lichtung und blieben an deren Rande sprachlos stehen: das war in der Tat ein gewaltiges Tier, das sich hundert Schritte von ihnen tummelte, mächtiger, als sie je eines gesehen. Dagegen war ja selbst ein Bison bescheiden!
Das Ungeheuer stampfte den Boden und zerwühlte ihn mit dem mächtigen Horn, das seine nicht gerade schöne Nase zierte, und hinter dem sich noch ein zweites, etwas kleineres befand.
»A Noshörndl! A leibhoftigs Noshörndl!« jubelte Billinger, als er die Sprache wiederfand. So sehr ihn der unvermutete Anblick des massigen Dickhäuters überrascht hatte, fiel es ihm doch nicht ein, Furcht zu empfinden, vielmehr erfüllte es ihn nur mit Genugtuung, daß er nun endlich Gelegenheit fand, ein ganz anderes Viech zu erlegen, als bloß einen lumpeten Löwen, mit dem es sogar die Frauenzimmer aufnahmen.
Das Rhinozeros hatte sie noch nicht bemerkt, da der Wind von Süden kam und überhaupt kaum merklich wehte. Allerdings hatten sich die Jäger keines leisen Anschleichens beflissen, vielmehr waren sie ziemlich geräuschvoll dahergerannt. Allein das schwerfällige Tier verübte selber einen so starken Lärm, daß es nicht Wunder nehmen konnte, wenn es ihr Nahen überhört hatte.
»Jetz nimm di fein z'somm,« flüsterte Abu Barlah nun seinem Gefährten zu: »Dös is a mordsstorks Viecherl, wie i mir hob b'richten lossen, und is nit mit am z'spossen. Mir schießen ollboad mitoanand und zielen auf soan wüsten Schädel. Wo soan Herz sitzt in da dicken Mossen drin, konn jo koan Mensch nit wissen.«
Gesagt, getan! Die beiden Kugeln flogen und trafen auch ihr Ziel; doch schienen sie keine große Wirkung erzielt zu haben, außer der, das Tier aufmerksam zu machen und zur rasendsten Wut zu reizen. Es wandte sich den Schützen zu und stieß nie gehörte Töne aus, die nicht gerade ermutigend klangen.
»Jetz gilt's« rief Franzl, als der Koloß mit gesenktem Horn auf sie losstürmte.
Beide flüchteten sich hinter den dicken Baum, neben dem sie standen, und liefen um ihn herum, während das Nashorn in seinem raschen Lauf, den sie ihm bei seiner Plumpheit gar nicht zugetraut hätten, an ihnen vorbeischoß.
Es wendete sich aber sofort, und zwar mit einer Behendigkeit, die wiederum erstaunlich war, und jetzt hätte es die Gegner erreicht und sicher zunächst wenigstens einen von ihnen mit seinem mörderischen Horn erfaßt und in die Luft geschleudert.
Glücklicherweise schien es im Berechnen und Schätzen nicht sehr bewandert; es stand nämlich neben dem Baum, dem die Verfolgten ihre vorläufige Rettung verdankten, ein zweiter, und zwar so nahe, daß es dem Dickhäuter nicht gelingen wollte, sich zwischen beiden hindurchzuzwängen. Statt nun einen andern Weg zu wählen, machte es die wütendsten Anstrengungen, hindurchzukommen, und das gab den Gefährdeten einige Zeit, die für ihr Leben kostbar, ja, entscheidend war.
»Auf an Baam aufi kraxeln!« gab der Vater der Mauleselin die Losung aus: »A Noshörndl konn nit kraxeln, wie i mir hob b'richten lossen.«
Das schien allerdings sehr glaublich, wenn man die Gestalt des Tieres, namentlich die umfangreichen klobigen Füße ins Auge faßte: man stelle sich so ein Nashorn, einen Baum erkletternd, vor!
Der Araber wählte eine dünnstämmige Palme, der Bayer einen andern leicht zu erkletternden Baum zum Zufluchtsort.
Kaum waren sie droben, in vorläufiger Sicherheit, als es ihrem Feinde gelang, sich vollends durchzudrücken, wobei seine Dickhaut weniger Schürfungsspuren auswies, als die stark mitgenommene Rinde der Baumriesen.
»Schod is's!« rief Franz: »I hob denkt, dös Viecherl bleibt stecken zwischen dö Baam, nachher hätten ma 's derschießen kunnen in oller G'mütsruhen. Jetz woaß i nit, wie's geht, und ob 's uns wieda abikimmen loßt.«
In der Tat schien das Rhinozeros nicht gesonnen, den beiden einen ruhigen Abzug zu bewilligen; es betrachtete sich die beiden Bäumchen und wählte dann die Palme, als das schwächere, zum nächsten Angriffsziel. Ein heftiger Stoß mit dem ungeschlachten Kopfe brachte das schlanke Gewächs in derartiges Schwanken, daß Mahmud sich aus allen Kräften festklammern mußte, um nicht herunter zu fliegen.
Seine Lage war eine höchst ungemütliche; denn jetzt wühlte das Nashorn den Erdboden rings um den Stamm mit dem Horne auf, und es war vorauszusehen, daß ihm die offenbar beabsichtigte Entwurzelung bald gelingen werde: schon neigte sich das Bäumchen bedenklich.
Inzwischen schoß der Bayer fleißig auf das Tier; doch war ihm unbekannt, wohin er treffen mußte, um eine tötliche Verwundung zu erzielen. Die kleinen Äuglein, durch die eine Kugel ins Gehirn hätte eindringen können, vermochte er von seinem Standpunkt aus unmöglich zu durchbohren, da das Tier sich mit zu Boden gesenktem Kopfe beständig um die Palme drehte, so daß einmal deren Stamm, dann wieder sein eigener dicker Leib dem Schützen das Gesicht verdeckten.
Der arme Mahmud hätte in seiner gefährlichen Lage überhaupt nicht schießen können, da er sich mit beiden Händen festhalten mußte, um durch die heftigen Erschütterungen nicht abgeschüttelt zu werden. Er war aber sowieso wehrlos, da er seine Büchse hatte fallen lassen, als er auch mit der Rechten einen Halt zu suchen genötigt war.
Jetzt schien er verloren, denn die Palme erlag der Wühlarbeit und krachte zu Boden. Sie stürzte dem Dickhäuter auf den Rücken, und der Araber mit ihr. Dabei ließ dieser los und kollerte hinter dem Rhinozeros zur Erde.
Schon wendete sich das Ungetüm, und es galt, sich vor allem davor zu schützen, durch die plumpen Füße zu Brei zerstampft zu werden.
In der Verzweiflung griff Mahmud nach dem kurzen Schwänzchen, und merkte alsbald, daß er verhältnismäßig gesichert sei, solange er es festhalten könnte: das Tier mochte sich drehen, so schnell es wollte, — er blieb stets hinten, unerreichbar für das schreckliche Horn. Freilich wurde er bei dem kreiselnden Schwung tüchtig hin und her geschleudert und mußte eine nicht geringe Behendigkeit entwickeln, wenn er dabei nicht unter die unförmlichen Hufe geraten wollte. Allein die Todesgefahr gab ihm die erforderliche Geistesgegenwart und Gewandtheit.
Jetzt, da das Nashorn den Kopf wieder hoch hielt, konnte Billinger nach den Augen zielen, so oft sich ihm diese zukehrten. Das waren freilich nur Augenblicke, doch benutzte er sie so gut, daß ihm schließlich ein Schuß glückte, der zwar kein Auge durchbohrte, aber in der Schläfengegend die Hirnschale durchdrang und das Hirn tödlich verletzte.
Der Todeskampf, der nun folgte, dauerte jedoch noch eine geraume Weile, und Mahmud, der noch nicht wagen durfte, das rettende Schwänzchen fahren zu lassen, mußte einen Indianertanz ausführen, dessen wilde, höchst komisch aussehende Sätze den Bayern zu herzlichstem Lachen reizten, da er merkte, daß die Gefahr so ziemlich vorüber war, und das schwerverwundete Geschöpf rasch von Kräften kam.
»A Bolettmoasta bist, a ganz famosa!« rief er anerkennend: »A so an Tonz hob i no nit derschaut, und du kunntst schuhplotteln auf an jeda Kirta, bessa wie da stinkst Boaernbursch! Dös Noshörndl tonzt freili aa nit schlecht, aba dös holtet's nimma long aus: ollberoats konn's nimma schnaufen. Schau! Jetz hot's an End: dös Viecherl vareckt: du host's richti zu Tod tonzt mit doam Moastaspringen. Jetzt kannst doan Kalopp oanstöllen: is da eh hoaß g'nug worn!«
In der Tat war Mahmud völlig erschöpft und in Schweiß gebadet. Seine Erlösung kam gerade noch zur rechten Zeit: länger hätte er unmöglich mehr festhalten und den rasenden Tanz fortsetzen können. Atemlos glitt er zu Boden.
Franz betrachtete indessen mit Staunen das erlegte Untier.
»Jetz is's g'wunnen!« frohlockte er: »Moan Schwur hob i derfüllt: denn dös is wohrhofti no a ganz ondas Viecherl, wie a Löb, so a lumpeta, wo zum Weibawüld worrn is, vun wegen, daß a sö hot derlegen lossen vun drei Diandeln. Moan Professa wurd sö hoallos fuchsen, daß a nit dobei g'wesen is bei dösan Heldenkompf, und da Peta, wo ma ollweil soan Löwen ausruckt, derf jetz g'fälligst soan werts Maulwerk holten, weil ma mehr g'loastet Hamm, wie dö ganz G'söllschaft.«
Der Araber erhob sich und sagte: »Ja, Mahmud aa stolz soan auf der große Sieg von schrecklichen Tier, wo nie gesehn und gehört haben. Mahmud ihn haben festhalten an die Schwanz, daß Franzl ihn können totschießen.«
Mit dem Festhalten hatte es zwar seltsam ausgesehen; doch gönnte Abu Barlah dem braunen Freunde neidlos einen Anteil an der Großtat, darum widersprach er ihm nicht.
Jetzt war es jedoch höchste Zeit, zum Lager zurückzukehren, wenn es vor Nacht wieder erreicht werden sollte. Sie ließen daher das Nashorn liegen und eilten zu den Kamelen zurück. Unterwegs schob Franz noch zwei Kokosnüsse ein, die mit knapper Not in seinen weiten Hosentaschen Platz fanden.
»Nun, ihr habt die Wüste offenbar vergeblich nach einem Wild abgesucht, ganz wie ich voraussagte,« sprach Professor Rommel zu seinem Diener, als er bei Sonnenuntergang mit Mahmud angeritten kam: »Ich sehe wenigstens keinerlei Jagdbeute auf euren Kamelen.«
Er sagte dies mit der Genugtuung, die jeder empfindet, der seine Vorhersage bestätigt sieht, obgleich es ihn auch gefreut hätte, wenn den Jägern mehr Glück zuteil geworden wäre. Aber es war ja gar nicht daran zu denken, in diesen öden Wüsteneien auf jagdbares Wild zu treffen!
»Herr Professa,« entgegnete der Bayer: »Z'ersten möchtema afohrn, wie's am Herrn Baron und soam Peta geht?«
»Oh, denen geht es, Gott sei Dank! viel besser: der Rasttag bei sorgfältiger Pflege hat Wunder gewirkt. Gottlob sind ja auch die Verletzungen bei beiden leicht und ungefährlich. Nun sind sie fast fieberfrei und können morgen getrost mit uns Weiterreisen, — im Tachtirwan versteht sich.«
»Umso bessa! Denn morgen gibt's a schöne Roasen.«
»Wie meinst du das? Hast du gar wieder eine Quelle entdeckt, wie in der Geisterburg?« fragte Rommel etwas spöttisch, da er an eine solche Möglichkeit nicht glaubte.
»Schweigen S' ma vun dö G'spenstabergen, Herr Professa! Dö san gor nix gegen dös ... Aba i will nix sogen: mir hamm an Mordshunga, und noch am Nochtessen will i derzählen, wie's uns gongen is: dös sollen glei olle mit anhörn.«
So neugierig der Vater des Sandes durch diese Geheimniskrämerei auch gemacht wurde, er mußte sich gedulden, bis nach dem Abendimbiß alle versammelt waren, Steinberg und Grill miteingeschlossen, die auf bequemen Lagern im Kreise der Freunde ruhten.
»Nun!« begann Münchhausen, nachdem er die unvermeidliche Pfeife in Brand gesteckt hatte: »Unser Professor behauptet ja, ihr scheint irgend eine Entdeckung gemacht zu haben? Schieße nur los! Mit der Jagd war es heute offenbar nichts?«
»Holten zu Gnoden, Herr Pascha, aba do befünden Sö sich in an werten Irrtum: i hoab moanen Schwur derfüllt, wo i g'schworen hob, und ma hobn ganz ondre Viecha derlegt, wie so an jämmalichen Löwen, wo nur a Weibawüld is.«
»So? Was für Ungetüme habt ihr denn gemordet?« fragte die Zitrone neugierig, und keineswegs gekränkt durch die verächtliche Bemerkung über den von ihr miterlegten Wüstenkönig.
»Do is zum Beispiel a Hurnvipern g'wesen, wo mi Hot beißen wölln, und wo da Mahmud mit soam G'wehrkolben zaschmettat hot.«
Der Professor lachte: »Die Hornviper ist eine Giftschlange der Sahara, deren Biß tödlich wirkt. Insofern kann sie sogar noch gefährlicher sein als der Löwe, weil sie einen unbemerkt beißen kann, und man dann verloren ist. Andererseits ist es das einfachste Ding der Welt, diese Schlange zu erschlagen, wenn man sie beizeiten entdeckt; mit einer Löwenjagd ist daher eure Heldentat gar nicht zu vergleichen. Aber eine Oase müßt ihr gefunden haben, wenn ihr eine Hornviper sähet, denn im unermeßlichen Sandmeer krabbeln diese Reptilien doch nicht herum: also heraus mit der Sprache!«
»Hoben S' a bisserl Geduld, Herr Professa! Reda ma z'ersten vun dö Viecha. Also a Hurnvipern is nix rechts? Aba wann i Eahna sog, daß wir a Noshörndl derlegt hamm?«
Nun lachten alle hell auf, Rommel aber runzelte unwillig die Stirn und sagte verweisend: »Franzl, bis heute hast du stets nur die Wahrheit geredet, und man durfte dir aufs Wort glauben: dieses schöne Zeugnis kann ich dir als dein langjähriger Herr ausstellen, und du darfst und sollst stolz darauf sein, denn solche unbedingte Zuverlässigkeit ist leider eine selten gewordene Tugend. Es gibt gar viele, die wohl noch begeistert von »Deutscher Treue« reden und ihre alten Sprichwörter im Munde führen, wie zum Beispiel »Ein Mann, — ein Wort!«, die dagegen im täglichen Leben es mit der Unwahrheit und dem Wortbruch oft leicht nehmen. Erhalte dir sorgfältig deinen guten Ruf, als Mann der Wahrheit: du machst damit dir, deinem Deutschtum und deinem bayrischen Vaterland Ehre. Nun begreife ich wohl, daß die launigen Erzählungen unseres Kapitäns es dir angetan haben, und daß es nicht unehrlich von Dir gemeint ist, wenn du einen Versuch machen wolltest, es ihm nachzutun. Allein beim Pascha weiß man, daß er ein Spaßvogel ist, der einem durchaus keinen Bären aufbinden, sondern einen nur angenehm unterhalten und erheitern will mit den unerschöpflichen Erfindungen seiner Phantasie. Bei dir aber klingen derartige Behauptungen, wie die mit dem Rhinozeros, wie ein Versuch, uns anzuschwindeln: darum lasse das bleiben, es steht dir nicht. Eines schickt sich nicht für alle; also überlasse dem Kapitän solche Berichte, entsprechend seiner natürlichen Begabung, und bleibe du bei deiner schlichten Geradheit, die uns an dir freut. Wenn du dich in den Sanddünen verzählst, über die der Beduinenscheich infolge deiner Ohrfeige hinwegflog, so halten wir dir eine solche Kleinigkeit gerne zugute: aber was darüber ist, ist vom Übel!«
Der Vater der Mauleselin schüttelte den Kopf: »Jetz, Herr Professa, dös is a longe und richtige Standpauken g'wesen, dö Sö do g'holten hoben, wie zu an armen Sünda. Aba vur dön Foll paßt so nit, vun wegen, daß ma's nit oanfollt, z'schwündeln. Und wann i sog, ma hamm a Noshörndl derlegt, hernach derfen S' dös fein glaaben.«
Jetzt wußte niemand mehr, wo er mit Franzl daran sei, der doch sonst die Ehrlichkeit selber war, und nun etwas behauptete, dem einfach niemand Glauben schenken konnte, außer etwa der Baron, Peter und Isolde.
»Höre,« sagte der Professor wieder, nach einer Pause allgemeinen stummen Staunens: »Du hast in deinem Leben noch kein Nashorn gesehen, und ich will gerne glauben, daß du dich in einem Irrtum befindest. Vielleicht hast du ein Gnu für ein Rhinozeros gehalten. Die Antilopen dringen oft weit in die Wüste vor, und das Gnu hat verhältnismäßig kleine Hörner, so daß es der Unkundige wohl nicht gleich als Antilope erkennt: sage einmal, hatte das Tier zwei Hörner?«
»Jawoi, Herr Professa!«
Es bedarf bescheidener Beweise, um einen Professor zu überzeugen, daß seine Meinung glänzend bestätigt sei: so genügte auch dem Altertumsforscher dieses Zugeständnis, um lachend auszurufen: »Jetzt ist das Rätsel schon gelöst! Der gute Abu Barlah hat eben ein Gnu für ein Nashorn gehalten! Nun, das dürfen wir ihm nicht übel nehmen, wenn andre schon einen Beduinenhund als Wüstenfuchs ansprachen. Aber warum habt ihr die schöne Beute nicht mitgebracht? Dann hätte es ja gar kein Mißverständnis geben können und ihr wäret über euren Irrtum gleich aufgeklärt worden.«
»Mitnehmen hamma dös Knu, wie Sö dös Viecherl mit am latoanischen Nomen hoaßen, oanfach nit können, vun wegen, daß es z'schwer g'wesen is.«
»Unsinn!« widersprach Abu Ramleh: »Zu zweit hättet ihr das stärkste Gnu mit Leichtigkeit auf euer Kamel laden können.«
»Nachher is dös Viecherl holt doch koan Knu g'west. Und wann a Knu an Ontilopen is. alsdann is dös schun gor nix mit Eahna Ihra Aklärung. Is a Knu schwer« wie a Kamöl?«
»Weit entfernt!«
»Oda hot's soane Hörndeln auf da Schnauzen, oans vurn, und 's onda, kloana dohinta?«
»Das nicht.«
»Oda hot a so a Knu a dicke graue, vahutzelte Haut, und Füß wie a Wossaloatungsröhren?«
»Ich weiß nicht,« stammelte Rommel ganz verwirrt: »Nach dieser Beschreibung könnte es sich allerdings nur um ein Rhinozeros handeln, und doch ist das völlig ausgeschlossen!«
Jetzt ergriff der Pascha Franzls Partei, denn er begann doch an das Wunder zu glauben: »Was für einen Professor ausgeschlossen erscheint, kann nichtsdestoweniger Tatsache sein, wie vergleichsweise — die Messingstadt: glauben wir also an Billingers Nashorn!«
»Niemals!« erklärte der Vater des Sandes feierlich.
»Ich schenke seinem Bericht alles Vertrauen,« versicherte dagegen seine Schwester Monika.
»Det is ooch meene Überzeugunk,« stimmte Peter zu.
Die Zitrone und die Nachteule nickten beipflichtend und Baron Erich schwankte zwischen Glauben und Zweifeln.
»Herr Professa,« nahm der Bayer wieder das Wort: »Sans Eahna koane Polmen bekannt, wo statt der kloanen Datteln mordsgroße Früchterln trogen, mit pockelhorte Schalen, und inwendi san s' schneeweiß und vulla Mili?«
»Ja, gewiß! Solche gibt's; allein in diesen Gegenden kommen sie nicht vor, erst sehr viel weiter südlich: es sind das die bekannten Kokospalmen.«
»Is schun recht! Also, ma san so sehr vül weita südli g'wesen, durt, wo dö Kuckuckspolmen wachsen, in oana großen, wundaschönen Oasen mit an Wold, wo koan Kamöl nit einikimmt, bevur ma am Bohn g'hauen hot durch dös dicht Buschwerk an soam Rond. Dösa Wold hot himmelhoche Boam, höcha wie a Riesentonnen in Boaern is, und durt hausen dö Hurnvipern und Noshörndeln.«
»Nein, so etwas!« rief der Professor wirklich entsetzt: »Wenn Münchhausen uns von einem Urwald in der Sahara fabelte mit Dickhäutern und meinetwegen auch Eisbären, so wüßten wir, woran wir uns zu halten haben. Aber daß mein biederer Diener derartiges behauptet, macht mich ganz irre! Franzl, du hast zweifellos einen Sonnenstich erhalten: ich will dir kalte Umschläge machen.«
»Kolte Umschläg' waaren nit übel, aba bei Tog in da Hitzen: do ließ i ma's gern g'follen, wamma nit 's Wossa sporen müßt'. In da Nocht is's z'kuhl vur nosse Umschläg'. Aba zwoa Kuckuckspolmenfrüchterl hob i mitgnumma; hernach können der Herr Professa ausrechnen, wie weit ma in Süden g'west san.«
Damit zog er die Nüsse aus der Tasche und reichte sie seinem sprachlosen Herrn, der sie weiter gab.
»Das sind richtige Kokosnüsse,« erklärte der Pascha: »Und damit dürfte der beste Beweis dafür erbracht sein, daß Franzl die lautere Wahrheit berichtet, wie ihm übrigens nicht anders zuzutrauen ist.«
Jetzt mußte Billinger seine heutigen Erlebnisse haarklein erzählen. Er tat dies in seiner launigen Weise, ohne irgend etwas zu übertreiben oder auszuschmücken: sie klangen trotzdem fabelhaft genug. Ganz köstlich war seine Schilderung von Mahmuds Balettmeistertanz am Schwanze des Nashorns, mit der er einen schallenden Heiterkeitserfolg erzielte. Nun blieb Rommel der einzige, der noch nicht völlig von der Tatsächlichkeit dieser Ereignisse überzeugt war. Münchhausen aber erklärte:
»Morgen suchen wir selbstverständlich diese prächtige Oase auf, die uns außer Wasser auch reiche Vorräte an Fleisch, Datteln und ›Kuckucksnüssen‹ verspricht, wie Franzl so schön sagt. Dort halten wir zwei Tage Rast. Das kommt der Genesung der Verwundeten zugute, und von uns ist der bereits wieder drohende Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln abgewendet.« Abu Barlah aber bemerkte noch:
»Herr Pascha, da Fakir, da Hallodri, hot uns g'wornt, nur nit noch Südwesten solle ma gehn: durt waara ma verlurn. Aha, hob i denkt: dös is akrat, wie bei dö G'spenstabergen! g'wiß is durt wieda an Oasen, dö ma nit finden solln, vun wegen, daß da Tropf, da spitzbübische, uns vadursten lassen möcht in da Wüsten! Und richtig, a so is g'west: dö ollaherrlichst Oasen hamma g'funden!«
Diese Bemerkung gab dem Kapitän doch zu denken.
Mit Sonnenaufgang wurde, wie gewöhnlich, aufgebrochen. Kaum hatte Abd ul Hagg vernommen, daß es nach Südwesten gehen sollte, als er sich auch schleunig zum Pascha begab und in großer Erregung sprach:
»Allah erhalte dein teures Leben und das aller deiner Gefährten! Warum aber willst du in dein Verderben rennen? Wir befinden uns der Messingstadt, unserm Ziel, so nahe, daß es Wahnsinn ist, im letzten Augenblicke vom richtigen Wege abzuweichen. Im Südwesten zieht sich die wasserlose Wüste endlos hin, und das Einschlagen dieser falschen Richtung, in der wir nie zur Messingstadt gelangen können, bedeutet unser aller sicheres Verderben!«
Dieser Eifer des Indiers bestärkte den Kapitän in dem Verdacht, den Billingers Bemerkung gestern doch in ihm erweckt hatte, so sehr er sich dagegen sträuben wollte.
»Wo liegt denn von hier aus die Märchenstadt?« fragte er, anscheinend harmlos.
»Genau westlich,« erwiderte der Fakir verwundert: »Ich sagte dies ja alle die Tage her.«
»Woher willst du das wissen?«
»Selbstverständlich aus meiner untrüglichen Karte.«
»So zeige die Karte her!« donnerte der Pascha den Erschrockenen an: »Seit unserer Abreise von der letzten Oase ließest du mich keinen Blick mehr hineinwerfen und hattest hundert Ausreden, wenn ich danach begehrte.«
»Herr, ich habe sie nicht bei mir,« stotterte der verblüffte Betrüger, der nicht wußte, was dieses plötzliche Mißtrauen des sonst so gutgläubigen Herrn der Karawane zu bedeuten hatte.
»Wenn du mir nicht sofort die Karte herschaffst, lasse ich dich binden und dir die Bastonade erteilen; denn dann müßte ich dich für einen Verräter halten, als der du mir schon oft bezeichnet wurdest. Gestern hat Franz Billinger mit Mahmud, kaum drei Stunden von hier im Südwesten eine ausgedehnte Oase gefunden, die wir selbstverständlich jetzt aufsuchen.«
»Bei Allah! Sie sind dennoch in diese Richtung geritten, und ich hatte sie doch so eindringlich davor gewarnt!« stammelte Abd ul Hagg.
»So! Gewarnt hast du sie? Und warum denn?«
»Natürlich, weil ich überzeugt war, daß dort nur wasserlose Wüste sei.«
»In anderer Richtung etwa nicht? Du hast ja selber versichert, bis zur Messingstadt gebe es keine Oase mehr. Und überhaupt war das schon deshalb kein Grund zur Warnung, weil es sich ja nur um einen Tagesritt handelte.«
»Wenn ich mich getäuscht habe, und die beiden eine Oase entdeckten, die auf meinen Karten nicht verzeichnet ist,« stotterte der Fakir, »dann allerdings ist es selbstverständlich, daß wir dorthin gehen, wenn es auch einen Umweg bedeutet.«
»Einen Umweg von drei Stunden?« höhnte der ernstlich erzürnte Abu el Futha: »Aber die Karte will ich sehen, sonst bleibt es bei der Bastonade: du weißt, Hussein Pascha ist gut, aber er macht auch nie leere Worte, und was er droht, wird unweigerlich ausgeführt.«
Zögernd zog der Indier das Pergament hervor, da er in der Tat wußte, daß Münchhausen Wort hielt, und er die Bastonade fürchtete, deren Erduldung ihn auch gar nichts genützt hätte, da ihm der Pascha zweifellos, wenn er gebunden war, die Karte hätte aus dem Bernus holen lassen. Seine Ausrede, daß er sie nicht bei sich habe, half ja auch nichts, denn sowohl er wie seine Sachen wären bald durchsucht gewesen.
Der Vater des Schnupftuchs entfaltete das Blatt: »Da ist ja die von Franz entdeckte Oase eingetragen,« donnerte er: »Der Eintrag ist zwar etwas undeutlich, so daß sie nicht ohne weiteres in die Augen fällt, aber bei genauem Studieren der Karte ist sie nicht zu übersehen. Das ist ja eine ganz fabelhafte Fläche, die sie einnimmt! Sie dehnt sich wochenlang nach Süden aus. Und überdies führt uns der gerade Weg zur Messingstadt durch ihr nördliches Ende, denn die Stadt liegt nicht westlich von uns, sondern südwestlich. Im Westen hätte der Untergang uns ereilt. Was soll das heißen?«
»Sidi, o Herr!« stammelte der Spitzbube ganz verwirrt: »Ich muß bekennen, daß ich mich allerdings in der Richtung täuschte: ich hielt dies eben für die westliche Richtung und sehe jetzt erst, daß es tatsächlich die südwestliche ist. Und was die Oase anbelangt, so habe ich sie wahrhaftig übersehen: du sagst ja selber, daß sie nur undeutlich eingetragen ist.«
»Gehe!« sagte Münchhausen kurz: »Und hüte dich, mir noch einmal Anlaß zu Verdacht zu geben!« Es lag ja auf der Hand, daß diese ungeschickte Verlegenheitsausrede durch und durch faul war: dem Überrumpelten war eben im Augenblick keine glaubhaftere eingefallen. Er merkte es selber, daß solche Ausflüchte ihn von dem nur zu begründeten Verdacht nicht zu reinigen geeignet waren, und ärgerte sich über sich selbst und den Pascha. Doch beeilte er sich, zu verschwinden, froh, diesmal noch so leichten Kaufes davonzukommen.
Abd ul Hagg war nun, da er sich auch von Münchhausen durchschaut sah, von solchem Ingrimm erfüllt, daß er nur noch daran dachte, ihn aus dem Wege zu räumen: das übrige würde sich ja dann schon finden. Sein Eid hätte ihn nicht gehindert, den Verhaßten zu ermorden: was ihn hievon abhielt, war nur seine Feigheit. Er fürchtete, als der Täter entdeckt zu werden, und dann der gerechten Strafe nicht zu entgehen, und einer solchen Möglichkeit wollte er sich nicht aussetzen. Dagegen suchte er Hamed und Mohamed zu überreden, den Kapitän im Schlafe zu erstechen oder hinterrücks zu erschießen: dazu ließen sie sich jedoch nicht herbei, weil sie sich scheuten, ihren Schwur zu brechen.
Der Indier beschloß daher, dem Pascha heimlich auf Schritt und Tritt aufzulauern: es würde sich doch wohl eine Gelegenheit finden, ihn beiseite zu schaffen, ohne Gefahr zu laufen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wenn der Scherif oder der Hadschi dabei ums Leben kamen, war ihm das einerlei.
Inzwischen wurde der Ritt nach der neuentdeckten Oase angetreten, die noch im Laufe des Vormittags erreicht wurde.
Allgemeiner Jubel begrüßte das lachende Grün.
Der Pascha ordnete an, daß zunächst der Bach bis zur Quelle verfolgt werde; wohl war sein Wasser von kristallener Klarheit, aber Münchhausen liebte es, wenn irgend möglich, das Trinkwasser einer Quelle zu entnehmen, da ein Wasserlauf immerhin, wenn nicht durch Menschen, so doch durch Tiere verunreinigtes Wasser enthalten kann.
Der Quell fand sich in mäßiger Entfernung in einem Felsengrund, der einen vorzüglichen Lagerplatz bot. Hier wurden denn auch die Zelte aufgeschlagen und die Dromedare entlastet. Am Bache konnten die Tiere dann nach Belieben trinken und fanden grünes Futter in üppiger Fülle an seinen Ufern, so daß es nicht einmal nötig war, sie durch den engen Ausgang des Kessels zur Weide zu führen. Nachdem das schmale Felsentor mit einem Gatter aus Flechtwerk abgeschlossen war, konnte man sie sogar getrost sich selbst überlassen.
Die Deutschen gingen jetzt zur Stelle, wo Billinger das Nashorn erlegt hatte, und der Anblick des gewaltigen Dickhäuters zwang selbst den Professor, seine bisherigen Zweifel aufzugeben.
Billinger bemerkte: »Kraxeln, wann dös Viech hätt' können, hernach waaren ma allboad hin g'west!«
Rommel lachte und meinte: »Daß ein solches plumpes Geschöpf kein Klettertier ist, wird ihm jedes Kind sofort ansehen: es ist das ein ganz unmöglicher Gedanke.«
»Seien Sie sparsamer mit ihren Unmöglichkeitserklärungen,« warnte der Kapitän: »Gestern noch wollten Sie darauf schwören, daß das Vorkommen eines Rhinozerosses in diesen Breiten einfach ausgeschlossen sei: Nun, da liegt der Gegenbeweis vor Ihren Gelehrtenaugen. Warum sollte aber ein Nashorn nicht ebensogut die Bäume ersteigen können, wie das viel größere und ungeschlachtere Riesenfaultier der Vorwelt?«
»Weil es nicht, wie jenes, Krallen besitzt, um sich festzuklammern,« erwiderte der Vater des Sandes; worauf ihm der Vater des Schnupftuches entgegnete:
»Sollte das einem Professor unmöglich erscheinen, so doch keinesfalls einem modernen deutschen Dichter. Auf dem Gebiete der Malerei haben etliche, allerdings, wie ich gestehe, blödsinnige Künstler den Kubismuswahnsinn hoch gebracht, warum sollte auf dem Gebiete der Literatur nicht Ähnliches möglich sein? Unsere nicht alle werdenden Dichter suchen ja sowieso nur immer etwas Neues aufzubringen, — je verrückter, je lieber. Denn, da es ihnen am Geiste mangelt, um sich über die Masse emporzuheben, kann es ihnen nur auf diesem Wege gelingen, Aufsehen zu erregen und berühmt zu werden: das deutsche Publikum, einschließlich der Kritiker, nimmt ja jeden Unsinn hochernst, aus Furcht, es könnte Mangel an Verständnis verraten. So wird Verständnis für das Unverständliche geheuchelt, und es geht, wie bei des Kaisers neuen Kleidern: keiner wagt ehrlich zu bekennen: ›Das ist ja Mumpitz!‹
»Ich selber habe schon den Versuch einer kubistischen Naturschilderung unternommen, etwa so: ›Violett taumelte das chromgelbe Mondlicht durch die undurchsichtige Luft. Schwalbenrudel brachen sich mit schweren Tritten Bahn durch das Dickicht der Waldlichtung. Nilpferde kletterten behende an den Bäumen empor und sprangen zwitschernd von Zweig zu Zweig. Im kristallklaren Sumpfe quakten die Nachtigallen, und Elefantenschwärme durchbrausten mit unhörbarem Flügelschlage den kohlschwarzen Dämmer, den die verschleierten Sterne sonnenhell durchleuchteten. Adler und Geier zirpten in den orangefarbenen Gräsern und pfeilschnell schossen die Fledermäuse durch das brackige, morastige Gewässer des reißenden Stromes dahin. Forellen und liebliche Haifische hüpften im Buschwerk umher. Jetzt erhob sich der erste Vogel Strauß wie ein entfiederter Pfeil in die Lüfte und begrüßte den anbrechenden Abend mit seinem jubelnden Morgenlied.‹ In diesem Tone hätte ich ja beliebig weiter dichten können; allein ich merkte, daß ich meinen Zweck nicht erreichte. Ich hatte kubistisch dichten wollen, und nun war doch das meiste, von dem, was ich behauptete, für die Phantasie ganz gut vorstellbar. Der Kubismus aber ist das völlig Unvorstellbare, der krause Wahnwitz, aus dem kein vernünftiger Mensch auch nur die leiseste Ahnung von etwas Greifbarem herauszufinden vermag, selbst wenn ein noch so verschrobener Kritiker ihm die Sache erklärt. Ich sah also ein, daß ich niemals eine kubistische Schilderung zustande bringen würde, ehe ich völlig übergeschnappt sei, und so gab ich den mißglückten Versuch vorläufig auf. Doch es ist noch nicht aller Tage Abend: auch ich kann einmal richtig geisteskrank werden, und dann blüht mir die Aussicht, ein berühmter, bahnbrechender deutscher Dichter zu werden, wie so mancher vor mir in den letzten Jahrzehnten. Früher, in ungebildeten, verständnislosen Zeiten, sperrte man ja solche Genies in die Irrenanstalten oder verlachte sie wenigstens und hielt sie für das Tollhaus reif: das ist nun heute nicht mehr zu befürchten: man staunt sie vielmehr an und verherrlicht sie.«
Trotz alledem dachte das tote Nashorn nicht daran, einen Baum zu erklimmen, und man begab sich ins Lager zurück, froh, daß wenigstens die Natur sich auf keinen kubistischen Wahnsinn einließ.
Abends erklärte die Harmonika stolz: »Verehrter Abu el Futha, Ihr kubistischer Versuch hat mir keine Ruhe gelassen. Ich habe den Vorsatz gefaßt, einen Roman in diesem Stile zu schreiben. Einen Satz habe ich schon beieinander: es handelt sich um einen Wüterich, den eine überraschende Nachricht in die äußerste Wut versetzt hat. Die Wirkung der Botschaft aus den Tyrannen, gedenke ich folgendermaßen den staunenden Lesern vorzumalen: ›Sein Haupt schrumpfte plötzlich zusammen, wie von der Tarantel gestochen, seine Augenbrauen schwollen an, als wollten sie zerspringen und im nächsten Augenblick einen regungslosen Indianertanz aufführen; seine straffen, glattgekämmten struppigen Lockenhaare leuchteten ingrimmig auf und wurden erdfahl, gleich den schaumgekrönten Wellen des spiegelglatten Meers, auf das der blaue Sonnenschein schwarze Finsternis ausstreut; sein Gehirn zitterte wie Espenlaub, seine Wangen klapperten wie von Glut geschüttelt, seine Zähne überzogen sich mit dem purpurnen Grün des Zorns; finster zog er die Nase zusammen, sein eingekniffener weitaufklaffender Mund sprühte flammende Blitze aus allen Poren und seine dürren Augen schäumten vor Wut.‹«
»Vorzüglich!« lobte der Pascha: »Aber noch lange kein Kubismus, denn es ist alles vorstellbar und erzeugt deutliche Bilder in der Phantasie.«
»Ich aber,« sagte die Zitrone, »habe Ihre eindrucksvolle Schilderung in Verse gegossen, soweit sie mir noch im Gedächtnis war.«
»Hören lassen!« rief der Kapitän, und Hulda begann:
»In den Höhlen, in den Gründen
Hausten Adler, Falken, Geier,
Elefanten majestätisch
Glitten hin auf glattem Weiher;
In der höchsten Bäume Wipfeln
Horsteten beschwingte Leuen,
Tiger ringelten empor sich
An den Stämmen, und die scheuen
Hechte jagten durch die Steppe
Mit leichfüßigen Forellen,
Schlangen stapften durch das Dickicht,
Eber spielten in den Wellen.
Ihre bunten Räder schlugen
Die sanftlockigen Hyänen,
Und kahlköpfige Skorpione
Schüttelten die borst'gen Mähnen.
Bären segelten in Schwärmen
Durch die Lüfte, Wölfe sangen
Lieblich in den ros'gen Zweigen,
Und behende Büffel schwangen
Sich von Ast zu Ast, das zarte
Nilpferd kroch am Fels empor.
Grünlich schillernde Kamele
Wiegten sich auf schwankem Rohr.
Grillen brüllten laut, und heulend
Brachen Rudel grimmer Schwäne
Durch das Unterholz des Urwalds;
Drohend wiesen ihre Zähne
Turteltauben, Nachtigallen,
Lämmer kreischten wild nach Raub
Und der schlanke kleine Walfisch
Schlängelte sich scheu durchs Laub.
Auf den Firnen, einem Türmer
Gleich, hielt stolz der Maulwurf Wacht,
Flatternd schwebten Regenwürmer
Durch die sonnenhelle Nacht.
Gemsen tauchten in das Moor,
Wo der Fluß sich lichtete,
Dunkel schien des Mondes Flor,
Und der Esel dichtete!«
»Brava!« rief Münchhausen: »Zitrone, Sie haben mein Licht in Schatten gestellt, oder vielmehr meinen Schatten ins Licht gestellt!«
Der folgende Tag wurde ausgiebiger Ruhe gewidmet, höchstens, daß man sich mit dem Einsammeln von »Kuckucksnüssen« beschäftigte, wie Franzl sie hartnäckig nannte. Sie fanden sich reichlich in der Nähe des Lagers, während sonst keine eßbare Frucht zu sehen war.
Auch der nächste Tag sollte noch in der prächtigen Oase verbracht werden.
Steinberg und Grill befanden sich schon munter, und die Heilung ihrer Wunden hatte so gute Fortschritte gemacht, daß sie sich getrost einem Ausflug anschließen durften, den Münchhausen mit den übrigen Deutschen unternahm, um etwas tiefer in den Urwald vorzudringen und seine Geheimnisse zu erforschen.
Schon vorgestern war Abd ul Hagg mit Hamed dem Pascha nachgeschlichen, um womöglich eine Gelegenheit zur Ausführung seines Mordplanes auszuspähen, hatte jedoch keine finden können, wenigstens keine solche, die ihn vor jedem Verdacht sichergestellt hätte, im Falle er mißlang, und nur eine solche wollte er benutzen. Auch heute folgten die beiden Verschworenen mit äußerster Vorsicht den ahnungslosen Wanderern.
Der Weg ging tief in den Wald hinein, und oft mußten die vorsorglich mitgenommenen Äxte und Beile durch Unterholz und Gestrüpp Bahn brechen.
Nach zwei Stunden betraten unsere Freunde eine größere Lichtung, an deren entgegengesetztem Ende ihnen ein großartiger Anblick wurde: vier stattliche Elefanten, zwei Bullen und zwei Weibchen, weideten dort, das heißt, sie brachen Früchte von den Mokorongabäumen, die sich hier fanden, und verzehrten sie mit sichtlichem Behagen.
Die Mokorongafrüchte, die den Elefanten besonders munden, sind eigentlich Beeren von mäßiger Größe, fanden sich aber hier so reichlich, daß die Tiere bei ihrer emsigen Arbeit sich wohl einigermaßen daran sättigen konnten.
»Dö schießa ma!« flüsterte Franz zuversichtlich.
»O nein!« bat die Harmonika: »Die schönen Tiere freuen sich so harmlos ihres Lebens: stören wir doch nicht dieses Bild des Friedens, ohne alle Not!«
»Welch prächtiges Elfenbein sie haben!« bemerkte die Zitrone: »Aber es lockt mich nicht: sie sehen so sanft und klug aus, und es wäre ein abscheulicher Mord, sie niederzuschießen. Sie mögen ihre gewaltigen Stoßzähne behalten!«
»Mit dem Niederschießen von vier solchen Dickhäutern ist es keine so einfache Sache,« erklärte der Kapitän: »Nur ein Schuß ins Gehirn wirkt bei ihnen unmittelbar tödlich, und der müßte durch das Auge oder Ohr gehen; die wenigen Stellen, die eine lebensgefährliche Verwundung ermöglichen, sind auch für einen geübten Jäger gar nicht so leicht zu treffen.«
Peter, der schon vergessen zu haben schien, wie übel ihm die Schakale mitgespielt hatten, brannte vor Jagdlust und meinte: »Wat det betrifft, so sin wir fünf Jäjer und drei Jäjerinnen jejen vier Elefanten, und keene unjeübten Schützen nich: die drei Damen haben eenen Löwen besiecht, det steht außer Zweifel. Der Herr Baron un ik haben ooch den Wüstenkönig zur Strecke jebracht, janz abjesehen von meenen verehrten Herrn seenen Meesterschuß auf die Jaselle. Der Franzl hat jar eenen Nashorn det Lebenslicht ausjeblasen, det viel jrimmiger aussieht wie die Beester dort drüben. Von den Herrn Pascha janz zu jeschweijen, der Nilpferde un Krokodiler mit Sperrhölzern wehrlos machen kann, un Eisbären mit eener eenfachen Zeltstange siechreich zu bekämpfen versteht. Was den Herrn Professor anbelancht, so is er ooch noch da, und so sin wir in doppelter Übermacht, un allens bewährte Jäjer: darum meene ik, et kann uns nich fehlen, un wir brauchen keene Angst nich zu haben.«
»Von Angst ist keine Rede,« sagte Abu el Futha: »Aber es wäre Verwegenheit, die Tiere ohne jeden Grund anzugreifen: was meinen Sie, Professor?«
»Ich stimme Ihnen bei: ein gereizter oder gar verwundeter Elefant ist ein furchtbarer Gegner, und es mit diesen Dickhäutern aufnehmen, heißt sein Leben aufs Spiel setzen. Das haben wir durchaus nicht nötig, wenn wir sie auch noch so wenig fürchten. Auch halte ich es mit Monika und Fräulein Hulda: es wäre eine Grausamkeit und Gemeinheit, diese edlen Geschöpfe umzubringen. Frisches Fleisch hat das Rhinozeros uns geliefert und in diesen heißen Gegenden hält sich das Fleisch keine zwei Tage lang frisch. Nun läßt es sich ja wohl dörren; doch sind wir mit Lebensmitteln so gut versehen, daß wir solche Bereicherung der Vorräte nicht nötig haben. Also sehe ich keinen Grund zur Elefantenjagd, denn das Töten aus bloßer Jagdlust ist ein Frevel und hat zumal in Amerika und Afrika schon unwiederbringlichen Schaden verursacht.«
Peter und Franz, so sehr sie im stillen bedauerten, um diese außerordentliche Jagd zu kommen, waren doch so vernünftig und gutmütig, daß ihnen solche Gründe einleuchteten. Und wäre das nicht der Fall gewesen, so hätten sie sich doch fügen müssen, da der Pascha das Schießen untersagte.
In diesem Augenblick krachten zwei Schüsse: der eine durchbohrte einem der weiblichen Tiere den Rüssel, der andere traf die Stirne eines der Männchen, prallte jedoch an dem harten Schädel ab.
Erzürnt blickte Münchhausen von einem zum andern: aber niemand hatte ein Gewehr angelegt, und alle sahen ebenso verblüfft die Kameraden an, um festzustellen, daß keiner und keine der Gesellschaft so keck gewesen war, das Verbot zu mißachten.
Es blieb aber durchaus keine Zeit, sich weiter nach den verborgenen Schützen umzusehen, denn schon stürmten die verwundeten Tiere mit wütendem Trompeten an, und die beiden andern folgten ihnen.
Abd ul Hagg war mit Hamed den Deutschen bis an den Rand der Lichtung gefolgt. Als er die Elefanten erblickte, hoffte er schon, daß die Giaurs, vielleicht ohne Erfahrung über die Gefahren einer solchen Jagd, die Tiere angreifen würden, wobei leicht einer oder der andere ums Leben kommen konnte: und warum sollte nicht gerade der Pascha bei dieser Gelegenheit eines der Opfer sein?
Aber die Deutschen hielten lange Reden im Flüstertone, und wagten offenbar nicht, einen Schuß abzugeben.
Sie standen alle frei in der Lichtung, während der Indier und der Araber sich fünfzig Schritte hinter ihnen befanden, vom Buschwerk gedeckt, das den Platz säumte.
»Laß uns auf die Elefanten schießen,« flüsterte der Fakir dem Scherif zu: »Entdeckt man uns, so sagen wir, da wir unsere Herren in solcher Gefahr gesehen hätten, sei es uns als unsere Pflicht erschienen, ihnen beizuspringen. Wahrscheinlich aber bleiben wir unbemerkt: denn die Tiere werden nicht zögern, sich auf die Feinde zu stürzen, die sie vor sich sehen. Uns sehen sie vorerst nicht, und wir werden Zeit finden, ins Lager zurückzuflüchten. Da fast alle Treiber im Walde streifen, um nach Früchten zu suchen, wird kein Mensch wissen können, wer geschossen hat, und auf uns, die wir behaupten können, wir hätten uns nicht weit vom Lager entfernt, wird kein Verdacht fallen.«
So gaben die zwei ihre verhängnisvollen Schüsse ab und eilten dann, anfangs behutsam und unhörbar, wie es die Vorsicht gebot, zurück. Sie gelangten auch unbehelligt und unterwegs von niemand gesehen bei der Quelle an, wo sie sich harmlos neben Mohamed lagerten, dem sie von ihrem Anschlag berichteten.
Inzwischen gab es auf der Lichtung eine aufregende und gefahrvolle Jagd.
Deckung zu suchen, dazu war es zu spät: so blieb nichts übrig, als auf die dahergaloppierenden Ilfe, wie der Elefant poetisch genannt wird, zu schießen. Das sahen alle gleichzeitig ein, und so wurden acht Büchsen angelegt, und acht Kugeln pfiffen.
Von diesen acht traf eine den Bullen mit der leichten Stirnwunde offenbar ins Gehirn; denn nach wenigen Schritten brach er zusammen, um sich nicht wieder zu erheben. Niemand hätte zu sagen gewußt, wer der glückliche Schütze war: das war auch belanglos, — genug, daß wenigstens einer der schrecklichen Gegner ausschied. Was die andern Kugeln für Schaden angerichtet hatten, konnte nicht festgestellt werden.
»Sich möglichst zerstreuen!« rief der Pascha, und sofort stoben alle auseinander, selber einsehend, daß die Kolosse leichtes Spiel hätten, wenn sie beisammen blieben.
Die Harmonika und die Zitrone blieben beieinander und flohen mit Franzl nach links; Steinberg, Rommel und Münchhausen wandten sich nach rechts; Peter und Isolde nahmen die Mitte ein.
Wie auf Kommando teilten sich auch die drei Elefanten und setzten den Flüchtenden nach, die vernünftigerweise schon nach wenigen Schritten innehielten und sich umwandten, um wieder zu schießen: war doch keine Aussicht, den schnellfüßigen Verfolgern durch die Flucht zu entkommen; wer so wahnwitzig gewesen wäre, dies zu versuchen, wäre rasch ereilt, in die Luft geschleudert und zerstampft worden.
Der dicke Kapitän konnte mit dem Professor und dem Baron, die einen Bogen schlugen, nicht Schritt halten und blieb zurück. Doch dies gerade sollte ihm zum Heil werden. Mochte das Elefantenweibchen, das den dreien gefolgt war, ihn als seinesgleichen ansehen, und daher schonen, wie der Vater des Sandes später scherzhaft behauptete, oder mochte es denken, es lohne sich eher, zweien zu folgen, als einem einzelnen, oder dachte es überhaupt nichts und stürzte eben denen nach, die es besonders ins Auge gefaßt hatte, kurzum, es ließ den Vater des Schnupftuchs ungeschoren und blieb den beiden andern auf den Fersen.
Abu el Futha sah sich erstaunt um: keiner der Elefanten schien sich vorerst um seine gewichtige Persönlichkeit kümmern zu wollen: das war eine schmähliche Beleidigung des Herrn der Expedition und sollte den frechen Geschöpfen übel bekommen! Rasch ersah er seinen Vorteil und rannte auf den Waldrand zu, so schnell es ihm seine kurzen Beine und sein umfangreicher Leib gestatteten.
Da stand ein Baum, der sich in einer Höhe gabelte, die kein Elefantenrüssel erreichen konnte.
Hugo von Münchhausen war in seiner Jugend ein gewandter Turner gewesen, was ihm jetzt zwar niemand mehr ansah, ihm aber doch noch nachging. Es ging freilich langsam und mühsam; allein es ging wenigstens: er gelangte tatsächlich bis zur Gabelung, von der er glaubte, sie werde ihm einen bequemen Sitz bieten.
Schweißtriefend zwängte er sich hinein und nahm eine sitzende Stellung ein. Von hier aus beherrschte er die ganze Lichtung und konnte ungefährdet in aller Ruhe zielen und so den bedrohten Freunden zu Hilfe kommen, die sich nicht weit hatten entfernen können.
Unterdessen waren jedoch die Ilfe nicht müßig gewesen, ebensowenig die Verfolgten.
Franzl, die Harmonika und die Zitrone waren zu dritt, also am vorteilhaftesten daran. Als sie anhielten und sich umwandten, war der Bulle, der es auf sie abgesehen hatte, nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Sie zielten alle drei auf die Augen. Dann sprangen sie blitzschnell zur Seite, denn das Tier rannte weiter. Es griff schon nach dem Bayern mit seinem Rüssel, als eine Kugel der Harmonika aus nächster Nähe ihm diesen durchbohrte, so daß er ihn sinken lassen mußte. Gleichzeitig schoß auch die Zitrone wieder, doch traf sie keine empfindliche Stelle.
Allein eine der vorherigen Kugeln mußte das Ungetüm schon tödlich verletzt haben, denn jetzt brach es zusammen mit furchtbarem Krach.
»Is am doch a blaue Bohnen ins Aag g'fohren!« rief der aus höchster Lebensgefahr befreite Vater der Mauleselin: »Aba kloan sans, dö Aagerl vun so an Mordsviech: ma sollt's nit glaaben! Grod do, wo s' tödli z' vawunden san, hamm s' bloß so wunzige Guckerln, g'wiß, daß ma s' recht schwer treffen soll! Dö Spitzbuam!«
Unterdessen waren Peter und Isolde am schlimmsten daran gewesen: ihre Schüsse waren wirkungslos geblieben, und der Elefant erhaschte die unglückliche Zofe mit dem Rüssel, um sie emporzuschleudern.
In diesem Augenblick hatte sich Münchhausen in seinem Baume festgesetzt und hielt Umschau, wem er beistehen könne. Die beiden waren ihm die nächsten und zugleich die am unmittelbarsten Bedrohten. Aber jetzt hätte er unmöglich schießen können, ohne befürchten zu müssen, das Mädchen zu treffen. Er hielt zum mindesten die gute Nachteule für verloren.
Glücklicherweise war es gerade der Elefant, den Abd ul Hagg oder Hamed am Rüssel verwundet hatten. Er schwang zwar sein Opfer empor, doch mit so wenig Kraft, daß der Sturz zur Erde es zwar seiner Sinne beraubte, doch ohne weitere Verletzungen zur Folge zu haben. Das sollte sich freilich erst nachher zeigen. Sobald jedoch Isolde zu Boden flog, konnte der Pascha losdrücken und es glückte ihm auch ein tödlicher Treffer.
Abu Homrah, der der Zofe zu Hilfe gesprungen war, wurde von dem sich wendenden Tiere nicht mehr erreicht: es sank zuvor in die Knie und erhielt in dieser Lage noch einige Wunden durch die Flinten des Vaters der Eselin und des Vaters des Schnupftuchs.
Münchhausen sah sich nun nach dem Professor und dem Baron um, die sich in größter Bedrängnis befanden, während Franzl, die Harmonika und die Zitrone, die inzwischen ihren Sieg erfochten hatten, ihnen zu Hilfe eilten. Das Weibchen, das Steinberg und Rommel verfolgte, war schon mehrfach verwundet, aber noch bei guten Kräften.
Abu el Futha war in der Lage, ihm seine Kugeln in die Seite zu pfeffern; aber damit war nicht viel auszurichten, wenn man nicht das Glück hatte, das Herz zu treffen.
Bei einem verzweifelten Seitensprung kam Abu Haschisch zu Fall, und schon hob der Elefant den Fuß, um ihn zu Brei zu zermalmen, als der in Riesensätzen herbeigesprungene Franzl ihn noch wegzureißen vermochte, während die gleich nachfolgende Zitrone den Ilf aus unmittelbarer Nähe ins Ohr schoß.
Auf der andern Seite stand Rommel ebenfalls hart neben dem Riesen, und schon gesellte sich die Harmonika zu ihm. Auch sie beide konnten dem zu Tode Verwundeten noch wirksame Schüsse beibringen, so daß es mit ihm ebenfalls zu Ende ging ehe er ein Unglück hatte anrichten können.
»Dös is a Jogd g'wesen!« sagte Abu Barlah aufatmend: »Mir hamm dö Elefonterl nit jogen wöllen, nachher hamm sö uns g'jogt, und dös nit schlecht. Is gut gongen, daß nix possiert is: i hob schun g'moant, moan letzts Stünderl hob g'schlogen!«
»Ist wirklich nichts passiert?« fragte der Professor: »Wo steckt denn der Pascha? Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen! Und wie steht es mit Peter und Isolde?«
»Durt san s',« sagte Billinger, sich umwendend: »Und possiert is an nix, so vül i derschau.«
In der Tat war die Zofe wieder zu sich gekommen und stand bereits auf den Füßen. Vom Waldsaum jedoch erschollen jetzt Hilferufe mit Münchhausens Bärenstimme:
»Helfet, rettet! Ich stecke fest! Ich bin in einer scheußlichen Klemme! Meine wohlgezielten Schüsse haben euch allen das Leben gerettet, mindestens zwei der Untiere sind ihnen erlegen, nun lasset mich nicht schnöde umkommen: schon stockt mir der Atem!«
Letzteres schien doch mehr Einbildung; denn als jetzt aller Blicke sich emporrichteten zu dem Baume, von dem die jämmerlichen Rufe erschallten, sahen sie, daß der Körperteil, mit dem der Kapitän eingezwängt fest saß, nicht der Atmung diente.
Abu el Futha hatte sich, wie wir wissen, in der Gabelung des Baumes niedergelassen, die unten ziemlich spitz zulief. Durch sein eigenes Körpergewicht war er nach und nach so tief eingesunken, daß seine Fleischmassen eng und schmerzhaft gepreßt in der rauhen Gabel steckten und er sich trotz aller Anstrengung unmöglich wieder herausheben konnte.
Unverzüglich eilten alle herbei und mußten zuerst lachen, wie sie den Dicken mit so kläglicher Miene dort droben eingeklemmt sahen, eine seltsame Zierde des schlanken Baumes.
»Was fällt Ihnen aber auch ein, Vater des Schnupftuchs!« rief ihm Rommel zu, »sich in die offenen Scheren dieses Riesenkrebses hineinzubegeben? Wie sind Sie überhaupt da hinauf gekommen ohne menschliche Hilfe? Jetzt glaube ich Ihnen selber, was Sie behaupteten, daß auch Nilpferde und Nashörner Bäume erklettern können! Aber ein Mann, wie Sie, sollte den sicheren Erdboden nicht verlassen. Jetzt werden Sie eine Weile Geduld haben müssen, bis Ihre ungeheure Last die Äste derart auseinandergedrückt hat, daß sie rechts und links zu Boden krachen.«
»Sie haben gut lachen!« klagte der Ärmste: »Aber Ihr Spott ist schnöder Undank: um Ihretwillen begab ich mich zwischen diese mörderischen Zangen. Von hier aus habe ich den Elefanten erlegt, der Peter und Isolde zu zermalmen drohte, und auch denjenigen erschossen, der Ihnen und Steinberg beinahe den Garaus gemacht hätte. Jetzt ist es an Ihnen, mir herauszuhelfen; aber etwas plötzlich, sonst werden mir die Knochen zermalmt.«
»Da ist keine Gefahr, die sind zu gut gepolstert. Aber heraushelfen werden wir Ihnen selbstverständlich.«
Es sollte sich jedoch erweisen, daß dies leichter gesagt als getan war. Den Baum ersteigen konnten nur Franz und der Professor: die Mädchen kamen selbstverständlich nicht in Betracht, und der Baron und Grill, nur unvollkommen von ihren Wunden genesen, waren so erschöpft durch den hitzigen Kampf, daß sie dieser Anstrengung nicht mehr gewachsen waren.
Der Bayer war bald oben, zu Häupten des Paschas, und suchte, ihn an den Armen emporzuziehen. Abu Ramleh gelangte mühsam bis an die Gabelung: er umklammerte den Stamm mit den Beinen und strengte sich an, von unten nachzuschieben.
Aber alle Anstrengungen waren vergeblich: der Eingeklemmte saß gar zu fest und hatte ein allzu kolossales Gewicht, als daß die Bemühungen zweier gewöhnlicher Sterblicher auch nur den leisesten Ruck hätten erzielen können.
»Aso geht's nit!« rief Billinger keuchend: »Mir müssen an Herrn Pascha onsoalen: do sans jo Lianen g'nug, wie Botzenstrick.«
So glitten denn die beiden wieder hinab und schnitten vier lange Schlingpflanzen ab, mit denen sich Franzl wieder hinauf begab. Er band sie dem Kapitän an den Kniegelenken und unter den Schultern fest und schlug sie über verschiedene höher gelegene Seitenäste, so daß die Enden bis zum Erdboden herabhingen.
Nun erfaßten die Untenstehenden diese Seile und zogen aus Leibeskräften. Auch Abu Barlah war gleich wieder drunten und half ziehen. An jeder Liane hingen zwei Personen: Die Zitrone und die Harmonika, Peter und Isolde, Rommel und Steinberg; nur an der vierten zog Billinger allein: er war aber auch der stärkste von allen, so daß der Zug ziemlich gleichmäßig war.
»Halt, halt! Ihr reißt mir meine zarten Glieder aus!« schrie der Vater des Schnupftuchs, als er derart emporgezerrt wurde.
»Ausgeschlossen!« beruhigte ihn die Zitrone: »Eher reißen die zarten Stricke, als Ihre soliden Gliedmaßen.«
Sieben meist recht kräftige Personen mußten schließlich sowohl das Gewicht des Paschas als auch die Zwingkraft der Baumgabel überwinden; und doch sahen sie sich genötigt, alle ihre Kräfte aufzubieten: zum Teil hingen sie geradezu an den Ranken. Aber es tat doch einen Ruck: langsam stieg die Körpermasse nach oben, empfindlich gerieben von den sie einengenden Ästen.
Nun ging es immer rascher: Münchhausen schwebte bald so hoch, daß die sich erweiternde Gabelung ihn nicht mehr festhielt, und die Stricke glitten leichter über die Seitenäste.
»Gewonnen, gewonnen!« rief er aufatmend: »Laßt ab, sonst zieht ihr mich so hoch hinauf, daß kein Herunterkommen mehr ist!« Zugleich hielt er sich mit Händen und Füßen vom Stamme ab, um nicht wieder in die entsetzliche Zange zu geraten.
Langsam wurde nachgelassen, und ganz allmählich senkte sich die kugelige Masse hernieder: jetzt schwebte sie nur noch drei Meter über dem Erdboden, jetzt nur noch zwei.
Da rissen die durch die Reibung unter der gewaltigen Last stark durchgescheuerten Ranken, zuerst nur zwei, dann aber gleich auch die beiden andern, die unmöglich das ganze Gewicht allein zu tragen vermochten, nachdem sie schon halb durchgerieben waren.
Das gab einen Plumps! Die Erde erbebte, und erschrocken stoben die drei auseinander, die noch auf den Beinen waren, nämlich Franz, Peter und Rommel: die andern waren bei dem plötzlichen Nachgeben der Stricke, an denen sie mit aller Kraft gezogen hatten, jählings auf den Rücken gefallen und lagen ganz verblüfft umher.
Das bot einen so komischen Anblick, daß die drei Standhafteren, als sie sich von ihrem Schrecken erholten und herzutraten, ein Helles Gelächter nicht unterdrücken konnten.
»Nee! Wie se alle daliejen und strampeln mit die Beene!« rief Grill.
»Stehen S' nur wieda aufi!« mahnte der Bayer: »Oda wollen S' auf am Buckel so weita schwimmen bis ins Laga? Waar nit übel!«
»In der Tat,« fiel der Professor ein: »Wie sie da alle mit den Armen und Beinen in der Luft herumfuchteln, sieht es wahrhaftig aus, wie ein Rückenschwimmen. Allein ich rate Ihnen auch, diesen aussichtslosen Versuch aufzugeben, denn Sie kommen trotz der schönsten Schwimmbewegungen keinen Schritt voran auf dem harten Erdboden.«
Nach und nach faßten sich die Trockenschwimmer alle so weit, daß sie sich wieder aufrichten und auf die Füße kommen konnten. Nur der Pascha, dem alle Glieder weh taten, blieb liegen. Mit vereinten Kräften gelang es jedoch, auch ihn mit der Zeit wieder aufrecht zu stellen.
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Mit dem Rückmarsch ging es jetzt aber ziemlich mühselig: der Kapitän hinkte, Steinberg und Peter waren sehr ermattet und merkten, daß sie eben doch erst Genesende waren, die heute eine Leistung vollbracht hatten, die eigentlich ihre geschwächten Kräfte überstieg.
Die drei Mädchen und der Professor waren immerhin ordentlich müde.
Franzl, als der Rüstigste, wurde vorausgeschickt, um Leute in die Lichtung zu schicken, die das Elfenbein und das beste Fleisch der Elefanten holen sollten, da sie nun doch einmal erlegt waren! Die andern folgten gemächlich nach und brauchten volle vier Stunden zu dem Wege, den sie heute Morgen in zwei Stunden zurückgelegt hatten.
Selbstverständlich hatten sie sich vor dem Abmarsch von dem Kampfplatz mit einem Imbiß aus den mitgenommenen Vorräten gestärkt.
»Nun haben Sie die edlen Ilse, die Sie so großmütig schonen wollten, dennoch gejagt und erlegt!« bemerkte Abu Ramleh zu Abu el Futah während des Rückmarsches.
»Selbst der Tiger krümmt sich, wenn er getreten wird!« erwiderte der Vater des Schnupftuchs mit Würde: »Die Tiere haben ja uns gejagt und erlegen wollen: das allein war ihr Verderben, und ich wasche meine zarten Hände in Unschuld. Ich möchte nur wissen, welche heimtückischen Schleicher die Schüsse abgaben, durch die unsere armen Opfer zum Angriff gereizt wurden!«
»Da hat zweifellos Abd ul Hagg wieder seine Hand im Spiel: vielleicht glaubte er auf diese Weise uns ins Verderben stürzen zu können, nachdem seine andern Anschläge mißlangen. Jedenfalls ist es sehr verdächtig, daß die Schützen, denn mindestens zwei haben gleichzeitig geschossen, sich nicht an der Jagd beteiligten, sondern heimlich entwichen.«
»Sie haben recht: es sieht ganz aus, wie ein heimtückischer Anschlag, und daß der Fakir nicht ehrlich ist, habe ich nun selber gemerkt.«
Bei der Rückkehr ins Lager erfuhren die Mißtrauischen jedoch, daß Mohamed sich überhaupt nicht entfernt habe, Abd ul Hagg und Hamed nur ganz kurz abwesend gewesen und mit Kokosnüssen beladen zurückgekehrt seien, jedenfalls hätten sie sich den ganzen Nachmittag hier befunden. Das wurde allgemein bezeugt, und so blieben die verhängnisvollen Schüsse unaufgeklärt.
Der Fakir und seine Helfershelfer schäumten inzwischen inwendig vor Wut, daß die Deutschen auch diesmal wieder heil davongekommen waren.
Auf die Anstrengungen des heutigen Tages hin wurde noch zwei Tage in der lieblichen Oase gerastet: man hatte ja Zeit, und eine solche seltene Erholungsgelegenheit mußte ausgenützt werden. Große Vorräte von Elefantenfleisch wurden an diesen Tagen gedörrt, die immerhin die Lebensmittelversorgung auf lange Zeit hin sicherstellen halfen.
Nach des Fakirs Karte, die Münchhausen jetzt an sich genommen hatte, ohne daß der Schurke einen Einspruch wagte, lag die Messingstadt genau südwestlich vom nördlichen Ende der Oase und war in dieser Richtung nicht zu verfehlen. Ihre Entfernung konnte noch fünf Tagereisen betragen, eine Kleinigkeit, angesichts der bisherigen Leistungen.
Immerhin war es noch die Frage, ob der Karte hierin volles Vertrauen geschenkt werden könne, und hierüber entspann sich wieder ein kleiner Streit zwischen Münchhausen und Rommel.
»Es freut mich,« sagte der Vater des Sandes, als gleich am ersten Tage der Ritt wieder durch die Sandwüste ging, »daß Sie nun wenigstens anfangen, den Indier zu durchschauen und vor ihm auf der Hut zu sein: das wird es uns erleichtern, seine Spitzbübereien unschädlich zu machen. Ich meinesteils würde ihn gleich selber unschädlich machen und als Gefangenen gebunden mitführen. Aber dazu läßt sich ja Ihr weiches Herz nicht bewegen.
»Daß ich noch immer nicht an das Vorhandensein der Märchenstadt aus Tausend und einer Nacht glauben kann, müssen Sie mir verzeihen.«
»Nein! Das verzeihe ich Ihnen durchaus nicht, trotz meines weichen Herzens,« erwiderte der Pascha lachend: »Die Strafe für Ihre hartnäckigen Zweifel wird Sie ja schon von selber ereilen, wenn Sie sich in wenigen Tagen fürchterlich blamiert sehen.«
»Angenommen, die Stadt wäre tatsächlich irgendwo in diesen Wüsten vorhanden,« begann Abu Ramleh wieder, der nun doch im Geheimen diese Möglichkeit für nicht ganz ausgeschlossen hielt, aber unter keinen Umständen dies eingestanden hätte: »Also, angenommen, es wäre da herum irgend eine alte Ruinenstadt, aus der die Sage eine noch gut erhaltene Stadt von ungeheurer Pracht gemacht hätte, so ist es doch ganz und gar unwahrscheinlich, daß ihre Lage auf des Fakirs Karte richtig angegeben ist, und wir könnten noch monatelang in der Einöde nach ihr suchen müssen, schließlich ohne sie überhaupt zu finden.«
»Aha! Die Möglichkeit ihres Vorhandenseins dämmert Ihnen allmählich doch auf, da wir uns ihr nähern! Aber Ihren neuen Zweifel kann ich nicht gelten lassen, da die Karte sich bisher in allen Punkten als äußerst genau und zuverlässig erwiesen hat.«
»Dies will nichts besagen,« wandte der Professor nochmals ein: »Es ist bei solchen alten Karten geradezu Sitte, daß sie neben durchaus richtigen Angaben völlig aus der Luft gegriffene enthalten: das, was erforscht und bekannt ist, verzeichnen sie mit einer überraschenden Genauigkeit. Daneben machen sie jedoch mit der größten Keckheit Einträge, die auf höchst zweifelhaften Nachrichten, ja, auf bloßen Vermutungen und haltlosen Schätzungen beruhen. Ein solcher Fall dürfte hier zweifellos vorliegen, wenn es sich nicht eben um ein reines Märchen handelt: denn woher sollte der alte Kartenzeichner die genaue Lage einer verlassenen, von niemand besuchten Stadt gekannt haben?«
»Sie vergessen, daß die Stadt durch den Statthalter Musa besucht wurde, dem jedenfalls die Aufzeichnung über ihre Lage zu verdanken ist.«
»Sie werden mir doch nicht zumuten, an dieses Märchen aus Tausend und einer Nacht zu glauben?« rief der Vater des Sandes entrüstet.
»Nun, ich glaube daran!« erwiderte Abu el Futha achselzuckend.
Am Abend des dritten Reisetages wurde ein Nest mit Straußeneiern gefunden, und sogar ein flüchtender Strauß zeigte sich in der Ferne.
Da bemerkte die Zitrone zum Professor: »Das Gelege und dieser Vogel bieten uns doch gewiß die Gewähr, daß sich eine Oase hier ganz in der Nähe befinden muß.«
»Leider täuschen Sie sich hierin,« belehrte sie Rommel: »Der Strauß vermag sich, dank seiner Schnelligkeit, Ausdauer und Fähigkeit, längere Zeit ohne Wasser und Nahrung auszukommen, so weit von seinen Weideplätzen zu entfernen, daß weder seine, noch seiner frischen Eier Anwesenheit ein sicheres Anzeichen für die Nähe bewachsener Gegenden bilden kann. Übrigens, wenn dem auch nicht so wäre, hätten wir doch keinerlei Möglichkeit, festzustellen, in welcher Richtung sein gewöhnlicher Aufenthaltsort zu suchen wäre. Ich meinesteils vermute, daß er aus der großen Oase kommt, die wir vor drei Tagen verließen.«
»Er flüchtete ja aber in der entgegengesetzten Richtung,« wandte die Harmonika ein.
»Tut nichts! Der Strauß gilt als ein dummer Vogel: ich halte ihn für durchaus nicht so einfältig, schon deshalb, weil ein Professor sich von der großen Menge der weniger Gebildeten dadurch unterscheiden muß, daß er andere Ansichten äußert als die landläufigen, die jedes Schulkind haben kann. Jedenfalls steht fest, daß auch jener Riesenvogel nicht so töricht ist, durch die Richtung seiner Flucht seinen Schlupfwinkel zu verraten.«
Baron Steinberg ließ es sich nicht nehmen, einen Versuch zu machen, die Straußeneier nach Münchhausenscher Art am Spieße zu braten.
Der Pascha, den Erfolg voraussehend, wies Franz an, eine Schüssel unterzuhalten.
»Zu aller Vorsicht,« sagte er: »Denn die Sache ist nicht so einfach und erfordert ungeheure Behendigkeit, Kraft und Sicherheit des Stoßes.«
In der Tat zersplitterten die Eierschalen und der Inhalt floß in das bereitgehaltene Gesäß, unter größter Heiterkeit der Zuschauer,
Nun bat Abu Haschisch den Kapitän, ihm das Kunststück doch einmal vorzumachen.
Dieser erwiderte jedoch mit der ernsthaftesten Miene der Welt: »Sie stellen sich durchaus nicht so ungeschickt an, wie ich gedacht hätte, und der Versuch wäre Ihnen unbedingt geglückt, wenn nicht leider die Spitze unseres Bratspießes zu stumpf wäre: es ist ein unbedingtes Erfordernis für das Gelingen des Kunststücks, daß die Spitze haarscharf geschliffen ist, — das versteht sich ja wohl von selbst. Da ist nun nichts zu machen, weil in dieser Wüste kein ordentlicher Schleifstein zu finden ist, und unter diesen Umständen kann auch ich nichts ausrichten.«
Steinberg konnte es jedoch nicht unterlassen, seine Versuche fortzusetzen, bis auch das letzte Ei zersplittert war. Glücklicherweise mangelte es nicht an Elefantenfett, um den köstlichen, ausgelaufenen Inhalt in prächtige Eierkuchen zu verwandeln, die als ausgesuchte und lang entbehrte Leckerbissen das Nachtessen zu einem wahren Festmahl gestalteten.
Am vierten Abend vernahm man plötzlich aus der Ferne im Südwesten wundersame singende Töne.
»Gott sei Dank!« frohlockte die Zofe Isolde: »Da lagern jedenfalls Menschen in der Nähe! Und es scheinen keine räuberischen Beduinen zu sein, sondern gute Leute, sonst würden sie uns nicht mit einer so reizenden Serenade begrüßen.«
»Det stimmt!« ließ sich der Preuße vernehmen: »Wo man singt, da laß dir ruhik nieder: Böse Menschen haben keene Lieder!«
Franzl aber fühlte sich gedrungen, die gebildete Unke zu berichtigen:
»Serenade hoaßt dös nit,« sagte er belehrend: »Dös hoaßt ›Sürenade‹. Dös is nämli wieda etwos aus da Myrtologie, wo dö gebüldetste Wüssenschoft is. Ös do heroben im Preißischen hobt dös nit g'lernt; aba mir Boaern wüssen's vun da Schulen her. Dö Sürenen sans saubere Weibsbülda g'west, durt unten auf oana Ünseln bei Cäcilien, wo dö deutsch Kronprünzeß ihm schnockigen Nomen her hot. Sö san aba berühmt g'wesen vun wegen ihren G'song. Aba dös is fein koan onständigs Sängen g'west, sundan a ganz a schaudahofts Gebrüll, daß oam grod Hören und Sehen vagongen is. Und dö Schüffa, ball sö's g'hört hamm, san vur lauta Entsötzen ins Mör abi g'hupft und san elendiglich vasuffen: dös kannst da fein oanbülden! Denn dö Sürenen vun an Schüff oda vun oana Fabrück und an Automobüll vareißen oam schier gor dö Ohrwoscheln und san doch bloß a schwoche Nochohmung vun den richtigen Süreneng'song.«
»Det muß ja jeradezu jräßlich jeklungen haben!« meinte Peter: »Wenn so een Auto tutet, halte ik mich schonst die Ohren zu.«
»Jo!« fuhr Billinger fort: »Dös kann sö unsaoana gor nit vurstölln, wie schaudahoft daß dö Sürenen g'heult hamm. Do is in da Zeit vun da Myrtologie a berühmta Seefohra g'west: Olüsseß hot a sö g'schrieben. Der selbig is an dö Sürenen ihra Ünsel vurbeig'fohren. Dös is aba a Schlaukopf g'west, a ganz g'riebena. Soane Matrosen hot a dö Ohrwoscheln mit Glosakitt vastopft, daß sö nix hören vun den Mordsgebrüll und am nit in's Mör abihupfen, sunst hätt' a's Nochsehn g'hobt und nit weitafohrn kunnen. Er selba is aba neugieri g'west, wie greulich daß dösa G'song tut, und a bißl a Prohlhons is a eh g'wesen, und hot se hernach berühmen wölln, wie daß er olloan dö berühmten Süreneng'song ong'hört hob, und mit am Leben dovunkummen sei. Drum hot a soane oagnen Ohren nit vakloastert, hat sö aba an Mostbaam festbünden lossen, daß a nit hot abispringen kunnen in's Wossa.«
»Das ist ein gescheiter Mann gewesen!« sprach die Unke anerkennend: »Aber ein Unglück hat es doch gegeben, das sehe ich schon voraus.«
»Nix do, Nochteulen: nix wie folsch prophezein tust! Freili, wie da Olüsseß dös Süreneng'heul hot mitonhörn müssen, hot a ondas zoppelt und strompelt vur Vazweiflung, und soane Matrosen hot a fußfällig beten, daß sö an losbünden, indem, daß dös nimma zum Ausholten waar, und a gleich lieba in's Mör abihupfen möcht' und vasaufen, wie dösan Heidenspektakul länga mitonz'hörn. Aba dö hamm nix g'hört vun soam G'wünsel, vun wegen ihre vakitteten Ohrwoscheln, und so is a mit am Leben dovunkummen. Jetz aba, wann oana soam Diarndl a Ständerl bringt, und so recht saumäßig brüllen tut mit soana Bärenstimm, nachher hoaßt ma dös a ›Sürenoden‹, wos so vül hoaßen soll, wie so a recht schaudahofts Süreneng'heul.«
»Bravo, Franzl!« sagte Professor Rommel, der sich mit dem Pascha, der Zitrone und der Harmonika an dieser »myrtologischen« Belehrung höchlichst ergötzt hatte: »Was jedoch die Töne betrifft, die wir hier vernehmen, so handelt es sich weder um den Gesang guter Menschen, noch um eine Serenade oder Sürenade, wie du sagst, vielmehr vermute ich, daß wir es mit einem sogenannten singenden Berge zu tun haben, wie dem bekannten Berge Jetko in der Oase Bilma. Solche singenden Berge sollen in der Sahara gar keine Seltenheit sein.«
»Ein singender Berg?« fragte Baron Erich verwundert: der Professor war doch ein ernster Gelehrter und gab sich nicht mit scherzhaften Irreführungen ab, wie es Münchhausen zugetraut werden konnte.
»Jawohl, ein singender Berg. Solche Berge lassen nämlich bei der Annäherung einer Karawane seltsame Töne vernehmen. Woher dies kommt, ist noch nicht enträtselt; die Tatsache jedoch kann nicht in Abrede gestellt werden, das steht fest! Nun sehen Sie dort in der Ferne die undeutlichen Umrisse eines Berges: wenn es nicht schon dunkelte, würden Sie ihn bei der Klarheit der Wüstenluft bestimmt als einen solchen erkennen. Ich glaube, daß wir es hier mit einem solchen singenden Berge zu tun haben, der die Ankunft unserer Karawane durch seine eigentümliche Musik anzeigt.«
»In der Tat!« rief die Harmonika: »Dort ist ein Berg, und zwar muß er angesichts seiner bedeutenden Entfernung ziemlich hoch sein. Wir dürfen diesen seit so lange entbehrten Anblick einer wesentlichen Bodenerhebung, die auch die höchsten Sanddünen um das Zehnfache übersteigen dürfte, gewiß als ein günstiges Vorzeichen ansprechen!«
»So fasse auch ich es auf,« erklärte Hussein Pascha: »Ich ahne dort Oasen, Quellen und Wasserläufe, und schlage vor, in der Nachtkühle noch möglichst weit vorwärts zu wandern, damit wir morgen früh bei guter Zeit den Berg erreichen.«
Als den Leuten dieser Beschluß verkündigt wurde, erscholl allgemeine Zustimmung; denn allen erschien der ungewohnte Anblick eines Berges als etwas Verheißungsvolles, so daß alle Müdigkeit vergessen war, zumal die Nachtkühle erfrischend wirkte. Selbst die Kamele schienen von ihrer bisherigen Erschöpfung nichts mehr zu spüren und schritten wieder munterer aus. Ja, mit der Zeit begannen sie eine lebhafte Eile zu entwickeln und mußten mit Gewalt gezügelt werden, als gegen Mitternacht gerastet werden sollte. Auch dieses auffallende Benehmen der Tiere deutete darauf hin, daß sie die Nähe von Wasser witterten.
Es war eine mondhelle Nacht, und man war dem Berge so nahe gekommen, daß man seine dunkle Masse recht handgreiflich vor sich zu sehen glaubte.
Mahmud, der sich ganz besonders scharfer Augen erfreute, sagte gar zu seinem Freunde Franzl: »Mahmud schaut oan Stadt mit Mauern und Turmen: das soan der Messingstadt, dös sagt das Mahmud, und do beißt koan Mauserl oan Faden ab.«
»Wann d's recht host mit doaner Behaaptung,« entgegnete der Bayer, »nachher zohl i da a Moaßerl im Hofbräu, ball mir zwoa mitoanand noch Minken kimmen.«
»Das Mahmud gehen mit das Franzl nach Minken, dös derfst fein glaaben!« erwiderte der Araber: »Hernach das Franzl ihm zohlen zwoa Moaßerl in die Hofbrei, denn dös san der gute Botschaft wert.«
»Moanetholben drei oda viere: dös kimmt am Franzl nit drauf on, und lumpen laßt a sö schun gor nit: om Geld wurd's am eh nit fehlen, wann a soane Henderln Erdbirnen ausbruten loßt und an Oaerstöcklpflonzung onlegt.«
Bald wurde es still im Lager, und alles ergab sich der willkommenen Nachtruhe.
Als aber die Morgensonne die Schläfer weckte, rieben sich alle die Augen: denn im strahlenden Morgenglanze leuchtete ihnen aus der Ferne ein metallischer Schimmer entgegen.
»Die Kupferstadt!« rief Abd ul Hagg triumphierend aus: »Allah, der Allgütige, hat beschlossen, heute die Zweifel der Zweifler zu beschämen, und die Ehrlichkeit seines treuen Dieners allen vor Augen zu führen, die ihn mit falschem Verdachte kränkten!« Diese heuchlerischen Worte machten freilich wenig Eindruck.
Bei der durchsichtigen Klarheit der Wüstenluft, die auch entfernte Gegenstände mit schärfster Deutlichkeit erkennen läßt, bot sich den Reisenden in der Tat ein märchenhaftes Schauspiel. Aber schon so oft waren sie durch herrliche und lockende Luftspiegelungen genarrt worden, daß die meisten zunächst vermuteten, es werde sich wieder um solch eine trügerische Erscheinung handeln. Diese Meinung wurde dadurch bestärkt, daß der Anblick, der sich den staunenden Blicken darbot, alles in Schatten stellte, was irgend einer der Geblendeten je in seinem Leben erschaut hatte. Da nun die wenigsten wußten, daß auch die Fata Morgana nur weit entfernte, aber stets tatsächlich vorhandene Gegenstände zu Gesichte bringt, vielmehr sich einbildeten, es handle sich dabei um Geisterspuk und die Vorspiegelung eines Scheines ohne Wesen, so waren sie geneigt, das seltsam entzückende Bild, das ihnen vor Augen schwebte, für eine solche Täuschung zu halten. Dazu kam, daß die am Boden sich rasch erwärmende Luft in zitternder Bewegung war, so daß es schien, als schwebe das ferne und anscheinend doch so nahe Bild in der Luft.
Was aber war das so Seltsame und Erstaunliche, das alle in Aufregung versetzte?
Zur Seite des schon gestern entdeckten Berges und eine halbe Stunde westlich von ihm, ragte eine gewaltige Stadt empor, selber einem Gebirge gleich. Unabsehbar dehnte sie sich aus, rings umgeben von hohen steinernen Mauern, über deren Zinnen ein Wald von Türmen und Kuppeln herüberschaute.
Einen düstern, drohenden Eindruck machten diese Türme und Wälle, denn sie waren aus glänzend schwarzen Steinen gefügt. Darüber aber flimmerte und schimmerte es in der Morgensonne, daß die Augen von der blitzenden Pracht geblendet wurden.
Es war meist ein grünlicher und bläulicher Metallglanz, unterbrochen von blanken schwarzen Flächen, glatt poliert und, wie sich später bei Betrachtung in der Nähe erwies, mit nur ganz unbedeutenden Spuren von Verwitterung, die da und dort die Marmorplatten rauhten.
Zwischenhinein aber funkelte es rötlich und gelb, wie von gediegenem Gold.
Es war offenbar, daß die Türme und Kuppeln teils aus Kupfer und Messing, teils aus schwarzem Marmor bestanden. Durch die seltenen Niederschläge war das Metall im Laufe der Zeiten mit einer grünen und bläulichen Patina überzogen worden, die bekanntlich sein bester Schutz ist. Stellenweise hatten jedoch das Kupfer und Messing ihren alten Goldglanz bewahrt, sei es, daß die trockene Wüstenluft an geschützteren Stellen ihre jahrhundertelange Erhaltung ermöglichte, sei es, daß die metallenen Dachplatten zum Teil wirklich vergoldet waren.
Die Umwallung und die meisten Türme waren aus schwarzem Marmor erbaut; einzelne aus dem seltenen und prächtigen grünen Marmor, wie er in den Seealpen im Rojatale gefunden wird. Die Wände der herrlichen Paläste, die meist ebenfalls die Ringmauer überragten, waren mit schwarzen und blendend weißen Marmorplatten verkleidet, was ihnen einen ganz eigenartigen Reiz verlieh.
Zu beiden Seiten der Stadt erhoben sich die ehernen Schlösser, die nach dem Märchen in Tausend und einer Nacht aus spanischem Messing bestehen, einem Gemisch von Kupfer und Zink.
Wie im Traum zog die Karawane dieser wahrhaftigen Märchenstadt entgegen; niemand konnte die Augen von dem bezaubernden Bilde wenden, und als es sich zeigte, daß alle diese Wunder starr und unbeweglich verharrten, daß die Formen massiv, unveränderlich blieben und immer deutlichere Einzelheiten offenbarten, je näher man kam — da erst gelangten alle zur Überzeugung, daß kein Wahnbild und auch keine Luftspiegelung sie täuschte, sondern daß die Messingstadt in zweifelloser Wirklichkeit vor ihnen lag.
Da wurde es nach und nach lebendig in der Karawane. Ausrufe des Staunens und der Freude erhoben sich, erst vereinzelt, zuletzt aber zu brausendem Jubel sich vereinigend.
Wenn das feenhafte Schauspiel auch alles andere vergessen ließ, so fanden sich doch auch Anzeichen dafür, daß man hier finden würde, was weit wichtiger war als alle Herrlichkeit, die das Auge blendete, nämlich lebendiges Wasser.
Zahlreich zeigten sich einzelnstehende Ssantakazien ( Acacia, nilotica) in der umgebenden Wüste, Bäume, die an verschütteten Brunnen wachsen, für die sie ein sicheres Anzeichen sind.
Zu seiten der Stadt aber standen Dattel- und Dumpalmen in ganzen Gruppen, dazu noch andere verwilderte fruchttragende Bäume, umgeben von frischen Weidegründen, die das Vorhandensein von sprudelnden Quellen zur Gewißheit machten.
So sehr ihn selber die Neugier antrieb, in die Geheimnisse der wunderbaren Stadt einzudringen, verlor der Pascha doch das Gebot der Zweckmäßigkeit nicht aus den Augen. Er untersagte strengstens das Betreten der Stadt ohne seine Erlaubnis, die erst erfolgen werde, wenn die rechte Zeit dazu gekommen sei.
Vorerst galt es fleißige Arbeit. Das Lager mußte aufgeschlagen werden in der lieblichen Oase zu Füßen der Stadtmauer, an den Ufern eines plätschernden Bächleins, das sich nach kurzem Lauf durch grünes Gefilde draußen im Sande der Wüste verlor. Die Kamele mußten entlastet und getränkt werden, um dann mit zusammengekoppelten Füßen die frische Weide zu genießen. Die Menschen vor allem mußten ihren Durst stillen und ein stärkendes Mahl einnehmen.
Als über dieser Tätigkeit der aufregende Zauber nie geschauter Wunder sich in den Gemütern einigermaßen dämpfte, fühlten auch alle erst wieder das volle Maß ihrer Erschöpfung und Stärkungsbedürftigkeit. Selbst Professor Rommel, dessen Eifer sich nur mit Mühe hatte abhalten lassen, sofort die Stadt zu betreten, mußte jetzt die vorsorgliche Weisheit des Kapitäns anerkennen, als er nach köstlichem Trunke die schmerzenden Glieder im weichen Grase behaglich ausstreckte und sich das rasch bereitete Mahl schmecken ließ.
Ja, die Ruhe tat so wohl und war ein solches Bedürfnis, daß auch nach eingenommenem Imbiß sich zunächst niemand regte: das Ziel war ja erreicht, und die Märchenstadt konnte nicht mehr entlaufen oder in nichts zerrinnen, wie das Bild einer Luftspiegelung. Jeder würde sie noch in aller Muße durchstreifen und bewundern können: wozu also sich übereilen, da die Rast so überaus erquicklich war?
Es war um die Mittagszeit, als das Mahl beendet war.
Münchhausen war der erste, der sich erhob und seinen deutschen Gefährten vorschlug, nunmehr die Stadt zu besichtigen. Als Begleiter wählte er den Indier Abd ul Hagg, der das nächste Recht dazu hatte, ferner Sidi Hamed Ben Abd er Rahman und noch einige Araber. Hadschi Mohamed et Talib sollte inzwischen das Lager beaufsichtigen und das Einsammeln von Brennholz sowie die anderen notwendigen Arbeiten leiten. Morgen würde dann er mit der übrigen Mannschaft an die Reihe kommen, und den ganzen Vormittag in der Messingstadt umherstreifen können.
Unsre Freunde schritten auf ein hohes Tor zu, das aus gediegener Bronze, einer Mischung von Kupfer, Zinn und Blei, bestand. Später erwies sich, daß die Riesenstadt nicht weniger als fünfundzwanzig solcher Tore besaß.
»Nehmts a Loatern mit, und loßt den Fakir, dön Halunken, z'ersten aufikraxeln!« rief Franz Billinger: »Nachher, wann a heroben is, wurd a rufen: ›O, schön!‹ und auf da andan Seiten abispringen: hernach samma an los. Denn daß der no a Schurkerei im Sinn hot, schaut am da Franzl an soane unhoamlich funkelnde Glotzaagen on.«
Das Tor erwies sich jedoch unverschlossen und ließ sich von außen leicht öffnen. Das wurmte den Bayern gewaltig, und er bemerkte mißmutig: »Dös is jetz nit in da Ordnung: olles stimmt auf an Tupfen, wie da Herr Pascha 's uns vurg'lesen hot aus am Märchen vun Tausend und oana Nocht. Und jetz is dös Tor offen, stott daß sö da Abd ul Hagg z'ersten vun da Maua stürzen taat, und hernach da kupfane Wächta an da Brust krotzt werrn muß, wos i schun richti b'surgt hätt'. Der Musa, dösa Dollpotsch, hot vur lauta Heulen und Ohnmächten vagessen, dös Tor wieda zuzusperrn! Dös is a Mordsschlomperei!«
Erwartungsvoll durchschritten unsre Freunde das Tor und betraten die geheimnisvolle Stadt.
Breite, schön angelegte Straßen zogen sich zwischen hohen Gebäuden hin, die fast alle einen palastartigen Eindruck machten. Viele kunstvolle Bildnisse, die teils die Häuser zierten, in erhabener Arbeit aus dem Stein gemeißelt, also sogenannte Hochreliefs, teils als Standbilder die Plätze schmückten, bewiesen, daß die Einwohner dieser Stadt nicht dem Islam gehuldigt hatten, der ja die Nachbildung irgend eines Werkes des ewigen Schöpfers aufs strengste verbietet.
Die Häuser waren fast ausnahmslos sehr gut erhalten und im Innern prächtig ausgestattet, so daß besonders die Zitrone und die Harmonika sowie die Nachteule immer wieder in Ausrufe des Entzückens ausbrachen.
Selbst die Gegenstände des täglichen Gebrauchs waren meist aus Gold und Silber gefertigt und ausgiebig mit Juwelen verziert, ein Beweis, wie fabelhaft reich fast alle Bewohner der Messingstadt gewesen sein mußten. Die Schmuckstücke und Prunksachen wiesen einen ganz eigenartigen, nie gesehenen Kunststil auf, der namentlich Professor Rommel in einen wahren Wonnetaumel versetzte.
»Ich leiste Abbitte!« rief er einmal über das andere aus: »Ich war ein Schafskopf mit meinen Zweifeln: nun sehe ich ein, daß selbst die Märchen aus Tausend und einer Nacht nicht nur höchst glaubwürdig und wahrhaftig sind, sondern noch stark hinter der Wirklichkeit zurückbleiben, weit davon entfernt, zu übertreiben oder gar zu schwindeln!«
Welch unermeßliche Schätze waren hier zu heben, nicht nur für die Wissenschaft! Es war kein Drandenken, daß eine einzelne Karawane auch nur den hundertsten Teil des Kostbarsten und Wertvollsten mitnehmen konnte, obgleich man Spuren sah, daß schon manches, und gewiß nicht das Wertloseste, fortgeschafft worden war, was ja der Bericht aus Tausend und einer Nacht bestätigte.
Der Pascha gab strengsten Befehl, daß vorerst nichts angerührt werden dürfe.
Wenn alles gründlich besichtigt worden sei, solle dann eine sorgfältige Auswahl getroffen werden: jedem Mitglied der Karawane werde dann ein angemessener Anteil an den Kostbarkeiten zugeteilt werden, so daß sie alle als reiche Leute heimkehren würden. Er selber wolle mit dem Professor bestimmen, was wissenschaftlichen Wert besitze, um es der Obhut der ägyptischen und europäischen Sammlungen zuzuführen. Alles andere jedoch solle unverrückt an Ort und Stelle bleiben, so daß bei der ungeheuren Fülle an Kleinodien der Abmangel kaum bemerkbar sein werde.
Über all der Pracht der Messingstadt lagerte aber ein unheimliches Grauen. Nicht nur die Grabesstille, das buchstäblich Ausgestorbene einer äußerlich so lebensvollen, einer so großen Stadt, drückte auf die Gemüter: in den Häusern und aus den Straßen lagen menschliche Skelette und Gebeine umher, hie und da in ganzen Haufen, und deuteten auf ein gräßliches Schicksal hin, das einst die reiche Stadt betroffen und ihre Bewohner, wahrscheinlich in kürzester Frist, sämtlich dahingerafft hatte.
Am wunderbarsten erschien das große Schloß in der Mitte der Stadt, umgeben von ausgedehnten, jetzt völlig verwilderten Gartenanlagen, mit Springbrunnen, Wasserfällen und Bächen: das richtige Dornröschenschloß.
Über dem offenen Tore dieses königlichen Palastes stand eine Inschrift aus Gold- und Azurbuchstaben in unbekannter Schrift und Sprache. Der Professor malte sie sorgfältig ab und hoffte, später feststellen zu können, ob ihr Inhalt mit dem im Märchen angegebenen übereinstimme. Franzl aber rief:
»Jetz gebts fein Obocht! Da Herr Professa schreibt so an Verserl ob vun da menschlichen Vagänglichkoat: hot oana so an stinketen Salmoniak in da Toschen, ball a vur Rührung in an Ohnmacht follt?«
Aber Gerhard Rommel blieb bei voller Besinnung, weshalb ihm der Bayer das Lob erteilte: »Dös loß i ma g'folln! A deitsche Professa is doch koan so olts Weibsbüld nit, wie da orobisch Stottholta.«
Münchhausen jedoch belehrte ihn: »Kunststück! Der Mann der Wissenschaft versteht ja kein Sterbenswort von dem, was er abzeichnet: wie sollte er da in Ohnmacht fallen oder in Tränenströme ausbrechen?«
Die Säle des Schlosses waren mit Silber, Gold und Edelsteinen überreich verziert, vor allem der Thronsaal. Hier standen vor dem Throne die Standbilder mit dem Schwert und der Lanze, genau wie das Märchen sie beschrieb, sowie die goldene Säule, die einen metallenen Vogel mit glänzendem Gefieder trug: auch die strahlende Perle hielt er im Schnabel.
Der Thron selber bestand aus Elfenbein, belegt mit gediegenen Goldplatten und mit Rubinen besetzt. Auf ihm saß ein nacktes Gerippe. War dies das königliche Mädchen mit dem Gewand aus Juwelen, so war das letztere trotz Tausend und eine Nacht doch geraubt worden, ohne daß die metallenen Wächter dem Frevler das Haupt abschlugen und den Leib spalteten.
Selbstverständlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, im Laufe eines einzigen Nachmittages all die Herrlichkeiten der ungeheuren Stadt auch nur flüchtig zu besichtigen. Zu ihrer eingehenden Würdigung waren Tage, ja, Wochen nötig.
Für heute hatten unsere Freunde der Pracht genug geschaut, und erfüllt von staunender Bewunderung solch weltentrückten, nie geahnten Glanzes, verließen sie die Stadt durch ein anderes Tor. Es war dies offenbar das Haupttor, durch welches Musa die Stadt betreten hatte; denn über ihm erhob sich ein kupfernes Reiterstandbild, das im Scheine der untergehenden Sonne goldig leuchtete.
Als die Deutschen nach der Abendmahlzeit gemütlich plaudernd im Grünen lagerten, warf Baron Steinberg die Frage auf: »Wie mag es wohl kommen, daß eine so große und prächtige Stadt verödet liegt, zumal sie keinerlei Zerstörung aufweist, also nicht wohl von Feinden erobert wurde, die einen Teil der Einwohner wegschleppten und die übrigen töteten?«
Der Professor erwiderte: »Es ist klar, daß die kleine Oase, die kaum genügt, unsere Karawane zu unterhalten, für solch eine Riesenstadt nicht ausreichte. Niemals wäre eine solche Stadt überhaupt hier in dieser abgelegenen Wildnis entstanden, wenn nicht ausgedehntes fruchtbares Land rings umher gewesen wäre.
»Daß die Oase vor Zeiten eine große Ausdehnung hatte, beweisen die vielen versiegten und verschütteten Brunnen, an denen nur noch dürftige Ssantakazien wachsen.
»Wir dürfen also annehmen, daß im Laufe der Zeit eine ganze Anzahl von Quellen versandete und die Wüste die Oase derart auffraß, um ein drastisches Bild zu gebrauchen, daß sie den Einwohnern nicht mehr genügend Wasser, Früchte, Getreide und Viehweiden bot. Ähnliches dürfte sich bei anderen Oasen wiederholt haben, die früher an den Karawanenstraßen dieser Stadt lagen und sie mit der Außenwelt verbanden. Manche Oasen sind wohl ganz verschwunden. So ihrer Existenzmittel beraubt und immer größere Schwierigkeiten findend, sich von außen her mit Lebensmitteln zu versehen, werden die meisten Einwohner die Stadt verlassen haben. Dann aber muß ein furchtbares Verhängnis über die Zurückgebliebenen hereingebrochen sein, wie die zahlreichen Gebeine, die umherliegen, beweisen.
»Feinde waren es nicht. Die hätten die Stadt geplündert. Vielleicht war es ein viele Tage lang währender Samum, der auch die letzten Quellen vorübergehend austrocknete; vielleicht auch war es eine schreckliche Seuche, die alles Lebendige vernichtete; denn wären auch nur wenige am Leben geblieben und ausgewandert, sie hätten zweifellos die meisten Kostbarkeiten mitgenommen. Nun aber macht alles den Eindruck, als ob der Tod die Leute ganz plötzlich überfallen und gleich ganze Arbeit gemacht habe, so daß die Wohnungen aussehen, als hätten ihre Inhaber sie nur für kurze Zeit verlassen.«
»Ich, meinesteils,« sagte der Pascha, »bin der Meinung, daß wir auch hierin dem sogenannten Märchen Glauben schenken dürfen, das sich in den meisten seiner Angaben als so durchaus zuverlässig erwiesen hat: die Leute sahen sich dem Hungertode rettungslos preisgegeben und ergaben sich in ihr unvermeidliches Schicksal: als sie das Ende herannahen fühlten, begaben sich einige auf die Straße, andere legten sich zu Bett, wieder andere schmückten sich und setzten sich in einen Sessel, die Königin aber auf ihren Thron, und so erwarteten sie den Tod, der nicht mehr lange säumte, ihren Leiden ein Ende zu machen.«
»Es muß etwas Gräßliches sein,« bemerkte Isolde, »so verhungern zu müssen und keine Aussicht und Hoffnung auf Rettung zu haben! Ich glaube, ich wäre in der Verzweiflung fortgelaufen, so weit mich meine Füße trugen.«
»Vielleicht haben einige auch das getan,« meinte die Harmonika: »Die sind dann eben in der Wüste verschmachtet und der Sand wurde ihr Bahrtuch.«
»Wie reimt sich aber solches Verschmachten mit der herrlichen Oase hier vor der Stadt?« fragte Baronesse Hulda: »Reichte sie auch nicht zur Ernährung aller Einwohner aus, so mußte sie doch einem Teil derselben genügen, um ihr Leben zu fristen, und man sollte meinen, es hätten sich schreckliche Kämpfe entspinnen müssen um die Lebensmittel, die sie bot. Dann wären die überzähligen Esser erschlagen worden und die Sieger hätten ihr Leben erhalten.«
»Wir müssen eben annehmen, daß auch diese Oase zeitweilig verschwunden war,« erklärte Rommel: »Infolge außergewöhnlich anhaltender Dürre versiegte ihr Quell, und alles Pflanzenleben in ihr erstarb, bis der nächste Regen es wieder weckte. Offenbar hat sich damals das Klima verändert: die Messingstadt war reich an Quellen gewesen, und wir sehen heute noch die Spuren der Bachläufe, die sie durchzogen. Damals war hier kein Mangel an Niederschlägen. Dann wurde dies anders: die Regengüsse wurden immer seltener, blieben zuletzt lange Zeit ganz aus, und das Land weit umher wurde zur Wüste.«
Die nächsten Tage wurden einer eingehenderen Erforschung der Stadt gewidmet.
In der Abwesenheit der Europäer aber entfalteten der Indier und seine beiden Mitverschworenen eine rege Tätigkeit, die nichts anderes bezweckte, als die Araber alle zur Empörung gegen die Christenhunde zu bewegen. Es fiel ihnen nicht schwer, den religiösen Fanatismus anzufachen, nur fürchteten die Leute den Pascha als einflußreichen Freund des Vizekönigs. Auch hielten sie fest an ihrem Eid, keine Hand an die Europäer zu legen.
Der Fakir aber versprach, Hussein Pascha unschädlich zu machen.
Eines Tages trat Abd ul Hagg mit geheimnisvoller Miene auf den Kapitän zu. »Ich habe eine wichtige Entdeckung gemacht, o Pascha!« sagte er.
»Und was ist es?« fragte dieser.
»Ich fand ein geheimes Grabgewölbe, dessen Zugang schwer zu entdecken ist, und das Schätze birgt, kostbarer als alles andere in der Stadt, auch Kunstwerke von außergewöhnlicher Schönheit.«
»So zeige mir den Ort!« befahl Münchhausen.
»Das will ich; doch laß uns allein dahin gehen und sorge dafür, daß über die Zeit niemand die Stadt betritt, damit keiner dem Geheimnis auf die Spur kommt. Schon jetzt murren die Leute, daß sie die Paläste nicht plündern dürfen; erschauen sie aber die Kleinodien in jener Gruft, so kannst du sicher sein, daß die Versuchung über alle Bedenken siegt, und sie dir den Gehorsam kündigen. Ich fürchte, es würde eine Meuterei ausbrechen, die für euch Ungläubige lebensgefährlich werden könnte.«
»Nenne uns nicht Ungläubige!« zürnte Abu el Futha: »Wir haben unsern heiligen Glauben und wissen, daß er göttliche Wahrheit ist, besser als der eurige. Doch sehe ich das Vernünftige der von dir empfohlenen Vorsicht ein und werde danach handeln.«
Demgemäß traf der Pascha, der von dem Indier nichts befürchtete, seine Anordnungen und begab sich mit Abd ul Hagg allein in die Stadt.
Nach Verlauf von zwei Stunden erschien der Fakir ohne den Kapitän an einem abgelegenen Tore, in dessen Nähe Hamed Ben Abd er Rahman und Mohamed et Talib bereits seiner harrten.
»Er ist in die Falle gegangen!« rief der Indier triumphierend den beiden zu. »Der Pascha ist wehrlos: nun helfet mir, das Werk vollenden, zu Allahs Ehre und zum Verderben der Ungläubigen!«
»Doch bedenke unsern Eid!« wandte Hadschi Mohamed ein: »Hand an ihn legen dürfen wir keinesfalls: ist er auch ein Ungläubiger, Allah würde uns strafen, wollten wir brechen, was wir bei seinem heiligen Namen feierlich beschworen.«
»Ihr sollt auch keine Hand an sein Leben legen,« erwiderte der Fakir mit hämischem Lachen: »Ich habe ein Mittel ersonnen, ihn unschädlich zu machen, ohne daß wir unsern Schwur verletzen. Ihr sollt mir nur helfen, ihn zu begraben, und ferne sei es von euch, ihm ein tätliches Leid zuzufügen: so wird er diese Stadt der Djinns nicht mehr lebend verlassen.«
Damit führte er die beiden Araber dem Orte des Geheimnisses zu.
Nach kaum einer Stunde erschienen alle drei wieder im Lager.
Nun geberdete sich Abd ul Hagg als der Oberbefehlshaber und fand auch bei sämtlichen Arabern, außer Mahmud, unbedingten Gehorsam: so trefflich hatte er vorgearbeitet.
Sein erstes war, daß er die Deutschen, auch die drei Mädchen, fesseln ließ, die nicht wußten, wie ihnen geschah. Mahmud, der energisch für sie eintrat, wurde ebenfalls gebunden.
»Wo ist der Pascha?« rief der Professor, entrüstet über den meuchlerischen Überfall.
»Ich bin der Pascha,« erwiderte höhnisch der Indier. »Der Kelb ibn Kelb, der sich Pascha nannte, hat dauernden Aufenthalt in der Messingstadt genommen, von deren Wundern er sich nicht mehr trennen mag, und hat mich zu seinem Nachfolger ernannt.«
»Elender Lügner und Verräter,« rief Rommel zähneknirschend. »Ihr habt ihn gemordet!«
»O nein! Wir halten unseren Eid. Allah selber wird ihn richten; wir übergaben ihn dem Gericht des Allmächtigen, der kein Erbarmen haben möge mit der Seele des Ungläubigen.«
»Und was habt ihr mit uns vor?« schrie nun der Baron.
»Habe nur keine Sorge, Abu Haschisch,« sagte der Fakir spöttisch. »Wir haben geschworen, euch nichts zuleide zu tun. Wir wollen euch nur einige Tagereisen weit mitnehmen, so daß ihr sowohl der Messingstadt als der nächsten Oase fern genug seid. Dann geben wir euch frei, und ihr könnt gehen, wohin es euch beliebt, solange eure Beine euch tragen.«
»Schurke, ihr wollt uns verschmachten lassen in der Wüste?« donnerte Abu Ramleh.
»Wenn Allah es so beschlossen hat, was können wir tun gegen seinen unerforschlichen Ratschluß?«
Steinberg verlegte sich nun aufs Bitten und versprach dem Fakir ein reiches Lösegeld.
Der aber verhöhnte ihn nur und sagte: »Reichtümer habe ich genug für mein ganzes Leben; die Messingstadt muß mir ihre Schätze geben. Aber es ist ein Gott wohlgefälliges Werk, die Ungläubigen auszurotten, dadurch verdienen wir uns das Paradies.«
Auch Drohungen mit dem Zorn und der Rache des Khediven fruchteten nichts. Wer hätte Zeugnis abgelegt? Konnten die Europäer nicht den Strapazen und Entbehrungen der Reise erlegen sein, wie die Araber in Ägypten berichten würden? Und was kümmerte sich Abd ul Hagg um den Vizekönig? Er kehrte ja nach Indien zurück.
Am nächsten Tage wurde die Stadt geplündert; die größten Kostbarkeiten aber behielt der Indier für sich.
Nun führte Abd ul Hagg die Karawane wieder in die Wüste hinaus, und zwar in nördlicher Richtung, da er hier am raschesten bewohntes Land zu erreichen hoffte.
Nie kann ein Schurke sich auf die Genossen seiner Schandtaten verlassen: Gewissenlosigkeit kennt keine Treue. Spitzbuben halten solange zusammen, als es ihr selbstsüchtiges Interesse gebietet und als sie Furcht voreinander haben. Im Grunde aber ist jeder des anderen Feind, und wenn einer den anderen im Wege steht, so ist sein Schicksal so gut wie besiegelt.
Das sollte auch der Fakir erfahren; denn schon verschworen sich Sidi Hamed und Hadschi Mohamed gegen denjenigen, dem sie die Beseitigung aller Hindernisse, die Befreiung vom Pascha, die Unschädlichmachung seiner deutschen Gefährten und den Besitz unermeßlicher Reichtümer verdankten. Sie waren wütend, daß er mit ihnen nicht gleich geteilt hatte, sondern den Löwenanteil für sich beanspruchte und in Beschlag nahm.
Da gab es keine billigen Erwägungen: sie erkannten nicht an, daß er es eigentlich war, der allein den Weg zu der kupfernen Stadt gekannt hatte und dem sie überhaupt die Kenntnis von ihr und ihren Schätzen verdankten; sie überlegten nicht, daß ursprünglich nur er vom fernen Indien ausgezogen war, um die Schätze für sich zu heben, von denen er durch seine uralten Bücher Kunde erhalten hatte, daß er sie zu Vertrauten seines Geheimnisses gemacht und ihnen einen Teil der Beute zugesagt hatte, nur weil er ihrer zu bedürfen glaubte, um den Pascha und seine Gefährten unschädlich zu machen; sie berücksichtigten nicht, daß er schließlich auch ohne sie sein Ziel hätte erreichen können und ihre Hilfe, so wie sich die Umstände gestaltet hatten, kaum nötig gehabt hätte: im Notfall hätte er die Dienste jedes anderen Arabers der Karawane leicht erkaufen können. Sie aber hätten ohne ihn überhaupt nichts erreicht noch gewonnen. Endlich: entstammten nicht alle Pläne und Listen zur Erreichung des Zieles lediglich seinem klugen Kopfe? War nicht alles sein eigenstes Werk? Demnach mußte es nur gerecht erscheinen, wenn er, dem allein der Erfolg zu verdanken war, auch größeren Gewinn daraus zog als die Helfershelfer.
Allein, was kümmert sich der Neid um Gerechtigkeit und Billigkeit? So reich sie durch ihn geworden waren, die unersättliche Gier nach noch mehr machte sie zu seinen Todfeinden. Gerade das, was er für sich behalten hatte, erschien ihnen als das Wertvollste und Begehrenswerteste, und darin hatten sie auch recht; denn der Fakir war ein Kenner und wäre töricht gewesen, wenn er seine führende Stellung nicht benutzt hätte, um sich das Kostbarste zu sichern.
Die beiden Verschwörer beschlossen also kurzerhand, den Indier zu ermorden; denn ihm gegenüber band sie kein Eid, und er galt ihnen auch nicht als ein richtiger Gläubiger.
Als die Karawane abends, eine schwache Tagereise von der Messingstadt entfernt, lagerte, erhielten die gebundenen Deutschen kaum einen Bissen zu essen und einen Schluck zu trinken: sie sollten schon durch Hunger und Durst geschwächt sein, wenn man sie in der Wüste aussetzte, damit sie keinesfalls imstande seien, eine rettende Oase zu erreichen. Andererseits durften sie nicht Hungers sterben, solange sie bei ihren Feinden waren: das wäre Mord gewesen und daher ein Eidbruch. Daß die Aussetzung in der Einöde auf das gleiche herauskam, kümmerte die Schurken nicht im geringsten, da sie sich nur an den Buchstaben ihres geleisteten Schwures gebunden hielten.
Gegen Morgen schlichen sich Hamed und Mohamed zum Indier, welcher fest schlief. Während der Hadschi dem Schlummernden ein Tuch in den Mund stopfte, damit er keinen Laut von sich geben könne, stieß ihm Sidi Hamed ein Messer in die Brust. Den zum Tode Verwundeten hielt Mohamed nieder, während sein Mordgeselle ihn gründlich ausplünderte, unter schadenfrohen Hohnreden: »O edler Abd ul Hagg, du strahlende Leuchte Indiens, du Perle des Islams! Da Allahs Güte dich jetzt schon ins Paradies beruft, bedarfst du der nichtigen irdischen Schätze nicht länger, die ein Frommer und Weiser, wie du, überhaupt für nichts achten sollte. Deine unendliche Großmut wird sich freuen, uns, deine getreuen Gefährten, zu deinen Erben einsetzen zu dürfen. Es schmerzt uns tief, von dir scheiden zu müssen, mit dem uns die innigste Freundschaft verbindet. Wenn aber Allah, der Allgütige, bei dem kein Ding unmöglich ist, in seinem unerforschlichen Ratschluß beschlossen haben sollte, daß die Wunde in deinem Herzen heile und du wiedergenesest, um noch länger in dieser elenden Welt der Vergänglichkeit zu wandeln, und deinen Mitmenschen das Vorbild der Tugend und Entsagung zu geben, so mögest du ein Liebling des Glückes werden: mögen tausend und ein Kamel aus deinem Landgute werden, mögen die Wohlgerüche der Rosen und des Jasmins in deinen Gärten niemals zu duften aufhören, und der Gesang Bülbüls in deinen Wäldern nie verstummen!«
Des Indiers wutverzerrte Züge und grimmig rollende Augen bewiesen, daß er den Spott so qualvoll empfand wie die Todeswunde. Dann aber verloren seine Blicke rasch ihren Glanz und erstarrten.
Plötzlich horchten die beiden Araber hoch auf.
War das nicht Pferdegetrappel? Offenbar! Und die Reiter mußten ganz nahe sein; denn im Sande der Wüste hört man den Huf der Rosse nicht weit.
Und da jagten sie schon daher, die Reiter, teils auf Kamelen, teils auf Gäulen.
Es waren ganz unheimliche Gestalten, seltsame Ritter mit geschlossenen Visieren. Die einen waren in Lederpanzer gekleidet, die andern ganz in weiße Tücher gehüllt, die im Mondschein gespenstisch leuchteten. Die Angesichter waren durch einen Gesichtslappen, der unmittelbar unter den Augen begann und aus schwarzem Wollstoff bestand, und durch einen ebensolchen Stirnlappen, der bis zu den Augen herabfiel, vollständig verschleiert, bis auf den schmalen Schlitz zwischen beiden, der nur die Augen frei ließ.
Der Anführer ritt einen schwarzen Hengst, von dessen Rücken ein schwarzer Teppich herabhing, mit einem großen weißen Kreuz in der Mitte; auch seinen Sattel schmückte ein geschnitztes Kreuz.
»Die Christen der Wüste!« stammelte Hamed entsetzt.
»Bei Allah! Die Tuareg!« rief Mohamed erbleichend aus.
Es waren in der Tat Tuareg oder Amoscharh, wie sie sich selber nennen, Wüstenräuber, die weit tapferer und gefürchteter sind als die Beduinen. Jeder hatte an seinem Reittier neben dem Sack mit Lebensmitteln einen leeren Ledersack hängen, bestimmt, die Beute aufzunehmen, auf die er auszog.
Dieses interessanteste, aber auch gefährlichste Volk der Wüste stammt von den alten Libyern und Numidiern ab, und unmittelbar von christlichen Berbern. Es hat jedoch den Islam angenommen, wenn es auch heute noch mit dem Zeichen des Kreuzes prahlt, seinen Gott »Mesiah« und seinen Engel »Anyelus« heißt, und von den Arabern »Die Christen der Wüste« genannt wird.
Schwer bewaffnet waren sie alle: sie trugen Gewehre und drei Meter lange Lanzen mit furchtbaren Widerhaken. Am Sattel hing noch ein kürzerer Wurfspeer.
Hatte der Schrecken den Hadschi und den Scherif aller Überlegung beraubt, oder lagen ihnen die Schätze, die sie durch die Ermordung des Fakirs soeben in ihren alleinigen Besitz gebracht hatten, so sehr am Herzen, daß sie lieber ihr Leben als diese verloren? Kurz, sie waren so wahnsinnig, sich gegen die anstürmenden Tuareg zur Wehr zu setzen: so ereilte sie beide das unvermeidliche Schicksal, durch zwei Lanzenstiche durchbohrt zu werden und ihr Leben aushauchen zu müssen, ehe sie die Früchte ihres Bubenstücks genießen konnten. Die aus dem Schlafe geschreckte Karawane leistete wenig Gegenwehr; wer es tat, wurde niedergemacht, die übrigen wurden gebunden.
Mit Erstaunen entdeckte der Scheich der Tuareg die gefesselten Europäer und Mahmud. Der Professor redete ihn sofort an:
»O großmütiger Scheich, ich bin ein Nemza, ein Deutscher, und meine Begleiter stammen ebenfalls aus Germanistan, bis auf diesen treuen Araber, Mahmud. Man nennt euch die Christen der Wüste, und das Licht des Nachtgestirns enthüllt mir das Zeichen des heiligen Kreuzes auf deiner Satteldecke. Auch wir sind Christen! Beweise deinen Edelmut und gib uns frei, die wir die Opfer eines Bubenstücks sind.«
Der Scheich lächelte nur über dieses naive Ansinnen und entfernte sich, zur Verteilung der Beute.
Wie staunte er, als er die reichen Schätze an Gold und Edelsteinen entdeckte, die bei den Toten und Gefangenen gefunden wurden: solche Beute hätte er wahrhaftig nie erträumt.
Als er erfuhr, daß diese Kleinodien aus der Messingstadt stammten, beschloß er, sich dorthin zu begeben.
Noch nie hatte er seine Raubzüge nach dieser Richtung so weit ausgedehnt, wie diesmal. Dunkle Gerüchte über die Messingstadt gingen auch in seinem Stamme um, aber über ihre Lage war niemand etwas bekannt. Nun war er hocherfreut, von den gefangenen Arabern zu vernehmen, daß die Wunderstadt nur eine schwache Tagereise von hier entfernt sei: das konnte ja für ihn und seine Leute fortan eine Fundgrube unermeßlicher Reichtümer werden, die obendrein ohne Kampf und Gefahr zu gewinnen waren.
Er machte sich sofort auf den Weg. Die Gefangenen wurden mitgeschleppt, die Toten in der Wüste gelassen.
Der Fakir hatte gestern morgen die Richtung nach Westen eingeschlagen, da seine Karte, die er wieder an sich genommen hatte, ihm zeigte, daß er so am bäldesten bewohntes Land erreichen könne, ohne durch lange und lebensgefährliche Durststrecken hindurch zu müssen. Von Westen waren auch die Tuareg gekommen: nun ging es daher nach Osten.
Gegen Mittag kam die Messingstadt in Sicht, die noch vier Stunden entfernt sein mochte.
Nun aber bedurften die Tuareg nach langer Anstrengung und durchwachter Nacht dringend der Ruhe und des Schlafes.
Es zogen sich hier einige hohe Sanddünen durch die Wüste. Zwischen zweien derselben wurde gelagert. Zur Bewachung der Gefangenen wurden zwei Mann aufgestellt; die übrigen legten sich nach kargem Mahl zur Ruhe nieder.
Die Schar war übrigens auffallend klein: im ganzen nur zwölf Mann mit dem Führer. Aber der Targi, wie die Einzahl von Tuareg lautet, ist, wie gesagt, kühn und mutig, sowie vorzüglich bewaffnet, während auch große Karawanen meist wenig kriegerische Leute zählen: so wagte sich dieser besonders tapfere Scheich oft mit wenig Mann auf die größten Unternehmungen, zumal er seine Angriffe auf die Nacht verschob, wo die schlafenden Wüstenreisenden leicht zu überwältigen waren, wenn sie sich auch in stattlicher Übermacht befanden.
Gegen Sonnenuntergang sollte aufgebrochen werden, um noch in der Nacht die Oase vor der Stadt zu erreichen.
Die Gefangenen lagen alle beieinander, wie es sich von selber verstand, schon der leichteren Überwachung wegen. Die Kameltreiber und Aufseher bekundeten eine so lebhafte und aufrichtige Reue über ihr meuterisches Verhalten, daß der gute Professor ihnen Vergebung und Straflosigkeit zusicherte, wenn sie künftig unbedingten Gehorsam leisten und Treue halten würden. Sie waren ja schließlich nur die Verführten, Belogenen und Geschobenen. Sie berichteten nun auch, was sie von den Tuareg erfahren hatten, nämlich daß Hamed und Mohamed neben dem, jedenfalls von ihnen erstochenen Fakir getroffen worden seien, sich zur Wehr gesetzt und ihr Ende gefunden hätten.
»Dö san wohl hin!« brummte Franzl: »Da indisch Tropf hot uns kaput machen wölln: dös is jetz klar wie Wurstbrühen! Den guten Pascha hot a abg'murkst oda oang'sperrt in da Mössingstodt, daß a vahungat und vadurst. Aba frei muß i werrn, bloß daß i an suchen kann. Da Hamed und da Mohamed hamm da Fakir derstochen, vun wegen ihra Hobsucht, daß sö am nix gunnt hamm vun dö g'stohlenen Schätz: dös loßt sö eh z'sommenreimen. Wann s' jetz aa um's Leben kummen san, nachher is dös a göttlichs Strofg'richt, und da Franzl hot nix dagegen, vun wegen, daß sö aa Spitzbuam g'west san, hoallose. I hätt' eahna zwor eahnda an Orden geben vur dös, daß sö uns vun dön indischen Holunken b'freit hamm, — drum bin holt i a sündiga Mensch und nit unsa Herrgott!«
»Heute Nacht,« flüsterte die Harmonika eifrig, »wenn wir in der Oase vor der Messingstadt lagern, wo die Tuareg zweifellos Rast halten, befreie ich mich; und dann mache ich euch alle frei. Ich wollte dies schon letzte Nacht tun, da erschienen jedoch die neuen Räuber, als ich eben ans Werk gehen wollte.«
Das war doch eine Aussicht! Vielleicht ließen sich dann die Feinde ohne große Mühe überwältigen, mit Hilfe der ebenfalls entfesselten Araber.
Die Wachen wurden abgelöst, und zwei Stunden darauf erfolgte der Aufbruch, noch vor Sonnenuntergang.
Um Mitternacht wurde die Oase erreicht, und die Tuareg legten sich wieder zum Schlafe nieder, bis auf zwei Wächter für die Gefangenen.
Bald herrschte tiefste Stille im Lager, und die Harmonika machte sich mit aller Vorsicht an ihr Befreiungswerk, ohne zu ahnen, was in ihrem Rücken vorging.
Während die Tuareg mit ihren Gefangenen noch am Nachmittage in der Wüste lagerten, kamen sieben Kamelreiter durch die Wüste gezogen, und zwar von Westen nach Osten, geradeswegs auf die Messingstadt zu, von der sie freilich bis heute morgen keine Ahnung gehabt hatten.
Die Männer waren Flüchtlinge aus der französischen Fremdenlegion in Algier. Die Umstände hatten sie veranlaßt, diesen gefahrvollen Weg einzuschlagen, auf dem sie wenigstens vor ihren Verfolgern sicher waren, die sie mehr fürchteten als die Schrecken der Wüste.
Ihr Anführer war Leutnant Otto von Helling. Vier seiner Begleiter waren Deutsche: Heinrich Müller, ein Preuße, Paul Stängle, ein Schwabe, Max Staibacher, ein Bayer, und Louis Bader, ein Elsäßer. Der sechste in der Gesellschaft stammte aus Oberitalien und nannte sich Carlo Boretti, und der siebente war ein Pole, Nepomuk Leczinski.
Die Flüchtlinge befanden sich zur Zeit in höchster Not. Schon über zwei Wochen hatten sie ihre Kamele nicht mehr tränken können und sich selber mit einem höchst ungenügenden täglichen Trunk begnügen müssen. Jetzt war jedoch ihr letzter Wasservorrat erschöpft, und sie waren dem Verdursten nahe.
Nun hatten sie heute morgen von ferne die Messingstadt entdeckt und ritten auf sie zu, in der Hoffnung, hier endlich eine rettende Quelle zu finden.
Diese ausgedehnte Stadt mitten in einer öden, unbekannten Wüste war ihnen freilich ein Rätsel: nie hatten sie von einer menschlichen Ansiedelung gehört, die sich in diesen weltverlassenen Gegenden befinde. Was man durch das Fernrohr hatte erkennen können, machte durchaus nicht den Eindruck des Verfalls, so daß sie annehmen mußten, es handle sich um eine bewohnte Anlage. Wer aber konnte hier wohnen? Doch wohl nur Tuareg oder sonstige Wüstenräuber, obgleich diese nicht in wohlgebauten Städten zu Hausen pflegen. Etwas Märchenhaftes, sogar Unheimliches hatte dieses Wunder der Wüste jedenfalls für die Ankömmlinge. Aber Wasser mußten sie haben, wenn sie nicht binnen kurzem zugrunde gehen sollten: darum galt es, auf dies Ziel loszusteuern.
Leutnant Helling war ein gewiegter und vorsichtiger Mann: er rechnete damit, daß sie in den vermutlichen Bewohnern der Stadt Feinde finden könnten, und ehe er hierüber Gewißheit hatte, wollte er seine kleine Schar keiner Gefahr aussetzen.
Als daher der bisher ebene Sandboden in der Nähe der geheimnisvollen Stadt einen hügeligen Charakter annahm, sandte er stets den gewandten Schwaben Paul Stängle voraus, der abstieg und kriechend den nächsten Dünenkamm erkletterte, um über dessen Scheitel unbemerkt das dahinterliegende Dünental überblicken zu können.
So entdeckte Stängle in einem dieser Einschnitte die lagernden Tuareg mit ihren Gefangenen.
Helling beschloß sofort, einen Befreiungsversuch zu unternehmen, wollte jedoch, um des Gelingens sicherer zu sein, das Dunkel der Nacht abwarten, ehe er den Überfall wagte.
Gegen Abend brachen die Tuareg auf und näherten sich der Stadt, vor deren Mauern sie lagerten. Das konnte der Leutnant, vorsichtig ausspähend, durch sein Fernglas beobachten.
So wie es dunkelte, schlug er mit seinen Leuten den gleichen Weg ein und erreichte die Oase, wo die Kamele festgebunden wurden, worauf die sieben Männer kriechend vordrangen, bis sie das Lager zu überblicken vermochten. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung sahen sie, daß die Gefangenen, Weiße und Araber, sich bereits selber befreit hatten, und sich im Kampf mit den wenigen Tuareg befanden, von denen sie gefangen gehalten worden waren.
Flüsternd gab Helling seinen Kameraden rasch die nötigen Anweisungen. Gleich darauf blitzten ihre Gewehre auf und fünf der Tuareg fielen, schwer getroffen, zu Boden.
Was war inzwischen mit unseren Freunden vorgegangen, und wie hatten sie sich entfesseln können, um den Kampf aufzunehmen?
Das war folgendermaßen zugegangen:
Die Harmonika hatte im Lager ihre Hände befreit, auf die Art, die wir schon kennen. Dann wartete sie noch geduldig bis alle, außer den Wächtern, in tiefen Schlaf versunken waren. Als sie glaubte, dessen versichert sein zu dürfen, löste sie mit äußerster Vorsicht Franzls und Rommels Bande, da diese beiden ihr zur Rechten und Linken lagen.
Die Befreiten leisteten dann den gleichen Dienst ihren Nachbarn, und alles geschah so geräuschlos und anscheinend unbeweglich, daß die Wächter, die sich von derartigen Vorgängen nichts träumen ließen, völlig arglos blieben.
Jetzt galt es, die Wachmänner möglichst plötzlich zu überrumpeln und am Lautgeben zu verhindern. Peter und Franzl waren zu dieser Aufgabe ausersehen, da die beiden Tuareg zu beiden Enden der Gefangenenreihe ihnen zunächst hockten, wobei es noch besonders vorteilhaft war, daß eben sie schon Übung in solchen Überfällen hatten von dem ersten Beduinenüberfalle her.
Äußerst ungünstig jedoch war der leidige Umstand, daß sie die Männer in ihrem Rücken hatten, und dann sind Tuareg eben durchaus keine Beduinen: das sollten sie bald zu ihrem Schaden erfahren.
Der Preuße und der Bayer sprangen gleichzeitig auf, wandten sich und stürzten auf die Verblüfften zu, die aber ihre Geistesgegenwart durchaus nicht verloren. Sie sprangen ebenfalls sofort auf mit einem hellen Schrei, der die Schläfer augenblicklich weckte. Zugleich schwangen sie ihre furchtbaren Lanzen, um die waffenlosen Angreifer zu durchbohren.
Billinger war der Lage gewachsen: blitzschnell hatte er die ihm entgegengezückte Lanze ergriffen, und, ungeachtet, daß ihm die Widerhaken die Hände verwundeten, riß er sie mit gewaltigem Rucke an sich. Der Targi hatte ein solch kühnes Wagnis so wenig erwartet, daß ihm der Schaft wirklich entglitt. Aber auch diese überraschende Entwaffnung konnte den Mann nicht aus der Fassung bringen: in der nächsten Sekunde schon hatte er sein Gewehr angelegt.
Hier galt es kein Besinnen: Abu Barlah mußte seinen Gegner sofort mit der erbeuteten Lanze durchbohren, wenn er nicht selber im nächsten Augenblick eine Leiche sein sollte. Sein Stoß war so wohlgezielt und kräftig, daß der Wächter leblos zu Boden fiel.
Ohne Zögern entriß ihm Franz das Gewehr und wandte sich dem Lager zu: es war die höchste Zeit; denn schon stürmte der Scheich auf ihn ein und sandte ihm zunächst seinen Wurfspeer, dem der Bedrohte gerade noch durch einen Seitensprung ausweichen konnte. Inzwischen war der Feind so nahe gekommen, daß er seine Lanze auf Abu Barlah zücken konnte: da aber traf ihn dessen Kugel und machte auch seinem Leben ein rasches Ende.
Unterdessen wäre es Peter beinahe übel ergangen. Auch gegen ihn schwang der unversehens überfallene Wächter die Lanze und hätte ihn unfehlbar durchbohrt. Da, im Augenblicke dringendster Gefahr, fiel ein Schuß und der Speerschwinger stürzte nieder, in den Rücken getroffen.
Die befreiten Gefangenen waren alle aufgesprungen: allein sie hatten keine Waffen. Trotzdem kam ihnen so ziemlich allen der Gedanke: sie waren über hundert gegen neun, wenn auch wohlbewaffnete Feinde. Es mußte ihnen unbedingt gelingen, diese zu überwältigen, wenn auch mancher dabei sein Leben einbüßen würde. So stürzten sie den Tuareg entgegen, die ihrerseits auf sie eindrangen.
Ehe es jedoch zum Handgemenge kam, knatterte eine richtige Salve und fünf der Amoscharh, wie sie sich selber nennen, fielen schwergetroffen zu Boden.
Inzwischen hatte auch Peter so viel Vernunft gezeigt, daß er dem toten Wächter zu seinen Füßen die Büchse abnahm, mit der er einen Mann niederstreckte, der sich ihm zugewandt hatte.
Die drei übrigen wurden von den Kameltreibern umzingelt, ihrer Waffen beraubt und mit denselben niedergestoßen. So weit kam es freilich erst, nachdem nicht weniger als fünf Araber durch Lanzenstiche getötet und drei verwundet worden waren. Von den letzteren erlag einer in der Folge seinen schweren Verletzungen, die beiden andern genasen.
Die Deutschen, außer Peter und Franz, waren gar nicht mehr zur Beteiligung am Kampfe gekommen, weil die Kameltreiber den Tuareg näher standen und die drei Mann, die bei Beginn des Handgemenges allein noch am Leben waren, unverzüglich in die Mitte genommen hatten.
So waren die Wüstenräuber bis auf den letzten Mann aufgerieben, und keiner konnte die Nachricht von der Auffindung der schätzereichen Messingstadt seinem Stamme überbringen.
Unsern Freunden tat es aufrichtig leid, daß ihre Befreiung soviel Menschenleben gekostet hatte, wenn es auch in der Hauptsache räuberische Gesellen waren, denen es unter Umständen auf Mord und auch Massenmord nicht ankam: aber da war nun nichts zu machen: ihr eigenes Leben und das ihrer Gefährten hatte, so wie sich die Dinge entwickelten, nicht anders gerettet werden können. Ihr Gewissen konnte ihnen auch bezeugen, daß keiner von ihnen ohne dringendste Not einen Gegner angegriffen hatte und daß die Haupthilfe ihnen auf ganz rätselhafte Weise von unbekannter Seite her gekommen war.
Nach diesen geheimnisvollen Helfern sahen sich alle um, nachdem binnen wenigen Minuten die ganze blutige Schlacht ihr Ende gefunden hatte.
Da tauchten sie auch auf, hinter den Bäumen im Hintergrund vortretend: sieben Mann mit Gewehren bewaffnet.
Ihr Anführer trat auf die Deutschen zu und wandte sich an Rommel, den er mit Recht für das Haupt der kleinen Gesellschaft ansah. Denn nach dem Verschwinden des Paschas erkannten die andern stillschweigend den Professor als ihren Befehlshaber an: sonst konnte ja niemand in Betracht kommen.
»Ich danke Gott,« sagte Helling, »daß er uns gerade zur rechten Zeit zur Stelle kommen ließ, um Ihnen bei ihrem gefahrvollen Befreiungsversuch wirksamen Beistand leisten zu können. Wir hatten in der Wüste erkundet, daß die Tuareg Sie gefangen hielten, und erkannten Sie als Landsleute, denn auch wir sind alle Deutsche, bis aus einen italienischen Kameraden. Wir folgten Ihnen, sobald es dunkel wurde, mit der Absicht, einen Befreiungsversuch zu unternehmen, und fanden bei unserer Ankunft in der Oase zu unserem Erstaunen, daß Sie schon selber am Werke waren, sich frei zu machen. Immerhin konnten wir gerade noch mit einigen wohlgezielten Schüssen eingreifen und dadurch wohl größere Verluste auf Ihrer Seite verhindern, da Sie waffenlos waren.«
Alle sprachen den edelmütigen Rettern ihren wärmsten Dank aus. Die Harmonika fügte, zu Helling gewandt, noch hinzu: »Denken Sie sich: ich hatte eine Ahnung, daß sich eine Schar dieser Oase nahte; denn gegen Mitternacht begann der Berg im Osten ganz leise zu singen, und das soll ein sicheres Anzeichen für das Nahen einer Karawane sein.«
»Jetzt kann ich mir auch die rätselhafte Wolke erklären,« sagte Rommel, »die um die gleiche Zeit aufstieg und eine Weile den Mond verfinsterte. Wolken sind hier eine so überaus seltene Erscheinung, die oft jahrelang nicht zu beobachten ist, daß ich mich höchlichst über sie verwunderte. Nun soll es aber vorkommen, daß bei der Annäherung einer Schar von Menschen, je nach ihrer Zahl, eine größere oder kleinere Wolke einherzieht, und so wollte gewiß auch dieses Phänomen ihre Ankunft vorausverkündigen.«
Die Mitglieder der beiden Gesellschaften stellten sich jetzt einander gegenseitig vor, und Billinger war besonders erfreut, in Max Staibacher einen engeren Landsmann zu erkennen, wie sich Peter freute, daß auch ein Preuße, Heinrich Müller, sich unter den Ankömmlingen befand.
Gleich beim Betreten der Oase hatten die Fremdenlegionäre im Bache ihren rasenden Durst stillen können, was ihnen neue Kräfte für den bevorstehenden Kampf gab. Jetzt löschten sie erneut ihren Durst. Zugleich wurden einige Araber ausgesandt, ihre zurückgelassenen Kamele zu holen und zu tränken. Dann gab man sich noch einige Stunden dem Schlafe hin. Am nächsten Morgen wurden zunächst die gegenseitigen Erlebnisse ausgetauscht.
Als Helling von dem Verschwinden des Paschas vernahm, und daß seine neuen Freunde entschlossen waren, die ganze Stadt nach seinem Verbleib zu durchforschen, erklärte er, sich mit den Seinigen an diesen Nachforschungen beteiligen zu wollen. Sie bedürften ja so wie so mehrere Tage der Erholung nach ihren letzten Leiden und Mühsalen, und dazu sei eben dieser Ort mit seinem Reichtum an Wasser und Früchten vorzüglich geeignet. Sodann wäre es Torheit für beide Teile, wenn sie sich inmitten gefahrvoller Wüsteneien wieder voneinander trennen wollten: zu ihrem beiderseitigen Heil hatte Gott sie zusammengeführt, nun wollten sie auch beieinander bleiben. Endlich habe des Paschas rätselvolles Schicksal ihre ganze Teilnahme erweckt, und sie wollten tun, was in ihren Kräften liege, um es aufzuhellen.
Rommel und die Seinigen konnten sich dieses Entschlusses selbstverständlich nur freuen und die Hilfe dankbar annehmen.
Sie suchten sich nun ein geeignetes Gebäude in der Messingstadt aus, das die Weißen bezogen, während die Araber in benachbarten Häusern Unterkunft fanden.
Von hieraus sollte dann die gründlichste Suche nach dem verschwundenen Kapitän unternommen werden.
Und alle gelobten sich, nicht zu rasten, noch diese unheimliche Stätte zu verlassen, bis sie ihre Aufgabe gelöst und den Pascha gefunden hätten, — tot oder lebendig!
Zunächst möchte ich für diejenigen Leser, die sich für das Schicksal Kapitän Münchhausens oder Hussein Paschas interessieren, bemerken, daß die Erzählung »Die Fremdenlegionäre« alle weiteren Aufschlüsse bringt, zugleich mit den Abenteuern Hellings und seiner Begleiter bei ihrer Flucht aus der Legion und auf der Weiterreise von der Messingstadt nach dem Tsadsee. Dabei werden wir auch erfahren, was unsere Freunde aus »Die Flucht aus dem Sudan« in ihrem schwarzen Paradiese ausgerichtet haben.
Was nun »Die Messingstadt« betrifft, so mag vielleicht mancher Leser sie für ein Phantasiegebilde halten, oder ihr Vorhandensein stark in Zweifel ziehen. Solche befinden sich jedoch im Irrtum.
Ich las vor langen Jahren das Märchen »Von der Messingnen Stadt« in Tausend und einer Nacht mit lebhaftem Interesse. Doch hielt ich es eben für ein Märchen und nie wäre mir der Gedanke gekommen, es zum Gegenstand einer Erzählung zu machen. Da sandte mir ein Freund eines Tages einige Zeitungsausschnitte zu, von denen er mit Recht glaubte, daß sie mich interessierten. Leider hatte er es versäumt, aus den Ausschnitten zu vermerken, welchen Blättern sie entnommen und wann sie erschienen waren.
Auf einem dieser Zettel fand ich nun folgende überraschende Nachricht:
»kf (Die »Kupferne Stadt« in der Sahara.) Unter der Leitung des amerikanischen Ägyptologen Dow Covington (Kairo) ist gegenwärtig eine Expedition nach dem Herzen der Sahara unterwegs, die die »Kupferne Stadt« aufsuchen und erforschen will. Wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht (das ist es ja auch tatsächlich! Fr. W. M.) klingen die Berichte über die rätselhafte, seit vielen Jahrhunderten noch von keinem Menschen betretene Stadt, die im vergangenen Winter nach einem Bericht der Egyptian Gazette in Alexandria nach Kairo gelangt sind. Niemand wollte zuerst den Senussi-Arabern glauben, die durch einen Zufall in jene Gegend verschlagen worden waren, welche seitab von allen Karawanenstraßen liegt; erst verschiedene Gegenstände, die sie aus der kupfernen Stadt mitgebracht hatten, ließen ihre Schilderungen als glaubwürdig erscheinen. Besondere Kundschafter, die Dow Covington dann ausschickte, sollen dann die Angaben der Senussi-Araber bestätigt haben. Die Araber, die mit einer Karawane vom Hinterlande von Tripolis aus den Nil erreichen wollten, wurden überfallen und mußten fliehen; hiebei gelangten einige von ihnen sehr weit nach Süden, in eine Gegend, die nicht die geringste Spur von menschlichen Bewohnern zeigte; nicht eine einzige Karawanenstraße durchzog die sandige Wüste. Hier erblickten sie plötzlich, als sie schon dem Verdursten nahe waren, die Kuppeln und Türme einer Stadt. Anfangs glaubten sie, Opfer einer Fata Morgana zu sein, bald aber konnten sie sich durch den Augenschein überzeugen, daß sie eine kupferne Stadt vor sich hatten, die seit Jahrhunderten verlassen zu sein schien. Das Kupfer war dank der trockenen Wüstenluft ausgezeichnet erhalten, wie auch die Gegenstände bewiesen, die sie mit nach Ägypten gebracht haben. Die Ägyptologen rechnen natürlich (!) damit, daß die Angaben etwas übertrieben sind; jedoch handelt es sich diesmal augenscheinlich ... (hier sind drei oder vier Wörter weggeschnitten) ... -dene Berichte von Schätzen, die in der Wüste schlummern, wie sie die Araber sonst gern zu erzählen pflegen. Überdies haben die Ägyptologen einen Anhalt für das tatsächliche Vorhandensein der Kupferstadt in einigen alten Manuskripten. Sie nehmen an, daß der Tempel in der Stadt ptolomäischen Ursprungs ist. Glaubwürdig ist auch die Angabe, daß die Stadt viele kupferne Gräber und Bronzetüren enthalte, sowie der Bericht von einer Gruppe von Gräbern, die nur wenige Stunden von der Stadt entfernt sein sollen.«
Soweit dieser merkwürdige Ausschnitt, der jedenfalls beweist, daß nicht einmal die Märchen aus Tausend und einer Nacht völlig aus der Luft gegriffen sind. Dieser kleine Zettel ist es, dem vorliegende Erzählung ihre Entstehung verdankt.
Die vorangestellten Buchstaben bedeuten die Abkürzung, unter welcher das betreffende Werk in den Einzelnachweisen angeführt wird.
1. A. = Afrika in Wort und Bild. Calw und Stuttgart, Verlag der Vereinsbuchhandlung. 414 S.
2. B. = Bädeker: Ägypten (Reisehandbuch). 6. Aufl. 1906.
3. E. R. = Erwin Rosen: In der Fremdenlegion. 7. Aufl. Stuttgart, Robert Lutz, 1909. 317 S.
4. G. R. a. = Gerhard Rohlfs: Von Tripolis nach Alexandrien. Bremen, J. Kühtmann, 1871. Bd. I: 197 S. Bd. II: 148 S.
5. G. R. b. = Gerhard Rohlfs: Drei Monate in der Libyschen Wüste. Kassel, Theodor Fischer, 1875. 340 S.
6. H. B. = Dr. Heinrich Barth: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Centralafrika in den Jahren 1849-1855. Gotha, Justus Perthes, 1857. Bd. I: 622 S. Bd. II: 755 S. Bd. III: 584 S. Bd. IV: 671 S. Bd. V: 734 S.
7. H. M. a. = Heinrich Freiherr von Maltzan: Drei Jahre im Nordwesten von Afrika. Reisen in Algerien und Marokko. Leipzig, Dürr, 1868. Bd. I: 285 S. Bd. II: 314 S. Bd. III: 314 S. Bd. IV: 304 S.
8. H. M. b. = Heinrich Freiherr von Maltzan: Reise in den Regentschaften Tunis und Tripolis. Leipzig, Dyk, 1870. Bd. III: 374 S.
9. H. M. c. = Heinrich Freiherr von Maltzan: Sittenbilder aus Tunis und Algerien. Leipzig, Dyk, 1869. 452 S.
10. J. = Dr. Wilh. Junker: Im Sudan, in der libyschen Wüste und an den Quellen des Nils. Reisen 1875-1878. Leipzig, Fock, 1889. 585 S.
11. K. = Dr. J. L. Krapf: Reisen in Ostafrika, ausgeführt in den Jahren 1837-1855. Kornthal, 1858. Bd. I: 505 S. Bd. II: 521 S.
12. L.S. = Erzherzog Ludwig Salvator: Eine Yachtreise an den Küsten von Tripolitanien und Tunesien. Würzburg, Wörl, 1874. 376 S.
13. N. = C. Ninck: Auf Biblischen Pfaden. Reisebilder aus Ägypten, Palästina, Syrien, Kleinasten, Griechenland und der Türkei. Hamburg, Verlag der Expedition des »Deutschen Kinderfreundes«, 1886. 436 S.
14. = Verschiedene Abhandlungen aus Zeitungen und Zeitschriften.
Um an Raum zu sparen, gebe ich da, wo die Belegstellen besonders zahlreich und von geringerer Bedeutung sind, nicht alle an, sondern deute ihre Fülle durch ein »&« an. In fast allen diesen Fällen kann man die weiteren Belegstellen in meinen andern Büchern aufgezählt finden, soweit dort die gleichen Quellen auftreten.
Kap. 1. — Bab = Tor: L.S. 305. 334. — Bab el Attabeg: B.— Schergi, Schirg-Araber: G. R. b. 62/64. — Sidi = Herr: H. M. a. II: 177. — Scherif: H. M. a. I: 264/265. — Henna, Hennafärbung: E. R. 78. H. M. c. 418 (orangerötlich). H. M. a. I. 97/98. — Hadschi: H. M. a. I. 85. — Gharb-Araber: G. R. b 62/64. — Kalifengräber, Grabmal des Sultans Barkuk: B. 101/103. N. 63/64. — Kafir, Kafer, Giaur: H. M. a. I. 103. H. B. I. 63. — Rumih: E. R. 120. H. M. a. I. 103. — Nemza: J. 29. — Christen und Kuhmist: H. M. b. III. 314. — Der Khedive Taufik setzt sich über das Bilderverbot hinweg: G. R. b. 11, Anmkg. — Unterschlagungen der Beamten: G. R. b. 16. 17. 19. &. — Die Messingstadt: siehe unter Kap. 32/33.
Kap. 2. — Dattelpalmen: G. R. b. 235. & L. S. 50. 119. 122. 250. H. B. I. 16. 20. 21. &. — Orangen: G. R. b. 235. L. S. 122. 206. 250. 365. &. — Limonen: G. R. b. 235. (sonst unter »Zitronen«). — Zitronen: G. R. b. 235. L. S. 50. 250. 349. 365. H. B. II. 68. IV. 80. &. — Aprikosen: G. R. b. 235. L. S. 50. 197 (»Mischmisch«). 206. 250. 251. 313. 360. H. M. b. III. 65. H. B. I. 36. &. — Pfirsiche: L. S. 250. 251. H. M. b. III. 65. — Mandeln: L. S. 50. 206. 250. 364. 370. H. M. b. III. 65. — Granatäpfel: G. R. b. 235. L. S. 119. 206. 249. 350. 360. H. B. I. 36. &. — Maulbeeren: G. R. b. 235. L. S. 122. 361. 364. — Pistazien: H. M. c. 438. H. M. b. III. 65. H. B. I. 105. — Japanische Mispel: L. S. 250. — Feigen: G. R. b. 235. L. S. 50. 122. 250. 329. 360. 365. 367. H. M. b. III. 65. H. B. I. 33. &. — Äpfel: L. S. 50. 206. 250. 313. — Oliven, Ölbäume: G. R. b. 235. L. S. 50. 119. 122. 206. 275. 287. 314. 329. 333. 349. 353. 361. 365. 372. H. M. o. 438. E. R. 77. H. B. 1. 4. 21. 47. 50. 95. V. 449. L. — Karuben (Johannisbrot): L.S. 50. 360. 364. 365. — Wacholder: H. M. o. 438. L. — Rizinus: G. R. b. 237. L.S. 118. 122. — Opuntie (Feigenkaktus): G. R. b. 235. (Stachelfeige). L.S. 118. 249. 287. 360. 361. 372. H. M. a. I. 205. (Kaktus- oder Christenfeige). H. M. b. III. 65. — Aloe: G. R. b. 237. — Oleander: L.S. 333. 365. 370. 372. H. M. o. 438. — Reben: H. M. b. III. 65. L.S. 50. 250. — Pfeffer: L.S. 206. 249. G. R. b. 237. H. B. III. 341. IV. 72. 88. V. 31. 304. — Kastanien: H. M. a. II. 218. — Fächerpalme: H. B. I. 425. 588. II. 34. III. 154. 251. IV. 67.
Kap. 4. — Einrichtung und Verproviantierung des vizeköniglichen Nildampfers: G. R. b. 18/19. — Betrügereien: G. R. b. 16. 17. 19. — Scheitan: I. 29/30, Anmkg. — Siut: G. R. b. 27.
Kap. 5. — Tomaten: G. R. b. 237. — Durrah ( Sorghum vulgare Gerste): G. R. b. 236. I. 23. H.B. I. 107. L. — Duchn (Negerhirse, Penicillaria, spicata): G. R. b. 236. &. — Reis: G. R. b. 221. 236. H.B.I. 433. &. — Dumpalmen: G. R. b. 123. H. B. I. 26. 581. II. 34. &. — Wüste (in diesem und in allen andern Kapiteln), Wüstenvegetation: G. R. b. 100. Steppenähnliche Steinwüste, Sandwüste, Charakter der verschiedenen Wüstengegenden: G. R. a. II. 67/71. 74/84. G. R. b. 73. 159. H. B. I. 286. Pflanzenlose Öden: G. R. b. 101. 102. Majestät der Wüste: I. 45. Zauber der Wüste: H. M. a. III. 263/264. — Oase Dachel: G. R. b. 109/121. — Sykomoren: G. R. b. 235. H. B. II. 420. 446. III. 142. 400. IV. 214. V. 217. 225. 279. — Tamarinden: H.B. I. 614. II. 10. 23 &. — Tamarisken: L. S. 333. G. R. b. 194. — Ssautakazie ( Acacia Nilotica) an verschütteten Brunnen: G. R. b. 235. & — Ulmen: H. M. a. II. 218. — Eschen, Korkeichen, Andalusische Eichen: H. M. a. II. 218. — Malven: G. R. b. 237. Kürbisse: G. R. b. 237. L.S. 206. 250. — Gurken: L.S. 206. H.B. I. 444. — Melonen, Wassermelonen: G. R. b. 237. L.S. 250. H. B. I. 23. 270. 602. — Tabak: G. R. b. 237. Zwiebel: L.S. 206. G. R. b. 237. H. B. I. 45. &. — Knoblauch: G. R. b. 237. — Bohnen: L. S. 250. G. R. b. 262. Saubohnen: G. R. b. 237. — Lubiabohnen: G. R.b.237. — Erbsen, Linsen: G. R. b. 237. — Gulgasknollen (Kolokasien): G. R. b. 243. — Höflichkeitsbesuche: G. R. b. 112. — Mudir und Hakim: G. R. b. 137. — Scheich el Beleb: G. R. b. 137. H. M. a. II. 198. — Geschenke der Gastfreundschaft: G. R. b. 44. 113. — Schafe, Hammel: L. S. 259. G.R. d. 221. H. V. I. 120. &. — Rinder: G. R. b. 221. H. B. I. 108. &. — Hühner: G. R. b. 219. 221. H. B. II.17.&. — Ziegen: G. R. b. 221. L.S. 259. H. B. I. 107. &. — Butter: H. B. II. 252. 417. &. — Honig: H. B. II. 48. &. — Milch: G. R. b. 219. H. B. I. 124.&. — Datteln: L. S. 206. &. — Der durstige Scheich el Beled: G. R. b. 231. — Weigerung des Telegraphenbeamten: G. R. b. 31. — Ein Saatfeld ist haram und darf nur barfuß betreten werden: G. R. b. 274/275.
Kap. 6. — Tierquälerische arabische Kamelsättel und Fellachensättel: G. R. b. 54/55. —Kamele: L.S. 259. G. R. b. 221. N. 38.&. H. B. I. 54. 123. 186. 429. &. — Arabische Kamelnamen: G. R. b. 65/66. — Abu Ramleh: G. R. b. 127. — Abu Haschisch: G. R. b. 67. Abu Barlah: H. M. a,. II. 160. — Abu Homrah: H. M. a. II. 160. —Abu el Futha: H. M. a,. II. 167. — Kamelkrankheit: H. M. b. III.350. — Edmondstonetafelberg: G. R. b. 136. 140/141. 150. — Ruinenstadt Istabal: G. R. b. 148/149. — Nachtherrlichkeit der Wüste: G. R. b. 193. — Feneck (Wüstenfuchs): G. R. b. 233. I. 26. H. B. I. 596. III. 293. IV. 49. &. — Schakale: G. R. b. 283. H. M. a. II. 223. H. B. I. 398. 589. &. — Wolfshund ( Canis lupaster): G. R. b. 138.
Kap. 7. — Brava (Brave!), weibliche Form von Bravo (Braver!). —Regen in der Wüste: G. R. b. 165 H. M. a. III. 146. 149. 154- 156. 186. L. S. 153. I. 45. — Kälte in der Wüste: G. R. b. 168. 177 (Gefrierpunkt). H. M. a. III. 77 (mehrere Grad unter Null im Dezember). 224. I. 19. — Schneestürme: H. M. a. III. 79. 89. 94. — Regen, Kälte und Schnee in der Sahara, ferner: H. B. I. 24. 57. 98. 144. 145. 146. 198. 308. 323. 856. 364. 396. 604. II. 424. 490. 507. 551. 683. 597. 649. III. 50. 78. 249. 356. 397. 398. 414. 416. IV. 13. 14. 16. 66. 226. 269. 276. 302. 312. 314. 354. 382. V. 15. 120. 168. 207. 254. 268. 280. 288. 313. 314. 323. 324. 330. 414. — Sonnenaufgang und Morgen in der Wüste: H. M. a. III. 136. — Gebrüll der Kamele beim Auf- und Abladen: I. 11. — Felsen, Wegzeichen (Allemat). Gor (Zeugen): G. R. b. 58. 105/106. 150. — Merkmale einer Karawanenstraße: G. R. b. 270. — Dünen, Dünenberge, hundert Meter hohe Sanddünen: G. R. b. 68/69. 73. 102. 162. — Anbinden der Kamele hintereinander, nach Beduinenweise: H. B. I. 96. 189. — Entlaufen der Kamele: G.R. a. II. 74. — Talchbüsche: G. R. b. 171. ( Acacia Seyal). —Kamelweide: G. R. b. 156. — Das Kamel hält es nicht wochenlang ohne Wasser aus, immerhin ausnahmsweise 17 Tage: G. R. b. 172. — Stegreifgesänge der Kameltreiber: G. R. b. 127. — Ramleh kebir! G. R. b. 142. — Kullu ramleh, kullu hedschar, kullu mortu! G. R. b. 266. — Bir (Brunnen): G. R. b. 71/72. 100. G. R. a. II. 78. H. B. I. 25. 148. 149. &. — Fen el Bir? J. 21. — Koranfluch über die Ungläubigen: H. M. c. 408.
Kap. 8. — Eingebildeter Überfall (Esel unter die Kamele geraten): G. R. b. 150. — Tuareg siehe unter Kap. 35. — Räuberische Beduinen: H. M. a. II. 303/304. — Batales Kamel: G. R. b. 138. — Stahlblaue Farbe des Bodens wegen Schwefelkies: G. R. b. 105. — Luftspiegelung: G. R. b. 189/190. 270. 271. H. M. a. III. 139. L.S. 177. 263. — H. B. I. 287. — Orkan in der Wüste, Samum, Gebli: I. 47. &. — Entlaufenes Kamel: G. R. a., II. 74. — Sonnenuhr: G. R. a. II. 78/79.
Kap. 9. — Dschinns, Ghuls: H. M. a. III. 41/42. J. 29/30, Anmkg. — Alles verschlingende Sandseen: Opfer des Triebsandes von C. Falkenhorst. (Gartenlaube 1910, Nr. 4. S. 89.) Hier handelt es sich um Triebsand an der Meeresküste, wie bei Mont Saint Michel in der Normandie, wo die gefährlichen Stellen »Lises« genannt werden. In diesen »Sandseen« verschwindet ein Senkblei mit 50 Meter langer Leine, Menschen und bespannte Wagen versinken plötzlich und spurlos darin. Überreste werden nie gefunden. 1780 verschluckte ein solcher Sandsee ein gestrandetes Schiff vollständig. — Krapf I, 166: »Dieser Reisende (Baron von Wrede) erwähnte einer sonderbaren Erscheinung im Innern der Hadramaut, welche ich mir nicht recht erklären konnte. Er erzählte von einer großen Fläche, genannt Bacher-es-safi, welche sehr feinen Sand enthalte, in dem man versinke, wenn man dieser gefährlichen Stelle zu nahe komme, weshalb die Karawanen in jener Gegend mit dem Kompaß reisen müssen. Wrede habe ein Senkblei hineingeworfen, und dieses habe in fünf Minuten die Tiefe von 60 Fuß erreicht. Nach den Erzählungen der Araber soll dieser Sandsee von einem König Safi seinen Namen haben, der hier mit seiner ganzen Armee und allen seinen Schätzen umgekommen sei. (Nach der Erzählung eines Arabers sollen die Leute, welche früher die Stelle des Bacher-es-safi bewohnten, ihren Nachbarn die Dattelbäume geraubt haben, worauf sie der Prophet Mohammed verflucht und ihre Gegend in einen Sandsee verwandelt habe).«
Kap. 10. — Felsen, Felslabyrinth: G. R. b. 105/106. 107. — Merkwürdige Felsbildungen, Kreideblöcke in der Wüste: G. R. b. 193. 204. — Die Geisterburg: H. B. I. 229. 232. 233. Vgl. H. B. IV.338. 339/342. Verirrt: H. B. I. 233/237. — Iblis: I. 29/30, Anmkg. — El Gharrar (der Irreführer): ebenda. — Aman, aman! H. B. I. 236. — Entkräftung: H.B. I. 236/237.
Kap. 11. — Topfbauten: G. R. b. 130. — Der Diener bringt die Sonnenuhr ins Zelt: G. R. a. II. 78/79. — Der Pantoffel der Frau beim Weihnachtsfest in der Wüste: G. R. b. 60. — Meersage: H. M. a. III. 157. 165.
Kap. 12. — Erdschweine: H. B. I. 596/597. III. 253. — Der prahlerische Nimrod bildet sich ein, die Araber verstünden ihre eigene Sprache nicht recht, weil sie sein mangelhaftes Arabisch nicht verstehen: H. M. a. II. 129/130. — Der in den Sumpf gelockte Prahlhans: H. M. a. II. 62/63.
Kap. 13. — Löwen: H. M. a. I. 182/183. L. H.B. I. 398. 421. 422. 546. 580. 588. II. 46. 248. 252. 605. III. 52. 153. IV. 525. V.97. 132. 210. 271.
Kap. 14. — Overwegs ärztliche Methode (Arzneimittelgaben nach Wochentagen): H. B. I. 601. — Die unterbliebene Krebsoperation mit vollständigem Heilerfolg: wahre Geschichte.
Kap. 15. — Haschisch-(Hanf-)Rauchen: H. M. a. III. 7/9. 10. 13. (Madschun). 18. N. 46. — Prahlereien im Haschischrausch (Kif), Kelb ibn Kelb: H. M. a. III. 8. — Silo: H. M. a. I. 182/183. &. — Mit Weinspritzern aufgeweckt: H. M. a. II. 59/61.
Kap. 17. — Beduinen: H. M. a. I. 64/65. 68/70. 196/197. 198/203. &.
Kap. 23. — Bar (Bahr) bela (bila) ma = Fluß ohne Wasser: G. R. b. 13, Anmkg. I. 9. Regen in der Wüste alle 3 bis 4 Jahre: G. R. b. 262. — Strom aus Regengüssen: H. B. I. 356/358. — Antilopen: H.B. I. 231. 292. 419. 589. 590. 592. 600. II. 245. 409. III. 42. 247. 291. 316. IV. 21. V. 258. 422. — Gazellen: G. R. b. 191. I. 24. H. B. I. 152. 592. II. 245. III. 151. 158. 309. IV. 385. V. 438. General-Anzeiger, Pforzheim, Nr. 57, 9. März 1910: (Regen in der Sahara.) In der Wüstenregion des südlichen Algier, in der Umgebung von Biskra, sind in diesem Winter auffällig starke Regenfälle niedergegangen. An dies Ereignis anknüpfend, gibt der französische Forschungsreisende Foureau, ein genauer Kenner der afrikanischen Wüste, eine interessante Schilderung der Regenverhältnisse in der Sahara. Daß die nördliche Sahara größere Regenniederschläge zu verzeichnen hat, ist nicht weiter merkwürdig: die Regensphäre südlich von Biskra erstreckt sich bis zu 500 Kilometer in die Sahara hinein. Aber auch tief im Herzen der großen Wüste kommen Regenniederschläge vor, wenngleich diese Erscheinung eine Seltenheit bedeutet. Der Regen entsteht dann durch die Stürme und Gewitter, und meist nach einer längeren Periode großer Trockenheit. Für die Wüstenkinder ist das immer ein Geschehnis, das an ein Wunder grenzt. Wer einmal einen solchen Regenguß im Herzen der Sahara miterlebt hat, wird ihn nie vergessen; wie durch ein Zauberwort verwandelt sich die trostlose Wüste plötzlich in ein Paradies. Der Reisende wird Zeuge, wie gleichsam durch Wundergewalt aus dem Sande plötzlich die Vegetation emporsprießt. Zwei Stunden Regen genügen, um das Bild völlig zu verändern. Eine Märchenwelt entsteht, die freilich nur von kurzer Dauer ist: wenige Stunden später ist alles wieder verschwunden. Alle die unzähligen kleinen Saatkörner, die durch den Wind mit dem Sande in die Wüste verstreut sind, keimen unter der Einwirkung des Regens sofort, sprießen empor, treiben neuen Samen und sterben wieder ab. Aber dies kurze Leben genügt, um wieder neuen Samen auszustreuen, der im Sande liegen bleibt. Wenn nach drei, vier oder fünf Jahren wieder einmal einer jener seltenen Regengüsse kommt, dann werden diese neuen Samenkörner auf gleiche Weise sich entwickeln, sprießen, neuen Samen treiben und untergehen. Aber die kurze Lebenszeit dieser Pflanzen entrollt ein wundervolles Bild: Gazellen eilen herbei und werden in Rudeln, bis die ewig sengende Sonne in kurzer Zeit alle Feuchtigkeit wieder aufgesaugt hat und die Wüste wieder zur Wüste wandelt.
Kap. 26. — Vogel Strauß: G. R. b. 170, Anmkg. J. 25. H. B. I. 589. 591. 596. III. 155. 325.
Kap. 27 und 29. — Die Geschichte der Messingnen Stadt: getreu nach »Tausend und eine Nacht. Arabische Erzählungen. Zum erstenmale aus dem Urtext vollständig und treu übersetzt von Dr. Gustav Weil, ordentlichem Professor der morgenländischen Sprachen an der Universität Heidelberg.« Stuttgart, Rieger, 1889. Bd. II, S. 267/282. Die in Prosa wiedergegebenen Verse des Märchens brachte ich in Versform, doch ebenfalls ganz getreu.
Kap. 28. — Schakale: H. B. I. 398. 589. &. Siehe auch Kap. 6.
Kap. 30. — Hornviper (gefürchtetste Schlange): Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld: Afrika. Wien, Pest, Leipzig, 1886, A. Hartleben. Seite 870. — Nashörner: H. B. II. 605. III. 278. 294. 298. 314. 315. IV. 269.
Kap. 31. — Elefanten: H.B. II. 46. 229. 244. 245. 410. 605. III. 40. 45. 81. 147. 148. 153. 155 156. 169. 176. 181. 298. 314. IV. 209. 226. 269. 274. 305. 360. V. 409. — Mokorongafrucht: Livingstone II. 276.
Kap. 32 und 33. — Der singende Berg: siehe Kap. 36. — Die Messingstadt: siehe Vorbemerkung zu den Nachweisen und Kap. 27 und 29.
Kap. 35. — Tuareg, die »Christen der Wüste«, ihre Tapferkeit und ihre List: H. M. a. III. 109/110. 113. H.B. I. 161. (193 ff.) 246/248. 312. 314. 315. 316. 320. 323. 335. 336. 337. 338. 344/348. II. 51. III. 58. IV. 87/88. 297. 302. 306. 342. 344/349. 352/359. 363. 367. 503. ff. V. 73 ff. 103 ff. — Die Räuber trösten ihre Gefangenen: »Alles kommt von Gott!« H. B. III. 322.
Kap. 36. — Der singende Berg und die Wolke, die Annäherung einer Karawane verratend: General-Anzeiger Pforzheim, Nr. 195, 23. August 1910: »Geheimnisvolles aus der Sahara. Der englische Kolonialbeamte Hanns Vischer (ein Schweizer aus Basel), der 1906 die Sahara von Nord nach Süd durchkreuzt hat, hat kürzlich ein Reisewerk darüber veröffentlicht, und erzählt darin von dem »singenden« Berg Jetko, der der höchste Punkt der Oase Bilma ist und den älteren Forschern entgangen zu sein scheint. Solche »singende Berge« sind bekannt: das Geräusch wird aus das Spiel des Windes in Felsspalten zurückgeführt. Vom Jetko aber behaupten die Oasenbewohner, er singe dann, wenn eine Karawane sich nähere, benachrichtige sie also von deren bevorstehender Ankunft. Das geschah auch während Wischers Anwesenheit in Bilma. Der Berg sang, und eines Morgens sah man weit im Westen lange, schwarze Flecke auf den runden Rücken der Sanddünen; sie wurden größer und kamen näher wie der Schatten einer großen Wolke; es war eine Karawane aus Asben, über 8000 Kamele und 1000 Mann stark. Von einem solchen Zusammentreffen ein Jahr später hat auch der französische Kommandant der Oase, Gadel, berichtet: Eines Tages sagte man ihm, der Berg habe »gesprochen«; genau zwei Tage später kam eine Karawane aus Asben, die 4851 Kamele und 857 Leute zählte. Es bleibt gewiß weiter nichts übrig, als an Zufälle zu denken (?); aber die Bewohner der Sahara glauben an einen Zusammenhang. Das gilt auch von Vorkommnissen, die Major Djamy Bey, ein in Festan stationierter, auch den Geographen bekannter sehr gebildeter türkischer Offizier, erzählt. Als er sich bei Ghat aufhielt, machte ihn ein Targi auf einige ganz ungewöhnliche am Horizont erscheinende große Wolken aufmerksam und versicherte, daß diese Wolken sich nur zeigten, wenn eine große Karawane sich auf dem von Djanet kommenden Wege befände. Zwei Tage später brachte ein Bote die Nachricht, daß eine französische Militärexpedition in Djanet angelangt sei. Die Tuareg behaupten, daß sie aus ähnlichen Wolken aus das Nahen jeder großen Karawane schließen könnten, lange bevor sie irgend eine andere bestimmte Nachricht von ihr hätten. Hier mag wohl in der Tat ein Zusammenhang bestehen; man könnte an Staub und Ausdünstung, verursacht durch eine große Masse von Menschen- und Tierkörpern denken; die scharfäugigen Tuareg sind ja gewohnt, auf alles zu achten.«
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